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Abklärungen zur versuchten Erpressung von Bundesrat Alain Berset Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen des Nationalrates und des Ständerates vom 14. Juni 2022

2022-2460

BBl 2022 2083

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Übersicht Die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) klärten Vorwürfe von zwei Wochenzeitungen im Zusammenhang mit einem Strafverfahren gegen die Person, die versucht hatte, Bundesrat Alain Berset zu erpressen, ab. Die Abklärungen führten zum Schluss, dass ­

die Bundesanwaltschaft (BA) Bundesrat Alain Berset keine Vorzugsbehandlung gewährte,

­

die Bundeskriminalpolizei (BKP) keinen unverhältnismässigen Polizeieinsatz durchgeführt hat,

­

der Einsatz von Stabsmitarbeitenden durch Bundesrat Alain Berset zur Abwehr des Erpressungsversuchs geringfügig und der Sache angemessen war,

­

die Benutzung des Repräsentationsfahrzeuges durch Bundesrat Alain Berset für eine Rückfahrt von einem privaten Wochenende in Deutschland legal war und

­

die Verdächtigung, Bundesrat Alain Berset könnte die Hotelrechnung zu Lasten des Bundes beglichen haben, unbegründet war.

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Bericht 1

Einleitung

1.1

Ausgangslage

Am 21. November 2020 berichtete die Wochenzeitung «Die Weltwoche» von einer versuchten Erpressung von Bundesrat Alain Berset durch eine ehemalige Freundin (im Folgenden als A. bezeichnet).1 A. soll im Dezember 2019 versucht haben, 100 000 Franken von ihm zu erpressen. Gemäss der Wochenzeitung erstattete Bundesrat Alain Berset Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft (BA), was zur Anhaltung von A. und schliesslich zu ihrer Verurteilung mit Strafbefehl vom 14. September 2020 wegen versuchter Erpressung führte. Die Wochenzeitung warf der BA im Zusammenhang mit dem Strafverfahren vor, Bundesrat Alain Berset bevorzugt behandelt zu haben, indem die Namen der Beteiligten geheim gehalten und Beweismaterial, d. h. Bild- und Textmaterial, vernichtet und von den Geräten von A. endgültig gelöscht worden seien.

In Absprache mit den Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) beschloss die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA), die Vorwürfe gegen die BA abzuklären und den GPK Bericht zu erstatten.

Am 16. September 2021 veröffentlichte «Die Weltwoche» Details aus den inzwischen in ihren Besitz gelangten Strafakten und erhob weitere Vorwürfe.2 Unter anderem warf sie Bundesrat Alain Berset vor, Mitarbeiter (Generalsekretär, Kommunikationschef) zur Regelung einer privaten Angelegenheit eingesetzt und ein Repräsentationsfahrzeug für private Treffen mit A. missbraucht zu haben. Weiter soll er im Strafverfahren via seinen Anwalt falsche Aussagen gemacht und sich der Erpressbarkeit ausgesetzt haben. Im Weiteren warf sie der Bundeskriminalpolizei (BKP) vor, bei der Anhaltung von A. mit unverhältnismässiger Härte vorgegangen zu sein, indem sieben Bundeskriminalpolizisten der Interventionsgruppe «Tigris» in ihr Haus eingedrungen seien.

Am 19. September 2021 veröffentlichte die «NZZ am Sonntag» weitere Einzelheiten über die angebliche Verwendung eines Repräsentationsfahrzeuges.3 So soll Bundesrat Alain Berset am 23. September 2012 nach einem privaten Treffen mit A. ein Repräsentationsfahrzeug mit Chauffeurin zum Rücktransport aus Süddeutschland benutzt haben. Nach eigenen Angaben der NZZ am Sonntag stützte sie sich auf Informationen ausserhalb der Strafakten. Nach Aussagen von namentlich nicht genannten Personen soll Bundesrat Alain Berset die Bundesratslimousine mehr als dieses eine Mal für private Zwecke benutzt
haben. Auf die Frage, ob Bundesrat Alain Berset bei der Begleichung der Rechnung eines Hotels in Freiburg im Breisgau für zwei Nächte vom 21. bis 23. September 2012 eine private oder eine amtliche Kreditkarte benutzt habe, habe die NZZ am Sonntag vom Kommunikationschef keine Antwort erhalten.

