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18.475 Parlamentarische Initiative Beschleunigung des Verfahrens bei der Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarf des Vermieters oder seiner Familienangehörigen Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 18. August 2022

Sehr geehrte Frau Präsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Obligationenrechtes. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

18. August 2022

Im Namen der Kommission Die Präsidentin: Christa Markwalder

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Übersicht Die Parlamentarische Initiative «Beschleunigung des Verfahrens bei der Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarf des Vermieters oder seiner Familienangehörigen» wird mittels einer Anpassung von drei Bestimmungen des Obligationenrechts umgesetzt. Die Änderungen beziehen sich auf den Wechsel des Eigentümers bei Veräusserung der Sache, die Anfechtbarkeit der Kündigung des Vermieters und den Anspruch des Mieters bei der Erstreckung des Mietverhältnisses. Die mit der Umsetzung der parlamentarischen Initiative einhergehenden Gesetzesänderungen gehören zu einer von drei jeweils separat zu realisierenden Vorlagen.

Ausgangslage Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates schlägt vor, die Anliegen von vier parlamentarischen Initiativen zu ausgewählten Fragen des Mietrechts in drei gesonderten Erlassentwürfen umzusetzen. Die drei Erlassentwürfe sehen Anpassungen im Bereich der Untermiete, der Formvorschriften bei Mietzinserhöhungen und anderen einseitigen Vertragsänderungen sowie bei der Frage der Kündigung wegen Eigenbedarfs vor.

Inhalt der Vorlage Die Änderung soll im Bereich der Kündigung bei Geltendmachung von Eigenbedarf an einer Mietsache greifen. Die heute geltenden Voraussetzungen, die für die Geltendmachung von Eigenbedarf eine zeitliche und sachliche Dringlichkeit vorsehen, sollen gelockert werden, sodass es für eine neue Eigentümerin oder einen neuen Eigentümer einfacher wird, mit Hinweis auf den Eigenbedarf eine Kündigung auszusprechen und durchzusetzen.

Eine Kommissionsminderheit beantragt auf die Vorlage Kündigung wegen Eigenbedarfs nicht einzutreten, weil die Voraussetzungen für die Anrufung des Eigenbedarfs strenger formuliert werden müssten. Weitere Kommissionsminderheiten schlagen in diesem Sinne einen anderen Wortlaut der zu ändernden drei Artikel vor.

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Bericht 1

Ausgangslage und Vorarbeiten der Kommission

1.1

Parlamentarische Initiative 18.475 (Merlini)

Am 12. Dezember 2018 reichte Nationalrat Giovanni Merlini (FDP-Liberale Fraktion, FDP.Die Liberalen) die Parlamentarische Initiative «Beschleunigung des Verfahrens bei der Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarf des Vermieters oder seiner Familienangehörigen» ein. Infolge Ausscheidens des Urhebers aus dem Nationalrat anlässlich der parlamentarischen Gesamterneuerungswahlen vom Herbst 2019 infolge Nichtkandidatur, übernahm Nationalrätin Christa Markwalder (FDP-Liberale Fraktion, FDP.Die Liberalen) die parlamentarische Initiative am 5. Dezember 2019.

Beantragt wurde die Erarbeitung eines Gesetzentwurfes, der das Obligationenrecht (OR)1 und/oder die Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO)2 ändert, damit die durchschnittliche Dauer zivilrechtlicher Streitigkeiten in Sachen Kündigung des Mietverhältnisses wegen Geltendmachung von Eigenbedarf im Sinne der Artikel 261 Absatz 2 Buchstabe a, 271a Absatz 3 Buchstabe a und 272 Absatz 2 Buchstabe b OR im Vergleich zur derzeitigen Situation signifikant verringert wird. Dieser Gesetzentwurf muss zwei Punkte erfüllen: Erstens soll er die Voraussetzungen lockern, die von der Rechtsprechung angewandt werden, damit die Dringlichkeit des Eigenbedarfs im Sinne der oben genannten Bestimmungen des OR anerkannt wird. Zweitens soll er festlegen, dass bei der Kündigung des Mietverhältnisses ein summarisches Verfahren zur Anwendung kommt, dessen Fristen sicherstellen, dass zivilrechtliche Streitigkeiten innerhalb einer kurzen Zeitspanne von maximal einigen Monaten erledigt werden, wobei Letzteres auch durch die Begrenzung der Rechtsmittel erfolgen könne.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Eigentümerschaft von Wohn- bzw. Geschäftsräumen das Mietverhältnis nur dann mit der gesetzlichen Frist von drei bzw.

sechs Monaten kündigen könne, wenn sie oder er einen dringenden Eigenbedarf für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte geltend macht (Art. 261 Abs. 2 Bst. a OR), was in der Praxis aber sehr oft an den materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Bestimmungen scheitere. In den meisten Fällen komme es zur Anfechtung der Kündigung, wodurch ein langes Zivilverfahren eingeleitet werde, in dem die Vermieterin oder der Vermieter die Dringlichkeit des Eigenbedarfs beweisen muss.

Die Initiative wird weiter damit begründet, dass nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesgerichtes der Eigenbedarf nur dann als dringend gilt, wenn es von der Vermieterin oder dem Vermieter aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen nicht verlangt werden kann, auf die Nutzung der Wohn- bzw. Geschäftsräume zu verzichten (vgl.

z. B. BGE 142 III 336 E. 5.2.2 S. 340 und E. 5.2.3 S. 341). Die Bestimmungen des Kündigungsschutzes ermöglichen es der Mieterschaft also, die Auflösung des Mietverhältnisses über viele Monate oder Jahre zu verhindern. Dies auch wenn über vier

1 2

SR 220 SR 272

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Instanzen das Vorhandensein des dringenden Eigenbedarfs und somit die Rechtmässigkeit der Kündigung festgestellt und eine Verlängerung des Mietverhältnisses nicht gestattet wird.

Daraus wird geschlossen, dass der Begriff der Dringlichkeit mit der Dauer des Anfechtungsverfahrens unvereinbar ist und es für die Eigentümerschaft de facto unmöglich ist, das Mietobjekt schnell für sich oder nahe Verwandte zur Verfügung zu haben.

Dies führe oft dazu, dass Alternativlösungen notwendig werden, was zusätzliche Kosten nach sich ziehe.

Am 14. November 2019 hat die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RKN) der Parlamentarischen Initiative Folge gegeben. Am 10. August 2020 stimmte auch die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) zu.

1.2

Kontext

Die Parlamentarische Initiative 18.475 will das OR und/oder die ZPO so ändern, dass die durchschnittliche Dauer zivilrechtlicher Streitigkeiten in Sachen Kündigung des Mietverhältnisses wegen Geltendmachung von Eigenbedarf im Sinne der Artikel 261 Absatz 2 Buchstabe a, 271a Absatz 3 Buchstabe a und 272 Absatz 2 Buchstabe b OR signifikant verringert wird. Der Gesetzentwurf soll die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Dringlichkeit im Sinne der zitierten OR-Bestimmungen lockern und er soll sicherstellen, dass bei der Kündigung des Mietverhältnisses wegen dringendem Eigenbedarf ein summarisches Verfahren zur Anwendung kommt, das eine Erledigung des zivilrechtlichen Verfahrens innerhalb einiger Monate sicherstellt.

Das Vorliegen eines dringenden Eigenbedarfs hat zur Folge, dass das Mietverhältnis mit der gesetzlichen Frist auf den nächsten gesetzlichen Termin gekündigt werden kann und dass die Möglichkeit der Kündigungsanfechtung nach Artikel 271a OR eingeschränkt ist. Der Eigenbedarf und dessen Dringlichkeit sind ferner im Rahmen der Interessenabwägung im Hinblick auf die Gewährung einer Erstreckung des Mietverhältnisses gemäss Artikel 272 OR relevant. Nach der Praxis des Bundesgerichts3 muss die Dringlichkeit des Eigenbedarfs nicht nur in zeitlicher, sondern auch in sachlicher Hinsicht verstanden werden. Diese Voraussetzungen können dadurch gelockert werden, dass in den zitierten OR-Bestimmungen festgehalten wird, dass ein bei objektiver Beurteilung bedeutender und aktueller Eigenbedarf genügt.

