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22.020 Botschaft zur Änderung des Finanzhaushaltgesetzes (Abbau der coronabedingten Verschuldung) vom 18. März 2022

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Finanzhaushaltgesetzes.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

18. März 2022

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ignazio Cassis Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2022-0897

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Übersicht Zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie hat der Bund hohe ausserordentliche Ausgaben getätigt. Diese müssen gemäss Schuldenbremse wieder kompensiert werden, damit sie nicht zu einer Neuverschuldung führen. Die vorgeschlagene Änderung des Finanzhaushaltgesetzes ermöglicht den Ausgleich des Fehlbetrags, ohne die wirtschaftliche Erholung nach der Covid-19-Epidemie zu gefährden.

Ausgangslage Um die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Epidemie abzufedern, haben Bundesrat und Parlament umfangreiche Massnahmen bewilligt.

Die damit verbundenen ausserordentlichen Ausgaben führen zu einer zusätzlichen Verschuldung des Bundes, die gemäss Ergänzungsregel zur Schuldenbremse im Finanzhaushaltgesetz wieder abgebaut werden muss. Die coronabedingte Verschuldung zeigt sich im Amortisationskonto, welches per Ende 2021 einen Fehlbetrag von 20,3 Milliarden Franken auswies. Für 2022 sind weitere ausserordentliche Ausgaben budgetiert. Insgesamt wird bis Ende 2022 ein Fehlbetrag des Amortisationskontos von 2530 Milliarden Franken erwartet.

Dieser Fehlbetrag muss nach geltendem Recht mit budgetierten Finanzierungsüberschüssen und allfälligen ausserordentlichen Einnahmen innerhalb von sechs Jahren ausgeglichen werden. Um im Voranschlag ausreichend hohe Überschüsse zu schaffen, wären Entlastungsprogramme oder Steuererhöhungen nötig, was die wirtschaftliche Erholung nach der Covid-19-Epidemie gefährden würde. Bundesrat und Parlament wollen dies vermeiden.

Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 23. Juni 2021 beschlossen, den Bundesanteil an der Zusatzausschüttung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) in der Höhe von aktuell 1,3 Milliarden Franken ab 2021 als ausserordentliche Einnahme zu verbuchen und damit dem Amortisationskonto gutzuschreiben. Für die restlichen Massnahmen ist eine Änderung des Finanzhaushaltgesetzes nötig.

Inhalt der Vorlage Der Bundesrat beantragt eine temporäre Anpassung der Ergänzungsregel zur Schuldenbremse im Finanzhaushaltgesetz. Einerseits sollen dem Amortisationskonto nicht nur die budgetierten strukturellen Finanzierungsüberschüsse gutgeschrieben werden können, sondern die strukturellen Finanzierungsüberschüsse gemäss Rechnungsabschluss. Andererseits soll die Amortisationsfrist zur Bereinigung des Fehlbetrags auf die nächsten drei Legislaturperioden
erstreckt werden (bis 2035). Im Fall von besonderen Entwicklungen soll die Frist um eine weitere Legislaturperiode verlängert werden können.

Mit der beantragten Übergangsregelung kann der Fehlbetrag des Amortisationskontos voraussichtlich um ca. 2,3 Milliarden Franken pro Jahr reduziert und somit in rund 11­13 Jahren ausgeglichen werden (2023­2033 bzw. 2035). Voraussetzung

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dafür sind eine regelmässige Zusatzausschüttung der SNB von 1,3 Milliarden Franken sowie Budgetunterschreitungen von durchschnittlich 1 Milliarde Franken pro Jahr.

Der Bundesrat möchte so wenig wie möglich in die bewährte Systematik der Schuldenbremse eingreifen. Er beantragt deshalb einen vollständigen Abbau der coronabedingten Verschuldung, zumal die beantragte Regelung ohne einschneidende Massnahmen für den Bundeshaushalt umsetzbar ist. Für einen vollständigen Abbau sprechen auch weitere Gründe: Erstens hat die Corona-Krise gezeigt, wie schnell die Schulden ansteigen können und wie wichtig ein solider Finanzhaushalt ist, um rasch umfangreiche Massnahmen ergreifen zu können. Zweitens sind solide öffentliche Finanzen für viele Unternehmen ein wesentlicher Standortfaktor und erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz. Drittens soll die gute finanzpolitische Ausgangslage von vor der Coronakrise wiederhergestellt werden, um für künftige Herausforderungen und Krisen gewappnet zu sein. Insbesondere die alternde Bevölkerung und der Klimawandel dürften die öffentlichen Finanzen längerfristig belasten.

Im Übrigen enthält die Vorlage zwei Änderungen des Finanzhaushaltgesetzes, die die bisherige Praxis nachführen und keinen Bezug zum Abbau der coronabedingten Verschuldung haben. Dabei geht es einerseits um eine Restanz aus der letzten Änderung des Finanzhaushaltgesetzes, andererseits sollen vorsorgliche Amortisationsbeiträge auch mit Abnahme der Rechnung möglich sein.

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

Um die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Epidemie abzufedern, hat das Parlament umfangreiche Massnahmen ergriffen und dafür die Ausnahmebestimmung der Schuldenbremse in Anspruch genommen, welche in Krisensituationen zusätzliche Ausgaben über den ordentlichen Höchstbetrag hinaus erlaubt. In den Jahren 2020 und 2021 wurden ausserordentliche Ausgaben von 14,7 und 12,3 Milliarden Franken getätigt. Für das Jahr 2022 hat das Parlament mit dem Voranschlag 2022 und dem Nachtrag Ia bisher ausserordentliche Ausgaben von 6,7 Milliarden Franken bewilligt. Mit dem Nachtrag Ib wird der Bundesrat voraussichtlich weitere 2,4 Milliarden Franken beantragen. Davon entfallen 2,1 Milliarden Franken auf die Nachzahlung von Ferienentschädigungen bei Kurzarbeit. Es ist nicht ausgeschlossen, dass im Jahr 2022 noch zusätzliche Ausgaben hinzukommen. Andererseits wurden 2020 nur rund die Hälfte und 2021 knapp 60 Prozent der bewilligten ausserordentlichen Ausgaben beansprucht.

Die Schuldenbremse des Bundes verhindert einen Anstieg der Verschuldung durch Finanzierungsdefizite. Nach Artikel 126 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)1 müssen die Ausgaben und Einnahmen auf Dauer im Gleichgewicht sein. Die Verfassung sieht aber auch vor, dass im Fall von ausserordentlichem Zahlungsbedarf der zulässige Höchstbetrag der Ausgaben erhöht werden darf (Art. 126 Abs. 3 BV). Die im Jahr 2010 im Finanzhaushaltgesetz vom 7. Oktober 2005 (FHG)2 eingeführte Ergänzungsregel verlangt, dass auch Defizite im ausserordentlichen Bundeshaushalt auf Dauer ausgeglichen werden. Die ausserordentlichen Ausgaben und Einnahmen werden zu diesem Zweck auf dem sogenannten Amortisationskonto festgehalten.

Ende 2021 verzeichnete diese Kontrollstatistik einen Fehlbetrag von 20,3 Milliarden Franken. Zusammen mit den noch erwarteten beziehungsweise geplanten ausserordentlichen Einnahmen und Ausgaben wird bis Ende 2022 ein Fehlbetrag des Amortisationskontos von 2530 Milliarden Franken erwartet.

Ein Fehlbetrag des Amortisationskontos muss gemäss Ergänzungsregel innerhalb von sechs Jahren durch budgetierte Überschüsse im ordentlichen Haushalt wieder ausgeglichen werden (Art. 17b Abs. 1 FHG). Das Parlament kann die Amortisationsfrist in besonderen Fällen erstrecken (Art. 17b Abs. 3 FHG). Um ausreichend hohe Budgetüberschüsse zu schaffen,
wären Entlastungsprogramme oder Steuererhöhungen nötig, was die wirtschaftliche Erholung nach der Covid-19-Epidemie gefährden würde. Bundesrat und Parlament wollen dies vermeiden. Das Parlament hat deshalb den Bundesrat in der Legislaturplanung 2019­2023 beauftragt, eine Botschaft zum Umgang mit den ausserordentlichen Ausgaben im Zusammenhang mit Covid-19 zu unterbreiten, welche keine Steuererhöhungen und Entlastungsprogramme vorsieht (siehe Ziff. 1.3).