1 2 3

Weltwoche vom 21. November 2020, «Berset: Erpressung und Vertuschung».

Weltwoche vom 16. September 2021, «Frau, von Bersets Truppe plattgewalzt».

NZZ am Sonntag vom 19. September 2021, «Alain Bersets heikle Fahrt».

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1.2

Auftrag und Gegenstand der Abklärungen

Die GPK-S und die GPK-N erteilten am 12. bzw. am 22. Oktober 2021 ihren Subkommissionen Gerichte/BA zusätzlich zu den bereits laufenden Abklärungen den Auftrag, die Verhältnismässigkeit des Einsatzes der Interventionsgruppe «Tigris» zu überprüfen. Im Weiteren beauftragten sie die Subkommission Gerichte/BA-N und die Subkommission EJPD/BK-S, die von Der Weltwoche vom 16. September 2021 und der NZZ am Sonntag vom 19. September 2021 erhobenen Vorwürfe des missbräuchlichen Einsatzes von Bundesmitteln durch Bundesrat Alain Berset (Personaleinsatz zu privaten Zwecken, Bundesratsfahrzeug, Kreditkarte) abzuklären.4 Die beauftragten Subkommissionen legten die folgenden Abklärungsfragen fest: 1.

Hat die BA im Rahmen des Strafverfahrens Bundesrat Alain Berset wegen seiner Position bevorzugt oder anders als vom Gesetz vorgegeben und üblich behandelt?

2.

War der Einsatz der Interventionsgruppe «Tigris» der BKP zur Anhaltung der mutmasslichen Täterin verhältnismässig und gemäss den Richtlinien?

3.

Hat Bundesrat Alain Berset zur Abwehr des Erpressungsversuchs durch A. Mitarbeiter seines Stabes zu privaten Zwecken eingesetzt? Und falls ja, erfolgte dieser Einsatz rechtmässig?

4.

Hat Bundesrat Alain Berset für den Rücktransport von Freiburg im Breisgau vom 23. September 2012 ein Repräsentationsfahrzeug zu privaten Zwecken eingesetzt? Falls ja, erfolgte dieser Einsatz rechtmässig?

5.

Hat Bundesrat Alain Berset zur Begleichung der Hotelrechnung für einen allfälligen privaten Aufenthalt mit A. in Süddeutschland vom 21. bis 23. September 2012 eine private oder eine amtliche Kreditkarte, Debitkarte oder ein ähnliches Zahlungsmittel verwendet?

1.3

Vorgehen

Die Subkommissionen Gerichte/BA der GPK erhielten von der AB-BA einen Zwischenbericht sowie einen kurzen Schlussbericht und hörten zweimal eine Vertretung der AB-BA und einmal eine Vertretung der BA an. Weiter holten Sie vom Bundesamt für Polizei (fedpol) einen Bericht ein und hörten eine Vertretung des fedpol an.

Die Subkommissionen Gerichte/BA-N und EJPD/BK-S beauftragten das Sekretariat, zur Verifizierung des Sachverhalts in das abgeschlossene Strafverfahren SV.19.1448BSI Einsicht zu nehmen und den Subkommissionen einen Bericht über die untersuchungsrelevanten Inhalte des Strafdossiers zu erstatten. Die Präsidien der Subkommissionen überprüften den Bericht anhand des Strafdossiers. Dieses Verfahren hatte zum Ziel, den Zugang zu den vertraulichen Akten gemäss den Weisungen der GPK

4

Medienmitteilung der GPK-NS vom 25. Oktober 2022: GPK klären weitere Vorwürfe im Zusammenhang mit der versuchten Erpressung von Bundesrat Alain Berset ab.