Die Anwendbarkeit eines rascheren Verfahrens bei einer Kündigung des Mietverhältnisses aufgrund dringenden Eigenbedarfs würde eine Anpassung der einschlägigen Verfahrensbestimmungen in der ZPO erfordern.

1.3

Vorarbeiten der Kommission

Die RK-N hat die Vorarbeiten an der Umsetzung der vier parlamentarischen Initiativen 15.455 Egloff. «Missbräuchliche Untermiete vermeiden», 16.458 Vogler. «Keine 3

BGE 142 III 336 E. 5.2.3; 132 III 737 E. 3.4.3; 118 II 50 E. 3. d.

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unnötigen Formulare bei gestaffelten Mietzinserhöhungen», 16.459 Feller. «Mietvertragsrecht. Auf mechanischem Wege nachgebildete Unterschriften für zulässig erklären» und 18.475 (Merlini) Markwalder. «Beschleunigung des Verfahrens bei der Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarf des Vermieters oder seiner Familienangehörigen» an ihrer Sitzung vom 5. Februar 2021 aufgenommen. Dabei hat sie entschieden, die vier parlamentarischen Initiativen in einem einzigen Verfahren umzusetzen, aber in verschiedenen Entwürfen. Damit war die Grundlage geschaffen, um eine einzige Vernehmlassung zu drei separaten Vorentwürfen durchführen zu können. An ihrer Sitzung vom 24. Juni 2021 hat die RK-N die drei Vorentwürfe bereinigt und in den Gesamtabstimmungen mit folgenden Stimmenverhältnissen angenommen. Mit 12 zu 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen verabschiedete sie die Vorlage 1 (Untermiete), mit 13 zu 2 Stimmen bei 8 Enthaltungen die Vorlage 2 (Formvorschriften) und mit 13 zu 9 Stimmen die Vorlage 3 (Kündigung wegen Eigenbedarfs). An ihrer Sitzung vom 20. August 2021 verabschiedete sie den begleitenden Bericht und entschied gleichzeitig, zu den Vorlagen die Vernehmlassung zu eröffnen.

Die Kommission wurde bei ihren Arbeiten vom Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) unterstützt.

2

Vernehmlassungsverfahren

2.1

Einleitung

Die Vernehmlassungsvorlagen und der erläuternde Bericht bezogen sich auf die vier parlamentarischen Initiativen «Missbräuchliche Untermiete vermeiden», «Keine unnötigen Formulare bei gestaffelten Mietzinserhöhungen», «Mietvertragsvertragsrecht. Auf mechanischem Wege nachgebildete Unterschriften für zulässig erklären» und «Beschleunigung des Verfahrens bei der Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarf des Vermieters oder seiner Familienangehörigen». Die drei zuerst genannten Vorstösse sehen eine Änderung des Mietrechts im OR vor, während die zuletzt erwähnte parlamentarische Initiative zusätzlich noch eine Anpassung der ZPO beantragt.

Am 6. September 2021 eröffnete die RK-N die Vernehmlassung zu den Vorentwürfen in Umsetzung der vier parlamentarischen Initiativen 15.455 n Pa. Iv. Egloff. «Missbräuchliche Untermiete vermeiden», 16.458 n Pa. Iv. Vogler. «Keine unnötigen Formulare bei gestaffelten Mietzinserhöhungen», 16.459 n Pa. Iv. Feller. «Mietvertragsrecht. Auf mechanischem Wege nachgebildete Unterschriften für zulässig erklären» und 18.475 n Pa. Iv. (Merlini) Markwalder. «Beschleunigung des Verfahrens bei der Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarf des Vermieters oder seiner Familienangehörigen». Bis zum Ablauf der Vernehmlassungsfrist am 6. Dezember 2021 sind insgesamt 64 Antworten eingegangen, wovon 60 eine inhaltliche Stellungnahme enthalten.

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2.2

Vernehmlassungsvorlage

2.2.1

Antrag auf Nichteintreten

Eine Minderheit (Dandrès, Arslan, Brélaz, Brenzikofer, Fehlmann Rielle, Funiciello, Marti Min Li, Schlatter, Suter) lehnte den Vorentwurf in der von der Kommission beschlossenen Version ab, was gemäss Artikel 74 Absatz 5 Parlamentsgesetz (ParlG)4 einem Antrag auf Nichteintreten auf die Vorlage entspricht. Der Vorentwurf ging der der Minderheit zu weit.

2.2.2

Wechsel des Eigentümers aufgrund Veräusserung der Sache (Art. 261 Abs. 2 Bst. a OR)

Das Mietrecht knüpft in drei Bestimmungen an den Eigenbedarf an. Im Ersten Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen bezieht sich Artikel 261 OR auf den Wechsel des Eigentümers bei Veräusserung der Sache. Gestützt auf den geltenden Artikel 261 Absatz 2 Buchstabe a. OR kann der neue Eigentümer bei Wohn- und Geschäftsräumen das Mietverhältnis mit der gesetzlichen Frist auf den nächsten gesetzlichen Termin kündigen, wenn er einen dringenden Eigenbedarf für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte geltend macht. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der Eigenbedarf dann dringend, «wenn es dem Vermieter aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen nicht zuzumuten ist, auf die Benutzung der vermieteten Wohnung oder des Hauses zu verzichten». In die Entscheidung sollen sämtliche erheblichen Umstände des Einzelfalles einfliessen. Die Dringlichkeit ist zeitlich und sachlich zu verstehen.5 Es müssen Gründe vorhanden sein, denen objektiver Beurteilung eine gewisse Bedeutung zukommt.6 Die Voraussetzungen für die Geltendmachung des dringenden Eigenbedarfs wurden von den Urhebern der parlamentarischen Initiative 18.475 und der Mehrheit der RK-N als problematisch erachtet. Vor diesem Hintergrund sah der Vorentwurf eine neue Formulierung von Artikel 261 Absatz 2 Buchstabe a. OR vor. Bei Wohn- und Geschäftsräumen sollte der neue Eigentümer das Mietverhältnis mit der gesetzlichen Frist auf den nächsten gesetzlichen Termin kündigen können, wenn er einen bei objektiver Beurteilung bedeutenden und aktuellen Eigenbedarf für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte geltend macht.

Eine Minderheit (Dandrès, Arslan, Brélaz, Brenzikofer, Fehlmann Rielle, Funiciello, Marti Min Li, Schlatter, Suter) wollte die Kriterien für die Geltendmachung des dringenden Eigenbedarfs strenger formulieren. Sie schlug einen Wortlaut vor, wonach die Kündigung erfolgen kann, wenn ein bei objektiver Beurteilung konkreter, bedeutender und aktueller Eigenbedarf vorliegt.

4 5 6

SR 171.10 BGE 118 II 50 E. 3. d) S. 55; BGE 142 III 336 E. 5.2.3 S. 341.

BGE 118 II 50 E. 3. d) S. 55.