1 2

SR 101 SR 611.0

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Tabelle 1 Erwartete Entwicklung des Amortisationskontos (in Mrd. CHF) Stand Amortisationskonto Rechnung 2020 Ausserordentliche Einnahmen 2021 Ausserordentliche Ausgaben 2021 Gutschrift struktureller Überschuss 2021 Stand Amortisationskonto Ende 2021

-9,8 1,5 -12,3 0,3 -20,3

Rückstellung Corona-Tests für 2021

-1,3

Ausserordentliche Einnahmen 2022 gemäss Bundesbeschluss zum Voranschlag 2022 Ausserordentliche Ausgaben 2022 gemäss Bundesbeschluss zum Voranschlag 2022 Ausserordentliche Ausgaben gemäss Bundesbeschluss über den Nachtrag Ia zum Voranschlag 2022

1,5 -3,3 -3,5

Ausserordentliche Ausgaben gemäss den Anträgen für den Nachtrag Ib zum Voranschlag 2022 Stand Amortisationskonto Ende 2022

-2,4 -29,2

pro memoria für 2023: Belastung durch letzte FHG-Änderung vom 19.3.2021 (AS 2021 662)

-1,4

Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 23. Juni 2021 seine Strategie zum Abbau der coronabedingten Verschuldung festgelegt. Als erste Massnahme wird der Bundesanteil an den Zusatzausschüttungen der SNB ab 2021 ­ also ab Beginn der neuen Gewinnausschüttungsvereinbarung vom 29. Januar 20213 ­ als ausserordentliche Einnahme verbucht und somit dem Amortisationskonto gutgeschrieben. Die Vereinbarung zwischen dem Eidgenössischen Finanzdepartement und der SNB regelt die Gewinnausschüttungen der SNB für ihre Geschäftsjahre 2020­2025. Beim Bund und den Kantonen fallen diese Ausschüttungen in den Jahren 2021­2026 an. Diese Massnahme leistet ab der Staatsrechnung 2021 einen namhaften Beitrag zum Abbau der coronabedingten Verschuldung. Angesichts des grossen Bilanzgewinns der SNB (rund 108 Mrd. Fr. per Ende 2021) rechnet der Bund gegenwärtig mit einer maximalen Gewinnschüttung von 6 Milliarden Franken pro Jahr. Der Bundesanteil beläuft sich auf einen Drittel beziehungsweise 2 Milliarden Franken. Davon sind 1,3 Milliarden Franken als Zusatzausschüttungen definiert. Der Jahresgewinn der SNB kann stark schwanken, weshalb die Zusatzausschüttungen nicht garantiert sind. Die zweite Massnahme besteht in einer befristeten Änderung des Finanzhaushaltgesetzes, welche mit der vorliegenden Botschaft beantragt wird.

Ausserordentliche Ausgaben, Fehlbetrag des Amortisationskontos und Schulden Dem Amortisationskonto werden nicht nur ausserordentliche Ausgaben belastet, sondern auch allfällige ausserordentliche Einnahmen sowie Gutschriften aus budgetierten strukturellen Überschüssen gutgeschrieben. Aus diesem Grund hatte das Amortisationskonto vor der Krise einen positiven Stand (2019: 4,3 Mrd. Fr.).

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Der erwartete Fehlbetrag des Amortisationskontos per Ende 2022 von 2530 Milliarden Franken ist deshalb tiefer als die Summe der ausserordentlichen Ausgaben zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie 2020­2022 von rund 36 Milliarden Franken gemäss aktueller Schätzung.

Der Fehlbetrag des Amortisationskontos ist auch nicht deckungsgleich mit den zusätzlichen Bruttoschulden, welche der Bund in Form von verzinslichen Schuldpapieren aufgenommen hat (Geldmarktbuchforderungen und Anleihen). Im Jahr 2020 deckte der Bund das hohe Finanzierungsdefizit von rund 16 Milliarden Franken nur teilweise durch zusätzliche Kapitalmarktschulden (rund 7 Mrd. Fr.); der Rest wurde durch den Abbau des Finanzvermögens finanziert (rund 9 Mrd.

Fr.; insbesondere flüssige Mittel). Im Jahr 2021 stiegen die Bruttoschulden bei einem Finanzierungsdefizit von rund 12 Milliarden Franken nur um 5 Milliarden Franken. Grund dafür ist die Bildung einer Rückstellung für die Verrechnungssteuer von 5,1 Milliarden Franken. Rückstellungen fliessen gemäss aktueller Definition nicht in die Bruttoschulden ein. Finanzierungsergebnis und Bruttoschulden entwickeln sich aus den genannten Gründen oft nicht eins zu eins. Über längere Zeit besteht jedoch ein enger Zusammenhang zwischen den beiden Grössen.

1.2

Beantragte Gesetzesänderung und geprüfte Alternativen

1.2.1

Beantragte Gesetzesänderung: Schuldenabbau durch zukünftige Finanzierungsüberschüsse

Gemäss geltendem Recht muss ein Fehlbetrag des Amortisationskontos mit budgetierten strukturellen Finanzierungsüberschüssen ausgeglichen werden. Mit der Gesetzesänderung werden dem Amortisationskonto die gesamten strukturellen Finanzierungsüberschüsse gemäss Rechnungsabschluss gutgeschrieben. Diese fallen erfahrungsgemäss rund 1 Milliarde höher aus als budgetiert, weil die Ausgaben am Jahresende systematisch unter dem budgetierten Niveau liegen (Budgetunterschreitungen).

Zusätzlich wird die Frist für den Ausgleich des Fehlbetrags auf die nächsten drei Legislaturperioden (bis zum Jahr 2035) erstreckt. Diese Fristerstreckung trägt der aussergewöhnlichen Höhe der coronabedingten Verschuldung angemessen Rechnung.

Treten in dieser Zeitspanne besondere, nicht steuerbare Entwicklungen auf, kann die Frist um eine weitere Legislaturperiode verlängert werden.

Der per Ende 2022 erwartete Fehlbetrag des Amortisationskontos von 2530 Milliarden Franken kann mit dieser Lösung jährlich um 2,3 Milliarden Franken reduziert und somit in rund 11­13 Jahren ausgeglichen werden (2023­2033 bzw. 2035). Die Voraussetzung dafür ist, dass die SNB regelmässig eine Zusatzausschüttung von 1,3 Milliarden Franken tätigen kann und wie in der Vergangenheit Budgetunterschreitungen von rund 1 Milliarde Franken pro Jahr anfallen.

Der Bundesrat hat sich mit der gewählten Lösung für einen vollständigen Schuldenabbau mit künftigen Finanzierungsüberschüssen entschieden. Damit kann gewährleistet 6 / 24

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werden, dass der Bundeshaushalt auch künftig solide bleibt, was ein positives Signal für den Wirtschaftsstandort Schweiz aussendet. Die finanzpolitische Verlässlichkeit und Widerstandsfähigkeit ist für die Standortattraktivität der Schweiz zentral. Die Schuldenbremse und die soliden öffentlichen Finanzen sind für viele Unternehmen ein wesentlicher Faktor, weshalb sie die Schweiz als Standort wählen. Dank der guten finanzpolitischen Ausgangslage konnten die finanziellen Folgen der Covid-19-Epidemie rasch abgefedert werden. Diese Ausgangslage ist weitgehend der regelgebundenen Finanzpolitik zu verdanken und soll mit dem vorliegenden Vorschlag wiederhergestellt werden, um auch für künftige Krisen und langfristige Herausforderungen gewappnet zu sein. Für den Abbau des Fehlbetrags soll zudem möglichst wenig in den Mechanismus der Schuldenbremse eingegriffen werden.

1.2.2

Geprüfte Alternativen

1.2.2.1

Amortisation gemäss geltendem Recht

Die Amortisation des Fehlbetrags des Amortisationskontos hat gemäss geltendem Recht durch budgetierte strukturelle Überschüsse zu erfolgen (Art. 17b Abs. 1 FHG).

Zu diesem Zweck wird der Höchstbetrag der zulässigen Ausgaben im Voranschlag gekürzt. Um den erwarteten Fehlbetrag innert den gesetzlich vorgesehenen sechs Jahren abzubauen, wären budgetierte Überschüsse von bis zu 5 Milliarden Franken pro Jahr erforderlich. Unter Berücksichtigung der Zusatzausschüttungen der SNB, die als ausserordentliche Einnahmen direkt dem Amortisationskonto zufliessen, müssten im ordentlichen Haushalt zusätzliche Einsparungen von bis zu 3,7 Milliarden Franken pro Jahr erzielt werden. Um dies im Budget zu erreichen, müssten Sparmassnahmen beschlossen oder Steuern erhöht werden.

Gemäss geltendem Recht kann das Parlament die Frist für die Amortisation erstrecken (Art. 17b Abs. 3 FHG). Die dazu nötigen Einsparungen im Budget wären aber auch mit verlängerter Frist beträchtlich. Eine lange Fristerstreckung erfordert zudem eine Gesetzesanpassung, damit die Regelung transparent und verbindlich ist.

