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Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über den Antrag des Heinrich Joachim Gehlsen betreffend die Aufhebung seiner Ausweisung.

(Vom 14. Juni 1889.)

Tit.

Am 3. Juni abbin hat der Nationalrath ein Gesuch des Heinrich Joachim G e h l s e n von Tönning (Schleswig-Holstein), zur Zeit in London, um Rücknahme des gegen ihn bestehenden Ausweisungsdekretes dem Bundesrathe zum Berichte Übermacht.

Gehlsen hat nämlich in den siebenziger Jahren, nachdem er in Deutschland wegen verschiedener Vergehen bestraft worden oder noch angeklagt war, nach der Schweiz sich geflüchtet und hier Puldung gefunden, obschon er die nöthigen Legitimationspapiere nicht besaß, um die Wohlthat des Niederlassungsvertrages mit dem Deutschen Reiche anrufen zu können.

Bald jedoch machte er sich durch seine Betheiligung an den politischen Angelegenheiten bemerkbar und zwar in solchem Grade, daß wir uns veranlaßt gesehen haben, ihn mit Beschluß vom 29. April 1879, gestützt auf Art. 70 der Bundesverfassung, aus dem Gebiete der Eidgenossenschaft auszuweisen (Bundesbl. 1879, II, S. 652).

Dieser Beschluß stützte sich im Wesentlichen auf die Betrachtung, daß Gehlsen das Asyl zu einer agressiven publizistischen Thätigkeit mißbrauchte, die von der Schweiz nicht geduldet werden konnte und die geeignet war, die innere und äußere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden, indem er den Widerstand gegen die soziale Ordnung förderte und speziell in einem neuern, mit ,,H. J. G."

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gezeichneten und von Bern datirten Artikel in der ,,Tagwacht", betitelt ,,Zur Situation14, der deutschen Sozialdemokratie die ,,duldendea und ,,abwartende" 1 Haltung zum Vorwurfe machte und eine ,,energische Agitation11 empfahl, die endlich ,,draufschlägt" als ,,einzige Lösung des Knotens a , wobei es auf den Tod einiger Tausende nicht ankomme.

Gehlsen beschwerte sich bei der Bundesversammlung. Beide Räthe, der Nationalrath am 10. Dezember und der Ständerath um 15. Dezember 1879, sind jedoch einfach zur Tagesordnung geschritten (Bundesbl. 1879, El, S. 1241). Dieser Beschluß steht in Uebereinstimmung mit unserm Antrage, den wir in unserm bezüglichen Berichte vom 16. Juni 1879 begründeten (Bundesblatt 1879, H, S. 984).

Seither hat Gehlsen zwei Mal den ,,Antrag tt gestellt, es möchte der Beschluß vom 29. April 1879 aufgehoben werden. Das erste Gesuch datirt von Vincennes, 17. April 1881, das zweite von London, 13. April 1889. Wir beschränkten uns jedoch beide Male auf die Antwort, daß wir uns nicht veranlaßt sehen, auf diesen Antrag einzutreten.

Heute nun liegt uns die Reproduktion der zweiten Eingabe vor, indem Gehlsen dieselbe unterm 25. Mai 1889 an die Bundesversammlung gerichtet hat. Am 3. Juni wurde sie uns, wie oben erwähnt, vom Nationalrathe zum Berichte überwiesen.

Gehlsen spricht in dieser Eingabe die bestimmte Erwartung aus, daß der Ausweisungsbefehl vom 29. April 1879 zurückgenommen werde. Wir glauben, am besten zu thun, seine Gründe in der ihm eigenthümlichen Form wörtlich folgen zu lassen. Er anerkennt zunächst, daß, nachdem die Bundesversammlung seinen ,,Protest" abgewiesen habe, die Gesetzlichkeit des Ausweisungsaktes einer Erörterung nicht mehr werth sei. Die Aufhebung des Dekretes dagegen rechtfertige sich durch folgende Gründe: ,,1) Wenn selbst vorausgesetzt wird, daß die Motivirung meiner Ausweisung seiner Zeit als gesetzlich korrekt ungesehen werden konnte, so hat doch die derselben untergelegte Meinung, meine journalistische Thätigkeit könne die Schweiz mit Deutschland in Conflikt bringen, heute vollständig alle Berechtigung verloren, denn es ist: a. in den nunmehr seit meiner Ausweisung verflossenen zehn Jahren nicht eine einzige Thatsache an's Tageslicht getreten, welche die damals gehegte Meinung als die richtige hat erscheinen lassen ;