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2.2.3

Kündigung durch den Vermieter (Art. 271a OR)

Artikel 271a OR regelt die Anfechtbarkeit der durch den Vermieter ausgesprochenen Kündigung und befindet sich im Dritten Abschnitt: Kündigungsschutz bei der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen. Gemäss Artikel 271a Absatz 1 Buchstaben d. und e. ist eine Kündigung insbesondere anfechtbar, wenn sie ausgesprochen wird, während eines mit dem Mietverhältnis zusammenhängenden Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens, ausser wenn der Mieter das Verfahren missbräuchlich eingeleitet hat; und vor Ablauf von drei Jahren nach Abschluss eines mit dem Mietverhältnis zusammenhängenden Schlichtungs- und Gerichtsverfahrens, in dem der Vermieter zu einem erheblichen Teil unterlegen ist (Bst. e. Ziff. 1.), seine Forderung oder Klage zurückgezogen oder erheblich eingeschränkt hat (Bst. e. Ziff. 2); auf die Anrufung des Richters verzichtet hat (Bst. e. Ziff. 3); mit dem Mieter einen Vergleich geschlossen oder sich sonstwie geeinigt hat (Bst. e. Ziff. 4). Die Buchstaben d und e von Absatz 1 sind gemäss Artikel 271a Absatz 3 Buchstabe a. OR nicht anwendbar, bei Kündigungen wegen dringenden Eigenbedarfs des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte. Das Bundesgericht bejaht den dringenden Eigenbedarf gemäss Artikel 271a Absatz 3 Buchstabe a OR, wenn es dem Vermieter aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen nicht zugemutet werden kann, auf die Benutzung der vermieteten Wohnung oder des Hauses zu verzichten. Alle erheblichen Umstände des Falles werden im Rahmen der Entscheidfindung gewürdigt. Die Dringlichkeit ist zeitlich und sachlich zu verstehen.7 Es müssen Gründe vorhanden sein, denen objektiver Beurteilung eine gewisse Bedeutung zukommt.8 Die Urheber der parlamentarischen Initiative 18.475 und eine Mehrheit der RK-N erachten die Kriterien für das Abstützen auf den dringenden Eigenbedarf im Sinne von Artikel 271a Absatz 3 Buchstabe a. OR als zu streng. Der Vorentwurf von Artikel 271a Absatz 3 Buchstabe a. OR sollte den Bedenken Rechnung tragen. Absatz 1 Buchstaben d und e sollten bei Kündigungen nicht anwendbar sein, wegen bei objektiver Beurteilung bedeutenden und aktuellen Eigenbedarfs des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte.

Eine Minderheit (Dandrès, Arslan, Brélaz, Brenzikofer, Fehlmann Rielle, Funiciello, Marti Min Li, Schlatter, Suter) würdigte den Vorentwurf von Artikel 271a Absatz
3 Buchstabe a. OR als zu weitreichend und forderte eine strengere Formulierung. Demnach sollte ein bei objektiver Beurteilung dringender, konkreter, aktueller und bedeutender Eigenbedarf vorliegen.

2.2.4

Erstreckung des Mietverhältnisses (Art. 272 OR)

Die Erstreckung des Mietverhältnisses ist im Dritten Abschnitt: Kündigungsschutz bei der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen geregelt. Der Mieter kann auf der Grundlage von Artikel 272 Absatz 1 OR eine Erstreckung verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, welche durch

7 8

BGE 132 III 737 E. 3.4.3 S. 745; BGE 118 II 50 E. 3. d) S. 55.

BGE 118 II 50 E. 3. d) S. 55.

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die Interessen des Vermieters nicht gerechtfertigt werden kann. In Bezug auf die Interessenabwägung durch die zuständige Behörde sieht Artikel 272 Absatz 2 Buchstabe d. OR vor, dass ein allfälliger Eigenbedarf des Vermieters, für sich nahe Verwandte oder Verschwägerte sowie die Dringlichkeit dieses Bedarfs zu berücksichtigen sind. Eine wegen dringenden Eigenbedarfs mitgeteilte zulässige Kündigung schliesst nicht aus, dass eine Erstreckung des Mietverhältnisses erfolgen kann. Bei der Prüfung der Erstreckung nimmt das Gericht eine zusätzliche Interessensabwägung vor. Die Dringlichkeit des Eigenbedarfs wird als Massstab für die Dauer der Erstreckung herangezogen. Gestützt auf dieses Vorgehen können nach der Auffassung des Bundesgerichts die Interessen der Mieterschaft und der Vermieterschaft in sachgerechter Weise berücksichtigt werden.9 Beim allfälligen Eigenbedarf sowie dessen Dringlichkeit im Sinne von Artikel 272 Absatz 2 Buchstabe d. OR handelt sich um einen von mehreren Gesichtspunkten, die bei der Würdigung einer Erstreckung in Erwägung zu ziehen sind.10 Aufgrund der Einwände gegen die geltende Regelung und die Auslegung durch die Rechtsprechung, wurde ein Vorentwurf formuliert, der den Eigenbedarf des Vermieters als Kriterium in der Interessensabwägung stärken sollte. Entsprechend dem Vorentwurf von Artikel 272 Absatz 2 Buchstabe d. OR sollte die zuständige Behörde bei der Interessensabwägung einen allfälligen Eigenbedarf des Vermieters für sich nahe Verwandte oder Verschwägerte sowie die objektiv zu beurteilende Bedeutung und Aktualität des Bedarfs berücksichtigen müssen.

Eine Minderheit (Dandrès, Arslan, Brélaz, Brenzikofer, Fehlmann Rielle, Funiciello, Marti Min Li, Schlatter, Suter) erachtete die Formulierung des Vorentwurfs als zu weitrechend in ihren Rechtsfolgen. Sie sprach sich für eine strengere Vorschrift aus.

Demnach sollte die zuständige Behörde im Rahmen der Interessensabwägung einen allfälligen Eigenbedarf des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte sowie die objektiv zu beurteilende Dringlichkeit, Aktualität und Bedeutung dieses Bedarfs berücksichtigen müssen.

2.2.5

Verzicht auf isolierte Anpassungen im Verfahrensrecht

Mit der parlamentarischen Initiative 18.475 wurden ursprünglich auch Anpassungen im Verfahrensrecht bei Streitigkeiten in Sachen Kündigung des Mietverhältnisses wegen Geltendmachung von Eigenbedarf verlangt. So sollte ein summarisches Verfahren zur Anwendung kommen, dessen Fristen oder Begrenzung der Rechtsmittel sicherstellen, dass zivilrechtliche Streitigkeiten innerhalb einer angemessen kurzen Zeitspanne (maximal innerhalb einiger Monate) erledigt werden.

Bei der Verfahrensdauer handelt es sich um ein inhärentes Problem der Durchsetzung der Rechte, wie sie das materielle Recht vorsieht. Die Fragen, welche sich im Zusammenhang mit der Kündigung wegen Eigenbedarfs stellen, müssen im Gesamtkontext

9 10

BGE 118 II 50 E. 4. S. 58.

Vgl. Artikel 272 Absatz 2 OR; BGE 142 III 336 E. 5.2.1 S. 339.

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mietrechtlicher Verfahren gesehen werden. Eine generelle Anwendung des summarischen Verfahrens für die Frage der Zulässigkeit der Kündigung und die Erstreckung wurde als nicht zielführend erachtet. Vor diesem Hintergrund wurde auf isolierte Anpassungen im Verfahrensrecht verzichtet.

2.3

Vernehmlassungsergebnisse

2.3.1

Vorlage insgesamt

Im Vernehmlassungsverfahren sind mehrere Stellungnahmen eingegangen, welche Ergänzungen und Anträge enthielten. Nachfolgend werden die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmlassung zusammengefasst. Für eine Vertiefung insbesondere mit Blick auf die Ergänzungen und Anträge wird auf den Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung vom 8. April 2022 verwiesen.11 Zum Vorentwurf Kündigung wegen Eigenbedarfs sind insgesamt 49 Stellungnahmen eingegangen. 16 Vernehmlassungsteilnehmende haben sich dazu positiv geäussert, in drei der Antworten ist eine neutrale Haltung zum Ausdruck gebracht worden und 30 Antwortende haben ihre Ablehnung mitgeteilt. Die negativen Stellungnahmen sind dabei unterschiedlich begründet worden. Während die eine Seite eine Reduktion des Mieterschutzes geltend gemacht hat, ist von der anderen Seite insbesondere das Fehlen beschleunigender Verfahrensregeln in der ZPO bemängelt worden.

