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22.049 Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (Unternehmensnachfolge) vom 10. Juni 2022

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Zivilgesetzbuchs (Unternehmensnachfolge).

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

10. Juni 2022

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ignazio Cassis Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2022-1825

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Übersicht Die erbrechtliche Übertragung der Inhaberschaft an einem Unternehmen wirft zahlreiche Probleme auf, die mit negativen Folgen für das Unternehmen, aber auch für den Arbeitsmarkt und die Volkswirtschaft im Allgemeinen verbunden sein können. Mit dieser Botschaft soll die erbrechtliche Unternehmensnachfolge erleichtert werden, indem spezifische zivilrechtliche Vorschriften geschaffen werden. Dabei wird auch darauf geachtet, dass die Gleichstellung der Erbinnen und Erben so weit wie möglich bewahrt bleibt.

Ausgangslage Die Revision des Erbrechts vom 18. Dezember 2020, die am 1. Januar 2023 in Kraft treten wird, wird die Testierfreiheit gegenüber heute erhöhen. Dies wird unmittelbar zu einer grösseren Flexibilität bei der erbrechtlichen Unternehmensnachfolge führen und somit die Übertragung der Inhaberschaft an Unternehmen von der Unternehmerin oder dem Unternehmer auf eine Erbin, einen Erben oder eine Drittperson ihrer bzw. seiner Wahl erleichtern. Es wurden jedoch weitere Stolpersteine identifiziert, die im Erbrecht spezifisch für Unternehmerinnen und Unternehmer oder ihre Erbinnen und Erben bestehen. Der Bundesrat hat dies festgestellt und im Interesse der Wirtschaft und der Erhaltung von Arbeitsplätzen beschlossen, in einer separaten Vorlage zusätzliche Massnahmen zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge vorzuschlagen. Diese sind Gegenstand der vorliegenden Botschaft.

Inhalt des Entwurfs Um die Ziele zu erreichen, schlägt der Entwurf des Bundesrates drei zentrale Massnahmen vor: Erstens schafft er ein Recht der Erbinnen und Erben auf Integralzuweisung eines Unternehmens oder von Beteiligungen, welche die Kontrolle über das Unternehmen einräumen, in der Erbteilung, wenn die Erblasserin oder der Erblasser keine diesbezügliche Verfügung getroffen hat. Damit soll insbesondere die Zerstückelung oder Schliessung von Unternehmen verhindert werden. Zweitens führt der Entwurf für Unternehmensnachfolgerinnen oder Unternehmensnachfolger die Möglichkeit ein, einen Zahlungsaufschub von den anderen Erbinnen und Erben zu erhalten, namentlich um schwerwiegende und für die Erhaltung des Unternehmens entscheidende Liquiditätsprobleme zu vermeiden. Drittens legt er spezifische Regeln für den Anrechnungswert des Unternehmens im Rahmen der Erbteilung fest, die neu unter gewissen Voraussetzungen eine
Anrechnung eines zu Lebzeiten zugewendeten Unternehmens zum Wert im Zuwendungszeitpunkt ermöglichen. Damit soll dem unternehmerischen Risiko, das die Unternehmensnachfolgerin oder der Unternehmensnachfolger auf sich nimmt, Rechnung getragen werden; gleichzeitig werden die anderen Erbinnen und Erben hinsichtlich der Vermögensgegenstände, die sich ohne Weiteres aus dem Unternehmen herauslösen lassen, nicht benachteiligt, indem in der Unternehmensbewertung zwischen betriebsnotwendigen und nicht betriebsnotwendigen Vermögensteilen unterschieden wird.

Aus Gründen der Gleichbehandlung der Erbinnen und Erben wird zudem der Schutz der pflichtteilsberechtigten Erbinnen und Erben verstärkt, indem ihnen ihr Pflichtteil 2 / 50

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in der Regel nicht gegen ihren Willen in Form einer Minderheitsbeteiligung an einem Unternehmen zugewiesen werden kann, und bei Vermächtnissen oder Zuwendungen unter Lebenden, die Beteiligungen an einem Unternehmen betreffen, die Zusammenführung von Minderheits- und Mehrheitsbeteiligungen begünstigt wird.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

2

1

6 6 7 9

Ausgangslage 1.1 Einleitung 1.2 Handlungsbedarf und Ziele 1.3 Einbezug von Fachleuten 1.4 Verhältnis zu den zwei anderen Teilen der laufenden Erbrechtsreform 1.5 Verhältnis zur Legislaturplanung 1.6 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

9 10 10

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren 2.1 Vernehmlassung zum Vorentwurf 2.2 Übersicht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens 2.3 Steuerrechtliche Aspekte

10 10 11 13

3

Rechtsvergleich mit anderen europäischen Rechtsordnungen

13

4

Grundzüge der Vorlage 4.1 Die beantragte Neuregelung 4.1.1 Zentrale Massnahmen 4.1.2 Integralzuweisung des Unternehmens an eine Erbin oder einen Erben 4.1.3 Zahlungsaufschub für Schulden aus der Erbteilung 4.1.4 Anrechnungswert der Unternehmen unter Berücksichtigung des unternehmerischen Risikos 4.1.5 Schutz der das Unternehmen nicht übernehmenden Erbinnen und Erben 4.1.6 Betroffene Unternehmen 4.1.7 Übergangsrecht 4.2 Verzicht auf Bestimmungen des Vorentwurfs 4.3 Umsetzung und Angemessenheit der erforderlichen Mittel

15 15 15

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 5.1 Zivilgesetzbuch 5.2 Zivilprozessordnung

22 22 44

6

Auswirkungen 6.1 Auswirkungen auf den Bund 6.2 Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden 6.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 6.4 Auswirkungen auf die Gesellschaft 6.5 Auswirkungen auf die Gleichstellung von Mann und Frau

44 44 45 45 46 46

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16 17 18 19 21 21 22 22

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7

Rechtliche Aspekte 7.1 Verfassungsmässigkeit 7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 7.3 Erlassform 7.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 7.5 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 7.6 Datenschutz

Literaturverzeichnis Schweizerisches Zivilgesetzbuch (Unternehmensnachfolge) (Entwurf)

47 47 47 47 47 47 48 49

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Einleitung

Die erbrechtliche Unternehmensnachfolge1 hat in der Schweiz eine grosse volkswirtschaftliche Bedeutung. Die Zahl der Unternehmen beläuft sich gegenwärtig auf etwa 563 000 Unternehmen, von denen die allermeisten Kleinst- und Kleinunternehmen sind.2 Von diesen werden die meisten privat gehalten und weisen eine stark konzentrierte Inhaberstruktur auf. Vielfach sind Geschäftsführung und Inhaberschaft sogar in einer Person vereint. Bei einem Unternehmen mit einer breit gestreuten Inhaberstruktur muss bei einem Ausscheiden der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers lediglich für diese oder diesen ein Ersatz gefunden werden. Das ist ­ jedenfalls aus rechtlicher Sicht ­ in der Regel unproblematisch, sofern eine geeignete Person zur Verfügung steht. Bei einem Unternehmen, bei dem Führung und Inhaberschaft dagegen in einer Person vereint sind, bedeutet ein Wechsel der Geschäftsführung in den allermeisten Fällen auch einen Wechsel der Inhaberschaft. Hat die ausscheidende Inhaberin oder der ausscheidende Inhaber Pflichtteilserbinnen und Pflichtteilserben, so entsteht mit der Übertragung der Inhaberschaft am Unternehmen rasch die Gefahr eines Konflikts mit erbrechtlichen Anwartschaften und Rechtsansprüchen. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn das Unternehmen einen grossen Anteil am Gesamtvermögen der Erblasserin oder des Erblassers ausmacht. In einem solchen Fall kann die Übertragung massgeblich erschwert oder sogar verunmöglicht werden, was bedeuten kann, dass das Unternehmen aufgelöst und liquidiert werden muss.

Damit stellt gerade das Erbrecht häufig die Sicherung des Fortbestandes des Unternehmens ernsthaft in Frage, wodurch nicht nur für die unmittelbar betroffenen Personen, sondern auch für die Volkswirtschaft negative Effekte entstehen können, indem Arbeitsplätze und Knowhow verloren gehen und das Steuersubstrat abnimmt. Eugen Huber, der Schöpfer des Zivilgesetzbuchs, sah ursprünglich ein Sonder-Erbteilungsrecht nicht nur für landwirtschaftliche Güter, sondern allgemein für «Gewerbeeinrichtungen» vor.3 Ins Zivilgesetzbuch (ZGB)4 wurden dann aber lediglich Sonderbestimmungen für landwirtschaftliche Grundstücke und Gewerbe aufgenommen (Art. 617­ 625 aZGB), die mittlerweile durch das Bundesgesetz vom 4. Oktober 19915 über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB) ersetzt worden sind. Das geltende Schweizer
Recht kennt zurzeit somit kein besonderes Unternehmenserbrecht. Vielmehr kommen die allgemeinen Bestimmungen des Erbrechts, wie sie im ZGB festgehalten sind, auch auf die Vererbung von Unternehmen unmittelbar zur Anwendung.

1 2 3 4 5

Zur Unternehmensnachfolge im Allgemeinen vgl. Kipfer-Berger, Rz. 206 ff.

Bergmann/Halter/Zellweger, S. 11 (Stand 2018).

Huber 1895, S. 192 f.

SR 210 SR 211.412.11

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Im Rahmen der Arbeiten zur Revision des Erbrechts6 hat sich gezeigt, dass die Problematik der Unternehmensnachfolge besonders wichtig und komplex ist. Aufgrund ihrer Besonderheit waren eine separate sorgfältige Prüfung und eine neue Vernehmlassung erforderlich, da es sich um komplett neue Bestimmungen handelte.7

1.2

Handlungsbedarf und Ziele

In den nächsten Jahren dürften zahlreiche Unternehmen vor einer Unternehmensnachfolge stehen. Gemäss den neusten verfügbaren Untersuchungen stehen zwischen 14 000 und 16 000 Unternehmen pro Jahr vor einer Unternehmensnachfolge.8 Die Autoren des vom Bundesamt für Justiz im Rahmen der Vorbereitung dieser Revision in Auftrag gegebenen Gutachtens9 gehen davon aus, dass bei etwa 3400 Unternehmen pro Jahr potenziell Finanzierungsprobleme aufgrund erbrechtlicher Regelungen auftreten können. Ausgehend von der durchschnittlichen Unternehmensgrösse bedeutet das, dass damit jährlich über 48 000 Beschäftige in Vollzeitäquivalenten betroffen sein könnten, was ca. 1,4 Prozent aller Beschäftigen auf dem Arbeitsmarkt entspricht.10 Die rechtliche Inhaberschaft an einem Unternehmen kann in der Praxis auf sehr unterschiedlichem Weg übertragen werden. Die Bedeutung der erbrechtlichen Vorgaben, die dabei beachtet werden müssen, hängt von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. So stellen sich etwa kaum erbrechtliche Schwierigkeiten, wenn das Unternehmen zum Marktpreis an jemanden aus der Familie verkauft wird. In diesem Fall geht der Erlös aus dem Verkauf in das Vermögen der Verkäuferin oder des Verkäufers und wird nach deren oder dessen Tod gemäss den allgemeinen Regeln vererbt. Unproblematisch ist in der Regel auch der Fall, in dem der Wert des Unternehmens den Umfang der verfügbaren Quote und des Pflichtteils der begünstigten Erbin oder des begünstigen Erben nicht überschreitet.

Eine solche Lösung ist allerdings nicht möglich, wenn eine familieninterne Nachfolge angestrebt wird, die Nachfolgerin oder der Nachfolger aber nicht ausreichend Mittel aufbringen kann, um den Kaufpreis zu bezahlen und auch in der Erbschaft nicht ausreichend Mittel vorhanden sind, um die übrigen pflichtteilsberechtigten Erbinnen und Erben auszubezahlen. Gemäss Befragungen von Unternehmerinnen und Unternehmern in der Schweiz sind Finanzierungsschwierigkeiten tatsächlich einer der Hauptgründe für gescheiterte Nachfolgelösungen.11 Häufig wird deshalb das Unternehmen nicht verkauft, sondern auf dem Weg eines Erbvorbezugs an einen Nachkommen 6 7 8 9

10 11

Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (Erbrecht) vom 18. Dezember 2020, BBl 2020 9923.

Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (Erbrecht) vom 29. August 2018, BBl 2018 5813, hier 5826.

Bergmann/Halter/Zellweger, S. 12 f.

Bergmann Heiko/Halter Frank/Zellweger Thomas, Regulierungsfolgenabschätzung Revision Erbrecht, Forschungsbericht KMU-HSG, Universität St. Gallen, 2018; das Gutachten ist abrufbar unter: www.bj.admin.ch > Gesellschaft > Laufende Rechtsetzungsprojekte > Erbrecht > Gutachten.

Bergmann/Halter/Zellweger, S. 14.

Frey/Halter/Zellweger, S. 21 f.

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übertragen, unter Umständen verbunden mit einer gemischten Schenkung. Beim Tod der Erblasserin oder des Erblassers unterliegt der unentgeltliche Teil der Zuwendung der erbrechtlichen Ausgleichung, und bei der Erbteilung sind die Pflichtteile allfälliger weiterer Erbinnen und Erben (Ehegattin oder Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner, Nachkommen) zu berücksichtigen. Hierdurch werden Ausgleichszahlungen notwendig, die von der Übernehmerin oder dem Übernehmer häufig nicht ohne Weiteres getragen werden können. Ist weder im Unternehmen noch in der Erbschaft ausreichend freies Vermögen vorhanden, um die Pflichtteilsansprüche der übrigen Erbinnen und Erben zu befriedigen, so ist im ungünstigsten Fall eine familieninterne Übernahme nicht möglich und das Unternehmen muss liquidiert werden. Zu bedenken ist zudem, dass eine Unternehmensnachfolge keine rein erbrechtliche Angelegenheit ist: Neben dem Erbrecht sind vor allem die familienrechtlichen (insb. güterrechtlichen) Aspekte zu berücksichtigen. Die Erblasserin oder der Erblasser kann die Nachlassplanung ausserdem durch schuld- und gesellschaftsrechtliche Vorkehrungen (z. B. Aktionärsbindungsverträge zwischen den Familienaktionären, Nachfolge- und Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen sowie Unternehmensrestrukturierungen) oder durch die Errichtung einer Unternehmensstiftung oder eines Trusts gestalten.12 Die vorangehenden Ausführungen, insbesondere die hohe Zahl der betroffenen Unternehmen und die Hindernisse bei der erbrechtlichen Nachfolge eines Unternehmens, machen deutlich, dass mit einer Revision des Erbrechts, mit der die bestehenden praktischen Schwierigkeiten bei einer Unternehmensnachfolge beseitigt oder zumindest gemildert werden sollen, bedeutende volkswirtschaftliche Effekte erreicht werden können. Auch wenn deshalb eine Gesetzesrevision gerechtfertigt ist, ist hervorzuheben, dass eine Vereinfachung der Unternehmensnachfolge auf dem Weg des Erbrechts einen Preis hat: Die Massnahmen gehen zulasten der Ansprüche der pflichtteilsberechtigten Miterbinnen und Miterben sowie der Gleichbehandlung der Erbinnen und Erben. Sie können folglich zu Erbstreitigkeiten führen. Eine klare gesetzliche Regelung vermag zwar unter Umständen die Austragung eines solchen Streites auf dem Prozessweg zu verhindern; dennoch bedarf ein
empfindlicher Eingriff in die bestehenden Rechte der Erbinnen und Erben einer besonderen Rechtfertigung. Diese Rechtfertigung besteht nicht im subjektiven Anspruch einer Erbin oder eines Erben, ein Unternehmen übernehmen zu können, etwa weil sie oder er dazu am besten geeignet oder am engsten mit dem Unternehmen verbunden ist. Sie liegt vielmehr im Interesse der Allgemeinheit begründet, das Unternehmen als solches zu bewahren,13 denn es ist oft einfacher, bestehende Arbeitsplätze zu erhalten, als neue zu schaffen.

Mit anderen Worten: Es sollen nicht in erster Linie die Unternehmerin oder der Unternehmer oder die erbberechtigten Personen geschützt werden, sondern das Unternehmen selbst, damit im Interesse der Allgemeinheit Arbeitsplätze erhalten werden und die Wirtschaft gefördert wird.

12 13

Somary/Vasella, S. 291 ff.

Eitel, KMU, 77 f.; Kipfer-Berger, Rz. 297 f.; Hösly/Ferhat, S. 103; Leuba, S. 49.

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1.3

Einbezug von Fachleuten

Angesichts der Komplexität der Materie und zur Erarbeitung möglichst einfacher gesetzlicher Lösungen, mit denen die Ziele der Revision erreicht und die Bedürfnisse der Erbrechtspraxis erfüllt werden können, wurden die Expertinnen und Experten, die zur Vorlage zur Revision des Erbrechts von 2018 sowie zum Vorentwurf zur Unternehmensnachfolge beigetragen hatten, konsultiert. Die Expertinnen und Experten aus dem wissenschaftlichen Bereich sowie aus der Gerichts-, Anwalts- und Notariatspraxis sind im Jahr 2021 mehrmals zu Sitzungen zusammengekommen. In alphabetischer Reihenfolge waren dies: ­

Frau Jacqueline Burckhardt Bertossa, LL.M., Rechtsanwältin und Notarin, Fachanwältin SAV Erbrecht, Basel;

­

Herr Paul Eitel, Prof. Dr. iur., Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Erbrecht, Ordinarius an der Universität Luzern;

­

Frau Marion Erhardt, Leitende Gerichtsschreiberin und Ersatzrichterin am Bezirksgericht Zürich;

­

Herr Andreas Flückiger, Dr. iur., Rechtsanwalt und Notar, Basel;

­

Herr Balz Hösly, Dr. iur., Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Erbrecht, Zürich;

­

Frau Ingrid Iselin Zellweger, LL.M., Rechtsanwältin, Fachanwältin SAV Erbrecht, Genf;

­

Frau Audrey Leuba, Dr. iur, LL.M., Rechtsanwältin, Ordinaria an der Universität Genf;

­

Frau Nora Lichti Aschwanden, Oberrichterin, Obergericht Zürich;

­

Herr Paul-Henri Steinauer, Prof. Dr. iur., Emeritus an der Universität Freiburg (verstorben).

1.4

Verhältnis zu den zwei anderen Teilen der laufenden Erbrechtsreform

Diese Vorlage ist der zweite Teil der Revision des Erbrechts, die durch die Motion Gutzwiller14 angestossen wurde. Sie ist unabhängig vom ersten Teil der Revision (Erhöhung der Testierfreiheit), die das Parlament am 18. Dezember 2020 verabschiedet hat15 und die am 1. Januar 2023 in Kraft treten wird16, sowie vom dritten Teil der Revision, an dem noch gearbeitet wird und mit dem verschiedene spezifische Fragen geregelt werden sollen. Es wurden bisher keine Widersprüche zwischen den verschiedenen Teilen der Revision festgestellt. Falls sich wider Erwarten Widersprüche ergeben sollten, können sie im Rahmen der Arbeiten zum dritten Teil behandelt werden.

14 15 16

Motion Gutzwiller 10.3524 «Für ein zeitgemässes Erbrecht» vom 17. Juni 2010, abrufbar unter: www.parlament.ch, Geschäft Curia Nr. 10.3524.