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zum Geheimnisschutz einzuschränken (Ziff. 5 Bst. b5). Die Subkommissionen holten zudem zwei Berichte von der Bundeskanzlei ein und richteten einzelne schriftliche Fragen an das Generalsekretariat des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI). Im Weiteren hörten sie den ehemaligen Generalsekretär des EDI, den Kommunikationschef des EDI sowie am Schluss Bundesrat Alain Berset an.

Der vorliegende Bericht wurde vor der Genehmigung durch die GPK und der Veröffentlichung allen betroffenen Behörden sowie Bundesrat Alain Berset in Konsultation gegeben. Die GPK haben die Änderungsanträge aus der Konsultation geprüft und teilweise berücksichtigt.

Am 14. Juni 2022 genehmigten die GPK den Bericht und beschlossen, ihn zu veröffentlichen.

2

Der Sachverhalt der versuchten Erpressung in Kürze

Aus den Akten des Strafverfahrens SV.19.1448-BSI der Bundesanwaltschaft sowie aus den Anhörungen der Subkommissionen ist der folgende, in Bezug auf die vorliegenden Fragen relevante Sachverhalt zu entnehmen: Am 21. November 2019 erhielt Bundesrat Alain Berset von A. ein erstes Erpressungsmail. Über dieses Mail orientierte er am gleichen Abend seinen damaligen Generalsekretär. Am 23. November 2019 informierte er zudem seinen Kommunikationschef über die Situation. In den folgenden Tagen folgten weitere Erpressungsmails. A. versuchte Bundesrat Alain Berset zu erpressen, indem sie drohte, bei Nichtbezahlung von 100'000 Franken die seinerzeitige Liebesbeziehung öffentlich zu machen und Beweise über die Verwendung des Bundesratsfahrzeuges für private Besuche, z. T. in Deutschland, offen zu legen.

In den ersten zwei Tagen des Erpressungsversuchs war für Bundesrat Alain Berset nicht klar, ob A. tatsächlich die Urheberin der Nachrichten war und ob sie alleine oder mit Komplizen handelte. Danach zielten seine Bemühungen darauf ab, sie vom Erpressungsversuch abzubringen. Am 2. Dezember 2019 nahm Bundesrat Alain Berset erstmals Kontakt zu seinem Anwalt auf. Am 12. Dezember 2019 erstattete er Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft (BA).

Am 13. Dezember 2019 wurde A. vor ihrem Haus von einer Polizistin und zwei Polizisten in Zivilkleidung angehalten und anschliessend in ihr Haus gebracht. Die drei Beamten führten zusammen mit einem vierten Beamten eine Hausdurchsuchung durch. Sie waren alle in Zivil. A. wehrte sich nicht gegen die Anhaltung und verhielt sich kooperativ. Anschliessend wurde A. nach Bern zur Einvernahme gebracht. Gleichentags wurde sie wieder entlassen. Am Tag vor der Anhaltung hatte A. ein Schreiben per Post an Bundesrat Alain Berset abgeschickt, in dem sie von ihrer Geldforderung Abstand nahm. Das Schreiben erreichte Bundesrat Alain Berset erst am 16. Dezember 2019.

5

Weisungen der GPK über ihre Massnahmen zum Geheimnisschutz vom 27. Januar 2012, veröffentlicht auf der Website der GPK.

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A. wurde mit Strafbefehl vom 14. September 2020 wegen versuchter Erpressung verurteilt. Der Strafbefehl ist rechtskräftig; das Strafverfahren ist damit abgeschlossen.

3

Feststellungen zu den Abklärungsfragen

3.1

Wurde im Strafverfahren Rücksicht auf die Prominenz des Opfers genommen?

In ihrer Berichterstattung an die GPK stellte die AB-BA fest, dass sie im Rahmen ihrer Abklärungen auf keine Hinweise gestossen sei, die auf ein unvollständiges Aktenverzeichnis oder eine Unterdrückung von Beweismaterial hindeuten würden.

Die Löschung der Daten auf den elektronischen Geräten von A. sei korrekt erfolgt.

Wie die GPK feststellte, befindet sich eine forensische Spiegelung der Daten bei den Strafverfolgungsbehörden.