Insgesamt zwölf Kantone (ZH, BE, AG, SH, FR, SO, GR, BS, NW, OW, VD, TI) haben sich allgemein zu dieser Vorlage geäussert. Sechs Kantone haben sich im Grundsatz zustimmend (AG, SH, FR, ZH, NW, TI) und genau gleich viele haben sich ablehnend (BE, BS, GR, OW, SO, VD) geäussert, wobei GR die Einführung eines summarischen Verfahrens in der ZPO begrüssen würde.

Von den in der Bundesversammlung vertretenen politischen Parteien haben sich deren zwei (Schweizerische Volkspartei [SVP], die Mitte) positiv zum Vorschlag geäussert, während sich drei andere (FDP, Sozialdemokratische Partei der Schweiz [SPS] und Grüne Partei der Schweiz [GPS]) dagegen ausgesprochen haben. Dabei hat die FDP ihre ablehnende Haltung mit dem Fehlen einer klareren Definition des Eigenbedarfs begründet und zudem Verfahrensregeln in der ZPO gefordert.

Bei den gesamtschweizerischen Dachverbänden der Gemeinden, Städte und Berggebiete hat der Schweizerische Städteverband (SSV) die ablehnende Haltung der Mehrheit seiner Mitglieder mitgeteilt. Dagegen hat der Schweizerische Gemeindeverband (SGV) auf eine Empfehlung verzichtet.

Auch von den gesamtschweizerischen Dachverbänden der Wirtschaft hat es zwei Rückmeldungen gegeben, je eine zustimmende (Schweizerischer Gewerbeverband [sgv]) und eine ablehnende (Schweizerischer Gewerkschaftsbund [SGB]).

11

Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung, www.fedlex.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2021 > Parl. > Vernehmlassung 2021/91 > Ergebnisbericht (besucht 29.07.2022).

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Vier weitere interessierte Organisationen haben ihre Zustimmung mitgeteilt, nämlich Union suisse des professionnels de l'immobilier (USPI), Casafair Schweiz (Casafair), Chambre genevoise immobilière (CGI) und Fédération romande immobilière (FRI).

Auf der anderen Seite haben sich sieben weitere interessierte Organisationen (Hauseigentümerverband Schweiz [HEV], Schweizerischer Verband der Immobilienwirtschaft [SVIT], Verband Immobilien Schweiz [VIS], Association suisse des locataires / Mieterinnen und Mieterverband Schweiz [ASLOCA/MV], Associazione Svizzera Inquilini ­ Sezione della Svizzera Italiana [ASI-SSI], Mieterinnen- und Mieterverband Deutschschweiz [MVD], Schweizerische Vereinigung der Richterinnen und Richter [SVR-ASM]) gegen die Änderungen ausgesprochen, wobei HEV, SVIT und VIS das Ziel der Beschleunigung des Verfahrens gutgeheissen, zur Umsetzung aber unter anderem Verfahrensregeln in der ZPO gefordert haben. ASLOCA/MV, ASI-SSI und MVD haben es umgekehrt ausdrücklich begrüsst, dass keine ZPO-Bestimmungen vorgesehen sind, aber zudem Regelungen zur Verhinderung von Missbrauch durch die Vermieterschaft gefordert. Schliesslich haben zwei der weiteren interessierten Organisationen, nämlich wohnbaugenossenschaften schweiz ­ verband der gemeinnützigen wohnbauträger (WBG Schweiz) und Konferenz der Geschäftsführer von Anlagestiftungen (KGAST) ausdrücklich darauf verzichtet, sich zu dieser Vorlage zu äussern.

Von den nicht eingeladenen Vernehmlassungsteilnehmenden haben deren drei (Centre Patronal [CP], Schweizerischer Verband der Bürgergemeinden und Korporationen [SVBK], Fédération des Entreprises Romandes [FER]) die Vorlage befürwortet. Auf der anderen Seite haben sich zwölf der nicht eingeladenen Vernehmlassungsteilnehmenden gegen die Vorlage ausgesprochen. Die Vereinigung Zürcher Immobilienunternehmen (VZI) hat dabei das Ziel der Beschleunigung des Verfahrens gutgeheissen, zur Umsetzung aber unter anderem Verfahrensregeln in der ZPO gefordert.

Association suisse des locataires, section de la Broye vaudoise (ASLOCA Broye vaudoise), Association suisse des locataires, section agglomération lausannoise (ASLOCA Lausanne), ASLOCA neuchâteloise, Section vaudoise de l'Association suisse des locataires (ASLOCA Vaud), Association suisse des locataires, section Vevey, la Tour-de-Peilz et environs
(ASLOCA Vevey, la Tour-de-Peilz et environs), Mieterinnen- und Mieterverband Kanton Bern (MV BE), Mieterinnen- und Mieterverband Deutschfreiburg (MVDF), Mieterinnen- und Mieterverband Regionalgruppe Emmental-Oberaargau (MV RG Emmental-Oberaargau), Mieterinnen- und Mieterverband Regionalgruppe Thun-Oberland (MV RG Thun-Oberland) und Mieterinnenund Mieterverband Zürich (MV ZH) haben es umgekehrt ausdrücklich begrüsst, dass keine ZPO-Bestimmungen vorgesehen sind, aber zudem Regelungen zur Verhinderung von Missbrauch durch die Vermieterschaft gefordert. Ebenfalls abgelehnt worden ist die Vorlage durch Mieterinnen- und Mieterverband Basel (MV BS).

2.3.2

Artikel 261 Absatz 2 OR Wechsel des Eigentümers ­ Veräusserung der Sache / Minderheit

Zu Artikel 261 Absatz 2 OR betreffend Wechsel des Eigentümers sind insgesamt fünfzehn Stellungnahmen eingegangen. Zwölf Vernehmlassungsteilnehmende haben sich positiv geäussert, während deren drei eine ablehnende Haltung zum Ausdruck 10 / 22

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gebracht haben. In insgesamt zwölf der eingegangenen Antworten ist eine Stellungnahme zum Minderheitsantrag betreffend Artikel 261 Absatz 2 OR enthalten, wovon in zehn Fällen die Ablehnung und in zwei Fällen die Zustimmung mitgeteilt worden ist.

Von den sechs eingegangenen kantonalen Stellungnahmen haben sich deren vier zugunsten der vorgeschlagenen Bestimmung ausgesprochen (FR, TI, ZG, GE) und deren zwei dagegen (LU, GR). Vier Kantone haben den Minderheitsantrag (LU, FR, TI, ZG) abgelehnt. Der Kanton GE hat diesem inhaltlich zugestimmt.

Mit der SPS hat sich eine in der Bundesversammlung vertretene politische Partei geäussert. Sie hat sich gegen den unterbreiteten Vorschlag ausgesprochen und stattdessen den Minderheitsantrag befürwortet.

Von den weiteren interessierten Organisationen sind Antworten von HEV, VIS, CGI, Camera ticinese dell'economia fondiaria (CATEF) und SVIT eingegangen. Sie alle haben die vorgeschlagene Anpassung befürwortet, wobei teils Abänderungsvorschläge zum Wortlaut unterbreitet worden sind. HEV, CGI und SVIT haben sich zudem ablehnend zum Minderheitsantrag geäussert.

Drei nicht eingeladene Vernehmlassungsteilnehmende, nämlich SVBK, FER und VZI haben sich befürwortend zum Vorschlag geäussert, wobei teils Abänderungsvorschläge zum Wortlaut unterbreitet worden sind. Alle drei haben sich zudem gegen den Minderheitsantrag ausgesprochen.

2.3.3

Artikel 271a Absatz 3 Buchstabe a OR Anfechtbarkeit der Kündigung ­ Kündigung durch den Vermieter / Minderheit

Zu Artikel 271a Absatz 3 Buchstabe a OR betreffend Anfechtbarkeit der Kündigung ­ Kündigung durch den Vermieter sind insgesamt sechzehn Stellungnahmen eingegangen. Zwölf Vernehmlassungsteilnehmende haben sich positiv geäussert, während deren vier eine ablehnende Haltung zum Ausdruck gebracht haben. In insgesamt zwölf der eingegangenen Antworten ist eine Stellungnahme zum Minderheitsantrag betreffend Artikel 271a Absatz 3 Buchstabe a OR enthalten, wovon in elf Fällen die Ablehnung und in einem Fall die Zustimmung mitgeteilt worden ist.

