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Bericht des Bundesrates über die Aktivitäten der schweizerischen Migrationsaussenpolitik 2021 vom 6. April 2022

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen den Bericht über die Aktivitäten der schweizerischen Migrationsaussenpolitik 2021 und bitten Sie, davon Kenntnis zu nehmen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

6. April 2022

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ignazio Cassis Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Bericht 1

Zusammenfassung der Schwerpunkte im Jahr 2021

Die Schweizer Migrationsaussenpolitik im Jahr 2021 war wie schon im Vorjahr von der Covid-19-Pandemie geprägt. Die bilaterale Zusammenarbeit konnte trotz Einschränkungen der globalen Mobilität punktuell ausgebaut werden. So unterzeichneten die Schweiz und Gambia ein Abkommen zu einer verstärkten Migrationszusammenarbeit. Im Vergleich zum Vorjahr fanden im 2021 trotz anhaltender pandemiebedingter Einschränkungen rund 20 Prozent mehr Rückführungen von Personen aus dem Asyl- und Ausländerbereich statt. Das Schweizer Resettlement-Programm konnte nach den operationellen Schwierigkeiten im ersten Pandemiejahr durch innovative Ansätze beim Auswahlverfahren mittels Video-Interviews wieder zügiger umgesetzt werden. Resettlement-Missionen fanden im Libanon, in Ägypten und in der Türkei statt. Im Rahmen der Türkeimission wurden auch afghanische Flüchtlinge, darunter mehrheitlich Frauen und Kinder, für eine Aufnahme in die Schweiz ausgewählt.

Die Entwicklungen in Afghanistan haben die Schweizer Migrationsaussenpolitik in besonderem Masse beschäftigt. Die Schweiz unterstützte dabei die koordinierten Bestrebungen der Europäischen Union (EU) und der Vereinten Nationen. Im Vordergrund stand neben der Evakuation und der Aufnahme von rund 400 Personen mittels humanitärem Visum der substanzielle Ausbau des humanitären Engagements. Auch wenn die Entwicklungen in Afghanistan bisher nur beschränkt zu neuen Migrationsbewegungen in umliegende Länder oder nach Europa geführt haben, erscheint ein krisenfestes europäisches Migrationssystem angesichts möglicher oder ­ wie im Herbst 2021 an der Schengen-Aussengrenze zu Belarus eingetretener Krisen ­ noch dringlicher als ohnehin schon. Die Schweiz hat sich im Rahmen ihrer Schengen/ Dublin-Assoziierung deshalb weiter für eine europäische Asyl-und Migrationsreform eingesetzt.

In der Schweiz erfolgt die Planung, Steuerung und Umsetzung der Migrationsaussenpolitik über die interdepartementale Zusammenarbeit. Zur Weiterentwicklung dieser Zusammenarbeit haben die Departementsvorstehenden des Eidgenössischen Justizund Polizeidepartements (EJPD), des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) Anfang 2021 eine neue Zusammenarbeitsvereinbarung unterzeichnet. Das WBF ist somit erstmals
Teil dieser Vereinbarung, die im Zeichen der strategischen Verknüpfung der internationalen Zusammenarbeit (IZA) und der Migrationspolitik steht. Diese hat im Rahmen der IZA-Strategie 2021­2024 weiter an Bedeutung gewonnen. Zusätzlich zu den migrationsrelevanten Programmen und Projekten der IZA-Akteure sind 60 Millionen Franken reserviert, um flexibel auf migrationspolitische Herausforderungen und Opportunitäten ausserhalb der Schwerpunktländer der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit des EDA zu reagieren. In Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für Migration (SEM) wurden bereits Projekte in Höhe von etwa 20 Millionen Franken identifiziert und genehmigt. Weitere Projekte im Wert von etwa 12 Millionen Franken sind in Planung.

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Zur Umsetzung der migrationspolitischen Ziele verfügt das EJPD zudem über einen mehrjährigen Verpflichtungskredit für die Internationale Migrationszusammenarbeit und Rückkehr (VK IMR), welcher komplementär zur IZA des EDA und WBF eingesetzt wird. Der Bundesrat hat am 4. Juni 2021 beschlossen, dem Parlament einen neuen VK IMR zu beantragen. Dieser Kredit beläuft sich auf 74 Millionen Franken für den Zeitraum 2022­2026. Das Parlament hat den VK IMR zusammen mit dem Voranschlag 2022 am 16. Dezember 2021 genehmigt.

2

Migrationskontext im Jahr 2021

Die Entwicklungen im Migrations- und Asylbereich wurden in den ersten Monaten des Jahres 2021 noch deutlich von den Massnahmen zur Eindämmung der Covid-19Pandemie geprägt. Danach trat dieser Effekt immer weiter in den Hintergrund. Die Zahl der im Dublin-Raum gestellten Asylgesuche erreichte im Verlauf des Sommers das Vor-Pandemie-Niveau. Danach prägten die Weiterwanderung aus Griechenland und die Anlandungen in Süditalien die Entwicklung der Asylgesuche in Europa. Ein weiterer Faktor für die Entwicklung der Gesuche war die Öffnung der Belarus-Route.

Die Verfahrensdauer, Leistungen für Asylsuchende sowie für Personen deren Asylgesuche abgelehnt wurde, zwangsweise Rückkehr, die (vermeintlichen) wirtschaftlichen Möglichkeiten im Zielland und die Diaspora sind die wichtigsten Triebfedern für binneneuropäische Weiterwanderungen. Weiterhin einen erheblichen Anteil an der Asylmigration haben Personen aus visumsbefreiten Staaten.