BBl 2020 9923 AS 2021 312

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1.5

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 29. Januar 2020 zur Legislaturplanung 2019­ 202317 im Kapitel zum Ziel 3 («Die Schweiz sorgt für bestmögliche stabile sowie innovationsfördernde wirtschaftliche Rahmenbedingungen im digitalen Zeitalter und fördert das inländische Arbeitskräftepotenzial») angekündigt und ist im Bundesbeschluss vom 21. September über die Legislaturplanung 2019­202318 vorgesehen. Sie soll zu einer höheren Stabilität von Unternehmen und damit zu einer Sicherung von Arbeitsplätzen beitragen.

1.6

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Der Bundesrat hat beschlossen, die Unternehmensnachfolge getrennt von der Änderung des Zivilgesetzbuchs (Erbrecht) vom 18. Dezember 2020 zu revidieren. Die dieser Änderung zugrundeliegende Motion19 ist im Rahmen der Prüfung dieses Geschäfts bereits abgeschrieben worden.

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

2.1

Vernehmlassung zum Vorentwurf

Im Vorentwurf, der von der Bundesverwaltung mit Unterstützung und Beratung durch die zu diesem Zweck beauftragte Expertengruppe (siehe Ziff. 1.3) ausgearbeitet worden war, wurden im Wesentlichen vier Massnahmen vorgeschlagen. Erstens wurde vorgeschlagen, für die Erbinnen und Erben ein Recht auf Integralzuweisung eines Unternehmens im Rahmen der Erbteilung zu schaffen, wenn die Erblasserin oder der Erblasser keine diesbezügliche Verfügung getroffen hat. Dies namentlich mit dem Ziel, die Zerstückelung oder Schliessung von Unternehmen zu verhindern. Zweitens führte der Vorentwurf zugunsten der Unternehmensnachfolgerin oder des Unternehmensnachfolgers die Möglichkeit ein, von den anderen Erbinnen und Erben einen Zahlungsaufschub zu erhalten, namentlich, um schwerwiegende Liquiditätsprobleme zu vermeiden, die zum Zeitpunkt der Übernahme eines Unternehmens oft entscheidend sind. Drittens legte er spezifische Regeln für den Anrechnungswert des Unternehmens fest, indem er zwischen betriebsnotwendigen und nicht betriebsnotwendigen Vermögensteilen unterschied. Damit sollte dem unternehmerischen Risiko Rechnung getragen werden, das die Unternehmensnachfolgerin oder der Unternehmensnachfolger auf sich nimmt; gleichzeitig sollten die anderen Erbinnen und Erben hinsichtlich der Vermögensgegenstände, die sich ohne Weiteres aus dem Unternehmen herauslö-

17 18 19

BBl 2020 1777, hier 1837 BBl 2020 8385, hier 8386 Mo. Gutzwiller 10.3524 «Für ein zeitgemässes Erbrecht» vom 17. Juni 2010, abrufbar unter: www.parlament.ch, Geschäft Curia Nr. 10.3524.

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sen lassen, nicht benachteiligt werden. Viertens wurde mit dem Vorentwurf ein verstärkter Schutz der pflichtteilsberechtigten Erbinnen und Erben eingeführt, indem ausgeschlossen wurde, dass ihnen ihr Pflichtteil gegen ihren Willen in Form einer Minderheitsbeteiligung an einem Unternehmen zugewiesen werden kann, wenn eine andere Erbin oder ein anderer Erbe die Kontrolle über dieses Unternehmen ausübt.

Diese Massnahme diente eher dazu, den Vorentwurf hinsichtlich der Gleichbehandlung der Erbinnen und Erben ausgeglichener zu gestalten, als die Unternehmensnachfolge zu erleichtern.

Am 10. April 2019 hat der Bundesrat die Vernehmlassung eröffnet.20 Die Vernehmlassung dauerte bis am 30. August 2019. 23 Kantone, 5 in der Bundesversammlung vertretene politische Parteien, 27 Organisation und andere Teilnehmende haben dazu Stellung genommen (55 Stellungnahmen).21

2.2

Übersicht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens

Die überwiegende Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden hat den Vorentwurf positiv aufgenommen. 18 Kantone von 23 haben ihn ausdrücklich begrüsst22 und drei haben die angestrebten Ziele gutgeheissen23. Nur ein Kanton schien den Vorentwurf abzulehnen24, dies mit der Begründung, es sei Aufgabe der Privaten, die erbrechtliche Nachfolge ihres Vermögens zu regeln. Ein Kanton hat sich nicht geäussert und hatte keine besonderen Bemerkungen anzubringen25. Vier politische Parteien begrüssten den Vorentwurf26, während er von einer Partei abgelehnt wurde27. 17 Organisationen von 27 befürworteten den Vorentwurf und drei Organisationen stimmten der allgemeinen Ausrichtung des Vorentwurfs zu, während sechs Organisationen sich zum Vorentwurf im Allgemeinen oder zu dessen Ausrichtung nicht geäussert haben. Nur eine Organisation hat sich ausdrücklich dagegen ausgesprochen.

Nach Auffassung einer Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden werden die im Vorentwurf vorgeschlagenen Lösungen tatsächlich dazu beitragen, die Unternehmensnachfolge zu erleichtern und die aufgetretenen Probleme zu verringern. Die vorgesehenen Änderungen sind kohärent, massvoll und effektiv. Die vorgeschlagenen Massnahmen werden nicht nur als angemessen, sondern auch als notwendig erachtet,

20

21

22 23 24 25 26 27

Der Vorentwurf zur Revision des Zivilgesetzbuchs (Unternehmensnachfolge) vom 10. April 2019 und der erläuternde Bericht sind abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2019 > EJPD > Vernehmlassung 2019/22.

Bericht vom 26. Februar 2020 über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, S. 4, abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2019 > EJPD > Vernehmlassung 2019/22.

AG, AI, AR, BE, GE, GL, GR, JU, LU, NW, SG, SH, SO, TG, TI, UR, VD und ZG.

BS, NE und ZH.

BL.

FR.

CVP, FDP, SP und glp.

SVP.

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insbesondere in jenen Fällen, in denen der Erbgang nicht vorbereitet wurde oder aufgrund des plötzlichen oder unfallbedingten Todes der Unternehmenseignerin oder des Unternehmenseigners nicht vorbereitet werden konnte, sowie in dringenden Fällen.

Nach Ansicht der Gegnerinnen und Gegner des Vorentwurfs räumen die gegebenen zivilrechtlichen Möglichkeiten grundsätzlich genügend Handlungsspielraum für die Unternehmensnachfolge ein. Die vorgeschlagenen Massnahmen ergehen ausnahmslos zulasten der pflichtteilsberechtigten Miterbinnen und Miterben, stellen einen sehr einschneidenden Eingriff in die bestehenden Eigentumsrechte der Erbinnen und Erben dar und führen zu Erbstreitigkeiten.

Die im Vorentwurf vorgeschlagenen Massnahmen werden im Einzelnen wie folgt beurteilt: ­

Die Bestimmung zur Möglichkeit der Integralzuweisung des Unternehmens an eine Person wird von der überwiegenden Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsst (28 dafür, 2 dagegen).

­

Die Möglichkeit der Stundung der Ausgleichungspflichten für die Unternehmensnachfolgerin oder den Unternehmensnachfolger wird ebenfalls von der überwiegenden Mehrheit der Teilnehmenden begrüsst (29 dafür, 3 dagegen).

­

Die Meinungen zur Sicherstellungs- und Zinspflicht der das Unternehmen übernehmenden Person sind geteilt. Einige Teilnehmende begrüssen die Massnahme (8), andere lehnen sie ab (2) oder verlangen eine flexiblere Lösung oder den Verzicht auf die Massnahme (8).

­

Die Bestimmung zur Bewertung des Unternehmens im Fall einer lebzeitigen Zuwendung durch die Erblasserin oder den Erblasser wird breit unterstützt (32 dafür, 1 dagegen).

­

Die Bestimmung zum Schutz des Pflichtteils der das Unternehmen nicht übernehmenden Erbinnen und Erben durch die Pflicht, ihre Zustimmung einzuholen, damit ihnen eine Minderheitsbeteiligung an einem Unternehmen auf Anrechnung an ihren Pflichtteil zugewiesen werden kann, wird ebenfalls breit unterstützt (23 dafür, 2 dagegen).

­

Die Bestimmung, gemäss welcher die Nachfolgerin oder der Nachfolger die Zustimmung der anderen Erbinnen und Erben einholen muss, damit sie oder er das Unternehmen in Natur in den Nachlass einwerfen kann, wird unterstützt (5 dafür, 0 dagegen).

­

Der Vorschlag, die Regel zu den amtlich bestellten Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken aufzuheben und die Grundstücke denselben Regeln zu unterstellen wie die anderen Vermögensgegenstände des Nachlasses, wird mehrheitlich abgelehnt (1 dafür, 4 dagegen).

­

Der Unternehmensbegriff im Erbrecht und der Anwendungsbereich der neuen vorgeschlagenen Bestimmungen waren Gegenstand verschiedener Bemerkungen.

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Angesichts der Vernehmlassungsergebnisse behält der Bundesrat seine Vorschläge zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge bei. Die Kritik und die Anpassungswünsche wurden zum grossen Teil berücksichtigt und die Vorlage wurde entsprechend angepasst.

2.3

Steuerrechtliche Aspekte

Bei der Nachfolgeplanung sind unweigerlich auch steuerrechtliche Aspekte zu beachten. Soweit das Unternehmen an einen Nachkommen, an die überlebende Ehegattin oder den überlebenden Ehegatten bzw. die überlebende eingetragene Partnerin oder den überlebenden eingetragenen Partner übertragen werden soll, kommt den steuerrechtlichen Fragen nur ausnahmsweise eine Bedeutung zu, da letztere Personen in allen Kantonen und die direkten Nachkommen in den meisten Kantonen von der Erbschafts- und Schenkungssteuer befreit sind. Soll das Unternehmen dagegen an Geschwister, die faktische Lebenspartnerin oder den faktischen Lebenspartner oder sogar an eine nicht verwandte Drittperson übertragen werden, sind die Erbschaftsund Schenkungssteuer bei der Nachfolgeplanung von grosser Bedeutung. Hier kann die Steuerforderung unter Umständen so hoch ausfallen, dass eine Unternehmensübertragung im Einzelfall faktisch verunmöglicht wird. Da dem Bund aber im Bereich der Erbschafts- und Schenkungssteuern keine Gesetzgebungskompetenz zukommt, können die betreffenden Fragen im Bundesrecht nicht ohne eine Verfassungsänderung geregelt werden. Eine solche erscheint gegenwärtig politisch nicht opportun. Daher werden steuerrechtliche Fragen in dieser Vorlage nicht behandelt.

3

Rechtsvergleich mit anderen europäischen Rechtsordnungen

Das Bedürfnis nach Schutz und Fortbestand von Unternehmen im Zeitpunkt ihrer Übertragung an die nächste Generation wegen eines Todesfalls wurde erkannt und hat in einigen Ländern zum Erlass einer Spezialgesetzgebung geführt. Doch nicht alle verfolgen den gleichen Ansatz, um diesem Bedürfnis nachzukommen. Die nachstehenden Beispiele sollen aufzeigen, welche Lösungen in verschiedenen europäischen Ländern gewählt wurden.

In Deutschland kann die Erbin oder der Erbe die gerichtliche Stundung des Pflichtteils verlangen, wenn die sofortige Erfüllung des Anspruchs eine «unbillige Härte» darstellen würde, beispielsweise, weil sie oder er zur Veräusserung eines Wirtschaftsguts gezwungen wäre, das für sie oder ihn und ihre bzw. seine Familie die wirtschaftliche Lebensgrundlage bildet.28 Weiter kann das Gesetz oder der Gesellschaftsvertrag für Personengesellschaften eine erbrechtliche Sonderrechtsnachfolge vorsehen.29 Durch sogenannte Nachfolge- oder Eintrittsklauseln kann bestimmt werden, dass die Gesellschaft auf alle oder bestimmte Erbinnen und Erben übergeht oder einzelne Erbinnen

28 29

§ 2331a Abs. 1 BGB.

Vgl. Tersteegen/Reich, Rz. 6.

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und Erben ein Eintrittsrecht in die Gesellschaft haben.30 In einer Fortsetzungsklausel kann vorgesehen werden, dass die verstorbene Gesellschafterin oder der verstorbene Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet und ihr bzw. sein Gesellschaftsanteil den anderen Gesellschafterinnen und Gesellschaftern anwächst.31 Ein allfälliger gesetzlicher Abfindungsanspruch der Erbinnen und Erben kann im Gesellschaftsvertrag abweichend geregelt oder ausgeschlossen werden.32 In Österreich kann seit dem 1. Januar 2017 der Pflichtteilsanspruch für die Dauer von fünf Jahren, in besonderen Fällen maximal zehn Jahren, gestundet werden.33 Ziel der Regelung ist es, eine Vernichtung von Unternehmen beim Erbgang zu verhindern.34 Zudem können Anteile an Familienunternehmen auf eine Stiftung übertragen werden, um die Aushöhlung der Unternehmenssubstanz zu vermeiden. Pflichtteilsansprüche werden dabei reduziert, indem die Hinzurechnungspflicht im Fall einer Vermögenswidmung (bspw. Schenkung eines Unternehmens) an eine Privatstiftung nach Ablauf von zwei Jahren entfällt. Wird einer pflichtteilsberechtigten Person eine Begünstigtenstellung in der Privatstiftung eingeräumt, ist diese zudem an ihren Pflichtteilsanspruch anzurechnen.35 In Belgien können zwei oder mehr Personen im Rahmen der Vereinbarung einer tontine einen Gesellschaftsteil gemeinschaftlich erwerben. Der Anteil der zuerst versterbenden Person fällt mit ihrem Tod nicht dem Nachlass, sondern der oder den übrigen beteiligten Personen zu.36 In Frankreich besteht ein Mechanismus zur bevorzugten Zuweisung zugunsten der überlebenden Ehegattin oder des überlebenden Ehegatten und jeder erbberechtigten Person, die oder der die Zuweisung des gesamten Unternehmens oder eines Teils eines Landwirtschafts-, Handels-, Industrie-, Handwerks- oder Dienstleistungsunternehmens verlangen kann, in dessen Betrieb sie oder er tatsächlich mitwirkt oder mitgewirkt hat.37 Der entsprechende Anspruch kann sich auch auf Gesellschaftsrechte und somit auf Anteile an Aktiengesellschaften beziehen.38 Erheben mehrere Erbinnen und Erben gleichzeitig Anspruch, so berücksichtigt das Gericht die Eignung der verschiedenen Bewerberinnen und Bewerber, die fraglichen Vermögensgegenstände zu verwalten und zu bewahren, und bei einem Unternehmen namentlich die Dauer der persönlichen Mitwirkung an der
Geschäftstätigkeit.39 Zudem ist es möglich, die Teilung unter der Erbengemeinschaft aufzuschieben, wenn sich der Nachlass auf ein solches Unternehmen bezieht, dessen Betrieb von der verstorbenen Person oder deren Ehegattin oder Ehegatten sichergestellt wurde.40 Das Ziel besteht darin, den Fortbestand 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Tersteegen/Reich, Rz. 157.

Tersteegen/Reich, Rz. 156.

Tersteegen/Reich, Rz. 156.

§ 766 ABGB.

Erläuterungen des Bundesministeriums für Justiz (Nr. 688 der Beilagen XXV.

Gesetzgebungsperiode), zu § 766 und 767.

Hügel/Aschauer, S. 229 f. und 285 f.; Erläuterungen des Bundesministeriums für Justiz (Nr. 688 der Beilagen XXV. Gesetzgebungsperiode), zu § 780 und 781.

Hustedt/Schür, Rz. 84.

Art. 831 des französischen Code civil.

Bollon, S. 371.

Art. 832-3 des französischen Code civil.

Art. 821 des französischen Code civil.

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des Unternehmens zu sichern, indem die Gesellschaftsrechte in der Erbengemeinschaft erhalten werden und somit ihre Zerstückelung verhindert wird.41 Schliesslich bietet das Rechtsinstitut der Schenkung zwecks Teilung42 die Möglichkeit, die eigenen Vermögensgegenstände oder einen Teil davon (zum Beispiel ein Unternehmen) zu Lebzeiten vertraglich an die mutmasslichen Erbinnen und Erben zu übertragen.43 Ohne anderslautende Vereinbarung werden die zugewendeten Vermögensgegenstände im Hinblick auf die Anrechnung und die Pflichtteilsberechnung am Tag der Schenkung zwecks Teilung (nicht am Todestag) bewertet, insbesondere unter der Voraussetzung, dass alle lebenden oder an die Stelle eines verstorbenen Aszendenten getretenen pflichtteilsberechtigten Erbinnen und Erben bei der vorzeitigen Teilung ein Los erhalten und es ausdrücklich angenommen haben.44 In vielen Ländern bestehen wie bis heute in der Schweiz keine spezifischen Rechtsvorschriften für die erbrechtliche Unternehmensnachfolge. Somit gelangen die allgemeinen Regeln des Erbrechts zur Anwendung.

4

Grundzüge der Vorlage

4.1

Die beantragte Neuregelung

4.1.1

Zentrale Massnahmen

Gestützt auf eine eingehende Prüfung der in der Literatur identifizierten Schwierigkeiten der Unternehmensnachfolge im Erbrecht45durch die konsultierte Expertengruppe und das Vernehmlassungsergebnis schlägt der Bundesrat drei zentrale Massnahmen zur Erleichterung der erbrechtlichen Unternehmensnachfolge vor: 1.

ein Recht auf Integralzuweisung eines Unternehmens im Rahmen der Erbteilung, wenn die Erblasserin oder der Erblasser keine diesbezügliche Verfügung getroffen hat (Ziff. 4.2.1);

2.

die Möglichkeit für die Unternehmensnachfolgerin oder den Unternehmensnachfolger, von den anderen Erbinnen und Erben einen Zahlungsaufschub zu erhalten (Ziff. 4.2.2), und

3.

spezifische Regeln für den Wert zur Anrechnung des Unternehmens unter den Erbinnen und Erben (Ziff. 4.2.3).

Diese drei Massnahmen ergänzen die Reduktion des Pflichtteils der Nachkommen, die mit der Änderung des Zivilgesetzbuchs vom 18. Dezember 2020 vorgenommen wurde (von drei Vierteln auf die Hälfte ihres gesetzlichen Erbanspruchs) ­ der Pflichtteil wurde als ein wichtiges, ja sogar als das zentrale Problem bei der familieninternen Unternehmensnachfolge in der Schweiz angesehen46.

41 42 43 44 45 46

Bollon, S. 372.

Art. 1076 ff. des französischen Code civil.

Döbereiner, Rz. 154.

Art. 1078 des französischen Code civil.

Hösly/Ferhat, S. 106 ff; Leuba, S. 17 ff.

Eitel, KMU, S. 48 mit Verweis auf Druey; Guillaume, S. 334; Bader/Seiler, S. 148; Hösly/ Ferhat, S. 117 f. m. w. Hinw; Leuba, S. 17 ff.

