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22.062 Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2) vom 7. September 2022

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2).

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2014

P

14.3295

Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in der Spezialitätenliste (1) (S 25.3.14, GPK-SR; S 13.6.14)

2014

P

14.3296

Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in der Spezialitätenliste (2) (S 25.3.14, GPK-SR; S 13.6.14)

2014

P

14.3297

Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in der Spezialitätenliste (3) (S 25.3.14, GPK-SR; S 13.6.14)

2016

P

15.4141

Massnahmen gegen die Überversorgung im Gesundheitswesen (N 16.12.15, Frehner; N 18.3.16)

2019

M 18.3387

Sinnvolle Patientensteuerungsprogramme ermöglichen (N 16.5.2018, SGK-N; N 19.9.18; S 12.9.19)

2019

M 18.3388

Faire Referenztarife für eine schweizweit freie Spitalwahl (N 18.5.18, SGK-NR; N 19.9.18; S 12.9.19)

2019

M 18.3513

KVG. Dank der Digitalisierung die Effizienz steigern und die Kosten reduzieren (N 13.6.18, Buffat; N 28.9.18; S 19.9.19)

2022-2844

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2019

M 18.3649

Stärkung von integrierten Versorgungsmodellen.

Abgrenzung zu einseitigen Listenangeboten ohne koordinierte Behandlung (N 15.6.18, Humbel; N 28.9.18; S 19.9.19)

2019

M 18.3664

Digitalisierung auch im Gesundheitswesen. Sämtliche Rechnungen sollen elektronisch zu den Krankenversicherern (N 15.6.18, Grossen; N 18.9.18; S 19.9.19)

2019

M 18.4079

Kostendämpfende Apothekerleistungen ermöglichen (S 28.9.18, Ettlin; S 12.12.18; N 5.6.19)

2020

M 18.3977

Abbilden der Leistungen der Apotheker zur Qualitätssicherung und Kostendämpfung im Krankenversicherungsgesetz (N 27.9.18, Humbel; N 14.12.18; S 10.3.20)

2020

M 19.3070

Kostenbefreiung für Schwangere während der ganzen Schwangerschaft (N 7.3.19, Kälin; N 26.9.19; S 30.11.20)

2020

M 19.3307

Vollständige Übernahme der Kosten der Leistungen bei Mutterschaft durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung (N 22.3.19, Addor; N 26.6.19; S 30.11.20)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

7. September 2022

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ignazio Cassis Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Diese Vorlage schlägt, basierend auf dem Expertenbericht «Kostendämpfungsmassnahmen zur Entlastung der obligatorischen Kranken-pflegeversicherung» von 2017, diverse Gesetzesänderungen vor, mit dem Ziel, die Entwicklung der Kosten für Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung einzudämmen und auf diese Weise den Anstieg der von den Versicherten bezahlten Prämien zu begrenzen.

Ausgangslage Zwischen 1996, als das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) in Kraft trat, und 2019 sind die Nettokosten zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) von 10,8 auf 29,5 Milliarden Franken angestiegen. Damit haben sie sich innert 23 Jahren fast verdreifacht. Die OKP musste folglich jedes Jahr pro versicherte Person durchschnittlich 4 Prozent mehr für die Vergütung von medizinischen Leistungen und Produkten ausgeben. Im Jahr 2018 konnte der Kostenanstieg dank kostendämpfender Massnahmen vorübergehend etwas gebremst werden. Das Kostenwachstum zwischen 2019 und 2020 von 1,1 Prozent lag deutlich unter dem Trend. Die kurzfristige Entwicklung ist allerdings nicht direkt vergleichbar mit den Vorjahren und sollte auch vor dem Hintergrund der Coronapandemie sowie deren Einfluss auf die Gesundheitskosten betrachtet werden.

Mit der bundesrätlichen Strategie «Gesundheit2020» von 2013, deren Nachfolgestrategie «Gesundheit2030» von 2019 und den Legislaturzielen erklärte der Bundesrat eine finanziell tragbare Gesundheitsversorgung zu einem seiner Hauptziele. Um dieses zu erreichen, müssen die Kostendämpfungsmassnahmen in allen grossen Kostenblöcken und ­ aufgrund der Kompetenzaufteilung im Schweizer Gesundheitswesen ­ auf allen Ebenen und bei allen Akteuren ansetzen. Im Rahmen der Strategie «Gesundheit2020» hatte der Bundesrat bereits mehrere Ziele und Massnahmen definiert, welche die Gesundheitskosten um einige hundert Millionen Franken pro Jahr senken konnten. Auch in den kommenden Jahren ist mit weiteren spürbaren Einsparungen zu rechnen. Zur Verstärkung der Massnahmen setzte das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) eine Expertengruppe ein, um nationale und internationale Erfahrungen auszuwerten. Im Vordergrund stand dabei, die medizinisch nicht begründbare Mengenausweitung zu reduzieren. Die Expertengruppe erhielt den Auftrag, internationale Erfahrungen mit
Instrumenten der Mengensteuerung zu analysieren und spezifische Massnahmen für die Schweiz vorzuschlagen.

Der Expertenbericht «Kostendämpfungsmassnahmen zur Entlastung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung» schlägt im Interesse der Steuer- und Prämienzahlerinnen und -zahler zahlreiche Massnahmen vor, mit denen das vorhandene Effizienzpotenzial ausgeschöpft und das Kostenwachstum gebremst werden sollen. Am 28. März 2018 verabschiedete der Bundesrat ein auf dem Expertenbericht basierendes Kostendämpfungsprogramm. Darin legte er fest, dass neue Massnahmen der Expertengruppe in zwei Paketen geprüft und ­ wenn sinnvoll ­ umgesetzt werden sollen.

Zudem sind die Kantone und die Tarifpartner angehalten, Massnahmen in ihrem Zuständigkeitsbereich zu prüfen und umzusetzen.

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Im Sommer 2019 hat der Bundesrat zuhanden der eidgenössischen Räte ein erstes Rechtsetzungspaket (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 1) verabschiedet. Die Vorlage beinhaltet neun Massnahmen mit Änderungen des KVG sowie daraus abgeleitete gleichgerichtete Änderungen im Bereich von Unfall-, Militär- und Invalidenversicherung.

Gleichzeitig hat die Mitte die Volksinitiative «Für tiefere Prämien ­ Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» lanciert, die von Bund und Kantonen ein Eingreifen bei stark steigenden Gesundheitskosten fordert. Am 20. Mai 2020 hat der Bundesrat beschlossen, den eidgenössischen Räten zu beantragen, die erfolgreich zustande gekommene Kostenbremse-Initiative zur Ablehnung zu empfehlen und ein zweites Rechtssetzungspaket zur Entlastung der OKP als indirekten Gegenvorschlag zur Initiative vorzulegen. Dieser beinhaltete insbesondere die Umsetzung der Massnahme «Zielvorgabe» der Expertengruppe. Der Bundesrat hat vom 19. August bis zum 19. November 2020 eine Vernehmlassung zur Änderung des KVG (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2) als indirekten Gegenvorschlag zur KostenbremseInitiative durchgeführt.

Am 28. April 2021 hat der Bundesrat vom Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens Kenntnis genommen und auf dessen Basis entschieden, die Massnahme «Zielvorgabe» aus dem Paket herauszulösen und als indirekten Gegenvorschlag zur KostenbremseInitiative vorzulegen. Die Botschaft zur Volksinitiative «Für tiefere Prämien ­ Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» und zum indirekten Gegenvorschlag (Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung) hat der Bundesrat am 10. November 2021 verabschiedet. Ebenfalls mit Entscheid vom 28. April 2021 wurde das EDI beauftragt, dem Bundesrat eine Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2) vorzulegen.

Inhalt der Vorlage Die vorliegende Änderung soll die bereits in Paket 1 vorgeschlagenen Massnahmen ergänzen, deren Wirkungen verstärken und vor allem die Gesamtsteuerung des Gesundheitssystems verbessern. Dabei wurden verschiedene Massnahmen des Expertenberichts und Vorschläge des EDI geprüft. Zu sieben Massnahmen werden Gesetzesanpassungen im KVG sowie daraus abgeleitet analoge Änderungen im Bundesgesetz über die Invalidenversicherung,
unter Berücksichtigung der Besonderheiten dieses Sozialversicherungszweiges, vorgeschlagen. Angesichts der Breite der Massnahmen wird somit wie bereits im ersten Paket auch vorliegend bei allen Akteuren angesetzt, und diese werden konsequent in die Verantwortung genommen.

Folgende Gesetzesänderungen werden vorgeschlagen: 1.

Stärkung der koordinierten Versorgung durch die Definition von Netzwerken zur koordinierten Versorgung als eigene Leistungserbringer;

2.

Schaffung von Rechtsgrundlagen für eine differenzierte Prüfung der WZWKriterien;

3.

Regelung für die Festlegung von Preismodellen und allfälligen Rückerstattungen;

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4.

Ausnahme vom Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend die Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rückerstattungen im Rahmen von Preismodellen;

5.

Festlegung von Referenztarifen für ausserkantonale Wahlbehandlungen zur Förderung des kantonsübergreifenden Wettbewerbs unter den Spitälern;

6.

Verpflichtung der Leistungserbringer und Versicherer zur elektronischen Rechnungsübermittlung;

7.

Anpassung der Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker zulasten der OKP.

Invalidenversicherung: Analoge oder gleichgerichtete Ausgestaltung wie im KVG betreffend die Regelung für die Vereinbarung von Preismodellen und allfälligen Rückerstattungen, die Ausnahme vom Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend die Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rückerstattungen im Rahmen von Preismodellen, die Schaffung von Rechtsgrundlagen für eine differenzierte Prüfung gemäss den WZW-Kriterien und die elektronische Rechnungsübermittlung.

Ergänzend wird die Regelung der Kostenbeteiligung bei Mutterschaft zur Gleichbehandlung der Patientinnen präzisiert: Ab dem ärztlich bestimmten Beginn der Schwangerschaft mittels Ultraschall und bis acht Wochen nach der Niederkunft oder nach dem Ende der Schwangerschaft wird keine Kostenbeteiligung erhoben.

Die finanziellen Auswirkungen eines grossen Teils der Massnahmen können jedoch nicht genau quantifiziert werden, da sie von der konkreten Umsetzung durch die betroffenen Akteure abhängen.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht 1

3

Ausgangslage 1.1 Handlungsbedarf und Ziele 1.2 Kostendämpfungsmassnahmen und geprüfte Alternativen 1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates 1.4 Erledigung parlamentarischer Vorstösse 1.5 Weiterer mit der Vorlage zusammenhängender Vorstoss

8 8 10

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

18

3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht 3.1 Netzwerke zur koordinierten Versorgung 3.2 Differenzierte WZW-Prüfung nach Artikel 32 KVG 3.3 Preismodelle und Rückerstattungen 3.4 Ausnahme vom Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend die Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rückerstattungen im Rahmen von Preismodellen 3.5 Faire Referenztarife für eine schweizweit freie Spitalwahl 3.6 Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker 3.7 Weitere Anpassungen

22 22 23 24

Grundzüge der Vorlage 4.1 Die beantragte Neuregelung 4.1.1 Netzwerke zur koordinierten Versorgung 4.1.2 Differenzierte WZW-Prüfung nach Artikel 32 KVG 4.1.3 Preismodelle und Rückerstattungen 4.1.4 Ausnahme vom Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend die Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rückerstattungen im Rahmen von Preismodellen 4.1.5 Faire Referenztarife für eine schweizweit freie Spitalwahl 4.1.6 Elektronische Rechnungsübermittlung 4.1.7 Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker 4.1.8 Massnahmen in der Invalidenversicherung 4.1.9 Weitere Anpassungen 4.2 Abstimmung von Aufgaben und Finanzen 4.2.1 Netzwerke zur koordinierten Versorgung 4.2.2 Differenzierte WZW-Prüfung nach Artikel 32 KVG 4.2.3 Preismodelle und Rückerstattungen 4.2.4 Ausnahme vom Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend die Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rückerstattungen im Rahmen von Preismodellen 4.2.5 Faire Referenztarife für eine schweizweit freie Spitalwahl

29 29 29 32 33

4

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13 14 17

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35 38 39 41 41 42 44 44 44 44 44 45

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4.3

4.2.6 Elektronische Rechnungsübermittlung 4.2.7 Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker 4.2.8 Massnahmen in der Invalidenversicherung 4.2.9 Weitere Anpassungen Umsetzungsfragen 4.3.1 Netzwerke zur koordinierten Versorgung 4.3.2 Differenzierte WZW-Prüfung nach Artikel 32 KVG 4.3.3 Preismodelle und Rückerstattungen 4.3.4 Ausnahme vom Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend die Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rückerstattungen im Rahmen von Preismodellen 4.3.5 Faire Referenztarife für eine schweizweit freie Spitalwahl 4.3.6 Elektronische Rechnungsübermittlung 4.3.7 Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker 4.3.8 Massnahmen in der Invalidenversicherung 4.3.9 Weitere Anpassungen

45 45 46 46 46 46 47 48 50 50 51 51 51 52

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

52

6

Auswirkungen 6.1 Auswirkungen auf den Bund 6.1.1 Finanzielle Auswirkungen 6.1.2 Personelle Auswirkungen 6.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete 6.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 6.4 Auswirkungen auf die Gesellschaft 6.5 Auswirkungen auf die Umwelt 6.6 Andere Auswirkungen

68 68 68 70

Rechtliche Aspekte 7.1 Verfassungsmässigkeit 7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 7.3 Erlassform 7.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 7.5 Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz 7.6 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 7.7 Datenschutz

73 73 74 75 75

7

Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2) (Entwurf)

70 71 72 73 73

75 76 77

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

Das Gesundheitswesen weist verschiedene Besonderheiten auf. Es besitzt komplexe Strukturen und bietet eine Vielfalt an schwer standardisierbaren Gesundheitsleistungen. Aufgrund der erwünschten Versicherungsdeckung und der asymmetrischen Informationslage zwischen Leistungserbringern und Patientinnen und Patienten besteht ein Anreiz zur Mengenausweitung. Diese Umstände führen zu einer anbieterinduzierten Nachfrage über das medizinisch notwendige Niveau hinaus, der mit Instrumenten wie Selbstbehalt und Franchise aber auch Versicherungsmodellen mit eingeschränkter Wahl nur unzureichend entgegengewirkt werden kann. Als Folge steigen die Kosten im Gesundheitswesen nicht nur wegen des demografischen Wandels und des medizinisch-technischen Fortschritts, sondern auch wegen einer medizinisch nicht begründbaren Mengenzunahme stetig an.

Eine Studie1 im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zeigt, dass im schweizerischen Gesundheitswesen in fast allen Leistungsbereichen ein noch nicht ausgeschöpftes Effizienzpotenzial besteht. Über alle Leistungen hinweg, die nach dem Bundesgesetz vom 18. März 19942 über die Krankenversicherung (KVG) von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) übernommen werden, liegt das Effizienzpotenzial laut der Studie zwischen 16 und 19 Prozent. Es ist also beträchtlich und liegt in der Grössenordnung der bisher oft erwähnten 20 Prozent.3 Neben der (angebots- und nachfrageseitigen) Mengenausweitung tragen vor allem produktive Ineffizienzen sowie zu hohe Tarife und Preise für medizinische Leistungen und Produkte zum Effizienzpotenzial bei.

Zwischen 1996, als das KVG in Kraft trat, und 2019 sind die Nettokosten zulasten der OKP von 10,8 auf 29,5 Milliarden Franken angestiegen.4 Damit haben sie sich innert 23 Jahren beinahe verdreifacht. Die OKP musste folglich jedes Jahr pro versicherte Person durchschnittlich 4 Prozent mehr für die Vergütung von medizinischen Leis-

1

2 3

4

Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie ZHAW und INFRAS (2019): Effizienzpotenzial bei den KVG-pflichtigen Leistungen, abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > Laufende Revisionsprojekte > KVGÄnderung: Vorgabe von Kostenzielen (Stand: 1.7.2022).

SR 832.10 Vgl. Bundesamt für Gesundheit (2013): Die gesundheitspolitischen Prioritäten des Bundesrates, abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Strategie & Politik > Gesundheit2020 > Eine umfassende Strategie für das Gesundheitswesen (Stand: 1.7.2022).

Vgl. Bundesamt für Gesundheit: Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2019 (STAT KV 19), abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Zahlen und Statistiken > Krankenversicherung: Statistiken > Statistik der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Stand 1.7.2022).

Nur Prämiengelder und Kostenbeteiligung der Versicherten, ohne die staatlichen Beiträge für OKP-pflichtige Leistungen (z. B. die kantonalen Anteile zur Abgeltung stationärer Leistungen).

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tungen und Produkten ausgeben. Da die Nettoleistungen prozentual stärker gewachsen sind als die Bevölkerung, ergibt sich pro versicherte Person ein jährliches durchschnittliches Wachstum von etwas weniger als 4 Prozent für die Vergütungen der OKP. Die Pro-Kopf-Ausgaben haben sich damit in 23 Jahren mehr als verdoppelt.

Das deutlich niedrigere Kostenwachstum, das zwischen 2019 und 2020 beobachtet werden konnte,5 ist allerdings nicht direkt vergleichbar mit den Vorjahren und muss vor dem Hintergrund der Coronapandemie sowie deren Einfluss auf die Gesundheitskosten betrachtet werden. Das Monitoring der Krankenversicherungs-Kostenentwicklung (MOKKE)6 des BAG weist für 2021 wieder eine deutliche Kostenzunahme auf: Der durchschnittliche jährliche Kostenanstieg von 2019 auf 2021 beträgt 2,7 Prozent.

Dieser Wert liegt über dem durchschnittlichen jährlichen Anstieg von 2,4 Prozent der letzten fünf Jahre.

Auffallend ist zudem, dass die Kosten der OKP im Vergleich zur Kostenentwicklung im gesamten Gesundheitswesen überproportional angestiegen sind.7 Haben die Gesamtausgaben zwischen 2005 und 2019 von 52,4 auf 82,5 Milliarden Franken oder um rund 57 Prozent zugenommen, so haben die Bruttoausgaben für die OKP im gleichen Zeitraum einen Anstieg von 68 Prozent von 20,3 auf 34,1 Milliarden Franken erfahren.8 Knapp 80 Prozent der OKP-Bruttoleistungen entfallen zudem auf die vier grössten Kostenblöcke «Spital stationär» [20,5 %], «Arztbehandlungen ambulant» [22,6 %], «Arzneimittel» [21,3 %] und «Spital ambulant» [13,8 %].9 Dieser Prozentsatz veränderte sich über die Jahre hinweg kaum, obwohl die OKP-Kosten kontinuierlich und je nach Kostenblock unterschiedlich stark zugenommen haben. Grosse Kostenanstiege wurden seit 2005 in den Bereichen der ambulanten Spital- und Arztbehandlungen (+ 99 % bzw. + 70 %) sowie im Bereich Spitex, Labor, Physiotherapie und Mittel und Gegenstände verzeichnet (insgesamt + 143 %).10 Im Jahr 2018 konnte der Kostenanstieg in der OKP dank kostendämpfenden Massnahmen etwas gebremst werden (+ 0,7 % bzw. + 230 Mio. Fr.), 2019 befand sich der Kostenanstieg mit 4,9 Prozent (+ 1,6 Mia. Fr.) bereits wieder im Durchschnitt der vergangenen Jahre, während 2020 erneut ein moderates Wachstum von 0,9 Prozent (+ 320 Mio. Fr.) beobachtet werden konnte.11

5

6

7

8

9 10 11

Vgl. Bundesamt für Gesundheit: Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2020 (STAT KV 20), abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Zahlen und Statistiken > Krankenversicherung: Statistiken > Statistik der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Stand 1.7.2022).

Vgl. Bundesamt für Gesundheit: Monitoring der Krankenversicherungs-Kostenentwicklung (MOKKE), abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Zahlen & Statistiken > Krankenversicherung: Statistiken > Monitoring der Krankenversicherungs-Kostenentwicklung (Stand 1.7.2022).

Vgl. Bundesamt für Statistik: Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens 2019 (definitive Daten), abrufbar unter: www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Gesundheit > Kosten, Finanzierung (Stand 1.7.2022).

Vgl. Bundesamt für Gesundheit: Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2019 (STAT KV 19), abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Zahlen und Statistiken > Krankenversicherung: Statistiken > Statistik der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Stand 1.7.2022).

Ebd.

Ebd.

Ebd.

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Im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt sind in der Schweiz die Kosten für das Gesundheitswesen mit 11,3 Prozent im internationalen Vergleich sehr hoch; der Schnitt der Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegt bei 8,8 Prozent.12 Zudem fällt auf, dass der Anteil der Zahlungen, die die privaten Haushalte selbst leisten, an den Gesamtausgaben in der Schweiz (2019 ca. 82,5 Mia. Fr.) am grössten ist. 2019 betrugen sie 24,5 Prozent oder 20,2 Milliarden Franken. Zusammen mit den Ausgaben für die OKP über die Krankenversicherungsprämien und für andere Privatversicherungen tragen die Privathaushalte über 70 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben.13 Die hohen Krankenversicherungsprämien stellen schon heute für viele Menschen eine spürbare finanzielle Belastung dar und werden von der schweizerischen Bevölkerung als eine der Hauptsorgen genannt. In der repräsentativen Umfrage des Sorgenbarometers 2018 und 201914 nannten 41 Prozent der befragten stimmberechtigten Personen Gesundheitswesen und Krankenkassen als einen der fünf Themenbereiche, bei denen sie in der Schweiz den grössten Problemdruck sehen. Im Jahr 2017 waren dies noch weniger als 30 Prozent. Mit der Coronapandemie, welche 2020 und 2021 an vorderster Stelle der Sorgen der Schweizer Bevölkerung stand, ist das Thema jedoch etwas in den Hintergrund gerückt. Nur noch 28 beziehungsweise 25 Prozent der Bevölkerung sahen den Kostenanstieg im Gesundheitswesen als dringliches Thema.15 Aufgrund der jüngsten Entwicklungen (vgl. MOKKE-Zahlen 2021) ist jedoch davon auszugehen, dass die Kosten- und vor allem Prämienentwicklung die Schweizer Bevölkerung in Zukunft wieder stärker beschäftigen wird.

Um das Gesundheitssystem finanzierbar zu halten, müssen deshalb tiefer greifende kostendämpfende und effizienzsteigernde Massnahmen ergriffen werden. Ziel muss es sein, einerseits die finanzielle Belastung durch die Krankenversicherungsprämien erträglich und möglichst nahe am demografischen Effekt zu halten und andererseits die hohe Qualität der medizinischen Versorgung und den Zugang der Bevölkerung zu dieser Versorgung sicherzustellen.

1.2

Kostendämpfungsmassnahmen und geprüfte Alternativen

Bereits wenige Jahre nach der Einführung des KVG musste festgestellt werden, dass zwar die Versorgung nachhaltig verbessert und die angestrebte Solidarität zwischen 12 13

14

15

Vgl. OECD: OECD. Stat. Health expenditure and financing. abrufbar unter: http://stats.oecd.org (Stand: 1.7.2022).

Vgl. Bundesamt für Statistik: Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens 2019 (definitive Daten), 2019, abrufbar unter: www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Gesundheit > Kosten, Finanzierung (Stand: 1.7.2022).

Vgl. gfs.bern (2018): Credit Suisse Sorgenbarometer 2018 und gfs.bern (2019): Credit Suisse Sorgenbarometer 2019, abrufbar unter: www.credit-suisse.com > Berichte und Research > Studien und Publikationen > Sorgenbarometer > Download-Center (Stand: 1.7.2022).

Vgl. gfs.bern (2020): Credit Suisse Sorgenbarometer 2020 und gfs.bern (2021): Credit Suisse Sorgenbarometer 2021, abrufbar unter: www.credit-suisse.com > Berichte und Research > Studien und Publikationen > Sorgenbarometer > Download-Center (Stand: 1.7.2022).

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den Versicherten gestärkt wurden, die Kosten jedoch weiterhin stark zugenommen haben. Mit einer ersten KVG-Teilrevision vom 24. März 200016 wurden deshalb Regelungen im Bereich der Prämienverbilligung, der Steuerung der Zulassung im ambulanten Bereich und der Förderung der Abgabe von Generika eingeführt. 2002 erklärte der Bundesrat die Kostendämpfung zum primären Ziel seiner Strategie zur Reform der Krankenversicherung. Eine zweite KVG-Teilrevision17 mit weiteren Massnahmen zur besseren Mengensteuerung und Angemessenheit der medizinischen Leistungen scheiterte ein paar Jahre später im Parlament. Nur dringliche und wenig umstrittene Anpassungen wurden kurz darauf vom Parlament verabschiedet.18 Die erfolgreiche Revision der Spitalfinanzierung folgte 2007.19 Weitere Vorlagen zur Kostendämpfung, namentlich diejenigen zur Kostenbeteiligung20 oder zu Managed Care21, waren wiederum erfolglos. Zur Ablösung der Zulassungsbeschränkung sah der Bundesrat zudem vor, im ambulanten Bereich die Vertragsfreiheit einzuführen.22 Leistungserbringer und Versicherer sollten in der Wahl ihrer Vertragspartner ­ innerhalb einer vom Bund definierten Bandbreite, die eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung sicherstellen sollte ­ frei sein. Auch auf diese Vorlage traten die eidgenössischen Räte nicht ein. Eine Vorlage mit Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung vor dem Hintergrund der sich für 2010 abzeichnenden aussergewöhnlichen Prämienerhöhungen lehnte der Nationalrat ebenfalls ab.23 Sie sah unter anderem die Erteilung der Kompetenz an den Bundesrat zur Senkung der Tarife bei überdurchschnittlicher Kostensteigerung vor oder die Einführung eines rund um die Uhr besetzten medizinischen Telefondienstes.

Mit der Strategie «Gesundheit2020»24 von 2013, deren Nachfolgestrategie «Gesundheit2030»25 und den Legislaturzielen 2015­201926 sowie 2019­202327 erklärte der Bundesrat eine finanziell tragbare Gesundheitsversorgung wiederum zu einem seiner Hauptziele. Um dieses zu erreichen, müssen die Kostendämpfungsmassnahmen in allen grossen Kostenblöcken und ­ aufgrund der Kompetenzaufteilung im Schweizer Gesundheitswesen ­ auf allen Ebenen und bei allen Akteuren ansetzen. Im Rahmen 16 17 18 19 20 21 22 23

24 25 26 27

AS 2000 2305 Vgl. Botschaft vom 18. Sept. 2000 betreffend die Teilrevision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung, BBl 2001 741.

AS 2005 1071 AS 2008 2049 Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 26. Mai 2004 betreffend die Teilrevision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Kostenbeteiligung), BBl 2004 4361.

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 15. Sept. 2004 betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Managed Care), BBl 2004 5599.

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 26. Mai 2004 betreffend die Teilrevision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Vertragsfreiheit), BBl 2004 4293.

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 29. Mai 2009 betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung), BBl 2009 5793, Geschäftsnummer 09.053.

Die Strategie «Gesundheit2020» ist abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Strategie und Politik > Gesundheit2020 (Stand: 1.7.2022).

Die Strategie «Gesundheit2030» ist abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Strategie und Politik > Gesundheit2030 (Stand: 1.7.2022).

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 27. Jan. 2016 zur Legislaturplanung 2015­2019, BBl 2016 1105.

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 29. Jan. 2020 zur Legislaturplanung 2019­2023, BBl 2020 1777.

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der Strategie «Gesundheit2020» legte der Bundesrat bereits mehrere Ziele und Massnahmen fest, welche die Gesundheitskosten um einige hundert Millionen Franken pro Jahr senken konnten. Dazu gehörte unter anderem die dreijährliche Überprüfung der Aufnahmebedingungen sämtlicher Arzneimittel, die in der Spezialitätenliste (SL) aufgeführt sind. Auch in den kommenden Jahren ist mit weiteren spürbaren Einsparungen zu rechnen.

Zur Verstärkung der im Rahmen der Strategie «Gesundheit2020» festgelegten Massnahmen setzte das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) eine Expertengruppe ein, um nationale und internationale Erfahrungen auszuwerten. Im Vordergrund stand dabei die Eliminierung von Mengenausweitungen, die medizinisch nicht begründet werden können. Die Expertengruppe erhielt den Auftrag, anhand einer Analyse der internationalen Erfahrungen zur Steuerung des Mengenwachstums Instrumente zur Beeinflussung der Mengenentwicklung in der Schweiz vorzuschlagen.

Der Bericht der Expertengruppe vom 24. August 201728 «Kostendämpfungsmassnahmen zur Entlastung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung» (Expertenbericht) schlägt im Interesse der Steuer- und Prämienzahlerinnen und -zahler zahlreiche Massnahmen vor, mit denen das vorhandene Potenzial zur Steigerung der Effizienz ausgeschöpft und das Kostenwachstum vor allem in den vier grossen Kostenblöcken (vgl. Ziff. 1.1) gebremst werden sollen. Als übergeordnete Massnahme zur Kostendämpfung hat sich die Expertengruppe für eine sogenannte «Zielvorgabe» für das OKP-Kostenwachstum ausgesprochen, die im Zentrum des Expertenberichts steht.

Die Grundidee besteht darin, Zielvorgaben für die Kostenentwicklung in der OKP mit entsprechenden Korrekturmechanismen einzuführen.