Die AB-BA war der Meinung dass die BA sie als Aufsichtsbehörde hätte über dieses Strafverfahren informieren sollen ­ was die BA unterlassen hatte ­, da es sich um ein Verfahren mit systemischer Bedeutung gehandelt habe, weil es sich beim Geschädigten, Bundesrat Alain Berset, um eine stark in der Öffentlichkeit stehende Magistratsperson handelte und somit Reputationsrisiken oder sonstige potenzielle Risiken nicht auszuschliessen waren. Inzwischen hat die AB-BA genauer definiert, über welche Fälle sie künftig von der BA informiert werden will.

Im Weiteren äusserte sich die AB-BA zum Umfang der Anonymisierung im Strafbefehl vom 14. September 2020, in welchem sowohl der Name von Bundesrat Alain Berset (hiernach: Opfer), als auch der Name von A. (hiernach: Täterin) sowie die Namen der Banken, des Anwalts von Bundesrat Alain Berset sowie teilweise von involvierten Mitarbeitenden der BA geschwärzt waren. Die Anonymisierung des Namens von Bundesrat Alain Berset sei im Sinne der Verhinderung einer sekundären Viktimisierung zum Schutz seiner Persönlichkeitsrechte nicht zu beanstanden. Der sonstige Umfang der Anonymisierung des Strafbefehls erscheine hingegen extensiv und unnötig.

In der Anhörung vor den Subkommissionen Gerichte/BA führte die AB-BA aus, dass die Anonymisierung des Namens des Opfers bei solchen Delikten Standard sei, hingegen sei jene der Täterin mit Blick auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)6 problematisch. Artikel 6 EMRK verlangt grundsätzlich, dass Strafverfahren öffentlich sind.

Die BA begründete die Anonymisierung damit, dass wegen der involvierten Personen die Einschränkung der Öffentlichkeit nach Artikel 70 der Strafprozessordnung (StPO)7 geprüft wurde. Sowohl die geschädigte als auch die beschuldigte Person haben gewünscht, dass die Angelegenheit nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte. Im

6 7

Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK; SR 0.101).

Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung; SR 312.0).

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Fall des Opfers habe man dem Anliegen aus den bereits genannten Gründen stattgegeben; im Fall der Täterin habe man eine Anonymisierung vorgenommen, weil von ihrem Namen möglicherweise auf den Namen des Opfers hätte geschlossen werden können.

Im Übrigen sind dem Strafverfahrensdossier keine Hinweise zu entnehmen, dass die BA A. wegen der Prominenz des Opfers anders oder strenger als üblich behandelt hätte. Dass etwa Druck auf sie ausgeübt worden wäre, eine Vereinbarung zu unterschreiben, ist aus den Strafakten nicht erkennbar. Umgekehrt liegen den GPK auch keine Hinweise vor, dass Bundesrat Alain Berset als Opfer bevorzugt behandelt worden wäre. Zum einen werden Opfer im Strafverfahren generell wenn immer möglich geschont. So ist es etwa zulässig und nicht unüblich, dass das Opfer nur schriftlich einvernommen wurde anstatt mündlich. Die Erledigung des Strafverfahrens per Strafbefehl war im vorliegenden Fall gesetzlich zulässig.

3.2

War der Einsatz der Interventionsgruppe «Tigris» verhältnismässig?

Nach Eingang der Strafanzeige am 12. Dezember 2019 erteilte die BA der BKP um 13 Uhr den Auftrag, A. anzuhalten und der BA zur Befragung zuzuführen sowie an ihrem Domizil eine Hausdurchsuchung durchzuführen und Beweismittel sicherzustellen. An einer Lagebesprechung um 17 Uhr wies die BA die BKP an, A. nicht schon am gleichen Abend, sondern erst am nächsten Morgen diskret anzuhalten. Weitere Anweisungen, wie und durch wen der Einsatz durchgeführt werden sollte, erteilte die BA nicht. Dies entspricht der in allen Staatsanwaltschaften der Kantone und des Bundes üblichen Arbeitsteilung, wonach die Staatsanwaltschaft die Gerichtspolizei anweist, was getan werden soll, und die zuständige Gerichtspolizei danach über das «Wie», d. h. über die Mittel und das Einsatzdispositiv, entscheidet.

