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Bundesrathsbeschluß betreffend

das Begehren der christkatholischen Genossenschaft Luzern um Aufhebung des bundesräthlichen Suspensionsbeschlusses vom 20. Februar 1885 in Sachen des Mariahilf-Rekurses.

(Vom 8. Januar 1889.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r ath, nach Einsicht folgender Aktenstücke: 1) einer Eingabe des Vorstandes der christkatholischen Genossenschaft Luzern, Namens dieser Genossenschaft, d. d. 25./27. November 1888, enthaltend das Begehren: ,,Der Bundesrath wolle die am 20. Februar 1885 auf Verlangen des Luzerner Regierungsrathes ausgesprochene Sistirung des Vollzuges des stadträthlichen Beschlusses vom 1. Januar 1884 (betreffend die der christkatholischen Genossenschaft Luzern unter Vorbehalt der Zustimmung des Regierungsrathes bewilligte Benutzung der M a r i a h i l f k i r c h e in Luzern zur Abhaltung eines regelmäßigen Gottesdienstes und zur Vornahme von Kultushandlungen) aufheben, und, falls der Bundesrath der Meinung sein sollte, der gegen seinen Entscheid vom 23. Januar 1885 gerichtete Rekurs sei seitens der Bundesversammlung noch nicht vollständig erledigt, dessen sofortige Erledigung herbeiführen und inawischen die ohnehin seit fast vier Jahren andauernde Sistirung des stadträthlichen Beschlusses aufheben" ;

84 2) der auf diese Eingabe sich beziehenden Vernehmlassung des Regierungsrathes des Kantons Luzern, d. d. 26. Dezember 1888, welcher ,,gewärtigt, daß der Bundesrath auf die Begehren des Vorstandes der christkatholischen Genossenschaft Luzeru nicht eintreten werde" ; 3) des bundesgerichtlichen Urtheils vom 23. November 1888 in Sachen der Stadtgemeinde Luzeru gegen den Staat Luzern, betreffend Benutzung der Mariahilfkirche, i n E r w ä gO u n gö : I. Mit Sehreiben vom 16. Februar 1885 eröffnete der Regierungsrath des Kantons Luzern dem Bundesrathe, daß er gegen den bundesräthlichen Entscheid vom 23. Januar 1885, betreffend die vom Regierungsrath am 4. Januar 1884 in Anwendung von Art. 50, Absatz 2, der Bundesverfassung beschlossene Untersagung der Inanspruchnahme der Mariahilfkirche zu christkatholischen Kultuszwecken. Berufung an die Bundesversammlung ergreife.

Der Reo gierungsrath sprach dabei die Erwartung aus, daß der Bundesrath die Exekution seines Beschlusses bis nach dem Entscheid der Bundesversammlung sistiren werde.

Durch Schlußnahme vom 20. Februar 1885 hat hierauf der Bundesrath, von der Betrachtung geleilet, ,,daß es sich um eine Maßnahme der obersten kantonalen Vollziehungsbehörde handelt, bei welcher entgegenstehende Rechtsansprüche, aber noch keine wohlerworbenen un bereits thatsächlich ausgeübten Rechte in Frage kommen, und wobei die Vollziehung des Entscheides der Bundesbehörde gegenüber dem Rechtsstandpunkte der Kantonsbehörde ein materielles Präjudiz bilden würde, was während der Anhängigkeit des Rekurses bei der Bundesversammlung (pendente causa) nicht zugelassen werden darf", die Suspension des bundesräthlichen Entscheides vom 23. Januar 1885 bis nach endlicher Erledigung der Angelegenheit durch die Bundesversammlung verfügt.

II. Mittelst Bundesbeschlusses vom 27. April 1887 haben die gesetzgehenden Räthe der Eidgenossenschaft ihren Entscheid über den Rekurs der Regierung des Kantons Luzern gegen den Bundesrathsbeschluß vom 23. Januar 1885 betr. die Inanspruchnahme der Mariahilfkirche in Luzern zu christkatholischen Kultuszwecken gefällt.

III.