Am 28. März 2018 verabschiedete der Bundesrat ein auf dem Expertenbericht basierendes Kostendämpfungsprogramm.29 Darin legte er fest, dass neue Massnahmen geprüft werden und, falls angezeigt, etappenweise in zwei Gesetzgebungspakete aufgenommen werden sollen. Es gilt festzuhalten, dass nicht alle Massnahmen der Expertengruppe eine gesetzliche Anpassung bedingen. Zudem sind die Kantone und Tarifpartner angehalten, Massnahmen in ihrem Zuständigkeitsbereich zu prüfen und umzusetzen.

Ein erstes Rechtsetzungspaket (Botschaft des Bundesrates vom 21. Aug. 201930 betreffend die Änderung des Bundesgesetzes
über die Krankenversicherung [Kostendämpfungsmassnahmen ­ Paket 1]) hat der Bundesrat im Sommer 2019 zuhanden der eidgenössischen Räte verabschiedet. Die Vorlage enthielt neun Massnahmen mit Änderungen des KVG sowie daraus abgeleitete gleichgerichtete Änderungen im Bereich von Unfall-, Militär- und Invalidenversicherung. Die Massnahmen richteten sich an die ganze Breite der Akteure. Damit sollten alle konsequent in die Verantwortung genommen werden. Das Parlament teilte die Massnahmen in zwei Pakete (1a und 1b) auf. Das Paket 1a wurde am 18. Juni 2021 vom Parlament verabschiedet.31 Drei der 28 29

30 31

Der Expertenbericht ist abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > Kostendämpfung > Dokumente (Stand: 1.7.2022).

Vgl. Medienmitteilung des BAG vom 29. März 2018, abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Das BAG > Aktuell > Medienmitteilungen > Massnahmen des Bundesrates gegen das Kostenwachstum im Gesundheitswesen (Stand: 1.7.2022).

BBl 2019 6071; Curia-Vista-Geschäftsnummer 19.046.

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im Paket enthaltenen sechs Massnahmen sind am 1. Januar 2022 in Kraft getreten: die Massnahmen betreffend Zustellung einer Rechnungskopie für die Versicherten, die Einsetzung einer nationalen Tariforganisation für die Erarbeitung, Weiterentwicklung und Pflege der Tarifstrukturen für ambulante ärztliche Behandlungen und die Festlegung der maximalen Bussenhöhe auf Gesetzesstufe. Das Paket 1b befindet sich noch in der parlamentarischen Beratung.

Am 10. November 202132 hat der Bundesrat zudem die Botschaft zur Volksinitiative «Für tiefere Prämien ­ Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» und zum indirekten Gegenvorschlag (Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung) verabschiedet. Die Änderung des KVG sieht die Einführung von Kostenzielen für das OKP-Wachstum vor. Die Kostenziele sollen die Transparenz über diejenige Kostenentwicklung stärken, die mit Blick auf Faktoren wie die demografische Entwicklung, die Entwicklung von Löhnen und Preisen, den medizinischen Fortschritt sowie das vorhandene Effizienzpotenzial als gerechtfertigt erscheint. Es handelt sich bei der Vorgabe von Kostenzielen um die Hauptmassnahme des Expertenberichts. Ursprünglich hatte das EDI eine Vorlage zur Einführung einer Zielvorgabe entwickelt, die Teil des vorliegenden 2. Kostendämpfungspakets war. Am 28. April 2021 entschied der Bundesrat aber, den Vorschlag für eine Zielvorgabe aus dem Paket 2 herauszulösen und als indirekten Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative zu verabschieden.

Die mit dieser Vorlage vorgeschlagenen Änderungen sollen die bereits mit dem Paket 1 ergriffenen Massnahmen ergänzen, die Festlegung von Kostenzielen unterstützen und die Gesamtsteuerung des Gesundheitssystems verbessern. Ein Teil der Massnahmen entstammt dem Expertenbericht und wurde mit Vorschlägen des EDI ergänzt.

Entsprechend werden bei bestimmten Massnahmen auch die Nummern der Massnahmen gemäss Expertenbericht aufgeführt (z. B. M10).

1.3

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 29. Januar 202033 zur Legislaturplanung 2019­ 2023 und im Bundesbeschluss vom 21. September 202034 über die Legislaturplanung 2019­2023 angekündigt.

Ziel der Neuregelung ist es, die Entwicklung der Kosten für Leistungen zulasten der OKP einzudämmen und auf diese Weise den Anstieg der von den Versicherten bezahlten Prämien zu begrenzen. Die Massnahmen tragen daher dazu bei, den Anstieg der Beiträge, die der Bund den Kantonen nach Artikel 66 Absatz 2 KVG zur Verbilligung der Prämien der Versicherten in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen gewährt, zu bremsen. Bei vielen der in dieser Vorlage enthaltenen Massnahmen wird der kostendämpfende Effekt zugunsten der OKP jedoch erst mittelfristig eintreten.

32 33 34

BBl 2021 2819; Curia-Vista-Geschäftsnummer 21.067.

BBl 2020 1777 BBl 2020 8385

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Schätzungen zu den erwarteten Einsparungen für den Bund aufgrund der einzelnen Massnahmen sind unter Ziffer 6.1 zu finden.

Die Vorlage steht im Einklang mit der Strategie «Gesundheit2030», die im Dezember 2019 vom Bundesrat verabschiedet wurde und auf den Arbeiten von «Gesundheit2020» aufbaut. Mit der gesundheitspolitischen Strategie will der Bundesrat das System weiter verbessern, damit alle Menschen in der Schweiz auch zukünftig von einem guten und bezahlbaren Gesundheitssystem profitieren. Die Strategie «Gesundheit2030» gibt den gesundheitspolitischen Handlungsrahmen vor, an dem sich alle Akteure im Gesundheitswesen orientieren können.

Im Zentrum der Strategie steht die Bearbeitung von vier dringlichen Herausforderungen: technologischer und digitaler Wandel, demografische und gesellschaftliche Veränderungen, Erhalt einer finanziell tragbaren Versorgung von hoher Qualität und Chancen auf ein Leben in Gesundheit. Die vorliegende Gesetzesänderung behandelt mehrere der Herausforderungen, setzt aber insbesondere bei der Sicherstellung einer finanziell tragbaren Versorgung von hoher Qualität an.

1.4

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Motion Buffat 18.3513 «KVG. Dank der Digitalisierung die Effizienz steigern und die Kosten reduzieren» Motion Grossen 18.3664 «Digitalisierung auch im Gesundheitswesen.

Sämtliche Rechnungen sollen elektronisch zu den Krankenversicherern» Die beiden Motionen wurden am 28. September 2018 vom Nationalrat und am 19. September 2019 vom Ständerat angenommen. Sie verlangen, dass die Leistungserbringer ihre Rechnungen elektronisch an die Krankenversicherer übermitteln müssen. Sie werden mit der vorliegenden Revision vollständig umgesetzt (vgl. Ziff. 4.1.6).

Motion SGK-N 18.3387 «Sinnvolle Patientensteuerungsprogramme ermöglichen» Die Motion wurde am 19. September 2018 vom Nationalrat und am 12. September 2019 vom Ständerat angenommen. Mit ihr wird der Bundesrat beauftragt, eine Anpassung der gesetzlichen Bestimmungen des KVG vorzulegen, sodass Leistungen im Rahmen von Programmen der Patientensteuerung vergütet werden können. Aufgrund der in der Vernehmlassung eingegangenen verschiedenen kritischen Rückmeldungen zum Änderungsvorschlag des Bundesrats betreffend Patientenprogrammen wird nur eine Gesetzesänderung zu den Netzwerken zur koordinierten Versorgung und keine spezifische auf Programme bezogene Anpassung unterbreitet. Das Anliegen, dass nichtärztliche Leistungserbringer vermehrt Koordinations- und Beratungsaufgaben übernehmen und diese abgegolten werden können, kann auch mit den bestehenden rechtlichen Grundlagen und Anpassungen auf Verordnungsstufe mit Ergänzung entsprechender Leistungen betreffend Beratung und Koordination gelöst werden. Im Rahmen eines strukturierten Patientenprogramms mit definierten Behandlungsplänen und Qualitätssicherungsmassnahmen über den gesamten Betreuungsprozess hinweg wird die Voraussetzung des ärztlichen Auftrags (Art. 25 Abs. 2 Bst. a Ziff. 3 KVG) 14 / 78

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generell als gegeben erachtet, ohne dass jede Leistung der nichtärztlichen Leistungserbringer im einzelnen Behandlungsfall angeordnet werden muss. Beispielsweise bestehen bereits entsprechende Vergütungslösungen für Rehabilitationsprogramme.

Dem in der Motion erwähnten Aspekt der Kostenübernahme von weiteren sinnvollen nichtkassenpflichtigen Leistungen kann mit der Aufnahme solcher Leistungen auf Verordnungsstufe Rechnung getragen werden. Dabei ist jedoch der in Artikel 1a KVG genannte Geltungsbereich für die OKP und der in Artikel 3 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 200035 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) definierte Krankheitsbegriff zu berücksichtigen. In diesem Sinne können die wesentlichen Anliegen der Motion mit den geltenden gesetzlichen Grundlagen umgesetzt werden.

Motion Humbel 18.3649 «Stärkung von integrierten Versorgungsmodellen.

Abgrenzung zu einseitigen Listenangeboten ohne koordinierte Behandlung» Die Motion wurde am 28. September 2018 vom Nationalrat und am 19. September 2019 vom Ständerat angenommen. Gefordert wird darin eine gesetzliche Regelung zur Abgrenzung der integrierten Versorgungsnetze von einseitigen Listenmodellen.

Der Bundesrat hat mit seinem Vorschlag zur Definition eines neuen Leistungserbringers, dem «Netzwerk zur koordinierten Versorgung», zwar einen anderen Ansatz gewählt, als die Motionärin vorgesehen hat. Beim Ziel handelt es sich jedoch um dasselbe. Das Anliegen der Motion wird mit der vorliegenden Gesetzesänderung aufgenommen (vgl. Ziff. 4.1.1).

Motion Humbel 18.3977 «Abbilden der Leistungen der Apotheker zur Qualitätssicherung und Kostendämpfung im Krankenversicherungsgesetz» Motion Ettlin 18.4079 «Kostendämpfende Apothekerleistungen ermöglichen» Apothekerinnen und Apotheker sind nichtärztliche Leistungserbringer, die im Rahmen von Programmen spezifische, bisher ärztliche Leistungen übernehmen können (z. B. Impfungen im nationalen Impfprogramm, Stuhltests in kantonalen Programmen zur Darmkrebsfrüherkennung). Beide Motionen verlangen, dass neu Leistungen der Grundversorgung von Apothekerinnen und Apotheker, die zur Kostendämpfung und Qualitätssicherung beitragen und im Rahmen von Patientensteuerungsprogrammen erbracht werden, im KVG abzubilden sind. Das Anliegen der Motionen wird mit der vorliegenden Gesetzesänderung aufgenommen
(vgl. Ziff. 4.1.7).

Motion SGK-NR 18.3388 «Faire Referenztarife für eine schweizweit freie Spitalwahl» Die Motion beauftragt den Bundesrat, dafür zu sorgen, dass «für eine ausserkantonale stationäre Wahlbehandlung bei demselben Spitaltyp der maximale Tarif der Spitalliste des Wohnkantons vergütet werden soll, höchstens aber der Tarif des Standortspitals».

Mit der vorliegenden Gesetzesänderung wird die Motion umgesetzt (vgl. Ziff. 4.1.5).

35

SR 830.1

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Motion Kälin 19.3070 «Kostenbefreiung für Schwangere während der ganzen Schwangerschaft» Die Motion beauftragt den Bundesrat Artikel 64 Absatz 7 Buchstabe b KVG dahingehend anzupassen, dass die Kostenbefreiung während einer Schwangerschaft ab der ersten Schwangerschaftswoche greift, damit Frauen, die in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen wegen Komplikationen Behandlungen benötigen, gegenüber Frauen, bei denen die Schwangerschaft problemlos verläuft, nicht länger benachteiligt werden. Mit der vorliegenden Gesetzesänderung wird die Motion umgesetzt (vgl.

Ziff. 4.1.9).

Motion Addor 19.3307 «Vollständige Übernahme der Kosten der Leistungen bei Mutterschaft durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung» Die Motion beauftragt den Bundesrat, die gesetzlichen Grundlagen anzupassen oder wenn nötig neue gesetzliche Bestimmungen vorzulegen, damit die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten für die Leistungen bei Mutterschaft vollständig übernimmt. Mit der vorliegenden Gesetzesänderung wird die Motion umgesetzt (vgl. Ziff. 4.1.9).

Postulat Frehner 15.4141 «Massnahmen gegen die Überversorgung im Gesundheitswesen» Das Postulat beauftragt den Bundesrat, pauschale Vergütungsmodelle im ambulanten Bereich, obligatorische Disease-Management-Programme und integrierte Versorgungsmodelle zur Reduktion der Überversorgung zu prüfen. Im Rahmen der vom Bundesrat verabschiedeten Botschaft vom 21. August 2019 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 1) wird unter anderem eine Regelung zur Stärkung von Pauschalabgeltungen im ambulanten Bereich vorgeschlagen. Am 18. Juni 2021 hat das Parlament eine entsprechende Gesetzesanpassung verabschiedet.36 Mit der vorliegenden Gesetzesänderung sollen zusätzlich die Netzwerke zur koordinierten Versorgung als Leistungserbringer eingeführt werden, womit die Anliegen der Motion in Bezug auf die integrierten Versorgungsmodelle und die Disease-Management-Programme abgedeckt sind. Zudem hat der Bundesrat im Rahmen des Kostendämpfungsprogramms zur Entlastung der OKP das Thema der angemessenen Versorgung aufgenommen und entsprechende Ressourcen für das BAG gesprochen. Die diesbezüglichen Arbeiten mussten aber pandemiebedingt sistiert werden und können erst im Sommer 2022 weitergeführt werden.

36

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Postulat GPK-SR 14.3295 «Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in der Spezialitätenliste (1)» Postulat GPK-SR 14.3296 «Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in der Spezialitätenliste (2)» Postulat GPK-SR 14.3297 «Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in der Spezialitätenliste (3)» Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-SR) forderte den Bundesrat auf, eine Präzisierung und Ergänzung der Kriterien zum Nachweis der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten. Dabei sollte er insbesondere für eine verbesserte Berücksichtigung des Medikamentennutzens sorgen. Weiter forderte die GPK-SR den Bundesrat auf, eine Optimierung der Kriterien zur Bestimmung der Wirtschaftlichkeit zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten. Im Bereich des therapeutischen Quervergleichs sollte er insbesondere die Festlegung von Vergleichsgruppen und eine Weiterentwicklung der Kosten-Nutzen-Analyse prüfen.

Im Zusammenhang mit dem Auslandpreisvergleich sollte er eine verbesserte Berücksichtigung der tatsächlich von der Krankenversicherung im Ausland vergüteten Medikamentenpreise prüfen und mit der Präzisierung der Bedingungen eines Innovationszuschlages für eine einheitliche Zuschlagsgewährung sorgen. Weiter wurde der Bundesrat aufgefordert, in einem Bericht Massnahmen abzuklären, die es ermöglichen, in der SL aufgenommene Medikamente, welche die Kriterien der Wirksamkeit, der Zweckmässigkeit und der Wirtschaftlichkeit (WZW-Kriterien) nicht mehr erfüllen, konsequent von der SL zu streichen.

Mit der Schaffung von Artikel 32 Absatz 3 E-KVG werden die rechtlichen Grundlagen eingeführt, damit die Prüfung der WZW-Kriterien bei Arzneimitteln (und den anderen Leistungen) zu den verschiedenen Zeitpunkten des Lebenszyklus (z. B. Erstaufnahme, periodische Überprüfungen, Streichung) mit unterschiedlicher Methodik und Tiefe erfolgen kann (vgl. Ziff. 4.1.2).

1.5

Weiterer mit der Vorlage zusammenhängender Vorstoss

Motion Dittli 19.3703 «Medikamentenkosten. Es braucht Anpassungen beim Zulassungs- und Preisbildungssystem im Bereich der Grundversicherung» Mit der Motion wird der Bundesrat aufgefordert, die Rechtsgrundlagen für das Zulassungs- und Preissystem bei Medikamenten dahingehend anzupassen, dass im Bereich der SL neben den Tagestherapiekosten auch die Kosten auf das gesamte Gesundheitssystem berücksichtigt werden.

Um das Kostenwachstum zu dämpfen, werden bereits heute vermehrt Preismodelle angewandt (vgl. dazu Ziff. 4.1.3). Die Anwendung von Preismodellen wird auch in Zukunft als wichtiges Element zur Kostendämpfung im Arzneimittelbereich erachtet.

Deshalb werden im Rahmen dieser Vorlage die Grundlagen für die Anwendung solcher Preismodelle eingeführt.

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2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

Allgemeines Im Sinne der Entscheide des Bundesrates vom 28. März 2018, vom 8. März 2019 und vom 20. Mai 2020 wurde ein zweites Rechtsetzungspaket, das gleichzeitig auch als indirekter Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative dienen sollte, erarbeitet. Dabei wurden verschiedene Massnahmen des Expertenberichts und Vorschläge des EDI geprüft. Im Vorentwurf wurden neun Massnahmen Gesetzesanpassungen im KVG sowie daraus abgeleitet analoge Änderungen im Bundesgesetz vom 19. Juni 195937 über die Invalidenversicherung (IVG), unter Berücksichtigung der Besonderheiten dieses Sozialversicherungszweiges, vorgeschlagen.

Der Schwerpunkt des Vorentwurfs lag auf der Einführung einer Zielvorgabe für die Kostenentwicklung in der OKP, die insbesondere den indirekten Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative darstellen sollte. Weiter sollte mit der Einführung einer obligatorischen Erstberatungsstelle für alle Versicherten eine Stelle geschaffen werden, an die sich die Versicherten bei gesundheitlichen Problemen zuerst wenden. Zur Stärkung der koordinierten Versorgung wurden Netzwerke zur koordinierten Versorgung als eigene Leistungserbringer definiert und Programme der Patientenversorgung als Leistung auf Gesetzesstufe genannt, was zu deren Förderung betragen sollte. Weiter sollten die Kompetenzen des Bundes bezüglich Vergütung medizinischer Leistungen gestärkt werden, damit diese auch in Zukunft kostengünstig erbracht werden können.

Dazu gehörte eine Regelung für die Festlegung von Preismodellen und allfälligen Rückerstattungen sowie die damit verbundene Einschränkung der Anwendbarkeit des Öffentlichkeitsgesetzes vom 17. Dezember 200438 (BGÖ) und entsprechender kantonaler Regelungen. Zusätzlich wurden die Rechtsgrundlagen für eine differenzierte Prüfung gemäss den WZW-Kriterien sowie für die Bemessung einer möglichst kostengünstigen Vergütung von Analysen, Arzneimitteln sowie Mitteln und Gegenständen vorgeschlagen. Der kantonsübergreifende Wettbewerb unter den Spitälern sollte durch die Festlegung von Referenztarifen für ausserkantonale Wahlbehandlungen gefördert werden. Nicht zuletzt sollten Leistungserbringer und Versicherer verpflichtet werden, die Rechnungsübermittlung zukünftig elektronisch abzuwickeln. Schliesslich wurde das Paket mit einer Präzisierung der Kostenbeteiligung bei Mutterschaft zur Gleichbehandlung
der Patientinnen ergänzt.

Die Vernehmlassung zum Vorentwurf zur Änderung des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2) als indirekter Gegenvorschlag zur eidgenössischen Volksinitiative «Für tiefere Prämien ­ Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» wurde vom 19. August bis 19. November 2020 durchgeführt. Dabei sind 328 Stellungnahmen eingegangen (26 Kantone und die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren, 9 politische Parteien, 4 Dachverbände der

37 38

SR 831.20 SR 152.3

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Gemeinden, Städte und Berggebiete, 10 Dachverbände der Wirtschaft, 214 Leistungserbringer, 7 Versicherer, 4 Konsumentenverbände, 29 Patientenverbände und -organisationen und andere).39 Die überwiegende Mehrheit der Stellungnehmenden anerkennt die Notwendigkeit zur Kostendämpfung. Jedoch äusserten sich viele kritisch gegenüber der vorgeschlagenen Gesetzesänderung und beurteilten das Paket als zu umfassend, zu wenig ausgereift und (politisch) nicht umsetzbar. Unterstützung erhielt die Vorlage primär von Seiten der Kantone, Konsumentenverbände und Teilen der politischen Parteien, Patientenorganisationen und Versicherer. Die Leistungserbringer, Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete sowie der Wirtschaft lehnten das Paket grösstenteils dezidiert ab.

Zielvorgabe Kritik wurde vor allem an der Zielvorgabe sowie der Erstberatungsstelle geäussert.

Am 28. April 2021, mit Kenntnisnahme des Ergebnisberichts, hat der Bundesrat entschieden, die Zielvorgabe aus der KVG-Änderung «Massnahmen zur Kostendämpfung - Paket 2» herauszulösen und als indirekten Gegenvorschlag zur KostenbremseInitiative vorzuschlagen (vgl. Ziff. 1.2).

Erstberatungsstelle Die Verpflichtung zu einer Erstberatungsstelle wurde von einer deutlichen Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden klar abgelehnt. Zwar werden die Bemühungen, durch Förderung der gezielten Leistungssteuerung Gesundheitskosten dort einzusparen, wo unnötige Leistungen oder Doppelspurigkeiten vermieden werden können, anerkannt. Die Einführung einer Erstberatungsstelle berge jedoch die Gefahr einer Benachteiligung chronisch kranker, multimorbider oder älterer Personen durch die Leistungserbringer, weil die Erstberatungsfunktion mit einer Pauschale vergütet werden soll. Die Massnahme wird auch abgelehnt, weil sie in die Wahlfreiheit der Versicherten eingreife. Zudem respektiere sie den Willen des Volkes nicht, das die Managed-Care-Vorlage am 17. Juni 2012 abgelehnt hat. Besser sei die Förderung von griffigeren, besonderen Versicherungsformen. Die hohe Akzeptanz besonderer Versicherungsformen zeige auf, dass die Idee einer Erstberatung bereits auf freiwilliger Basis funktioniere und kein Zwang nötig sei. Gestützt auf die überwiegende Mehrheit der Rückmeldungen wird auf die Einführung einer Erstberatungsstelle verzichtet.

Netzwerke zur koordinierten Versorgung Die
Stärkung der koordinierten Versorgung stiess mehrheitlich auf ein positives Echo, wobei aber die Ausgestaltung der vorgeschlagenen Massnahmen kritisiert wurde. Der Vorschlag betreffend die Netzwerke zur koordinierten Versorgung wurde als zu komplex erachtet, weshalb Vereinfachungen vorgenommen wurden. Auch wurde das Anliegen aufgenommen, dass Zulassung und Aufsicht Aufgabe der Kantone sein sollten.

39

Die Vernehmlassungsunterlagen und der Ergebnisbericht sind abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2020 > 2020/45.

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Die pauschale Vergütung aller Leistungen fand keine genügende Unterstützung, hingegen wird neu auf Gesetzesstufe die Vergütung der Koordinationsleistungen geregelt werden.

Programme der Patientenversorgung Die Förderung der Programme der Patientenversorgung wurde zwar mehrheitlich als sinnvoll erachtet, die Notwendigkeit eines Regelungsbedarfs auf Gesetzesstufe jedoch in Frage gestellt. Die Vorgaben zur staatlichen Regelung der Leistungen und Leistungserbringer wurde als zu rigid und unnötig kritisiert; die Ausgestaltung könne den Tarifpartnern überlassen werden. Die Vorgabe der ärztlichen Leitung der Programme wurde als zu einschränkend beurteilt und es wurden Fragen der Kompetenzen der jeweiligen Leistungserbringer sowie zur Haftung aufgeworfen. Auf einen spezifischen Regelungsvorschlag auf Gesetzesstufe wird nun verzichtet, da auch mit den Änderungen betreffend die Netzwerke der koordinierten Versorgung und Anpassungen auf Verordnungsstufe die Anliegen hinsichtlich Patientenprogramme umgesetzt werden können (vgl. auch Ziff. 1.4). In der Vernehmlassung nicht bestritten wurde die Erweiterung der Leistungen, die von Apothekerinnen und Apothekern zulasten der OKP durchgeführt werden können, insbesondere dass diese auch im Rahmen von Präventionsprogrammen selbstständig Leistungen erbringen können. Diesbezüglich bedarf es einer Anpassung bei der Regelung der Apothekerleistungen im Sinne der Umsetzung der Motionen 18.3977 Humbel «Abbilden der Leistungen der Apotheker zur Qualitätssicherung und Kostendämpfung im Krankenversicherungsgesetz» und 18.4079 Ettlin «Kostendämpfende Apothekerleistungen ermöglichen». Damit werden auch die Anliegen der parlamentarischen Initiative 20.457 Roth Pasquier «Unverzüglich das Sparpotenzial der von Apothekerinnen und Apothekern erbrachten Leistungen nutzen», abgedeckt.

Weitere Massnahmen zur Kostendämpfung Differenzierte WZW-Prüfung und Bemessung einer möglichst kostengünstigen Vergütung Gestützt auf die Vernehmlassungsresultate wurden die beiden Anpassungen «differenzierte WZW-Prüfung nach Artikel 32 KVG» und «Grundsätze für die Bemessung einer möglichst kostengünstigen Vergütung» besser voneinander abgegrenzt. Da die Wichtigkeit und Notwendigkeit einer differenzierten Prüfung der WZW-Kriterien von der Mehrheit im Grundsatz anerkannt wurde, wird diese Massnahme
beibehalten, aber klarer definiert.

Auf die Definition der «Grundsätze für die Bemessung einer möglichst kostengünstigen Vergütung» wird verzichtet. Zum einen sprachen sich einige Vernehmlassungsteilnehmende explizit gegen diese Massnahme aus. Zum anderen hat die neuerliche Analyse der bereits bestehenden gesetzlichen Grundlagen im KVG und der neueren dazu ergangenen Rechtsprechung40 auch gezeigt, dass auf Stufe Gesetz bereits heute

40

Z. B. BVGer C-510/2019 vom 15. April 2021, E. 5.5.3; BVGer C-358/2019 vom 30. Dez.

2020, E. 8.2 und 8.5.5; BVGer C-303/2019 vom 2. Dez. 2020, E. 7.2; BVGer C6092/2018 vom 13. Okt. 2020, E. 6.1.3 und 6.4; BVGer C-3860/2018 vom 27. Mai 2020, E. 7.5 und 7.6.4; BGE 143 V 369, E.5.3.2.

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genügend rechtliche Grundlagen bestehen, die Ausdruck für Kostendämpfungsbestrebungen sind und als Basis für konkretisierende Regelungen genutzt werden können (insb. die Art. 32 und 43 Abs. 6 KVG). Grundsätze für die Bemessung einer möglichst kostengünstigen Vergütung können daher separat weiterentwickelt werden. Aufgrund der bestehenden gesetzlichen Grundlagen ist es also bereits heute möglich, der Kostengünstigkeit Rechnung zu tragen. Die Weiterentwicklung und Konkretisierung von Kostengünstigkeitsgrundsätzen soll daher aus der vorliegenden Vorlage herausgelöst werden. Ein «absolutes Kostengünstigkeitsprinzip», wie es der Expertenbericht in Massnahme 29 für Arzneimittel vorschlägt und mit dem immer auf das Preisbildungskriterium oder die Berechnungsmethode mit dem kostengünstigsten Ergebnis abgestellt würde, wird zudem grundsätzlich weder als mehrheitsfähig noch als sachlich gerechtfertigt erachtet. Der Zugang zur Vergütung von Arzneimitteln würde durch diese drastische Massnahme gefährdet. Es wird daher Aufgabe des Verordnungsgebers sein, andere Grundsätze zu entwickeln, mit denen der vom Gesetzgeber angestrebten Kostendämpfung Rechnung getragen werden kann.

Preismodelle und Rückerstattungen Die Regelung für die Festlegung von Preismodellen und allfälligen Rückerstattungen wurde im Grundsatz von einer Mehrheit der Teilnehmenden gutgeheissen. Aufgeworfene Umsetzungsfragen werden im Rahmen der vorliegenden Vorlage aufgenommen (z. B. die Frage der Kostenbeteiligung der Versicherten und die Berücksichtigung des Kantons als Kostenträger).

Ausnahme vom Zugang zu amtlichen Dokumenten Kritik erfuhr aus Transparenzgründen die Ausnahme vom Zugang zu amtlichen Dokumenten (so von den Versicherern und den Konsumentenverbänden), jedoch wurde sie von einer Mehrheit begrüsst oder zumindest als notwendig erachtet. Eine gesetzliche Regelung ist unabdingbar, weil die Anwendung von vertraulichen Preismodellen ansonsten nicht möglich ist und die Schweiz im Interesse der Kostendämpfung und der Versorgungssicherheit kurz- und mittelfristig auf die bestehende internationale Intransparenz und die verbreitete Praxis vertraulicher Preismodelle im Ausland reagieren muss. Mit der neuen Ausnahmebestimmung wird der Geltungsbereich des BGÖ aber nur soweit eingeschränkt, als dies im Interesse einer Gesundheitsversorgung von
hoher Qualität zu möglichst günstigen Kosten erforderlich ist: Es wird lediglich der Zugang zu Informationen hinsichtlich der Höhe, der Berechnung und der Modalitäten von Rückerstattungen verweigert.