Die Türkei kontrolliert die Migration in Richtung Griechenland weiterhin. Die EU-Türkei-Erklärung wurde bis 2024 verlängert. Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat 2021 zu keiner grossen Migrationsbewegung in Richtung Europa geführt. Jedoch zog sie eine verstärkte Weiterwanderung von Afghaninnen und Afghanen nach sich, die sich in Griechenland und teilweise auch in der Türkei aufhielten.

Die Anlandungen in Süditalien haben sich 2021 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Der Umfang der Anlandungen in Südspanien und auf den Kanaren verharrte auf dem Niveau des Jahres 2020.

Im Dublin-Raum wurden rund 650 000 Asylgesuche gestellt, dies entspricht einer Zunahme um rund 30 Prozent. In den meisten wichtigen europäischen Zielländern nahm die Zahl der Asylgesuche 2021 deutlich zu. Grund für die Zunahme waren das weitgehende Ende der Covid-19 bedingten Reisebeschränkungen sowie die Zunahme der Weiterwanderung aus Griechenland. Die stärksten Zunahmen verzeichneten Bulgarien und Österreich. Deutschland blieb wichtigstes Zielland. Zum Teil deutliche Abnahmen verzeichneten einzig Griechenland, Schweden und Spanien.

In der Schweiz wurden 2021 14 928 Asylgesuche gestellt. Das sind 3887 Gesuche mehr als 2020 (+ 35,2 %). Im Vergleich zu vielen anderen Dublin-Staaten (Durchschnitt + 30 %) stieg die Zahl der Asylgesuche in der Schweiz somit etwas stärker an.

Die Migration über die
Balkanroute, insbesondere die Weiterwanderung aus Griechenland, war 2021 ein zentrales Element für die Entwicklung der Asylgesuche. Die Migration über das zentrale Mittelmeer ist zurzeit für die Asylmigration in die Schweiz nur von sekundärer Bedeutung. Dies trifft in noch grösserem Ausmass auch

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auf die westliche Mittelmeerroute zu. Afghanistan wurde 2021 zum wichtigsten Herkunftsland von Asylsuchenden für die Schweiz. Damit ist Eritrea erstmals seit 2010 nicht mehr wichtigstes Herkunftsland. Dieser Anstieg hat keinen direkten Zusammenhang mit der Entwicklung der Lage in Afghanistan, setzte er doch bereits im Verlauf der Frühjahres 2021 ein. Mit der Machtübernahme der Taliban Mitte August nahm dann die Weiterwanderung afghanische Staatsangehöriger zu, die sich auf dem Balkan, in Griechenland und wohl auch in der Türkei aufgehalten hatten. Ebenfalls deutlich zugenommen haben die Asylgesuche türkischer Staatsangehöriger.

Die Schweiz wurde auch 2021 bewusst umgangen respektive es wurde versucht, die Schweiz zu durchqueren. Neu betraf dies nicht nur die Südgrenze, sondern auch die Ostgrenze im Rheintal. Hier handelte es sich grössten Teils um junge afghanische Männer. Im Spätherbst lag die Zahl der wöchentlichen Aufgriffe vorübergehend im Bereich von 300 Personen. Sie war damit doppelt so hoch wie die Zahl der Aufgriffe im Tessin. Bei einem Aufgriff durch das BAZG an der Ost- und Südgrenze stellte nur eine kleine Minderheit der Aufgegriffenen ein Asylgesuch.

Wichtigste Migrationsrouten nach Europa Routen über das Mittelmeer

östliche (TürkeiGriechenland)

zentrale (primär Libyen-Italien)

westliche (primär Marokko-Spanien)

See

Land

See

See

Land

2018

32 500

18 010

23 370

58 570

6 810

2019

59 730

14 890

11 470

26 170

6 350

2020

9 690

5 980

34 150

40 330

1 540

2021

4 110

4 690

67 480

41 980

1 220

Quelle: UNHCR

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Asylgesuche in der Schweiz 1991 bis 2021

Quelle: SEM

Asylgesuche in der Schweiz ­ wichtigste Herkunftsstaaten 2021

Quelle: SEM

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Europäische Migrationsaussenpolitik

3.1

Bilaterale Zusammenarbeit mit EU-Mitgliedsstaaten

Das Parlament hat am 30. September 2021 den zweiten Schweizer Beitrag an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten freigegeben. Die Implementierung kann nach Abschluss bilateraler Umsetzungsabkommen mit den Partnerländern beginnen. Ein rechtlich nicht bindendes Memorandum of Understanding (MoU) mit der EU soll als inhaltliche Grundlage für die Verhandlungen dienen.

Im Rahmen des für Europa vorgesehenen Teils des VK IMR, unterstützte die Schweiz im Berichtsjahr prioritär Projekte in Griechenland. Im Oktober 2021 reiste Bundesrätin Karin Keller-Suter nach Bosnien und Herzegowina und Griechenland. Im Zentrum der bilateralen Gespräche stand das Migrationsmanagement.

3.2

Entwicklungen im Schengen- und Dublin-Bereich

Der Vollzug der Wegweisungen von Drittstaatangehörigen in andere Dublin-Staaten stellte 2021 wie im Vorjahr aufgrund der Covid-19-Pandemie eine Herausforderung dar [2019: 1724 Personen; 2020: 941 Personen; 2021: 1375 Personen, Quelle: SEM].