Mit der Amortisation gemäss geltendem Recht würde der Fehlbetrag des Amortisationskontos schneller als mit der vorgeschlagenen Lösung ausgeglichen. Daneben würden die systematisch anfallenden Budgetunterschreitungen wie bisher dem Ausgleichskonto gutgeschrieben, was eine zusätzliche Schuldenreduktion zur Folge hätte, die jedoch nicht dem Amortisationskonto gutgeschrieben würde.

Die im Voranschlag erforderlichen Sparmassnahmen wären weder mit den vom Parlament beschlossenen Vorgaben noch mit den Bundesratszielen 2021 und 2022 kompatibel (siehe Ziff. 1.3). Der finanzpolitische Handlungsspielraum wäre über längere Zeit eingeschränkt. Dies wäre auch deshalb problematisch, weil weitere Mehrbelastungen des ordentlichen Haushalts möglich sind.

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1.2.2.2

Schuldenabbau durch vergangene und zukünftige Finanzierungsüberschüsse

In dieser Variante wird die Hälfte des Fehlbetrags des Amortisationskontos zulasten des positiven Stands des Ausgleichskontos verrechnet. Damit wird die coronabedingte Verschuldung zur Hälfte durch vergangene Finanzierungsüberschüsse respektive durch den vergangenen Schuldenabbau kompensiert. Der restliche Fehlbetrag wird anschliessend ­ wie in der beantragten Neuregelung ­ durch zukünftige Finanzierungsüberschüsse ausgeglichen. Durch die hälftige Verrechnung müsste nur die Hälfte der coronabedingten Verschuldung abgebaut werden, was die Amortisationsdauer im Vergleich zur gewählten Lösung halbieren würde.

Mit der Verrechnung würde der erwartete Fehlbetrag des Amortisationskontos von 2530 Milliarden Franken auf 12,5­15 Milliarden Franken reduziert. Anschliessend würde der verbleibende Fehlbetrag gemäss gewählter Lösung abgebaut und damit um jährlich 2,3 Milliarden reduziert. Der Fehlbetrag könnte so in rund 6 bis 7 Jahren abgebaut werden, was der geltenden Frist entspräche. Der Bundesrat möchte so wenig wie möglich in die bewährte Systematik der Schuldenbremse eingreifen. Die finanzpolitische Verlässlichkeit und Widerstandsfähigkeit ist für die Standortattraktivität der Schweiz zentral. Die coronabedingte Verschuldung soll deshalb vollumfänglich abgebaut werden, womit die gute finanzpolitische Ausgangslage von vor der Krise wiederhergestellt werden kann.

1.2.2.3

Vollständige Verrechnung mit dem bisherigen Schuldenabbau

Verworfen wurde auch die Möglichkeit, den gesamten Fehlbetrag des Amortisationskontos soweit möglich mit dem positiven Stand des Ausgleichskontos zu verrechnen.

Damit würde der bisherige Schuldenabbau dazu verwendet, die durch die Covid-19Epidemie entstandenen Schulden im ausserordentlichen Haushalt zu kompensieren.

Die effektiven Bundesschulden blieben vorerst bestehen, würden aber auch in dieser Alternative wieder zurückgehen, weil die jährlich anfallenden Budgetunterschreitungen weiterhin einen systematischen Schuldenabbau zur Folge haben.

Eine vollständige Verrechnung mit dem bisherigen Schuldenabbau würde die Schuldenbremse schwächen, weil damit die Ergänzungsregel bereits bei der ersten grossen Bewährungsprobe weitgehend ausser Kraft gesetzt würde. Im Unterschied zu einer vollständigen Aussetzung (siehe Ziff. 1.2.2.4) würden durch die Verrechnung immerhin noch die kumulierten Saldi von Ausgleichs- und Amortisationskonto aufzeigen, um wieviel sich die Schulden seit Einführung der Schuldenbremse insgesamt vermindert haben. Neben der Schwächung der Schuldenbremse wäre ein weiterer Nachteil dieser Alternative, dass der verbleibende Betrag des Ausgleichskontos keinen genügend hohen Puffer mehr bieten könnte, um mehrjährige Finanzierungsdefizite auffangen zu können. Damit bestünde die Gefahr, dass die strengere Sanktionsregel für den Ausgleich des Ausgleichskontos ausgelöst würde, was den Vorgaben des Parlaments widersprechen würde, keine Sparprogramme oder Steuererhöhungen vorzunehmen.

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1.2.2.4

Aussetzung der Ergänzungsregel der Schuldenbremse

Mit der Aussetzung der Ergänzungsregel würde nachträglich die Belastung des Amortisationskontos durch die coronabedingten ausserordentlichen Ausgaben rückgängig gemacht. Der Fehlbetrag des Amortisationskontos fiele weg, eine Amortisation würde sich erübrigen.

Diese Variante ist vergleichbar mit der vollständigen Verrechnung gemäss Ziffer 1.2.2.3, hat aber den zusätzlichen Nachteil, dass das Ausgleichs- und Amortisationskonto die Veränderung des Schuldenniveaus seit Einführung der Schuldenbremse nicht mehr aufzeigen würde. Die Ergänzungsregel für den ausserordentlichen Haushalt wäre damit ausser Kraft gesetzt. Dies steht in einem Spannungsverhältnis zur Vorgabe von Artikel 126 Absatz 1 BV, dass der Bund seine Ausgaben und Einnahmen auf Dauer im Gleichgewicht zu halten hat. Die Ergänzungsregel hat zum Ziel, auch Defizite des ausserordentlichen Haushalts mittelfristig zu kompensieren und damit entsprechend die nominellen Schulden des Bundes zu stabilisieren.4 Dies ist nur gegeben, wenn sich auf Dauer die Verschuldung des Bundes gegenüber dem Stand bei Einführung der Schuldenbremse beziehungsweise Ende 2003 nicht erhöht.

Die temporäre Ausserkraftsetzung der Ergänzungsregel wäre zudem ein Präjudiz, das die künftige Durchsetzung und damit auch die Glaubwürdigkeit der Ergänzungsregel und somit die Schuldenbremse insgesamt schwächen würde.

1.3

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist im Bundesbeschluss vom 21. September 20205 über die Legislaturplanung 2019­2023 enthalten. Das Parlament hat folgende Vorgabe beschlossen: «Der Bundesrat unterbreitet dem Parlament eine Botschaft zum Umgang mit den ausserordentlichen Ausgaben im Zusammenhang mit Covid-19, welche Steuererhöhungen und Entlastungsprogramme vermeidet.» Mit der vorgeschlagenen Lösung wird diese Vorgabe eingehalten.

In der Botschaft vom 29. Januar 20206 zur Legislaturplanung 2019­2023 war die Vorlage noch kein Thema, da die Corona-Epidemie zum damaligen Zeitpunkt noch nicht absehbar war. Der Umgang mit der coronabedingten Verschuldung war aber Gegenstand der Jahresziele des Bundesrates für 20217. Ziel 1 ­ «Die Schweiz sorgt für einen ausgeglichenen Bundeshaushalt und eine stabile Finanzordnung» ­ beinhaltet den

4

5 6 7

Botschaft vom 19. September 2008 über die Ergänzungsregel zur Schuldenbremse (FHG-Revision), BBl 2008 8491 S. 8500 f., und Botschaft zur Schuldenbremse, BBl 2000 4653 S. 4709 f.

BBl 2020 8385, S. 8386 BBl 2020 1777 Ziele des Bundesrates 2021, Band I, Ziel 1, S. 9, abrufbar unter www.bk.admin.ch > Dokumentation > Führungsunterstützung > Jahresziele> Archiv ­ Jahresziele des Bundesrates, Band I.

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Auftrag an das Eidgenössische Finanzdepartement (Eidgenössische Finanzverwaltung), eine Botschaft zur Änderung des Finanzhaushaltgesetzes (Umgang mit den Corona-Schulden) zu erarbeiten. Mit der Gesetzesrevision soll der Abbau der zusätzlichen Verschuldung aufgrund der Covid-19-Epidemie so ausgestaltet werden, dass die Erholung der Wirtschaft nach der Krise möglichst wenig beeinträchtigt wird. In den Jahreszielen des Bundesrates für 20228 wird festgehalten, dass der Bundesrat im ersten Halbjahr 2022 eine entsprechende Botschaft verabschiedet. Dieses Ziel wird mit dieser Vorlage erreicht.

Die Vorlage hat keinen Einfluss auf die Finanzplanung. Die beantragte Neuregelung sieht vor, dass zukünftige strukturelle Finanzierungsüberschüsse gemäss Rechnungsabschluss zum Ausgleich des Fehlbetrags des Amortisationskontos verwendet werden, die Budgetierung wird dadurch nicht tangiert.

2

Ergebnisse der Vernehmlassung

2.1

Vernehmlassungsvorlage

Die Vernehmlassung zur Änderung des FHG (Abbau der coronabedingten Verschuldung) wurde am 25. August 2021 eröffnet und dauerte bis zum 28. November 2021.