Von den sieben eingegangenen kantonalen Stellungnahmen haben sich deren vier zugunsten der vorgeschlagenen Bestimmung ausgesprochen (FR, TI, ZG, GE) und deren drei dagegen (BS, LU, GR). Vier Kantone haben sich zum Minderheitsantrag geäussert (LU, FR, TI, ZG) und diesen allesamt abgelehnt.

Mit der SPS hat sich eine in der Bundesversammlung vertretene politische Partei geäussert. Sie hat sich gegen den unterbreiteten Vorschlag ausgesprochen und stattdessen den Minderheitsantrag befürwortet.

Von den weiteren interessierten Organisationen sind Antworten von HEV, VIS, CGI, CATEF und SVIT eingegangen. Sie alle haben die vorgeschlagene Anpassung befürwortet, wobei teils Abänderungsvorschläge zum Wortlaut unterbreitet worden sind.

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HEV, CGI, CATEF und SVIT haben sich zudem ablehnend zum Minderheitsantrag geäussert.

Drei nicht eingeladene Vernehmlassungsteilnehmende, nämlich SVBK, FER und VZI haben sich befürwortend zum Vorschlag geäussert, wobei teils Abänderungsvorschläge zum Wortlaut unterbreitet worden sind. Alle drei haben sich zudem gegen den Minderheitsantrag ausgesprochen.

2.3.4

Artikel 272 Absatz 2 Buchstabe d OR Erstreckung des Mietverhältnisses ­ Anspruch des Mieters / Minderheit

Zu Artikel 272 Absatz 2 Buchstabe d OR betreffend Erstreckung des Mietverhältnisses ­ Anspruch des Mieters sind insgesamt 19 Stellungnahmen eingegangen. Elf Vernehmlassungsteilnehmende haben sich positiv geäussert, während deren acht eine ablehnende Haltung zum Ausdruck gebracht haben. In insgesamt dreizehn der eingegangenen Antworten ist eine Stellungnahme zum Minderheitsantrag betreffend Artikel 272 Absatz 2 Buchstabe d OR enthalten, wovon in zwölf Fällen die Ablehnung und in einem Fall die Zustimmung mitgeteilt worden ist.

Von den sieben eingegangenen kantonalen Stellungnahmen haben sich deren drei zugunsten der vorgeschlagenen Bestimmung ausgesprochen (FR, TI, GE) und deren vier dagegen (LU, GR, OW, ZG). Vier Kantone haben sich zum Minderheitsantrag geäussert (LU, FR, TI, ZG) und diesen allesamt abgelehnt.

Mit der SPS hat sich eine in der Bundesversammlung vertretene politische Partei geäussert. Sie hat sich gegen den unterbreiteten Vorschlag ausgesprochen und stattdessen den Minderheitsantrag befürwortet.

Von den weiteren interessierten Organisationen sind Antworten von HEV, VIS, CGI, CATEF und SVIT eingegangen. Sie alle haben die vorgeschlagene Anpassung befürwortet, wobei teils Abänderungsvorschläge zum Wortlaut unterbreitet worden sind.

Sie alle haben sich zudem ablehnend zum Minderheitsantrag geäussert.

Drei nicht eingeladene Vernehmlassungsteilnehmende, nämlich SVBK, FER und VZI haben sich befürwortend zum Vorschlag geäussert, wobei teils Abänderungsvorschläge zum Wortlaut unterbreitet worden sind. Alle drei haben sich zudem gegen den Minderheitsantrag ausgesprochen. Dagegen haben sich ASLOCA Lausanne, ASLOCA Vevey, la Tour-de-Peilz et environs und ASLOCA Broye vaudoise gegen den Vorschlag ausgesprochen.

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2.4

Beschluss der RK-N über das weitere Vorgehen nach der Vernehmlassung

An ihrer Sitzung vom 8. April 2022 nahm die RK-N die Ergebnisse der Vernehmlassung zur Kenntnis12 und veröffentlichte den Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung.13 Die RK-N hat mit 15 zu 9 entschieden, am Vorgehen, die Revision in drei Vorlagen zu realisieren und damit dem Rat drei Entwürfe zu unterbreiten, festzuhalten.

Nach der Detailberatung von Artikel 261 Absatz 2 Buchstabe a., Artikel 271a Absatz 3 Buchstabe a. und Artikel 272 Absatz 2 Buchstabe d. OR stimmte die RK-N in der Gesamtabstimmung dem vorliegenden Entwurf ohne Änderungen mit 14 zu 9 Stimmen zu.14 Eine Minderheit (Dandrès, Arslan, Brenzikofer, Fehlmann Rielle, Funiciello, Hurni, Mahaim, Marti Min Li, Walder) spricht sich für ein Nichteintreten auf den Entwurf aus.

3

Grundzüge der Vorlage

3.1

Wechsel des Eigentümers aufgrund Veräusserung der Sache (Art. 261 Abs. 2 Bst. a OR)

Ein Wechsel des Eigentümers kann gemäss Artikel 261 Absatz 1 OR erfolgen, wenn der Vermieter die Sache nach Abschluss des Mietvertrags veräussert oder wenn sie ihm in einem Schuldbetreibungs- oder Konkursverfahren entzogen wird. Das Mietverhältnis geht mit dem Eigentum an der Sache auf den Erwerber über. Gestützt auf Artikel 261 Absatz 2 Buchstabe a OR kann der neue Eigentümer bei Wohn- und Geschäftsräumen das Mietverhältnis mit der gesetzlichen Frist auf den nächsten gesetzlichen Termin kündigen, wenn er einen dringenden Eigenbedarf für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte geltend macht.

Die Vorlage enthält eine Anpassung von Artikel 261 Absatz 2 Buchstabe a OR. Das Recht des neuen Eigentümers, das Mietverhältnis mittels Kündigung aufzulösen, kann geltend gemacht werden, wenn ein bei objektiver Beurteilung bedeutender und aktueller Eigenbedarf besteht. Mit dieser neuen Charakterisierung soll die Anrufung dieses Kündigungsgrundes vereinfacht und soll dessen Umsetzung beschleunigt werden.

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RK-N, Freitag, 8. April 2022, 16.30 Uhr, Medienmitteilung «Für eine erleichterte Stiefkindadoption», www.parlament.ch > Organe > Sachbereichskommissionen > Kommissionen für Rechtsfragen RK > Medienmitteilungen > RK-N > Freitag, 8. April 2022 Medienmitteilung RK-N (besucht 29. Juli 2022).

Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung, www.fedlex.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2021 > Parl. > Vernehmlassung 2021/91 > Ergebnisbericht (besucht 29. Juli 2022).

Vgl. RK-N, Freitag, 24. Juni 2022, 16.00 Uhr, Medienmitteilung «Kollektiver Rechtsschutz: Zu viele offene Fragen zum heutigen Zeitpunkt», www.parlament.ch > Organe > Sachbereichskommissionen > Kommissionen für Rechtsfragen RK > Medienmitteilungen > RK-N > Freitag, 24. Juni 2022 Medienmitteilung RK-N (besucht 29. Juli 2022).

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Eine Minderheit (Dandrès, Arslan, Brenzikofer, Fehlmann Rielle, Funiciello, Hurni, Mahaim, Marti Min Li, Walder) möchte die Geltendmachung des Kündigungsgrundes an einen konkreten, bedeutenden und aktuellen Eigenbedarf knüpfen.