Zwar waren 2021 keine Grenzschliessungen mehr zu verzeichnen, doch sind die Annahmekapazitäten für Überstellungen in vielen Staaten sehr eingeschränkt und es werden zusätzliche Modalitäten (namentlich PCR-Tests und Einreiseformalitäten wie Passenger Locator Forms) vorgegeben. Zudem boten die Fluggesellschaften deutlich weniger Flüge und weniger Destinationen an als vor der Pandemie. In der Schweiz können seit Oktober 2021 abgewiesene Asylsuchende zu einem Covid-Test gezwungen werden, wenn dies für die Ausschaffung erforderlich ist.

Am 2. Juni 2021 hat die EU-Kommission eine Schengen-Strategie veröffentlicht, in der bisherige und geplante Aktivitäten zur Stärkung des Schengen-Raums zusammengefasst werden. Die Strategie fordert sowohl die rasche Umsetzung bereits beschlossener Weiterentwicklungen, beispielsweise die Interoperabilität der Schengener IT-Systeme, als auch weitere Verhandlungen und Verabschiedungen bereits vorgelegter Vorschläge. Darunter fällt auch das Asyl- und Migrationspaket, welches die EU-Kommission im September 2020 vorgelegt hat.

Die Diskussionen über das Asyl- und Migrationspaket sind im Berichtszeitraum jedoch kaum vorangeschritten. Die Mitgliedstaaten konnten sich insbesondere bezüglich Solidaritätsmechanismus nicht einigen. Angesichts dieser politischen Blockade mehren sich die Stimmen, die sich für eine Abkehr vom Paketansatz aussprechen, um jene Vorschläge vorgängig zu verabschieden, bei denen bereits weitgehende Einigkeit besteht. So sind beispielsweise die Verhandlungen zu EURODAC, der zentralen Fingerabdruckdatenbank der EU in Asylangelegenheiten, relativ weit vorangeschritten.

Ein Fortschritt kann auch bei der Nachfolge des European Asylum Support Office (EASO) verzeichnet werden, an dem sich die Schweiz über ein Zusatzabkommen beteiligt. Das EU-Parlament gab am 11. November 2021 grünes Licht für die Umwandlung des derzeitigen EASO in eine vollwertige EU-Asylagentur (EUAA). Die Agentur

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hat ihren Betrieb Mitte Januar 2022 aufgenommen. Die Schweiz führt derzeit exploratorische Gespräche mit der EU-Kommission und den anderen assoziierten Staaten, um die Möglichkeit und die Modalitäten ihrer Teilnahme an EUAA zu prüfen.

Das Parlament hat am 1. Oktober 2021der Gesetzesvorlage zur Übernahme und Umsetzung der neuen EU-Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache zugestimmt. Mit der revidierten EU-Verordnung erhält Frontex ein stärkeres Mandat, um die Aussengrenzen besser zu schützen. Gleichzeitig wird der Grundrechtsschutz ausgebaut. Zudem kann Frontex die Schengen-Staaten künftig in sämtlichen Aspekten der Rückkehr von Personen unterstützen, die sich illegal im betreffenden Staat aufhalten. Gegen den Bundesbeschluss wurde das Referendum ergriffen.

2021 hat sich die Schweiz aktiv an der Arbeitsgruppe zur Untersuchung der Pushback-Vorwürfe gegen Frontex beteiligt. Der im März 2021 veröffentlichte Schlussbericht hält fest, dass die Agentur den Vorwürfen konsequenter nachgehen muss und entsprechende Reformen einzuleiten sind. Die Schweiz setzte sich im Verwaltungsrat von Frontex dafür ein, dass der Grundrechtsschutz bei allen Einsätzen von Frontex und den beteiligten Behörden des jeweiligen Gaststaates gestärkt wird. Sie hat zudem zwei Grundrechtsexpertinnen an das Büro des Grundrechtsbeauftragten von Frontex entsandt.

3.3

Belarus-Krise

Polen, Litauen und Lettland sehen sich an ihren Grenzen zu Belarus seit Juni 2021 mit einem staatlich orchestrierten Migrationsdruck konfrontiert. Minsk benutzt Visabefreiungen und vergibt Touristenvisa gezielt, um anschliessend Migrantinnen und Migranten (namentlich aus dem Mittleren Osten), welche hauptsächlich nach Deutschland reisen möchten, aktiv bei deren Weiterreise in den Schengen-Raum zu unterstützen. Alle drei Staaten haben den (teilweisen) Ausnahmezustand ausgerufen und investieren in physische Grenzinfrastruktur wie Mauern und Zäune. An der polnischbelarussischen Grenze gilt die humanitäre Situation, auch wegen des beschränkten Zutritts von Hilfsorganisationen und unabhängigen Beobachtern, als prekär. Die polnische Regierung hat trotz der angespannten Lage nur beschränkt internationale Hilfe in Anspruch genommen. Sowohl die EU als auch die Schweiz verurteilen die Instrumentalisierung der Migranten und Migrantinnen zu politischen Zwecken scharf.

4

Schwerpunktregionen der schweizerischen Migrationsaussenpolitik

2021 ist das erste Jahr der Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021­2024, welche die Migrationspolitik verstärkt an die internationale Zusammenarbeit knüpft.

Die Umsetzung dieser strategischen Verknüpfung findet auf der politischen, geografischen und thematischen Ebene statt.

Auf der politischen Ebene wird Migration systematisch in politische Dialoge mit Herkunftsländern einbezogen. Auf der geografischen Ebene wird Migration systematisch in regionale und länderspezifische Kooperationsprogramme integriert; Migration 7 / 16

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wird in allen neuen Kooperationsprogrammen genannt. Auf der thematischen Ebene setzt die Schweiz die Verknüpfung über die inhaltliche Ausrichtung der Projekte um.