Der Bundesrat schlug in der Vernehmlassungsvorlage zwei Varianten zum Schuldenabbau vor:9 ­

Variante 1 «Schuldenabbau durch zukünftige Finanzierungsüberschüsse» war deckungsgleich mit der nun vom Bundesrat beantragten Gesetzesänderung: Der Fehlbetrag des Amortisationskontos wird durch zukünftige strukturelle Finanzierungsüberschüsse gemäss Rechnungsabschluss ausgeglichen. Diese sind im Durchschnitt rund 1 Milliarde Franken höher als im Voranschlag, weil die budgetierten Ausgaben nicht ausgeschöpft werden (Budgetunterschreitungen).

­

In Variante 2 «Schuldenabbau durch vergangene und zukünftige Finanzierungsüberschüsse» wird vorgängig die Hälfte des Fehlbetrags des Amortisationskontos mit dem Schuldenabbau der vergangenen Jahre kompensiert.

Die vergangenen strukturellen Finanzierungsüberschüsse sind auf dem Ausgleichskonto festgehalten, der Kontrollstatistik für den ordentlichen Haushalt, das um den entsprechenden Betrag reduziert wird. Die verbleibende Hälfte des Fehlbetrags wird durch zukünftige strukturelle Finanzierungsüberschüsse abgebaut (analog Variante 1).

Die Amortisationsfrist zur Bereinigung des Fehlbetrags soll in beiden Varianten auf drei Legislaturperioden erstreckt werden (bis 2035). Im Fall von besonderen Entwicklungen soll die Frist um eine weitere Legislaturperiode erstreckt werden können.

8 9

Ziele des Bundesrates 2022, Ziel 1.1, S. 12, abrufbar unter www.bk.admin.ch > Dokumentation > Führungsunterstützung > Jahresziele.

Coronavirus: Bundesrat eröffnet Vernehmlassung zum Schuldenabbau, Medienmitteilung vom 25. August 2021 des Bundesrates, abrufbar unter www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > Medienmitteilungen des Bundesrats.

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2.2

Zusammenfassung der Stellungnahmen

Insgesamt gingen im Rahmen der Vernehmlassung 48 Stellungnahmen von Kantonen, Parteien, Verbänden und weiteren interessierten Kreisen ein.10 Sämtliche Vernehmlassungsteilnehmer anerkennen den Bedarf, das FHG zum Abbau der coronabedingten Verschuldung anzupassen. Dementsprechend wird die Zielsetzung der Vorlage ­ den Fehlbetrag des Amortisationskontos innert nützlicher Frist zu bereinigen ­ befürwortet. Gleichzeitig wird die Absicht unterstützt, dass der Abbau der coronabedingten Verschuldung ohne Steuererhöhungen erfolgen und Entlastungsprogramme vermieden werden sollen.

Die beiden vorgeschlagenen Varianten werden unterschiedlich beurteilt. Für eine vollständige Bereinigung des Fehlbetrags über künftige strukturelle Überschüsse (Variante 1) sprechen sich namentlich die SVP, der Arbeitgeberverband und Economiesuisse aus. Zudem unterstützen acht Kantone diese Variante. Hauptargument ist der gesetzlich verbindlich geregelte und vollständige Abbau der Corona-Schulden und damit die Wiederherstellung der sehr guten finanzpolitischen Ausgangslage von vor der Krise. Für zukünftige Krisen verbleibe damit ein grösserer finanzieller Handlungsspielraum.

Eine teilweise Verrechnung der coronabedingten Verschuldung mit dem bisherigen Schuldenabbau (Variante 2) wird unterstützt von der FDP, der Mitte, 18 Kantonen und mehreren Verbänden (Gewerbeverband, Bauernverband, Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete, Städteverband). Die Befürworter sehen den entscheidenden Vorteil dieser Variante darin, dass die coronabedingte Verschuldung rasch abgebaut und die heute geltende Amortisationsfrist von sechs Jahren eingehalten werden kann. Der Handlungsspielraum im ordentlichen Haushalt würde in nützlicher Frist wieder erhöht.

Kreise des linken politischen Spektrums (SP, Grüne, Schweizerischer Gewerkschaftsbund [SGB]) und die GLP sprechen sich dafür aus, die gesamte coronabedingte Verschuldung mit der vergangenen Schuldenreduktion zu verrechnen. Travail Suisse bevorzugt eine Aussetzung der Ergänzungsregel. Die Verwendung der zusätzlichen Gewinnausschüttungen der SNB für den Schuldenabbau wird abgelehnt. Stattdessen sollen die entsprechenden Mittel der AHV zugewiesen (SP, SGB), in einen neuen Klima- und Artenschutzfonds eingelegt (GLP) oder für Klimaschutz und Biodiversität eingesetzt werden (Grüne).

2.3

Würdigung der Vernehmlassungsergebnisse

Die Vernehmlassungsvorlage des Bundesrates geniesst in ihren Grundzügen breite Unterstützung. Die Zielsetzung von Bundesrat und Parlament, den Schuldenabbau ohne Steuererhöhungen und Entlastungsprogramme umzusetzen, wird von sämtlichen

10

Die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens sind abrufbar unter www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2021 > EFD.

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Parteien und einer Vielzahl von Kantonen und Verbänden als richtig und zielführend erachtet.

Bezüglich der konkreten Umsetzung zeigt sich ein geteiltes Bild. Die Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer sprach sich dafür aus, zumindest einen Teil des Fehlbetrags des Amortisationskontos mit dem Schuldenabbau der vergangenen Jahre zu verrechnen und den Rest über zukünftige Finanzierungsüberschüsse abzubauen. Aufseiten der Kantone begrüssen gut zwei Drittel diese Abbauvariante. Auch bei den Parteien und Verbänden stösst dieser Mechanismus auf Zustimmung.

Der Bundesrat will möglichst wenig in die bestehende Systematik der Schuldenbremse eingreifen. Die erwartete Höhe des Fehlbetrags erlaubt es, diesen nur durch zukünftige Finanzierungsüberschüsse auszugleichen. Damit kann gewährleistet werden, dass der Bundeshaushalt auch künftig solide bleibt und die Standortattraktivität der Schweiz in diesem Punkt erhalten bleibt. In der aktuellen Krise hat sich zudem gezeigt, dass der Bund dank der guten finanzpolitischen Ausgangslage die finanziellen Folgen der Covid-19-Epidemie rasch und wirksam abfedern konnte. Diese gute Ausgangslage soll mit dem vorliegenden Vorschlag wiederhergestellt werden, um auch für künftige Krisen gewappnet zu sein. Aus diesem Grund will der Bundesrat den vergangenen Schuldenabbau nicht zur Disposition stellen.

3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Die Covid-19-Epidemie hat praktisch alle Länder der Welt getroffen, wenn auch nicht in gleichem Ausmass. Die Schweiz weist im internationalen Vergleich tiefe Staatsschulden auf, was nicht zuletzt auf eine regelgebundene Finanzpolitik und die gute wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre zurückzuführen ist. Die Schuldenquote der Schweiz wird für das Jahr 2022 auf rund 26,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) geschätzt, während sie im Euroraum im Durchschnitt bei 99 Prozent des BIP liegen dürfte.

Die Staatsschulden der Schweiz setzen sich zusammen aus den Schulden von Bund Kantonen, Gemeinden und Sozialversicherungen. Die Bruttoschulden des Bundes beliefen sich im Einführungsjahr 2003 der Schuldenbremse auf 124 Milliarden Franken und konnten bis Ende 2019 auf knapp 97 Milliarden Franken abgebaut werden. Bis Ende 2021 ist die Verschuldung auf 109 Milliarden Franken angestiegen. Zusammen mit den Schulden der Kantone, der Gemeinden und der Sozialversicherungen beläuft sich die Verschuldung der Schweiz per Ende 2021 voraussichtlich auf knapp 200 Milliarden.

Seit Beginn der Epidemie stiegen die Schuldenquoten in den Nachbarländern sowie im gesamten Euroraum deutlich an. In der Schweiz (Bund, Kantone, Gemeinden und Sozialversicherungen) ist im Vergleich dazu nur ein leichter Anstieg zu verzeichnen, der zudem von einem deutlich tieferen Niveau aus startete.

Die Staaten der Eurozone unterliegen dem Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP).