3.2

Kündigung durch den Vermieter (Art. 271a OR)

Artikel 271a OR konkretisiert den Kündigungsschutz bei der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen dahingehend, dass die Kündigung durch den Vermieter unter anderem anfechtbar ist, wenn sie während eines mit dem Mietverhältnis zusammenhängenden Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens ausgesprochen wird, sofern der Mieter das Verfahren nicht missbräuchlich eingeleitet hat (Abs. 1 Bst. d). Anfechtbar ist eine Kündigung ferner auch, wenn sie vor Ablauf von drei Jahren nach Abschluss eines mit dem Mietverhältnis zusammenhängenden Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens, in dem der Vermieter zu einem erheblichen Teil unterlegen ist, seine Forderung oder Klage zurückgezogen oder erheblich eingeschränkt hat, auf die Anrufung des Richters verzichtet hat, mit dem Mieter einen Vergleich geschlossen oder sich sonstwie geeinigt hat, ausgesprochen wird (Abs. 1 Bst. e). Durch Absatz 3 Buchstabe a wird die Anwendbarkeit dieser beiden Anfechtungsgründe für Kündigungen ausgeschlossen, die wegen dringenden Eigenbedarfs des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte erfolgen.

Die Vorlage enthält eine Anpassung von Artikel 271a Absatz 3 Buchstabe a OR. Die Anwendbarkeit der Anfechtungsgründe gemäss Absatz 1 Buchstaben d und e soll ausgeschlossen sein, wenn ein bei objektiver Beurteilung bedeutender und aktueller Eigenbedarf besteht. Mit dieser neuen Charakterisierung soll die Anwendbarkeit von Anfechtungsgründen im Zusammenhang mit Eigenbedarfskündigungen eingeschränkt werden, sodass solche Kündigungen einfacher umsetzbar sind.

Eine Minderheit (Dandrès, Arslan, Brenzikofer, Fehlmann Rielle, Funiciello, Hurni, Mahaim, Marti Min Li, Walder) möchte erst dann einen Ausschluss der Anfechtungsgründe von Absatz 1 Buchstabe d und e, wenn ein dringender, konkreter, aktueller und bedeutender Eigenbedarf vorliegt.

3.3

Erstreckung des Mietverhältnisses (Art. 272 OR)

Artikel 272 Absatz 2 OR enthält eine nicht abschliessende Aufzählung von Kriterien, die durch die zuständige Behörde bei der Beurteilung eines Erstreckungsgesuchs zu berücksichtigen sind. Gemäss Buchstabe d gehört dazu der allfällige Eigenbedarf des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte sowie die zeitliche oder sachliche Dringlichkeit dieses Bedarfs.

Die Vorlage enthält eine Anpassung von Artikel 272 Absatz 2 Buchstabe d OR. Bei der Interessensabwägung soll eine objektiv zu beurteilende Bedeutung und Aktualität des Eigenbedarfs berücksichtigt werden. Mit dieser neuen Charakterisierung werden die Anforderungen an die Dringlichkeit herabgesetzt, sodass der Eigenbedarf bei der Interessensabwägung stärker zu gewichten ist.

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Eine Minderheit (Dandrès, Arslan, Brenzikofer, Fehlmann Rielle, Funiciello, Hurni, Mahaim, Marti Min Li, Walder) fordert strengere Kriterien bei der Interessensabwägung. Die objektiv zu beurteilende Dringlichkeit, Aktualität und Bedeutung des Eigenbedarfs sollen herangezogen werden.

3.4

Verzicht auf Anpassungen der ZPO

Mit der parlamentarischen Initiative 18.475 wurden ursprünglich auch Anpassungen im Verfahrensrecht bei Streitigkeiten in Sachen Kündigung des Mietverhältnisses wegen Geltendmachung von Eigenbedarf verlangt. So sollte ein summarisches Verfahren zur Anwendung kommen, dessen Fristen oder Begrenzung der Rechtsmittel sicherstellen, dass zivilrechtliche Streitigkeiten innerhalb einer angemessen kurzen Zeitspanne (maximal innerhalb einiger Monate) erledigt werden.

Auch wenn die Verfahrensdauer bei Streitigkeiten in Sachen Kündigung des Mietverhältnisses wegen Geltendmachung von Eigenbedarf teilweise zu Recht kritisiert wird, weil so die vom Gesetz vorgesehene rasche Beendigung des Mietverhältnisses relativiert wird, so handelt es sich dabei um ein inhärentes Problem der Durchsetzung der Rechte, wie sie das materielle Recht vorsieht. Bei Kündigungen des Mietverhältnisses wegen Geltendmachung von Eigenbedarf wird dieses besonders akzentuiert, indem die Kündigung angefochten werden kann und gleichzeitig die Möglichkeit zur Erstreckung besteht. Das Verfahrensrecht muss eine effektive Verwirklichung dieser Rechte gewährleisten. Anzufügen ist, dass in der Praxis die Mehrheit der Fälle durch eine Einigung erledigt werden kann.15 Gemäss Artikel 198 Buchstabe a ZPO16 entfällt das Schlichtungsverfahren im summarischen Verfahren. Ein Wegfall des Schlichtungsverfahrens mit der hohen Einigungsquote könnte eine Verlängerung der Streitigkeiten zur Folge haben. Jedenfalls müssen die sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen im Gesamtkontext mietrechtlicher Verfahren und nicht isoliert für Streitigkeiten in Sachen Kündigung des Mietverhältnisses wegen Geltendmachung von Eigenbedarf geprüft werden.

Weil sowohl die Frage der Zulässigkeit der Kündigung als auch der Erstreckung des Mietverhältnisses eine umfassende Prüfung der tatsächlichen und rechtlichen Fragen sowie die Möglichkeit einer Beweisabnahme erfordern, da letztlich auch rechtskräftig darüber entschieden wird, so erscheint die generelle Anwendung des summarischen Verfahrens für solche Streitigkeiten nicht zielführend. Darauf hat der Gesetzgeber beim Erlass der ZPO bewusst verzichtet; vielmehr hat er mit dem Rechtsschutz in klaren Fällen gemäss Artikel 257 ZPO bereits heute das summarische Verfahren vorgesehen, jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen: So setzt ein solches summarisches Verfahren einen unbestrittenen oder sofort beweisbaren Sachverhalt und eine 15

16

Vgl. in Bezug auf die Schlichtungsbehörden in Miet- und Pachtsachen, die Statistiken der Schlichtungsverfahren, Übersicht CH, Anrufungsgründe Ordentliche Vertragskündigung, Ausserordentliche Vertragskündigung und Erstreckung Mietverhältnis, www.bwo.admin.ch > Mietrecht > Statistik der Schlichtungsverfahren (besucht 29. Juli 2022).

Nach dem aktuellen Stand der Revision der ZPO wird es auch künftig beim summarischen Verfahren kein Schlichtungsverfahren geben; vgl. 20.026 Geschäft des Bundesrates, «Zivilprozessordnung. Änderung».

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klare Rechtslage voraus. In diesen Fällen kommt daher bereits heute ein summarisches Verfahren zur Anwendung und ist das Anliegen bereits heute erfüllt. In allen anderen Fällen fragt es sich, ob ein summarisches Verfahren überhaupt sinnvoll und effizient wäre.

Auch eine Begrenzung der Rechtsmittel kommt nur sehr beschränkt und in einem Gesamtkontext in Betracht, soweit das nicht bereits heute der Fall ist: Bereits nach geltendem Recht sind die Rechtsmittelmöglichkeiten im summarischen Verfahren sowie durch die Streitwertgrenzen beschränkt. Zudem sollten allfällige solche Anpassungen nicht isoliert nur für solche Streitigkeiten, sondern in einem grösseren Kontext mietrechtlicher Verfahren geprüft und gegebenenfalls umgesetzt werden.