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Die Massnahmen werden namentlich durch einen verstärkten Schutz ausgeglichen, der insbesondere den das Unternehmen nicht übernehmenden pflichtteilsberechtigten Erbinnen und Erben gewährt wird, indem ausgeschlossen wird, dass ihnen ihr Pflichtteil gegen ihren Willen in Form einer Minderheitsbeteiligung an einem Unternehmen zugewiesen werden kann, wenn eine andere Erbin oder ein anderer Erbe die Kontrolle über dieses Unternehmen ausübt (Ziff. 4.2.4).

4.1.2

Integralzuweisung des Unternehmens an eine Erbin oder einen Erben

Unter geltendem Recht kann die Erblasserin oder der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen ihren oder seinen Erbinnen und Erben verbindlich Vorschriften über die Teilung und Bildung der Teile machen (sog. Zuteilung; Art. 608 Abs. 1 und 2 ZGB).

Damit kann grundsätzlich auch ein Unternehmen als Ganzes einer Erbin oder einem Erben zugeteilt werden. Anders ist die Situation dagegen, wenn die Erblasserin oder der Erblasser keine Verfügung getroffen hat, die Erbinnen und Erben sich nicht geeinigt haben und das Gericht eine sogenannte Zuweisung der Erbschaftssachen vornehmen muss. Auch wenn gewichtige Gründe dafürsprechen würden, ein Unternehmen unter Umständen als Ganzes einer Erbin oder einem Erben zusprechen zu können, ist dies unter geltendem Recht nur sehr eingeschränkt möglich. Namentlich die sogenannte 10%-Regel, wonach eine integrale Zuweisung einer Erbschaftssache nur möglich ist, wenn die Zuweisung nicht übermässige Ausgleichszahlungen innerhalb der Erbengemeinschaft zur Folge hat, verhindert in vielen Fällen die an sich sinnvolle Integralzuweisung des Unternehmens.47 Diese Rechtslage ist unbefriedigend und kann im Einzelfall ein unnötiges Hindernis für eine Unternehmensnachfolge darstellen und so die Fortführung eines Unternehmens verunmöglichen.

Der Bundesrat schlägt deshalb vor, dies zu ändern und die Möglichkeit zu schaffen, einer Erbin oder einem Erben das gesamte Unternehmen oder alle sich in der Erbschaft befindlichen Beteiligungen integral zuzuweisen, wenn diese ihr oder ihm die Kontrolle über das Unternehmen einräumen oder wenn sie oder er bereits die Kontrolle über das Unternehmen ausübt (Art. 617 Abs. 1 E-ZGB). Das bietet namentlich den Vorteil, die Unternehmensführung zu erleichtern, indem die Beteiligungen daran in den Händen einer Erbin oder eines Erben konzentriert werden. Jede erbberechtigte Person kann die Integralzuweisung verlangen, bei Bedarf vor Gericht. Stellen mehrere Erbinnen oder Erben einen entsprechenden Antrag, hat das Gericht zu beurteilen, welche oder welcher von ihnen für die Führung des Unternehmens am besten geeignet erscheint (Art. 617 Abs. 2 E-ZGB). Damit soll der Fortbestand des Unternehmens gesichert werden, um Arbeitsplätze und das damit verbundene Knowhow zu bewahren.

Wenn sich mehrere Erbinnen und Erben einigen, das Unternehmen gemeinsam zu übernehmen,
können sie dies unter denselben Voraussetzungen verlangen (Art. 617 Abs. 3 E-ZGB).

Da diese Massnahme in der Vernehmlassung eine breite Unterstützung fand, wird sie ohne materielle Änderung in den Entwurf übernommen.

47

Vgl. zum geltenden Recht ausführlich Hösly/Ferhat, S. 106 ff und Leuba, S. 29 ff.

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4.1.3

Zahlungsaufschub für Schulden aus der Erbteilung

Unter geltendem Recht muss diejenige Erbin oder derjenige Erbe, die oder der ein Unternehmen unentgeltlich oder teilweise unentgeltlich übernimmt, nach dem Tod der Erblasserin oder des Erblassers die Ausgleichsforderungen der übrigen Erbinnen und Erben in jedem Fall sofort befriedigen. Auch dadurch kann die integrale Übernahme eines Unternehmens erheblich erschwert oder verunmöglicht werden. Aus diesem Grund sehen verschiedene ausländische Rechtsordnungen die Möglichkeit einer Stundung der Ansprüche der pflichtteilsberechtigten Erbinnen und Erben vor.48 Auch das Güterrecht des ZGB räumt dem Gericht verschiedentlich die Möglichkeit ein, für die Erfüllung der güterrechtlichen Ausgleichsforderungen Zahlungsfristen einzuräumen, wenn «die sofortige Bezahlung [...] den verpflichteten Ehegatten in ernstliche Schwierigkeiten» bringt (so Art. 218 Abs. 1 ZGB).

In Anlehnung an diese Bestimmungen wird im Entwurf ein Recht auf Stundung der Ausgleichsverpflichtungen im Zusammenhang mit der Unternehmensnachfolge eingeführt (Art. 619 E-ZGB).49 Diese Massnahme wurde in der Vernehmlassung breit unterstützt. Der erbberechtigten Person, die das Unternehmen übernimmt, können Zahlungsfristen von insgesamt höchstens zehn Jahren eingeräumt werden, wenn sie die sofortige Bezahlung von Forderungen der Miterbinnen und Miterben in ernstliche Schwierigkeiten brächten, die sie von der Übernahme des Unternehmens abhalten könnten. Beim Entscheid über die Gewährung eines Zahlungsaufschubs und über dessen Modalitäten (Dauer, verbindlicher Rückzahlungsplan, Festlegung unternehmerischer Meilensteine, Bedingungen usw.) sind alle relevanten Umstände zu berücksichtigen, insbesondere die Interessen der Miterbinnen und Miterben. So darf der Zahlungsaufschub ausschliesslich für die erforderlichen Beträge und für die zur Übernahme des Unternehmens nötige Dauer gewährt werden. Eine Dauer von zehn Jahren sollte nur ausnahmsweise gewährt werden und nur wenn die Rechte der Miterbinnen und Miterben durch die festgelegten Modalitäten so wenig wie möglich beeinträchtigt werden.

Die Erbin oder der Erbe, die oder der das Unternehmen übernimmt, soll für die gestundeten Beträge einen angemessenen Zins zahlen und, sofern es durch die Umstände nicht ausgeschlossen ist, für diese Beträge Sicherheiten leisten. Insbesondere durch diese Sicherstellungspflicht
wird der Spielraum für die Anwendung des neuen Artikels möglicherweise eingeschränkt; eine solche Sicherstellung ist aber zur Absicherung der übrigen Erbinnen und Erben unbedingt notwendig. Denn nur so bleibt gewährleistet, dass die Belastung der (anderen) Erbinnen und Erben, insbesondere der pflichtteilsberechtigten, zugunsten des Unternehmens, der Arbeitsplätze und der Wirtschaft allgemein darauf beschränkt bleibt, dass sie ihren Erbteil erst zu einem späteren Zeitpunkt erhalten. Aus der Stundung darf in keinem Fall eine Verminderung des Pflichtteils oder des gesetzlichen Erbanspruchs in Bezug auf dessen Höhe resultieren.

48

49

Vgl. Hösly/Ferhat, S. 120, m. Hinw. auf die Regelungen in Spanien, Deutschland und Österreich; Kipfer-Berger, S. 218 ff., mit einer Darstellung der Rechtslage in Deutschland und Österreich.

Vgl. dazu ausführlich Kipfer-Berger, Rz. 326 ff. m. ausf. Hinw. auf die Lehre.

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Es trifft zwar zu, dass sich eine Sicherstellung ­ wie auch in der Vernehmlassung vorgebracht wurde ­ gerade in den Fällen, in denen sie am nötigsten wäre, schwierig gestalten dürfte, weil die finanziellen Mittel fehlen. Eine klare Regel mit Ausnahme für besondere Umstände verpflichtet jedoch dazu, die Frage der Sicherheiten genau abzuklären. So können die Ansprüche der anderen Erbinnen und Erben in den Fällen geschützt werden, in denen dies tatsächlich möglich ist, ohne dass die Sicherstellung zu einer Voraussetzung erhoben wird, die in den anderen Fällen eine Unternehmensnachfolge verhindern würde.

4.1.4

Anrechnungswert der Unternehmen unter Berücksichtigung des unternehmerischen Risikos

Eine weitere Neuerung des Entwurfs, die für viele Unternehmensnachfolgen zentral ist, betrifft die neue Regelung zum Anrechnungswert des Unternehmens und vor allem zum Zeitpunkt, der für dessen Ermittlung ausschlaggebend ist.50 Nach geltendem Recht ist der massgebliche Zeitpunkt für die Wertermittlung der Todestag (Art. 474 Abs. 1, 537 und 630 Abs. 1 ZGB),51 wenn ein Unternehmen ganz oder teilweise bereits zu Lebzeiten der Erblasserin oder des Erblassers auf eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger übertragen wurde und im Rahmen der Ausgleichung eine Bewertung stattfinden muss. Kommt es zwischen dem Zeitpunkt der Übertragung des Unternehmens und dem Todestag zu einer Wertveränderung, ist sowohl die positive als auch die negative Wertveränderung von der Erbengemeinschaft zu tragen. Das Bundesgericht hat in einem Entscheid aus dem Jahr 2007 zwar die Grundlage zumindest für eine Differenzierung zwischen dem konjunkturellen und einem industriellen Mehrwert52 gelegt und es als «unbillig» bezeichnet, wenn der ausgleichungspflichtige Erbe einen durch seine unternehmerische Tätigkeit (und nicht durch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung) erzielten Gewinn mit den Miterbinnen und Miterben teilen müsste. Umgekehrt wäre es aber auch für die ausgleichungsberechtigten Miterbinnen und Miterben unbillig, wenn sie unternehmerische Verluste ­ auf deren Entstehung sie keinerlei Einfluss ausüben konnten ­ mitzutragen hätten.53 Die heute vorgesehene Verteilung der Wertveränderungen eines zu Lebzeiten der Erblasserin oder des Erblassers übertragenen Unternehmens befriedigt mit anderen Worten nicht.

Mit der vorliegenden Revision sollen diese Überlegungen in den Gesetzestext überführt und damit vor allem die notwendige Rechts- und Planungssicherheit geschaffen werden. Grundsätzlich erfolgt die Ausgleichung weiterhin nach dem Wert der Zuwendungen zur Zeit des Erbganges (Art. 630 Abs. 1 ZGB), doch es wird eine Ausnahme für die Ausgleichung von Unternehmen eingeführt, die in der Vernehmlassung auf eine breite Zustimmung stiess: Ein Unternehmen wird nach dem Wert im Zeitpunkt 50

51 52 53

Keine Vorschläge werden dagegen zur Methode der Unternehmensbewertung unterbreitet. Diese schwierige und in der Lehre teilweise auch intensiv diskutierte Problematik (vgl. Eitel, KMU, S. 50 ff.; Hösly/Ferhat, S. 111; Leuba, S. 40 ff, m. Hinw.) soll entsprechend dem auch anderweitig im Zivilrecht üblichen Vorgehen weiterhin der Praxis überlassen werden.

Dazu Eitel, KMU, S. 64 f.; Kipfer-Berger, Rz. 62 ff.

Vgl. dazu von Sury, S. 11.

BGE 133 III 416, 420

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der Zuwendung angerechnet werden können (Art. 630a E-ZGB). Wer sich auf diese Neuerung berufen will, muss im Zeitpunkt der Zuwendung eine Unternehmensbewertung erstellen lassen und diese zusammen mit den zugrunde liegenden Belegen innert einem Jahr der zuständigen Behörde übergeben. Zum Schutz der Rechte der anderen Erbinnen und Erben ist die Übergabe unwiderruflich. Ihnen könnten sonst Beweismittel vorenthalten werden, die sie zur Geltendmachung ihrer Ansprüche benötigen.

Schliesslich wird auch die Rechtssicherheit erhöht und die ­ Nachfolgeplanungen erheblich beeinträchtigende ­ Unsicherheit54 beseitigt, wie hoch der Wert des Unternehmens zum relevanten Zeitpunkt sein wird; dies erlaubt es, die Gefahr einer künftigen Pflichtteilsverletzung abzuschätzen und gegebenenfalls zu beseitigen. Erst die Möglichkeit, den bei der Erbteilung massgeblichen Unternehmenswert für die Zukunft zu fixieren, erlaubt es den beteiligten Personen, eine langfristige Nachlassplanung überhaupt umzusetzen.

Die neue Norm wird nicht für diejenigen Vermögensteile gelten, die sich im Besitz des Unternehmens befinden, aber je nach Tätigkeitsbereich für dessen Betrieb nicht notwendig sind, wie zum Beispiel ein ungenutztes Baugrundstück oder ein wertvolles Bild. Diese Vermögensteile werden gemäss der geltenden Regelung zu ihrem Wert im Zeitpunkt der Teilung angerechnet. Denn der Wertgewinn oder -verlust solcher Teile hängt nicht von der unternehmerischen Tätigkeit der übernehmenden Erbin oder des übernehmenden Erben ab. Zudem besteht kein Grund dafür, solche Vermögensteile anders zu bewerten, je nachdem, ob die Erblasserin oder der Erblasser sie direkt oder über ein Unternehmen gehalten hat.

Schliesslich wurde in der Vernehmlassung zu Recht gefordert, dass im Zeitpunkt der Zuwendung eine Unternehmensbewertung nach anerkannten Grundsätzen erstellt und diese Bewertung einschliesslich der ihr zugrunde liegenden Belege der vom kantonalen Recht bezeichneten zuständigen Behörde zuhanden der Pflichtteilsberechtigten übergeben werden sollte. Damit die Miterbinnen und Miterben besser vor einem Wertverlust geschützt sind, für den sie nicht verantwortlich gemacht werden können, wurde diese Forderung als Voraussetzung aufgenommen. Sie muss erfüllt sein, damit die neue Regelung zur Berücksichtigung des unternehmerischen Risikos geltend
gemacht werden kann. Ohne diese Voraussetzung wären die Miterbinnen und Miterben nämlich gegenüber den übernehmenden Erbinnen oder Erben, die als einzige im Besitz der erforderlichen Unterlagen sind, mit denen sie ihre Ansprüche nachweisen können, zu sehr benachteiligt gewesen.

4.1.5

Schutz der das Unternehmen nicht übernehmenden Erbinnen und Erben

Mit Blick auf die Gleichbehandlung der Erbinnen und Erben sind die drei Massnahmen zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge (Recht auf Integralzuweisung, Zahlungsaufschub, besonderer Anrechnungswert) heikel. Dies trotz der vorgesehenen Schranken, mit denen die Eingriffe in die Rechte der anderen Erbinnen und Erben

54

Dazu Guillaume, S. 336 f.

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begrenzt werden sollen (Sicherstellung, Verzinsung, Übergabe der Unternehmensbewertung an die zuständige Behörde). Der Bundesrat ist sich dessen bewusst und schlägt deshalb im Vergleich zum geltenden Recht Verbesserungen der Position der pflichtteilsberechtigten Miterbinnen und Miterben vor, um einen möglichst ausgeglichenen Revisionsentwurf zu unterbreiten.

So ist vorgesehen, dass die pflichtteilsberechtigten Erbinnen und Erben es im Rahmen der Erbteilung ablehnen können, dass ihnen eine Minderheitsbeteiligung, die in der Regel schwer verwertbar ist und deren Wert herabgesetzt werden kann, gegen ihren Willen in Anrechnung an ihren Pflichtteil übertragen wird (Art 618 E-ZGB). Mit dieser Bestimmung wird im Interesse einer grösseren Rechtssicherheit eine seit Jahren bestehende Rechtsprechung des Bundesgerichts zu den «leicht verwertbaren Vermögensgegenständen»55 aufgenommen. Die Regelung wurde in der Vernehmlassung breit unterstützt.

Eine pflichtteilsberechtigte Person kann ausserdem Minderheitsbeteiligungen, die sie als Zuwendung unter Lebenden erhalten hat und die ihr im Zeitpunkt der Eröffnung des Erbgangs noch gehören, in Natur in die Erbschaft einwerfen, wenn die Erblasserin oder der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes die Kontrolle über das Unternehmen ausgeübt hatte (Art. 522a Abs. 2 E-ZGB). Sie kann auch von der Erbin oder dem Erben, die oder der die Kontrolle über das Unternehmen ausübt, verlangen, dass sie oder er die zur Erbschaft gehörenden Minderheitsbeteiligungen übernimmt oder die erhaltenen Beteiligungen, die ihr oder ihm im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin oder des Erblassers noch gehören, in Natur einwirft, wenn diese oder dieser zu Lebzeiten die Kontrolle über das Unternehmen ausgeübt hatte (Art. 522a Abs. 3 E-ZGB). Auch durch ein Vermächtnis mit Beteiligungen bedachte Personen müssen in der Erbschaft verbleibende Minderheitsbeteiligungen übernehmen, sonst wird das Vermächtnis durch einen Geldanspruch ersetzt (Art. 522a Abs. 1 E-ZGB). Ziel dieser Bestimmungen ist es, die Ansprüche der Pflichtteilsberechtigten zu schützen und gleichzeitig die Minderheits- und Mehrheitsbeteiligungen in den Händen derselben Inhaberschaft zu vereinen. Damit soll die Führung des Unternehmens erleichtert und die Problematik der «leicht verwertbaren Vermögensgegenstände» gelöst werden.

Um zu vermeiden,
dass die Regelung, mit der das unternehmerische Risiko der Unternehmensnachfolgerin oder dem Unternehmensnachfolger übertragen wird (Art. 630a E-ZGB), umgangen und ein Wertverlust auf die anderen Erbinnen und Erben überwälzt werden kann, ohne dass sie dafür eine Verantwortung tragen, wurde die Möglichkeit, zu Lebzeiten der Erblasserin oder des Erblassers erhaltene Vermögensgegenstände in Natur in die Erbschaft einzuwerfen (Art. 628 Abs. 1 ZGB), beschränkt. Wenn ein Unternehmen durch Zuwendung unter Lebenden übertragen wurde, kann die Person, die das Unternehmen zu Lebzeiten der Erblasserin oder des Erblassers von dieser oder diesem übernommen hat, es nur in Natur einwerfen, wenn die Miterbinnen und Miterben damit einverstanden sind (Art. 628 Abs. 1bis E-ZGB).

Gegen diese Bestimmung gab es in der Vernehmlassung keine Einwände.

55

BGE 70 II 147

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4.1.6

Betroffene Unternehmen

Mit der Revision soll insbesondere die erbrechtliche Übertragung von Familienunternehmen und KMU verbessert werden. Die neuen Bestimmungen sollen jedoch möglichst vielen Unternehmen zugutekommen, unabhängig von gewählter Rechtsform, Tätigkeitsbereich, Grösse, Anzahl betroffener Arbeitsplätze oder einer Eintragung im Handelsregister. Vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgeschlossen sind entsprechend nur: ­

börsenkotierte Gesellschaften und Genossenschaften (Art. 616 Abs. 1 E-ZGB), bei denen sich beim Tod der Unternehmerin oder des Unternehmers nicht die gleichen Risiken und Probleme stellen,

­

die Unternehmen, die ausschliesslich das eigene Vermögen verwalten (Art. 616 Abs. 2 E-ZGB) und für die in der Regel kein besonderer Schutz im Rahmen des Erbrechts erforderlich ist, und

­

das landwirtschaftliche Gewerbe (Art. 623 E-ZGB), dessen Übernahme und Anrechnung bereits durch ein besonderes Gesetz (BGBB) geregelt sind.