Dieser beschränkt das Defizit der Mitgliedstaaten auf 3 Prozent und die Verschuldung auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (Art. 126 Abs. 2 und Art. 1 des Protokolls 12 / 24

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(Nr. 12) über das Verfahren bei einem übermässigen Defizit des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union11). Der SWP umfasst sämtliche öffentliche Gemeinwesen ­ dies im Gegensatz zur Schuldenbremse in der Schweiz, die sich nur auf die Bundesebene bezieht. In Artikel 5 der Verordnung (EG) Nr. 1466/9712 ist eine allgemeine Ausweichklausel vorgesehen. Diese erlaubt es, bei einem aussergewöhnlichen Ereignis, das sich der Kontrolle der Mitgliedstaaten entzieht und erhebliche Auswirkungen auf die Lage der öffentlichen Finanzen hat, oder bei einem schweren Konjunkturabschwung vorübergehend von den Anforderungen abzuweichen. Voraussetzung dafür ist, dass dies die mittelfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen nicht gefährdet.

Die EU-Kommission hat im März 2020 festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel erfüllt sind.13 Dies erfolgte das erste Mal seit ihrer Einführung im Jahr 2011. Der Rat beziehungsweise die Eurogruppe hat die Aktivierung genehmigt.14 In der Folge wurden die Defizit- und Schuldenregeln des SWP bis ins Haushaltsjahr 2022 ausgesetzt, um den Mitgliedstaaten der Eurozone einen Spielraum für Massnahmen einzuräumen.15 Der letzte Entscheid vom März 2021 basierte auf der Gesamtbewertung der Wirtschaftslage im Vergleich zum Vorkrisenniveau. Die Kommission hat angekündigt, dass ab dem Jahr 2023 die Defizit- und Schuldenregeln wieder gelten sollen. Die EU-Kommission hat am 19. Oktober 2021 die Überprüfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts wiederaufgenommen.

Leitlinien für mögliche Änderungen sollen rechtzeitig für 2023 vorgelegt werden.16 Erstmals in ihrer Geschichte hat die EU im Jahr 2020 auch beschlossen, gemeinsame Schulden aufzunehmen, um die Folgen der Covid-19-Epidemie zu bewältigen (bis zu 750 Mrd. Euro).17 Die Rückzahlung soll sukzessive bis Ende 2058 erfolgen.

Unter anderem zur Rückzahlung dieser Schulden hat die EU-Kommission am 21. Dezember 2021 drei neue Einnahmenquellen vorgeschlagen: Einnahmen aus dem EU-Emissionshandelssystem EHS, dem CO2-Grenzausgleichssystem und einen Anteil der Residualgewinne multilateraler Unternehmen, die im Rahmen der Reform 11 12

13

14

15

16

17

ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 47.

Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitik; ABl. L 209 vom 2.8.1997, S. 1.

Mitteilung der Kommission an den Rat vom 20. März 2020 über die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakt (COM/2020/123), abrufbar unter www.eur-lex.europa.eu.

Erklärung der EU-Finanzministerinnen und minister vom 23. März 2020 zum Stabilitätsund Wachstumspakt angesichts der Covid19-Krise, abrufbar unter www.consilium.europa.eu > Nachrichten und Medien > Pressemitteilungen > 23. März 2020.

Europäisches Semester ­ Frühjahrspaket: Den Weg für eine kräftige und nachhaltige Erholung ebnen, Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 2. Juni 2021, abrufbar unter www.ec.europa.eu/commission/presscorner, und Rat verabschiedet Empfehlungen zu aktualisierten Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen, Pressemitteilung des Rates, abrufbar unter www.consilium.europa.eu > Nachrichten und Medien > Pressemitteilungen > 18. Juni 2021.

Kommission nimmt Überprüfung des EU-Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung wieder auf, Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 19. Oktober 2021, abrufbar unter www.ec.europa.eu/commission/presscorner.

Schlussfolgerungen der ausserordentlichen Tagung des Europäischen Rates vom 17.­21. Juli 2020, abrufbar unter www.consilium.europa.eu > Nachrichten und Medien > Pressemitteilungen > 21. Juli 2020.

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der internationalen Unternehmensbesteuerung den EU-Mitgliedstaaten neu zugewiesen werden. Bis Ende 2023 wird die EU-Kommission einen Vorschlag für einen zweiten Korb neuer Einnahmen vorlegen.18

4

Grundzüge der Vorlage

4.1

Die beantragte Neuregelung

4.1.1

Rahmenbedingungen

Der Abbau der coronabedingten Schulden erfolgt im Rahmen der verfassungsrechtlichen Bestimmungen zur Schuldenbremse (Art. 126 BV). Demnach müssen die Ausgaben und Einnahmen auf Dauer im Gleichgewicht sein (Abs. 1). Dazu wird die Höhe der zulässigen Ausgaben auf den Umfang der um Konjunktureinflüsse bereinigten Einnahmen begrenzt (Abs. 2, vgl. ebenfalls Art. 13 FHG). Über einen Konjunkturzyklus hinweg entspricht damit die Höhe der Ausgaben derjenigen der Einnahmen und es kommt zu keiner neuen Verschuldung. Die Schuldenbremse lässt jedoch in Ausnahmefällen auch höhere Ausgaben zu. Wenn ausserordentlicher Zahlungsbedarf besteht, kann der Ausgabenhöchstbetrag angemessen erhöht werden (Abs. 3).

Ausserordentlicher Zahlungsbedarf kann insbesondere im Fall von «aussergewöhnlichen und vom Bund nicht steuerbaren Entwicklungen» geltend gemacht werden (Art. 15 Abs. 1 Bst. a FHG). Dies ist bei den Massnahmen zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie der Fall. Ausserordentliche Ausgaben unterstehen nicht dem Plafond für die ordentlichen Ausgaben; die höchstzulässigen Ausgaben werden daher im Umfang dieser Ausgaben erhöht. Die Möglichkeit von ausserordentlichen Ausgaben ist ein wesentlicher Teil der Schuldenbremse und sorgt für die notwendige finanzpolitische Flexibilität in Ausnahmefällen.

Im Jahr 2010 wurde die Ergänzungsregel zur Schuldenbremse für den ausserordentlichen Haushalt eingeführt. Sie ist ebenfalls im FHG geregelt (Art. 17a­17d FHG) und legt fest, dass ausserordentliche Ausgaben, die nicht durch ausserordentliche Einnahmen gedeckt werden, in den sechs folgenden Rechnungsjahren durch budgetierte strukturelle Überschüsse im ordentlichen Haushalt abgetragen werden müssen. Damit dies in Ausnahmesituationen nicht zu restriktiv wirkt, hat das Parlament eine Ventilklausel eingebaut: In «besonderen Fällen» kann das Parlament die Amortisationsfrist über die vorgesehene Frist von sechs Jahren hinaus erstrecken. Die Bedingungen, wann besondere Fälle vorliegen, sind im FHG nicht definiert.

18

Die Kommission schlägt EU-Eigenmittel der nächsten Generation vor, Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 22. Dezember 2021, abrufbar unter www.ec.europa.eu/commission/presscorner.

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Ausgleichs- und Amortisationskonto: Kontrollstatistiken der Schuldenbremse Die Schuldenbremse muss bereits bei der Erstellung des Voranschlags eingehalten werden. Im Rechnungsabschluss wird die Einhaltung der Vorgaben kontrolliert. Positive oder negative Abweichungen werden von den beiden Kontrollstatistiken der Schuldenbremse festgehalten: Das Ausgleichskonto ist die Statistik für den ordentlichen Bundeshaushalt. Überschreiten am Ende des Jahres die Ausgaben den Ausgabenplafond, wird der Betrag dem Ausgleichskonto belastet oder im umgekehrten Fall gutgeschrieben.

Fällt das Ausgleichskonto ins Minus, muss der Fehlbetrag mit Überschüssen kompensiert werden. Falls der Fehlbetrag mehr als 6 Prozent der Ausgaben beträgt (aktuell rund 4,5 Mrd. Fr.), ist die Amortisationsfrist auf drei Jahre begrenzt. Ein positiver Stand des Ausgleichskontos erlaubt auf der anderen Seite keine Erhöhung des Ausgabenplafonds.

Ende 2021 hatte das Ausgleichskonto einen Stand von 23,5 Milliarden Franken.

Der positive Saldo zeigt, dass die Vorgaben der Schuldenbremse seit 2007 ­ das heisst nach Abschluss der Haushaltsbereinigung in den Einführungsjahren der Schuldenbremse ­ übertroffen und Schulden abgebaut wurden. Dies ist auf drei Ursachen zurückführen: ­

Handlungsspielraum im Budget (budgetierte strukturelle Überschüsse; 1,4 Mrd.): Der Ausgabenplafond wird jeweils nicht auf den letzten Franken ausgeschöpft. Der im Budget verbleibende Handlungsspielraum ist in der Regel jedoch klein (2007­2021 durchschnittlich 93 Mio.

pro Jahr).