Bei dieser Ausgangslage verzichtet die Kommission in diesem Punkt auf isolierte Anpassungen im Verfahrensrecht in Bezug auf Streitigkeiten in Sachen Kündigung des Mietverhältnisses wegen Geltendmachung von Eigenbedarf. Vielmehr soll in einem ersten Schritt das materielle Recht angepasst werden. Ob mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung auch das Verfahrensrecht angepasst werden soll, kann demgegenüber nicht isoliert für Streitigkeiten in Sachen Kündigung des Mietverhältnisses wegen Geltendmachung von Eigenbedarf, sondern in einem grösseren Kontext der verschiedenen Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen geprüft werden, möglicherweise auch unter dem Gesichtspunkt der für die gewünschte rasche Verfahrensdauer stets auch notwendigen Ressourcen. Das kann beispielsweise im Rahmen der laufenden Anpassung der ZPO (20.026) geschehen, nachdem dort auch entsprechende Anliegen geäussert wurden.

4

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln der Vorlage

4.1

Artikel 261 OR Wechsel des Eigentümers aufgrund Veräusserung der Sache

Die geltende Regelung ist seit dem 1. Juli 1990 in Kraft. Vorher erwähnte das Gesetz den Begriff des Eigenbedarfs im Zusammenhang mit der Auflösung des Mietverhältnisses nicht. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zu den derzeit geltenden Artikeln 261 Absatz 2 Buchstabe a und Artikel 271a Absatz 3 OR wurde der Eigenbedarf im Gesetzeswortlaut verankert.17 Absatz 2 Buchstabe a wird angepasst, indem der neue Eigentümer bei Wohn- und Geschäftsräumen das Mietverhältnis mit der gesetzlichen Frist auf den nächsten gesetzlichen Termin kündigen kann, wenn er einen bei objektiver Beurteilung bedeutenden und aktuellen Eigenbedarf für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte geltend macht. Nach geltendem Recht ist hierfür generell ein dringender Eigenbedarf erforderlich. Gemäss Praxis des Bundesgerichts muss diese Dringlichkeit sowohl in zeitlicher als auch sachlicher Hinsicht gegeben sein.18 Durch die neue Formulierung sinken die Anforderungen an das Vorliegen der Dringlichkeit. Dadurch wird es für einen neuen Eigentümer einfacher, mit Hinweis auf den

17 18

Vgl. mit weiteren Hinweisen BGE 118 II 50 E. 3. b) und c) S. 53 f.

BGE 118 II 50 E. 3. d) S. 55; BGE 142 III 336 E. 5.2.3 S. 341; BGer 4A_639/2018 Urteil vom 21. November 2019 E. 5.3.2.

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Eigenbedarf mit der gesetzlichen Frist auf den nächsten gesetzlichen Termin zu kündigen, sodass er weder allfällige längere Fristen noch allfällige spätere Termine beachten muss, die im Mietvertrag vereinbart worden waren.

Unverändert gilt, dass der bisherige Vermieter dem Mieter für allen Schaden haftet, der daraus entsteht, dass der neue Eigentümer auf einen früheren Zeitpunkt kündigt, als es der bestehende Mietvertrag gestattet hätte (Abs. 3). Auch bleiben die Bestimmungen über die Enteignung weiterhin vorbehalten (Abs. 4).

Zudem ändert die Anpassung von Absatz 2 Buchstabe a auch nichts an der Wirkung der Vormerkung eines Mietverhältnisses im Grundbuch (Art. 261b Abs. 1 OR). Diese hat zur Folge, dass jeder neue Eigentümer dem Mieter gestatten muss, das Grundstück entsprechend dem Mietvertrag zu gebrauchen (Art. 261b Abs. 2 OR). Eine Kündigung wegen Eigenbedarfs auf einen früheren Zeitpunkt als gemäss bestehendem Mietvertrag ist in einem solchen Fall nicht möglich.

Eine Minderheit (Dandrès, Arslan, Brenzikofer, Fehlmann Rielle, Funiciello, Hurni, Mahaim, Marti Min Li, Walder) spricht sich dagegen aus, dass die Anforderungen an die Dringlichkeit des Eigenbedarfs gelockert werden. Nach der Auffassung dieser Minderheit müssten die Kriterien, welche den neuen Eigentümer zur Kündigung des Mietverhältnisses betreffend Wohn- und Geschäftsräume gestützt auf Artikel 261 Absatz 2 Buchstabe a. OR berechtigen strenger formuliert werden. Der Schutz vor Rachekündigungen soll nicht eingeschränkt werden. Aus diesem Grund wird vorgeschlagen, dass die Kündigung erfolgen kann, wenn ein bei objektiver Bedeutung konkreter, bedeutender und aktueller Eigenbedarf besteht.

4.2

Artikel 271a Anfechtbarkeit der Kündigung

Die geltende Regelung ist seit dem 1. Juli 1990 in Kraft. Vorher erwähnte das Gesetz den Begriff des Eigenbedarfs im Zusammenhang mit der Auflösung des Mietverhältnisses nicht. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zu den derzeit geltenden Artikeln 261 Absatz 2 Buchstabe a und Artikel 271a Absatz 3 OR wurde der Eigenbedarf im Gesetzeswortlaut verankert.19 Absatz 3 Buchstabe a von Artikel 271a OR wird dahingehend angepasst, dass die Kündigung durch den Vermieter nicht im Sinne von Absatz 1 Buchstaben d und e anfechtbar ist, wenn sie wegen eines bei objektiver Beurteilung bedeutenden und aktuellen Eigenbedarfs des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte ausgesprochen wurde. Nach geltendem Recht erfordert der Ausschluss der Anfechtbarkeit generell einen dringenden Eigenbedarf. Entsprechend der Praxis des Bundesgerichts muss diese Dringlichkeit sowohl in zeitlicher als auch sachlicher Hinsicht gegeben sein.20 Durch die neue Formulierung sinken die Anforderungen an das Vorliegen der Dringlichkeit. Dadurch wird es für die Mieterschaft schwieriger, die Kündigung mit Hinweis auf den fehlenden dringenden Eigenbedarf anzufechten.

19 20

Vgl. mit weiteren Hinweisen BGE 118 II 50 E. 3. b) und c) S. 53 f.

BGE 118 II 50 E. 3. d) S. 55; BGE 132 III 737 E. 3.4.3 S. 745; BGE 142 III 336 E. 5.2.3 S. 341.

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Eine Minderheit (Dandrès, Arslan, Brenzikofer, Fehlmann Rielle, Funiciello, Hurni, Mahaim, Marti Min Li, Walder) spricht sich gegen eine erschwerte Anfechtbarkeit von Kündigungen, die mit dringendem Eigenbedarf begründet werden, aus. Der Schutz der Mieterinnen und Mieter vor Rachekündigungen soll nicht gefährdet werden. Vor diesem Hintergrund wird beantragt, dass Absatz 1 Buchstabe d und e nicht anwendbar sein sollen bei Kündigungen wegen bei objektiver Beurteilung dringenden, konkreten, aktuellen und bedeutenden Eigenbedarfs.

4.3

Artikel 272 OR Erstreckung des Mietverhältnisses

Die derzeit noch geltende Fassung von Artikel 272 Absatz 2 Buchstabe d. OR ist seit dem 1. Juli 1990 in Kraft. Das frühere Recht enthielt nicht den dringenden Eigenbedarf. Es erwähnte aber in Artikel 267c Buchstabe c aOR den Eigenbedarf des Vermieters im Zusammenhang mit der Erstreckung. Der Eigenbedarf des Vermieters bildete nach dem früheren Recht einen Grund für den Ausschluss der Erstreckung.21 Der Entwurf sah den Eigenbedarf und dessen Dringlichkeit als einen von mehreren im Rahmen der Interessensabwägung zu berücksichtigenden Gesichtspunkt.22 Absatz 2 Buchstabe d wird dahingehend angepasst, dass die zuständige Behörde bei der Interessenabwägung betreffend Erstreckung des Mietverhältnisses neben dem allfälligen Eigenbedarf des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte die objektiv zu beurteilende Bedeutung und Aktualität dieses Bedarfs berücksichtigt. Nach geltendem Recht wird die Dringlichkeit des Eigenbedarfs generell berücksichtigt.