Faire Referenztarife Die Massnahme wurde von einer deutlichen Mehrheit begrüsst. Negativ äusserten sich Teile der Leistungserbringer, der politischen Parteien und der Kantone. Die Massnahme wird mit minimalen Anpassungen weiterverfolgt.

Elektronische Rechnungsübermittlung Die Massnahme blieb in der Vernehmlassung mehrheitlich unbestritten. Einzig einige Leistungserbringer kritisierten die Regelung oder forderten eine längere Übergangsfrist. Die Massnahme wird mit minimalen Anpassungen weiterverfolgt.

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Massnahmen in der Invalidenversicherung Zu den Massnahmen in der Invalidenversicherung äusserten sich nur wenige Stellungnehmende. Grösstenteils wurden die vorgeschlagenen Änderungen positiv beurteilt.

Die Massnahmen werden abgestimmt auf die Anpassungen der entsprechenden KVGBestimmungen weiterverfolgt.

Weitere Anpassungen Kostenbeteiligung bei Mutterschaft; Gleichbehandlung der Patientinnen Die Mehrheit der Stellungnehmenden begrüssten die Anpassungen bezüglich der Präzisierung der Kostenbeteiligung bei Mutterschaft zur Gleichbehandlung der Patientinnen. Neu wird die Bestimmung erweitert auf die Umsetzung der damit zusammenhängenden Motionen Kälin 19.3070 «Kostenbefreiung für Schwangere während der ganzen Schwangerschaft» und Addor 19.3307 «Vollständige Übernahme der Kosten der Leistungen bei Mutterschaft durch die obligatorische Krankenversicherung».

3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

3.1

Netzwerke zur koordinierten Versorgung

In Deutschland wurde in den vergangenen drei Jahrzehnten die sektorale Organisation des deutschen Gesundheitswesens immer wieder als Ursache für hohe Kosten und Qualitätsprobleme identifiziert. Daraufhin hat der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten geschaffen, um die Kooperation, Koordination und Integration der Gesundheitsversorgung zu fördern. Insbesondere die eher zentral gesteuerten strukturierten Behandlungsprogramme und die eher dezentral entstehenden Netzwerke der besonderen Versorgung spielen in Deutschland eine wichtige Rolle.

Im Rahmen der besonderen Versorgung können Leistungserbringer selektive Verträge mit den Krankenkassen oder ihren Verbänden abschliessen, um ihren Patientinnen und Patienten spezielle Behandlungsformen (z. B. bei Herz- und Kreislauferkrankungen, psychischen Krankheiten, Schwangerschaft und Geburt oder im Bereich der Onkologie) anbieten zu können. §140a des Sozialgesetzbuchs, Fünftes Buch, (SGB V) zur gesetzlichen Krankenversicherung (besondere Versorgung)41 bietet den Leistungserbringern verschiedene Möglichkeiten für die Vertragsgestaltung. So können sie auch Leistungen, die grundsätzlich nicht zum Katalog der gesetzlichen Krankenkasse gehören, in die Verträge aufnehmen und sich vergüten lassen.

In Frankreich wurde die unkoordinierte Versorgung verbunden mit einem hohen Unabhängigkeitsgrad und zahlreichen organisatorischen Möglichkeiten für Versorger sowie einer grossen Auswahl für Patientinnen und Patienten als wesentlicher Kostentreiber identifiziert. Spezifische Programme einer koordinierten Versorgung über die ganze Behandlungskette sind in Frankreich jedoch nicht verbreitet. Einzig die Einfüh-

41

Das Gesetz ist abrufbar unter: www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbv/140a.html (Stand 1.7.2022).

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rung von multidisziplinären Gruppenpraxen kennt Frankreich als Mittel, um den Umgang mit chronisch Kranken und die Effizienz im Gesundheitswesen zu verbessern.

In diesen Versorgungseinheiten wird der Schwerpunkt weg von der kurativen Behandlung akuter Symptome hin zu präventiven Leistungen und zur Behandlungskoordination gelenkt.

In Österreich wurde 2017 das Primärversorgungsgesetz beschlossen.42 Ziel ist die Stärkung der Allgemeinmedizin und der multiprofessionellen Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich in sogenannten Primärversorgungseinheiten (PVE). In einer PVE versorgt ein sogenanntes Primärversorgungskernteam bestehend aus spezifischen Berufsgruppen des Gesundheits- und Sozialwesens die Patientinnen und Patienten. Je nach Bedarf kann dieses Kernteam um relevante Berufsgruppen oder Einrichtungen (z. B. Ergotherapie, Hebammen, Sozialarbeit) erweitert werden. Diese werden durch verbindliche und strukturierte Zusammenarbeit in das Primärversorgungsteam eingebunden. Eine PVE ist ortsübergreifend oder an einem gemeinsamen Standort möglich.

Bis Ende 2023 sollen insgesamt 75 Primärversorgungseinheiten entstehen. 36 Einheiten sind inzwischen entstanden.43

3.2

Differenzierte WZW-Prüfung nach Artikel 32 KVG

Die Art und Weise der Prüfung bei der Erstaufnahme in eine soziale Krankenversicherung ist in anderen Ländern ganz unterschiedlich geregelt. Die Prozesse für die periodische Überprüfung der Leistungen sind nur in wenigen Ländern oder Regionen systematisch implementiert. Am häufigsten erfolgen systematische Prüfprozesse bei den Arzneimitteln und den Medizinprodukten.

Auf der Ebene der EU beschäftigte sich die Gemeinsame Aktion 3 (Joint Action 3) des Netzwerks für die Bewertung von Gesundheitstechnologien (Health Technology Assessments [HTA]) (EUnetHTA) von 2018 bis 21 mit dem wissenschaftlichen und technischen Aspekt der EU-weiten Zusammenarbeit bei der Bewertung von HTA. Daran beteiligten sich Organisationen aus EU-Ländern, EU-Beitrittsländern sowie EWR- und EFTA-Ländern, auch der Schweiz.

Hinsichtlich der Stärkung der EU-weiten Zusammenarbeit in HTA wurde am 15. Dezember 2021 die Verordnung (EU) 2021/228244verabschiedet, die ab dem 12. Januar 2025 gelten wird. Diese neue Verordnung sieht eine verbindliche Zusammenarbeit der EU-Staaten im Bereich der Bewertung von neuen Arzneimitteln und neuen Medizinprodukten vor. Diese umfasst aber nur die Erstellung von Bewertungsgrundlagen.

In Bezug auf die Methoden zur Entscheidfindung betreffend die Leistungspflicht sowie auf die Preis- und Vergütungsmodelle sind die einzelnen Länder nach wie vor unabhängig.

42 43 44

Das Gesetz ist abrufbar unter www.ris.bka.gv.at > Bundesrecht > Bundesrecht konsolidiert (Stand 1.7.2022).

Vgl. www.sv-primaerversorgung.at (Stand 1.7.2022).

Verordnung (EU) 2021/2282 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 15. Dezember 2021 über die Bewertung von Gesundheitstechnologien und zur Änderung der Richtlinie 2011/24/EU, ABl. L 458 vom 22.12.2021, S. 1.

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3.3

Preismodelle und Rückerstattungen

Preismodelle sind in Europa und den OECD-Mitgliedstaaten mittlerweile weit verbreitet und von grosser wirtschaftlicher Bedeutung für die Sozialversicherungssysteme (vgl. dazu auch Ziff. 4.1.3). Neuere Studien zeigen zudem, dass in den nächsten Jahren der Einsatz von Preismodellen für innovative Therapien weltweit noch stärker zunehmen dürfte und dass Preismodelle breit eingesetzt und ein wichtiges Instrument zur Kostendämpfung darstellen werden.45 Eine Umfrage in 11 Staaten (u.a. Australien, Österreich, Kanada, Deutschland, Niederlande, Norwegen, Neuseeland, Schottland, Schweden, Vereinigte Staaten von Amerika) zeigt auf, dass Preismodelle von allen befragten Staaten angewandt werden, dass diese primär für hochpreisige Arzneimittel nötig sind und dass durchschnittlich Rabatte in der Höhe von 20­29 Prozent festgelegt werden, wobei sechs der befragten Länder auch angaben, dass bei einzelnen Arzneimitteln Rabatte von über 60 Prozent des Listenpreises festgelegt wurden.46 Bereits 2012 wurde im Rahmen einer weiteren Studie47 festgestellt, dass in 25 von 31 untersuchten europäischen Ländern Preismodelle in Form von Rabatten und Rückerstattungen bei der Preisfestsetzung von Arzneimitteln eingesetzt werden (vgl. Abbildung 1).

In allen für den Auslandpreisvergleich berücksichtigten Referenzländern (vgl.

Art. 65b Abs. 2 Bst. a der Verordnung vom 27. Juni 199548 über die Krankenversicherung [KVV]) werden Preismodelle für die Preisfestsetzung angewendet. Überwiegend kommen Preismodelle im Bereich der Onkologie, bei seltenen Krankheiten und anderen Spezialpharmazeutika im Hochpreissegment zur Anwendung.

Preismodelle werden im Ausland unterschiedlich ausgestaltet. Rabatte und Rückerstattungen werden in den meisten Ländern in individuellen, vertraulichen Verhandlungen zwischen der Zulassungsinhaberin, dem Kostenträger oder der Behörde vereinbart. Gesetzliche Grundlagen sehen in einigen Ländern eine Obergrenze für Rabatte oder Rückerstattungen vor. Seltener kommen Rahmenvereinbarungen und Ausschreibungen zur Anwendung. In Grossbritannien hat das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) die Kompetenz, sogenannte Patient Access Schemes (PAS) der Hersteller zu evaluieren. Diese PAS beinhalten Innovative-Pricing-Agreements oder Risk-Sharing-Schemes.49 In Frankreich werden sogenannte

45

46

47

48 49

Dunlop, W. C., Staufer, A., Levy, P., & Edwards, G. J. (2018): Innovative pharmaceutical pricing agreements in five European markets: a survey of stakeholder attitudes and experience. In: Health Policy, 122(5), 528­532.

Morgan, S. G., Vogler, S., & Wagner, A. K. (2017): Payers' experiences with confidential pharmaceutical price discounts: a survey of public and statutory health systems in North America, Europe, and Australasia. In: Health Policy, 121(4), 354­362.

Vogler, S., Zimmermann, N., Habl, C., Piessnegger, J., & Bucsics, A. (2012): Discounts and rebates granted to public payers for medicines in European countries. In: Southern med review, 5(1), 38.

SR 832.102 Gnädinger, C. (2017): Value-Based Pricing im Bereich der Arzneimittelvergütung: Internationale Ansätze und Implikationen für das Schweizer Preisbildungssystem, Masterarbeit Studiengang Public Health der Universitäten Basel, Bern und Zürich.

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Price-Volume-Agreements vereinbart.50 In Deutschland werden neben Price-Volume-Agreements, auch Utilisation-Cap-Modelle sowie Cost-Capping-Modelle vereinbart.51 Italien kennt mehrere Instrumente, darunter Rabatte, Price-Volume-Agreements, Performance-Based-Modelle und weitere.52

50

51

52

Stafinski, T., Menon, D., Davis, C., & McCabe, C. (2011): Role of centralized review processes for making reimbursement decisions on new health technologies in Europe.

In: ClinicoEconomics and outcomes research: CEOR, 3, 117.

Gnädinger, C. (2017): Value-Based Pricing im Bereich der Arzneimittelvergütung: Internationale Ansätze und Implikationen für das Schweizer Preisbildungssystem, Masterarbeit Studiengang Public Health der Universitäten Basel, Bern und Zürich.

Navarria, A., Drago, V., Gozzo, L., Longo, L., Mansueto, S., Pignataro, G., & Drago, F.

(2015): Do the current performance-based schemes in Italy really work? «Success fee»: a novel measure for cost-containment of drug expenditure. In: Value in Health, 18(1), 131-136.

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Abbildung 1: Anwendung von Preismodellen im ambulanten Bereich (outpatient sector) und stationären Bereich (inpatient sector) in Mitgliedstaaten des PPRI53 Netzwerks (Stand: 2018):54

53

54

Das PPRI-Projekt (PPRI ist die Abkürzung für Pharmaceutical Pricing and Reimbursement Information) wurde 2005 von der Abteilung Pharmaökonomie der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) mit dem Ziel ins Leben gerufen, technische Expertinnen und Experten, die in den für die Preisgestaltung und Erstattung von Arzneimitteln zuständigen Behörden arbeiten, zusammenzubringen und so zu einem erschwinglicheren Zugang zu (unentbehrlichen) Arzneimitteln beizutragen. Im Jahr 2018 verwendete die Mehrheit der PPRI-Mitgliedsländer (33 von 45 PPRI-Mitgliedsländern, für die Informationen verfügbar waren) Preismodelle (Managed-Entry-Agreements [MEA]). Für mehr Informationen zum PPRI-Netzwerk (inkl. Bezeichnung der PPRI Mitgliedstaaten) vgl. das PPRI-Faktenblatt (Stand Mai 2021), abrufbar unter: https://ppri.goeg.at/PPRI_info (Stand 4. Juli 2022).

Vogler, S., Zimmermann, N., Haasis, M. A. (2019): PPRI Report 2018 - Pharmaceutical pricing and reimbursement policies in 47 PPRI network member countries, S. 57, Figure 6.3. WHO Collaborating Centre for Pricing and Reimbursement Policies, Gesundheit Österreich GmbH (GÖG / Austrian National Public Health Institute), Vienna, abrufbar unter: https://jasmin.goeg.at/1068/ (Stand 4.7.2022).

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3.4

Ausnahme vom Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend die Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rückerstattungen im Rahmen von Preismodellen

Nach Artikel 15 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ehemaliger Art. 255 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft) hat jeder Bürger und jede Bürgerin der EU wie auch jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder Niederlassung in einem Mitgliedstaat ein Recht auf Zugang zu Dokumenten des Europäischen Parlamentes, des Rates und der Kommission sowie zu Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union.

Des Weiteren ist auf die Empfehlung (2002) des Ministerkomitees des Europarates vom 21. Februar 200255 hinzuweisen, welche unter anderem als Grundsatz festhält, dass Ausnahmeregelungen vom Öffentlichkeitsprinzip möglich sind, sofern sie in einem Gesetz präzisiert sind und in einer demokratischen Gesellschaft und im Rahmen der Verhältnismässigkeit dem Schutz klar umrissener Ziele dienen (vgl. Empfehlung IV.1).

So bestehen beispielsweise in Frankreich Ausnahmen vom Zugang zu amtlichen Dokumenten, die insbesondere dem Schutz der Geheimhaltung von Regierungsverhandlungen und -entscheiden und dem Schutz des Handels und der Industrie dienen. Auch in Belgien kann die Akteneinsicht verweigert werden, wenn das Interesse der Öffentlichkeit geringer wiegt als beispielsweise der Schutz wirtschaftlicher oder finanzieller Interessen des Landes. Der Zugang der Öffentlichkeit zum Preisfestsetzungsverfahren wird deshalb auch in vielen anderen Ländern (z. B. den Niederlanden, Grossbritannien, Schweden) insbesondere bei der Anwendung von Preismodellen zugunsten der Wirtschaftlichkeit und der Versorgung eingeschränkt.56

3.5

Faire Referenztarife für eine schweizweit freie Spitalwahl

Die Frage der Referenztarife bei ausserkantonalen stationären Wahlbehandlungen ergibt sich aus der föderalen Organisation des Schweizer Gesundheitswesens und stellt sich im Ausland nicht in der gleichen Weise. Entsprechend ist ein direkter Rechtsvergleich nicht möglich.

55

56

Empfehlung Rec(2002)2 des Ministerkomitees des Europarates über die Einsicht in amtliche Dokumente vom 21. Februar 2002, abrufbar unter: https://rm.coe.int/native/09000016804c6a54 (Stand 30.6.2022).

Pauwels, K. et al. (2017): Managed Entry Agreements for Oncology Drugs: Lessons from the European Experience to Inform the Future. In: Front Pharmacol, 8, 171.

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3.6

Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker

In Deutschland trat im Dezember 2020 das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz57 in Kraft, das einen Anspruch auf weitergehende pharmazeutische Unterstützung begründet. Solche Dienstleistungen sollen insbesondere Massnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und der Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie umfassen. Genannt werden die Anwendung bestimmter Wirkstoffe, die Therapierung chronischer schwerwiegender Erkrankungen, die Behandlung von Menschen mit Polymedikation und Multimorbiditäten sowie die Behandlung von Patientinnen und Patienten, die besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung benötigen. Auch Massnahmen zur Prävention wie zum Beispiel Impfungen werden erfasst.

In Österreich sind die politischen Prozesse betreffend Schaffung der rechtlichen Grundlagen für erweiterte Leistungen wie auch das Impfen durch Apothekerinnen und Apotheker im Gange.

In Frankreich wurde im März 2022 ein neuer Vertrag zwischen den Apothekerverbänden und der nationalen Krankenversicherung abgeschlossen. Dieser erweitert die Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker auf die Durchführung von Impfungen bei Erwachsenen, Leistungen im Rahmen von Darmkrebspräventionsprogrammen sowie bei der Begleitung und Beratung von Personen mit bestimmten Erkrankungen.

3.7

Weitere Anpassungen

Kostenbeteiligung Mutterschaft: Gleichbehandlung der Patientinnen In Deutschland geniessen Schwangerschaft und Mutterschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung einen besonderen Stellenwert. Zu den in der Regel kostenbeteiligungsbefreiten Leistungen gehören insbesondere die ärztliche Betreuung einschliesslich der Schwangerschaftsvorsorge, Leistungen im Zusammenhang mit der Entbindung, Versorgung mit Arzneimitteln, Leistungen von Hebammen sowie die häusliche Pflege und Haushaltspflege.58 In Österreich haben alle krankenversicherten Frauen Anspruch auf Sachleistungen während der Schwangerschaft sowie rund um die Entbindung. Diese Sachleistungen bei Mutterschaft umfassen die ärztliche Betreuung und Hilfe durch eine Hebamme während der Schwangerschaft und nach der Entbindung, die Hebammenberatung während der Schwangerschaft, die Versorgung mit Arzneimitteln und Heilbehelfen

57

58

Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (VOSG), veröffentlicht im Bundesgesetzblatt der Bundesrepublik Deutschland, Jahrgang 2020 Teil I Nr. 61, ausgegeben zu Bonn am 14. Dezember 2020, S. 2870-2872, abrufbar unter http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl1 20s2870.pdf (Stand 4.7.2022).

Bundesministerium für Gesundheit (2022): Ratgeber Krankenversicherung, abrufbar unter: www.bundesgesundheitsministerium.de > Service > Unsere Publikationen > Gesundheit > Ratgeber Krankenversicherung, S. 98 (Stand: 1.7.2022).

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sowie die Betreuung in einem Krankenhaus oder in einer Geburtsklinik für eine Dauer von längstens zehn Tagen.59 In Frankreich übernimmt die Mutterschaftsversicherung alle obligatorischen Untersuchungen während der Schwangerschaft, ohne Anwendung des Selbstbehalts und einer Pauschalbeteiligung von 1 Euro (lediglich die ersten beiden Ultraschalluntersuchungen werden nur bis zu 70 % übernommen) sowie alle erstattungsfähigen medizinischen Kosten ab dem ersten Tag des sechsten Schwangerschaftsmonats bis zum zwölften Tag nach der Entbindung, ohne Anwendung des Selbstbehalts.60

4

Grundzüge der Vorlage

4.1

Die beantragte Neuregelung

4.1.1

Netzwerke zur koordinierten Versorgung

Im föderalen und dezentralen Schweizer Gesundheitssystem stellt eine gute Koordination der im Behandlungsfall von verschiedenen Leistungserbringern erbrachten Leistungen eine grosse Herausforderung dar. Im Expertenbericht wird deshalb eine Stärkung der koordinierten Versorgung (M10) vorgeschlagen. Die gezielte Förderung der koordinierten Versorgung soll die Bedarfsgerechtigkeit und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung der Behandlung verbessern und bestehende Versorgungsmängel wie Über-, Unter- und Fehlversorgung im schweizerischen Gesundheitssystem abbauen.

Sie ist insbesondere im Hinblick auf die demografische Entwicklung relevant: In Zukunft wird es in der Schweiz mehr ältere Menschen und mehr Menschen mit mehrfachen chronischen Krankheiten geben, die mehr Leistungen des Gesundheitswesens in Anspruch nehmen als die durchschnittliche Bevölkerung.61 Insbesondere bei chronisch kranken und oft multimorbiden Patientinnen und Patienten ist eine koordinierte, gut abgestimmte Versorgung wichtig, da meistens mehrere Ärztinnen und Ärzte, andere Gesundheitsfachpersonen, Spitäler und Institutionen involviert sind. Damit die Qualität der Versorgung bei so vielen Beteiligten gesichert werden kann, müssen die Schnittstellen und Übergänge besser organisiert, Doppelspurigkeiten erkannt und unnötige Leistungen vermieden werden.

Durch eine gute Koordination der verschiedenen Leistungen und Leistungserbringer kann die Qualität und die Wirtschaftlichkeit der Untersuchung und der Behandlung 59

60

61

Leitfaden zur sozialen Sicherheit, Osterreich; Europäische Kommission, abrufbar unter: https://ec.europa.eu > Beschäftigung, Soziales und Integration > Umziehen und arbeiten in Europa > Koordinierung der Sozialversicherungssysteme in der EU > Ihre Rechte in den einzelnen Ländern > Österreich (Stand: 1.7.2022).

Leitfaden zur sozialen Sicherheit Frankreich; Europäische Kommission, abrufbar unter: https://ec.europa.eu > Beschäftigung, Soziales und Integration > Politikfelder und Tätigkeiten > Umziehen und arbeiten in Europa > Koordinierung der Sozialversicherungssysteme in der EU > Ihre Rechte in den einzelnen Ländern > Frankreich (Stand: 1.7.2022).

Bähler, C., Huber, C. A., Brüngger, B., Reich, O. (2015): Multimorbidity, health care utilization and costs in an elderly community-dwelling population: a claims data based observational study. In: BMC Health Services Research (2015) 15:23; und Volken, T., Bopp M., Rüesch, P. (2014): Intensität der Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen in der Schweiz. Wintherthur/Zürich.

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über die ganze oder über weite Teile der Versorgungskette verbessert werden. Dazu braucht es Netzwerke, in denen sich Gesundheitsfachpersonen unterschiedlicher Berufe verbindlich zusammenschliessen, um eine koordinierte, den Patientenbedürfnissen entsprechende medizinische Betreuung über die ganze Versorgungskette hinweg anzubieten. Zentral ist dabei die Frage, wie Leistungserbringer dazu motiviert werden können.

Im KVG sollen die rechtlichen Grundlagen geschaffen werden, damit sich Gesundheitsfachpersonen zu einem interprofessionellen und interdisziplinären Betreuungsteam zusammenschliessen. Dieses Team erbringt ärztliche, pflegerische und therapeutische Leistungen koordiniert «aus einer Hand» und tritt gegenüber den Versicherern als eine Organisation auf.

Geprüft wurde unter anderem auch die Variante, die Verbreitung von Netzwerken zur koordinierten Versorgung durch die Festlegung entsprechender besonderer Versicherungsformen zu fördern. Dieses Vorgehen wurde aber vorerst verworfen, da es in einem ersten Schritt darum gehen muss, ein koordiniertes, multiprofessionelles Versorgungsangebot zu fördern, das allen Versicherten offensteht, von dem jedoch besonders chronisch kranke und multimorbide Patientinnen und Patienten profitieren können. Deshalb wurde der Fokus im vorliegenden Vorschlag auf die Organisation der Leistungserbringung gelegt.

Ein Netzwerk zur koordinierten Versorgung ist eine Einrichtung, die Leistungen nach den Artikeln 25­31 KVG ambulant und koordiniert erbringt und zusätzlich die Koordination über die ganze Versorgungskette mit weiteren Leistungserbringern ausserhalb des Netzes sicherstellt. Das Netzwerk zur koordinierten Versorgung erbringt ­ anders als die bestehenden Einrichtungen der ambulanten Krankenpflege durch Ärztinnen und Ärzte nach Artikel 35 Absatz 2 Buchstabe n KVG ­ nicht nur ärztliche, sondern auch pflegerische und therapeutische Leistungen. Es besteht somit aus einem interprofessionellen und interdisziplinären Betreuungsteam. Es kann als Einrichtung «unter einem Dach» oder als regionales Netzwerk ausgestaltet werden. Damit bei der Schaffung von Netzwerken zur koordinierten Versorgung möglichst viel Spielraum besteht, wurden die Zulassungsvoraussetzungen für solche Netzwerke in Artikel 37a Absatz 1 E-KVG nicht im Detail definiert. Die Vorgaben namentlich zur
Leitung des Netzwerks, zur Ausbildung des dort tätigen Personals oder zu den zu erbringenden Leistungen sind Mindestvoraussetzungen, die erfüllt werden müssen, um eine einheitliche Gestaltung der in Zukunft entstehenden Netzwerke zu gewährleisten.

Das Netzwerk zur koordinierten Versorgung besteht mindestens aus einem Koordinationszentrum unter ärztlicher Leitung und weiteren angestellten Gesundheitsfachpersonen. Es rechnet alle von ihm erbrachten Leistungen gegenüber den Versicherern als ein einziger Leistungserbringer ab.

Dem Koordinationszentrum können vertraglich weitere ambulant tätige oder stationäre Leistungserbringer angeschlossen sein (Apothekerinnen und Apotheker, Organisationen der ambulanten Krankenpflege und Hilfe zu Hause, Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten, Ernährungsberaterinnen und Ernährungsberater, Spezialärztinnen und -ärzte, Pflegeheime, Spitäler usw.). Die Zusammenarbeit, die Abläufe und die Prozesse wie das Schnittstellenmanagement (z. B. die Planung der weiteren Behandlung nach einem Spitalaustritt), die 30 / 78

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Koordination und der Informationsaustausch werden vertraglich geregelt. Die erbrachten KVG-Leistungen werden nach den für die betroffenen Leistungserbringer vorgesehenen Tarifen vergütet. Es können aber auch andere Vergütungslösungen im Rahmen der Tarifregeln des KVG vorgesehen werden. Ein Leistungserbringer kann Verträge mit mehreren Netzwerken zur koordinierten Versorgung abschliessen.

Das Netzwerk zur koordinierten Versorgung kann Patientinnen und Patienten, die eine Untersuchung oder Behandlung durch einen Leistungserbringer benötigen, der nicht dem Netzwerk zur koordinierten Versorgung angeschlossen ist, an alle weiteren, zugelassenen Leistungserbringer überweisen.

Die Finanzierung der Zusatzkosten, die durch die Koordination komplexer Fälle entstehen, ist in Vereinbarungen zwischen den Netzwerken zur koordinierten Versorgung und den Versicherern geregelt. Es geht darum, die mit der Komplexität bestimmter Fälle verbundenen besonderen Anforderungen zu berücksichtigen. Einige Tarife enthalten bereits Koordinationsleistungen. Ein Netzwerk zur koordinierten Versorgung soll eine weitergehende Koordination durchführen, um damit nicht zuletzt auch Kosten zu optimieren. Eine Doppelvergütung ist dabei auszuschliessen.

Die Zulassung der Netzwerke zur koordinierten Versorgung setzt einen kantonalen Leistungsauftrag voraus, in dem insbesondere die zu erbringenden Leistungen und der zeitliche und örtliche Tätigkeitsbereich festgelegt sind. Diese kantonalen Leistungsaufträge müssen eine ideale und ausgewogene Abdeckung des Versorgungsangebots in allen Regionen und auch interregional ermöglichen. Ein Netzwerk zur koordinierten Versorgung kann mehrere Kantone abdecken. Die betroffenen Kantone müssen in diesem Fall deshalb einen gemeinsamen Leistungsauftrag für das Netzwerk festlegen.

Dadurch kann eine den spezifischen Bedürfnissen der Bevölkerung angepasste Angebotsverteilung sichergestellt werden. Darunter fallen namentlich Menschen mit einer seltenen Krankheit.

Ziel ist es, dass sich ärztlich koordinierte und interprofessionelle Versorgungsstrukturen, wie es sie heute mit den HMO-Modellen schon gibt, noch mehr verbreiten und auch für Personen zugänglich sind, die nicht eine besondere Versicherungsform gewählt haben.

Die Beteiligung an ein Netzwerk zur koordinierten Versorgung bietet den Gesundheitsfachpersonen viele Vorteile: ­

Teilzeitarbeit ist einfacher möglich. Die angemessene Betreuung einer Patientin oder eines Patienten wird durch das Versorgungsnetz und insbesondere durch das elektronische Patientendossier jederzeit gewährleistet.

­

Schwere Fällen und chronische Krankheiten werden interprofessionell betreut.

­

Der administrative Aufwand wird reduziert, da der grösste Teil der administrativen Arbeit vom Netz selbst geleistet wird. Dadurch können auch Synergien genutzt und Kosten reduziert werden.

­

Die Leistungserbringer in Randregionen können auf ein erweitertes Patientennetz und eine umfassendere Zusammenarbeit mit anderen Leistungserbringern zurückgreifen.