4.1.7

Übergangsrecht

Das erbrechtliche Übergangsrecht ergibt sich aus zwei Sonderbestimmungen des Schlusstitels des Zivilgesetzbuchs (Art. 15 und 16 SchlT ZGB) sowie den allgemeinen zivilrechtlichen Übergangsbestimmungen (Art. 1­4 SchlT ZGB). Der massgebliche Anknüpfungspunkt ist dabei der Zeitpunkt des Todes der Erblasserin oder des Erblassers: Ist die Person vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts verstorben, so gilt das alte Recht; stirbt sie nach Inkrafttreten der Revision, so kommt das neue Recht zur Anwendung. Dies gilt unabhängig davon, ob die gesetzliche Erbfolge eintritt oder ob vor dem Inkrafttreten der Revision eine letztwillige Verfügung erstellt oder ein Erbvertrag abgeschlossen wurde. Dieser Grundsatz führt zu einer klaren Regelung, deren Folgen auch für die Praxis vorhersehbar sind. Zudem lassen sich damit in den meisten Fällen schwierige Auslegungsfragen vermeiden.

Die neuen Bestimmungen zur Unternehmensnachfolge, insbesondere im Bereich der Zuweisung, des Zahlungsaufschubs und der Minderheitsbeteiligungen, werden auf die Todesfälle angewandt, die nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts eintreten. Damit jedoch möglichst bald ein Anrechnungswert des Unternehmens berücksichtigt werden kann, der dem unternehmerischen Risiko Rechnung trägt (siehe Ziff. 4.2.3), ist eine besondere Übergangsbestimmung vorgesehen. Demnach kann dieser Anrechnungswert in Zukunft bereits in den Fällen angewendet werden, in denen Unternehmen oder Beteiligungen an Unternehmen bereits vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts übernommen wurden, sofern die im neuen Recht vorgeschriebenen Bedingungen zum Nachweis und Zeitpunkt der Bewertung erfüllt werden (Art. 16a SchlT E-ZGB).

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4.2

Verzicht auf Bestimmungen des Vorentwurfs

Aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse56 verzichtet der Bundesrat darauf, die Bestimmung nach dem geltenden Artikel 618 ZGB zu streichen. Gemäss dem Artikel wird der Anrechnungswert durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt, wenn sich die Erben nicht über ihn einigen können (vgl. Ziff. 5, Erläuterungen zu Art. 621 E-ZGB).

4.3

Umsetzung und Angemessenheit der erforderlichen Mittel

Grundsätzlich erfordern die vorgeschlagenen Änderungen des Zivilgesetzbuchs weder zusätzliche Massnahmen zur Umsetzung in einer Verordnung noch die Änderung kantonalen Rechts. Die Kantone müssen jedoch sicherstellen, dass die für die Aufbewahrung der letztwilligen Verfügungen zuständige Amtsstelle nach Artikel 505 Absatz 2 ZGB in der Lage ist, die Unterlagen nach Artikel 630a Absatz 2 E-ZGB entgegenzunehmen und aufzubewahren. Bei Bedarf müssen sie ihr Recht leicht anpassen. Im Übrigen übernehmen die Erbinnen und Erben sowie bei Bedarf die Gerichte eine zentrale Rolle bei der Anwendung des neuen Rechts. Es sind keine finanziellen Mittel erforderlich.

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

5.1

Zivilgesetzbuch

Ersatz eines Ausdrucks Da für das Bundesgesetz vom 4. Oktober 199157 über das bäuerliche Bodenrecht in Artikel 623 die Abkürzung BGBB eingeführt wird, sind die Artikel 654a, 682a und 798a entsprechend anzupassen.

Art. 218 Abs. 3 Bei der Auflösung des Güterstands der Errungenschaftsbeteiligung (Art. 196 ff. ZGB) kann die verpflichtete Ehegattin oder der verpflichtete Ehegatte die Einräumung von Zahlungsfristen verlangen, wenn die sofortige Bezahlung der Beteiligungsforderung und des Mehrwertanteils sie oder ihn in ernstliche Schwierigkeiten bringt (Art. 218 Abs. 1 ZGB). Als ernstlich gelten Schwierigkeiten insbesondere, wenn sie die verpflichtete Person zwingen würden, Aktiven zu veräussern, die für den Betrieb ihres Unternehmens oder die Ausübung ihres Berufs notwendig sind.58 Ohne anderslautende Vereinbarung muss die verpflichtete Ehegattin oder der verpflichtete Ehegatte 56

57 58

Bericht vom 26. Februar 2020 über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, S. 40, abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2019 > EJPD > Vernehmlassung 2019/22.

SR 211.412.11 Montavon, S. 351.

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in einem solchen Fall Zinsen entrichten und, wenn es die Umstände rechtfertigen, Sicherheiten leisten (Art. 218 Abs. 2 ZGB).

Gemäss geltendem Recht hat nur die Ehegattin oder der Ehegatte Anspruch auf einen Zahlungsaufschub.59 Bei der Auflösung des Güterstands nach einem Todesfall können die Erbinnen und Erben der verstorbenen Ehegattin oder des verstorbenen Ehegatten gegenüber der überlebenden Ehegattin oder dem überlebenden Ehegatten somit keinen Zahlungsaufschub verlangen. Umfasst die Errungenschaft der verstorbenen Ehegattin oder des verstorbenen Ehegatten ein Unternehmen, kann dies dessen Übernahme durch die Erbinnen und Erben erschweren oder gar verhindern.

Damit eine Erbin oder ein Erbe bzw. mehrere Erbinnen und Erben der verstorbenen verpflichteten Ehegattin oder des verstorbenen verpflichteten Ehegatten ein Unternehmen nach Artikel 616 E-ZGB oder Beteiligungen, welche ihnen die Kontrolle über ein solches Unternehmen einräumen, übernehmen können, wird in Artikel 218 ZGB ein neuer Absatz 3 eingefügt, der ihnen künftig die gleichen Rechte zuerkennt, die bei der lebzeitigen Auflösung des Güterstands der Ehegattin oder dem Ehegatten selbst zugestanden wären. Der Erbin oder dem Erben bzw. den Erbinnen und Erben müssen somit von der überlebenden Ehegattin oder dem überlebenden Ehegatten Zahlungsfristen gewährt werden, wenn die sofortige Bezahlung der Beteiligungsforderung und des Mehrwertanteils der verstorbenen Person sie in ernstliche Schwierigkeiten bringen würde; das ist zum Beispiel der Fall, wenn dadurch erhebliche Liquiditätsprobleme entstehen würden, welche die Fortführung des Unternehmens der verstorbenen Person in Frage stellen. In einem solchen Fall sind ebenfalls Zinsen zu entrichten, und die Erbinnen und Erben können zudem ­ wenn es die Umstände rechtfertigen ­ verpflichtet werden, Sicherheiten zu leisten (siehe Art. 218 Abs. 2 ZGB).

Zur Vereinfachung des Verfahrens und zur Vermeidung einer möglichen Blockierung des Verfahrens durch Meinungsverschiedenheiten zwischen den Erbinnen und Erben, die im Rahmen einer Erbengemeinschaft grundsätzlich gemeinsam handeln müssen, soll eine Erbin oder ein Erbe, die oder der das Unternehmen übernimmt, dem Gericht auch allein einen Zahlungsaufschub beantragen können. Ein solcher Aufschub wird allen von der Übernahme betroffenen Erbinnen und Erben zugutekommen.

Art. 522a

1a. Bei Unternehmen

Randtitel: Machen Erbinnen und Erben ihren Pflichtteilsanspruch geltend, d. h. ihren Anspruch auf einen unantastbaren Anteil der Erbschaft,60 so wird es als ausreichend erachtet, dass ihnen der Pflichtteil «dem Werte nach» zukommt ­ d. h. dass sie dessen Gegenwert erhalten (Art. 522 Abs. 1 ZGB).61 Das Bundesgericht versteht diesen Wertanspruch als Äquivalent zu einem Eigentumsanteil an der Erbschaft; dies setzt voraus, dass die an den Pflichtteil angerechneten Zuwendungen «leicht verwertbare Vermögensgegenstände»62 sind, d. h. Vermögensgegenstände, die sich leicht in Bargeld umwandeln lassen. Die Lehre schliesst daraus, dass sich Erbinnen und Erben

59 60 61 62

BK-Hausheer/Reusser/Geiser, Art. 218 Rz. 15.

Steinauer, Rz. 354.

ZK-Escher, Art. 522 Rz. 4.

BGE 70 II 147 E. 2

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beispielsweise auf ihren Pflichtteil kein Minderheitspaket von Aktien anrechnen lassen müssen, deren Übertragbarkeit beschränkt ist und deren Wert entsprechend vermindert sein kann, weil solche Aktien nicht leicht verwertbar sind.63 Einige wenden allerdings ein, dass eine Aktionärsvereinbarung zum Schutz der pflichtteilsberechtigten Erbinnen und Erben beitragen kann (z. B. durch den Anspruch auf eine Vorzugsoder Mindestdividende, den Anspruch auf Vertretung im Verwaltungsrat oder ein Veräusserungsrecht).64 Der neue Artikel 522a E-ZGB bringt zusammen mit Artikel 618 E-ZGB (siehe unten) soweit möglich eine gesetzgeberische Lösung für die Frage der «leicht verwertbaren Vermögensgegenstände» und schützt den Pflichtteil der pflichtteilsberechtigten Erbinnen und Erben, wenn Beteiligungen an einem Unternehmen durch lebzeitige Zuwendung oder durch Verfügung von Todes wegen abgetreten wurden. Die neue Bestimmung wird deshalb unter den Bestimmungen zur Herabsetzungsklage eingereiht, mit der die verletzten Pflichtteile wiederhergestellt werden können,65 und sie enthält einen Verweis auf die neuen Bestimmungen zu den Unternehmen im Bereich der Erbteilung (Art. 616 ff. E-ZGB).

Mit dem Ziel, die Pflichtteilsansprüche zu schützen und die oben erwähnte Problematik der Minderheitsbeteiligungen zu vermeiden, wird vorgeschlagen, die Minderheitsund Mehrheitsbeteiligungen in einer Hand zusammenzuführen, wenn damit verhindert werden kann, dass Minderheitsbeteiligungen im Pflichtteil der Pflichtteilsberechtigten bleiben oder an diesen angerechnet werden. Dadurch erhalten die Minderheitsbeteiligungen zudem einen Wert, der im Verhältnis zum Wert des Unternehmens oder aller Beteiligungen berechnet werden kann, die die Kontrolle über das Unternehmen einräumen. Ihr Wert unterscheidet sich somit vom Marktwert, der oft viel tiefer sein wird, wenn Minderheitsbeteiligungen separat veräussert werden müssen. Die Absätze 2 und 3 beziehen sich auf die Fälle der lebzeitigen Zuwendungen (auf die Zuweisung von Todes wegen ist aufgrund des Verweises in Abs. 4 Art. 618 E-ZGB anwendbar) und setzen das Ziel um, die Minderheits- und Mehrheitsbeteiligungen in den Händen einer Erbin oder eines Erben bzw. in der Erbschaft zusammenzuführen.

Absatz 1 verwirklicht das Ziel teilweise für den Fall, dass Beteiligungen an einem Unternehmen an eine
Person ohne Erbenstellung vermacht werden, welche die Kontrolle über das Unternehmen bereits ausübt oder durch die Zuweisung erlangen würde.

Denn die Stellung der mit einem Vermächtnis bedachten Person ohne Erbenstellung unterscheidet sich von derjenigen der Erbinnen und Erben, die an der Erbteilung beteiligt sind. Daher kann von dieser Person nicht verlangt werden, die zu Lebzeiten unentgeltlich erhaltenen Beteiligungen, die ihr noch gehören, wieder in die Erbschaft einzuwerfen oder gegen ihren Willen Minderheitsbeteiligungen, die nicht Teil des Vermächtnisses sind, aus der Erbschaft zu übernehmen. Gemäss Absatz 1 wird deshalb der Anspruch auf die Beteiligungen grundsätzlich durch einen Geldanspruch ersetzt, wenn der Vermächtnisnehmer die Kontrolle über das Unternehmen bereits ausübt oder durch die Zuweisungen der Beteiligungen erlangen würde. Das gilt jedoch nicht, wenn die Erblasserin oder der Erblasser dafür gesorgt hat, dass die Minderheitsbeteiligungen mit den Beteiligungen zusammengeführt werden, die die Kontrolle über 63 64 65

Eitel, Probleme, S. 499; Hösly/Ferhat, Rz. 78.

Bader/Seiler, S. 148; Leuba, S. 26 f.

Guinand/Stettler/Leuba, Rz. 150.

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das Unternehmen bereits einräumen oder durch die Zuweisung einräumen könnten (Vermächtnis, Art. 522a Abs. 1 Ziff. 1 E-ZGB) oder wenn die Vermächtnisnehmerin oder der Vermächtnisnehmer der Zusammenführung zustimmt (Art. 522a Abs. 1 Ziff. 2 E-ZGB). In diesen beiden Fällen müssen die Beteiligungen dem Vermächtnisnehmer ausgeliefert werden.

Das Vermächtnis von Minderheitsbeteiligungen an Erbinnen und Erben (Vorausvermächtnis) ist in Artikel 618 E-ZGB geregelt (durch Verweis in Abs. 4), wenn die Erbschaft Beteiligungen umfasst, die die Kontrolle einräumen, und in Artikel 522a Absatz 3 E-ZGB, wenn die Erblasserin oder der Erblasser die Kontrolle über das Unternehmen zu Lebzeiten abgetreten hat und eine Erbin oder ein Erbe am Tag der Eröffnung des Erbgangs die Kontrolle ausübt.

Vorbehalten bleibt Artikel 522 ZGB betreffend Herabsetzungsklage. Denn Vermächtnisse und Zuwendungen unter Lebenden, die ein Unternehmen oder Beteiligungen betreffen, können die Ansprüche der pflichtteilsberechtigten Erbinnen und Erben in ihrem Wert verletzen. Der Pflichtteil ist grundsätzlich jedoch nicht verletzt, wenn die bedachte erbberechtigte Person entscheidet, die als Zuwendung unter Lebenden erhaltenen Beteiligungen, die ihr noch gehören, in die Erbschaft einzuwerfen (siehe Abs. 2 und 3).

Abs. 1: Diese Bestimmung erfasst den Fall, in dem die Erblasserin oder der Erblasser Beteiligungen an einem Unternehmen einer Person ohne Erbenstellung als Vermächtnis (Art. 484 ZGB) zugewiesen hat. Das gilt auch für Erbinnen und Erben, die mit einem Vermächtnis bedacht wurden und die zwar das Erbe ausgeschlagen haben, jedoch die Ausrichtung des Vermächtnisses verlangen, sowie für diejenigen, die durch einen Erbverzichtsvertrag auf ihre Erbenstellung verzichtet haben und allenfalls im Gegenzug ein Vermächtnis über ein Unternehmen erhalten haben. Im Falle eines Vermächtnisses an eine Erbin oder einen Erben, die oder der die Erbschaft annimmt, ist aufgrund des Verweises in Absatz 4 Artikel 618 E-ZGB anwendbar, wenn die Erbschaft Beteiligungen umfasst, welche die Kontrolle über das Unternehmen einräumen, oder Absatz 3, wenn die Erblasserin oder der Erblasser die Kontrolle über das Unternehmen zu Lebzeiten abgetreten hat und eine Erbin oder ein Erbe am Tag der Eröffnung des Erbgangs die Kontrolle über das Unternehmen ausübt.

Um zu vermeiden,
dass als Folge eines Vermächtnisses über Beteiligungen an einem Unternehmen eine Minderheitsbeteiligung in der Erbschaft bleibt und zugleich die Vermächtnisnehmerin oder der Vermächtnisnehmer die Kontrolle über das Unternehmen bereits hat oder durch das Vermächtnis erlangen würde, ist ein Vermächtnis von Beteiligungen an einem Unternehmen in diesen Fällen grundsätzlich durch einen Geldanspruch am Nachlass ersetzt werden. Dies ist dann der Fall, wenn das Vermächtnis nicht alle zur Erbschaft gehörende Beteiligungen umfasst oder wenn die Vermächtnisnehmerin oder der Vermächtnisnehmer nicht bereit ist, auf Verlangen einer pflichtteilsberechtigten Person (Antrag, der für alle gilt ­ die erbberechtigten sowie die mit einem Vermächtnis bedachten Personen) alle zur Erbschaft gehörenden Beteiligungen (einschliesslich der Beteiligungen, die bestimmten Erbinnen und Erben durch eine Teilungsvorschrift oder ein Vermächtnis zugeteilt wurden) zu ihrem Wert zu übernehmen.

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Wenn die mit einem Vermächtnis bedachte Person die in der Erbschaft bleibenden Beteiligungen übernimmt, wird deren Übernahmewert gemäss den Artikeln 621 Absatz 2 und 630a E-ZGB (durch Verweis in Abs. 4) berechnet, sofern die bedachte Person die Kontrolle über das Unternehmen ausübt oder durch das Vermächtnis erwirbt.

Wenn sie die Übernahme der Beteiligungen ablehnt, entspricht der Wert des Geldanspruchs, den die Vermächtnisnehmerin oder der Vermächtnisnehmer stattdessen erhält, hingegen dem Marktwert der Minderheitsbeteiligungen. Dieser wird bei Bedarf durch eine sachverständige Person ermittelt. Denn Absatz 4 ist in diesem Fall nicht anwendbar, da die bedachte Person durch ihren Entscheid vom Ziel der Bestimmung abweicht, die Mehrheits- und Minderheitsbeteiligungen zusammenzuführen. Der Vorteil der Vermächtnisnehmerin oder des Vermächtnisnehmers fällt somit vom Wert her in der Regel geringer aus, als wenn sie oder er bereit wäre, auch die verbleibenden Beteiligungen zu übernehmen. Tendenziell werden die Pflichtteile dadurch geschützt.

Die Erblasserin oder der Erblasser soll durch diese Regelung einen Anreiz erhalten, der Person ohne Erbenstellung entweder alle Beteiligungen zuzuteilen oder keine.

Wenn die Vermächtnisnehmerin oder der Vermächtnisnehmer keine Kontrolle über das Unternehmen hat oder sie durch die Beteiligungen im Vermächtnis erlangen würde, muss das Vermächtnis ausgerichtet werden. Vorbehalten bleibt die Ausschlagung des Vermächtnisses durch die bedachte Person.

Abs. 2: Wenn Beteiligungen zur Erbschaft gehören, welche die Kontrolle über das Unternehmen einräumen, erhalten pflichtteilsberechtigte Erbinnen und Erben neu die Möglichkeit, Minderheitsbeteiligungen, die ihnen noch gehören, in Natur einzuwerfen. Damit werden sie davor geschützt, dass ihnen an den Pflichtteil Minderheitsbeteiligungen angerechnet werden, die sie von der Erblasserin oder dem Erblasser durch Zuwendung unter Lebenden erhalten haben. Eine Einwerfung in Natur ist auch möglich, wenn die Beteiligungen als gemischte Schenkung zugewendet wurden, da dies ebenfalls dem Ziel der Zusammenführung der Mehrheits- und Minderheitsbeteiligungen dient.