Dem Bundesbeschlusse vom 27. April 1887 sind keine Erwägungen vorausgeschickt; derselbe lautet wie folgt:

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Der Rekurs der Regierung von Luzern wird, soweit er sich auf die Anwendung von Art. 50, Abs. 2, der Bundesverfassung bezieht, als unbegründet erklärt.

2. Durch diese Schlußnahme soll der Frage, ob die Regierung von Luzern berechtigt sei, kraft des ihr nach Mitgabe der Sonderungsurkunde vom 4. November 1800 zustehenden Aufsichtsrechtes die Mitbenutzung der Mariahilfkirche durch die Chiistkatholiken zu verbieten, nicht vorgegriffen sein."

,, 1.

IV. Dieser Beschluß weicht vom bundesräthlichen Rekursentscheide, d. d. 23. Januar 1885, insofern ab, als: a. der Bundesrath den Rekurs des Vorstandes der christkatholischen Genossenschaft in Luzern einfach ,,im Sinne der (dem Dispositiv vorausgeschickten) Erwägungen" begründet erklärt hat ; b. der Buudesrath iu seinen Erwägungen vorab die Legitimation der christkatholischen Genossenschaft in Luzern zur Beschwerdeführung prüfen zu sollen glaubte und die Legitimation im Hinblick auf Art. 50, Absatz 3, d r Bundesverfassung nach den vorliegenden Thatumständen hergestellt fand, während die Bundesversammlung iu ihrem Beschlüsse diese Vorfrage nicht berührte, ohne Weiteres auf die Behandlung des Rekurses eintrat und denselben im Hinblick auf Art. 50, A b s a t z 2, der Bundesverfassung -- ohne auf Absatz 3 dieses Artikels Bezug zu nehmen -- zur materiellen Entscheidung brachte; c. der Bundesrath (in Erwägung 6) seinen Schluß in den Worten niederlegte, ,,es dürfe der christkatholischen Genossenschaft in Luzern die Abhaltung eines Gottesdienstes in der Mariahilfkirche oder in einer ändern katholischen Kirche in der Stadt Luzern, nach Einholung und in Gemäßheit der Bewilligung des jeweiligen Eigentümers, n i c h t aus den vom l u z ernisch e u R e g i e r u n g s r a t h i m r e k u v r i r t e n B e s c h l ü s s e v o m 4. ,) anuar 1884 a n g e r u f e n e n o f f en t l i e h r e c h tl ich c n G r ü n den v e r w e i g e r t w e r d e n a , und dabei ausdrücklich bloß feststellte, daß durch diesen Entscheid ein Mitbenutzungsrecht der christkatholischen Genossenschaft an der Mariahilfkirche im p r i v a t r e c h t l i c h e n Sinne nicht anerkannt werden wolle, während die Bundesversammlung in einem eigenen Dispositive den ausdrücklichen und allgemeinen, d. h. das öffentlichrechtliche und privatrechtliche Gebiet umfassenden Vorbehalt gemacht hat, (lali der Frage, ob die Luzerner-Regieruug kraft ihres Aufsichtsrechtes gemäß der S o n d e r l i n g s u r k ü n d e von 1800 die Mitbenutzung dor Mariahilfkirche durch die Christkatholiken verbieten könne, nicht vorgegriffen sein solle.

86 Der Bundesbeschluß stimmt dagegen insofern mit dem bundesräthlichen Rekursentscheide völlig überein, als die Erwägungen des letztern zur Sache selbst in dem Satze gipfeln : ,,der Regierungsrath des Kantons Luzern habe mit Unrecht zur Begründung seines Entscheides vom 4. Januar 1884 auf Art. 50, Absatz 2, der Bundesverfassung in Verbindung mit Paragraph 108 des luzernischen Organisationsgesetzes sich berufen, und es könne von diesem Standpunkte aus der rekurrirte Entscheid bundesrechtlich nicht geschützt werden. " (Vergi. Bundesrathsbeschluß im Bundesblatt 1885, I, S. 209 bis 227, namentlich S. 220, 225, 226 und 227.)