Die Schweiz unterscheidet dabei zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Interventionen.

Kurzfristig trägt die Schweiz dazu bei, Vertriebene und Flüchtlinge in ihren Erstaufnahme- und Transitländern zu schützen. Als Antwort auf die Covid-19-Pandemie unterstützte die humanitäre Hilfe beispielsweise Aufnahmezentren für Migrantinnen und Migranten und Geflüchtete in Bosnien und Herzegowina mit Schutzausrüstung.

Mittelfristig arbeitet die Schweiz an der besseren Integration von Vertriebenen sowie von Migrantinnen und Migranten in den Erstaufnahmeländern. Zum Beispiel gestaltet die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) ihre Bildungs- und Gouvernanzprogramme in Mali so, dass diese sowohl der lokalen Bevölkerung als auch intern Vertriebenen zugutekommen. Sie schafft so Perspektiven für die lokale Bevölkerung und verbessert gleichzeitig die Integration jener, die aus ihrer Heimatregion geflüchtet sind und in anderen Landesteilen Zuflucht gefunden haben.

Langfristig arbeiten die DEZA, die Abteilung Frieden und Menschenrechte des EDA und das SECO an der Beseitigung der tiefer liegenden Ursachen von Flucht und irregulärer Migration. Dazu gehören Konflikte, Klimawandel, Armut, mangelnde Grundversorgung und Perspektive an Erwerbsmöglichkeiten, schlechte Regierungsführung und Menschenrechteverletzungen.

4.1

Afghanistan und Nachbarstaaten

Die Entwicklungen in Afghanistan haben nicht nur regionale politische, humanitäre und wirtschaftliche Auswirkungen, sondern betreffen auch die Migrationslage. Die afghanische Bevölkerung befindet sich in einer akuten humanitären Notsituation. Gemäss der Internationalen Organisation für Migration (IOM) hat sich die Zahl der Binnenvertriebenen im Jahr 2021 um 650 000 erhöht. Insgesamt befinden sich in Afghanistan 5,5 Millionen Binnenvertriebene. In den Nachbarstaaten halten sich ­ die meisten von ihnen seit vielen Jahren oder Jahrzehnten ­ rund 2,2 Millionen afghanische Flüchtlinge und 3,5 Millionen irreguläre Migrantinnen und Migranten auf. Im Nachgang zur Machtübernahme durch die Taliban wurden bis anhin keine grösseren Migrationsbewegungen in die Nachbarstaaten verzeichnet. Die internationale Gemeinschaft will mit einer koordinierten humanitären Hilfe vor Ort zur Stabilisierung der Lage beitragen. Die Situation ist aber angespannt und die weiteren Entwicklungen sind schwer abzuschätzen.

Der Bundesrat hat am 8. September 2021 einen zusätzlichen Beitrag von 33 Millionen Franken für die humanitäre Hilfe der notleidenden Bevölkerung gesprochen; das entspricht fast einer Verdoppelung des bisherigen Beitrages. Davon wurden 23 Millionen Franken im Rahmen eines Nachtragskredits zum Budget 2021 vom Parlament bewilligt. Erste Priorität haben dabei der Schutz und die Versorgung von Vertriebenen in Afghanistan und in den Nachbarstaaten. Im Rahmen des Resettlement-Programms 2020­2021 hat die Schweiz 78 besonders vulnerable afghanische Flüchtlinge ­ darunter mehrheitlich Frauen und Mädchen ­ aus der Türkei aufgenommen. Im Rah-

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men der umfangreichen Evakuierungsaktion in Folge der vorübergehenden Schliessung des Schweizer Kooperationsbüros konnten zudem insgesamt 387 Personen aus Afghanistan in die Schweiz geflogen werden. Im Jahr 2021 wurden insgesamt 37 humanitäre Visa für afghanische Staatsangehörige ausgestellt. Aufgrund der hohen Anzahl von humanitären Visagesuchen wurden zwei zusätzliche Mitarbeitende zur Schweizer Vertretung in Islamabad sowie eine Mitarbeiterin zur Schweizer Vertretung in Teheran entsandt. Die Schweiz engagiert sich zudem in der Region seit September 2020 als Mitglied der Kerngruppe Solutions Strategy for Afghan Refugees (SSAR), welche insbesondere die Aufnahmeländer Iran und Pakistan unterstützt. Im Oktober 2021 reiste eine Delegation des SEM nach Pakistan und Iran. Beide Länder haben die gemeinsame Verantwortung der internationalen Gemeinschaft betreffend die afghanischen Flüchtlinge betont, äusserten aber keine Bedürfnisse im Bereich des Resettlement. Das zusätzliche Engagement der Schweiz, vor allem via die flexiblen Mittel der DEZA, wird begrüsst.

