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22.427 Parlamentarische Initiative Bundesgericht. Erhöhung der Zahl der ordentlichen Richterinnen und Richter Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 23. Juni 2022 Stellungnahme des Bundesrates vom 24. August 2022

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 23. Juni 20221 betreffend die parlamentarische Initiative 22.427 «Bundesgericht. Erhöhung der Zahl der ordentlichen Richterinnen und Richter» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

24. August 2022

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ignazio Cassis Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Die Verwaltungskommission des Bundesgerichts richtete am 21. Dezember 2021 ein Schreiben an die Kommissionen für Rechtsfragen (RK), mit Kopie an die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK), in dem sie zur Bewältigung der kontinuierlich steigenden Zahl an Gerichtsgeschäften darum ersuchte, die Richterstellen am Bundesgericht von 38 auf 40 zu erhöhen.

Die GPK brachten mit Schreiben vom 5. April 2022 zuhanden der RK ihre Unterstützung für dieses Anliegen zum Ausdruck. Sie empfahlen den RK, eine parlamentarische Initiative auszuarbeiten mit dem Ziel, die Verordnung der Bundesversammlung vom 30. September 20112 über die Richterstellen am Bundesgericht zu ändern.

An ihrer Sitzung vom 8. April 2022 nahm die RK des Nationalrates (RK-N) von den Schreiben der Verwaltungskommission des Bundesgerichts und der GPK Kenntnis und beschloss mit 18 zu 4 Stimmen bei 1 Enthaltung, eine parlamentarische Initiative im Sinne des Antrags des Bundesgerichts einzureichen. Die RK des Ständerates (RK-S) folgte dem Beschluss ihrer nationalrätlichen Schwesterkommission am 26. April 2022 einstimmig. Mit 15 zu 6 Stimmen bei 0 Enthaltung stimmte die RK-N am 23. Juni 2022 einem Entwurf zur Änderung der Verordnung zu, mit dem die Zahl der ordentlichen Richterinnen und Richter am Bundesgericht von 38 auf 40 erhöht wird. Darüber hinaus bat sie den Bundesrat um Stellungnahme.

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Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat stellt fest, dass das Problem der Überlastung des Bundesgerichts seit vielen Jahren besteht. Bereits die Totalrevision der Bundesrechtspflege verfolgte das Ziel, das Gericht wirksam und nachhaltig zu entlasten, den Rechtsschutz zu erhöhen und die Rechtswege zu vereinfachen. Bei der Verabschiedung des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 20053 (BGG) sah der Bundesgesetzgeber in Artikel 1 vor, dass das Bundesgericht aus 35­45 ordentlichen Bundesrichterinnen und Bundesrichtern besteht (Abs. 3), und beauftragte die Bundesversammlung, die Zahl der Richterinnen und Richter in einer Verordnung festzulegen (Abs. 5). Entsprechend legte das Parlament die Zahl der ordentlichen Richterinnen und Richter auf 38 fest (Art. 1 Bst. a der Verordnung der Bundesversammlung über die Richterstellen am Bundesgericht). Dieser Bestand wurde bei der Überprüfung im Jahr 2011, ausgehend von einer geschätzten Zahl von 7400 Geschäften, beibehalten.4 Somit hat sich die Zahl der ordentlichen Richterinnen und Richter seit dem 1. Januar 2007, als das BGG und die Verordnung

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SR 173.110.1 SR 173.110 Bericht der RK-S vom 21. Februar 2006 zur parlamentarischen Initiative «Anzahl Richter am Bundesgericht. Verordnung der Bundesversammlung» (BBl 2006 3475 S. 3488).

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der Bundesversammlung über die Richterstellen am Bundesgericht in Kraft traten, nicht verändert.

In seinem Bericht vom 30. Oktober 20135 über die Gesamtergebnisse der Evaluation der neuen Bundesrechtspflege hielt der Bundesrat fest, dass nach einem zeitweisen Rückgang der Geschäfte die Arbeitslast des Bundesgerichts wieder zuzunehmen begann. Er beschloss daher, eine Teilrevision des BGG vorzunehmen. Ziel war es einerseits, die Fehlbelastung des Bundesgerichts zu korrigieren, und andererseits, den Rechtsschutz zu verbessern. Am 15. Juni 2018 unterbreitete er dem Parlament eine Vorlage zur Änderung des BGG zusammen mit der Botschaft6. Die Vorlage scheiterte jedoch in der Parlamentssession vom März 2020. Die beiden Räte traten nicht auf die Vorlage ein mit der Begründung, dass die Forderung des Bundesgerichts, die subsidiäre Verfassungsbeschwerde abzuschaffen, keine Mehrheit gefunden hatte.