Am Morgen des 13. Dezember 2019 wurde A. vor ihrem Haus von einer Polizistin und zwei Polizisten in Zivil angehalten. Einige weitere Einsatzkräfte (insb. die Interventionsgruppe «Tigris») hielten sich als Reserve und für den Fall einer möglichen Eskalation unsichtbar im Hintergrund auf. Beamte der Interventionsgruppe «Tigris» werden von der BKP üblicherweise für Festnahmen von Tatverdächtigen, die sich selbst, Dritte oder die Einsatzkräfte gefährden könnten, eingesetzt. Ausschlaggebend für den Einsatzleiter war im vorliegenden Fall, dass es einige Unbekannten gab und keine Risiken eingegangen werden sollten.

Nach Angaben von fedpol spielte der Umstand, dass es sich beim Opfer um ein Mitglied des Bundesrates handelte, bei der Festlegung des Einsatzdispositivs keine Rolle, ausser, dass zur Wahrung der Vertraulichkeit ein Codenamen für das Opfer und die Beschuldigte verwendet und der Zugang zum elektronischen Dossier des Falles auf Personen beschränkt wurde, die am Einsatz beteiligt waren. Diese Vorgehensweise wird bei politisch, diplomatisch oder medial besonders sensiblen Einsätzen angewendet.

fedpol hielt in seiner Stellungnahme fest, dass im vorliegenden Fall wie üblich nach den Richtlinien und polizeilichen Standards des Schweizerischen Polizei-Instituts

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(SPI), die von allen Schweizer Polizeien angewendet werden, vorgegangen worden sei.

Direktkontakte zwischen der BKP und dem Opfer, Bundesrat Alain Berset, oder Versuche, auf das Einsatzdispositiv der BKP Einfluss zu nehmen, gab es keine.

3.3

Einsatz von Stabsmitarbeitenden zu privaten Zwecken

Nach Aussage von Bundesrat Alain Berset informierte er nach Eingang des ersten Erpressungsmails von A. am 21. November 2019 bewusst seinen damaligen Generalsekretär, da zunächst nicht klar war, ob es sich bei der Absenderin tatsächlich um A.

handelte und ob die Angelegenheit rein privater Natur war oder ob ein Zusammenhang mit seinem Amt bestand. Die Wahl sei auf den Generalsekretär gefallen, weil dieser als vom Bundesrat gewählte Person innerhalb des Departements eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber dem Departementschef besitzt. Zudem sei es Bundesrat Alain Berset wichtig gewesen, sofort Transparenz über die Angelegenheit zu schaffen. Damit habe er auch signalisieren wollen, dass er sich nicht erpressen lassen würde. Ausserdem sei es ihm darum gegangen, im Austausch mit einer kompetenten Person einen verhältnismässigen und bestmöglichen Weg zu finden, in der gegebenen Situation zu reagieren.

Im Zusammenhang mit der Abwehr des Erpressungsversuchs hat der ehemalige Generalsekretär ein paar Telefongespräche geführt, einige Mails geschrieben und ein paar Besprechungen geführt. Seinen Arbeitsaufwand schätzt er auf ca. 3,75 Stunden in einem Zeitraum von ca. drei Wochen. Die GPK konnten die Angaben anhand einer detaillierten Chronologie aus dem Strafdossier nachvollziehen. Der ehemalige Generalsekretär empfand den Aufwand für diese Angelegenheit als vernachlässigbar im Vergleich zu seinem Arbeitspensum, das häufig 60 und mehr Stunden pro Woche umfasste. Er habe auch keinerlei negative Auswirkungen auf die Bewältigung der Amtsgeschäfte durch seinen damaligen Chef gespürt. Aus seiner Sicht war es normal und richtig, dass er als Generalsekretär involviert wurde, da man eine Interdependez zum Amt des Departementschefs nicht ausschliessen konnte.