4.2

Mittlerer Osten

Die seit zehn Jahren andauernde Syrienkrise hat die Binnenvertreibung sowie die Flucht- und Migrationsbewegungen weiter verschärft. In Syrien sind über 13 Millionen Menschen (mehr als 70 % der Bevölkerung) auf humanitäre Hilfe angewiesen, darunter über 6 Millionen Binnenvertriebene. Rund 5,6 Millionen Syrerinnen und Syrer sind in die Nachbarländer geflohen. Die Aussicht auf eine freiwillige, sichere, nachhaltige und menschenwürdige Rückkehr der syrischen Flüchtlinge bleibt auf absehbare Zeit gering. Der Bedarf an Schutz vor Ort ist weiterhin sehr gross. Die Schweiz hat seit 2011 über 550 Millionen Franken für die betroffene Bevölkerung in der Region bereitgestellt. Es handelt sich um das grösste humanitäre Engagement in der Geschichte der Schweiz. Der Bundesrat veröffentlichte im Januar 2022 den Bericht «Syrische Flüchtlinge. Verstärkte europäische Zusammenarbeit», in welchem die Situation syrischer Flüchtlinge und das Engagement der Schweiz eingehend beschrieben wird.1 Trotz der pandemiebedingten Einschränkungen setzte die Schweiz ihr Engagement während des gesamten Berichtszeitraums im Migrationsmanagement und zur Verbesserung der Lebensbedingungen syrischer Flüchtlinge in Jordanien, Libanon sowie der Türkei erfolgreich fort. Zudem setzte sie sich in der Region unter anderem für bessere Bedingungen der Arbeitsmigration ein. Die Schweiz unterstützte den Libanon und die Türkei, zwei der wichtigsten Aufnahmestaaten weltweit, auch durch die Aufnahme von insgesamt 562 besonders vulnerablen Flüchtlingen ­ vorwiegend Syrerinnen und Syrern ­ im Rahmen des Resettlement-Programms 2020­2021.

Im Libanon zeichnet sich weiterhin eine schwierige politische und sozioökonomische Lage ab. Diese hat Auswirkungen auf die syrischen Flüchtlinge vor Ort und führt zu einem Anstieg an Spannungen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften (sowohl intra-libanesisch wie auch zwischen den Flüchtlingsgemeinschaften). In der Folge wandern immer mehr junge und gut ausgebildete Libanesinnen und Libanesen ab.

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Die Migration stellt auch im Irak eine grosse Herausforderung dar. Die instabile Lage und die mangelnde Sicherheit im Lande wirken sich auf die Migrationsbewegungen in der Region aus. Im Irak sind bisweilen 4,1 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, darunter rund 1,2 Millionen Binnenvertriebene. Im Nordirak fördert die Schweiz dauerhafte Lösungen (Durable Solutions) für Binnenvertriebene und Rückkehrende im Rahmen des laufenden schweizerischen Kooperationsprogramm für den Mittleren Osten. Zudem wurde ein Pilotprojekt im Bereich Migrationsmanagement gestartet. Mit diesen Aktivitäten hat die Schweiz ihr Portfolio im Irak deutlich erhöht.

Im April 2021 reiste Bundesrat Ignazio Cassis in den Libanon und in den Irak. Im Zentrum der bilateralen Gespräche in beiden Ländern stand die regionale Sicherheitsund Migrationslage sowie die Förderung eines inklusiven Dialogs zwischen den Gemeinschaften.

4.3

Westbalkan

In den Ländern des Westbalkans wird der Trend zur legalen Emigration der vornehmlich jüngeren Bevölkerung in die EU erkennbar. Gleichzeitig ist der Westbalkan seit 2015 verstärkt von irregulärer Transitmigration nach Zentral- und Westeuropa betroffen. Der grösste Anteil der Migrantinnen und Migranten stammte im Berichtsjahr aus dem Irak, Afghanistan, Bangladesch und Pakistan. Diese Personen streben die Weiterwanderung nach Westeuropa an und wollen die einzelnen Länder lediglich passieren. Folglich stellen die wenigsten Personen ein Asylgesuch und die lokalen Behörden können diese Menschen nur schwer erreichen und unterstützen. Gleichwohl haben namentlich Serbien sowie Bosnien und Herzegowina erhebliche Anstrengungen unternommen, um Aufnahmestrukturen bereitzustellen sowie Asylverfahren durchzuführen und Schutz zu gewähren.

Die Schweiz unterhält mit den drei Ländern Bosnien und Herzegowina, Serbien und Kosovo Migrationspartnerschaften im Rahmen des Programms «Migration Westbalkan 2020­2023». Sie unterstützt diese Länder insbesondere auch beim Aufbau von Kapazitäten im Migrationsmanagement und verfolgt ­ durch inklusive Ansätze ­ eine Verbesserung der Lebensbedingungen und den Schutz von Migrantinnen und Migranten. Ergänzend leistet die Schweiz in den Ländern der Westbalkan-Region substanzielle Unterstützung zur Verbesserung der Gouvernanz, der wirtschaftlichen Perspektiven und der Abfederung sozialer Probleme.

In Bosnien und Herzegowina hat sich die Lage der Migrantinnen und Migranten nach dem Brand des Migrationslagers Lipa im Winter 2020/21 besonders zugespitzt.

DEZA-Direktorin Patricia Danzi besuchte das provisorische Lager im März 2021. Die Schweiz unterstützt über die IOM und über das Sicherheitsministerium von Bosnien und Herzegowina die Einrichtung des neuen Lagers. Im Oktober 2021 besuchte Bundesrätin Karin Keller-Sutter Bosnien und Herzegowina zu bilateralen Gesprächen und würdigte dabei ihre Anstrengungen im Umgang mit den migrationspolitischen Herausforderungen.

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4.4

Nordafrika

Häufige Gründe für Migrationsbewegungen in und aus Nordafrika sind schlechte Lebensbedingungen, politische Repression und bewaffnete Konflikte. Sowohl Bundesrat Ignazio Cassis als auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter reisten zu Beginn des Jahres für politische Treffen nach Algerien. Die offiziellen Gespräche thematisierten nebst der Diversifizierung der bilateralen Beziehungen auch die Migration. Die Schweiz und Algerien legten dabei den Grundstein für eine verstärkte Zusammenarbeit in den Bereichen Polizei, Justiz und Migration. Sowohl mit Algerien als auch mit Marokko konnte die Rückkehrkooperation wiederaufgenommen werden, nachdem die jeweiligen pandemiebedingten Grenzschliessungen und Einreiserestriktionen wieder gelockert oder aufgehoben wurden. Die Kooperation mit Tunesien konnte im Berichtszeitraum weitergeführt werden, ihr ist vor dem Hintergrund der politischen Turbulenzen in Tunesien in nächster Zeit besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Das SEM besuchte auf Stufe Vizedirektor das erste Mal seit über zehn Jahren Libyen.