Nachdem die Revision des BGG 2018 gescheitert war, befasste sich die Bundesversammlung erneut mit der Problematik. So nahm der Ständerat am 1. März 2021 das Postulat 20.4399 Caroni «Für ein modernes Bundesgerichtsgesetz» an. Mit diesem parlamentarischen Vorstoss wurde der Bundesrat beauftragt, in einem Bericht darzulegen, wie das BGG dergestalt modernisiert werden kann, dass die Belastung des Bundesgerichts und der Rechtsschutz optimiert werden. Dem Wortlaut des Postulats entsprechend wird die Frage der Einschränkung der subsidiären Verfassungsbeschwerde nicht behandelt werden. Der Bundesrat hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beziehungsweise das Bundesamt für Justiz mit den Arbeiten betraut. Es ist vorgesehen, dass der Bundesrat den Bericht im Verlauf des Jahres 2023 verabschiedet.

Auf dieser Grundlage wird die Bundesversammlung befinden können, ob eine neue Botschaft in Auftrag gegeben wird und falls ja, welches die Hauptpunkte der neuen Revision sein sollen.

Der Bundesrat stellt im Übrigen fest, dass das Bundesgericht angesichts der Entwicklung seiner Arbeitslast nicht untätig geblieben ist. Es hat verschiedene Reorganisationsmassnahmen getroffen. Wie die RK-N in ihrem Bericht vom 23. Juni 2022 festhält (Ziff. 2.3), reichten diese jedoch nicht aus, um die Zahl der zu behandelnden Geschäfte einzudämmen.

Vor dem Hintergrund der gescheiterten Revision des BGG, der Anstrengungen des Bundesgerichts
und der Ungewissheit, welche Folge seinem Bericht in Erfüllung des Postulats 20.4399 Caroni gegeben werden wird, teilt der Bundesrat die Ansicht der RK-N, dass es heute gerechtfertigt ist, dem Antrag des Bundesgerichts stattzugeben.

Bei der Erhöhung der Zahl der ordentlichen Richterinnen und Richter von 38 auf 40 hat die RK-N die Entwicklung der Anzahl Geschäfte des Bundesgerichts in den letzten zehn Jahren berücksichtigt. Dabei stützte sie sich auf die Zahlen in den Geschäftsberichten des Bundesgerichts der Jahre 2011 und 2021 (siehe Ziff. 2.2 des Berichts der RK-N von 23. Juni 2022). Sie hat auch den Reorganisationsmassnahmen innerhalb des Bundesgerichts sowie den Folgen des Scheiterns der Revision des BGG im Jahr 2018 Rechnung getragen. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der RK-N und

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BBl 2013 9077 S. 9078 Botschaft vom 15. Juni 2018 zur Änderung des Bundesgerichtsgesetzes (BBl 2018 4605).

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schliesst sich ihren Begründungen an, dem Bundesgericht zwei zusätzliche Richterstellen zu gewähren. Die Erhöhung von 38 auf 40 liegt im Rahmen der Bandbreite, die der Gesetzgeber in Artikel 1 Absatz 3 BGG festgelegt hat. Da die Problematik der Arbeitslast des Bundesgerichts nicht innert kurzer Frist gelöst werden kann, ist es gemäss dem Bundesrat heute notwendig, dass dem Gericht zusätzliche Ressourcen gewährt werden und dass die Bundesversammlung ihren Handlungsspielraum nach Artikel 1 BGG nutzt. Wie im Schreiben des Bundesgerichts vom 21. Dezember 2021 erwähnt, kann die Situation bei Bedarf neu beurteilt werden, falls die Arbeitslast des Bundesgerichts aufgrund einer künftigen Revision des BGG deutlich zurückgehen sollte.

Der Bericht der RK-N vom 23. Juni 2022 erwähnt in Kapitel 5 betreffend die finanziellen Folgen, die sich aus den zwei zusätzlichen Stellen ergeben, dass, gestützt auf das Bundesgesetz vom 6. Oktober 19897 über Besoldung und berufliche Vorsorge der Magistratspersonen und der dazugehörigen Ausführungsverordnung8, das Jahresgehalt der ordentlichen Richterinnen und Richter des Bundesgerichts insgesamt 790 600 Franken beträgt. Der Bericht der RK-N erwähnt jedoch die mit der beruflichen Vorsorge verbundenen Kosten der zwei neuen Magistratspersonen nicht. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass diese finanzielle Konsequenz präzisiert werden sollte.

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Antrag des Bundesrates

Gemäss der Revisionsvorlage soll in Artikel 1 Buchstabe a der Verordnung der Bundesversammlung über die Richterstellen am Bundesgericht die Zahl «38» durch «40» ersetzt werden. Der Bundesrat beantragt Zustimmung zum Entwurf der RK-N. Er hat keine weiteren Bemerkungen anzubringen.

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SR 172.121 SR 172.121.1