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b. durch den Amnestieerlaß Kaiser Friedrich's III. vom 31. März 1888 sind sämmtliche gegen mich in Berlin resp. Preußen erlassenen Straferkenntnisse annullirt worden und mir mittels Schreibens des Ersten Staatsanwalts am König!. Landgericht I · Berlin d. d. Berlin 26. April 1888 die Rücknahme des hinter mich erlassenen Steckbriefes amtlich mitgetheilt; <5. durch amtliches Schreiben der Großherzoglichen Staatsanwaltschaft zu Mannheim d. d. 20. April 1888 ist mir eröffnet worden, daß die Vollstreckung des gegen mich erlassenen Urtheils des Schwurgerichts zu Mannheim vom 27. März 1878 v e r j ä h r t sei ; d. es existirt somit irgend ein vollstreckbares Urtheil gegen mich im Deutschen Reiche nicht mehr, so wenig als irgend ein Prozeßverfahren, das zu einer neuen Verurtheilung führen könnte, und fallen mithin alle Voraussetzungen, auf welche sich meine Ausweisung als einem bereits verurtheilten und verfolgten politischen Missethäter gründete, in sich zusammen und die Aufrechterhaltung des Ausweisungsdekrets unter heutigen Verhältnissen erscheint logisch nicht mehr möglich.

2) Ist es nun wohl auch ohne Weiteres anzunehmen, daß die ·Schweizerische Eidgenossenschaft in politischer Versöhnlichkeit sich von dem monarchischen Deutschland nicht in den Schatten stellen lassen darf, so ist es namentlich die Art und Weise, wie die Thatsache meiner s. Z. erfolgten Ausweisung noch heute zu unsauberen .Zwecken ausgebeutet wird, welche mich speziell bestimmt, den hohen Bundesrath um Aufhebung des Ausweisungsbefehles anzugehen. Eine Anzahl schweizerischer, oder vielmehr in der Schweiz erscheinender Blätter hat sich von jeher bestrebt gezeigt, mehr polizeiliche als politische Moral zu üben und so erwünschtes Material für gewisse deutsche Zeitungen zusammenzutragen, das von Letzteren mit der Trade Mark: ,,Aus der freien Schweiz" wohl.gefällig in Kommission genommen und kolportirt wird. Einer besonders günstigen Aufnahme hat sich in letzterer Zeit ein Artikel des ,,Züricher Stadtboten" bei den deutschen Gesinnungsgenossen zu erfreuen gehabt. Der Artikel trägt die Ueberschrift : ,,Nihilisten und Soeialdemokraten" und thut mir speciell die Ehre an, auch meinen Namen unter die Zahl der vor der öffentlichen Meinung zu brandmarkenden Personen zu schieben. Nun weiß Jeder, der sich jemals um meine Person bekümmert hat, daß
ich weder Nihilist, noch Socialdemokrat, noch Mörder, Verschwörer, Räuber, Dieb etc. gewesen bin und daß ich stets meinen eigenen Weg in politiscb-socialen Dingen gegangen bin und zwar mit den einzigen Mitteln meiner Feder und meiner Luage.

5C Bandesblatt. 41. Jahrg. Bd. III.

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Es ist demnach klar, daß hier zum Mindesten der Versuch vorliegt noch immer meine frühere Ausweisung rechtfertigen zu wollen, persönliche Rache zu üben oder so viel als möglich d e n E f f e k t der mir d u r c h Kaiser Friedrich g e w o r d e n e n A m n e s t i e zu p a r a l y s i r e n . Von jeher haben sich die durch Gnadenbeweise von Regierenden aus dem Exil Heimkehrenden der öffentlichen Sympathie der Völker zu erfreuen gehabt; wer es daher unternimmt, dem Volke Unversöhnlichkeit zu predigen, wo die ' Herrscher sich versöhnlich zeigten, der ist ein bewußter politischer Ehrabschneider, ein erbärmlicher Denunciant. Ich kann freilich den Hohen Bundesrath für solche Leistungen journalistischen Banditenthums nicht verantwortlich halten, aber ich mache ihn darauf aufmerksam , daß es sich für alle durch solches Verfahren mir erwachsenden politischen und bürgerlichen Nachtheile mitschuldig macht, wenn er die heute durch Nichts mehr gerechtfertigte Motivirung der einst gegen mich verhängten Ausweisung nicht kassirt und so den literarischen Buschkleppern den fadenscheinigen legalen Grund öffentlicher Denunziation entzieht. Ich erwarte daher bestimmt die Rücknahme des gegen mich am 29. April 1879 ergangenen Ausweisungsbefehls."