Während der Reise wurden wichtige Kontakte mit der Übergangsregierung aufgebaut und die Projekte im Migrationsbereich einer Beurteilung unterzogen. Die Lage der irregulären Migrantinnen und Migranten sowie Vertriebenen im Land bleibt trotz Waffenruhe besorgniserregend. Das SEM und das EDA haben gemeinsam mit der EU ein Projekt zur Stärkung der Migrationsgouvernanz gestartet. Beim Arbeitsbesuch von Bundesrat Ignazio Cassis im November 2021 in Libyen standen die für Ende Jahr geplanten Präsidentschaftswahlen im Zentrum der Gespräche. Thematisiert wurde auch die Unterstützung der Schweiz im Bereich Migration. Das Transitland Libyen wird durch die Migration vor grosse Herausforderungen gestellt. Zudem wurde durch die Aufnahme im Rahmen des Resettlement von 269 besonders vulnerablen Flüchtlingen aus Ägypten ein Beitrag an ein wichtiges Aufnahmeland in der Region geleistet.

Aufgrund der weiterhin grossen Fragilität der nordafrikanischen Länder bleibt die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit in der Region engagiert. Die DEZA und das SECO haben im Berichtsjahr ihre neuen Länderprogramme 2021­24 in Tunesien und Ägypten lanciert, die substanzielle Aktivitäten mit Migrationsbezug vorsehen. Zudem ist das SECO weiterhin in Marokko engagiert, unter anderem mit einem 2021 neu lancierten beschäftigungsrelevanten Projekt im Tourismusbereich.

4.5

Zentral- und Westafrika

Die Migrationsbewegungen in Zentral- und Westafrika finden vorwiegend innerhalb der Region statt, wobei es sich meistens um reguläre Migration handelt. Die anhaltende Covid-19-Pandemie und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Einschränkungen aufgrund von Lockdowns und Instabilität bedrohen die Lebensgrundlage der Menschen vor Ort. Die grenzsanitarischen Massnahmen waren für die Herkunftsstaaten von Arbeitsmigrantinnen und -migranten besonders einschneidend. Trotz diesem schwierigen Kontext konnte die Schweiz im Frühsommer 2021 ihr regionales Westafrikaprogramm zur Verstärkung der positiven Auswirkungen der Arbeitsmigration und der regulären Migration lancieren.

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Aufgrund der teils volatilen politischen Lage und schwierigen Sicherheitssituation in Staaten wie Burkina Faso, Kamerun, Mali, Nigeria und Guinea-Conakry kommt es immer wieder zu internen Vertreibungen und Fluchtbewegungen in der Region. In Nigeria alleine befinden sich rund 1.4 Millionen Binnenvertriebene. Des Weiteren sind die Ernährungsunsicherheit sowie das rasante Bevölkerungswachstum in der Region besorgniserregend. Diese Entwicklungen stellen humanitäre Notsituationen dar und haben ein Migrationspotenzial, das über die Grenzen des Kontinents hinausgeht.

Die Schweiz reagiert auf diese Situation mit humanitärer Hilfe sowie Entwicklungund Friedensförderung. Mit Kamerun, Guinea-Conakry und Nigeria konnte die Schweiz in der Vergangenheit Abkommen abschliessen und die Zusammenarbeit mit den Migrationsbehörden stärken. Projekte in Gambia und Nigeria konnten von der DEZA dank flexibler Mittel, die im Rahmen der neuen Strategie für die internationale Zusammenarbeit zur Verfügung gestellt wurden, initiiert werden. Zudem beteiligt sich die Schweiz mit der Entsendung von Experten und Expertinnen seit 2016 an der zivilen EU-Mission EUCAP Sahel Mali für die Reform des zivilen Sicherheitssektors.

Am 12. Januar 2021 haben die Schweiz und Gambia ein Migrationsabkommen unterzeichnet. Die Verhandlungen mit Kapverden zu einem Rückübernahme- und Visaerleichterungsabkommen konnten im Frühjahr 2021 abgeschlossen werden. Es wird mit einer baldigen Unterzeichnung der Abkommen gerechnet. Auch die Verhandlungen mit Côte d'Ivoire zur Zusammenarbeit im Migrationsbereich und einem Visabefreiungsabkommen für Diplomatinnen und Diplomaten wurden abgeschlossen. Die entsprechenden Vereinbarungen wurden Ende November 2021 in Bern unterzeichnet.

Mit Guinea-Bissau fand im September 2021 eine erste Verhandlungsrunde zum Abschluss eines Migrationsabkommens statt.

Die Beziehungen zu den zentral- und westafrikanischen Staaten konnten trotz der Covid-19-Pandemie im Berichtsjahr weiter gepflegt werden. So reiste Bundesrat Ignazio Cassis im Februar 2021 nach Mali, Senegal und Gambia, wobei in den Gesprächen mit Regierungsvertretern auch die Zusammenarbeit im Migrationsbereich thematisiert wurde. Im Rahmen des Besuchs von Bundesrätin Karin Keller-Sutter in Abuja von März 2021 wurde das zehnjährige Jubiläum der Migrationspartnerschaft mit Nigeria gewürdigt.