31 / 78

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­

Der Informationsaustausch wird vereinfacht.

­

Es ist möglich, mit einem Netzwerk zur koordinierten Versorgung zusammenzuarbeiten und gleichzeitig eine eigene Praxis zu betreiben.

Der Anschluss an ein Netzwerk zur koordinierten Versorgung bietet auch den Patientinnen und Patienten viele Vorteile: ­

Unnötige oder überflüssige Behandlungen lassen sich leichter vermeiden.

­

Patientinnen und Patienten erhalten leicht Zugang zu einer umfassenden, interprofessionellen und interdisziplinären Beratung zu den Behandlungsmöglichkeiten. Krankheits- oder krankheits-gruppenspezifische Netzwerke erlauben die Bündelung von Expertenwissen und damit insbesondere eine verbesserte Versorgung von Patientinnen und Patienten mit einer seltenen Krankheit.

­

Eine Zweitmeinung ist immer möglich, auch innerhalb eines Netzwerks zur koordinierten Versorgung.

­

Mit dem elektronischen Patientendossier haben auch die Patientinnen und Patienten Zugang zu den behandlungsrelevanten Informationen.

­

Dank der Koordination bleiben die Gesundheitskosten besser unter Kontrolle, was die Prämienentwicklung positiv beeinflusst.

­

Die Übergänge von einer Einrichtung zur anderen (Spital, Pflegeheim, Rehabilitation, Spitex) lassen sich besser koordinieren, und das psychosoziale Umfeld der Patientin oder des Patienten kann besser berücksichtigt werden.

­

Die freie Arztwahl wird nicht eingeschränkt, sondern unterliegt wie bisher den Bedingungen der jeweiligen besonderen Versicherungsform.

­

Dank der Koordination, die Fehler und Doppelspurigkeiten verhindern kann, wird die Qualität der erbrachten Leistungen und des gesamten Behandlungsprozesses gewährleistet.

4.1.2

Differenzierte WZW-Prüfung nach Artikel 32 KVG

Die WZW-Kriterien gehören zu den grundlegenden, kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen jeder Leistung zulasten der OKP (Art. 32 Abs. 1 KVG). Die WZWKriterien umfassen eine Vielzahl von Aspekten und für deren Prüfung stehen verschiedene Methoden zur Verfügung. Die für die Beratung des EDI und des BAG zuständigen ausserparlamentarischen Kommissionen haben die Kriterien und deren Anwendung konkretisiert und operationalisiert. International wird für die systematische Bewertung von Gesundheitstechnologien der Begriff des HTA verwendet. Die in der Schweiz angewendeten Methoden orientieren sich an den internationalen HTAGrundsätzen und sind an das schweizerische Gesundheitssystem angepasst. Sie sind

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im Dokument «Operationalisierung der WZW-Kriterien» vom 31. März 202262 festgehalten.

Eine Differenzierung der WZW-Prüfung sowohl nach Leistungsart (z. B. ärztliche Leistungen im Vertrauensprinzip, abschliessend in Positivlisten geregelte Leistungen wie Arzneimittel) als auch nach Lebenszyklus einer Leistung (z. B. Einführung oder Erstaufnahme, etablierte Anwendung, Ablösung durch neue Leistungen) ist sachgerecht und auch notwendig. Insbesondere sollen nicht immer alle WZW-Kriterien in gleicher Tiefe geprüft werden, was zu einer Erleichterung der WZW-Prüfung beiträgt.

Generell soll mit Artikel 32 KVG eine vernünftige WZW-Prüfung gewährleistet werden, die den verschiedenen Leistungsarten und Lebenszyklen Rechnung trägt. Mit der vorliegenden Gesetzesänderung wird insbesondere einem Urteil des Bundesgerichts nachgekommen, das festgehalten hat, dass eine Differenzierung (insbesondere bei der dreijährlichen Überprüfung von Arzneimitteln) eine Regelung auf Gesetzesstufe benötigt.63 Im Sinne eines effizienten Einsatzes von Ressourcen sind im Rahmen der WZW-Prüfung Schwerpunkte namentlich in jenen Bereichen zu setzen, in denen durch die Überprüfung ein Nutzen hinsichtlich Verbesserung der Versorgung und Dämpfung der Kosten erwartet werden kann. Die differenzierte WZW-Prüfung soll im Rahmen der weiteren Konkretisierung und Operationalisierung der WZWKriterien auf Verordnungsstufe weiterentwickelt werden können. In diesem Zusammenhang ist namentlich zu erwähnen, dass die Versorgungssicherheit mit bereits sehr kostengünstigen Arzneimitteln besser gewährleistet werden kann, wenn deren Überprüfung differenziert geregelt werden kann und solche Arzneimittel beispielsweise weniger häufig überprüft würden oder auf eine weitere Preissenkung verzichtet werden könnte. Dadurch könnte vermieden werden, dass die bereits günstigen Arzneimittel für die Zulassungsinhaberin unrentabel und aus der SL gestrichen werden. In diesem Fall besteht die Gefahr, dass solche Arzneimittel durch neuere, viel teurere ersetzt werden.

4.1.3

Preismodelle und Rückerstattungen

Im Zeitpunkt der Zulassung von neuen Arzneimitteln und Arzneimittelkombinationen sowie Medizinprodukten bestehen vermehrt Unklarheiten zur Wirksamkeit, zur Zweckmässigkeit und zur Wirtschaftlichkeit. Dies gilt insbesondere aufgrund der neu möglichen schrittweisen Marktzulassung von Arzneimitteln, für die Zulassungen verfügt werden, bevor klinisch kontrollierte Phase-III-Studien vorliegen. Die Vergütungsfragen werden in der Folge zusehends komplexer und das Risiko der Vergütung von Therapien, die sich trotz vielversprechender erster Daten schliesslich als nicht oder weniger wirksam oder sicher erweisen als erwartet, steigt. Verschiedene Länder haben deshalb bereits unterschiedliche Modelle, sogenannte Managed Entry Agreements (MEA), implementiert, um auf diese Entwicklungen zu reagieren. MEA, die 62

63

«Operationalisierung der Kriterien nach Artikel 32 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG), Gültig ab 01.09.2022», abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > Bezeichnung der Leistungen (Stand: 1.7.2022).

BGE 142 V 26

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sich auf Preise oder Kosten beziehen, werden nachfolgend als Preismodelle bezeichnet. Bei der Anwendung von Preismodellen vergütet grundsätzlich in einem ersten Schritt der Versicherer dem Leistungserbringer den Publikumspreis (Vorleistung) und in einem zweiten Schritt erfolgt eine Rückerstattung durch die Zulassungsinhaberin an den Versicherer (oder die gemeinsame Einrichtung KVG).

Preismodelle können unterschiedliche Formen aufweisen und individuell ausgestaltet sein. Sie erlauben es, die Kosten eines Arzneimittels auf unterschiedlichen Ebenen zu steuern, Risiken zu minimieren und Kosten zu dämpfen: Neben dem Preis kann die Menge über Volumina pro versicherte Person oder pro Arzneimittel gesteuert werden.

Auch das Risiko der ungerechtfertigten Vergütung von Arzneimitteln, die aufgrund fehlender Wirksamkeit oder Unverträglichkeit zu Therapieabbrüchen führen, kann minimiert werden.

Preismodelle sind erforderlich, weil sich die entsprechende Praxis international bei der Vergütung von Arzneimitteln durchgesetzt hat. Sie sind die Regel. Jedes Land verhandelt die effektiv vergüteten Preise individuell auf vertraulicher Basis mit den Zulassungsinhaberinnen. Dies führt dazu, dass die international festgelegten, in der Schweiz für den Auslandpreisvergleich berücksichtigten Preise vor allem bei hochpreisigen Arzneimitteln in den Vergleichsländern nicht den effektiv vergüteten Preisen entsprechen. Will die Schweiz die Wirtschaftlichkeit und die Versorgung mit hochpreisigen Arzneimitteln auch in Zukunft sicherstellen, ist das mit der Preisfestsetzung beauftragte BAG gehalten, ebenfalls solche Preismodelle umzusetzen. Ansonsten müssten entweder überhöhte Preise akzeptiert oder der Zugang zu neuen, innovativen Arzneimitteln könnte nicht mehr oder nur stark verzögert gewährleistet werden. Weil die Schweiz selbst auch ein wichtiges Referenzland für die Preise im Ausland (z. B. Kanada, Brasilien, Russland) ist, verzichten Unternehmen lieber darauf, die Arzneimittel in der Schweiz anzubieten, als einen öffentlich bekannten, aus ihrer Sicht zu tiefen Preis zu akzeptieren. Zurzeit referenzieren mehr als 20 Länder ihre Arzneimittelpreise direkt auf die Schweiz. Dazu kommen mehr als 40 weitere Länder, die indirekt auf die Schweizer Preise abstellen. Preisänderungen führen somit zu direkten wirtschaftlichen Konsequenzen
für die Zulassungsinhaberinnen in anderen Ländern.64 Da auch im Bereich von anderen Leistungen der OKP (Mittel- und Gegenständeliste, Analysenliste) die Anwendung von Preismodellen in Frage kommt, soll eine Regelung für alle Listen nach Artikel 52 Absatz 1 KVG geschaffen werden.

Es ist zwar bereits heute, basierend auf den bestehenden rechtlichen Grundlagen (vgl.

Art. 33 Abs. 2 und 3 KVG, Art. 65 Abs. 5 und Art. 73 KVV) möglich, Preismodelle in der Schweiz anzuwenden. Allerdings sollen die rechtlichen Grundlagen für Preismodelle mit Blick auf die Sicherstellung von Rechtssicherheit und Durchsetzbarkeit auf Gesetzesstufe verankert werden. Dazu gehören insbesondere die rechtlichen Grundlagen, die es dem BAG ermöglichen, bei der Preisfestsetzung Rückerstattungen auf dem Höchstpreis der SL festzulegen.

64

Charles River Associates (2013): Internationale Auswirkungen der schweizerischen Arzneimittelregulierung, Studie im Auftrag von Interpharma und Novartis. Abrufbar unter https://docplayer.org/28701210-Internationale-auswirkungen-der-schweizerischenarzneimittelregulierung.html (Stand 29.6.2022).

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Für die Verwaltung des Vermögens aus den Rückerstattungen an die gemeinsame Einrichtung nach Artikel 18 KVG (gemeinsame Einrichtung KVG) wird eine Fondslösung vorgesehen (Art. 18 Abs. 2septies Bst. b E-KVG). Eine zentrale Aufgabe der gemeinsamen Einrichtung KVG ist die Übernahme der Kosten für gesetzliche Leistungen anstelle zahlungsunfähiger Krankenversicherer. Dafür führt die gemeinsame Einrichtung KVG einen Insolvenzfonds nach Artikel 47 des Krankenversicherungsaufsichtsgesetzes vom 26. September 201465 (KVAG). Mit der heutigen Rechtslage können die einbezahlten Rückerstattungen nicht an die Versicherer zurückfliessen.

Um dies zu ermöglichen, soll die gemeinsame Einrichtung KVG neu einen Fonds für Rückerstattungen führen. Die Beträge, die in diesen Fonds einbezahlt werden, können später an die Versicherer und für den stationären Bereich auch an die Kantone verteilt werden. Der Bundesrat soll die Einzelheiten der Aufteilung regeln. Da die gemeinsame Einrichtung KVG bereits heute den Insolvenzfonds (vgl. Art. 47 KVAG) und den Lebendspende-Nachsorgefonds nach Artikel 15b des Transplantationsgesetzes vom 8. Oktober 200466 (vgl. Art. 18 Abs. 2septies KVG) führt, kann auf bestehende Strukturen aufgebaut werden und vom Knowhow der gemeinsamen Einrichtung KVG in der Vermögens- und Fondsverwaltung profitiert werden. Dadurch können die Verwaltungskosten tief gehalten werden. Da im Bereich von Geburtsgebrechen auch die Invalidenversicherung (IV) Arzneimittelkosten übernimmt, sollen auch Rückerstattungen an den IV-Ausgleichsfonds nach Artikel 79 IVG vorgesehen werden können.

Der Bundesrat soll weiterhin die Kompetenz haben, die detaillierte Ausgestaltung der Preisfestsetzungskriterien auf Verordnungsstufe zu regeln. Dabei soll er neu auch explizit festlegen können, wie und wann Preismodelle eingesetzt werden, und deren Durchsetzbarkeit regeln.

Zur besseren Anwendbarkeit der Preismodelle wird sodann für die Vergütung das System des Tiers payant (direkte Vergütung durch den Versicherer) festgelegt (Art. 42 Abs. 2 zweiter Satz Bst. b E-KVG).

Schliesslich werden auch die gesetzlichen Grundlagen zur Anwendung von Preismodellen bei Arzneimitteln der Liste nach Artikel 14ter Absatz 5 IVG geschaffen.

4.1.4

Ausnahme vom Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend die Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rückerstattungen im Rahmen von Preismodellen

Informationen zur Höhe, zur Berechnung oder zu den Modalitäten von Rückerstattungen an die Versicherer oder an den Fonds für Rückerstattungen gestützt auf Tarifverträge, Vereinbarungen oder Verfügungen des BAG sollen Dritten nicht zugänglich gemacht werden dürfen. Der Zugang nach dem BGÖ und nach entsprechenden kantonalen Regelungen zu Unterlagen in Bezug auf die Höhe, die Berechnung sowie die Modalitäten von Rückerstattungen soll verweigert werden können.

65 66

SR 832.12 SR 810.21

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Die Ausnahmebestimmung ist aufgrund der vorgesehenen Regelungen zu Preismodellen und Rückerstattungen unumgänglich:

67

­

Nicht alle Rückerstattungen können transparent ausgewiesen werden. Übersteigen die Rückerstattungen eine gewisse Höhe, sind international tätige Pharmaunternehmen nicht bereit, dass die Rückerstattungen öffentlich publiziert werden (siehe Ziffer 4.1.3). Im Ausland unterstehen die effektiv vergüteten Preise oder die Höhe der Rückerstattungen deshalb grosser Geheimhaltung. Das heisst, es werden ausschliesslich Höchstpreise und nicht die effektiv vergüteten Preise von Arzneimitteln publiziert; die tatsächliche Preisfestsetzung ist in solchen Fällen nicht öffentlich zugänglich. Auch in der Schweiz sind die Pharmaunternehmen bereit, ihre Arzneimittel zu deutlich tieferen Preisen anzubieten, wenn in Ausnahmefällen nur der Höchstpreis bekannt gemacht wird, der effektive Preis also nicht bekannt ist. Gleichzeitig besteht damit keine Gefahr, dass die Zulassungsinhaberinnen auf ein Aufnahmegesuch in die SL verzichten oder sich die Aufnahme massiv verzögert, bis die Preisverhandlungen in anderen Ländern abgeschlossen sind. Entsprechend profitiert die Bevölkerung von einem schnellen Zugang zu neuen Therapien. Andernfalls wäre die Aufnahme gewisser Arzneimittel zu wirtschaftlichen Preisen in die SL gar nicht mehr möglich. Durch die Anwendung vertraulicher Preismodelle kann letztlich auch verhindert werden, dass die versicherte Person den unsicheren Weg über die Einzelfallvergütung beschreiten muss oder das hochpreisige Arzneimittel sogar selbst bezahlen muss, was unter dem Aspekt der Rechtsgleichheit problematisch wäre.

­

Die heute im Rahmen des BGÖ bestehenden öffentlichen Interessen, bei denen der Zugang zu amtlichen Dokumenten abweichend von Artikel 6 BGÖ eingeschränkt, aufgeschoben oder verweigert werden kann, sind abschliessend in den Artikeln 7­9 BGÖ aufgeführt. Von Relevanz bei der Höhe, der Berechnung und den Modalitäten der Rückerstattungen bei Preismodellen ist insbesondere der Ausnahmetatbestand nach Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe g BGÖ, nämlich die Berufs-, Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnisse. Ob im Streitfall das Gericht die Geheimhaltung der entsprechenden Informationen schützen würde, kann aktuell nicht vorausgesagt werden und ist zudem vom Einzelfall abhängig. Die jüngsten Empfehlungen des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten zeigen jedenfalls klar in Richtung Offenlegung von Informationen bezüglich Preismodellen.67 Um die Anwendung vertraulicher Preismodelle und damit den Zugang zu lebenswichtigen Arzneimitteln nicht zu gefährden, ist daher eine spezialgesetzliche Grundlage, die vertrauliche Preismodellangaben vor dem öffentlichen Zugang schützt, unabdingbar. Ist die Vertraulichkeit nicht gewährleistet, lassen sich Zulassungsinhaberinnen nicht mehr auf die Festlegung von Preismodellen mit substanziellen Rückerstattungen an die OKP ein. In der Folge müssten seitens der Behörde entweder überhöhte Preise akzeptiert werden oder der Zugang zu Empfehlung vom 6. Jan. 2021 «Informationen über Arzneimittel mit Preismodellen» und Empfehlung vom 25. März 2021 «Preismodelle autologe CAR-T-Zelltherapie», abrufbar unter: www.edoeb.admin.ch > Öffentlichkeitsprinzip > Empfehlungen > 2021 (Stand: 1.7.2022).

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neuen, innovativen Arzneimitteln wäre nicht mehr oder nur stark verzögert gewährleistet. Denn die Pharmaunternehmen sind nicht bereit, in der Schweiz mit ihrem vergleichsweise kleinen Arzneimittelmarkt viel niedrigere öffentlich publizierte Preise zu akzeptieren als im Ausland.

­

Weiter gilt es darauf hinzuweisen, dass die Mehrheit der Gesuche im Zusammenhang mit Unterlagen zu Arzneimitteln der SL nicht von Personen gestellt wird, die sich über staatliches Handeln informieren wollen, sondern insbesondere von Zulassungsinhaberinnen, die Einsicht in Geschäftsinformationen von Konkurrenzunternehmen verlangen. Ebenfalls zeigt sich, dass im Bereich der SL vor oder während hängigen Rechtsstreitigkeiten über das Zugangsrecht nach dem BGÖ Beweisunterlagen gesammelt werden in der Absicht, diese dann in Preisfestsetzungsverfahren und damit zusammenhängenden Rechtsstreitigkeiten zum Vorteil von an diesen Verfahren beteiligten Personen nutzen zu können. Damit wird aber die originäre Zielsetzung des BGÖ untergraben.

Um die Anwendbarkeit von Preismodellen sicherzustellen, ist zusammenfassend davon auszugehen, dass die heute bestehenden Ausnahmetatbestände des BGÖ, insbesondere Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe g BGÖ, die Höhe, die Berechnung und die Modalitäten von Rückerstattungen im Rahmen von Preismodellen nicht schützen und daher eine spezialgesetzliche Bestimmung im KVG unabdingbar ist. Mit der neuen Ausnahmebestimmung wird der Geltungsbereich des BGÖ nur soweit eingeschränkt, als dies im Interesse einer gesundheitlichen Versorgung von hoher Qualität zu möglichst günstigen Kosten erforderlich ist. Es wird lediglich der Zugang zu Informationen hinsichtlich der Höhe, der Berechnung und der Modalitäten von Rückerstattungen verweigert.

Auch sei erwähnt, dass sich die Schweiz international für Transparenz einsetzt, sowohl in internationalen Gremien (Weltgesundheitsorganisation [WHO], OECD) wie auch in bilateralen Gesprächen. Jedoch muss die Schweiz im Interesse der Kosteneindämmung und der Versorgungssicherheit kurz- und mittelfristig auf die bestehende internationale Intransparenz und die verbreitete Praxis vertraulicher Preismodelle im Ausland reagieren. National wird die Transparenz in Bezug auf die Kosten der Arzneimittel gestärkt, aktuell durch das Bestreben nach umfassenderen Publikationen im Rahmen von Artikel 71 KVV. Um der geforderten Transparenz des staatlichen Handelns nachzukommen, publiziert das BAG bereits heute die wesentlichen Grundlagen seiner Entscheide. Artikel 71 KVV regelt, welche Informationen das BAG öffentlich zugänglich macht. Um dem öffentlichen Interesse an den Beurteilungen und Entscheiden des BAG weiterhin Rechnung zu tragen, sollen in Zukunft weitere Informationen öffentlich zugänglich gemacht werden (u. a. Entscheidgrundlagen insbesondere zur Wirtschaftlichkeit im Rahmen von Überprüfungen gelisteter Arzneimittel, Beurteilung und Entscheid von Preiserhöhungsgesuchen oder eine Liste der eingereichten Aufnahmegesuche für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen sowie der Gesuche um Limitierungsänderungen, Indikationserweiterungen und Indikationseinschränkungen).

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Die Vernehmlassung zu den entsprechenden Änderungen der KVV und der Krankenpflege-Leistungsverordnung vom 29. September 199568 (KLV) wurde am 3. Juni 2022 eröffnet und dauert bis zum 30. September 202269.

4.1.5

Faire Referenztarife für eine schweizweit freie Spitalwahl

Seit der KVG-Revision im Bereich der Spitalfinanzierung können die Versicherten für die stationäre Behandlung unter den Spitälern, die auf der Spitalliste ihres Wohnkantons oder jener des Standortkantons aufgeführt sind (Listenspital), frei wählen.

Der Versicherer und der Wohnkanton übernehmen die Vergütung anteilsmässig (vgl.

Art. 49a KVG) höchstens nach dem Tarif, der im Wohnkanton für die betreffende Behandlung gilt. Die Kantone sind demnach bereits heute verpflichtet, bei ausserkantonalen Wahlbehandlungen den Tarif eines ihrer Listenspitäler, das die betreffende Behandlung erbringt, als sogenannten Referenztarif heranzuziehen. Wie dieser Referenztarif festzulegen ist, wenn mehrere Listenspitäler des Wohnkantons die betreffende Behandlung erbringen, regelt das KVG hingegen nicht.

Die Auswahl des für den Referenztarif massgeblichen Tarifs liegt heute somit grundsätzlich im Ermessen der Kantone. Eine Festlegung von teilweise unrealistisch tiefen Referenztarifen durch die Kantone kann aber die freie Spitalwahl der Versicherten und den erwünschten kantonsübergreifenden Wettbewerb unter den Spitälern beeinträchtigen. Durch eine gesetzliche Präzisierung, wie sie auch die von den eidgenössischen Räten angenommene Motion der SGK-N 18.3388 «Faire Referenztarife für eine schweizweit freie Spitalwahl» verlangt, kann Klarheit bezüglich der Festlegung der Referenztarife geschaffen, der Wettbewerb unter den Spitälern weiter gefördert und die Kostenentwicklung insgesamt gedämpft werden.

In Artikel 41 Absatz 1bis E-KVG soll neu festgehalten werden, dass die Kantonsregierungen Referenztarife für ausserkantonale stationäre Wahlbehandlungen festlegen müssen. Diese müssen sich nach dem Tarif für eine vergleichbare Behandlung in einem Spital, das auf der Spitalliste des Wohnkantons aufgeführt ist, richten. In der Motion 18.3388 wird verlangt, dass bei demselben «Spitaltyp» der «maximale Tarif» des Wohnkantons vergütet werden soll, höchstens aber der Tarif des Standortspitals.

Während eine möglichst weitgehende Stärkung des Wettbewerbs und damit der Effizienz zu begrüssen ist, sollte dieser Wettbewerb doch zwischen vergleichbaren Leistungen und Leistungserbringern spielen. Der Rahmen des «Spitaltyps» ist dafür möglicherweise zu ungenau und zu starr. So wie die Spitaltarife generell (vgl. Art. 49 KVG) richtet
sich auch der Referenztarif nach der Entschädigung der Spitäler, welche die versicherte Leistung in der notwendigen Qualität effizient und günstig erbringen.

Die Versicherer und der Wohnkanton übernehmen die Vergütung anteilsmässig nach dem Referenztarif, höchstens aber nach dem Tarif des behandelnden Spitals. Der Bundesrat erlässt darüber hinaus genauere Regelungen auf dem Verordnungsweg.

68 69

SR 832.112.31 Die Vernehmlassungsunterlagen sind abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Laufende Vernehmlassungen > EDI > 2021/74.

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Die Spitalplanung der Kantone hat zum Zweck, diejenigen Spitäler zu identifizieren und in die Spitalliste aufzunehmen, die für die Gewährleistung der Versorgung notwendig sind. Soweit die übrigen Anforderungen, wie etwa die Qualität der Leistungen, erfüllt sind, sind grundsätzlich die Spitäler auszuwählen, die bestimmte Leistungen möglichst günstig erbringen können. Wenn die versicherten Personen sich vermehrt ausserkantonal in Spitälern behandeln lassen, die auch nur geringfügig günstiger sind als das teuerste Spital auf der Spitalliste des Wohnkantons für dieselbe Leistung, können die Kosten zulasten der OKP sinken, wenn durch die Möglichkeit der günstigeren ausserkantonalen Behandlung das für einen bestimmten Leistungsbereich teuerste Spital auf der Spitalliste des Wohnkantons für die Gewährleistung der Versorgung in diesem Leistungsbereich möglicherweise nicht mehr notwendig ist, und bei der nächsten Revision der Spitalplanung auf einen Leistungsauftrag für diesen Leistungsbereich und dieses Spital verzichtet werden kann.

Wenn der Kanton gewillt ist beziehungsweise wenn es für die Gewährleistung der Versorgung notwendig ist, ein Spital mit einem bestimmten Tarif in die Spitalliste aufzunehmen, spricht somit nichts dagegen, denselben Tarif auch in einem ausserkantonalen Spital zu bezahlen, sofern die Behandlung vergleichbar ist und der Tarif des ausserkantonalen behandelnden Spitals nicht überschritten wird. Diese Regelung führt auch dazu, dass die Kantone einen weiteren Anreiz haben, für vergleichbare Behandlungen auch innerkantonal nur Tarife in einem relativ engen Preisbereich zu akzeptieren und nicht einzelnen Spitälern höhere Tarife als für die Gewährleistung der Versorgung notwendig zuzugestehen, da diese höheren Tarife ansonsten auch jedem ausserkantonalen Spital gewährt werden müssten. Dies dämpft die Kostenentwicklung.

In Artikel 41 Absätze 2bis und 2ter werden die Anpassungen aus Absatz 1bis für in der Europäischen Union, in Island oder in Norwegen wohnhafte Versicherte analog nachvollzogen. Bei Behandlung in einem Listenspital richtet sich die Vergütung nach dem Referenztarif nach Absatz 1bis, höchstens aber nach dem Tarif des behandelnden Spitals. Bei Versicherten ohne Anknüpfungspunkt an einen Kanton legt der Bundesrat weiterhin den Referenzkanton fest.

4.1.6

Elektronische Rechnungsübermittlung

Mit der vorliegenden Gesetzesänderung werden die zwei Motionen Buffat (18.3513) und Grossen (18.3664) umgesetzt.

Sämtliche Leistungserbringer sollen im stationären und im ambulanten Bereich verpflichtet werden, ihre Rechnungen künftig in elektronischer Form zu übermitteln, unabhängig davon, ob der Krankenversicherer (System des Tiers payant) oder die versicherte Person (System des Tiers garant) die Vergütung der Leistung schuldet. Wer Schuldner der Vergütung ist, wird mit der Revision nicht geändert.

Gestützt auf die am 1. Januar 2022 in Kraft getretene Änderung von Artikel 42 Absatz 3 KVG muss der Leistungserbringer dem Schuldner (versicherte Person oder Krankenversicherer) eine detaillierte und verständliche Rechnung zustellen. Die versicherte Person muss im System des Tiers payant zwingend eine Kopie der Rechnung erhalten, die an den Versicherer gegangen ist, damit sie die Rechnung kontrollieren 39 / 78

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kann. Auch diese Kopie kann künftig elektronisch übermittelt werden. Für die versicherte Person besteht weiterhin die Möglichkeit, die Rechnungen kostenlos in Papierform zu erhalten.

Für die elektronische Rechnungsübermittlung gilt, dass im System des Tiers payant der Leistungserbringer dem Versicherer und der versicherten Person die Rechnung elektronisch zuzustellen hat. Wünscht eine versicherte Person jedoch eine Papierrechnung oder eine Rechnungskopie in Papierform, so muss ihr der Leistungserbringer eine solche kostenlos übermitteln. Im System des Tiers garant hat der Leistungserbringer der versicherten Person die Rechnung elektronisch oder, wenn sie es wünscht, in Papierform kostenlos zu übermitteln. Nach der Kontrolle und Bezahlung der Rechnung durch die versicherte Person leitet diese die Rechnung ebenfalls elektronisch an den Krankenversicherer weiter oder gibt sie in einem allfällig dafür vorgesehenen Onlineportal des Versicherers frei. Liegt eine Papierrechnung vor, hat die versicherte Person die Rechnung dem Versicherer weiterzuleiten. Danach verlangt der Versicherer die Rechnung beim Leistungserbringer elektronisch. Das genaue Verfahren wird auf Verordnungsstufe geregelt werden.

Die Ausgestaltung der elektronischen Übermittlung wird an die Tarifpartner übertragen. Die Leistungserbringer und die Versicherer oder deren Verbände haben eine Vereinbarung abzuschliessen. Sie haben sich auf einen gesamtschweizerisch einheitlichen Standard für die elektronische Übermittlung der Rechnung zu einigen. Die Rechnungsstellung soll über ein standardisiertes Formular mittels einer Plattform erfolgen.