Am 23. November 2019 informierte Bundesrat Alain Berset seinen Leiter Kommunikation über die Angelegenheit und hielt ihn über die weitere Entwicklung auf dem Laufenden. Die Aufgabe des Leiters Kommunikation war es, für allfällige Medienanfragen vorbereitet zu sein. Vor der Publikation des Erpressungsversuchs durch die Weltwoche gingen bei ihm keine Medienanfragen ein; danach beschränkten sich seine Auskünfte im Wesentlichen auf die Bestätigung des Erpressungsversuchs. Im Übrigen verwies er auf den Anwalt von Bundesrat Alain Berset. Sein Engagement beschränkte
sich insgesamt auf ein paar Stunden.

In Bezug auf den Einsatz von Mitarbeitenden durch Mitglieder des Bundesrates für private Angelegenheiten existieren keine spezifischen Vorschriften oder Empfehlungen. Nach Artikel 20 Absatz 1 Bundespersonalgesetz (BPG)8 haben die Angestellten 8

Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 (BPG; SR 172.220.1).

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des Bundes aber die berechtigten Interessen des Bundes bzw. ihres Arbeitgebers zu wahren. Aus Sicht der Bundeskanzlei ist es nicht zu beanstanden, wenn ein Mitglied des Bundesrates zur Abwehr eines Erpressungsversuchs in beschränktem Umfang den Beizug von engen Mitarbeitenden vorsieht. Auch wenn eine solche Angelegenheit an private Sachverhalte anknüpfe, sei kaum vorstellbar, dass sie die Amtsausübung in keiner Weise tangiere und eine trennscharfe Abgrenzung zum privaten Bereich möglich sei.

Anfang Dezember 2019 informierte Bundesrat Alain Berset anlässlich eines jeden Morgen stattfindenden Briefings seine engsten Mitarbeitenden, damit sie für allfällige Weiterungen vorbereitet waren und die Angelegenheit nicht aus den Medien erfahren würden. Am 13. Dezember 2019, nachdem die Situation mit der Anhaltung und Einvernahme von A. geklärt war, informierte Bundesrat Alain Berset schliesslich den damaligen Bundespräsidenten und die Vorsteherin des EJPD.

3.4

Einsatz eines Repräsentationsfahrzeuges im Ausland für private Zwecke

Bundesrat Alain Berset bestätigte den GPK, für den Rücktransport aus Freiburg im Breisgau (D) nach einem privaten Aufenthalt mit A. am 23. September 2012 sein ihm zugeteiltes Repräsentationsfahrzeug mit Chauffeurin in Anspruch genommen zu haben, um an diesem Sonntag in Bern zu den Ergebnissen des Abstimmungswochenendes Stellung zu nehmen. Die Fahrt diente somit einem teils privaten und teils dienstlichen Zweck. Im vorliegenden Fall diente die Rückfahrt mit dem Repräsentationsfahrzeug der Möglichkeit, unterwegs zu arbeiten.

Die gesetzliche Grundlage zur Verwendung von Repräsentationsfahrzeugen durch die Mitglieder des Bundesrates bildet Ziffer 4.1.1 Absatz 1 des Spesenreglements für die Mitglieder des Bundesrates9, wo steht: «Den Mitgliedern des Bundesrates und dem Bundeskanzler / der Bundeskanzlerin steht für Dienst- und Privatfahrten im In- und Ausland während ihrer Amtsausübung ein Repräsentationsfahrzeug mit Chauffeur (Angestellter des betreffenden Departements oder der BK) zur Verfügung.» Formellgesetzliche Grundlage für das Spesenreglement ist Artikel 2 des Bundesgesetzes über Besoldung und berufliche Vorsorge der Magistratspersonen10. Hingegen ist die enger gefasste Regelung von Art. 14 der Verordnung über die Fahrzeuge des Bundes11 für die Verwendung von Repräsentationsfahrzeugen für Mitglieder des Bundesrates nicht anwendbar (vgl. Art 2 Abs. 1 VFBF e contrario).