4.6

Horn von Afrika

Am Horn von Afrika hat die Anzahl der Geflüchteten (4 Millionen) und Binnenvertriebenen (7 Millionen) im Berichtsjahr weiter zugenommen. Während die langfristigen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in dieser Region nur schwierig abzuschätzen sind, haben kurz- und mittelfristige Effekte die Flucht- und Migrationsbewegungen im Horn massgeblich beeinflusst, beispielsweise aufgrund von Grenzschliessungen. Die Vulnerabilität gewisser Migrantinnen und Migranten hat zugenommen und der Zugang zu gesundheitlicher Versorgung ist vielerorts unzureichend.

Die regionalen Spannungen und bewaffnete Konflikte in Äthiopien, namentlich in Tigray, führen weiterhin zu Vertreibungen und Fluchtbewegungen in der Region. Die Grundversorgung und die Ernährungsgrundlage bleiben sehr labil. Allerdings sind bislang keine signifikanten Fluchtbewegungen nach Europa zu erkennen.

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Das Kooperationsprogramm für das Horn von Afrika 2018­2021 wurde abgeschlossen. Zurzeit wird das Folgeprogramm 2022­2025 erarbeitet. Unter der Domäne «Migration & Protection» verfolgt die Schweiz zwei Ziele: Erstens erhalten Flüchtlinge, intern Vertriebene, Aufnahmegemeinschaften, Rückkehrer und Migranten Dienstleistungen zu ihrem Schutz; zweitens werden der soziale Zusammenhalt, die Eigenständigkeit und die nachhaltige (Re-)Integration der von Vertreibung betroffenen Gemeinschaften gestärkt. Parallel dazu wurde die Erarbeitung des neuen Kooperationsprogramms für den Sudan 2022­2024 aufgenommen. Dieses Programm hat das Ziel, das IZA-Engagement in dem Land zu stärken, die Zivilbevölkerung zu schützen und die Lebensgrundlage der Menschen zu verbessern. Zudem unterstützt die Schweiz dauerhafte Lösungen für Vertriebene und fördert eine wirksame Migrationsgouvernanz. Im Rahmen der politischen Konsultation mit dem Sudan am 14. und 15. Juni 2021 wurden Gespräche zu Migrationsthemen weitergeführt. Aufgrund des Militärputschs vom 25. Oktober 2021 wird der Migrationsdialog jedoch vorerst ausgesetzt.

4.7

Weitere prioritäre Länder und Regionen

Sri Lanka Die Migrationszusammenarbeit zwischen der Schweiz und Sri Lanka entwickelt sich unter Berücksichtigung der pandemiebedingten Herausforderungen weiterhin gut.

Beide Seiten haben sich im Rahmen eines bilateralen Austausches im November 2021 geeinigt, das nächste Expertentreffen für die Umsetzung der Migrationspartnerschaft Anfang 2022 durchzuführen. Dabei sollen die laufenden und geplanten Aktivitäten und insbesondere die erweiterte Unterstützung der Schweiz im Ausbildungsbereich, wo der Einsatz der flexiblen Mittel vorgesehen ist, besprochen und die nächsten Schritte gemeinsam definiert werden.

Georgien Die Verhandlungen zwischen der Schweiz und Georgien über das MoU zur Migrationspartnerschaft wurden im Oktober 2021 abgeschlossen. Eine Unterzeichnung wird im Laufe des Jahres 2022 erwartet. Es ist die siebte Migrationspartnerschaft der Schweiz und die erste mit einem Land des Südkaukasus. Mit der Migrationspartnerschaft unterstreichen beide Länder das gemeinsame Interesse, ihr Engagement im Migrationsbereich zu intensivieren.

5

Multilaterale Migrationsaussenpolitik der Schweiz

5.1

Globale Prozesse

Die Schweiz hat im Juni 2020 erstmalig und gemeinsam mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) und dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) den einjährigen Vorsitz der Annual Tripartite Consultations on Resettlement (ATCR) übernommen. Das Vorsitzjahr stand unter dem Titel «Strengthening

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capacities to promote opportunities for refugees in unprecedented times». Die teilnehmenden Aufnahmestaaten, internationalen Organisationen und Nicht-Regierungsorganisationen setzten sich insbesondere mit der Frage auseinander, wie Resettlement und komplementäre Zugangswege während der Covid-19-Pandemie initiiert, aufrechterhalten oder ausgebaut werden kann. Der Vorsitz endete am 28. Juli 2021 mit den Schlussreden von Bundesrätin Karin Keller-Sutter sowie der Übergabe des Vorsitzes an die USA.

Am 3. Februar 2021 hat der Bundesrat die Botschaft zum UNO-Migrationspakt verabschiedet und festgelegt, dass dieser im Einklang mit den Interessen der Schweiz steht. Das Parlament hat die Behandlung des Geschäfts zum UNO-Migrationspakt sistiert, um den Abschluss der Arbeiten im Bereich von Soft Law abzuwarten.

Im April 2021 haben die Schweiz und die International Labour Organization (ILO) ein neues Abkommen zur Entwicklungszusammenarbeit unterzeichnet. Das Abkommen legt die Prioritäten des SECO und der DEZA im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit fest, einschliesslich der Arbeitsmigration, und soll die Kohärenz der Schweizer Politik mit den Programmen der ILO sicherstellen.