Dabei ist es wichtig, dass mit dem Standard die Datensicherheit gewährleistet ist.

Wenn sich die Parteien innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Übergangsfrist von zwei Jahren ab Inkrafttreten der vorliegenden KVG-Änderung nicht einigen und kein allgemeingültiges elektronisches Rechnungsübermittlungssystem vereinbaren, ist es die Aufgabe des Bundesrates den Standard festzulegen. Diesbezüglich ist anzuführen, dass sich die Akteure des Gesundheitswesens bereits seit einiger Zeit im «Forum Datenaustausch» zusammengeschlossen haben. Das Forum verfolgt unter anderem das Ziel, einheitliche, gemeinsam entwickelte Standards für den elektronischen Datenaustausch festzusetzen. Das Gefäss für die Einigung auf
einen einheitlichen Standard existiert also bereits.

Die elektronische Rechnungsübermittlung hängt direkt mit der Massnahme «Rechnungskontrolle stärken (M09)» des Expertenberichts zusammen, die im Rahmen des ersten Kostendämpfungspakets geprüft wurde. Um systematische Leistungskontrollen und Rechnungsprüfungen durch die Krankenversicherer sicherzustellen, hat das BAG bereits seine Aufsicht verstärkt und führt vermehrt Audits bei den Versicherern vor Ort durch. Diese Massnahme konnte ohne gesetzliche Anpassungen erfolgen. Mit der elektronischen Rechnungsstellung kann die Rechnungskontrolle durch die Versicherer noch stärker wahrgenommen werden.

Um eine sichere und datenschutzkonforme Umsetzung der Abläufe zur elektronischen Rechnungsstellung zu ermöglichen, sollen zudem die Vorgaben für die Versichertenkarte in Artikel 42a KVG technologieneutral formuliert und der Verwendungszweck der Versichertenkarte an die neuen Prozessabläufe bei der elektronischen Rechnungsstellung angepasst werden.

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4.1.7

Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker

Die Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker sind in Artikel 25 Absatz 2 Buchstabe h KVG beschränkt auf Leistungen bei der Abgabe von Arzneimitteln. Mit der vorgeschlagenen Änderung sollen sie auch Leistungen nach Artikel 26 KVG im Rahmen von Präventionsprogrammen, wie Stuhltests im Rahmen von Darmkrebsfrüherkennungsprogrammen oder Impfungen im Rahmen des nationalen Impfprogramms gemäss Impfplan des BAG, zulasten der OKP durchführen können. Weiter sollen auch die Kosten von pharmazeutischen Beratungsleistungen zur Optimierung der Arzneimitteltherapie und der Therapietreue unabhängig von der Arzneimittelabgabe übernommen werden. Dies sind beispielsweise eine strukturierte Bewertung der Arzneimittel einer Patientin oder eines Patienten unter Berücksichtigung der klinischen Situation und der individuellen Therapieziele (Medication Review). Das Ziel ist die Identifikation und Prävention arzneimittelbezogener Probleme, um die Häufigkeit unerwünschter Arzneimittelereignisse zu reduzieren und eine Optimierung der Arzneimitteltherapie zu erreichen. Damit können auch Spitalaufenthalte vermieden und Kosten eingespart werden. Weiter können bei Personen mit chronischen Krankheiten mit einer Überwachung der Wirksamkeit und der Nebenwirkungen der Therapie, periodischen Beratungsgesprächen sowie der Abgabe geeigneter Hilfsmittel und Anleitungen zu deren Verwendung (z. B. Medikamenten-Dosetts, Apps) die konsequente Einnahme der Arzneimittel und damit die Therapietreue verbessert werden. Diese Leistungen können ohne ärztliche Anordnung durchgeführt werden, wie die bisherigen Leistungen bei der Abgabe von Arzneimitteln. Wie für alle Leistungen gilt auch hier die Voraussetzung nach Artikel 32 Absatz 1 KVG, wonach nur wirksame, zweckmässige und wirtschaftliche Leistungen von der OKP übernommen werden. Diese werden gestützt auf Artikel 33 Absatz 2 KVG in der Verordnung näher bezeichnet (vgl. Ziff.

4.3.7).

4.1.8

Massnahmen in der Invalidenversicherung

Auf den 1. Januar 2022 traten weitreichende Änderungen des IVG in Kraft.70 Der Bundesrat strebte dabei unter anderem eine Annäherung zwischen dem IVG und dem KVG an (vgl. Botschaft vom 15. Febr. 201771 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung; Weiterentwicklung der IV). Neu geschaffen wurde eine IV-Arzneimittelliste, die analog zur SL Höchstpreise enthält, und ein Kompetenzzentrum für die Vergütung von Arzneimitteln beim BAG. Ziel des Kompetenzzentrums ist, dass dieselben Kriterien für die SL und die neue IV-Arzneimittelliste zur Anwendung gelangen und nur eine Verwaltungsstelle für die Durchführung der WZWVerfahren für beide Arzneimittellisten zuständig ist. Diese möglichst optimale Abstimmung zwischen SL und der neuen IV-Arzneimittelliste erfordert, dass die Änderungen des KVG im Bereich des Arzneimittelrechts auch im Bereich des IVG vorgenommen werden. In folgenden Punkten wird eine analoge Regelung als folgerichtig erachtet: 70 71

AS 2021 705 BBl 2017 2535

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­

Die Schaffung von Rechtsgrundlagen für die differenzierte Prüfung der WZW-Kriterien soll auch bei medizinischen Massnahmen der IV Anwendung finden.

­

Preismodelle sollen auch für die Preisfestsetzung von Arzneimitteln der IVArzneimittelliste eingesetzt werden können.

­

Der Zugang zu amtlichen Dokumenten soll verweigert werden, sofern diese die Höhe, die Berechnung oder die Modalitäten der Rückerstattungen bei den Preismodellen betreffen.

Analog zur OKP soll im Hinblick auf eine effiziente Rechnungskontrolle auch im Bereich der IV die elektronische Rechnungsstellung gefördert werden. Wie in Artikel 42 Absatz 3ter E-KVG soll eine Verpflichtung zur elektronischen Rechnungsübermittlung eingeführt werden. Dabei gilt es aber zu beachten, dass die IV deutlich mehr Arten von Leistungserbringern kennt. Das System der IV unterscheidet sich in diesem Punkt von demjenigen der OKP. Die Bestimmungen bezüglich der Rechnungsstellung sind auf alle Eingliederungsmassnahmen anwendbar, also sowohl auf medizinische Massnahmen als auch auf Massnahmen der beruflichen Art. Für die Rechnungsstellung für die Massnahmen beruflicher Art gelten spezifische Bedingungen, die sich von denjenigen für die medizinischen Massnahmen unterscheiden.

4.1.9

Weitere Anpassungen

Kostenbeteiligung Mutterschaft: Gleichbehandlung der Patientinnen Nach Artikel 64 Absatz 7 Buchstabe b KVG darf für Leistungen nach den Artikeln 25 und 25a KVG, die ab der 13. Schwangerschaftswoche, während der Niederkunft und bis acht Wochen nach der Niederkunft erbracht werden, keine Kostenbeteiligung erhoben werden. Diese Bestimmung ist auf den 1. März 2014 in Kraft getreten. Das Parlament wollte damit die Befreiung der Kostenbeteiligung nicht wie bis anhin lediglich bei normalen Schwangerschaften, sondern explizit auch bei Schwangerschaft mit Komplikationen regeln.

Der Gesetzgeber hat mit der Bestimmung von Artikel 64 Absatz 7 Buchstabe b KVG zwar die Befreiung von der Kostenbeteiligung mit einem zeitlichen Kriterium verbunden, ohne aber einen Kausalzusammenhang mit der Schwangerschaft einzuführen. Es ist auch nicht anzunehmen, dass Frauen aufgrund der Befreiung von der Kostenbeteiligung markant häufiger «schwangerschaftsfremde» Leistungen beanspruchen, da medizinische Massnahmen während der Schwangerschaft oft mit gesundheitlichen Risiken für Mutter und Kind verbunden sind.72 Daraus ist abzuleiten, dass der Gesetzgeber mit der Ausklammerung jeglicher, explizit nicht zeitlichen Verknüpfung mit der Schwangerschaft, absichtlich auch Leistungen ohne Kausalzusammenhang mit der Schwangerschaft von der Kostenbeteiligung befreit hat. Auch wenn das ursprüngliche Ziel der Änderung war, das Problem der Schwangerschaftskomplikationen zu lösen, hat der Gesetzgeber vorgesehen, auch Leistungen ohne Zusammenhang mit der

72

Vgl. BBl 2013 2459, S. 2464

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Schwangerschaft oder Mutterschaft während eines spezifischen Zeitraums von der Kostenbeteiligung zu befreien.

In der Praxis hat sich aber herausgestellt, dass Versicherer die Gesetzesbestimmung unterschiedlich umsetzen. Artikel 64 Absatz 7 Buchstabe b KVG lässt Raum für Interpretationen und kann eng oder weit ausgelegt werden. Eng in dem Sinne, dass lediglich allgemeine Leistungen bei Krankheit (Art. 25 KVG) und Pflegeleistungen bei Krankheit (Art. 25a KVG) von der Kostenbeteiligung ausgenommen sind. Dies würde bedeuten, dass die Patientinnen beispielsweise bei einem Unfall oder bei einem straflosen Abbruch der Schwangerschaft ab der 13. Schwangerschaftswoche die Kostenbeteiligung übernehmen müssten.

Das BAG vertritt in seinem Informationsschreiben vom 16. März 201873 eine weite Auslegung in dem Sinne, dass unter Artikel 64 Absatz 7 Buchstabe b KVG auch die Leistungen im Zusammenhang mit Geburtsgebrechen (Art. 27 KVG), Unfällen (Art. 28 KVG) und mit dem straflosen Abbruch der Schwangerschaft (Art. 30 KVG) zu subsumieren sind, zumal diese Leistungen allesamt den Verweis auf den in den Artikeln 25 und 25a KVG definierten Umfang bei Leistungen bei Krankheit enthalten.

Die Leistungen bei Geburtsgebrechen (Art. 27 KVG), bei Unfällen (Art. 28 KVG) sowie beim straflosen Abbruch der Schwangerschaft sehen die Kostenübernahme für dieselben Leistungen wie bei Krankheit, aber unter anderen Voraussetzungen als bei Krankheit vor. Die Leistungen entsprechen somit den in den Artikeln 25 und 25a KVG definierten Leistungen, lediglich die Ursache der Untersuchung und Behandlung ist eine andere.

Es erscheint aus rechtlicher Sicht zudem schwierig, zwischen den Schwangerschaftsabbrüchen nach der 23. Schwangerschaftswoche und denjenigen zwischen der 13. und der 22. Schwangerschaftswoche zu unterscheiden: Schwangerschaftsabbrüche, Totoder Fehlgeburten, die nach der 23. Schwangerschaftswoche erfolgen, gelten im Sinne des Gesetzes nämlich als Entbindung (vgl. Art. 105 Abs. 2 KVV) und sind nach Artikel 64 Absatz 7 Buchstabe a KVG von der Kostenbeteiligung befreit. Zudem übernimmt bei straflosem Schwangerschaftsabbruch nach Artikel 119 des Strafgesetzbuches74 die OKP die Kosten für die gleichen Leistungen wie bei Krankheit. Die Krankenversicherer sind dabei nicht befugt, die Rechtmässigkeit eines straflosen
Schwangerschaftsabbruches in Frage zu stellen. Mit Blick auf die unterschiedliche Beurteilung der Rechtslage in der Praxis und die fehlende Rechtssicherheit ist eine Präzisierung der Gesetzesbestimmung unumgänglich. Entsprechend wird Artikel 64 Absatz 7 Buchstabe b KVG ergänzt mit den Hinweisen auf Leistungen bei Geburtsgebrechen, Unfällen und Leistungen bei straflosem Abbruch der Schwangerschaft.

In Umsetzung der Motionen 19.3070 Kälin «Kostenbefreiung für Schwangere während der ganzen Schwangerschaft» und 19.3307 Addor «Vollständige Übernahme der Kosten der Leistungen bei Mutterschaft durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung» wird die Bestimmung zudem dahingehend angepasst, dass die Befreiung

73

74

Das Informationsschreiben ist abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > Versicherer und Aufsicht > Kreis- und Informationsschreiben > Informationsschreiben Schweiz (Stand: 1.7.2022).

SR 311.0

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von der Kostenbeteiligung ab ärztlich bestimmtem Beginn der Schwangerschaft mittels Ultraschall greift.

4.2

Abstimmung von Aufgaben und Finanzen

4.2.1

Netzwerke zur koordinierten Versorgung

Dem Bund entstehen durch die Einführung von Netzwerken zur koordinierten Versorgung keine neuen Vollzugsaufgaben. Der Aufbau eines Netzwerks zur koordinierten Versorgung ist Aufgabe der Leistungserbringer ­ allenfalls mit organisatorischer Unterstützung durch Kantone, Gemeinden oder Versicherer.

4.2.2

Differenzierte WZW-Prüfung nach Artikel 32 KVG

Mit der Schaffung der Rechtsgrundlagen für die differenzierte Prüfung der WZWKriterien entstehen dem Bund keine neuen Vollzugsaufgaben. Der Aufwand für den Bund und für die Antragstellenden wird optimiert.

4.2.3

Preismodelle und Rückerstattungen

Durch die Präzisierung der rechtlichen Grundlagen bezüglich der Abwicklung von Preismodellen entstehen neue Aufgaben für die gemeinsame Einrichtung KVG. Zudem hat die Anwendung von Preismodellen im Rahmen von Rückerstattungen bereits heute zu erhöhten personellen Aufwendungen geführt. Es ist davon auszugehen, dass mit der Präzisierung der rechtlichen Grundlagen noch weiterer Bedarf an personellen Ressourcen entstehen wird (vgl. Ziff. 6.1.2). Dieser Bedarf ist aber mit der Zielsetzung der Kostendämpfung in der Krankenversicherung verbunden und somit verhältnismässig.

4.2.4

Ausnahme vom Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend die Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rückerstattungen im Rahmen von Preismodellen

Ein Teil der Aufwendungen im Zusammenhang mit der Behandlung von Gesuchen nach dem BGÖ fallen weg. Diese Ressourcen werden für die Arbeiten im Zusammenhang mit der Schaffung von vermehrter Transparenz alloziert.

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4.2.5

Faire Referenztarife für eine schweizweit freie Spitalwahl

Weil die Kantone bereits heute Referenztarife für ausserkantonale stationäre Wahlbehandlungen festlegen, entstehen für die Akteure im Gesundheitswesen durch die Gesetzesänderung keine neuen Aufgaben. Die gesetzliche Regelung präzisiert lediglich, dass der Referenztarif sich nach dem Tarif für eine vergleichbare Behandlung in einem Listenspital des Wohnkantons richtet.

4.2.6

Elektronische Rechnungsübermittlung

Mit dieser Massnahme entstehen grundsätzlich keine neuen Aufgaben für die Leistungserbringer und die Versicherer. Es können aber gewisse Kosten für die Einführung der elektronischen Rechnungsübermittlung entstehen. Bereits heute dürfte aber die Mehrheit der Rechnungen elektronisch abgewickelt werden. Deshalb dürften bei den meisten Leistungserbringern und Versicherern die Einrichtungen für die elektronische Rechnungsstellung vorhanden sein.

Im stationären Bereich wird bereits jetzt fast zu 100 Prozent elektronisch abgerechnet.

Das ist darauf zurückzuführen, dass mit Artikel 59a KVV, der auf die Rechnungsstellung bei einem Vergütungsmodell vom Typus DRG anwendbar ist, die elektronische Rechnungsübermittlung gefördert wird. Im ambulanten Bereich, wo in der Mehrheit der Fälle die versicherte Person die Rechnung erhält (System des Tiers garant), ist davon auszugehen, dass rund die Hälfte der Rechnungen elektronisch übermittelt wird. Gesamthaft werden rund zwei Drittel der von den Leistungserbringern bei den Versicherern eingereichten Rechnungen bereits heute elektronisch übermittelt.

Die Umsetzung der elektronischen Rechnungsübermittlung wird sich positiv auf die Höhe der Verwaltungskosten sowohl der Krankenversicherer als auch der Leistungserbringer auswirken.

Damit die Versichertenkarte in Zukunft auf Wunsch der versicherten Person auch in elektronischer Form ausgestellt und als Identifikationsmittel für die Kommunikation mit den Versicherern verwendet werden kann, sind seitens der Versicherer Investitionen in die technologische Weiterentwicklung der Versichertenkarte notwendig. Die SASIS AG, die im Auftrag der Versicherer die Versichertenkarte produziert, verfügt bereits über einen Prototyp einer «virtuellen Versichertenkarte», der nach einer entsprechenden Registrierung der versicherten Person auch als schweizweit einheitliche elektronische Identität genutzt werden kann. Da für die Verwendung der Versichertenkarte im Ausland (europäische Krankenversicherungskarte) weiterhin ein Sichtausweis gefordert ist, sind keine Kosteneinsparungen zu erwarten.

4.2.7

Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker

Dem Bund entstehen durch die Ausweitung der Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker zulasten der OKP keine neuen Vollzugsaufgaben.

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4.2.8

Massnahmen in der Invalidenversicherung

Mit den hier vorgesehenen Neuregelungen soll die Entwicklung der Kosten bei den medizinischen Massnahmen der IV eingedämmt und die Rechnungskontrolle verbessert werden. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht möglich, die finanziellen Folgen zu quantifizieren.

4.2.9

Weitere Anpassungen

Kostenbeteiligung Mutterschaft: Gleichbehandlung der Patientinnen Mit der neuen Regelung entstehen für den Bund keine neuen Vollzugsaufgaben.

4.3

Umsetzungsfragen

4.3.1

Netzwerke zur koordinierten Versorgung

Um eine gewisse Flexibilität zu gewährleisten, definiert das Gesetz die Netzwerke zur koordinierten Versorgung nicht im Detail. Es wird Sache des Bundesrates sein, diese auf Verordnungsebene zu präzisieren. Der Bundesrat wird mit dieser Vorlage jedoch ermächtigt, Anforderungen an die Leistungserbringung durch das Netzwerk zur koordinierten Versorgung sowie an die Koordination der Leistungen über die gesamte Versorgungskette festzulegen. Dabei wird er insbesondere Minimalstandards festlegen für: ­

die interprofessionelle Zusammensetzung des beim Netzwerk zur koordinierten Versorgung angestellten Fachpersonals;

­

die Verträge mit den ans Netzwerk angeschlossenen Leistungserbringern;

­

die Verträge zwischen den Netzwerken zur koordinierten Versorgung und den Versicherern oder deren Verbänden betreffend die Finanzierung der Zusatzkosten aufgrund der weitergehenden Koordination komplexer Fälle.

Ziel dieser Regelung ist namentlich, dass bereits bestehende Netzwerke wie HMO die neuen gesetzlichen Anforderungen leicht erfüllen können, ohne ihre Struktur von Grund auf ändern zu müssen. Diese Vorlage ermöglicht allen OKP-Versicherten unabhängig von der Versicherungsform, in der sie versichert sind, Netzwerke zur koordinierten Versorgung als Leistungserbringer zu wählen. Gemäss der Statistik der obligatorischen Krankenversicherung haben 8,9 Prozent der Versicherten ab 19 Jahren ein HMO-Modell gewählt.75

75

Bundesamt für Gesundheit: Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2020 (Tabelle 7.08), abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Zahlen & Statistiken > Krankenversicherung: Statistiken > Statistik der obligatorischen Krankenversicherung (Stand: 1.7.2022).

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4.3.2

Differenzierte WZW-Prüfung nach Artikel 32 KVG

Basierend auf dem neuen Absatz 3 in Artikel 32 E-KVG legt der Bundesrat in der Verordnung fest, welche Leistungen gemäss den WZW-Kriterien in welcher Art und Weise, also in welcher Tiefe, in welchem Umfang und in welcher Häufigkeit, evaluiert werden sollen, dies je nach Zeitpunkt im Lebenszyklus einer Leistung (z. B. Erstaufnahme, periodische Überprüfungen, Streichung einer Leistung) in unterschiedlicher Tiefe und Methodik im Sinne eines effizienten Einsatzes von Ressourcen in denjenigen Bereichen, in denen durch die Evaluation ein Nutzen für eine bessere Versorgung und die Dämpfung der Kosten erwartet werden kann. Tiefe und Aufwand einer WZW-Überprüfung sind höher, wenn neue Daten zu einer Leistung oder zu Therapiealternativen, wenn neue Leitlinien vorliegen oder wenn für eine Leistung ein HTA-Bericht erstellt wird. Die Vorgaben auf Stufe KVV sollen anhand der medizinischen Entwicklung und den Entwicklungen der internationalen wissenschaftlichen Evaluationsmethoden angepasst werden. Auf Stufe des EDI können dann weitergehende Ausführungsbestimmungen hinsichtlich der Verfahren in der KLV festgelegt werden.

Nach der Schaffung der rechtlichen Grundlagen in Artikel 32 Absatz 3 E-KVG wird auf Verordnungsstufe ebenfalls die Prüfung der Massnahme 30 des Expertenberichts «Jährliche Überprüfung der Preise und Sicherstellung der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit der vergüteten Arzneimittel (M 30)» aufgenommen werden. Der Bundesrat wird in diesem Rahmen ebenfalls die Umsetzung der Interpellation Eberle 16.3428 «Überprüfung der Medikamentenpreise. Wird die gegenläufige Kostenentwicklung berücksichtigt?» prüfen.

In allgemeiner Weise kann ausgeführt werden, dass die erstmalige WZW-Prüfung einer Leistung grundsätzlich jeweils systematisch und vollständig durchgeführt wird.

Bei der periodischen Überprüfung soll bezüglich der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit jeweils vor allem untersucht werden, ob seit der letzten Prüfung neue Studien mit Veränderungen der wissenschaftlichen Erkenntnisse oder der medizinischen Praxis vorliegen oder ob in klinischen Leitlinien gewisse Leistungen durch neue andere Leistungen ersetzt wurden. Solange dies nicht der Fall ist, besteht grundsätzlich keine Notwendigkeit, die Wirksamkeit und die Zweckmässigkeit einer Leistung vertieft zu prüfen. Zudem soll auch bei der Überprüfung eines
Arzneimittels aufgrund einer Indikationserweiterung, Limitierungsänderung oder Indikationseinschränkung die Kriterien der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit neben der Wirtschaftlichkeit eingehend geprüft werden, da in diesen Fällen neue Studien und neue Erkenntnisse über das Arzneimittel vorliegen. Zusammengefasst erfolgt eine vertiefte Prüfung jeweils dann, wenn sich die Situation wesentlich verändert hat. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Hinweise bestehen, dass diese Kriterien nicht mehr oder nur unter bestimmten Bedingungen erfüllt sein könnten.

Betreffend Wirtschaftlichkeit sollen die Art und Weise sowie die zeitlichen Intervalle der Überprüfung je nach Kategorie von Produkten (z. B. hochpreisige gegenüber günstigen Produkten), Zeitpunkt im Lebenszyklus einer Leistung sowie Dynamik der internationalen Markt- oder Preisentwicklung differenziert und in unterschiedlicher Weise festgelegt werden. Gibt es bei einer Überprüfung Hinweise dafür, dass die

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WZW-Kriterien nicht mehr erfüllt sind, soll eine vertiefte Prüfung der Kriterien erfolgen. Dies kann auch mittels HTA-Bericht geschehen, und das Ergebnis kann zu einer Einschränkung der Leistungspflicht oder zu einer Streichung einer Leistung aus der OKP führen. Bei den Positivlisten mit behördlich festgelegten Vergütungen werden die Maximalpreise oder -tarife oder die Höchstvergütungsbeträge grundsätzlich in jeder periodischen Überprüfung evaluiert und allenfalls neu festgesetzt. Auch hier sollen indessen Differenzierungen möglich sein.

So könnte auf Verordnungsstufe vorgesehen werden, dass beispielsweise bei sehr günstigen Arzneimitteln auf eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeit oder eine Preissenkung verzichtet wird oder diese Präparate generell weniger häufig zu prüfen sind als sehr teure und damit kostenrelevante Arzneimittel. Auch hier ginge es also darum, die Ressourcen zur Überprüfung der WZW-Kriterien vor allem dort einzusetzen, wo durch die Evaluation ein Nutzen für eine bessere Versorgung und die Dämpfung der Kosten erwartet werden kann. Indem beispielsweise bei bereits sehr günstigen Arzneimitteln auf eine weitere Preissenkung verzichtet werden könnte, würden solche Arzneimittel nicht von der SL genommen. Dadurch würde die Versorgungssicherheit mit solchen Arzneimitteln verbessert und im Sinne der Kostendämpfung auch vermieden, dass die bereits günstigen Arzneimittel für die Zulassungsinhaberin unrentabel und aus der SL gestrichen werden. In diesem Fall besteht die Gefahr, dass solche Arzneimittel durch neuere, viel teurere ersetzt werden.

4.3.3

Preismodelle und Rückerstattungen

Auf Verordnungsstufe werden die konkreten Voraussetzungen und Berechnungen von Preismodellen mit Rückerstattungen an die Versicherer, den Fonds für Rückerstattungen und den IV-Ausgleichsfonds geregelt werden. Preismodelle werden angewendet, indem in einem ersten Schritt der Versicherer dem Leistungserbringer den Publikumspreis vergütet (Vorleistung) und in einem zweiten Schritt eine Rückerstattung durch die Zulassungsinhaberin an den Versicherer (oder die gemeinsame Einrichtung KVG) erfolgt. Ziel ist, dass für die verschiedenen Herausforderungen, bei denen Preismodelle zur Anwendung gelangen, einheitliche Lösungen entwickelt werden, die jedoch Flexibilität bei der Anwendung von Preismodellen zulassen.

Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, an wen die Zulassungsinhaberin die Rückerstattung vornimmt: an den Krankenversicherer oder den Fonds für Rückerstattungen beziehungsweise den IV-Ausgleichsfonds. Bei den sogenannten Rückzahlungsmodellen fordert der Krankenversicherer die vom BAG festgelegte Rückerstattung (meistens die Differenz zwischen festgelegtem, d. h. in der SL aufgeführtem Preis und wirtschaftlichem Fabrikabgabepreis [FAP]) von der Zulassungsinhaberin zurück. Dabei findet sich ein entsprechender Verweis in der SL, insbesondere in der Limitierung des entsprechenden Arzneimittels. Der Verweis weist entweder den Rückerstattungsbetrag konkret aus oder hält zumindest fest, dass eine Rückerstattung festgelegt wurde.

In Ausnahmefällen sollen auch intransparente Preismodelle möglich sein (d.h. es ist aus der SL nicht ersichtlich, dass ein Preismodell besteht), da dadurch höhere Rückerstattungsbeträge erreicht werden können. Falls erforderlich legt das BAG auch fest, dass die Rückerstattung nicht an den einzelnen Krankenversicherer erfolgt, sondern 48 / 78

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an die gemeinsame Einrichtung KVG. Eine Rückerstattung an die gemeinsame Einrichtung KVG wird vor allem bei Arzneimitteln erforderlich, für die Volumengrenzen aufgrund des Einsatzes grosser Mengen bei vielen Patientinnen und Patienten definiert werden. Sie dient in solchen Fällen zur Minimierung des administrativen Aufwands der Versicherer und der Zulassungsinhaberin, die auf diese Weise nicht jeden Fall einzeln untereinander abwickeln müssen. Eine Rückerstattung an die gemeinsame Einrichtung KVG wird festgelegt, wenn es sich um Arzneimittel handelt, die im stationären Bereich zur Anwendung kommen. In der Folge sollen die der gemeinsamen Einrichtung einbezahlten Beträge unter den Versicherern und Kantonen anteilsmässig aufgeteilt werden.

Die Einzelheiten der Aufteilung der von den Zulassungsinhaberinnen an die gemeinsame Einrichtung KVG einbezahlten Rückerstattungen unter den verschiedenen Kostenträgern (Versicherer und Kantone) wird in der Verordnung geregelt werden (Verteilschlüssel). Es sollen verschiedene Modalitäten möglich sein (z. B. anhand der Prämienvolumina). Bei Arzneimitteln, die sehr teuer sind, zum Beispiel einige Arzneimittel zur Behandlung von seltenen Krankheiten, könnte die gemeinsame Einrichtung KVG die Rückerstattungen auch direkt an denjenigen Versicherer weitergeben, der die Kosten aus der OKP übernommen hat. Das BAG wird bei Arzneimitteln, die im stationären Bereich eingesetzt werden, gestützt auf Daten zu den einzelnen Arzneimitteln eine Schätzung der kantonalen Anteile vornehmen und anlässlich der Aufnahme auch eine entsprechende Rückerstattung der Zulassungsinhaberinnen an den durch die gemeinsame Einrichtung KVG geführten Fonds vorsehen. Die einbezahlten Beträge werden danach von der gemeinsamen Einrichtung KVG an die Kantone rückvergütet.