Entscheidet die betreffende Erbin oder der betreffende Erbe, ihr oder sein Recht nach Absatz 2 nicht geltend zu machen und die erhaltenen Minderheitsbeteiligungen zu behalten,
so wird bei der Berechnung der Pflichtteilsmasse deren Marktwert zum Zeitpunkt der Eröffnung des Erbgangs berücksichtigt. Da die Erbin oder der Erbe damit auf die Rechte verzichtet, die sich durch Verweis aus Absatz 4 ableiten lassen, sind die Artikel 621 Absatz 2 und 630a E-ZGB nicht anwendbar.

Abs. 3: Gehören zur Erbschaft Minderheitsbeteiligungen an einem Unternehmen, über das die Erblasserin oder der Erblasser zu Lebzeiten die Kontrolle ausgeübt hat, und hatte sie oder er durch Zuwendungen unter Lebenden zugunsten einer Erbin oder eines Erben über Beteiligungen verfügt, so kann jede pflichtteilsberechtigte Person (ausser der Erbin oder dem Erben, die oder der über die Kontrolle verfügt) verlangen, dass die Erbin oder der Erbe, sofern sie oder er zum Zeitpunkt der Eröffnung des Erbgangs die Kontrolle über das Unternehmen ausübt, auch die Minderheitsbeteiligungen zu deren Wert übernimmt oder die erhaltenen Beteiligungen, die ihr oder ihm im Zeitpunkt des Todes noch gehören, in Natur einwirft. Der entsprechende Antrag der pflichtteilsberechtigten Person gilt für alle und kann auch dann gestellt werden, wenn die Erblasserin oder der Erblasser die in der Erbschaft verbleibenden Minderheitsbeteiligungen durch Verfügung von Todes wegen (Teilungsvorschrift oder Vermächtnis 26 / 50

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bzw. Vorvermächtnis) zugeteilt hat. Der Antrag entkräftet folglich in diesem Punkt die von der Erblasserin oder dem Erblasser getroffene Verfügung. Bei einem Vermächtnis bleibt jedoch ein Geldanspruch zugunsten der Vermächtnisnehmerin oder des Vermächtnisnehmers vorbehalten.

Zur Berechnung des Werts der Minderheitsbeteiligungen, wenn die Erbin oder der Erbe diese aus der Erbschaft übernimmt, verweist Absatz 4 auf die Artikel 621 Absatz 2 und 630a E-ZGB.

Vorbehalten bleibt die Ausschlagung der Erbschaft durch die Erbin oder den Erben, die oder der im Zeitpunkt der Eröffnung des Erbgangs die Kontrolle ausübt. In diesem Fall kommt Absatz 4 allerdings nicht zur Anwendung. Für Zahlungsverpflichtungen aufgrund einer Verletzung des Pflichtteils dem Werte nach (Art. 522 ZGB) wird folglich nicht der Vorteil eines Zahlungsaufschubs nach Artikel 619 E-ZGB gewährt.

Abs. 4: Im Übrigen sind die neuen Bestimmungen über Beteiligungen in der Erbteilung bei der Herabsetzungsklage sinngemäss anwendbar. Dieser Verweis betrifft sowohl die Zuwendungen von Todes wegen als auch die Zuwendungen unter Lebenden. Er verweist auf die Bestimmungen zum Recht der Pflichtteilsberechtigten, die Zuweisung von Minderheitsbeteiligungen abzulehnen und die Veräusserung zu verlangen (Art. 618 E-ZGB), zum Recht der Unternehmensnachfolgerin oder des Unternehmensnachfolgers (einschliesslich der Vermächtnisnehmerin oder des Vermächtnisnehmers nach Art. 522a Abs. 1 Ziff. 2 E-ZGB), einen Zahlungsaufschub zu erhalten (Art. 619 E-ZGB), und zum Anrechnungswert (Art. 621 Abs. 1 und 2 sowie Art. 630a E-ZGB). Entsprechend ist in nicht abschliessender Weise Folgendes festzuhalten: ­

Minderheitsbeteiligungen, welche die Erblasserin oder der Erblasser durch eine Teilungsvorschrift oder ein Vermächtnis zuteilt und die Teil einer Erbschaft sind, der ein Unternehmen oder Mehrheitsbeteiligungen umfasst, dürfen nicht an den Pflichtteil angerechnet werden und jede pflichtteilsberechtigte Person kann (in Anwendung von Art. 618 E-ZGB; siehe unten die Erläuterungen zu diesem Artikel) deren Veräusserung verlangen; diese Regelung gilt sowohl bei einer Erbteilung durch das Gericht als auch bei einer Teilung durch die Erbinnen und Erben selbst; es handelt sich um eine Ausnahme vom Grundsatz nach Artikel 608 Absatz 2 ZGB, wonach die Teilungsvorschriften der Erblasserin oder des Erblassers verbindlich sind.

­

Einen Zahlungsaufschub nach Artikel 619 E-ZGB können sowohl die Erbin oder der Erbe als auch die Vermächtnisnehmerin oder der Vermächtnisnehmer erhalten, die oder der sich entscheidet, auf Verlangen einer pflichtteilsberechtigten Person alle zur Erbschaft gehörenden Minderheitsbeteiligungen zu übernehmen, oder dem zustimmt (siehe Art. 522a Abs. 3 E-ZGB bzw.

Art. 522a Abs. 1 Ziff. 2 E-ZGB).

­

Der Wert der Minderheitsbeteiligungen bei einer Einwerfung oder Übernahme (Art. 522a Abs. 2 Ziff. 2 und Abs. 3 E-ZGB) wird gemäss den Artikeln 621 Absätze 1 und 2 sowie 630a E-ZGB berechnet.

Die Anwendbarkeit dieses Verweises wird auch oben im Kommentar zu Artikel 522a und in den Kommentaren zu den folgenden Artikeln behandelt.

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Art. 616

IV. Unternehmen. 1. Begriffe

Randtitel: In diesem neuen Artikel werden die Begriffe Unternehmen und Beteiligungen spezifisch für die Vorschriften zur Unternehmensnachfolge im Erbrecht definiert.

Abs. 1: Die neuen Regeln sollen für alle Unternehmen gelten, ungeachtet der gewählten Rechtsform, unabhängig vom (primären, sekundären oder tertiären) Wirtschaftssektor, vom Tätigkeitsbereich und von der Grösse sowie unabhängig davon, ob sie im Handelsregister eingetragen sind. Vorausgesetzt ist aber immer, dass die Unternehmen eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Ausgenommen sind somit 1) börsenkotierte Gesellschaften, 2) Genossenschaften, 3) Unternehmen, die ausschliesslich das eigene Vermögen verwalten (Abs. 2) und 4) landwirtschaftliche Gewerbe (Art. 623 EZGB). Der Unternehmensbegriff ist somit weit gefasst und schliesst neben den Einzelunternehmen alle Arten von Gesellschaften des Obligationenrechts (OR)66 ein, d. h. die einfache Gesellschaft67, die Kollektivgesellschaft68, die Kommanditgesellschaft69, die Aktiengesellschaft70, die Kommanditaktiengesellschaft71 und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung72, nicht jedoch die Genossenschaft73 (die im OR gemäss Titel seiner dritten Abteilung «Die Handelsgesellschaften und die Genossenschaft» getrennt von den Handelsgesellschaften behandelt wird). Auf die Voraussetzung einer Eintragung im Handelsregister wird demgegenüber verzichtet (soweit die Eintragung nicht gesetzlich vorgeschrieben ist), um die nicht eintragungspflichtigen74 freien Berufe (Ärztinnen und Ärzte, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Ingenieurinnen und Ingenieure) nicht vom Geltungsbereich auszuschliessen.

Anders als im Vorentwurf wird die Holdinggesellschaft, deren Zweck hauptsächlich in der Beteiligung an anderen Unternehmen besteht (Art. 671 Abs. 4 OR), nicht automatisch vom Geltungsbereich der Bestimmung ausgeschlossen. Denn viele Familiengesellschaften nutzen gegenwärtig die Struktur einer Holdinggesellschaft, und operative Gesellschaften sind oft teilweise oder ganz im Besitz von Holdings, deren Tätigkeit weit über die reine Beteiligung hinausgeht (gemischte oder aktive Holding).

Sie sollen daher vom Geltungsbereich erfasst sein, ausser die Tätigkeit der Holding beschränkt sich ausschliesslich auf die Verwaltung ihres eigenen Vermögens (passive Holding; Abs. 2).

Es wird präzisiert, dass die wirtschaftliche
Tätigkeit des Unternehmens direkt oder indirekt über eine von ihr kontrollierte Gesellschaft ausgeübt werden kann. So wird ein transparenter Ansatz verfolgt. Wenn zwei Holdings oder Gesellschaften im Besitz derselben Person sind, kann die eine in den Geltungsbereich der Norm fallen und die andere nicht. Da die Beteiligungen an einer Holding oder Gesellschaft zur Erbschaft

66 67 68 69 70 71 72 73 74

Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht); SR 220.

Art. 530 ff. OR Art. 552 ff. OR Art. 594 ff. OR Art. 620 ff. OR Art. 764 ff. OR Art. 772 ff. OR Art. 828 ff. OR OFK/HRegV-Vogel, Art. 2 Rz. 3.

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gehören und nicht die von dieser gehaltenen Gesellschaften (die nur indirekt zur Erbschaft gehören), unterliegen die Beteiligungen entweder ganz den neuen Bestimmungen oder gar nicht ­ die Holding oder Gesellschaft wird also nicht je nach Tätigkeit der kontrollierten Gesellschaften gesplittet. Wenn etwa ein Unternehmer sein gesamtes Vermögen (Immobilien, Geschäftsliegenschaften usw.) in ein Unternehmen investiert, gelten die neuen Bestimmungen für das gesamte Vermögen.

Bei börsenkotierten Gesellschaften bestehen nicht die Risiken und Probleme, die sich bei Familienunternehmen beim Tod der Unternehmerin oder des Unternehmers und ihrer Übernahme durch eine Erbin oder einen Erben bzw. mehrere Erbinnen und Erben stellen. Die Beteiligungen an solchen Gesellschaften sind definitionsgemäss leicht verwertbar. Sie sind daher vom Geltungsbereich ausgenommen.

Das zuständige Gericht könnte im Übrigen die neuen Regeln in Erbschaften anwenden müssen, für die Schweizer Recht anwendbar ist und die ausländische Unternehmen oder Beteiligungen an ausländischen Unternehmen beinhalten. In einem solchen Fall sind die vom Zivilgesetzbuch unter anderem in dieser Botschaft erwähnten Interpretationskriterien ausschlaggebend, um zu entscheiden, ob eine im Ausland oder durch eine auslandsrechtliche Entität ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit unter den Unternehmensbegriff von Artikel 616 E-ZGB fällt. Da das Schweizer Recht für Einzelunternehmen nur einen niedrigen Organisationsgrad verlangt, werden voraussichtlich nur wenige ausländische wirtschaftliche Tätigkeiten wegen mangelndem Organisationsgrad nicht als Unternehmen qualifiziert werden.

Abs. 2: Vom Geltungsbereich der Vorschriften zur Unternehmensnachfolge ausgenommen sind die Unternehmen, deren einzige Tätigkeit die Verwaltung des eigenen Vermögens ist. Dazu sind in der Regel namentlich die single family offices zum Zweck der Verwaltung des Privatvermögens einer Eigentümerfamilie zu zählen, die Gesellschaften, deren einziger Zweck die kollektive Kapitalanlage im Sinne des Kollektivanlagengesetzes vom 23. Juni 200675 ist, die Immobiliengesellschaften, deren einzige Tätigkeit in der Beteiligung an Immobilien besteht, sowie die passiven Holdings, die ausschliesslich Finanztitel halten. Für diese Gesellschaften ist in der Regel kein besonderer Schutz im Erbrecht
erforderlich. Eine Aktiengesellschaft, die ausschliesslich ein Ferienhaus, mehrere Immobilien, Kunstwerke oder gängige Finanzprodukte hält und verwaltet, wäre beispielsweise ebenfalls ausgenommen. Dasselbe gilt, wenn eine natürliche Person ihr eigenes Vermögen verwaltet.

Abs. 3: Zur Vereinfachung der neuen Bestimmungen werden die Begriffe Anteilsrechte und Mitgliedschaftsrechte unter dem Begriff der Beteiligungen an einem Unternehmen zusammengefasst. Die Begriffe Anteilsrechte und Mitgliedschaftsrechte an einem Unternehmen werden aus dem Fusionsgesetz vom 3. Oktober 200376 übernommen. So kann an diese bekannte Terminologie angeknüpft werden. Der Begriff Anteilsrechte erfasst die in Aktien, Partizipationsscheinen, Genussscheinen und Anteilscheinen verkörperte Mitgliedschaft und die Mitgliedschaft in der Gesellschaft mit beschränkter Haftung; der Begriff Mitgliedschaftsrechte erfasst jene Rechte und

75 76

SR 951.31 SR 221.301

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Pflichten der Gesellschafterinnen und Gesellschafter, die nicht in einem Anteilsrecht verkörpert sind.77 Weiter wird präzisiert, dass Beteiligungen als Minderheitsbeteiligungen gelten, wenn sie keine Kontrolle über das Unternehmen einräumen. Damit wird der in den Artikeln 522a, 618 und 621 E-ZGB verwendete Begriff der Minderheitsbeteiligungen geklärt. Der Ausdruck Kontrolle über das Unternehmen ist im Sinne der Kontrolle gemäss Artikel 963 OR zu verstehen. Ein Unternehmen wird dann kontrolliert, wenn eine Person oder Gesellschaft direkt oder indirekt über die Mehrheit der Stimmen im obersten Organ verfügt, direkt oder indirekt über das Recht verfügt, die Mehrheit der Mitglieder des obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgans zu bestellen oder abzuberufen oder aufgrund der Statuten, eines Vertrags oder vergleichbarer Instrumente einen beherrschenden Einfluss ausüben kann (Art. 963 Abs. 2 OR).

Art. 617

2. Zuweisung

Randtitel: Artikel 617 E-ZGB führt einen neuen Zuweisungsanspruch für die Erbinnen und Erben ein.

Abs. 1 Ziff. 1: Jede Erbin und jeder Erbe hat die Möglichkeit, die Zuweisung des gesamten Unternehmens zu verlangen, das sich in der Erbschaft befindet, soweit die Erblasserin oder der Erblasser darüber nicht verfügt hat. Dieser Zuweisungsanspruch ist unabhängig von der Eignung der Erbin oder des Erben zur Führung des Unternehmens.

Der Zuweisungsanspruch besteht auch, wenn sich in der Erbschaft Beteiligungen befinden, welche die Kontrolle über ein Unternehmen einräumen. In einem solchen Fall hat jede Erbin und jeder Erbe die Möglichkeit, die Zuweisung der Gesamtheit dieser Beteiligungen zu verlangen. Der Zweck besteht darin, dass die tatsächliche Kontrolle über das Unternehmen einer einzigen erbberechtigten Person übertragen werden kann, damit diese, wie zuvor die Erblasserin oder der Erblasser, die Kontrolle allein ausüben kann und sich somit Probleme bei der Unternehmensführung und eine Zerstückelung des Unternehmens vermeiden lassen.

Hat die Erblasserin oder der Erblasser selbst durch Verfügung von Todes wegen bestimmt, welcher Erbin oder welchem Erben bzw. welchen Erbinnen und Erben das Unternehmen zukommen soll oder Beteiligungen an einem Unternehmen zukommen sollen, haben die anderen Erbinnen und Erben keinen Anspruch, die Zuweisung an sie selbst zu verlangen. Dies gilt auch dann, wenn sie dadurch die Kontrolle über das Unternehmen erlangen würden oder wenn sie geeignet oder sogar besser geeignet wären, es zu führen als die von der Erblasserin oder dem Erblasser bezeichnete Person.

In einem solchen Fall hat die Beachtung des letzten Willens der Erblasserin oder des Erblassers Vorrang und schliesst den Zuweisungsanspruch der Erbinnen und Erben aus (Art. 608 Abs. 2 ZGB). Dies gilt auch dann, wenn die Erblasserin oder der Erblasser eine Erbin oder einen Erben über den gesetzlichen Erbteil hinaus durch ein Vermächtnis mit dem Unternehmen bedacht hat (Vorausvermächtnis, Art. 486 Abs. 3 ZGB). Bei einer einstimmigen Vereinbarung der Erbinnen und Erben, einschliesslich 77

Botschaft vom 13. Juni 2000 zum Bundesgesetz über Fusion, Spaltung, Umwandlung und Vermögensübertragung (Fusionsgesetz, FusG), BBl 2000 4337, hier 4400.

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der Erbin oder des Erben, die oder der von der Erblasserin oder dem Erblasser bestimmt wurde, ist es jedoch weiterhin stets möglich, die Erbschaft anders zu teilen78 und das Unternehmen zum Beispiel einer anderen Erbin oder einem anderen Erben zuzuweisen, es unter sich aufzuteilen oder es zu veräussern.

Im Fall einer Ausschlagung der Erbschaft und des Vermächtnisses durch die Erbin oder den Erben, die oder der das Unternehmen durch eine Teilungsvorschrift (Art. 566 ZGB) oder ein Vorausvermächtnis (Art. 577 ZGB) erhalten hat, können die übrigen Erbinnen oder Erben die Zuweisung des Unternehmens verlangen. Wird nur das Vorausvermächtnis angenommen und die Erbenstellung ausgeschlagen, findet Absatz 1 Anwendung.

Abs. 1 Ziff. 2: Diese Ziffer regelt den Fall, in dem sich in der Erbschaft Beteiligungen an einem Unternehmen befinden, die aber für sich genommen nicht die Kontrolle über das Unternehmen einräumen. In einem solchen Fall hat eine Erbin oder ein Erbe nur dann einen Zuweisungsanspruch, wenn die Zuweisung der Beteiligungen der Erblasserin oder des Erblassers zusammen mit jenen, über die sie oder er bereits verfügt, ihr oder ihm die Kontrolle über das Unternehmen ermöglichen oder wenn sie oder er das Unternehmen bereits kontrolliert.

In diesen zwei Konstellationen ist es gerechtfertigt, dass die Erbin oder der Erbe ein entsprechendes Vorrecht hat, denn sie erlangt damit die alleinige Kontrolle über das Unternehmen und kann es am besten führen. Es wird zudem davon ausgegangen, dass dies auch im Interesse der Erblasserin oder des Erblassers ist. Schliesslich ist eine Erbin oder ein Erbe, die oder der schon über Beteiligungen an einem Unternehmen verfügt, in der Regel bereits im Unternehmen tätig, verfügt über Kenntnisse und Kompetenzen, die es ihr oder ihm ermöglichen oder zumindest helfen, das Unternehmen zu führen, und hat ein direktes persönliches Interesse an der Übernahme und Fortführung des Unternehmens. Auch hier geht es vor allem darum, dass das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit weiterführen kann und dass Arbeitsplätze erhalten werden (siehe Ziff. 1.2). Es soll nicht eine bestimmte Person bevorzugt werden; die Privilegierung ist nur eine indirekte Folge dieses Interesses.