­

Prognosefehler der Einnahmen (6,4 Mrd.): Die Einnahmen gemäss Staatsrechnung waren insgesamt höher als budgetiert, was vor allem auf die Verrechnungssteuer zurückzuführen ist. Zur Verbesserung der Schätzgenauigkeit wurde im Jahr 2012 ein neues Schätzmodell eingeführt. Mehr- und Mindereinnahmen gleichen sich seither über die Zeit in etwa aus. Seit dem Jahr 2017 wird zudem die Rückstellung für erwartete Rückforderungen der Verrechnungssteuer berücksichtigt, was die Einnahmenentwicklung glättet.

­

Systematische Minderausgaben (Budgetunterschreitungen; 15,7 Mrd.): Die Ausgaben liegen systematisch unter dem budgetierten Niveau. Mit den Nachträgen kommen zwar unterjährig neue Ausgaben hinzu (aufgestockte Voranschlagskredite), die nicht ausgeschöpften Voranschlagskredite sind jedoch umfangreicher (Kreditreste). Die Budgetunterschreitungen lagen 2007­2021 im Durchschnitt bei 1050 Millionen pro Jahr oder 1,6 Prozent der budgetierten Ausgaben.

Das Amortisationskonto ist die Kontrollstatistik für den ausserordentlichen Haushalt. Dem Amortisationskonto werden die ausserordentlichen Ausgaben belastet und die ausserordentlichen Einnahmen gutgeschrieben. Ein Fehlbetrag muss gemäss geltendem Recht mit budgetierten strukturellen Überschüssen ausgeglichen werden (gemäss Art. 17b und 17c FHG). Der Stand des Kontos zeigt somit den kumulierten Saldo des ausserordentlichen Haushalts seit Einführung der 15 / 24

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Ergänzungsregel im Jahr 2010, reduziert um allfällige Gutschriften aus budgetierten Überschüssen (gemäss Art. 17b bzw. 17c FHG). Ende 2021 wies das Amortisationskonto einen Fehlbetrag von 20,3 Milliarden Franken auf.

4.1.2

Schuldenabbau durch zukünftige Finanzierungsüberschüsse

Gemäss geltendem Recht muss ein Fehlbetrag des Amortisationskontos mit budgetierten strukturellen Finanzierungsüberschüssen ausgeglichen werden. Die beantragte Regelung sieht vor, dafür die gesamten strukturellen Finanzierungsüberschüsse gemäss Rechnungsabschluss zu verwenden. Dieser beinhaltet neben dem budgetierten strukturellen Überschuss auch die Budgetabweichungen bei den Ausgaben und Einnahmen, welche gemäss heutigem Recht dem Ausgleichskonto gutgeschrieben werden.

Die beantragte Regelung nutzt die Tatsache, dass die Ausgaben am Jahresende systematisch unter dem budgetierten Niveau liegen (Budgetunterschreitungen, siehe Ziff. 4.1.1). Das realisierte Finanzierungsergebnis ist deshalb in der Tendenz höher als budgetiert. Auf der Einnahmenseite wird dagegen davon ausgegangen, dass sich die Schätzfehler mittelfristig ausgleichen und somit nicht zum Schuldenabbau beitragen. In den letzten zehn Jahren (2010­2021) beliefen sich die Budgetunterschreitungen bei den Ausgaben im Durchschnitt jährlich auf rund 1 Milliarde Franken (1,6 % der budgetierten Ausgaben). Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Budgetunterschreitungen auch in Zukunft auf durchschnittlich rund 1 Milliarde Franken pro Jahr belaufen.

Die Frist für den Ausgleich des Fehlbetrags des Amortisationskontos soll auf drei Legislaturperioden verlängert werden (2023­2027, 2027­2031, 2031­2035). Um genügend zeitliche Flexibilität zu haben, soll der Bundesrat zusätzlich die Möglichkeit erhalten, die Amortisationsfrist im Fall von besonderen Entwicklungen um eine weitere Legislaturperiode zu erstrecken.

Der per Ende 2022 erwartete Fehlbetrag des Amortisationskontos von 25 Milliarden Franken kann jährlich um 2,3 Milliarden Franken reduziert und somit in rund 11­ 13 Jahren ausgeglichen werden (2023­2033 bzw. 2035). Die Voraussetzung dafür ist, dass die SNB regelmässig jährlich eine Zusatzausschüttung von 1,3 Milliarden Franken tätigen kann und wie in der Vergangenheit Budgetunterschreitungen von rund 1 Milliarde Franken pro Jahr anfallen.

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Tabelle 2 Fehlbetrag und Amortisationsdauer Geschätzter Fehlbetrag

~25 Mrd.

~30 Mrd.

4.1.3

Jährliche Amortisation SNB

~1,3 Mrd.

~1,3 Mrd.

Amortisations-dauer Überschüsse

~1 Mrd.

~1 Mrd.

~11 Jahre ~13 Jahre

Begründung und Bewertung der beantragten Regelung

Mit der beantragten Regelung wird ein expliziter und damit direkt sichtbarer Abbau der coronabedingten Schulden angestrebt. Zudem wird bewusst wenig in die Systematik der bewährten Schuldenbremse eingegriffen. Zum Abbau des Fehlbetrags des Amortisationskontos werden die realisierten strukturellen Finanzierungsüberschüsse in vollem Umfang dem Amortisationskonto gutgeschrieben. Sobald der Fehlbetrag abgetragen worden ist, greifen wieder die heutigen Mechanismen der Schuldenbremse.

Diese Übergangsregelung belastet den ordentlichen Haushalt nicht. Im Rechnungsabschluss fallen systembedingt Minderausgaben an, die ausreichend gross sind, um zusammen mit der SNB-Zusatzausschüttung die erforderliche Amortisation zu leisten.

Die wirtschaftliche Erholung wird somit nicht durch Entlastungsprogramme oder Steuererhöhungen gefährdet.

Nach der Umsetzung dürften die Schulden weiter abnehmen, sofern die Ausgangslage bezüglich SNB-Zusatzausschüttungen und Budgetunterschreitungen bestehen bleibt.

Die Schuldenbremse hat sich auch dank ihrer asymmetrischen Ausgestaltung bewährt: Während Defizite im Voranschlag bereinigt werden müssen, fliessen Überschüsse in den Schuldenabbau. Insbesondere in den finanzpolitisch guten Jahren konnten die Schulden dadurch namhaft reduziert werden, ohne dass die ordentliche Aufgabenerfüllung oder die Investitionen in Infrastruktur und Bildung vernachlässigt wurden.

Damit konnte auch die finanzpolitische Verlässlichkeit und Widerstandsfähigkeit gestärkt werden, was sich in der Corona-Krise als äusserst nützlich erwiesen hat.

Dank der guten finanzpolitischen Ausgangslage konnten die finanziellen Folgen der Covid-19-Epidemie rasch und wirksam abgefedert werden. Auch für die Standortattraktivität der Schweiz sind die Schuldenbremse und die soliden öffentlichen Finanzen zentral, denn sie sind für viele Unternehmen ein wesentlicher Faktor, weshalb sie die Schweiz als Standort wählen.

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4.2

Umsetzungsfragen

Der Bundesrat strebt an, die Änderung des FHG am 1. März 2023 in Kraft zu setzten.

Eine Inkraftsetzung auf diesen Zeitpunkt ist möglich, wenn die parlamentarische Beratung des Geschäfts im Sommer 2022 aufgenommen und im Herbst 2022 abgeschlossen werden kann und sofern kein Referendum ergriffen wird. Die Änderungen des FHG könnten dann erstmalig auf die Staatsrechnung 2022 angewendet werden.

Eine Anpassung der Finanzhaushaltverordnung vom 5. April 200619 ist nicht nötig.

Der Abbau der coronabedingten Verschuldung widerspiegelt sich im rückläufigen Fehlbetrag des Amortisationskontos. Der Stand des Amortisationskontos wird jährlich im Rahmen der Staatsrechnung offengelegt.

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Der vorgeschlagene Abbau der coronabedingten Verschuldung wird durch eine Revision des FHG umgesetzt. Es wird eine befristete Bestimmung aufgenommen, welche die Abtragung des Fehlbetrags des Amortisationskontos regelt. Nach Ablauf der Ausgleichsfrist wird die Bestimmung aufgehoben.

Zudem werden Änderungen in den Artikeln 3, 8a und 17c beantragt, welche die bisherige Praxis formell nachführen und keinen Bezug zum Abbau der coronabedingten Verschuldung aufweisen.

Art. 3 Abs. 6 Bst. b Bei der Änderung handelt es sich um eine formelle Korrektur. Artikel 3 enthält Definitionen von Begriffen des FHG. Mit der letzten FHG-Änderung vom 19. März 202120, welche am 1. Januar 2022 in Kraft getreten ist, wurde der Artikel neu formuliert. Absatz 6 enthält die Legaldefinition der Einnahmen. Hierzu zählen neben Erträgen auch Investitionseinnahmen (Bst. b). Die Definition soll um rückbezahlte Darlehen erweitert werden. Dies entspricht der bisherigen Praxis: Vom Bund gewährte Darlehen gelten als Investitionsausgaben und analog deren Rückzahlung als Investitionseinnahmen. Dieser Sachverhalt wurde mit der FHG-Änderung vom 19. März 2021 materiell bereits in Artikel 8a aufgenommen. Die Erweiterung der Begriffsdefinition in Artikel 3 stellt den notwendigen formellen Zusammenhang zwischen den beiden Bestimmungen her.