9

10

11

Spesenreglement für die Mitglieder des Bundesrates und die Bundeskanzlerin / den Bundeskanzler vom 1. Januar 2007 (Fassung per 1. Januar 2015), im Anhang zum Aide-mémoire für die Mitglieder des Bundesrates und die Bundeskanzlerin / den Bundeskanzler vom 5. November 2014 (Stand 1. März 2020).

Bundesgesetz über Besoldung und berufliche Vorsorge der Magistratspersonen vom 6. Oktober 1989 (SR 172.121); Art. 2 Repräsentationsauslagen lautet: Im Voranschlag der Schweizerischen Eidgenossenschaft wird für die Mitglieder des Bundesrates und für den Bundeskanzler ein jährlicher Kredit zur Deckung der Repräsentationsauslagen eingesetzt.

Verordnung über die Fahrzeuge des Bundes und ihre Führer und Führerinnen vom 23. Februar 2005 (VFBF, SR 514.31).

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Die Verwendung eines Repräsentationsfahrzeuges für eine teils private Fahrt im Ausland war somit rechtmässig.

3.5

Privates oder amtliches Zahlungsmittel zur Begleichung einer Hotelrechnung?

Die Wochenzeitung, welche die Fahrt von Bundesrat Alain Berset mit dem Repräsentationsfahrzeug von Deutschland in die Schweiz publik machte (vgl. Ziff. 3.4), insinuierte, dass dieser die privaten Auslagen für das Hotel in Freiburg im Breisgau zu Lasten des Bundes beglichen haben könnte. Für diese Vermutung formulierte die Wochenzeitung keine begründeten Verdachtsmomente. Die Abklärungen der GPK ergaben, dass Bundesrat Alain Berset für die Bezahlung der Hotelrechnung kein amtliches Zahlungsmittel verwendet, sondern die Hotelrechnung privat bezahlt hat.

4

Beurteilung und Schlussfolgerungen

Im Folgenden geben die GPK eine Beurteilung der von ihr gemachten Feststellungen ab und ziehen daraus ihre Schlussfolgerungen.

4.1

Wurde im Strafverfahren Rücksicht auf die Prominenz des Opfers genommen?

1.

Das Strafverfahren wurde von der BA nach den den GPK vorliegenden Informationen nach den Regeln der Strafverfolgung durchgeführt. Es ist nicht ersichtlich, dass auf die Wünsche des Opfers wegen seiner Prominenz mehr als üblich Rücksicht genommen wurde. Dass der Name des Opfers anonymisiert wurde, enspricht bei Delikten dieser Art dem Standard und ist nicht zu beanstanden.

2.

Ebenfalls unbegründet sind die Verdächtigungen, A. sei wegen der Prominenz oder gar auf Druck des Opfers härter angefasst worden als üblich.

3.

Die GPK bewerten den Entscheid der BA, die Anonymisierung relativ weitgehend vorzunehmen und insbesondere den Namen von A. zu anonymisieren, in Respektierung der Gewaltenteilung nicht.

4.2 4.

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War der Einsatz der Interventionsgruppe «Tigris» verhältnismässig?

Den GPK liegen keine Hinweise vor, dass die Polizeikräfte bei der Anhaltung von A., bei der Hausdurchsuchung oder bei der Zuführung zur Befragung unverhältnismässig vorgegangen sein könnten.

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5.

4.3

Die GPK gehen nach ihren Abklärungen davon aus, dass es keine Versuche von Seiten von Bundesrat Alain Beset oder seines Anwalts gab, Einfluss auf das Vorgehen der Polizei zu nehmen.

Einsatz von Stabsmitarbeitenden zu privaten Zwecken

6.

Dass Bundesrat Alain Berset nach Eingang des Erpressungsversuches seinen Generalsekretär informierte, ist nicht zu beanstanden. Es wäre im Gegenteil unverantwortlich gewesen, die Angelegenheit ausschliesslich privat zu betrachten. Denn ein Bezug zu seinem Amt war nicht auszuschliessen. Der Versuch, ein amtierendes Regierungsmitglied zu erpressen, hat immer auch einen Bezug zum Amt, auch wenn es sich um eine «private» Angelegenheit handelt.