Wir beschränken uns auf einige Bemerkungen: Gehlsen erwähnt, daß sämmtliche in Deutschland gegen ihn bestandenen Verfolgungen durch Begnadigung oder Verjährung dahingefallen seien, und knüpft daran die Bemerkung, daß, wer nicht in gleicher Weise versöhnlich sich zeige, ein bewußter politischer Ehrabschneider, ein politischer Denunziant sei. Diese Bemerkung ist zunächst gegen uns gerichtet. Sie müßte aber auch auf die Bundesversammlung passen, wenn sie den Antrag des Petenten abweisen würde. Es versteht sich jedoch von selbst, daß die obersten Behörden der Schweiz bei ihren Schlußnahmen auf derartige Ausfälle eines anmaßlichen Ausländers keine Rücksichten nehmen.

In der Sache selbst sind wir auch heute noch, wie früher, der Ansicht, daß auf den Antrag des Petenten nicht einzutreten sei.

Nachdem er, wie er sagt, in Deutschland begnadigt ist und frei dahin zurückkehren kann, braucht er kein Asyl mehr in der Schweiz.

Wir stehen nicht an, zu erklären, daß er in unsern Augen mit seiner neuesten Eingabe der Aufhebung des Ausweisungsdekretes unwürdig sich erwiesen hat. Zudem kann es nicht im Interesse der Schweiz liegen, agitatorische Elemente aufzunehmen.

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Wir stellen daher den A n t r a g:

Es sei über die Eingabe des Joachim Gehlsen zur Tagesordnung zu schreiten.

Indem wir Ihnen mit diesem Bericht und Antrage sämmtliche bezüglichen Akten vorlegen, benutzen wir gleichzeitig den Anlaß zur erneuerten Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 14. Juni 1889.

Im Namen des schweizerischen Bundesrathes, Der Bundespräsident: Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: ' Bingier.

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Das eidgenössische Finanzdepartement au

die Kommission des schweizerischen Ständerathes in

Sachen des Rekurses Carouge.

Tit.

Unterm 28. März d. J. hat der Nationalrath in Behandlung eines Rekurses der Gemeinde Carouge betreffend Ersatz von Oktroigebühren aus dem Ertrag des Alkoholmonopols folgenden Beschluß gefaßt: fl l) Dem Begehren der Gemeinde Carouge wird insoweit entsprochen, als sich dasselbe auf Entschädigung für dahingefallene Einnahmen aus Abonnements auf Bier und auf den zur Essigbereitung dienenden Alkohol, sowie auf octrois sur les solides bezieht.

,,2) Dagegen wird der Anspruch auf Anerkennung der Entschädigungspflicht für Oktroigebühren, welche aus frühern Jahren stammen, aber erst in den Jahren 1880/81 zur Verrechnung gelangten, abge wiesen.tt Ihre Kommission verlangte nun mit Schreiben vom 29. März abhin beim Bundesrathe Aufschluß über die finanziellen Konsequenzen eines Beschlusses, wie er vom Nationalrath gefaßt worden ist.

Um die Tragweite des nationalräthlichen Beschlusses an Hand von genaueren Angaben beurtheilen zu können, wurden sämmtliche Kantone durch bundesräthliches Kreisschreiben vom 10. Mai um bezügliche Mittheilungen ersucht.

741 Vorausgeschickt wird, daß die Carouger Abonnements auf Bier und Essigalkohol unzweifelhaft den Charakter von Fabrikationsgebühren hatten. Es ergibt sieh nun aus den Antworten der Kantone auf das Kreisschreiben vom 10. Mai, sowie aus andern uns zugänglichen Quellen, daß Fabrikationsgebühren auf geistigen Getränken und Octrois sur les solides sich in den nachgenannten Kantonen und Gemeinden finden : Kanton Bern.

Fabrikationssteuer auf Sprit und Branntwein .