Wenn eine Erbin oder ein Erbe weder durch die Zuweisung der Beteiligungen die Kontrolle über das Unternehmen erlangt
noch bereits über diese verfügt, kommt diese Ziffer nicht zur Anwendung. Es ist nicht vorgesehen, jener Person einen Zuweisungsanspruch zu erteilen, die im Vergleich zu den anderen Erbinnen und Erben bereits über die meisten Beteiligungen verfügt.

Abs. 2: Wollen mehrere Erbinnen oder Erben in der Erbteilung ein Unternehmen oder Beteiligungen an einem Unternehmen übernehmen und können sie sich nicht einigen, so kann jede oder jeder beim zuständigen Gericht einen Zuweisungsantrag stellen.

In einem solchen Fall ist in der Regel die Eignung für die Führung des Unternehmens das ausschlaggebende Kriterium, um zu bestimmen, welche Erbin oder welcher Erbe im Rahmen der Erbteilung das Unternehmen als Ganzes oder die Beteiligungen erhält.

Das Kriterium der Eignung für die Führung des Unternehmens umfasst namentlich die Berufs- und Führungserfahrung im betreffenden Unternehmen, die Erfahrung im

78

Steinauer, Rz. 1251.

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betreffenden Geschäftsbereich, die allgemeine Management- und Unternehmensführungserfahrung sowie die Berufsausbildung. Mit diesem Kriterium soll die Erbin oder der Erbe begünstigt werden, die oder der am besten in der Lage zu sein scheint, das Unternehmen erfolgreich zu führen, damit dessen Knowhow beibehalten und weiterentwickelt und die Arbeitsplätze bewahrt und ausgebaut werden.

Umfasst die Erbschaft ausschliesslich Beteiligungen, die allein nicht die Kontrolle über das Unternehmen einräumen, so sind diese Beteiligungen nach Absatz 1 Ziffer 2 jener Person zuzuweisen, welche die Kontrolle bereits ausübt oder durch die Zuweisung erlangen würde. Sind mehrere Erbinnen oder Erben vorhanden, denen die Zuerkennung der in der Erbschaft befindlichen Beteiligungen die Kontrolle über das Unternehmen einräumen würde, so ist das Kriterium der besseren Eignung für die Führung des betreffenden Unternehmens (Abs. 2) ausschlaggebend. Sind keine Erbinnen und Erben vorhanden, denen die Zuerkennung der in der Erbschaft befindlichen Beteiligungen die Kontrolle über das Unternehmen einräumen würde, besteht kein Zuweisungsanspruch.

Abs. 3: Diese Bestimmung soll auch die gemeinsame Übernahme eines Unternehmens oder von Beteiligungen durch mehrere Erbinnen und Erben ermöglichen. Demnach können mehrere Erbinnen und Erben gemeinsam die Zuweisung eines Unternehmens oder aller Beteiligungen verlangen, die ihnen die Kontrolle über ein Unternehmen einräumen (Abs. 1 Ziff. 1). Sie können auch die Zuweisung von Beteiligungen verlangen, wenn sie die Kontrolle durch die Zuweisung erlangen (Abs. 1 Ziff. 2), und, falls sich eine oder mehrere andere erbberechtigte Personen um die Übernahme eines Unternehmens oder von Beteiligungen bewerben, sich diese zuweisen lassen, wenn sie zusammen besser geeignet erscheinen, das Unternehmen zu führen (Abs. 2).

Art. 618

3. Minderheitsbeteiligungen

Umfasst die Erbschaft ein Unternehmen oder Beteiligungen, die die Kontrolle über das Unternehmen einräumen, soll diese Bestimmung verhindern, dass pflichtteilsberechtigten Erbinnen oder Erben bei der Erbteilung gegen ihren Willen Minderheitsbeteiligungen, die in der Regel schwer verwertbar sind, auf Anrechnung an ihren Pflichtteil zugewiesen werden können (siehe Erläuterungen zu Art. 522a E-ZGB zur Problematik der «leicht verwertbaren Vermögensgegenstände»).

Wenn eine pflichtteilsberechtigte Person ihren Pflichtteil noch nicht zu Lebzeiten der Erblasserin oder des Erblassers (Zuwendung unter Lebenden) dem Werte nach erhalten hat oder ihn anderweitig erhalten wird, z. B. als Vermächtnis oder durch Vermögensgegenstände der Erbschaft, kann sie verhindern, dass ihr Minderheitsbeteiligungen zugewiesen werden (insb. bei einer Losziehung nach Art. 611 ZGB)79, und vom Gericht auch ausserhalb einer Erbteilungsklage (gemäss Art. 249 Bst. c Ziff. 4 E-ZPO im summarischen Verfahren) verlangen, dass es die Veräusserung des Unternehmens oder der in der Erbschaft befindlichen Beteiligungen anordnet. Der Antrag gilt für 79

Nach Art. 611 ZGB hat die zuständige Behörde bei der Erbteilung auf Verlangen einer oder eines der Erbinnen und Erben Lose zu bilden, die gezogen werden, wenn sich die Erbinnen und Erben nicht über die Zuteilung der Lose (oder über eine andere Vorgehensweise) einigen können. Das für die Teilung zuständige Gericht ist nicht befugt, die Lose nach eigenem Ermessen zuzuweisen (BGE 143 III 425).

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alle, Erbinnen und Erben wie Vermächtnisnehmerinnen und Vermächtnisnehmer.

Zweck dieser Bestimmung ist es, dass Pflichtteilsberechtigte den Wert ihres Pflichtteils in bar oder in Form «leicht verwertbarer Vermögensgegenstände» erhalten.

Wenn demgegenüber andere Erbinnen und Erben im Sinne von Artikel 617 E-ZGB allein oder gemeinsam die Zuweisung des Unternehmens oder der Beteiligungen verlangen, darf das Unternehmen nicht veräussert werden, denn die Rechte der Pflichtteilsberechtigten werden gewahrt oder durch Artikel 619 E-ZGB geschützt.

Wenn die auf Anrechnung an den Pflichtteil zugewiesenen Beteiligungen die Kontrolle über das Unternehmen einräumen, muss die betreffende pflichtteilsberechtigte Person sie annehmen und kann nicht vom Gericht die Veräusserung verlangen. Sie kann sie jedoch in der Folge selbst veräussern, wenn sie dies wünscht.

Der Erlös aus der Veräusserung des Unternehmens oder der Beteiligungen auf Verlangen der pflichtteilsberechtigten Person wird zur Berechnung der Pflichtteile und für die Teilung zum Erbschaftsvermögen gerechnet.

Der Geltungsbereich dieser Bestimmung ist auf die Fälle beschränkt, in denen die Erblasserin oder der Erblasser zur Zeit der Eröffnung des Erbgangs die Kontrolle über das Unternehmen ausübte. Wenn die Erblasserin oder der Erblasser zu Lebzeiten ausschliesslich Minderheitsbeteiligungen besass, werden diese folglich grundsätzlich in dieser Form vererbt. Denn die Erbinnen und Erben können rechtlich nicht bessergestellt werden als die Erblasserin oder der Erblasser selbst. Ferner kommt bei Minderheitsbeteiligungen, die durch ein Vermächtnis oder eine Teilungsvorschrift zugeteilt wurden, die Regelung nach Artikel 522a Absatz 3 E-ZGB zur Anwendung, wenn die Erblasserin oder der Erblasser zu Lebzeiten die Kontrolle über das Unternehmen übergeben hat und eine Erbin oder ein Erbe am Todestag die Kontrolle ausübt (siehe Erläuterungen zu Art. 522a Abs. 3 E-ZGB). Befinden sich hingegen Beteiligungen in der Erbschaft, die die Kontrolle über das Unternehmen einräumen, so regelt Artikel 618 E-ZGB, der durch einen Verweis in Artikel 522a Absatz 4 E-ZGB sinngemäss angewandt wird, den Umgang mit den durch ein Vermächtnis oder eine Teilungsvorschrift zugeteilten Beteiligungen (siehe Erläuterungen zu Art. 522a Abs. 4 E-ZGB). Falls das Unternehmen veräussert wird,
wird der Anspruch der Vermächtnisnehmerin oder des Vermächtnisnehmers auf Übertragung der Minderheitsbeteiligungen, die die Erblasserin oder der Erblasser ihr oder ihm zugeteilt hat, gegebenenfalls durch einen Geldanspruch ersetzt.

Art. 619

4. Zahlungsaufschub

Randtitel: Für die Person, die durch Zuwendung der Erblasserin oder des Erblassers oder bei der Teilung, namentlich durch Zuweisung durch das Gericht (Art. 617 EZGB), ein Unternehmen oder Beteiligungen an einem Unternehmen erhalten hat, die ihr die Kontrolle darüber einräumen, schafft dieser neue Artikel die Möglichkeit, Zahlungsfristen für ihre Verpflichtungen aus der Erbteilung gegenüber ihren Miterbinnen und Miterben zu erhalten. Eine solche Regelung besteht im Eherecht in Artikel 218 ZGB bereits, im Erbrecht wird sie neu sein.

Abs. 1: Hat eine Person ein Unternehmen oder Beteiligungen, die ihr (allein oder zusammen mit denen, über die sie bereits verfügt) die Kontrolle über ein Unternehmen

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einräumen, zu Lebzeiten der Erblasserin oder des Erblassers oder aus deren oder dessen Erbschaft erhalten, so kann sie ­ bei Bedarf auch vor Gericht ­ verlangen, dass ihr Zahlungsfristen eingeräumt werden, wenn die sofortige Bezahlung der Forderungen der anderen Erbinnen und Erben sie in ernstliche Schwierigkeiten bringt. Diese Zahlungsfristen können sowohl gegenüber Ansprüchen der pflichtteilsberechtigten als auch gegenüber denjenigen der nicht pflichtteilsberechtigten Erbinnen und Erben verlangt werden.

Einer Erbin oder einem Erben kann namentlich für die Ausgleichungszahlung aufgrund der Zuweisung von Beteiligungen nach Artikel 617 Absatz 1 E-ZGB oder für die Zahlung einer Gegenleistung bei der Übernahme von Minderheitsbeteiligungen nach Artikel 522a Absätze 3 und 4 E-ZGB ein Aufschub gewährt werden. Einen Aufschub kann ausserdem die Vermächtnisnehmerin oder der Vermächtnisnehmer verlangen, die oder der bereit ist, alle in der Erbschaft verbleibenden Beteiligungen zu übernehmen (Art. 522a Abs. 1 Ziff. 2 und Abs. 4 E-ZGB). Ein Zahlungsaufschub ist schliesslich auch für Vermächtnisnehmerinnen und Vermächtnisnehmer möglich, deren Vorteile in Form von Beteiligungen an einem Unternehmen den Pflichtteil der Pflichtteilsberechtigten dem Wert nach verletzen (Art. 522 ff. ZGB). Damit wird an das in Artikel 522a E-ZGB konkretisierte Ziel angeknüpft, den Pflichtteil der Pflichtteilsberechtigten zu schützen und gleichzeitig die Zusammenführung aller Anteile am Unternehmen zu fördern.

Der Begriff der «ernstlichen Schwierigkeiten» existiert im Zivilrecht bereits (insb.

Art. 218 ZGB). Dabei handelt es sich um wirtschaftliche Schwierigkeiten.80 Im spezifischen Kontext der Unternehmensnachfolge ist dies namentlich die Notwendigkeit, die eigenen Beteiligungen oder bestimmte Beteiligungen am Unternehmen oder Vermögensgegenstände, die für den Betrieb des Unternehmens oder die Ausübung eines Berufs unverzichtbar sind, zu verkaufen. Wie bei der Auflösung des Güterstands muss eine Interessenabwägung vorgenommen werden, aus der hervorgeht, dass eine sofortige Bezahlung für die verpflichtete erbberechtigte Person mit schweren Nachteilen verbunden wäre, die sie vernünftigerweise nicht vermeiden kann, indem sie zum Beispiel das notwendige Geld bei einem Dritten aufnimmt.81 Die Zahlungsfristen haben das Ziel, der
übernehmenden Person Zeit einzuräumen, damit sie die notwendigen Mittel zur Bezahlung der Forderungen der anderen Erbinnen und Erben aufbringen kann, zum Beispiel durch die mit dem Betrieb des Unternehmens erwirtschafteten Gewinne. Es können eine oder mehrere Fristen mit einer Höchstdauer von insgesamt zehn Jahren eingeräumt werden. In der Regel sollte die gewährte Dauer dieses Maximum nicht erreichen. Die im Vorentwurf vorgesehene Dauer von höchstens fünf Jahren sollte in den meisten Fällen genügen und es ermöglichen, die Beeinträchtigung des Anspruchs der Miterbinnen und Miterben zu begrenzen. Auch wenn das mit der vorliegenden Revision verfolgte Ziel eine Verletzung des Prinzips der Gleichbehandlung der Erbinnen und Erben und des Anspruchs der Pflichtteilsberechtigten auf Erhalt ihres Pflichtteils rechtfertigt, sollte diese Verletzung auf das notwendige Mindestmass beschränkt werden.82 Zur Berücksichtigung 80 81 82

BSK-Hausheer/Aebi-Müller, Art. 218 Rz. 10.

Deschenaux/Steinauer/Baddeley, Rz. 1382.

Kipfer-Berger, Rz. 377.

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der besonderen Fälle, in denen eine längere Dauer erforderlich sein sollte, kann die Zahlungsfrist jedoch auf bis zu zehn Jahre erhöht werden. Je länger der gewährte Zahlungsaufschub dauert, desto mehr muss den Interessen der anderen Erbinnen und Erben durch dessen Modalitäten (Abs. 2) oder durch den festzulegenden Zins (Abs. 3) Rechnung getragen werden.

Abs. 2: Das Gericht muss beim Entscheid über die Gewährung eines Zahlungsaufschubs und dessen Einzelheiten die Interessen der anderen Erbinnen und Erben angemessen berücksichtigen. Es hat dabei einen grossen Ermessensspielraum. Es kann nebst der Sicherstellung und der Verzinsung (Abs. 3) zum Beispiel einen verbindlichen Rückzahlungsplan und das Erreichen unternehmerischer Meilensteine oder andere für den Fall geeignete Bedingungen oder Modalitäten festlegen. Ziel ist es, den Miterbinnen und Miterben so weit wie möglich und angemessen Gewähr dafür zu bieten, dass die gestundeten Ansprüche in der Zukunft erfüllt ­ insbesondere, wenn der Zahlungsaufschub ihren Pflichtteil berührt ­ und ihre Rechte möglichst wenig beeinträchtigt werden. Eine Modalität für den Zahlungsaufschub könnte beispielsweise sein, der mit dem Zahlungsaufschub begünstigten Person zu verbieten, Beteiligungen am Unternehmen zu veräussern, ohne die Zustimmung der Miterbinnen und Miterben eingeholt oder ohne vorher ihre Schulden gegenüber den Miterbinnen und Miterben aus der Erbteilung beglichen zu haben. Es könnte auch vorgesehen werden, dass der Zahlungsaufschub bei Missachtung der Bedingungen dahinfällt und die Forderungen der Erbinnen und Erben sofort fällig sind, sodass sie ihre Ansprüche geltend machen können.

Abs. 3: Den Erbinnen und Erben, für deren Forderung ein Zahlungsaufschub eingeräumt wurde, ist ein Zins zu entrichten. Der Zins muss angemessen sein und sowohl den Interessen der verpflichteten Person als auch jenen der Miterbinnen und Miterben Rechnung tragen. Der Begriff der angemessenen Verzinsung ist im Privatrecht bereits bekannt (Art. 4 der Verordnung vom 1. Oktober 198483 über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland). Im Streitfall bestimmt wiederum das Gericht den angemessenen Zins.

Ausserdem sind gestundete Forderungen der anderen Erbinnen und Erben in der Regel sicherzustellen, wie das auch bei familienrechtlichen Forderungen der Fall ist (siehe
z. B. die Art. 132 und 324 ZGB). Denn ohne Sicherheiten würde das unternehmerische Risiko ganz auf alle Erbinnen und Erben verteilt, ohne dass diese Einfluss auf die Unternehmensergebnisse hätten, was nur mit grösster Zurückhaltung in Betracht gezogen werden sollte. Wenn sich die Parteien nicht einigen können, entscheidet das Gericht. Als Sicherheit kommt dabei jede Form in Betracht, die das Gericht im Einzelfall als geeignet erachtet. Auf die Sicherstellung kann nur verzichtet werden, wenn die Unternehmensnachfolgerin oder der Unternehmensnachfolger sie unter den gegebenen Umständen nicht leisten kann.

83

SR 211.412.411

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Art. 620

E. Anrechnungswert. I. Grundsatz

Diese Bestimmung regelt neu allgemein den Anrechnungswert der Vermögensgegenstände bei der Erbteilung und übernimmt dabei im Grundsatz den bisherigen Artikel 617 ZGB. Der Randtitel wird dahingehend geändert, dass der bisher auf Grundstücke beschränkte Geltungsbereich der Regelung auf alle Vermögensgegenstände der Erbschaft ausgeweitet wird.

Nach dem bisher geltenden Wortlaut sind den Erbinnen und Erben nur Grundstücke zum Verkehrswert anzurechnen, der ihnen im Zeitpunkt der Teilung zukommt. Diese Regel gilt gemäss der Praxis jedoch für alle Positionen im Erbschaftsvermögen, d. h.

für sämtliche Vermögenswerte und Ansprüche.84 Der Entwurf ersetzt entsprechend den Begriff «Grundstücke» durch «Vermögensgegenstände», damit ausser bei einer Vereinbarung unter den Erbinnen und Erben, einer von der Erblasserin oder dem Erblasser vorgesehenen besonderen Teilungsvorschrift oder einer Spezialbestimmung des bäuerlichen Bodenrechts (siehe Erläuterungen zu Art. 623 E-ZGB) alle vorhandenen Vermögenswerte zu ihrem Verkehrswert im Zeitpunkt der Teilung angerechnet werden.85 Diese Änderung war bereits im Vorentwurf zur Änderung des Erbrechts vom 4. März 2016 enthalten und war in der Vernehmlassung positiv aufgenommen worden.86 Art. 621

II. Unternehmen und Beteiligungen an Unternehmen

Randtitel: Dieser neue Artikel regelt die Festlegung des Anrechnungswerts von Unternehmen und Beteiligungen an einem Unternehmen bei der Erbteilung, wie dies in Artikel 618 ZGB bzw. Artikel 622 E-ZGB für Grundstücke vorgesehen ist.

Abs. 1: Können sich die Erbinnen und Erben über den bei der Erbteilung zu berücksichtigenden Anrechnungswert nicht einigen, so kann jede Erbin und jeder Erbe beim Gericht die Einsetzung einer sachverständigen Person zur Schätzung des Werts beantragen (vgl. Art. 249 Bst. c Ziff. 5 E-ZPO). Dabei handelt es sich um eine gerichtlich bestellte sachverständige Person und nicht um eine amtlich bestellte sachverständige Person wie im Falle der Grundstücke (Art. 622 E-ZGB). Die betraute sachverständige Person muss das Unternehmen oder die Beteiligungen an einem Unternehmen nach anerkannten Grundsätzen der Unternehmensbewertung bewerten. Ihre Bewertung muss namentlich zwischen den betriebsnotwendigen und den nicht betriebsnotwendigen Vermögensteilen unterscheiden und deren Wert bestimmen (vgl. Art. 630a EZGB). Sie muss zudem die latenten Lasten berücksichtigen.87 Abs. 2: In den Fällen, in denen eine Erbin oder ein Erbe die Zuweisung von Minderheitsbeteiligungen an einem Unternehmen verlangt (namentlich in Anwendung von Art. 617 Abs. 1 Ziff. 2 E-ZGB), muss bei deren Bewertung der allfällige Minderwert aufgrund ihres Minderheitscharakters nicht berücksichtigt werden. Denn diese Beteiligungen werden zu den eigenen Beteiligungen der übernehmenden erbberechtigten 84 85 86

87

PraxKomm Erbrecht-Weibel, Rz. 10 ad Art. 617 m. Hinw.