Die gemeinsame Einrichtung KVG verwaltet die Mittel des Fonds für Rückerstattungen. Es handelt sich bei diesem Fonds um ein Zweckvermögen innerhalb der privatrechtlichen Stiftung gemeinsame Einrichtung KVG; die Trägerschaft des Fonds liegt somit bei den Versicherern. Aus der Verwaltung des Fonds werden auch Kosten resultieren. In der Verordnung wird daher auch zu regeln sein, wer diese Kosten übernimmt. Denkbar wäre eine Finanzierung aus den Mitteln des Fonds oder auch die Überwälzung der Kosten auf die Zulassungsinhaberinnen, für
deren Arzneimittel eine Rückerstattung vorgesehen wurde. Die gemeinsame Einrichtung KVG muss die Verwaltungskosten auf das für eine wirtschaftliche Geschäftsführung erforderliche Mass beschränken.

Bei Preismodellen mit Rückerstattungen an die Versicherer, bei denen der konkrete Rückerstattungsbetrag nicht aus der SL und ihren Limitierungen ersichtlich ist, wird ­ gestützt auf Artikel 64 Absatz 6 Buchstabe b KVG ­ ausserdem auf Verordnungsstufe vorgesehen werden, dass keine Kostenbeteiligung der Versicherten geschuldet ist. Dadurch kann die in Ausnahmefällen vertrauliche Anwendung von Preismodellen gewährleistet werden. Ausserdem kann davon ausgegangen werden, dass die von Arzneimitteln mit Preismodellen betroffenen Versicherten die Höchstbeträge der Kostenbeteiligung ohnehin aufgrund anderer bezogener Leistungen erreichen, weshalb die Ausnahme von der Kostenbeteiligung auch aus Sicht der Gesamtheit der prämien- und steuerzahlenden Bevölkerung gerechtfertigt erscheint.

Zur Umsetzung von Artikel 52b Absatz 3 E-KVG kann der Bundesrat vorsehen, dass das EDI die Pflicht zur Rückerstattung in den Listen verordnet.

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4.3.4

Ausnahme vom Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend die Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rückerstattungen im Rahmen von Preismodellen

Unterlagen mit Bezug auf die Rückerstattungen sollen vom Zugang zu amtlichen Dokumenten ausgenommen werden.

Um dem öffentlichen Interesse an den Beurteilungen und Entscheiden des BAG Rechnung zu tragen, sollen im Gegenzug weitere Informationen öffentlich zugänglich gemacht werden, als dies heute der Fall ist. Heute sind bei der Aufnahme eines Arzneimittels in die SL und bei Indikationserweiterungen oder Limitierungsänderungen gemäss Artikel 71 KVV insbesondere folgende Unterlagen öffentlich zugänglich: Grundlagen zur Beurteilung der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit des Arzneimittels, Grundlagen des therapeutischen Quervergleichs und Innovationszuschlages, durchschnittlicher FAP der Referenzländer. Weiter gibt das BAG nach Artikel 71 KVV auch die Namen der Arzneimittel bekannt, die von einem gerichtlichen Beschwerdeverfahren betroffen sind.

Zukünftig sollen weitere Informationen öffentlich zugänglich gemacht werden (u. a.

Entscheidgrundlagen insbesondere zur Wirtschaftlichkeit im Rahmen von Überprüfungen gelisteter Arzneimittel, Beurteilung und Entscheid von Preiserhöhungsgesuchen oder eine Liste der eingereichten Aufnahmegesuche für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen sowie der Gesuche um Limitierungsänderungen, Indikationserweiterungen und Indikationseinschränkungen) (vgl. Ziff. 4.1.4).

4.3.5

Faire Referenztarife für eine schweizweit freie Spitalwahl

Der für die Bestimmung des Referenztarifs zum Vergleich hinzugezogene Tarif eines Spitals auf der Spitalliste des Wohnkantons soll für eine vergleichbare Behandlung gelten, damit der Wettbewerb zwischen vergleichbaren Leistungserbringern und Leistungen spielt. Das Gesetz gibt dem Bundesrat die Kompetenz, auf dem Verordnungsweg die Einzelheiten zu regeln, was unter vergleichbaren Behandlungen zu verstehen ist und welcher der verschiedenen Tarife für vergleichbare Leistungen in Frage kommen soll. Es kommen verschiedene Kriterien in Frage, wann eine Behandlung als vergleichbar betrachtet werden kann. Insbesondere die Art der Leistung und des Leistungsbereichs spielen eine Rolle, allenfalls auch die Art des Leistungserbringers, beispielsweise der «Spitaltyp». Zu regeln sein wird ausserdem, wie der für den Referenztarif entscheidende Tarif für eine vergleichbare Behandlung in einem Spital auf der Spitalliste des Wohnkantons ermittelt wird. Bei der Festsetzung der Regelungen werden auch die Einfachheit, die Transparenz und die administrative Praktikabilität der Herleitung des Referenztarifs eine Rolle spielen.

Eine angemessene Übergangsfrist soll zudem sicherstellen, dass den Kantonen für die erstmalige Festlegung der Referenztarife nach den neuen Regeln genügend Zeit eingeräumt wird.

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4.3.6

Elektronische Rechnungsübermittlung

Die Ausgestaltung der elektronischen Rechnungsstellung wird den Tarifpartnern, also den Krankenversicherern und den Leistungserbringern oder deren Verbänden überlassen. Sie müssen sich auf einen schweizweit einheitlichen Standard für die elektronische Übermittlung der Rechnungen einigen. Bis sich die Tarifpartner geeinigt haben und sie eine solche Vereinbarung abschliessen können, braucht es Zeit. Nach der Einigung muss den Leistungserbringern und den Krankenversicherern für die notwendigen Vorkehrungen, damit die Rechnungsstellung elektronisch erfolgen kann, auch Zeit eingeräumt werden. Den Parteien wird für die Verabschiedung des entsprechenden Standards eine zweijährige Übergangsfrist nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung gewährt. Können sich die Tarifpartner innerhalb der gewährten Frist nicht auf einen schweizweit einheitlichen Standard einigen, sieht das Gesetz vor, dass ihn der Bundesrat festlegen muss.

Auf Verordnungsstufe ist zudem das Verfahren zu regeln, wie die Rechnung in den Fällen elektronisch zum Krankenversicherer gelangt, in denen die versicherte Person die Rechnung in Papierform verlangt.

Der Bundesrat wird die Verordnung vom 14. Februar 200776 über die Versichertenkarte für die obligatorische Krankenversicherung mit den technischen und organisatorischen Vorgaben für die elektronische Form der Versichertenkarte und für deren Verwendung als Identifikationsmittel (Vorgaben an den Prozess zur Identitätsprüfung und Sicherheitsanforderungen an das Identifikationsmittel) sowie für die Kommunikation (z. B. Vorgaben für das Authentifizierungsverfahren) mit den Versicherern (Art. 42a Abs. 2bis Bst. b E-KVG) ergänzen.

4.3.7

Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker

Die Art und der Umfang der Leistungen werden basierend auf dem geltenden Artikel 33 Absatz 2 KVG nach Prüfung auf deren Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit durch das EDI in der KLV mittels konkreten Leistungsdefinitionen (Art der Leistung, Zielgruppe, Zeitpunkt im Behandlungs-/Betreuungsprozess) und Mengenlimitationen näher bezeichnet. Weiter können auch Voraussetzungen an spezifische Qualifikationen von Apothekerinnen und Apothekern (z.B. Fähigkeitsausweis nach dem Fähigkeitsprogramm FPH Impfen und Blutentnahme) vorgesehen werden. Für Präventionsleistungen nach Artikel 26 KVG gilt wie für alle anderen Leistungserbringer auch, dass deren Leistungspflicht in den Artikeln 12a­12e KLV festgelegt sein muss.

4.3.8

Massnahmen in der Invalidenversicherung

Der Bundesrat kann auf Verordnungsstufe Ausführungsbestimmungen vorsehen.

Diese werden in Analogie zur Krankenversicherung ausgestaltet werden. Da bei der 76

SR 832.105

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IV die Rückerstattungen stets direkt in den Ausgleichsfonds der IV fliessen, erübrigt sich die Schaffung eines neuen Fonds für Rückerstattungen.

Das Tarif- und Rechnungsstellungssystem der IV unterscheidet sich in zahlreichen Punkten vom System in der Krankenversicherung. Bei der IV sind die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen nicht nur auf die medizinischen Massnahmen, sondern auf alle Eingliederungsmassnahmen anwendbar, namentlich auf die Massnahmen beruflicher Art. Für die Rechnungsstellung bei den Massnahmen beruflicher Art gelten spezifische Bedingungen, die sich von denjenigen bei den medizinischen Massnahmen unterscheiden. Die Übertragung der Rechtsetzungskompetenz an den Bundesrat wird es ermöglichen, diesen spezifischen Bedürfnissen am besten gerecht zu werden.

4.3.9

Weitere Anpassungen

Kostenbeteiligung Mutterschaft: Gleichbehandlung der Patientinnen Artikel 105 Absatz 1 KVV wird so angepasst werden, dass die Ärztin oder der Arzt, die oder der die Schwangerschaft begleitet, das Datum der festgestellten Schwangerschaft bestätigt und es auf der Rechnung angibt.

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Ersatz von Ausdrücken Mit der Änderung vom 18. Juni 202177 des KVG wurden gemäss der seit vielen Jahren gängigen Praxis im ganzen Gesetz «Departement» durch «EDI» und «Bundesamt» durch «BAG» ersetzt. An einigen Stellen, die mit der Änderung vom 21. Juni 201978 des KVG eingefügt wurden, wurde dies nicht umgesetzt. Mit der vorliegenden Änderung soll die Bezeichnung im ganzen KVG vereinheitlicht werden.

Art. 18 Abs. 2septies Die rechtliche Grundlage für die gemeinsame Einrichtung KVG ist in Artikel 18 enthalten. Diese Bestimmung enthält namentlich die Aufgaben, die der gemeinsamen Einrichtung KVG zukommen. In Absatz 2septies soll nach der schon bestehenden Aufgabe der Führung des Lebendspende-Nachsorgefonds nach Artikel 15b des Transplantationsgesetzes (neu in Bst. a geregelt) auch die der gemeinsamen Einrichtung KVG neu übertragene Aufgabe, die Führung eines Fonds für die Rückerstattungen nach Artikel 52b in Buchstabe b aufgeführt werden. In den Fonds sollen einerseits Rückerstattungen im Zusammenhang mit Preismodellen einbezahlt werden. So sollen etwa bei volumenbezogenen Rückerstattungen die Gelder in diesen Fonds bezahlt werden. Ebenfalls in den Fonds für Rückerstattungen werden Beträge einbezahlt, die vom BAG aufgrund der Anwendung von Arzneimitteln im stationären Bereich festgelegt werden. Die der gemeinsamen Einrichtung KVG einbezahlten Beträge können 77 78

AS 2021 837 AS 2021 151

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in der Folge unter den Versicherern und den Kantonen aufgeteilt werden. Die gemeinsame Einrichtung KVG soll die Mittel der Rückerstattung verwalten und den Gesamtbetrag entweder nach dem Prämienvolumen der OKP unter den Versicherern und Kantonen verteilen oder die einbezahlten Beträge unter denjenigen Kostenträgern (Versicherer und Kantone) aufteilen, die die Kosten des betroffenen Arzneimittels übernommen haben. Die Einzelheiten der Aufteilung werden auf Verordnungsstufe zu regeln sein (vgl. Art. 52b Abs. 4 Bst. c E-KVG). Die gemeinsame Einrichtung KVG führt diesen Fonds und setzt in diesem Rahmen auch die korrekte Rückvergütung der einbezahlten Beträge an die Versicherer und Kantone um.

Daneben sollen auch die Rückerstattungen von Mehreinnahmen, die aus der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit von Arzneimitteln der SL resultieren (vgl. Art. 67a KVV), in den Fonds fliessen. Künftig lassen sich auch die Rückerstattungen nach Artikel 67a KVV auf Artikel 52b E-KVG abstützen. Es handelt sich dabei beispielsweise um Rückerstattungen von Mehreinnahmen, die während eines Beschwerdeverfahrens erzielt wurden (vgl. Art. 67a Abs. 2 Bst. a KVV), Mehreinnahmen, die aufgrund einer ungenauen Schätzung des Mehrumsatzes nach Artikel 65f Absatz 2 erster Satz KVV (vgl. Art. 67a Abs. 2 Bst. b KVV; Prävalenzmodell) erzielt wurden, sowie Mehreinnahmen, die bei der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit festgestellt werden (vgl.

Art. 67a Abs. 1 KVV). Die heute geltende Regelung von Artikel 48 Buchstabe c KVAG wird durch Artikel 18 Absatz 2septies E-KVG abgelöst.

Art. 25 Abs. 2 Bst. h Ziff. 2 Da heute die Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker auf die Abgabe von Arzneimitteln beschränkt sind (vgl. Art. 25 Abs. 2 Bst. h KVG i.V.m. Art. 4a KLV), bedarf es einer expliziten gesetzlichen Grundlage für pharmazeutische Beratungsleistungen zur Optimierung der Arzneimitteltherapie und der Therapietreue unabhängig von der Arzneimittelabgabe, die neu durch Apothekerinnen und Apotheker zulasten der OKP erbracht werden können. Diese formell-gesetzliche Grundlage wird mit Artikel 25 Absatz 2 Buchstabe h Ziffer 2 E-KVG geschaffen. Die bisherigen Leistungen im Zusammenhang mit der Abgabe von Arzneimitteln bleiben unverändert und werden neu in Artikel 25 Absatz 2 Buchstabe h Ziffer 1 E-KVG aufgeführt.

Art. 25a Abs. 4 zweiter Satz Es
handelt sich hierbei lediglich um eine redaktionelle Anpassung des französischen Gesetzestextes, welche inhaltlich keine Änderung mit sich bringt.

Art. 26 Da heute die Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker auf die Abgabe von Arzneimitteln beschränkt sind (vgl. Art. 25 Abs. 2 Bst. h KVG i.V.m. Art. 4a KLV), bedarf es einer expliziten gesetzlichen Grundlage für die Erbringung von präventiven Leistungen im Rahmen von Präventionsprogrammen. Dafür ist keine ärztliche Anordnung erforderlich. Dazu wird in Artikel 26 Absatz 2 E-KVG eine entsprechende Ergänzung vorgenommen. In diesem Rahmen wird der bisherige Artikel 26 neu in zwei Absätze unterteilt. Absatz 1 und der Absatz 2 erster Satz entsprechen dem geltenden Recht.

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Art. 32 Abs. 3 Der neue Artikel 32 Absatz 3 E-KVG hält fest, dass die Prüfung der WZW-Kriterien differenziert nach Art der Leistung und nach Zeitpunkt der Prüfung oder Art der Überprüfung erfolgt. Der Begriff «Art der Leistung» ist dabei weit zu verstehen. Er umfasst insbesondere auch die «Eigenschaften» der Leistung (z. B. hochpreisiges/günstiges oder neues/altes Arzneimittel sowie die Art des Arzneimittels). Eigentliche Kompetenzverschiebungen sind damit jedoch nicht verbunden, namentlich bleiben das Vertrauensprinzip bei ärztlichen Leistungen und die Tarifautonomie unangetastet.

Ärztliche Leistungen Es ist nicht notwendig, bei ärztlichen Leistungen die WZW-Kriterien immer gleich zu prüfen. Vielmehr gilt das Grundprinzip, dass alle durch Ärztinnen und Ärzte sowie Chiropraktorinnen und Chiropraktoren erfolgten Untersuchungen und Behandlungen WZW-konform sind und die OKP sie vergütet. Dieses sogenannte Vertrauensprinzip wird nicht angetastet. Die Prüfung oder Überprüfung ärztlicher Leistungen soll auch weiterhin mittels zweckgerichteter, differenzierter WZW-Prüfungen erfolgen.

In Positivlisten aufgeführte Leistungen Auch bei Leistungen, die in abschliessend geführten Positivlisten aufgeführt sind, namentlich Arzneimittel, Analysen sowie Mittel und Gegenstände, wird die bei jeder Neuaufnahme und Überprüfung erfolgende WZW-Prüfung neu in differenzierter Weise erfolgen.

Die erstmalige Prüfung einer Leistung anhand der WZW-Kriterien wird grundsätzlich jeweils systematisch und vollständig durchgeführt. Auch hier können sich je nach zu beurteilender Leistung unterschiedliche Prüfungsdichten aufdrängen. So ist es beispielsweise bei der Erstaufnahme eines Generikums nicht notwendig, dessen Wirksamkeitsprüfung gleich umfassend durchzuführen wie bei der Erstaufnahme seines Originalpräparats. Auch drängen sich aufgrund des Generikastatus Unterschiede bei der Prüfung der WZW-Kriterien auf (z. B. Prüfung der Zweckmässigkeit und der Wirtschaftlichkeit mit der Preisfestsetzung anhand definierter Preisabstände in Abhängigkeit des Originalpräparats).

Bei der periodischen Überprüfung einer Leistung soll grundsätzlich dann eine vertiefte Prüfung der Kriterien erfolgen, wenn es bei einer Überprüfung Hinweise dafür gibt, dass die WZW-Kriterien nicht mehr erfüllt sind.

Zusammenfassend soll die gesetzliche Änderung
in Artikel 32 Absatz 3 E-KVG also präzisierend klarstellen, dass die WZW-Prüfung nicht immer gleich umfassend zu erfolgen hat, was zu einer Erleichterung der WZW-Prüfung beiträgt. Generell soll die Bestimmung eine räsonable WZW-Prüfung gewährleisten, die den verschiedenen Leistungsarten und Lebenszyklen Rechnung trägt.

Art. 35 Abs. 2 Bst. o Die Auflistung wird ergänzt durch den neuen Leistungserbringer «Netzwerke zur koordinierten Versorgung».

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Art. 36 Der Artikel wird ergänzt mit einem Verweis auf den Buchstaben «o» in Artikel 35, der sich auf die Netzwerke zur koordinierten Versorgung bezieht. Um ihre Leistungen zulasten der OKP erbringen zu dürfen, müssen diese ebenfalls durch den Kanton, auf dessen Gebiet sie ihre Tätigkeit ausüben, zugelassen werden.

Art. 36a, Abs. 1 erster Satz Absatz 1 wird mit einem Verweis auf den Buchstaben «o» in Artikel 35, der sich auf die Netzwerke zur koordinierten Versorgung bezieht, ergänzt, damit der Bundesrat die Zulassungsvoraussetzungen dieser Leistungserbringer regeln kann.

Art. 37a Absatz 1 legt die Grundvoraussetzungen fest, welche die Netzwerke zur koordiniertenVersorgung erfüllen müssen, damit sie ihre Leistungen zulasten der OKP erbringen dürfen. Diese Netzwerke müssen von einer Ärztin oder einem Arzt geleitet werden, die oder der die Voraussetzungen in Artikel 37 Absatz 1 (Bst. a) erfüllt, und ihre Leistungen ambulant und koordiniert erbringen (Bst. b). Sie müssen ihren Tätigkeitsbereich in Bezug auf Ort und Zeit (z. B. Notfalldienste) ihrer Eingriffe, in Bezug auf die erbrachten Leistungen und in Bezug auf die Patientinnen und Patienten (z. B. hinsichtlich Wohnort), denen die Leistungen zukommen, (Bst. c) beschränkt haben.

Weiter müssen sie über eine ausreichende Anzahl Ärztinnen und Ärzte verfügen, die die Voraussetzungen in Artikel 37 Absatz 1 erfüllen (Bst. d), um eine Versorgung von hoher Qualität zu gewährleisten. Zudem müssen sie über das erforderliche Fachpersonal verfügen (Bst. e).

Die in den Netzwerken tätigen Fachpersonen haben dabei über dieselben Qualifikationen zu verfügen, wie die nicht in den Netzwerken tätigen Fachpersonen. Zudem müssen Netzwerke zur koordinierten Versorgung die Koordination mit weiteren Leistungserbringern über die gesamte Versorgungskette hinweg sicherstellen (Bst. f) und einer Gemeinschaft oder einer zertifizierten Stammgemeinschaft nach Artikel 11 Buchstabe a des Bundesgesetzes vom 19. Juni 201579 über das elektronische Patientendossier (EPDG) angeschlossen sein (Bst. g). Der Datenaustausch erfolgt über das elektronische Patientendossier. Dies bedeutet, dass sowohl das Netzwerk zur koordinierten Versorgung selbst wie alle Leistungserbringer, die ihre Zusammenarbeit mit dem Netzwerk nach Absatz 2 vertraglich geregelt haben, sich einer ­ wenn auch nicht
zwingend derselben ­ zertifizierten Stammgemeinschaft anschliessen müssen. Des Weiteren ist für die Zulassung der Netzwerke zur koordinierten Versorgung ein kantonaler Leistungsauftrag nötig (Bst. h). Präzisierungen sind in Absatz 3 zu finden.

Absatz 2 hält fest, dass die Netzwerke zur koordinierten Versorgung mit den Leistungserbringern Verträge abschliessen müssen, die insbesondere die Zusammenarbeit, den Datenaustausch, die Qualitätssicherung und die Koordination regeln. Um eine gewisse Kohärenz zwischen den Netzwerken zur koordinierten Versorgung zu

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SR 816.1

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wahren, ist aber vorgesehen, dass der Bundesrat Mindestanforderungen an diese Vereinbarungen festlegen kann.

Absatz 3 präzisiert den kantonalen Leistungsauftrag nach Absatz 1 Buchstabe h:In ihm sind insbesondere die zu erbringenden Leistungen und der zeitliche und örtliche Tätigkeitsbereich festzulegen, um ein ausgewogenes Versorgungsangebot in allen Regionen sicherzustellen. Deckt ein Netzwerk zur koordinierten Versorgung mehrere Kantone ab, so müssen die betroffenen Kantone einen gemeinsamen Leistungsauftrag festlegen.

Art. 38 Abs. 1 und 2 Einleitungsteil Absatz 1 wird mit einem Verweis auf den Buchstaben «o» in Artikel 35, der sich auf die Netzwerke zur koordinierten Versorgung bezieht, ergänzt.

In Absatz 2 wird der Verweis auf Artikel 37a angefügt, der sich auf die Netzwerke zur koordinierten Versorgung bezieht.

Vorbemerkung zu den Änderungen der Art. 41, 42 und 64 Koordination mit dem im Parlament hängigen Geschäft 09.528 «Finanzierung der Gesundheitsleistungen aus einer Hand. Einführung des Monismus» Im Entwurf der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 5. April 201980 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Einheitliche Finanzierung der Leistungen im ambulanten und im stationären Bereich) werden Änderungen der Artikel 41 Absätze 1bis, 1ter, 2bis­2quater, 3, 3bis und 4 zweiter ­fünfter Satz, 42 Absätze 2 zweiter Satz und 3 vorgeschlagen. Die Beratungen dieses Gesetzesentwurfs zur einheitlichen Finanzierung sind noch im Gang. Falls die Änderungen angenommen werden, muss das vorliegende Paket 2 allenfalls angepasst werden.

Art. 41 Abs. 1bis, 2bis Einleitungssatz, 2ter und 3bis Einleitungssatz Abs. 1bis Bei einer Behandlung in einem Spital auf der Spitalliste des Wohnkantons übernehmen Versicherer und Wohnkanton wie heute anteilsmässig die Vergütung höchstens nach dem Tarif des behandelnden Spitals. Dies ergibt sich allerdings bereits aus den Artikeln 49 Absatz 1 und 49a Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 44 KVG. Auf die entsprechende Präzisierung kann deshalb verzichtet werden. Für stationäre ausserkantonale Wahlbehandlungen, also Behandlungen in einem Spital auf der Spitalliste des Standort- oder allenfalls auch eines Dritt-, nicht aber des Wohnkantons, legen die Kantonsregierungen Referenztarife fest. Die Versicherer und der Wohnkanton
übernehmen die Vergütung anteilsmässig nach dem Referenztarif, höchstens aber nach dem Tarif des behandelnden Spitals.

Die festzulegenden Referenztarife sollen den Tarifen entsprechen, die für eine vergleichbare Behandlung in einem Spital auf der Spitalliste des Wohnkantons gelten, 80

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das die Behandlung in der notwendigen Qualität effizient und günstig erbringt. Der Bundesrat regelt die Einzelheiten auf Verordnungsstufe, insbesondere wie vergleichbare Behandlungen abgegrenzt werden und wie der Tarif für vergleichbare Behandlungen ermittelt wird.

Abs. 2bis Einleitungssatz und 2ter Die Anpassungen aus Absatz 1bis werden analog für im Ausland wohnhafte Versicherte übernommen. Für diejenigen Versicherten im Ausland, die einen Anknüpfungspunkt an einen bestimmten Kanton haben (Absatz 2bis), gilt der Referenztarif dieses Kantons. Für diejenigen Versicherten im Ausland, die keinen Anknüpfungspunkt an einen Kanton haben (Absatz 2ter), legt der Bundesrat den Referenzkanton fest. Dies ist notwendig, damit auch für die Versicherten ohne Bezug zu einem bestimmten Kanton, von dessen Situation ausgegangen werden könnte, geregelt ist, bis zu welchem Tarif der Versicherer und die Kantone die Vergütung übernehmen.

Abs. 3bis Einleitungssatz In diesem Absatz werden die Verweise auf andere Absätze angepasst.

Art. 42 Abs. 2 zweiter Satz und 3ter Abs. 2 zweiter Satz Nach Artikel 42 Absatz 1 gilt der Grundsatz, dass die Versicherten den Leistungserbringern die Vergütung der Leistung schulden, wenn die Versicherer und Leistungserbringer nichts anderes vereinbart haben. Die Versicherten haben in diesem Fall gegenüber dem Versicherer einen Anspruch auf Rückerstattung (System des Tiers garant).

Eine direkte Entschädigung der Leistungserbringer durch die Versicherer ist ebenfalls möglich (System des Tiers payant; Art. 42 Abs. 2 KVG), sofern dies vertraglich vereinbart wird. Für den Fall der stationären Behandlung sieht Absatz 2 eine Ausnahme vor: In Abweichung von Absatz 1 schuldet der Versicherer den auf ihn entfallenden Anteil an der Vergütung.

Auch für die Preismodelle, für die das BAG oder EDI eine Rückerstattung nach Artikel 52b vorsehen, soll eine Abweichung von Absatz 1 im Gesetz festgehalten werden.

Die direkte Vergütung durch den Versicherer ist aus mehreren Gründen angezeigt: Preismodelle werden in der Regel bei sehr hochpreisigen Arzneimitteln angewandt.

Entsprechend sind hohe Beträge geschuldet, die von den Versicherten nicht ohne Weiteres aufgebracht werden können. Sodann entspricht bei Preismodellen der effektiv vergütete Preis nicht dem als Höchstpreis der SL publizierten Preis. Der
Versicherer hat effektiv einen günstigeren Preis zu bezahlen. Wenn der konkrete Rückerstattungsbetrag aus der SL nicht ersichtlich ist, ist deshalb auf die Kostenbeteiligung zu verzichten. Dies ist in der Verordnung vorzusehen. Eine allfällige Kostenbeteiligung in Fällen, in denen der konkrete Rückerstattungsbetrag aus der SL ersichtlich ist, erhebt der Versicherer von der versicherten Person nur auf dem effektiv vergüteten, günstigeren Preis. Bei Rückerstattungsmodellen ist die Vergütung der Leistungen durch den Versicherer und die Erhebung der Kostenbeteiligung daher komplex. Die Versicherten sollen nach Abzug einer allfälligen Rückerstattung immer nur auf den effektiv 57 / 78

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vergüteten Preisen die Kostenbeteiligung bezahlen müssen, um eine «ungerechtfertigte Bereicherung» des Versicherers zulasten der versicherten Person zu vermeiden.

Für diese komplexen Berechnungen kann nur die direkte Vergütung durch den Versicherer (Tiers payant) in Frage kommen.

Abs. 3ter Die Bestimmung verpflichtet sämtliche Leistungserbringer, ihre Rechnungen elektronisch an die Krankenversicherer zu übermitteln. Es wird den Tarifpartnern überlassen, einen gesamtschweizerisch einheitlichen Standard für die elektronische Übermittlung der Rechnungen zu vereinbaren. Der Bundesrat erhält eine subsidiäre Kompetenz für den Fall, dass sich die Tarifpartner nicht einigen können. Die versicherte Person kann die Rechnung nach wie vor in Papierform verlangen.

Art. 42a Abs. 2­3bis Die Neuformulierung der Absätze 2 und 3 ermöglicht es den Versicherern, neben dem heute verwendeten Sichtausweis in Kreditkartenformat, die Versichertenkarte auch in elektronischer Form auszustellen.

Absatz 2bis Buchstabe a entspricht dem aktuell geltenden Absatz 2bis. Nach Absatz 2bis Buchstabe b soll die Versichertenkarte zukünftig auch als Identifikationsmittel für die Kommunikation mit den Versicherern verwendet werden können. Damit wird die Voraussetzung geschaffen, dass für die versicherte Person ein sicherer und datenschutzkonformer Abruf der elektronischen Rechnungen möglich wird. Es steht den Versicherern frei, ihren Versicherten über ihre Kundenportale weitere Versicherungsdienstleistungen nach dem KVG anzubieten.

Nach Absatz 2ter ist eine Verwendung der Versichertenkarte als Identifikationsmittel ausserhalb des Geltungsbereichs ohne formelle gesetzliche Grundlage nicht möglich.