. Fr. 90,270 Kanton Luzern.

Besteuerung d e s Landweins .

.

.

Kanton Uri.

Fabrikationssteuer auf Branntwein und Bier

.

.

Tj

'19,247

.

.

,,

1,004

,,

393

,,

5,414

,,

5,000

,,

50,000

Kanton Glarus.

Fabrikationssteuer auf Branntwein .

.

.

.

Kanton Freiburg.

Fabrikationssteuer auf Branntwein, Bier, Wein und Kunstwein Kanton Soloihurn.

Fabrikationssteuer auf Branntwein und Kunstwein .

Kanton Baselstadt.

Fabrikationssteuer auf Bier .

Kanton GraubUnden.

Fabrikationssteuer a u f Bier .

.

.

.

.

Kanton Aargau.

Ohmgeld der Eigengewächswirthe Kanton Tessin.

Zoll auf Solides

f l

14,002

,,

?

,,

170,000

Kanton Wallis.

Fabrikationssteuer auf Branntwein ,, 23,960 Kanton Neuenburg.

Rebensteuer .

.

.

· ,, 13,000 Gemeinde Genf.

Fabrikationssteuer auf Bier und Octrois sur les solides ,, 150,645 Gemeinde Carouge.

Fabrikationssteuer auf Bier und Essigalkohol und Octrois s u r l e s solides .

.

.

.

.

. 10,545 Total

Fr. 553,480

742 Von den obigen Steuern wurden einzelne infolge der Einführung des Alkoholmonopols abgeschafft, andere werden unseres Wissens noch heute fortbezogen. Auch haben einzelne Kantone, wie z. B. Freiburg und Baselstadt, für die abgeschafften Gebühren keinen Ersatz aus dem Ertrag des Monopols verlangt, während andere, wie z. B. Bern, Uri, Graubünden, Genf und Carouge, ihre bezüglichen Ansprüche trotz der Abweisung derselben durch den Bundesrath ganz oder theilweise aufrecht erhalten. Soviel über die Fabrikationssteuern auf geistigen Getränken und über die Oktrois auf ändern Gegenständen, als geistigen Getränken.

Die nationalräthliche Kommission, welche den Eingangs erwähnten Beschluß des Nationalrathes vorbereitet hat, bespricht in den in ihrem Bericht vom 26. März d. J. niedergelegten Motiven aber nicht nur die Frage der Abschaffung und des Ersatzes derartiger Fabrikationssteuern und Oktrois. Sie streift auch die in den Art. 31 und 32 bis der Bundesverfassung erwähnten, durch das Alkoholmonopol abgeschafften Steuern auf dem in Quantitäten von über zwei Litern sich vollziehenden Handel mit Wein und Bier.

Sollen auch diese Steuern -- was bis jetzt von keiner Seite verlangt wurde, was sich aber als Konsequenz des Beschlusses des Nationalrathes oder doch wenigstens als Konsequenz der Motive seiner Kommission zu ergeben scheint -- aus den Reineinnahmen des Alkoholmonopols ersetzt werden müssen, so stehen für letzteres weitere namhafte Ausgaben in Sicht.

Zwar lassen sich aus den Antworten der Kantone keine bestimmten Angaben über den jahresdurchschnittlichen Ertrag der Handelssteuern auf Wein und Bier zusammenstellen. Wir wissen nur, daß solche in den Kantonen Bern, Freiburg, Baselstadt, St. Gallen, Aargau und Waadt zur Erhebung gelangten, resp. gelangen, und daß sie allein für diese 6 Kantone mit einer Summe von jährlich über Fr. 500,000 compariren.

Aus obiger Darstellung, so lückenhaft sie ist, ergibt sich doch, daß die unveränderte Gutheißung des Beschlusses des Nationalrathes und des Motivenberichts seiner Kommission für die Vertheilung der Einnahmen aus dem Monopol von nicht zu unterschätzender Tragweite wäre.

Mit ausgezeichneter Hochachtung!

B e r n , den 13. Juni 1889.

Das eidg. Finanzdepartement: Hammer.

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Bericht des Bundesrathes an die Bundesversammlung über den Antrag des Heinrich Joachim Gehlsen betreffend die Aufhebung seiner Ausweisung. (Vom 14. Juni 1889.)

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1889

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3

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28

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29.06.1889

Date Data Seite

735-742

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10 014 449

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