T. Das Bundesgericht erklärt in seinem Eingangs erwähnten Urtheil vom 23. November 1888 : ,,Da ein die Verfügungsbefugniß der Stadtgemeinde über die Mariahilfkirche beschränkendes Privatrecht des Staates nicht begründet, im vorliegenden Prozesse aber nur über den Bestand privatrechtlicher Beschränkungen zu entscheiden ist, so ist das Klagbegehren gutzuheißen, immerhin indessen mit der Modifikation, daß im Dispositiv ausdrücklich ausgesprochen wird, daß die Entscheidung nur auf den Bestand privatrechtlicher Befugnisse des Staates sich bezieht."

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: ,,Die Klage wird in dem Sinne zugesprochen, daß ausgesprochen wird, es erwachse der Regierung von Luzern aus der Sonderungskonvention vom 4. November 1800 kein Privatrecht, die Mitbenutzung der Mariahilfkirche durch die Christkatlioliken zu verbieten und bezügliche Verfügungen des Stadtrathes aufzuheben."

VI. Nach dem unter Ziffer l und II Gesagten besteht die Suspensionsverfügung des Bundesrathes vom 20. Februar 1885 seit dem 27. April 1887 (Datum des Bundesbeschlusses in Sachen Mariahilf) nicht mehr zu Recht ; es kann daher gegenwärtig die Aufhebung jener Verfügung gar nicht in Frage kommen. Durch dieselbe war übrigens nicht (wie die vorliegende Eingabe der christkatholischen Genossenschaft irrthümlich sagt) der Vollzug des stadträthlichen Beschlusses vom 1. Januar 1884 sistirt worden.

Aus dem unter Ziffer III und IV Angeführten aber ergibt sich, daß der Bundesbeschluß vom 27. April 1887 in Sachen Mariahilf den Bundesrathsbeschluß vom 23. Januar 1885 weder einfach bestätigt, noch einfach aufgehoben hat, sondern mit besonderen Dispositiven an dessen Stelle getreten ist, und daß der wesentliche Unterschied der beiden Beschlüsse in dem von der Bundesver-

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Sammlung, nicht aber vom Bundesrathe ausgesprochenen allgemeinen Vorbehalt des Aufsichtsrechtes liegt, das kraft der Sonderlingskonvention von 1800 der Luzerner-Regierung in Hinsicht auf die Benutzung der Mariahilfkirche zustehen mag.

VII. Der durch Beschwerde vom 21. Januar 1884 und ergänzende Eingabe vom 10. September 1884 von der christkatholischen Genossenschaft Luzern beim Bundesrathe anhängig gemachte und von der Luzerner-Regierung durch Beschwerde vom 16. Februar 1885 an die Bundesversammlung weitergezogene staatsrechtliche Rekurs betr. die Mitbenutzung der Mariahilfkirche in Luxern durch die Christkatholiken ist somit in dem unter Ziffer VI angegebenen Sinne als erledigt zu betrachten, beschließt: 1. Auf das Begehren der christkatholischen Genossenschaft Luzern betr. die Aufhebung der bundesräthlichen Suspensionsverfügung vom 20. Februar 1885 kann, weil dasselbe gegenstandslos ist, nicht eingetreten werden.

2. Dem eventuellen weitern Begehren der genannten Genossenschaft, betr. die Erledigung des Rekurses der Luzerner-Regierung gegen den Bundesrathsbeschluß vom 23. Januar '1885 in Sachen der Mariahilfkirche, ist keine Folge zu geben, da diese Rekursangelegenheit durch den Bundesbeschluß vom 27. April 1887 erledigt worden ist.

3. Dieser Beschluß ist der Regierung des Kantons Luzern und dem Vorstande der christkatholischen Genossenschaft in Luzern schriftlich mitzutheilen.

B e r n , den 8.Januar 1889.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Ringier.

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Bundesrathsbeschluß betreffend das Begehren der christkatholischen Genossenschaft Luzern um Aufhebung des bundesräthlichen Suspensionsbeschlusses vom 20. Februar 1885 in Sachen des Mariahilf-Rekurses. (Vom 8. Januar 1889.)

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