Dies gilt insbesondere für die Verwendung im Bereich der Zusatzversicherungen nach dem Versicherungsvertragsgesetz vom 2. April 190881 oder anderer Sozialversicherungen.

Nach Absatz 3 regelt der Bundesrat das Format der Versichertenkarte. Er kann dabei vorsehen, dass Versicherer die Versichertenkarte neben der Ausgabe als Sichtausweis, der notwendig bleiben muss, da das europäische Ausland den europäischen Versichertenausweis aktuell nur im Kreditkartenformat akzeptiert, auch in elektronischer Form ausgestellt werden darf. Eine «elektronische Versichertenkarte» soll nur auf Wunsch der versicherten Person ausgestellt werden können. Dies
gilt auch für ihre Verwendung als schweizweit einheitliches Identifikationsmittel für die Kommunikation mit den Versicherern, das heisst es steht der versicherten Person frei, alle administrativen Verrichtungen weiterhin Anhand von Dokumenten in Papierform erledigen.

Nach Absatz 3bis regelt der Bundesrat die Abgabe der Karte durch die Versicherer und die anzuwendenden technischen und organisatorischen Standards. Er hat dazu vorgängig die interessierten Kreise anzuhören.

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SR 221.229.1

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Art. 46 Abs. 1bis Es handelt sich hierbei lediglich um eine redaktionelle Anpassung des französischen Gesetzestextes, welche inhaltlich keine Änderung mit sich bringt.

Art. 48a Der Artikel sieht vor, dass die Netzwerke zur koordinierten Versorgung mit den Versicherern oder deren Verbänden Verträge abschliessen, die die Finanzierung der Zusatzkosten aufgrund der weitergehenden Koordination komplexer Fälle regeln.

Absatz 2 sieht vor, dass die Verträge insbesondere die in den kantonalen Leistungsaufträgen festgelegten Leistungen zu berücksichtigen haben. Es ist also sowohl den regionalen als auch den zeitlichen Besonderheiten sowie den Besonderheiten im Zusammenhang mit den in den kantonalen Leistungsaufträgen festgelegten Leistungen Rechnung zu tragen.

Artikel 46 Absatz 4 gilt nicht für diese Verträge. Dies bedeutet, dass diese Vereinbarungen nicht der Genehmigung einer Behörde von Kantonen oder Bund bedürfen (Abs. 3). Um eine gewisse Kohärenz aller dieser Vereinbarungen zu gewährleisten, ist aber vorgesehen, dass der Bundesrat Mindestanforderungen festlegen kann (Abs. 4).

Art. 52 Abs. 1 Einleitungssatz Im Einleitungssatz wird der Verweis auf den gesamten Artikel 32 KVG ausgeweitet, weil dieser durch Absatz 3 (differenzierte WZW-Prüfung) komplettiert wird.

Vorbemerkung zu den Art. 52b und 52c Koordination mit dem hängigen Geschäft 19.046 «KVG. Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 1» Der Bundesrat hat mit der Botschaft vom 21. August 201982 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 1) im Entwurf zur KVG-Änderung bereits die Schaffung der Artikel 52b und 52c vorgeschlagen. Die Beratungen zu diesem Gesetzesentwurf haben begonnen. Falls das Paket 1 vom Parlament angenommen wird, muss die Nummerierung der hier vorgeschlagenen Artikel angepasst werden. Damit die neuen Artikel aus Paket 1 nicht überschrieben werden, soll dann der mit dieser Vorlage vorgeschlagene Artikel 52b zu Artikel 52d und Artikel 52c zu Artikel 52e werden.

Art. 52b Hinsichtlich der Gesetzessystematik ist darauf hinzuweisen, dass für die Regelung der Rückerstattungen vier fast identische Absätze erforderlich sind (Art. 52b Abs. 1 und 2 E-KVG und Art. 14quater Abs. 1 und 2 E-IVG). Diese können aus folgenden Gründen nicht zusammengefasst werden:

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Artikel 52b Absatz 1 betrifft die Rückerstattung von Kosten an die OKP, die im Zusammenhang mit der Vergütung von auf der SL aufgeführten Arzneimitteln entstanden sind. Artikel 52b Absatz 2 hingegen solche, die im Zusammenhang mit der Vergütung von auf der Geburtsgebrechen-Spezialitätenliste (GG-SL) aufgeführten Arzneimitteln entstanden sind. Die SL und die GG-SL enthalten keine Überschneidungen; die Arzneimittel sind entweder in der SL oder in der GG-SL gelistet.

­

Die Artikel 52b Absätze 1 und 2 betreffen Rückerstattungen von Kosten, die durch die OKP übernommen werden, weshalb die Regelung im KVG erfolgt.

­

Obwohl heute das BAG für den Erlass sowohl der SL als auch der GG-SL zuständig ist, ist die unterschiedliche Regelung zur Zuständigkeit nötig, weil bei der Reform des IVG im Rahmen Weiterentwicklung der IV die Frage der Zuständigkeit für die GG-SL bewusst offengelassen wurde (vgl. Art. 14ter Abs. 5 IVG: «das zuständige Bundesamt»), damit die Aufgabe allenfalls wieder durch das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) ausgeübt werden könnte. Entsprechend muss vorliegend in Absatz 2 die Zuständigkeit ebenfalls offengelassen werden.

Absatz 1 festigt die gesetzliche Grundlage für die Anwendung von Preismodellen bei Arzneimitteln durch das BAG. Beim Erlass der Liste nach Artikel 52 Absatz 1 Buchstabe b kann das BAG Rückerstattungen festlegen, sofern dies für die Einhaltung der Grundsätze nach Artikel 32, insbesondere für die Erfüllung der Wirtschaftlichkeit, erforderlich ist. Die Rückerstattungen erfolgen an den Versicherer oder an den Fonds nach Artikel 18 Absatz 2septies Buchstabe b E-KVG oder werden auf den Versicherer und den Fonds aufgeteilt.

Bei Rückerstattungen an die gemeinsame Einrichtung KVG kann es sich auch um die Rückerstattung von Mehreinnahmen im Zusammenhang mit der Überprüfung der WZW-Kriterien bei Arzneimitteln handeln (z. B. nach der ersten periodischen Überprüfung, nach Beschwerdeverfahren oder beim Prävalenzmodell, vgl. Art. 67a KVV).

Die gemeinsame Einrichtung KVG zahlt dann die einbezahlten Beträge aus dem Fonds an die Versicherer aus.

Absatz 2 sieht vor, dass entsprechende Rückerstattungen auch im Rahmen der GG-SL festgelegt werden können. Im Zuge der Weiterentwicklung der IV wurde Artikel 52 Absatz 2 KVG revidiert. Damit besteht im KVG grundsätzlich keine Sonderbestimmung mehr für Geburtsgebrechen. In Bezug auf Arzneimittel wird jedoch festgehalten, dass die OKP bei Geburtsgebrechen grundsätzlich auch Kosten der Arzneimittel übernimmt, die auf der nach Artikel 14ter Absatz 5 IVG erstellten Liste figurieren.

Auch in Bezug auf die Arzneimittel auf der Liste nach Artikel 14ter Absatz 5 IVG sollen Preismodelle und Rückerstattungen möglich sein. Sofern sich aufgrund der WZW-Prüfung für unterschiedliche Altersgruppen (z. B. unter und über 20-jährige versicherte Personen) unterschiedliche Limitierungen oder Preismodelle aufdrängen, sollen solche Differenzierungen vom BAG festgelegt werden können. Dies erhöht die Flexibilität bei der Ausgestaltung der Limitierungen und der Preismodelle, indem unterschiedliche Gegebenheiten berücksichtigt werden können. Namentlich können bezüglich Arzneimittel der Arzneimittelliste nach Artikel 14ter Absatz 5 IVG für Erwachsene spezifische medizinische Limitierungen oder Rückerstattungen angezeigt 60 / 78

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sein (z. B. bei Unterschieden im Nachweis der Wirksamkeit eines Arzneimittels).

Dadurch wird eine sachgerechte und flexible Anwendung von Preismodellen und Rückerstattungen auch in Bezug auf die Arzneimittel der Liste nach Artikel 14ter Absatz 5 IVG sichergestellt.

Absatz 3 hält fest, dass Rückerstattungen ebenfalls im Bereich der Mittel- und Gegenständeliste und der Analysenliste eingesetzt werden können. Entsprechend soll in diesen Bereichen das EDI die Kompetenz erhalten, Preismodelle festzulegen.

Absatz 4 überträgt dem Bundesrat die Kompetenz, die Einzelheiten der Umsetzung, insbesondere die Voraussetzungen, die Berechnung und die Modalitäten auf Verordnungsstufe zu regeln. Der Bundesrat soll dabei auch die Einzelheiten der Verteilung unter den Versicherern und ­ anteilsmässig ­ den Kantonen sowie die Verwaltungskosten des Fonds für Rückerstattungen regeln.

Absatz 5 schafft schliesslich das Scharnier zwischen der in Ausnahmefällen vertraulichen Anwendung von Preismodellen einerseits und dem notwendigen Daten- und Informationsfluss zur zielkonformen Durchführung der OKP andererseits. Damit die zielkonforme Durchführung der OKP gewährleistet bleibt, sind gewisse Informationsund Datenflüsse zwischen den zuständigen Personen und Stellen (auch bezüglich vertraulicher Preismodelle) unabdingbar. Daher wird vorgesehen, dass das BAG anderen Organen der Krankenversicherung (z. B. den Versicherern, der gemeinsamen Einrichtung KVG), Organen einer anderen Sozialversicherung (z. B. dem BSV und Organen der IV) sowie weiteren zuständigen Behörden und Stellen (z. B. den Kantonen) die Daten bekannt geben kann, die für die Wahrnehmung der Rückerstattungsansprüche oder andere Zwecke erforderlich sind. Es kann die Daten auch weiteren Personen bekannt geben, sofern dies aus einem anderen Grund zur Durchführung des KVG erforderlich ist (z. B. der Eidgenössische Arzneimittelkommission [EAK] im Rahmen der Beratung des BAG bei der Erstellung der SL sowie anderen Zulassungsinhaberinnen im Rahmen von deren SL-Verfahren zur Durchführung des therapeutischen Quervergleichs).

Absatz 6 sieht vor, dass Beschwerden von Versicherern oder Kantonen gegen Verfügungen nach den Absätzen 1 und 2 keine aufschiebende Wirkung haben. Die Bestimmung stellt sicher, dass trotz allfälliger Beschwerden von Versicherern oder Kantonen gegen
Rückerstattungsverfügungen die Vergütung von Arzneimitteln gewährleistet bleibt. Da Versicherer und Kantone Empfänger von Rückerstattungen sein können, ist nicht auszuschliessen, dass ein Gericht sie betreffend ihres allfälligen Anspruchs auf Rückerstattungen als beschwert betrachten wird.

Art. 52c Der Zugang zu Informationen zur Höhe, zur Berechnung und zu den Modalitäten von Rückerstattungen bei Preismodellen soll neu verweigert werden können. Vom Zugang ausgenommen ist einerseits die Höhe der Rückerstattung, das heisst beispielsweise der Betrag, den die Inhaberin der Zulassung für ein Arzneimittel dem Versicherer oder dem Fonds für Rückerstattungen zurückerstattet. Andererseits wird auch der Zugang zur Berechnung von Rückerstattungen ausgenommen. Davon betroffen sind auch die Herleitung und die Festlegung der Rückerstattungen. In diesem Zusammenhang wird insbesondere der Zugang zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit beziehungsweise, im 61 / 78

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Arzneimittelbereich, der beiden Preisbildungskriterien (Auslandspreisvergleich und therapeutischer Quervergleich) ausgeschlossen sein. Es soll nicht auf die konkrete Höhe der Rückerstattung geschlossen werden können. Schliesslich wird der Zugang zu Informationen betreffend Modalitäten im Zusammenhang mit der Rückerstattung verweigert. Vom Geltungsbereich dieser Bestimmung erfasst werden auch Rückerstattungsvereinbarungen oder vertrauliche Preisabsprachen, die im Zusammenhang mit Leistungen nach dem KVG vereinbart wurden und den zuständigen Genehmigungsbehörden gemäss Artikel 46 Absatz 4 KVG im Zusammenhang mit einem Tarifvertrag bekannt gegeben werden. Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob die entsprechende Vereinbarung genehmigungspflichtig im Sinne von Artikel 46 Absatz 4 KVG ist. Von der Bestimmung erfasst sind auch Dokumente zu Preismodellen, die sich im Besitz kantonaler Behörden befinden. Der Anwendungsbereich von Artikel 52c kann soweit erforderlich vom Bundesrat auf Verordnungsstufe präzisiert und konkretisiert werden.

Absatz 1 hält als materiell-rechtliche Norm generell fest, dass bestimmte Daten im Zusammenhang mit Preismodellen Dritten nicht bekanntgemacht werden dürfen. Damit wird die Vertraulichkeit als solche geschützt.

Absatz 2 sieht im Interesse der Klarheit und Rechtssicherheit eine Regelung spezifisch für das Verfahren gemäss BGÖ als typischen, aber nicht exklusiven Anwendungsfall sowie für entsprechende kantonale Verfahren vor. Damit sollen die betreffenden Daten ausdrücklich auch nicht gestützt auf das BGÖ oder entsprechende kantonale Regelungen bekannt gegeben werden dürfen. Die Kantone sind als Empfänger von Rückerstattungen vorgesehen. Damit könnten sie Zugang zu Informationen betreffend Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rückerstattungen erhalten. Der Zugang zu solchen Informationen ist deshalb auch dann auszuschliessen, wenn er nach kantonalem Recht möglich wäre. Sonst wäre die Möglichkeit zur Vertraulichkeit von Preismodellen nicht gewährleistet und der Zweck der Preismodelle liesse sich nicht im nötigen Umfang verwirklichen.

Art. 53 Abs. 1 Vorbemerkung: Koordination mit den hängigen Geschäften 19.046 «KVG. Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 1» und 21.067 «KVG. Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Vorgabe von Kostenzielen» In der Botschaft des Bundesrates vom
21. August 201983 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 1) und der Botschaft des Bundesrates vom 10. November 202184 zur Volksinitiative «Für tiefere Prämien ­ Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» und zum indirekten Gegenvorschlag (Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung) werden Änderungen von Artikel 53 Absatz 1 vorgeschlagen.

Die Beratungen dieser Gesetzesentwürfe sind noch im Gang. Falls die Änderungen angenommen werden, muss eine Koordination stattfinden. Das vorliegende Paket 2 ist dann allenfalls anzupassen.

83 84

BBl 2019 6071 BBl 2021 2819

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Artikel 53 Absatz 1 KVG listet die Entscheide der Kantonsregierungen im Zusammenhang mit der Umsetzung des KVG auf, gegen die beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde geführt werden kann. Beschlüsse der Kantonsregierungen betreffend Referenztarife im Sinne von Artikel 41 Absatz 1bis E-KVG sind beim Bundesverwaltungsgericht anfechtbar, womit eine Gesetzeslücke geschlossen wird.85 Art. 55a Ein Hinweis auf die Netzwerke zur koordinierten Versorgung wird angefügt, damit bei Bedarf die dort tätigen Ärztinnen und Ärzte der Beschränkung der Anzahl Ärztinnen und Ärzte, die im ambulanten Bereich Leistungen erbringen, unterstellt werden können.

Art. 64 Abs. 7 Bst. b Artikel 64 Absatz 7 Buchstabe b KVG wird mit den Hinweisen auf Leistungen bei Geburtsgebrechen (Art. 27 KVG), Unfällen (Art. 28 KVG) und Leistungen bei straflosem Abbruch der Schwangerschaft (Art. 30 KVG) ergänzt. Zudem wird der Zeitraum ausgeweitet, in dem keine Kostenbeteiligung erhoben werden darf: ab ärztlich bestimmten Beginn der Schwangerschaft mittels Ultraschall, während der Niederkunft und bis acht Wochen nach der Niederkunft oder dem Ende der Schwangerschaft.

Folgende Leistungen sollen, zeitlich befristet, von der Kostenbeteiligung befreit sein: ­

allgemeine Leistungen bei Krankheit (Art. 25 KVG) ­ sind bereits heute von der Kostenbeteiligung befreit;

­

Pflegeleistungen bei Krankheit (Art. 25a KVG) ­ sind bereits heute von der Kostenbeteiligung befreit;

­

Geburtsgebrechen (Art. 27 KVG);

­

Unfälle (Art. 28 KVG);

­

strafloser Abbruch der Schwangerschaft (Art. 30 KVG).

Wie bisher sollen Leistungen der Prävention nach Artikel 26 KVG (u. a. auch der Krebsabstrich) nicht von der Kostenbeteiligung befreit werden, selbst wenn diese im Rahmen einer Schwangerschaftskontrolle durchgeführt werden. Ebenso sind die zahnärztlichen Behandlungen nach Artikel 31 KVG nicht von der Kostenbeteiligung befreit.

Aufgrund der Anpassung der Bestimmung und der verwendeten Terminologie braucht es eine Präzisierung, damit die Bestimmung richtig angewendet wird und eine andere Auslegung ausgeschlossen wird. Mit der Ergänzung «Ende der Schwangerschaft» werden diejenigen Fälle bezeichnet, die nicht unter Niederkunft subsumiert werden können: Fehlgeburten, also fehlgeborene Kinder, die ohne Lebenszeichen zur Welt kommen und weder ein Geburtsgewicht von mindestens 500g noch ein Gestationsal-

85

Vgl. BVGE 2013/17, E. 2.6.

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ter von mindestens 22 vollendeten Wochen aufweisen (vgl. Art. 9a Abs. 1 der Zivilstandsverordnung vom 28. April 200486). Der Zeitraum der Befreiung von der Kostenbeteiligung nach vorzeitigem Ende muss definiert werden, um von Beginn weg Rechtssicherheit zu erlangen. Im Sinne der Gleichbehandlung mit der Situation nach Niederkunft wird dieser Zeitraum auf 8 Wochen festgelegt.

Übergangsbestimmungen Abs. 1 In Bezug auf die Qualitätsentwicklung gelten auch für die Netzwerke zur koordinierten Versorgung die Vorgaben nach Artikel 58a KVG. Bis sich jedoch ein Verband der Netzwerke zur koordinierten Versorgung gebildet hat, schliessen diese mit den Verbänden der Versicherer jeweils einzeln eigene Verträge über die Qualitätsentwicklung (Qualitätsverträge) nach Artikel 58a ab.

Abs. 2 In Bezug auf die Festlegung von Referenztarifen für stationäre ausserkantonale Wahlbehandlungen nach den Anforderungen von Artikel 41 Absatz 1bis wird den Kantonen eine Übergangsfrist von zwei Jahren nach Inkrafttreten dieser Änderung eingeräumt.

Damit wird sichergestellt, dass den Kantonen genügend Zeit für die Vorbereitung des Vollzugs verbleibt.

Abs. 3 In Artikel 42 Absatz 3ter wird die elektronische Rechnungsübermittlung geregelt. Die Umsetzung der neuen Bestimmung wird den Tarifpartnern überlassen. Sie müssen sich auf einen schweizweit einheitlichen Standard einigen. Können sich die Tarifpartner innerhalb der gewährten Frist nicht auf einen schweizweit einheitlichen Standard einigen, sieht das Gesetz vor, dass ihn der Bundesrat festlegen muss.

Abs. 4 In Artikel 18 Absatz 2septies Buchstabe b wird ein Fonds für Rückerstattungen nach Artikel 52b eingeführt. In der Übergangsbestimmung wird festgelegt, dass Beträge, die die Zulassungsinhaberinnen von Arzneimitteln bisher dem Insolvenzfonds nach Artikel 47 KVAG rückerstattet haben, bei Inkrafttreten dieser Änderung dem Fonds für Rückerstattungen nach Artikel 18 Absatz 2septies Buchstabe b übertragen werden.

Dazu zählen auch Rückerstattungen von bisher verfügten Preismodellen. Eine Übertragung der Beträge in den Fonds für Rückerstattungen hat zur Folge, dass dem Fonds zusätzliche Beträge zur Verfügung stehen, die direkt an die OKP weitergegeben werden können. Die Übertragung der Beiträge in den Fonds für Rückerstattungen könnte einen Einfluss auf die Prämien der Versicherer
und einen kostendämpfenden Effekt für die OKP haben. Mit der Massnahme kann die OKP entlastet werden, wodurch diese im öffentlichen Interesse liegt. Den einzahlenden Zulassungsinhaberinnen entsteht kein Nachteil, da sie die Beträge ohnehin schon an die gemeinsame Einrichtung KVG zu erstatten haben.

86

SR 211.112.2

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Abs. 5 Absatz 5 stellt sicher, dass die Bestimmung in Artikel 52c auch auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung hängigen Verfahren um Zugang zu amtlichen Dokumenten Anwendung findet.

Änderung anderer Erlasse 1. Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG) Art. 14 Abs. 2 Mit der Einfügung eines direkten Verweises auf das KVG soll sichergestellt werden, dass die Anpassungen in Artikel 32 Absatz 3 E-KVG auch für das IVG gelten. Der im Rahmen der Weiterentwicklung der IV seit 1. Januar 2022 geltende Artikel 14 Absatz 2 IVG erfährt materiell ansonsten keine Änderungen.

Art. 14bis Sachüberschrift und Abs. 1 erster Satz Die Änderung betrifft einzig den französischen Text. Es wird einzig die Terminologie von Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a IVG übernommen. Diese rein redaktionelle Anpassung ging bei der Vorlage zur Weiterentwicklung der IV vergessen und wird nun hier nachgeholt.

Art. 14quater Hinsichtlich der Gesetzessystematik hier ­ wie bei den Erläuterungen zu Artikel 52b Absätze 1 und 2 E-KVG ­ darauf hinzuweisen, dass für die Regelung der Rückerstattungen vier fast identische Absätze erforderlich sind (Art. 52b Abs. 1 und 2 E-KVG und Art. 14quater Abs. 1 und 2 E-IVG). Diese können aus folgenden Gründen nicht zusammengefasst werden: ­

Artikel 14quater Absatz 1 betrifft die Rückerstattung von Kosten an die IV, die im Zusammenhang mit der Vergütung von auf der GG-SL aufgeführten Arzneimitteln entstanden sind. Artikel 14quater Absatz 2 hingegen solche, die im Zusammenhang mit der Vergütung von auf der SL aufgeführten Arzneimitteln entstanden sind. Die SL und die GG-SL enthalten keine Überschneidungen; die Arzneimittel sind entweder in der SL oder in der GG-SL gelistet.

­

Die Artikel 14quater Absätze 1 und 2 betreffen Rückerstattungen von Kosten, die durch die IV übernommen werden, weshalb die Regelung im IVG erfolgt.

­

Obwohl heute das BAG für den Erlass sowohl der SL als auch der GG-SL zuständig ist, ist die unterschiedliche Regelung zur Zuständigkeit nötig, weil bei der Reform des IVG im Rahmen Weiterentwicklung der IV die Frage der Zuständigkeit für die GG-SL bewusst offengelassen wurde (vgl. Art. 14ter Abs. 5 IVG: «das zuständige Bundesamt»), damit diese Aufgabe allenfalls wieder durch das BSV ausgeübt werden könnte. Entsprechend muss vorliegend in Absatz 1 die Zuständigkeit ebenfalls offengelassen werden.

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Durch diese vier Absätze (Art. 52b Abs. 1 und 2 E-KVG und Art. 14quater Abs. 1 und 2 E-IVG) wird ermöglicht, dass bei Arzneimitteln der SL wie auch der GG-SL grundsätzlich Rückerstattungen sowohl an die Krankenversicherer und den Fonds nach Artikel 18 Absatz 2septies Buchstabe b E-KVG als auch an den IV-Ausgleichsfonds vorgesehen werden können, je nachdem, welche Versicherung die Arzneimittelkosten trägt.

Abs. 1, 2 und 3 Mit der Einführung dieser Absätze wird analog zu Artikel 52b E-KVG die gesetzliche Grundlage für sämtliche Rückerstattungen geschaffen. Damit kann das zuständige Bundesamt neben den Mehreinahmen (vgl. Art. 3septies der Verordnung vom 17. Januar 196187 über die Invalidenversicherung) auch für die Liste der Arzneimittel zur Behandlung von Geburtsgebrechen (Geburtsgebrechen-Spezialitätenliste) gemäss Artikel 14ter Absatz 5 IVG Preismodelle anwenden. Bei den Rückerstattungen handelt es sich um eine Verminderung von IV-Ausgaben, die als solche stets in den Ausgleichsfonds der Invalidenversicherung nach Artikel 79 IVG zurückfliessen. Eine analoge Regelung gilt für die Liste der Arzneimittel nach Artikel 52 Absatz 1 Buchstabe b KVG. Der Bundesrat regelt die Einzelheiten.

Abs. 4 Bei Absatz 4 handelt es sich um die analoge Übernahme von Artikel 52b Absatz 6 E KVG. Der Begriff des Versicherers wurde für das IVG präzisiert.

Art. 14quinquies Abs. 1 Absatz 1 regelt die Bekanntgabe von Daten betreffend Rückerstattungen. Er entspricht Artikel 52b Absatz 5 E-KVG aus der Sicht der IV. Auch hier ist es unabdingbar, dass gewisse Informations- und Datenflüsse zwischen der IV und den zuständigen Personen und Stellen möglich sind, so zum Beispiel zwischen IV und Medizinaltarifkommission.

Abs. 2 und 3 Die Regelungen von Artikel 52c E-KVG müssen auch in der Invalidenversicherung gelten und werden analog übernommen.

Art. 14sexies Bisheriger Art. 14quater Art. 27ter Abs. 1 dritter und vierter Satz sowie Abs. 3 Der Artikel bezieht sich auf alle Leistungserbringer der IV (einschliesslich Sachverständige, Gutachterstellen und Abgabestellen für Hilfsmittel).

87

SR 831.201

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Abs. 1 dritter und vierter Satz Gemäss der Anforderung in Artikel 153c Absatz 1 Buchstabe a Ziffer 4 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 194688 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung muss die Verwendung der AHV-Nummer bei der Rechnungsstellung durch die Leistungserbringer auf einer rechtlichen Grundlage basieren. Deshalb muss im Gesetz eine Kompetenzdelegation an den Bundesrat zur Rechtsetzung in diesem Bereich verankert werden. Die Bestimmung wird durch Verordnungsbestimmungen ergänzt werden Abs. 3 Dieser Absatz räumt dem Bundesrat die Möglichkeit ein, die Kategorien von Leistungserbringern festzulegen, die ihre Rechnungen elektronisch zu übermitteln haben.

Im Gegensatz zum KVG, wo die elektronische Rechnungsstellung seit Längerem verbreitet ist, wird im IVG keine generelle Pflicht zur elektronischen Abrechnung eingeführt. Das Tarif- und Rechnungsstellungssystem der Invalidenversicherung unterscheidet sich von demjenigen der Krankenversicherung. Die rechtlichen Grundlagen, welche die elektronische Rechnungsstellung regeln, müssen deshalb aufgrund der Vielfalt der von der Versicherung übernommenen Leistungen, für die nicht zwingend die Tarife nach KVG gelten, eine ausreichende Flexibilität lassen.

Wenn die Versicherer eine Einigung für die nach KVG in Rechnung gestellten ärztlichen Leistungen erzielen, übernimmt das BSV diese für die von der IV übernommenen ärztlichen Leistungen.

Art. 48 Abs. 1 und 3 Bei medizinischen Massnahmen zur Eingliederung nach Artikel 12 IVG handelt es sich um Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich gerichtet sind, sondern um solche, welche ein Eingliederungsziel verfolgen. Mit der Weiterentwicklung der IV wurden unter anderem die Anspruchsvoraussetzungen geändert. Gemäss Artikel 12 Absatz 3 IVG besteht ein Anspruch nur, wenn die behandelnde Fachärztin oder der behandelnde Facharzt eine günstige Prognose in Bezug auf die Eingliederungswirksamkeit der Massnahme stellt. Eine Prognose kann aber nur vor Behandlungsbeginn gestellt werden und es muss schon vor Beginn der Massnahme klar sein, dass diese einen positiven Einfluss auf die Eingliederungsfähigkeit hat. Somit ist auch erhellt, dass bei medizinischen Massnahmen zur Eingliederung kein Platz für allfällige Nachzahlungen besteht. Dies bedingt eine Anpassung in Artikel 48 IVG.

Aufgrund der
neuen Regelung der medizinischen Eingliederungsmassnahmen nach Artikel 12 IVG in Absatz 3, muss Absatz 1 zudem dahingehend präzisiert werden, dass dieser für die medizinischen Massnahmen zur Behandlung von Geburtsgebrechen nach Artikel 13 IVG weiterhin anwendbar bleibt.

Übergangsbestimmung Artikel 52c E-KVG regelt die Vertraulichkeit von Informationen betreffend Rückerstattungen. Da die Bestimmung im IVG in Artikel 14quinquies Absätze 2 und 3 E-IVG analog übernommen wird, muss sichergestellt sein, dass diese Regelung auch in der 88

SR 831.10

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IV auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Änderung hängigen Verfahren um Zugang zu amtlichen Dokumenten Anwendung findet.