Art. 8a Abs. 3 Die Änderung betrifft nur die französische Version und ist ebenfalls eine Restanz der FHG-Revision vom 19. März 2021. In der neuen Fassung wird deutlich, dass sowohl die Darlehen als auch die Investitionsbeiträge durch den Bund gewährt wurden. Dies stimmt mit der bereits geltenden deutschen und italienischen Fassung überein.

19 20

SR 611.01 AS 2021 662

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Art. 17c Abs.1bis Artikel 17c sieht die Möglichkeit von vorsorglichen Einsparungen vor. Die Bundesversammlung kann im Fall von erwarteten Fehlbeträgen des Amortisationskontos den Höchstbetrag der Gesamtausgaben gemäss Schuldenbremse kürzen. Solche vorsorglichen Einsparungen sind allerdings nur zulässig, wenn das Ausgleichskonto mindestens ausgeglichen ist (vgl. Abs. 2).

Nach Absatz 1 kürzt die Bundesversammlung die Höchstbeträge bei der Verabschiedung des Voranschlags. In den Jahren 2010, 2019 und 2020 wurde die Belastung des Amortisationskontos erst nach Verabschiedung des Voranschlags absehbar. Aus diesem Grund hat das Parlament diese Einsparungen erst im Rahmen der Genehmigung der Staatsrechnung und somit nachträglich vorgenommen.21 Die Bestimmung in Artikel 17c soll an die bestehende Praxis angepasst werden.

Art. 17e Der neue Artikel 17e regelt den angestrebten Ausgleich des Fehlbetrags des Amortisationskontos, der insbesondere infolge der Covid-19-Epidemie entstanden ist. Es werden nicht nur die ausserordentlichen Ausgaben für Massnahmen zur Abfederung der Auswirkungen von Covid-19 berücksichtigt, sondern auch allfällige weitere ausserordentliche Ausgaben im Ausgleichszeitraum. Dies entspricht der bei der Schaffung der Ergänzungsregel gewählten Lösung: Von Einzel-Amortisationen pro ausserordentliche Belastung wird weiterhin abgesehen, da solche unnötig komplex und schwierig zu kommunizieren sind.22 Nach Absatz 1 werden in der Staatsrechnung festgestellte strukturelle Finanzierungsüberschüsse gemäss Schuldenbremse neu dem Amortisationskonto statt dem Ausgleichskonto gutgeschrieben. Diese Finanzierungsüberschüsse umfassen einerseits die budgetierten Finanzierungsüberschüsse, da die Schuldenbremse bereits im Voranschlag eingehalten werden muss, und andererseits die Budgetabweichungen bei den Ausgaben und Einnahmen.

Die Erfahrung zeigt, dass die Ausgaben gemäss Rechnungsabschluss im Durchschnitt rund 1 Milliarde Franken unter dem budgetierten Niveau liegen. Diese Budgetunterschreitungen bei den Ausgaben führen deshalb in der Tendenz zu Überschüssen, die dem Amortisationskonto gutgeschrieben werden sollen. Auf der Einnahmenseite wird dagegen davon ausgegangen, dass sich die Schätzfehler mittelfristig ausgleichen und somit nicht zum Schuldenabbau beitragen (siehe Ziff. 4.1.1). Allfällige
Finanzierungsdefizite werden weiterhin dem Ausgleichskonto belastet (vgl. hierzu die Artikel 17c Absatz 2 und 17d FHG).

Absatz 2 erstreckt die Frist für den Ausgleich des Fehlbetrags des Amortisationskontos auf die nächsten drei Legislaturperioden, das heisst bis zum Jahr 2035 (siehe Ziff. 4.1). Diese Fristerstreckung trägt der aussergewöhnlichen Höhe der coronabedingten Verschuldung angemessen Rechnung. Treten in dieser Zeitspanne besondere, 21 22

Bundesbeschluss I über die Eidgenössische Staatsrechnung für das Jahr 2010 (BBl 2011 6247) und für die Jahre 2019 und 2020 (noch nicht publiziert).

Botschaft vom 19. September 2008 über die Ergänzungsregel zur Schuldenbremse (FHG-Revision), BBl 2008 8491 S. 8510 f.

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nicht steuerbare Entwicklungen auf und ist ein Ausgleich innerhalb der erstreckten Frist nicht möglich, kann die Frist erstreckt werden (Absatz 3). Der Bundesrat beantragt der Bundesversammlung frühzeitig eine Verlängerung, das heisst, wenn möglich vor Erstellung der Botschaft zum Voranschlag. Dies kann auch im Rahmen einer Botschaft zu den Nachträgen erfolgen. Von besonderen und vom Bund nicht steuerbaren Entwicklungen kann beispielsweise ausgegangen werden im Fall einer schweren Rezession oder anderen Entwicklungen, die sich negativ und gravierend auf die Wirtschaftslage auswirken und damit verhindern, dass der Ausgleich des Fehlbetrags des Amortisationskontos bis 2035 vorgenommen werden kann. Dies bedingt nicht zwingend, dass weitere ausserordentliche Ausgaben anfallen. Ergeben sich demgegenüber in den Jahren 2029­2035 weitere ausserordentliche Ausgaben, die nach Artikel 17b Absatz 2 zu einer Erhöhung des Fehlbetrags des Amortisationskontos um mehr als 0,5 Prozent des Höchstbetrages führen, beginnt die Frist von 6 Jahren bereits aufgrund von Artikel 17b Absatz 2 neu zu laufen.

Art. 66d Die Übergangsbestimmung legt die erstmalige Anwendung der neuen Bestimmungen in Artikel 17e auf den Rechnungsabschluss 2022 fest. Dies ist in Einklang mit dem Bestreben des Bundesrates, die Änderung des FHG am 1. März 2023 in Kraft zu setzten (siehe Ziff. 4.2). Im Falle von Verzögerungen in der parlamentarischen Beratung oder eines allfälligen Referendums könnte die Gesetzesänderung erst später in Kraft gesetzt werden. Da es sich beim Amortisations- und Ausgleichskonto um Kontrollstatistiken handelt (siehe Ziff. 4.1.1), kann die Anpassung auch rückwirkend für das Rechnungsjahr 2022 umgesetzt werden.

Ziff. II Die vorliegende Gesetzesänderung untersteht dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe a BV (Absatz 1). Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten (Absatz 2).

Artikel 17e ist gemäss Absatz 3 befristet und soll bis am 31. Juli 2040 gelten, das heisst bis zum Abschluss des Rechnungsjahrs 2039. Die Frist zum Abbau des Fehlbetrags wird in Artikel 17e Absätze 2 und 3 entsprechend bis maximal ins Rechnungsjahr 2039 erstreckt. Falls der Fehlbetrag des Amortisationskontos jedoch bereits früher vollständig ausgeglichen ist, das heisst der Saldo des Amortisationskontos erstmals Null beträgt, wird die Bestimmung durch den Bundesrat ausser Kraft gesetzt.

6

Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund

6.1.1

Finanzielle Auswirkungen

Mit der Umsetzung der Vorlage werden die zukünftigen Finanzierungsüberschüsse für den Abbau der coronabedingten Verschuldung eingesetzt. Zu diesem Zweck wer-

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den die gesamten strukturellen Finanzierungsüberschüsse gemäss Rechnungsabschluss dem Amortisationskonto statt dem Ausgleichskonto gutgeschrieben. Damit kann der Fehlbetrag des Amortisationskontos um durchschnittlich rund 1 Milliarde Franken pro Jahr reduziert werden, weil die mit dem Budget bewilligten Ausgaben erfahrungsgemäss nicht vollständig ausgeschöpft werden (Budgetunterschreitungen).

Der Bundeshaushalt wird dadurch nicht belastet.

Der Ausgleich des Fehlbetrags des Amortisationskontos führt zu einem Abbau der coronabedingten Verschuldung und erhöht damit die Widerstandsfähigkeit des Bundeshaushalts für zukünftige Wirtschafts- und Finanzkrisen. Auch nach erfolgter Amortisation werden die Budgetunterschreitungen bei den Ausgaben zu stetig sinkenden Schulden führen.

Durch den Schuldenabbau fallen die Finanzierungskosten des Bundes in Zukunft tiefer aus. Dadurch wird der Bundeshaushalt insbesondere im Fall von steigenden Zinssätzen entlastet.