Gemäss der Praxis des Bundesgerichts muss diese Dringlichkeit sowohl in zeitlicher als auch sachlicher Hinsicht gegeben sein.23 Durch die neue Formulierung sinken die Anforderungen an das Vorliegen der Dringlichkeit. Dadurch erhält der Eigenbedarf bei der Interessenabwägung ein stärkeres Gewicht.

Eine Minderheit (Dandrès, Arslan, Brenzikofer, Fehlmann Rielle, Funiciello, Hurni, Mahaim, Marti Min Li, Walder) wendet sich gegen die im Entwurf vorgeschlagene Änderung der Interessensabwägung. Nach der Auffassung dieser Minderheit sind im Zusammenhang mit dem allfälligen Eigenbedarf dessen objektiv zu beurteilende Dringlichkeit, Aktualität und Bedeutung dieses Bedarfs in die Abwägung einzubeziehen.

21 22

23

Vgl. mit weiteren Hinweisen BGE 118 II 50 E. 3. b) und c) S. 53 f.

Vgl. mit weiteren Hinweisen BGE 118 II 50 E. 3. b) S. 53 f.; Vgl. auch Botschaft zur Volksinitiative «für Mieterschutz», zur Revision des Miet- und Pachtrechts im Obligationenrecht und zum Bundesgesetz über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen (Botschaft zur Revision des Miet- und Pachtrechts) vom 27. März 1985, BBl 1985 I 1389, hier 1512.

BGE 142 III 336 E. 5.2.3 S. 341; BGer 4A_195/2016 Urteil vom 9. September 2016 E. 3.1.3.; BGer 4A_52/2015 Urteil vom 9. Juni 2015 E. 2.3.

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5

Umsetzung

Der Entwurf zum neuen Artikel 261 Absatz 2 Buchstabe a. OR ändert für den neuen Eigentümer die Anforderungen bei der Kündigung des Mietverhältnisses bei Wohnund Geschäftsräumen. Im Zusammenhang mit dem neuen Artikel 271a Absatz 3 Buchstabe a. soll die Anfechtung einer mitgeteilten Kündigung des Mietverhältnisses erschwert werden. Gestützt auf den angepassten Artikel 272 Absatz 2 Buchstabe d OR werden Kriterien für die Interessenabwägung bei der Erstreckung anders formuliert. Die drei erwähnten Vorschriften beziehen sich auf die Auflösung eines Vertrages zwischen Subjekten des Privatrechts. Die Würdigung und der Entscheid, ob der Eigenbedarf im Sinne der neuen Regelungen gegeben ist, liegt im Zusammenhang mit Artikel 261 Absatz 2 Buchstabe a. und Artikel 271a Absatz 3 Buchstabe a. OR bei der Schlichtungsbehörde in Miet- und Pachtsachen und den Gerichten. Artikel 272 Absatz 2 Buchstabe d OR enthält eine Vorgabe an die Adresse der zuständigen Behörde. Die parlamentarische Initiative, welche durch die drei Bestimmungen zum Eigenbedarf umgesetzt werden soll, zielt auf Änderungen in der Rechtsanwendung ab. Den Richterinnen und Richter kommt beim Vollzug der Neuerungen eine wichtige Rolle zu.

Die RK-N erachtet es nicht als nötig, dass der Bundesrat von seiner in Artikel 253a Absatz 3 OR verankerten Kompetenz zum Erlass von Ausführungsvorschriften Gebrauch macht. Die erläuterten Gesetzesänderungen genügen, um die Anliegen der parlamentarischen Initiative zu realisieren. Zudem wird mit der parlamentarischen Initiative auch keine Anpassung der Verordnung über die Miete und Pacht von Wohnund Geschäftsräumen (VMWG)24 verlangt.

6

Verhältnis zum europäischen Recht

In der Europäischen Union (EU) sind für die Regelung des Mietrechts die einzelnen Mitgliedstaaten zuständig. Die historisch gewachsene mietrechtliche Gesetzgebung ist jeweils sehr unterschiedlich ausgestaltet. Vergleiche sind zudem wegen der divergierenden Bedeutung des Mietwohnungsmarktes in den verschiedenen Staaten und des differenten Anteils der geförderten Wohnungen bzw. der realisierten Wohnbauförderungsmassnahmen schwierig.

Die EU-Abgeordneten haben am 21. Januar 2021 entschieden, dass der Zugang zu angemessenem und erschwinglichem Wohnraum ein Grundrecht sein sollte.25

24 25

SR 221.213.11 Vgl. Website des Europäischen Parlamentes: Zugang zu angemessenem Wohnraum sollte europäisches Grundrecht sein | Aktuelles | Europäisches Parlament (europa.eu) (besucht 29. Juli 2022).

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Auswirkungen

7.1

Auswirkungen auf den Bund

Die Vorlage hat keine besonderen Auswirkungen auf den Bund. Insbesondere ergeben sich weder personelle noch finanzielle Auswirkungen.

7.2

Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Die Vorlage hat keine besonderen Auswirkungen auf Kantone, Gemeinden, urbane Zentren, Agglomerationen oder Berggebiete.

7.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Durch die vorgeschlagenen Änderungen sind keine Auswirkungen auf die Volkswirtschaft zu erwarten.

7.4

Auswirkungen auf die Gesellschaft

Die Änderungen bei der Kündigung aufgrund von Eigenbedarf haben die Auswirkung, dass die Rechtsposition der Vermieterschaft gegenüber dem geltenden Recht verstärkt wird.

7.5

Auswirkungen auf die Umwelt

Die vorgeschlagenen Anpassungen haben keine Auswirkungen auf die Umwelt.

8

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 29. Januar 202026 zur Legislaturplanung 2019­2023 noch im Bundesbeschluss vom 21. September 202027 über die Legislaturplanung 2019-2023 angekündigt.

26 27

BBl 2020 1777 BBl 2020 8385

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Rechtliche Aspekte

9.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage sieht Anpassungen und Ergänzungen von Artikel 261, 271a und 272 OR vor. Sie stützt sich auf Artikel 122 Absatz 1 Bundesverfassung (BV)28, der dem Bund die Kompetenz zur Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts und des Zivilprozessrechts gibt. Eine besondere Grundlage für einen Teil der Modifikationen bildet Artikel 109 Absatz 1 BV, wonach der Bund Vorschriften gegen Missbräuche im Mietwesen, namentlich gegen missbräuchliche Mietzinse, sowie über die Anfechtbarkeit missbräuchlicher Kündigungen und die befristete Erstreckung von Mietverhältnissen erlässt.

9.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die mit der Umsetzung der parlamentarischen Initiative verbundenen Anpassungen des OR sind mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

9.3

Erlassform

Die Vorlage sieht Änderungen und Ergänzungen von geltenden Artikeln auf Gesetzesstufe vor. Von den Anpassungen sind in Bezug auf das Mietrecht die Artikel 261, 271a und 272 OR betroffen. Artikel 164 Absatz 1 BV sieht vor, dass alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen sind. Die beantragten Änderungen sind bedeutend und sind deshalb in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung für den Erlass des Gesetzes ergibt sich aus Artikel 163 Absatz 1 BV. Der Erlass unterliegt dem fakultativen Referendum (Art. 141 Abs. 1 Bst. a BV).

9.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV hält fest, dass Subventionsbestimmungen sowie Verpflichtungskredite und Zahlungsrahmen, die neue einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder neue wiederkehrende Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken nach sich ziehen, der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder jedes der beiden Räte bedürfen. Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen noch neue Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.

28

SR 101

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9.5

Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen

Die Vorlage macht keine Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an den Bundesrat oder andere Verwaltungseinheiten erforderlich. Im geltenden Recht besteht mit Artikel 253a Absatz 3 OR, wonach der Bundesrat die Ausführungsbestimmungen erlässt bereits eine Delegation.

9.6

Datenschutz

Die Vorlage hat keine Auswirkungen auf den Datenschutz.

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