2. Krankenversicherungsaufsichtsgesetz (KVAG) Art. 48 Bst. c Mehreinnahmen, die aus der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit von Arzneimitteln der SL resultieren, und Rückerstattungen von verfügten Preismodellen sollen an die Versicherer zurückfliessen können. Dies ist heute nicht der Fall, weil die Rückerstattungen in den von der gemeinsamen Einrichtung KVG geführten Insolvenzfonds fliessen. Die Verwaltung und Verteilung dieser Mittel ist neu in Artikel 52b E-KVG geregelt. Deshalb kann Artikel 48 Buchstabe c KVAG aufgehoben werden.

6

Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund

6.1.1

Finanzielle Auswirkungen

Ziel dieser Neuregelungen ist, die Entwicklung der Kosten für Leistungen zulasten der OKP einzudämmen und auf diese Weise den Anstieg der von den Versicherten bezahlten Prämien zu begrenzen. Die Massnahmen sollten daher ebenfalls dazu beitragen, den Anstieg der Subventionen, die der Bund den Kantonen gemäss Artikel 66 Absatz 2 KVG zur Verbilligung der Prämien der Versicherten in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen gewährt, zu bremsen. Dieser Beitrag belastet das Bundesbudget mit rund 2,8 Milliarden Franken, und wird ­ weil prozentual (7,5 %) an die Bruttokosten der OKP gebunden ­ in den kommenden Jahren weiter ansteigen.

Generell geht der Bundesrat davon aus, dass mit den vorgeschlagenen Massnahmen die Kostenentwicklung in allen vier grossen Kostenblöcken (vgl. Ziff. 1.1) gebremst werden kann.

Verschiedene nationale und internationale Studien und Reviews zeigen, dass integrierte und koordinierte Versorgungsmodelle dazu beitragen, die Behandlungsqualität zu verbessern und Kosten zu senken.89 Dies gilt vor allem für die (haus-)ärztlich koordinierte Versorgung, wie sie Managed-Care-Modelle und auch die Netzwerke zur koordinierten Versorgung bieten. Gemäss Studien haben Versicherte, die in solchen Versorgungsstrukturen behandelt werden, beispielsweise weniger Antibiotikaverschreibungen oder sie erhalten weniger lange Benzodiazepine verschrieben.90 Ältere Patientinnen und Patienten weisen zudem weniger häufig potenziell inadäquate Medikationen auf, bei denen Arzneimittel verschrieben werden, die gemeinsam einge-

89

90

Rocks, S.,Berntson, D., Gil-Salmerón, A. et al. (2020): Cost and effects of integrated care: a systematic literature review and meta-analysis. In: The European Journal of Health Economics (2020) 21:1211­1221.

Brüngger, B., Fischer, B., Früh, M. et al. (2014): Koordinationsbedarf leistungsintensiver Patienten. Schlussbericht. Studie im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit. Olten.

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nommen zu unerwünschten Nebenwirkungen führen können. Auch werden Bagatellerkrankungen in (haus-)ärztlich koordinierten Versorgungsmodellen weniger häufig in Spitalambulatorien behandelt, was auf eine effizientere Behandlungsform schliessen lässt.91 Eine Studie, in der die Einsparungen bei (haus-)ärztlich koordinierten Versorgungsmodellen über einen Zeitraum von zehn Jahren berechnet wurden, zeigte, dass die (risikobereinigten) Einsparungseffekte dieser Versorgungsmodelle zwischen 14­36 Prozent liegen.92 Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Kosteneinsparungen durch die koordinierten Netzwerke mit denjenigen in Managed-Care-Modellen vergleichen lassen. Die konkreten Aufwendungen und Einsparungen lassen sich aber nicht beziffern, weil zurzeit nicht klar ist, wie viele solcher Netzwerke entstehen werden und wie viele Patientinnen und Patienten mit erhöhtem Koordinationsaufwand in diesen Netzwerken behandelt werden.

Die Aufnahme von Arzneimitteln mit Preismodellen in die SL wird, bei den Arzneimitteln zu tieferen Preisen und somit zu Einsparungen zugunsten der OKP führen.

Auch bei den neuen Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker wird von einer Effizienzsteigerung der Patientenversorgung ausgegangen und Kosteneinsparungen erwartet. So zeigte eine Kosten-Effektivitäts-Evaluation von Medikamentenüberprüfungen in England, dass für jeden investierten Euro ein Nutzen von 3,3 bis 6,2 Euro entsteht.93 Das Kostenvolumen der neuen Apothekerleistungen hängt stark von Zielgruppe, Art und Menge der Leistungen ab. Da diese Parameter derzeit noch nicht genügend definiert sind, können mögliche Kosten und Einsparungen noch nicht beziffert werden. Die Kosteneffizienz der Leistungen wird durch die WZW-Prüfung gewährleistet.

Die kostendämpfende Wirkung hängt jedoch davon ab, wie die einzelnen Massnahmen konkret ausgestaltet und von den Akteuren umgesetzt werden. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt deshalb nicht möglich, die konkreten finanziellen Folgen für den Bund eines grossen Teiles der Massnahmen zu quantifizieren.

Einen Spezialfall stellen die Anpassungen zur «Kostenbeteiligung Mutterschaft: Gleichbehandlung der Patientinnen» dar. Die Daten aus dem Jahre 2018 zeigen, dass für alle Leistungen (Art. 25 KVG allgemeine Leistungen bei Krankheit, Art. 25a KVG Pflegeleistungen bei Krankheit, Art. 27 KVG
Geburtsgebrechen, Ar. 28 KVG Unfälle, Art. 30 strafloser Abbruch der Schwangerschaft) vor der 13. Schwangerschaftswoche eine Kostenbeteiligung im Umfang von rund 17 Millionen Franken erfolgte. Darin eingeschlossen sind 2,9 Millionen Franken bei straflosen Schwangerschaftsabbrüchen vor der 13. Schwangerschaftswoche. Für bisher nicht von der Kostenbeteiligung ausgenommenen Leistungen ab der 13. Schwangerschaftswoche bis 8 Wochen nach Niederkunft (Art. 27, 28 und 30 KVG) bestand eine Kostenbeteiligung im Umfang von rund 11 Millionen Franken. Davon entfielen rund 1,8 Millionen Franken auf die Kostenbeteiligung für Leistungen im Zusammenhang mit straflosen Schwangerschaftsab-

91 92 93

Vgl. Ebd., S. 10 Kauer, L. (2017): Long-Term Effects of Managed Care. In: Health Economics 2017 26(10):1210­1223.

Malet-Larrea et al. (2017): Cost analysis and cost-benefit analysis of a medication review with follow-up service in aged polypharmacy patients. In: Eur J Health Econ. 2017 Dec;18(9):1069­1078.

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brüchen nach der 13. Schwangerschaftswoche. Diese Angaben basieren auf einer Erhebung bei 10 Versicherern, welche knapp die Hälfte der Versicherten in der Schweiz repräsentieren. Mit der vorgesehenen Revision würden durch die Aufhebung der Kostenbeteiligung rund 28 Millionen Franken zusätzlich durch die Versicherer getragen.

Dies schlägt sich jedoch nicht in einer Erhöhung des Bundesbeitrags an die individuelle Prämienverbilligung nieder, da sich dieser Beitrag an den Bruttokosten der OKP (einschliesslich Selbstbehalt) bemisst.

6.1.2

Personelle Auswirkungen

Die Anwendung von Preismodellen sowie die vermehrte Transparenz und die Veröffentlichung von weiteren Unterlagen und Informationen erfordern beim Bund voraussichtlich zusätzliche personelle Ressourcen. Es ist ein Mehraufwand zu erwarten, weil die betroffenen Arzneimittel nach spätestens 2­3 Jahren grundsätzlich erneut vertieft geprüft werden müssen.

Im Rahmen der Genehmigung des Kostendämpfungsprogramms am 28. März 2018 hat der Bundesrat bereits Ressourcen gesprochen. Über weitere zusätzliche Ressourcen im Personalbereich für die Umsetzung der vorgeschlagenen Massnahmen wird je nach Ausgang der parlamentarischen Beratung dieser Vorlage im Rahmen der Inkraftsetzung zu entscheiden sein.

6.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Bei den Massnahmen mit Kostendämpfungsbezug sowie den weiteren Massnahmen sind keine direkten Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete zu erwarten. Grundsätzlich gilt für alle Massnahmen, dass eine Dämpfung der Kostenentwicklung dazu führt, dass die Versicherten weniger Prämien und die Kantone weniger Prämienverbilligungen zu bezahlen haben. Auch im Bereich der koordinierten Versorgung resultieren für die Kantone keine direkten finanziellen Auswirkungen. Jedoch steht es ihnen offen, sich aktiv für den Aufbau von Netzwerken zur koordinierten Versorgung einzusetzen. Durch vielfältige Ausgestaltungsmöglichkeiten bieten Netzwerke zur koordinierten Versorgung eine Möglichkeit, um auch in ländlichen Regionen und Berggebieten eine gute Versorgung sicherzustellen. Die Aufwendungen seitens der Kantone bezüglich der Durchsetzung des Kantonsanteils bei den Rückerstattungen aus Preismodellen dürften ebenfalls kaum ins Gewicht fallen, da nur von einer sehr geringen Anzahl an Preismodellen ausgegangen wird. Hinsichtlich den Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker im Rahmen von Präventionsprogrammen entsteht eine Entlastung bei denjenigen Kantonen, welche bisher im Rahmen von kantonalen Darmkrebspräventionsprogrammen Leistungen im Rahmen von Stuhltests übernehmen.

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6.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Angesichts der über 80 Milliarden Franken, die jährlich für das Gesundheitswesen aufgewendet werden, kommt diesem eine grosse volkswirtschaftliche Bedeutung zu.

Ungeachtet der finanziellen Grössenordnung, welche die vorgeschlagenen Massnahmen ausmachen, und unter Berücksichtigung des hohen prozentualen Anteils der Gesundheitskosten, den die Versicherten selbst tragen, steigern die Massnahmen durch die Dämpfung des Prämienanstieges die Kaufkraft der Bevölkerung.

Alle Gesundheitsakteure werden in die Pflicht genommen. Tarifpartner, Versicherte sowie Bund und Kantone tragen gemeinsam die Verantwortung für die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen.

Koordinierte Versorgung stärken Die Versicherer oder ihre Verbände müssen mit den Netzwerken zur koordinierten Versorgung Verträge zur Zusammenarbeit, zum Datenaustausch und auch zur Finanzierung des Mehraufwands für die Koordination aushandeln. Der Bundesrat kann die Mindestanforderungen an diese Verträge festlegen, beispielsweise die Fälle, für die ein Mehraufwand zu berücksichtigen ist.

Bestehende hausarztorientierte Versorgungsformen (Gruppenpraxen, HMO, Ärztenetze usw.) können sich zu einem Netzwerk zur koordinierten Versorgung weiterentwickeln. Ein gewisser Initialaufwand zur Bildung von Netzwerken zur koordinierten Versorgung (v. a. rechtliche und organisatorische Vorbereitungsarbeiten) seitens der Akteure wird jedoch nötig sein. Allerdings ist davon auszugehen, dass diese Versorgungsform dem Bedürfnis von jungen Ärztinnen und Ärzten nach Teilzeitarbeit und interprofessioneller Zusammenarbeit im Team entspricht.94 Preismodelle und Rückerstattungen Die Anwendung von Preismodellen führt bei den Versicherern, der gemeinsamen Einrichtung KVG und den Zulassungsinhaberinnen zu einem höheren Aufwand, da die Rückerstattungen von den Versicherern kontrolliert und eingefordert sowie von den Zulassungsinhaberinnen eingestellt, kontrolliert und ausbezahlt werden müssen. Auch die gemeinsame Einrichtung KVG erfährt einen Mehraufwand, um die korrekte Durchführung der Rückerstattungen zu gewährleisten. Dieser Aufwand ist notwendig, damit bei hochpreisigen Arzneimitteln weiterhin ein rascher Zugang zu wirtschaftlichen Preisen möglich bleibt.

Elektronische Rechnungsübermittlung Die neue Bestimmung kann zu Beginn zu zusätzlichen Kosten für die Anpassung der
Infrastruktur führen. Diese dürfte massvoll sein, da bereits heute zwei Drittel der Rechnungen elektronisch übermittelt werden und davon auszugehen ist, dass fast alle Leistungserbringer bereits heute mit einem elektronischen Abrechnungssystem arbeiten. Längerfristig wird die elektronische Rechnungsübermittlung zu einer Senkung 94

Vgl. Gisler, L.B., Bachofner, M., Moser-Bucher, C.N. et al. (2017): From practice employee to (co-)owner: young GPs predict their future careers: a cross-sectional survey.

In: BMC Fam Pract 2017;18:12.

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der Verwaltungskosten der Versicherer und vermutlich auch der Leistungserbringer führen. Dazu kommt, dass die Versicherer die Rechnungskontrolle systematischer und effizienter und damit kostengünstiger vornehmen können. Dank einem gesamtschweizerisch einheitlichen Standard für die Rechnungsübermittlung werden die Rechnungen zukünftig alle in derselben Form erstellt und eingereicht. Das wird die Kontrolle erheblich vereinfachen. Eine verstärkte Rechnungskontrolle kann auch dazu führen, dass sich die Leistungserbringer auf das erforderliche Mass beschränken, welches für den Behandlungszweck nötig ist.

6.4

Auswirkungen auf die Gesellschaft

Die Schweiz verfügt über ein gutes Gesundheitssystem und eine hohe Patientenzufriedenheit bezüglich Qualität und Nutzen. Der Gesundheitszustand der Bevölkerung befindet sich im internationalen Vergleich auf einem hohen Niveau, und der Zugang zum Gesundheitssystem ist gesichert. Dies gilt es zu bewahren. Weniger gut gestaltet sich in der Schweiz die Situation bezüglich Finanzierungsgerechtigkeit. Mit einer durchschnittlichen Zunahme der Krankenversicherungsprämien um 4 Prozent pro Jahr stellen die Prämien heute für einen grossen Teil der Schweizer Bevölkerung eine spürbare finanzielle Belastung dar. Im Jahr 2018 stieg die durchschnittliche Monatsprämie für Erwachsene (mit Unfalldeckung) im Mittel um 4,0 Prozent; sie lagen im Schweizer Durchschnitt bei 465.30 Franken (von 354 Fr. im Kanton Appenzell Innerrhoden bis 591.80 Fr. im Kanton Basel-Stadt). Die Prämien für Kinder stiegen 2018 im Durchschnitt gar um 5,0 Prozent auf 110.50 Franken und diejenigen für junge Erwachsene um 4,4 Prozent auf 432.50 Franken pro Monat. 2019 und 2020 konnte dank diversen Massnahmen (vgl. Ziff. 1.1) ein minimaler Anstieg der mittleren Prämie verzeichnet werden (2019: + 1 %, 2020: +0,1 %). Insbesondere die Mittelschicht, die keine Prämienverbilligungen erhält, ist stark vom Prämienanstieg betroffen. Die Beschränkung des Anstiegs der Gesundheitskosten muss daher ein zwingendes Ziel der Sozialpolitik des Bundes sein. Die vorgeschlagenen Neuerungen sollen das medizinisch nicht begründbare Mengen- und Kostenwachstum reduzieren und somit den Anstieg der OKP-Kosten und daraus folgend den Prämienanstieg dämpfen sowie die Qualität der medizinischen Versorgung steigern und die Versorgungssicherheit stärken. Von tieferen Prämien profitieren die versicherten Personen und damit die ganze Gesellschaft direkt.

Grundsätzlich sollen Massnahmen wie die Stärkung der koordinierten Versorgung die Effizienz und die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessern.

Mit der Massnahme «Netzwerke zur koordinierten Versorgung» werden aktuelle Entwicklungen in der schweizerischen Gesundheitsversorgung aufgenommen und unterstützt. So ist in den letzten Jahren eine Vielzahl von Modellen und Ansätzen zur besseren Koordination der Versorgung entstanden. Dies zeigt eine Erhebung des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan) von 2015/2016: Insgesamt
wurden 162 solcher «Initiativen» (Organisationen, Netzwerke, Modelle, Programme usw.) identifiziert. Davon wurden 50 Prozent zwischen 2010 und 2016 lanciert. Die grosse Mehrheit der Initiativen verfolgt das Ziel, die Koordination und Integration der

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Leistungen zu verbessern (97 %) und unerwünschte Ereignisse sowie Kosten zu reduzieren (86 %).95 Massnahmen, die die Preise von Arzneimitteln betreffen, können die Versorgungssicherheit der Schweizer Bevölkerung mit notwendigen Arzneimitteln beeinflussen.

Der Einfluss der vorgesehenen Massnahmen auf die Versorgungssicherheit lässt sich schwer abschätzen. Die mit der Massnahme «differenzierte WZW-Prüfung» vorgesehene Möglichkeit, die Wirtschaftlichkeit teurer und günstiger Arzneimittel in unterschiedlicher Tiefe und Häufigkeit zu prüfen, dürfte sich positiv auf die Versorgungssicherheit mit günstigen Arzneimitteln auswirken. Mit der Massnahme «Preismodelle und Rückerstattungen» stehen nicht zuletzt die hohen Preise bei neuen Leistungen, insbesondere neuen Arzneimitteln oder Kombinationstherapien aber auch bei Medizinprodukten, im Fokus. Deren hohen Preise werden das Gesundheitssystem in der nahen Zukunft zunehmend belasten. Zur Vermeidung möglicher Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit sollen Preismodelle für die Bevölkerung einen raschen und wirtschaftlichen Zugang zu neuen und innovativen Therapien garantieren, welche ansonsten nicht mehr bezahlbar sind oder nur stark verzögert in der Schweiz auf den Markt kämen.

6.5

Auswirkungen auf die Umwelt

Es sind keine Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten; die entsprechenden Fragen wurden daher nicht geprüft.

6.6

Andere Auswirkungen

Es sind keine weiteren Auswirkungen zu erwarten; es wurden daher keine weiteren Fragen geprüft.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

Nach Artikel 117 Absatz 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV)96 erlässt der Bund Vorschriften über die Kranken- und die Unfallversicherung. Dabei handelt es sich um eine umfassende Bundeskompetenz, die dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum lässt. Namentlich die Regelung der Finanzierung der von der OKP zu übernehmenden Leistungen bleibt dem Bundesgesetzgeber überlassen.97 95

96 97

Vgl. Schusselé et al. (2017): Integrierte Versorgung in der Schweiz. Ergebnisse der 1. Erhebung 2015­2016 (Obsan Dossier 57). Neuchâtel, abrufbar unter: http://www.obsan.admin.ch/de/publikationen/soins-integres-en-suisse (Stand 1.7.2022).

SR 101 Gächter, Renold-Burch, in: Waldmann et al [Hrsg.], Basler Kommentar zur Bundesverfassung, 2015, Art. 117 Rz 4­6.

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7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen dürfen den internationalen Verpflichtungen der Schweiz nicht widersprechen. Sie müssen insbesondere mit dem Abkommen vom 21. Juni 199998 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA) und dem Übereinkommen vom 4. Januar 196099 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) (EFTA-Übereinkommen) vereinbar sein. Anhang II zum FZA und Anhang K Anlage 2 zum EFTA-Übereinkommen führen dazu aus, dass in der Schweiz im Verhältnis zu den EU- oder EFTA-Staaten das europäische Koordinationsrecht der EU betreffend die Systeme der sozialen Sicherheit, zum Beispiel die Verordnung (EG) Nr. 883/2004100 sowie die Verordnung (EG) Nr. 987/2009101, durch den in Artikel 95a KVG vorgesehenen Verweis anwendbar ist.102 Dieses Recht bezweckt im Hinblick auf die Garantie der Personenfreizügigkeit keine Harmonisierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit. Die «Etats parties» können über die konkrete Ausgestaltung, den persönlichen Geltungsbereich, die Finanzierungsmodalitäten und die Organisation der Systeme der sozialen Sicherheit weitgehend frei bestimmen. Dabei müssen sie jedoch die Koordinationsgrundsätze wie zum Beispiel das Diskriminierungsverbot, die Anrechnung der Versicherungszeiten und die grenzüberschreitende Leistungserbringung beachten, die in der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und in der entsprechenden Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 geregelt sind.

Ausnahme vom Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend die Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rückerstattungen im Rahmen von Preismodellen Die vorgeschlagene Ausnahmebestimmung im Zusammenhang mit Dokumenten betreffend Preismodelle und Rückerstattungen ist mit den eingangs erwähnten internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar. Völkerrechtliche Bestimmungen, die heranzuziehen wären, liegen nicht vor. Weder Artikel 10 der Konvention vom 4. November 1950103 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) noch Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts vom 16. November 1966104 über

98 99 100

101

102

103 104

SR 0.142.112.681 SR 0.632.31 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 166 vom 30.4.2004, S. 1.

Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 284 vom 30.10.2009, S. 1.

Zu Informationszwecken wurde eine konsolidierte (nicht bindende) Version der erwähnten Verordnungen (EG) Nr.°883/2004 und 987/2009 in der Fassung, die für die Schweiz gemäss Anhang II FZA gilt, in SR 0.831.109.268.1 und SR 0.831.109.268.11 veröffentlicht.

SR 0.101 SR 0.103.2

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bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) gewähren ein Recht auf Zugang zu Informationen von Behörden.

Elektronische Rechnungsübermittlung Die vorgeschlagenen Änderungen in Artikel 42a E-KVG über die Versichertenkarte widersprechen nicht den Regelungen des europäischen Koordinationsrechts für die Sozialversicherungen, das die Schweiz mit dem FZA und dem EFTA-Übereinkommen übernommen hat. Gestützt darauf erhalten die Versicherten von ihrem Versicherer die europäische Krankenversicherungskarte (EKVK). Die EKVK wird auf der Rückseite der schweizerischen Versichertenkarte ausgestellt. Während eines vorübergehenden Aufenthalts in einem EU-/EFTA-Staat haben die Versicherten bei Vorweisen der EKVK bei Krankheit, Unfall oder Mutterschaft Anspruch auf alle Sachleistungen, die sich unter Berücksichtigung der Art der Leistungen und der voraussichtlichen Leistungsdauer als medizinisch notwendig erweisen. Die neuen Regelungen über die Versichertenkarte erlauben, dass festgelegt werden kann, dass sie weiterhin als Sichtausweis herausgegeben werden muss. Da die EKVK auf der Rückseite der Versichertenkarte enthalten ist, wird sie weiterhin als Dokument vorhanden sein. Zudem sind auch auf europäischer Ebene Bestrebungen im Gange, die EKVK elektronisch zuzulassen. Der Bundesrat kann das Format entsprechend anpassen, wenn die EKVK auf europäischer Ebene in elektronischer Form zugelassen wird.

7.3

Erlassform

Nach Artikel 164 BV sind alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen. Diesem Erfordernis wird der Erlass des vorliegenden Gesetzes gerecht. Bundesgesetze unterliegen nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe a BV dem fakultativen Referendum. Die hier erläuterte Vorlage sieht explizit das fakultative Referendum vor.

7.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV sieht zum Zweck der Ausgabenbegrenzung vor, dass Subventionsbestimmungen und Verpflichtungskredite sowie Zahlungsrahmen, die neue einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder wiederkehrende Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken nach sich ziehen, in jedem der beiden Räte der Zustimmung der Mehrheit aller Mitglieder bedürfen. Weil die Vorlage weder Subventionsbestimmungen noch Finanzierungsbeschlüsse beinhaltet, unterliegt das Geschäft nicht der Ausgabenbremse.

7.5

Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz

Die Vorlage führt zu keinen substanziellen Änderungen in Aufgabenteilung oder Aufgabenerfüllung durch Bund und Kantone. Die gesetzlichen Anpassungen führen zu 75 / 78

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keiner grundlegenden Kompetenzverschiebung. Vielmehr wird an der bestehenden Kompetenzverteilung so wenig wie möglich geändert.

Der Bundesrat erhält im Bereich der elektronischen Rechnungsübermittlung zudem eine neue subsidiäre Kompetenz zur Vorgabe von gesamtschweizerisch einheitlichen Standards für die elektronische Übermittlung der Rechnungen.

7.6

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Artikel 96 KVG erteilt dem Bundesrat die generelle Kompetenz, Ausführungsbestimmungen im Bereich der sozialen Krankenversicherung zu erlassen. Artikel 86 Abs. 2 IVG enthält die analoge Bestimmung für die IV. Der vorliegende Entwurf ermächtigt den Bundesrat sowie die untergeordneten Verwaltungseinheiten zudem zum Erlass von Bestimmungen im folgenden Bereich: Netzwerke zur koordinierten Versorgung ­

Festlegung der Zulassungsvoraussetzungen für die Netzwerke zur koordinierten Versorgung (Art. 36a Abs. 1 E-KVG)

­

Mindestanforderung an die Verträge (Art. 37a Abs. 2 und 3 E-KVG)

­

Mindestanforderungen an die Verträge (Art. 48a Abs. 4 E-KVG)

Differenzierte WZW-Prüfung ­

Regelung der Einzelheiten der differenzierten WZW-Prüfung, namentlich deren Tiefe, Umfang und Häufigkeit (Art. 32 Abs. 3 E-KVG und Art. 14 Abs. 2 E-IVG).

Preismodelle und Rückerstattungen ­

Regelung der Festlegung von Rückerstattungen an die Versicherer oder den Fonds für Rückerstattungen nach Artikel 18 Absatz 2septies Buchstabe b EKVG (52b Abs. 3 E-KVG)

­

Bestimmungen zu den Voraussetzungen, zur Berechnung, zur Verteilung und zu weiteren Modalitäten der Rückerstattungen (Art. 52b Abs. 4 E-KVG)

­

Regelung der Festlegung von Rückerstattungen an den Ausgleichsfonds der IV nach Artikel 79 IVG sowie Bestimmungen zu den Voraussetzungen, zur Berechnung und zu den Modalitäten der Rückerstattungen (Art. 14quater EIVG)

Faire Referenztarife für eine schweizweit freie Spitalwahl ­

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Regelung der Einzelheiten der Festlegung von Referenztarifen bei stationären ausserkantonalen Wahlbehandlungen (Art. 41 Abs. 1bis E-KVG)

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Elektronische Rechnungsübermittlung ­

Vereinbarung von gesamtschweizerisch einheitlichen Standards für die elektronische Übermittlung der Rechnungen, sofern sich die Parteien nicht einigen können (Art. 42 Abs. 3ter E-KVG)

­

Regelung der technischen und organisatorischen Vorgaben zur Herausgabe der Versichertenkarte sowie deren Verwendung als Identifikationsmittel (Art. 42a Abs. 3 E-KVG)

­

Bestimmung der Leistungserbringer, welche im Verkehr mit der IV elektronisch abzurechnen haben (Art. 27ter E-IVG)

Wie die Umsetzung auf Verordnungsstufe erfolgen soll, wird in Ziff. 4.3 erläutert.

7.7

Datenschutz

Koordinierte Versorgung stärken Für die Datenbearbeitung im Zusammenhang mit dem elektronischen Patientendossier gelten die Bestimmungen gemäss dem EPDG. Für die Regelung der Bearbeitung von Personendaten durch kantonale Organe sind aufgrund der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung die Kantone zuständig.

Elektronische Rechnungsübermittlung Bei der Bearbeitung von Personendaten sind die Bestimmungen der Datenschutzgesetzgebung einzuhalten. Gemäss Artikel 7 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 105 über den Datenschutz (DSG) müssen Personendaten durch angemessene technische und organisatorische Massnahmen gegen unbefugtes Bearbeiten geschützt werden.

Nach Artikel 59 KVV haben die Leistungserbringer in ihren Rechnungen alle administrativen und medizinischen Angaben zu machen, die für die Überprüfung der Berechnung der Vergütung notwendig sind, insbesondere Angaben zu den einzelnen erbrachten Leistungen und zu den Diagnosen. Die Rechnungen enthalten demnach besonders schützenswerte Personendaten nach Artikel 3 Buchstabe c DSG. Bei der elektronischen Rechnungsübermittlung werden auf den Rechnungen keine anderen Daten aufgeführt als auf den Papierrechnungen.

Für den Datenschutz ist keine zusätzliche Regelung notwendig, da die Versicherer und die Leistungserbringer auf der Grundlage der Bestimmungen des DSG und von Artikel 84b KVG die erforderlichen technischen und organisatorischen Massnahmen zur Sicherstellung des Datenschutzes zu treffen haben. Sie erstellen ein Bearbeitungsreglement, das dem Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten zur Beurteilung vorgelegt wird. Darin können auch Regelungen für die elektronische Rechnungsübermittlung aufgenommen werden.

Da es sich bei den Gesundheitsdaten um besonders schützenswerte Daten im Sinne des DSG handelt, sind für ihre Bearbeitung besondere Massnahmen vorzusehen (verschlüsselte Übermittlung, Multi-Faktor-Authentifizierungsverfahren), die von den 105

SR 235.1

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Tarifpartnern im Rahmen der Erarbeitung eines gesamtschweizerisch einheitlichen Standards, der die Datensicherheit garantiert, zu berücksichtigen sind.

Während der Erarbeitung dieses einheitlichen Standards müssen die Tarifpartner auch ihre Pflichten nach dem totalrevidierten Datenschutzgesetz vom 25. September 2020106, das voraussichtlich am 1. September 2023 in Kraft tritt, berücksichtigen, namentlich dass bei einem solchen Vorhaben vorgängig eine Datenschutz-Folgenabschätzung zu erstellen sein wird (vgl. Art. 22 des neuen Datenschutzgesetzes).

106

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