6.1.2

Andere Auswirkungen

Die Vorlage hat keine personellen Auswirkungen. Es sind auch keine Auswirkungen auf andere Bereiche zu erwarten.

6.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Die Vorlage hat keine Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete.

6.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Die vorgeschlagene Änderung des Finanzhaushaltgesetzes hat keine unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen. Die Vorlage hat aber indirekte Effekte auf die Gesamtwirtschaft: ­

Standortattraktivität: Gesunde Staatsfinanzen erhöhen die internationale Standortattraktivität, weil unter anderem keine Steuererhöhungen zu erwarten sind.

­

Wachstum: Die Vorlage vermeidet Steuererhöhungen und Sparmassnahmen.

Die wirtschaftliche Erholung nach der Covid-19-Krise wird dadurch nicht behindert.

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6.4

Andere Auswirkungen

Die Vorlage hat keine Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Umwelt. Es sind auch keine Auswirkungen auf andere Bereiche zu erwarten.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage führt zu punktuellen Anpassungen des FHG und stützt sich entsprechend auf die Artikel 126 und 173 Absatz 2 BV. Artikel 126 BV regelt die Schuldenbremse und hat teilweise kompetenzbegründenden Charakter. Artikel 173 Absatz 2 BV dient als Verfassungsgrundlage, wenn die Organisation und Verfahren des Bundes geregelt werden (inhärente Zuständigkeit des Bundes).

Die Schuldenbremse erfordert auf Dauer ein Gleichgewicht von Einnahmen und Ausgaben; dabei ist die Konjunkturlage zu berücksichtigen (Art. 126 Abs. 1 und 2 BV).

Das Anliegen einer konjunkturgerechten Ausgestaltung der Finanzpolitik enthält auch der Konjunkturartikel (Art. 100 Abs. 4 BV). Die Schuldenbremse erlaubt im Fall von «schwerwiegenden und unvorhergesehenen Ereignissen, welche die Wirtschaftsentwicklung massgeblich beeinflussen», die nötige Flexibilität.23 Die Ausnahmeregel in Artikel 126 Absatz 3 BV erlaubt und gebietet eine gesonderte Behandlung von ausserordentlichem Zahlungsbedarf im Fall von unter anderem schweren Rezessionen, Naturkatastrophen und kriegerischen Ereignissen.24 Ausserordentlicher Zahlungsbedarf untersteht insbesondere einer weniger strengen Regelung als ordentliche Ausgaben.

Die Ausnahmeregel von Artikel 126 Absatz 3 steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu Absatz 1. Der Gesetzgeber hat dieses Spannungsverhältnis mit der Einführung der Ergänzungsregel im FHG (Art. 17a­18 FHG) geklärt und auch einen Abbau des ausserordentlichen Fehlbetrags vorgesehen. Der bereits in Artikel 126 Absatz 4 BV angedeutete Sanktionsmechanismus zum Ausgleich von Fehlbeträgen ist jedoch für den ausserordentlichen Haushalt weniger streng als für den ordentlichen Haushalt.

Einerseits ist die vorgegebene Frist für den Ausgleich des ausserordentlichen Haushalts länger und kann vom Parlament zusätzlich erstreckt werden, andererseits besteht die Pflicht zur Sanierung nur, wenn sich der ordentliche Haushalt im Gleichgewicht befindet (Nachrangigkeit).

Der vorliegende Entwurf steht in Einklang mit den verfassungsrechtlichen Bestimmungen. Der Gesetzgeber hat bei der Einführung der Ergänzungsregel nicht mit so hohen ausserordentlichen Belastungen gerechnet, wie sie zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie nötig waren. Dem wird mit der befristeten Anpassung des FHG Rechnung getragen, indem einerseits die Amortisationsfrist auf drei
bis maximal vier Legislaturperioden erstreckt wird. Andererseits werden höhere Amortisationsbeiträge möglich, weil dazu die realisierten ordentlichen Finanzierungsüberschüsse gemäss Schuldenbremse verwendet werden können und nicht nur der budgetierte Teil.

23 24

Botschaft vom 5. Juli 2000 zur Schuldenbremse, BBl 2000 4653, S. 4675.

Botschaft vom 5. Juli 2000 zur Schuldenbremse, BBl 2000 4653, S. 4694.

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Die befristete Gesetzesänderung gewährleistet weiterhin eine differenzierte Behandlung der ausserordentlichen Ausgaben im Sinne von Artikel 126 Absatz 3 BV, gibt die nötige Flexibilität für einen konjunkturgerechten Abbau der Verschuldung nach den Artikeln 100 und 126 BV und sichert gleichzeitig das langfristige Gleichgewicht des Bundeshaushalts im Sinne von Artikel 126 Absatz 1 BV.

Verrechnung zwischen Ausgleichs- und Amortisationskonto Die Finanzkommissionen der eidgenössischen Räte haben im Hinblick auf die vorliegende Botschaft Ausführungen zur Frage gewünscht, ob eine Verrechnung zwischen dem Ausgleichs- und dem Amortisationskonto aus verfassungsrechtlicher Sicht zulässig ist.

Ob der Bund seine Einnahmen und Ausgaben auf Dauer im Gleichgewicht hält, wie es Artikel 126 Absatz 1 BV zwingend vorsieht, lässt sich mit der Entwicklung der Kontrollstatistiken für den ordentlichen und ausserordentlichen Haushalt ­ dem Ausgleichskonto (Art. 16 FHG) und dem Amortisationskonto (Art. 17a FHG) ­ überprüfen.25 Die einmalige, durch äussere Umstände zu begründende Verrechnung des Fehlbetrags des Amortisationskontos mit vergangenen strukturellen Überschüssen, die auf dem Ausgleichskonto festgehalten wurden, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht zulässig, solange der Saldo des Ausgleichskontos dadurch nicht negativ wird.

Die Kontrollstatistiken werden separat geführt, weil die Verfassung eine differenzierte Behandlung der ausserordentlichen Ausgaben verlangt. Die Saldi des Ausgleichs- und Amortisationskontos sind aber nicht vollständig voneinander losgelöste Grössen. So sind zur Amortisation von Fehlbeträgen im ausserordentlichen Haushalt auch Beiträge aus dem ordentlichen Haushalt vorgesehen (Art. 17b Abs. 1 FHG). Mit einer Umbuchung vom Ausgleichskonto zum Amortisationskonto wird zwar die Trennung von ordentlichen und ausserordentlichen Ausgaben durchbrochen, die Privilegierung der ausserordentlichen Ausgaben bleibt aber erhalten.

Eine einmalige Verrechnung könnte mit einer Übergangsbestimmung im FHG umgesetzt werden und würde somit keinen Systemwechsel bei der Umsetzung der Verfassungsbestimmungen zur Schuldenbremse (Art. 126 BV) auslösen.

Die durch Covid-19 ausgelöste Krise hat gezeigt, dass der vorhandene Puffer auf dem Ausgleichskonto (bzw. der vergangene Schuldenabbau) die Bundesfinanzen krisenresistent
macht. Aus finanzpolitischer Sicht sollte deshalb auf dem Ausgleichskonto ein substantieller Puffer erhalten bleiben. Der Bundesrat hatte deshalb im Rahmen der Vernehmlassung mit der nachträglich verworfenen Variante 2 nur eine hälftige Verrechnung der Corona-Schulden zur Diskussion gestellt.

25

Vgl. Staatsrechnung 2020, Kapitel Schuldenbremse, S. 24­26, abrufbar unter www.efv.admin.ch > Finanzberichte > Staatsrechnung > 2020 > Band 1 Bericht zur Staatsrechnung 2020.

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7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Finanzpolitik des Bundes ist durch nationales Recht bestimmt und wird im vorliegenden Fall nicht durch internationales Recht begrenzt.

7.3

Erlassform

Die Vorlage umfasst grundlegende Bestimmungen rechtsetzender Natur über die Organisation und das Verfahren der Bundesbehörden (Art. 164 Abs. 1 Bst. g BV).

Solche Bestimmungen sind in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen, in casu des Finanzhaushaltgesetzes. Ausserdem sind nach Artikel 126 Absatz 5 BV die Einzelheiten der Schuldenbremse auf Gesetzesstufe zu regeln.

Die Bestimmung zum Ausgleich des Fehlbetrags des Amortisationskontos (Art. 17e FHG) ist ausgerichtet auf die Verschuldung infolge der Covid-19-Epidemie und deshalb befristet. Falls der Fehlbetrag des Amortisationskontos bereits vor Ablauf der Frist ausgeglichen ist, wird die Bestimmung durch den Bundesrat ausser Kraft gesetzt.

7.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Mit der Vorlage werden weder Subventionsbestimmungen noch Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.

7.5

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die vorliegende Teilrevision des FHG enthält keine Ermächtigung zum Erlass von gesetzesvertretendem Verordnungsrecht.

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