Dass Bundesrat Alain Berset schliesslich auch den Bundespräsidenten und die Vorsteherin des EJPD informierte, war folgerichtig.

7.

Das zeitliche Engagement des Generalsekretärs und des Leiters Kommunikation war geringfügig und der Sache angemessen.

4.4 8.

4.5 9.

Einsatz eines Repräsentationsfahrzeuges im Ausland für private Zwecke Die Benutzung des Repräsentationsfahrzeugs für die Rückfahrt aus Deutschland am Abstimmungssonntag vom 23. September 2012 war legal und ist nicht zu beanstanden.

Verwendetes Zahlungsmittel Die Abklärungen der GPK ergaben, dass Bundesrat Alain Berset für die Bezahlung der Hotelrechnung für einen privaten Aufenthalt in Freiburg im Breisgau (D) vom 21. bis 23. September 2012 kein amtliches Zahlungsmittel verwendet, sondern die Hotelrechnung privat bezahlt hat.

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5

Weiteres Vorgehen

Die GPK ersuchen den Bundesrat, die AB-BA sowie die BA, bis am 31. August 2022 zum vorliegenden Bericht Stellung zu nehmen.

14. Juni 2022

Im Namen der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte Die Präsidentin der GPK-N: Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo Der Präsident der GPK-S: Ständerat Matthias Michel Die Präsidentin der Subkommission Gerichte/BA-N: Nationalrätin Manuela Weichelt Der Präsident der Subkommission Gerichte/BA-S: Ständerat Hans Stöckli Der Präsident der Subkommission EJPD/BK-S: Ständerat Daniel Fässler Die Sekretärin der Geschäftsprüfungskommissionen: Beatrice Meli Andres Die Sekretärin der Subkommissionen Gerichte/BA: Irene Moser

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Verzeichnis der angehörten Personen Berset, Alain

Bundesrat, Vorsteher des Eidgenössischen Departementes des Innern

Blättler, Stefan

Bundesanwalt (seit 1. Januar 2022)

Bruhin, Lukas

ehemaliger Generalsekretär des Eidgenössischen Departementes des Innern

Callandret, Yanis

Chef der Bundeskriminalpolizei (BKP)

della Valle, Nicoletta

Direktorin des Bundesamtes für Polizei (fedpol)

Gättelin, Patrick

Leiter des Sekretariats AB-BA

Heine, Alexia

Präsidentin der AB-BA (seit 1. Januar 2022)

Lauener, Peter

Kommunikationschef des Eidgenössischen Departementes des Innern

Meyer-Burger, Simone

Staatsanwältin des Bundes

Montanari, Ruedi

Stellvertretender Bundesanwalt

Thommen, Marc

Vizepräsident der AB-BA

Uster, Hanspeter

Präsident der AB-BA (bis 31. Dezember 2021)

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Abkürzungsverzeichnis AB-BA

Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft

BA

Bundesanwaltschaft

BK

Bundeskanzlei

BKP

Bundeskriminalpolizei

BPG

Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 (SR 172.220.1)

EDI

Eidgenössisches Departement des Innern

EJPD

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement

EMRK

Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (SR 0.101)

fedpol

Bundesamt für Polizei

FHV

Finanzhaushaltverordnung vom 5. April 2006 (SR 611.01)

GPK

Geschäftsprüfungskommissionen

GPK-N

Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates

GPK-S

Geschäftsprüfungskommission des Ständerates

ParlG

Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Bundesversammlung (SR 171.10)

PSPV

Verordnung vom 4. März 2011 über die Personensicherheitsprüfungen (SR 120.4)

SPI

Schweizerisches Polizei-Institut

SR

Systematische Sammlung des Bundesrechts

StBOG

Bundesgesetz vom 19. März 2010 über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz, SR 173.71)

StPO

Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung; SR 312.0)

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