Die IOM ist für die Schweiz ein wichtiger Partner in der Umsetzung der Migrationsaussenpolitik. Am 15. September 2021 empfing Bundesrätin Karin Keller-Sutter den Generaldirektor der IOM, António Vitorino, zu einem politischen Austausch in Bern.

Im Dezember 2021 hat die Schweiz zusammen mit dem UNHCR die Leitung des High Level Officials Meeting (HLOM) in Genf übernommen. Anlässlich dieses hochrangigen Treffens wurden die Fortschritte zur Erreichung der Ziele des Global Refugees Compact (GCR) analysiert. Der Anlass wurde von Bundesrat Ignazio Cassis eröffnet.

Am 29. September 2021 hat das High Level Panel on Internal Displacement des UNO Generalsekretärs seinen Bericht präsentiert. Die Schweiz hat die Arbeit des Panels politisch und finanziell unterstützt und ihre Prioritäten erfolgreich in der Arbeit des Panels verankern können.

5.2

Regionale Prozesse

Im Berichtsjahr hat die Schweiz an verschiedenen regionalen Prozessen gestaltend teilgenommen. Im Rahmen des Rabat-Prozesses ist die Schweiz Referenzland für den Bereich Schutz und Asyl. Im Juli 2021 hat die Schweiz ein erstes virtuelles Treffen zum Thema unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) organisiert. Im Oktober 2021 wurden zudem gemeinsam mit Tschad in Genf ein runder Tisch sowie eine Studienreise zum Thema Risiken, Betreuung und nachhaltige Lösungen veranstaltet.

Im Rahmen des Khartum-Prozesses hat die Schweiz zusammen mit Äthiopien ein Treffen zum Thema nachhaltige Lösungen im Bereich Rückkehr und Reintegration organisiert. Ziel des Khartum-Prozesses ist die Förderung von Dialogen und der Zusammenarbeit im Migrationsbereich zwischen Herkunfts-, Transit- sowie Zielstaaten entlang der Migrationsroute vom Horn von Afrika nach Europa.

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Die Schweiz nimmt regelmässig an thematischen Treffen des Budapest-Prozesses teil, welche den Fokus auf die Migrationszusammenarbeit mit den Seidenstrassenländern Afghanistan, Pakistan, Iran, Irak, und Bangladesch legen.

6

Ausblick 2022

Die Migrationslage in Europa hat sich mit dem Krieg in der Ukraine seit Ende Februar 2022 fundamental geändert. Prioritär ist die Sicherstellung des Schutzes der Geflüchteten aus der Ukraine. Ob es dabei zu einem Anstieg der Asylgesuche kommt, hängt neben verschiedenen politischen Faktoren auch stark von der humanitären Lage in den betroffenen Ländern und Regionen ab.

Für das Jahr 2022 rechnet die Schweiz mit 16 500 (+/­ 1500 Gesuche) neuen Asylgesuchen. Angesichts der zahlreichen Krisen- und Konfliktherde im Nahen und Mittleren Osten sowie auf dem afrikanischen Kontinent ist das Migrationspotenzial nach Europa weiterhin hoch. Für die Asylmigration in die Schweiz ist zentral, wie sich die Migration nach Griechenland, Bulgarien und Süditalien sowie die Weiterwanderung über die Balkanroute und aus Italien entwickeln. Den Umfang und die zeitliche Verteilung der Gesuche dürfte die Covid-19-Pandemie insofern mitbeeinflussen, als dass Staaten auch 2022 mobilitätsbeschränkende Massnahmen einführen können.

Im Jahr 2021 war bereits eine Zunahme der Asylgesuche von afghanischen Staatsangehörigen in der Schweiz zu verzeichnen. Diese Zunahme ist auf die Weiterwanderung von afghanischen Staatsangehörigen, die sich bereits seit Längerem im Iran, der Türkei oder in Griechenland aufhielten, zurückzuführen. Es wird damit gerechnet, dass im Falle einer bisher ausgebliebenen grossen Fluchtbewegung aus Afghanistan ein grosser Teil der Geflüchteten in der Region bleiben dürfte. Der Iran, Pakistan und die Türkei haben ihre Grenzen zusätzlich gesichert.

Die EU hat im Berichtsjahr den Border Management and Visa Instrument (BMVl) ­ Fonds verabschiedet. Der Fonds soll zur Verbesserung des Grenzmanagements der Schengen-Statten beitragen und die gemeinsame Visumspolitik stärken. Über die Beteiligung der Schweiz am Fonds wird das Parlament 2022 beraten.

Die Abstimmung über die Übernahme der neuen Frontex-Verordnung ist für den 15. Mai 2022 vorgesehen. Eine Ablehnung hätte weitreichende Folgen für die zukünftige Schengen/Dublin-Zusammenarbeit.

Das MoU mit der EU betreffend den zweiten Schweizer Beitrag kann unterzeichnet werden, sobald auch auf EU-Seite die internen Genehmigungsverfahren abgeschlossen sind. Dieses MoU dient inhaltlich als Basis für die geplanten bilateralen Umsetzungsabkommen mit den Partnerstaaten, die
im 2022 abgeschlossen werden sollen.

Die geografischen Prioritäten des vom Bundesrat neu beschlossenen ResettlementProgramms 2022­2023 werden wie bisher auf dem Libanon, Ägypten und der Türkei liegen. Bei der Aufnahme aus der Türkei wird der Fokus unter anderem auf vulnerable afghanische Flüchtlinge gesetzt. Der Bundesrat wird gleichzeitig die Entwicklungen in Afghanistan weiterhin aufmerksam mitverfolgen. Bei Bedarf ist eine Neubeurteilung der Prioritäten möglich.

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