Guinand/Stettler/Leuba, Rz. 559 S. 270 m. Hinw.

Bericht vom 10. Mai 2017 über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens (Erbrecht), S. 69, abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2016 > EJPD > Vernehmlassung 2014/33.

BGE 125 III 50

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Person geschlagen und räumen ihr entweder die Kontrolle ein oder kommen zu den Beteiligungen hinzu, mit denen sie bereits die Kontrolle hatte. Sie sind für sie somit nicht als Minderheitsbeteiligungen zu betrachten, und ihr Wert ist anteilig zum Wert des Gesamtunternehmens zu bewerten, damit die anderen Erbinnen und Erben nicht benachteiligt werden.

Dieser Absatz gilt sinngemäss auch bei der Übernahme von Minderheitsbeteiligungen durch die Vermächtnisnehmerin oder den Vermächtnisnehmer bzw. die Erbin oder den Erben auf Verlangen einer pflichtteilsberechtigten Person (Art. 522a Abs. 1 Ziff. 2 und Abs. 3 und 4 E-ZGB).

Art. 622

III. Grundstücke

Randtitel: Der Artikel übernimmt die bisherige Regelung von Artikel 618 ZGB, wonach der Anrechnungswert eines Grundstücks durch amtlich bestellte Sachverständige festgelegt wird, wenn sich die Erbinnen und Erben nicht darüber verständigen können. Er wird aufgrund der neuen Systematik der Artikel 616­623 E-ZGB verschoben. Der Randtitel wird entsprechend angepasst.

Im Vergleich zum Wortlaut des geltenden Artikels 618 ZGB werden im französischen Text der Ausdruck «prix d'attribution» durch «valeur d'imputation» und im italienischen Text der Ausdruck «valore d'attribuzione» durch «valore d'imputazione» ersetzt, damit diese Sprachfassungen redaktionell dem deutschen Text und dem Randtitel von Artikel 620 E-ZGB (Art. 617 ZGB) entsprechen. Im deutschen Text wird der Ausdruck «sich verständigen» durch «sich einigen» ersetzt, welcher präziser ist und bereits in den Artikeln 612 Absatz 2 und 613 Absatz 3 ZGB verwendet wird.

Die Festlegung des Anrechnungswerts soll wie heute ausschliesslich für Grundstücke durch amtlich bestellte Sachverständige erfolgen. Im Gegensatz zum Vorentwurf wird die Regelung beibehalten, wonach die für die amtliche Schätzung der Grundstücke zuständige Gerichts- oder Verwaltungsbehörde durch das kantonale Recht bestimmt wird und je nach Kanton ad hoc ernannt wird oder ständig besteht.88 Zu Recht wurde in der Vernehmlassung vorgebracht, dass sich mit der gegenwärtigen Lösung bei Uneinigkeit der Erbinnen und Erben ein langwieriges und kostenintensives Gerichtsverfahren vermeiden lässt und garantiert wird, dass die zuständige kantonale Behörde in einem schlanken Verfahren eine sachverständige Person ernennt, um den Anrechnungswert eines Vermögensgegenstands zu schätzen.89 Die Kantone, die mit diesem System nicht zufrieden sind, können dessen Ausgestaltung anpassen.

Art. 623

F. Landwirtschaftliche Gewerbe und Grundstücke

Dieser Artikel übernimmt Wortlaut, Inhalt und Randtitel von Artikel 619 ZGB. Die Verschiebung erfolgt aufgrund der neuen Systematik der Artikel 616­623 E-ZGB.

Für die erbrechtliche Übernahme und Anrechnung von landwirtschaftlichen Gewerben und Grundstücken gilt unverändert das BGBB.

88 89

CS-Couchepin/Maire, Art. 618 Rz. 6­8.

Bericht vom 26. Februar 2020 über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, S. 40­41, abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2019 > EJPD > Vernehmlassung 2019/22.

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Art. 628 Abs. 1bis (Ausschluss der Einwerfung in Natur bei Unternehmen) Gemäss dem geltenden Artikel 628 Absatz 1 ZGB hat die zur Ausgleichung verpflichtete Person, d. h. die Person, die im Erbgang bestimmte lebzeitige Zuwendungen der Erblasserin oder des Erblassers ausgleichen muss (Erbvorbezug),90 die Wahl zwischen zwei Ausgleichungsarten: der Naturalausgleichung und der Anrechnung des Werts an ihren Erbanteil.91 Artikel 628 Absatz 2 ZGB enthält einen Vorbehalt bezüglich abweichender Anordnungen der Erblasserin oder des Erblassers und der Ansprüche auf Herabsetzung der Zuwendungen.

Zu diesen zwei Vorbehalten wird im neuen Absatz 3 ein weiterer Vorbehalt hinzugefügt: Ohne Zustimmung der übrigen Erbinnen und Erben ­ wobei diese Zustimmung nach dem Erbgang erfolgen muss, da Verträge zwischen Erbinnen und Erben über eine noch nicht angefallene Erbschaft (ohne Zustimmung der Erblasser/innen) unverbindlich sind (Art. 636 ZGB) ­ kann die Erbin oder der Erbe, die oder der ein Unternehmen im Sinne von Artikel 616 E-ZGB oder Beteiligungen an einem solchen Unternehmen als Zuwendung erhalten hat, diese nicht in Natur einwerfen. Diese Bestimmung hat folglich zum Ziel, die anderen Erbinnen und Erben vor einer unfreiwilligen Naturalausgleichung zu schützen. Hat die Person, die ein Unternehmen oder Beteiligungen an einem Unternehmen übernommen hat, die Übertragung durch lebzeitige Zuwendung der Erblasserin oder des Erblassers und somit das damit verbundene, vor allem unternehmerische Risiko akzeptiert, so ist es gerechtfertigt, ihre Möglichkeiten einzuschränken, das Unternehmen oder die Beteiligungen in Natur einzuwerfen, um der gesetzlichen Ausgleichungspflicht nachzukommen.

Der Schutz der Ansprüche der anderen Erbinnen und Erben tritt jedoch hinter den notwendigen Schutz des Pflichtteils der pflichtteilsberechtigten Erbinnen und Erben im Sinne von Artikel 522a Absatz 3 E-ZGB zurück. Wenn die Erbschaft Minderheitsbeteiligungen umfasst und die Erblasserin oder der Erblasser, nachdem sie oder er die Kontrolle über das Unternehmen ausgeübt hatte, zu Lebzeiten einer erbberechtigten Person Beteiligungen zugewendet hat, kann diese, wenn sie zur Zeit der Eröffnung des Erbgangs die Kontrolle ausübt, demnach auf Verlangen einer pflichtteilsberechtigten Person die erhaltenen Beteiligungen, die ihr bei Eröffnung des
Erbgangs noch gehören, in Natur einwerfen. Dies gilt selbst dann, wenn sie zur Ausgleichung verpflichtet ist. Artikel 522a Absatz 3 E-ZGB hat Vorrang vor Artikel 618 E-ZGB. Damit ist eine Einwerfung zulässig, die einer Ausgleichung in Natur gleichkommt, mit dem Ziel, die Zusammenführung der Mehrheits- und der Minderheitsbeteiligungen in einer Hand zu erleichtern und so die Ansprüche der Pflichtteilsberechtigten besser zu schützen.

Art. 630

III. Ausgleichungswert. 1. Im Allgemeinen

Randtitel: Artikel 630 ZGB regelt die Berechnung des Werts der auszugleichenden Zuwendungen. Der Inhalt des Artikels bleibt unverändert. Nur der Randtitel wird mit einer Ziffer 1 «Im Allgemeinen» ergänzt, um anzuzeigen, dass er die allgemeine

90 91

Guinand/Stettler/Leuba, Rz. 200.

CS-Eigenmann, Art. 628 Rz. 1.

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Regel festlegt, während der neue Artikel 630a E-ZGB spezifisch die Berechnung des Ausgleichungswerts von Unternehmen behandelt.

Art. 630a

2. Unternehmen

Randtitel: Dieser neue Artikel regelt die Berechnung der Zuwendungen, die ein Unternehmen im Sinne von Artikel 616 E-ZGB oder Beteiligungen an einem solchen Unternehmen betreffen, wenn die Zuwendungen auszugleichen sind. Die Artikel 633a VE-ZGB (zur Ausgleichung eines ganzen Unternehmens) und 633b VE-ZGB (zur Ausgleichung von Beteiligungen an einem Unternehmen) werden übernommen und zusammengefasst.

Absatz 1: Entgegen Artikel 630 Absatz 1 ZGB, wonach die Ausgleichung durch Anrechnung zum Wert der Zuwendungen im Zeitpunkt der Eröffnung des Erbgangs erfolgt, und Artikel 617 ZGB, der in Artikel 620 E-ZGB übernommen wird und wonach für die Einwerfung in Natur der Wert im Zeitpunkt der Teilung massgebend ist,92 führt der neue Artikel für die Ausgleichung im Zusammenhang mit Unternehmen eine abweichende Regelung ein.

Besteht in Bezug auf ein Unternehmen oder Beteiligungen an einem Unternehmen eine Ausgleichungspflicht, so wird zunächst unterschieden zwischen seinen betriebsnotwendigen Vermögensteilen und den Vermögensteilen, die für seinen Betrieb nicht notwendig sind. Erstere werden gemäss dem neuen Artikel 630a Absatz 1 E-ZGB zu ihrem Wert im Zeitpunkt der Zuwendung angerechnet (Ziff. 1), d. h. zum Wert im Zeitpunkt, in dem das Eigentum an diesen Vermögensteilen auf die übernehmende erbberechtigte Person übergegangen ist, oder im Zeitpunkt, in dem die Person die Kontrolle über das Unternehmen erlangt hat (Ziff. 2). Die nicht betriebsnotwendigen Vermögensteile, wie z. B. ein wertvolles Bild oder ein ungenutztes Baugrundstück, das sich im Eigentum einer Gesellschaft befindet, werden weiterhin gestützt auf Artikel 630 ZGB zu ihrem Wert zur Zeit des Erbgangs angerechnet. Der ausschlaggebende Zeitpunkt für die Festlegung des bei der Teilung berücksichtigten Werts ist somit unterschiedlich, je nachdem, ob die Vermögensteile für den Betrieb des Unternehmens notwendig sind oder nicht. Ein allfälliger Mehrwert der nicht betriebsnotwendigen Vermögensteile kommt so auch den anderen Erbinnen und Erben zugute.

Denn es ist nicht gerechtfertigt, solche Güter unterschiedlich zu bewerten, je nachdem, ob die Erblasserin oder der Erblasser sie direkt hielt oder über ein Unternehmen. Mit dieser Unterscheidung wird das unternehmerische Risiko berücksichtigt, das die übernehmende Person trägt: Da diese in ihrer Eigenschaft
als Unternehmerin die Entscheidungen im Hinblick auf die ordnungsgemässe Geschäftsführung allein treffen kann, ist es gerechtfertigt, sie auch unmittelbar an den Gewinnen und Verlusten teilhaben zu lassen. Denn die Wertentwicklung dieser Vermögensteile ist in der Regel die Folge ihrer eigenen Entscheidungen. Wie jede Unternehmerin und jeder Unternehmer muss sie auch die Risiken tragen, die sich aus der Konjunktur oder aus anderen Faktoren ergeben.

92

Leuba, S. 27 und Fn. 82.

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Die Wahl der Unternehmensbewertungsmethode ist der Praxis überlassen, welche am besten dazu geeignet ist, ausgewogene und dem Einzelfall gerecht werdende Lösungen zu finden. Jedoch ist zu erwähnen, dass ­ wie es namentlich oft in der (von der Revision nicht betroffenen) Landwirtschaft vorkommt ­ der Fortführungswert tiefer als der Liquidationswert sein kann, insbesondere bei Unternehmen mit tiefer Rentabilität. Das könnte in der Unternehmensbewertung mit dem Ziel der Erhaltung von wenig oder nicht rentablen Unternehmen allenfalls mehr als heute93 berücksichtigt werden, wäre jedoch zum Nachteil der Rechte der pflichtteilsberechtigten Erbinnen und Erben.

Ziff. 1: Die betriebsnotwendigen Vermögensteile werden im Falle einer Ausgleichung zu ihrem Wert im Zeitpunkt der Zuwendung angerechnet, wenn die Erbin oder der Erbe die Kontrolle über das Unternehmen ausübt (siehe Erläuterungen zu Art. 616 Abs. 3 E-ZGB; folglich hat sie oder er ab diesem Zeitpunkt Nutzen und Gefahr des Unternehmens zu tragen). Dies ist der Fall, wenn die Zuwendung: 1)

ein Unternehmen als Ganzes betrifft;

2)

Beteiligungen betrifft, die der Erbin oder dem Erben für sich genommen (wenn sie beispielsweise mehr als 50 % der Beteiligungen entsprechen oder wenn sie es aufgrund der Statuten ermöglichen, einen beherrschenden Einfluss auszuüben) die Kontrolle über das Unternehmen einräumen oder zusammen mit denjenigen, die sie oder er bereits zuvor besass, verschaffen;

3)

Beteiligungen an einem Unternehmen betrifft, über das die Erbin oder der Erbe im Zeitpunkt der Zuwendung bereits die Kontrolle ausübte.

Ziff. 2: Die betriebsnotwendigen Vermögensteile des Unternehmens werden hingegen für alle Zuwendungen von Beteiligungen am Unternehmen, die vor der Kontrollübernahme durch die Erbin oder den Erben zugewendet wurden, zur ihrem Wert im Zeitpunkt der Kontrollübernahme durch die Erbin oder den Erben angerechnet.

Der Wertgewinn oder -verlust dieser Beteiligungen vom Zeitpunkt der Zuwendung bis zur Übernahme der Kontrolle über das Unternehmen durch die zuwendungsberechtigte Person ist nicht das Ergebnis ihrer eigenen Führung des Unternehmens, sondern der Führung der Erblasserin oder des Erblassers oder der Person, die die Kontrolle über das Unternehmen hatte. Er muss folglich allen Erbinnen und Erben zugutekommen oder von allen getragen werden.

Der Wert von Beteiligungen an einem Unternehmen, die eine erbberechtigte Person entgeltlich erworben hat, muss nicht an ihren Erbanteil angerechnet werden.

Beispiel 1: X, Erbe von A, kauft am 1. Januar 2021 zum Marktpreis 10 Prozent der Aktien des Unternehmens A AG, das ausschliesslich betriebsnotwendige Vermögensteile beinhaltet, im Wert von 100 000 Franken. Am 1. Januar 2025 schenkt A dem Erben X als Erbvorbezug 30 Prozent der Aktien der A AG. In diesem Zeitpunkt haben diese Aktien einen Wert von 330 000 Franken. Das Unternehmen hat zu diesem Zeitpunkt einen Wert von 1 100 000 Franken. Am 1. Januar 2028 schenkt A dem Erben X 93

Das Bundesgericht scheint aktuell den Liquidationswert als Wertuntergrenze für die Unternehmensbewertung zu betrachten (BGE 136 III 209). Dies schützt die Miterbinnen und Miterben gegen eine Unterbewertung ihrer Erbrechte.

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ebenfalls als Erbvorbezug weitere 15 Prozent der Aktien, deren Wert zu diesem Zeitpunkt 195 000 Franken beträgt. Mit insgesamt 55 Prozent der Aktien erlangt X somit in diesem Zeitpunkt die Kontrolle über das Unternehmen. Das Unternehmen hat nun einen Gesamtwert von 1 300 000 Franken. Anschliessend erhält X am 1. Januar 2031 von A noch die restlichen 45 Prozent der Aktien der A AG im Wert von 700 000 Franken als Erbvorbezug (das Unternehmen hat in diesem Zeitpunkt einen Wert von 1 555 555 Fr.). Beim Tod von A am 1. Juli 2035 beträgt der Wert des Unternehmens 2 000 000 Franken, ohne dass eine Aktienkapitalerhöhung vorgenommen wurde. X muss die lebzeitigen Zuwendungen, die er als Erbvorbezug erhalten hat, dem Wert nach zur Ausgleichung bringen (Art. 626 ZGB). Er muss somit den Wert von 90 Prozent (30 % + 15 % + 45 %) des Unternehmens ausgleichen. In Anwendung von Artikel 630a Absatz 1 Ziffer 2 E-ZGB sind alle Beteiligungen, die ihm vor der Übernahme der Kontrolle zugewendet worden sind, zum Wert im Zeitpunkt der Übernahme der Kontrolle über das Unternehmen am 1. Januar 2028 anzurechnen. Zu diesem Zeitpunkt verfügt er über Beteiligungen im Umfang von 55 Prozent (10 % gekauft am 1.

Januar 2021, 30 % erhalten am 1. Januar 2025 und 15 % erhalten am 1. Januar 2028), von denen er 45 Prozent als Erbvorbezug erhalten hat. Diese Beteiligungen haben einen Gesamtwert von 585 000 Franken (45 % x 1 300 000 Fr.). Sie werden ihm somit mit 585 000 Franken angerechnet. Die übrigen Aktien, die er nach Übernahme der Kontrolle als Erbvorbezug erhalten hat, werden ihm in Anwendung von Artikel 630a Absatz 1 Ziffer 1 E-ZGB zum Wert im Zeitpunkt der Zuwendung am 1. Januar 2031, d. h. mit 700 000 Franken, angerechnet. Insgesamt wird X somit der Wert von 1 285 000 Franken an seinen Erbteil angerechnet.

Wenn die Werte im Zeitpunkt der Kontrollübernahme und der Zuwendung nicht nachgewiesen werden könnten, würde der Wert zur Zeit der Eröffnung des Erbganges angerechnet (Abs. 3). Dem Erben würden somit 1 800 000 Franken (2 000 000 Fr. ­ 10 % gekauft) angerechnet, d. h. eine Differenz von 515 000 Franken (1 800 000 ­ 1 285 000 Fr.) zu seinen Ungunsten, obschon er durch seine gute Geschäftsführung zu diesem Mehrwert beigetragen hat.

Beispiel 2: Dieselbe Ausgangslage, doch die A AG ist Eigentümerin einer nicht betriebsnotwendigen
Parzelle Bauland, die 10 Prozent des Unternehmenswerts entspricht und deren Wert vermutlich mit der Zeit im selben Verhältnis wie der Wert des Unternehmens gestiegen ist. Der Wert der Parzelle ist somit von 100 000 Franken am 1. Januar 2021 auf 200 000 Franken am 1. Juli 2035, dem Todestag des Erblassers, gestiegen. X muss die lebzeitigen Zuwendungen, die er als Erbvorbezug erhalten hat, dem Wert nach zur Ausgleichung bringen (Art. 626 ZGB).

Die Ausgleichung der Zuwendungen, die die Parzelle betreffen, erfolgt gemäss deren Wert zur Zeit der Eröffnung des Erbgangs (Art. 630 Abs. 1 ZGB). Zu diesem Zweck muss X folglich 180 000 Franken ausgleichen, d. h. 200 000 abzüglich 20 000 Franken (Anteil von 10 %, die X gekauft hat).

Für den Rest, d. h. die betriebsnotwendigen Vermögensteile, erfolgt die Berechnung wie in Beispiel 1, indem bei der Berechnung der Wert der Parzelle abgezogen wird.

X muss nach Abzug des Werts der Parzelle somit den Wert von 90 Prozent (30 % + 15 % + 45 %) des Unternehmens ausgleichen. In Anwendung von Artikel 630a Absatz 1 Ziffer 2 E-ZGB sind alle Beteiligungen, die ihm vor der Übernahme der Kontrolle zugewendet worden sind, zum Wert im Zeitpunkt der Übernahme der Kontrolle 41 / 50

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über das Unternehmen am 1. Januar 2028 anzurechnen. Zu diesem Zeitpunkt verfügt er über Beteiligungen im Umfang von 55 Prozent (10 % gekauft am 1. Januar 2021, 30 % erhalten am 1. Januar 2025 und 15 % erhalten am 1. Januar 2028), von denen er 45 Prozent als Erbvorbezug erhalten hat. Diese erhaltenen Beteiligungen haben einen Gesamtwert von 585 000 Franken (45 % x 1 300 000 Fr.). Nach Abzug des Werts der Parzelle zu diesem Zeitpunkt (die Parzelle wird separat angerechnet, da sie nicht betriebsnotwendig ist; 10 % gekauft), d. h. von 130 000 Franken (10 % x 1 300 000 Fr.), werden sie ihm folglich mit 526 500 Franken (45 % x [1 300 000 ­ 130 000 Fr.]) angerechnet. Der Saldo der nach Übernahme der Kontrolle als Erbvorbezug erhaltenen Aktien wird ihm zum Wert im Zeitpunkt der Zuwendung am 1. Januar 2031 angerechnet. Diese Beteiligungen haben einen Gesamtwert von 700 000 Franken (45 % x 1 555 555 Fr.). Nach Abzug des Werts der Parzelle zu diesem Zeitpunkt, d. h. von 155 555 Franken (10 % x 1 555 555 Fr.) werden sie ihm folglich in Anwendung von Artikel 630a Absatz 1 Ziffer 1 E-ZGB mit 630 000 Franken (45 % x [1 555 555 ­ 155 555 Fr.]) angerechnet.

Insgesamt wird X somit der Wert von 1 336 500 Franken (180 000 + 526 500 + 630 000 Fr.) an seinen Erbteil angerechnet. Dieser Betrag ist höher als derjenige in Beispiel 1 (1 285 000 Fr.), da die Miterbinnen und Miterben vom höheren Wert der Parzelle profitieren.

Abs. 2: Die Anrechnung der betriebsnotwendigen Vermögensteile des Unternehmens zum Wert im Zeitpunkt der Zuwendung (Abs. 1 Ziff. 1) oder im Zeitpunkt der Übernahme der Kontrolle über das Unternehmen durch die Erbin oder den Erben (Abs. 1 Ziff. 2) ist ausschliesslich unter bestimmten Voraussetzungen möglich:

94

­

Der Wert des Unternehmens muss zum betreffenden Zeitpunkt nach anerkannten Grundsätzen bewertet worden sein. In der Bewertung muss zwischen den betriebsnotwendigen und den nicht betriebsnotwendigen Vermögensteilen unterschieden werden und die üblichen Belege müssen beigelegt sein. Anhand dieser Belege muss der Wert des Unternehmens sowie der auszugleichenden Zuwendungen im massgebenden Zeitpunkt mit Gewissheit festgelegt werden können.

­

Der Nachweis des Werts der Zuwendung muss von der erbberechtigten Person erbracht werden, die sich auf die Bestimmung beruft. Andernfalls gelangt Artikel 630 ZGB zur Anwendung und die Vermögensteile werden zu ihrem Wert bei Eröffnung des Erbgangs, d. h. am Todestag, angerechnet (Abs. 3).94 So hat die übernehmende erbberechtigte Person ein Interesse daran, diesen Nachweis zu erbringen, falls der Wert zwischen der Zuwendung und dem Todestag gestiegen ist, damit ihr der Mehrwert allein zugutekommt. Die anderen Erbinnen und Erben werden demgegenüber ein Interesse daran haben, den Nachweis bei einem Wertverlust zu erbringen, damit sie diesen nicht tragen müssen.

­

Zum Schutz der anderen Erbinnen und Erben im Fall eines Wertverlusts muss die Übergabe der Unternehmensbewertung unwiderruflich sein. Andernfalls

CS-Eigenmann, Art. 630 Rz. 1.

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könnte die übernehmende Person die Rückgabe der Bewertung verlangen, damit sie den Unternehmensverlust nicht allein tragen muss, sondern mit den anderen Erbinnen und Erben teilen kann; sie könnte diese so daran hindern, den Wert des Unternehmens im Zeitpunkt der Zuwendung oder der Kontrollübernahme und folglich den Verlust nachzuweisen.

­

Die Unternehmensbewertung und die entsprechenden Belege sind bei der Behörde zu hinterlegen, die von den Kantonen bereits für die Aufbewahrung der Testamente bestimmt wurde (Art. 504 und 505 Abs. 2 ZGB). So kann an eine bestehende und bewährte Struktur angeknüpft werden. Es handelt sich um die Behörde, die im Zeitpunkt der Zuwendung zuständig ist, d. h. die Behörde am seinerzeitigen Wohnsitz der Erblasserin oder des Erblassers. Die Behörde hat die Aufgabe, die Dokumente aufzubewahren und sie beim Tod der Erblasserin oder des Erblassers den Pflichtteilsberechtigten zu übergeben. Falls die Erblasserin oder der Erblasser den Wohnsitz gewechselt und die Behörde keine Kenntnis von ihrem bzw. seinem Tod erlangt hat, können sich die Pflichtteilsberechtigten selbst an die Behörde wenden, damit sie die Dokumente erhalten.

Die Dokumente müssen von der Erblasserin oder dem Erblasser bzw. von der Empfängerin oder dem Empfänger der Zuwendung innert eines Jahres seit der Zuwendung (Abs. 1 Ziff. 1) oder der Kontrollübernahme (Abs. 1 Ziff. 2) übergeben worden sein.

Eine Unternehmensbewertung kann auch dann übergeben werden, wenn das Unternehmen von der Erblasserin oder dem Erblasser zum Marktwert erworben wurde. So kann die Unternehmensnachfolgerin oder der Unternehmensnachfolger beim Tod der Erblasserin oder des Erblassers den Nachweis erbringen, dass keine Zuwendung vorliegt.

Für die Nachfolgerin oder den Nachfolger bedeutet die Pflicht, das Unternehmen bewerten zu lassen und die Bewertung einer Behörde zu übergeben, damit sie oder er allein von einem künftigen Mehrwert profitieren kann, einen zusätzlichen Aufwand.

Dieser könnte sie oder ihn dazu bewegen, auf die Übernahme des Unternehmens zu verzichten. Denn der Schritt birgt für sie oder ihn auch die Gefahr, künftige Wertverluste allein tragen zu müssen. Das ist jedoch Teil des unternehmerischen Risikos.

Wenn sie oder er die erforderlichen Dokumente nicht übergibt, wird ein künftiger Wertgewinn oder -verlust mit den anderen Erbinnen und Erben geteilt. Damit die Ansprüche der anderen Erbinnen und Erben gewahrt sind, ist es unerlässlich, die Übergabe der Bewertung und der Belege zu verlangen. Denn sonst würde nur die übernehmende erbberechtigte Person über die Beweismittel verfügen, die sie nach Belieben je nach ihrem persönlichen Interesse verwenden oder verheimlichen könnte.

Abs. 3: Der Klarheit halber wird präzisiert, dass die Ausgleichung gemäss der allgemeinen Regelung in Artikel 630 ZGB nach dem Wert zur Zeit der Eröffnung des Erbganges erfolgt, wenn der Wert der betriebsnotwendigen Vermögensteile (Abs. 1) nicht nachgewiesen werden kann. Der Wert zur Zeit der Eröffnung des Erbganges ist im Übrigen auch für die nicht betriebsnotwendigen Vermögensteile ausschlaggebend.

Art. 16a SchlT III. Unternehmensnachfolge Dieser Artikel gilt ausschliesslich für Zuwendungen eines Unternehmens oder von Beteiligungen an einem Unternehmen, die vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts 43 / 50

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erfolgt sind. Damit wird sichergestellt, dass bei der künftigen Erbteilung der Anrechnungswert im Zeitpunkt der Zuwendung oder der Kontrollübernahme berücksichtigt wird (Art. 630a Abs. 1 E-ZGB) ­ vorausgesetzt, dass zu diesem Zeitpunkt eine Unternehmensbewertung durchgeführt wurde. Die übernehmende Person muss zu diesem Zweck die Voraussetzungen nach Artikel 630a Absatz 2 E-ZGB erfüllen; sie wird die Unternehmensbewertung, die im Zeitpunkt nach Artikel 630a Absatz 2 E-ZGB durchgeführt wurde, aber innert eines Jahres ab dem Inkrafttreten des neuen Rechts übergeben können. So können Unternehmerinnen und Unternehmer, die ein Unternehmen oder Beteiligungen an einem Unternehmen vor Inkrafttreten der Revision übernommen haben, hinsichtlich des künftigen Anrechnungswerts von den Vorteilen der Revision profitieren.

5.2

Zivilprozessordnung

Art. 249 Bst. c Ziff. 4 und 5 In zwei neuen Fällen der erbrechtlichen Unternehmensnachfolge soll das summarische Verfahren gelten, damit allfällige Streitigkeiten im Rahmen eines summarischen Verfahrens ausserhalb eines Erbteilungsverfahrens beigelegt werden können. Die beiden neuen Fälle ergänzen die Liste der Angelegenheiten nach dem Zivilgesetzbuch, für welche das summarische Verfahren für erbrechtliche Angelegenheiten gilt (Art. 249 Bst. c ZPO).

Ziff. 4: Pflichtteilsberechtigte Erbinnen und Erben, die ihren Pflichtteil dem Werte nach nicht anderweitig erhalten haben oder erhalten, können es ablehnen, dass ihnen unter Anrechnung an ihren Pflichtteil Minderheitsbeteiligungen zugewiesen werden.

Sie können vom Gericht im summarischen Verfahren stattdessen die Anordnung der Veräusserung des Unternehmens oder der Minderheitsbeteiligungen verlangen, wenn nicht Miterbinnen und Miterben die Zuweisung des Unternehmens oder der Beteiligungen verlangen (Art. 618 E-ZGB).

Ziff. 5: Können sich die Erbinnen und Erben bei der Teilung nicht über den Anrechnungswert eines Unternehmens oder von Beteiligungen an einem Unternehmen einigen, so kann jede Erbin und jeder Erbe bei Gericht im summarischen Verfahren beantragen, dass es eine sachverständige Person zur Schätzung des Werts bestellt (Art. 621 E-ZGB).

6

Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund

Die Revision des Erbrechts hat keine finanziellen, personellen oder anderen Auswirkungen auf den Bund.

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6.2

Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden

Die vorgesehenen Änderungen haben nur wenige direkte Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden.

Die erwarteten Vorteile für die Volkswirtschaft (siehe Ziff. 6.3) könnten sich steuerlich leicht positiv auf die Sitzkantone und -gemeinden von Unternehmen auswirken, die Teil eines Nachlasses bilden; dies gilt sowohl für die Unternehmenssteuer als auch für die Einkommenssteuer der Angestellten dieser Unternehmen. Es werden hingegen keine Auswirkungen hinsichtlich der Erbschafts- und Schenkungssteuern erwartet.

Denn Schenkungen, einschliesslich solcher, die Unternehmen betreffen, werden grundsätzlich zum Zeitpunkt der Zuwendung besteuert und nicht zum Zeitpunkt des Erbgangs. Ausserdem sind Schenkungen und Erbschaften zwischen Verwandten in gerader (aufsteigender und absteigender) Linie und zwischen Eheleuten in den meisten Kantonen steuerfrei.

Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass sich die vorliegende Revision finanziell beschränkt, aber eher positiv auf die Kantone und Gemeinden auswirken wird.

6.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Das vom Bundesamt für Justiz bei der Universität St. Gallen (Schweizerisches Institut für KMU und Unternehmertum, KMU-HSG)95 in Auftrag gegebene Gutachten zu den volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Revision (Regulierungsfolgenabschätzung) bewertet die drei zentralen Massnahmen, die für eine Erleichterung der Unternehmensnachfolge vorgeschlagen werden: die Reduktion der Pflichtteile (bereits mit der Revision des Erbrechts vom 18. Dezember 2020 umgesetzt), die Möglichkeit der Stundung der Ausgleichungsverpflichtungen sowie die Bewertung des Unternehmens zum Zeitpunkt der Zuwendung. Im Rahmen des Gutachtens konnten die Wirkungen dieser Massnahmen allerdings nur qualitativ bewertet und grob quantifiziert werden.

Das Gutachten kommt zum Ergebnis, dass die Massnahmen den Handlungsspielraum der Erblasserin oder des Erblassers bzw. der Unternehmensnachfolgerin oder des Unternehmensnachfolgers erhöhen und daher positive Effekte auf familieninterne Nachfolgeprozesse haben werden. Die vorgeschlagenen Regelungen ermöglichen eine stärkere Konzentration des Eigentums am Unternehmen bei einer einzigen Nachfolgerin oder einem einzigen Nachfolger, was aus ökonomischer Sicht sinnvoll erscheint, da dadurch Fehlanreize und sogenannte Agency-Probleme vermieden werden können.

Bei Letzteren handelt es sich um Probleme, die sich aufgrund der asymmetrischen Informationsverteilung zwischen dem Auftraggeber (Prinzipal) und dem Auftragnehmer (Agent) ergeben. Die Stundung von Ausgleichungsverpflichtungen und die Bewertung des Unternehmens zum Zeitpunkt der Zuwendung erleichtern die Unternehmensnachfolge vor allem aus der Sicht der Nachfolgerin oder des Nachfolgers.

Übernahmeprozesse und Ausgleichungsverpflichtungen werden besser planbar und 95

Das Gutachten ist abrufbar unter: www.bj.admin.ch > Gesellschaft > Laufende Rechtsetzungsprojekte > Erbrecht > Gutachten.

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das Unternehmen kann besser für die Erwirtschaftung allfälliger verbleibender Ausgleichungszahlungen genutzt werden. Zudem werden auch hier Fehlanreize vermieden. Das Gutachten kommt zum Schluss, dass sich indirekt positive Wachstumseffekte einstellen werden, die sich allerdings nicht quantifizieren lassen.

Zusammenfassend kommt das Gutachten damit zum klaren Ergebnis, dass die vorgeschlagenen Massnahmen zur Lösung zentraler Probleme bei der familieninternen Unternehmensnachfolge beitragen und den Handlungsspielraum der Erblasserin oder des Erblassers erhöhen. Dies mit der Folge, dass dadurch positive Effekte auf die familieninternen Nachfolgeprozesse zu erwarten sind. Daraus versprechen sich die Autoren unmittelbare positive volkswirtschaftliche Wachstumseffekte, da Investitionen in höherem Masse dann getätigt werden können, wenn es ökonomisch sinnvoll ist, und nicht aufgrund einer bevorstehenden oder gerade absolvierten familieninternen Unternehmensnachfolge eingeschränkt werden müssen. Schliesslich halten die Autoren fest, dass die drei diskutierten Massnahmen zu einer höheren Stabilität von Unternehmen und damit zu einer Sicherung von Arbeitsplätzen beitragen würden.96

6.4

Auswirkungen auf die Gesellschaft

Mit der vorliegenden Revision wird im Erbrecht der Tatsache Rechnung getragen, dass der Fortbestand der Unternehmen für die Volkswirtschaft und für die Gesellschaft im Allgemeinen sowie für die Unternehmerinnen und Unternehmer im Besonderen von grosser Bedeutung ist. Zudem geht es auch darum, den Anstrengungen der Unternehmerinnen und Unternehmer beim Aufbau oder bei der Führung ihres Unternehmens eine gewisse Anerkennung zu geben, indem deren mutmasslicher Wille berücksichtigt wird, das Unternehmen dank geeigneten erbrechtlichen Vorschriften im Idealfall den Erbinnen und Erben zu Bedingungen übergeben zu können, die eine Fortführung der Unternehmenstätigkeit ermöglichen. Im Übrigen werden die wesentlichen Grundsätze und Ziele des schweizerischen Erbrechts beibehalten: die Sicherung des Friedens zwischen den Generationen, die Erhaltung der geschaffenen Werte über den Tod hinaus und die Durchführung eines gerechten und wirtschaftlich sinnvollen Verteilungsplanes der von der Erblasserin oder dem Erblasser hinterlassenen Werte.97

6.5

Auswirkungen auf die Gleichstellung von Mann und Frau

Frauen und Männer werden in der Vorlage formell gleichbehandelt. Gesellschaftliche Faktoren wie die Tatsache, dass in der Schweiz statistisch gesehen möglicherweise mehr Männer als Frauen an der Spitze von Unternehmen stehen, könnten in der Praxis allerdings bewirken, dass Frauen und Männer von den Vorschlägen des Entwurfs unterschiedlich betroffen sind. Die Mechanismen, die vorgeschlagen werden, um die eingeschränkte Gleichbehandlung der Erbinnen und Erben zu begrenzen (siehe die 96 97

Bergmann/Halter/Zellweger, S. 5 f. sowie 31.

Huber 1914, Ziff. 822.

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Erläuterungen zu Art. 619 Abs. 2 und 3 E-ZGB), werden jedoch allfällige Ungleichheiten, welche die Revision mit sich bringt, weitgehend begrenzen.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

Die beantragte Revision stützt sich auf Artikel 122 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)98, der dem Bund die Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Zivilrechts überträgt.

7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Schweiz ist an keine internationale Verpflichtung gebunden, die ihren Handlungsspielraum auf dem Gebiet des innerstaatlichen Erbrechts einschränkt. Der Entwurf ist somit in Übereinstimmung mit den völkerrechtlichen Normen, welche für die Schweiz verbindlich sind, namentlich mit den Verpflichtungen, die aus der Mitgliedschaft in einer internationalen Organisation und aus bilateralen und multilateralen völkerrechtlichen Verträgen resultieren.

7.3

Erlassform

Die Änderung des Zivilgesetzbuchs, das grundlegende Bestimmungen über die Rechte und Pflichten von Personen behandelt, ist in Form eines Bundesgesetzes zu erlassen (Art. 164 Abs. 1 Bst. c BV).

7.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Die Vorlage untersteht nicht der Ausgabenbremse nach Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV, da sie weder Subventionsbestimmungen noch die Grundlage für die Schaffung eines Verpflichtungskredits oder Zahlungsrahmens enthält.

7.5

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Mit der Vorlage werden keine neuen Rechtsetzungsbefugnisse an den Bundesrat delegiert.

98

SR 101

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7.6

Datenschutz

Die Vorlage betrifft keine Fragen im Zusammenhang mit dem Datenschutz.

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