BBl 2022 www.bundesrecht.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

22.035 Botschaft zum Bundesgesetz über die Tonnagesteuer auf Seeschiffen vom 4. Mai 2022

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf des Bundesgesetzes über die Tonnagesteuer auf Seeschiffen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

4. Mai 2022

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ignazio Cassis Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2022-1394

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Übersicht Die Tonnagesteuer ist ein Förderinstrument für die Seeschifffahrt. Sie ist international breit akzeptiert und insbesondere in der Europäischen Union (EU) weit verbreitet. Bei rentablen Seeschifffahrtsunternehmen führt sie zu einer vergleichsweise tiefen Steuerbelastung. Indem die Vorlage gleich lange Spiesse mit dem Ausland schafft, stellt sie die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Schweiz sicher.

Ausgangslage Im Rahmen der Beratungen zur Unternehmenssteuerreform III hatte das Parlament 2016 einen Entwurf an den Bundesrat zurückgewiesen mit dem Auftrag, die Verfassungsgrundlage für eine Tonnagesteuer zu prüfen, die Formulierung der Gesetzesbestimmungen zu überarbeiten und anschliessend eine Vernehmlassung zum Vorentwurf durchzuführen. Mit der 2021 durchgeführten Vernehmlassung zur Einführung eines Bundesgesetzes über die Tonnagesteuer nahm der Bundesrat das genannte parlamentarische Anliegen auf.

Die Rückmeldungen zum Vorentwurf waren bis auf wenige Ausnahmen positiv. Die überwiegende Mehrheit der Kantone, der bürgerlichen Parteien wie auch der gesamtschweizerischen Dachverbände der Wirtschaft und der übrigen Organisationen sprach sich für die Aufnahme dieses Instruments in das Schweizer Steuerrecht aus. Die befürwortenden Kreise betonten namentlich, dass der Anwendungsbereich für die Schweizer Tonnagesteuer noch gezielter an den Gestaltungsspielraum der EU-Leitlinien und der EU-Entscheidpraxis (Genehmigung der Tonnagesteuerregelungen durch die Europäische Kommission) anzupassen sei.

Die Tonnagesteuer ist ein international gebräuchliches Förderinstrument in der Seeschifffahrt. Unter anderem 21 EU-Mitgliedstaaten kennen inzwischen eine solche Regelung. Die Einführung der Tonnagesteuer im Schweizer Steuerrecht ist ein gezieltes Mittel, um im internationalen Wettbewerb um die Gunst der Seeschifffahrtsunternehmen gleich lange Spiesse zu schaffen und damit die Attraktivität des Standorts Schweiz sicherzustellen.

Inhalt der Vorlage Bei der Tonnagesteuer handelt es sich um eine alternative Methode zur Ermittlung der Gewinnsteuer. Bemessungsgrundlage ist nicht der tatsächlich erwirtschaftete Gewinn oder Verlust, sondern die pauschal mit einem gestaffelten Tarif multiplizierte Nettoraumzahl (Ladekapazität des Seeschiffs). Der so ermittelte Betrag wird anschliessend mit der Anzahl Betriebstage
multipliziert und zum ordentlichen Gewinnsteuersatz besteuert.

Die Tonnagesteuer ist freiwillig. Die Wahl erfolgt für jedes Seeschiff separat für die Dauer von zehn Jahren. Wer vor Ablauf von zehn Jahren zur ordentlichen Bemessung zurückkehrt, kann die Tonnagesteuer erst im sechsten Jahr nach dem Ausstieg wieder beantragen. Dadurch lassen sich Steuerplanungsmöglichkeiten begrenzen.

Die Vorlage lehnt sich in zentralen Bereichen an die bestehenden Regelungen in der EU an. Dies betrifft vor allem den Verwendungszweck der tonnagebesteuerten Schiffe 2 / 44

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und die Festlegung der Staffeltarife anhand der EU-Mediane zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage. Im Vergleich zum Vorentwurf sind in spezifischen Bereichen Nachbesserungen erfolgt, um sicherzustellen, dass die Schweizer Regelung nicht unattraktiver ist als die europäischen Regelungen. So wird der Anwendungsbereich der Schweizer Tonnagesteuer auf Schiffsmanagementtätigkeiten ausgeweitet. Schiffsmanagementgesellschaften erbringen unterschiedliche Dienstleistungen für eine Reederei. Dies kann in Form der Wartung und Überprüfung der Sicherheit des Seeschiffs im Bereich des technischen Managements erfolgen oder mittels Einstellung und Ausbildung von Seeleuten im Bereich des Besatzungsmanagements. EU-Kompatibilität ist gewährleistet.

Zudem war bisher vorgesehen, die Bareboat-Charter nicht der Tonnagesteuer zu unterstellen. Obwohl diese mit der blossen Vermietung des Seeschiffs ohne Ausrüstung und Mannschaft einem Leasing gleichkommt, fällt auch sie unter EU-Tonnagesteuerregelungen jüngeren Datums, wenn bestimmte Bedingungen eingehalten werden. Für die Schweizer Tonnagesteuer sollen diesbezüglich keine höheren Hürden gelten als im EU-Raum.

Damit die Schweizer Tonnagesteuer überhaupt zur Anwendung kommen kann, ist die hiesige Ansässigkeit der Seeschifffahrtsunternehmen Voraussetzung. Weiter setzt die Unterstellung unter die Tonnagesteuer voraus, dass die Flagge, unter der das Schiff fährt, mit den relevanten vier internationalen Seeverkehrsübereinkommen im Einklang steht. Auf diese Weise wird die Kompatibilität mit dem Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) sichergestellt, einer der drei Säulen des multilateralen Handelssystems der Welthandelsorganisation (WTO).

Die finanziellen Auswirkungen einer Tonnagesteuer können mangels statistischer Daten nicht verlässlich geschätzt werden. Unter Berücksichtigung der zu erwartenden positiven Effekte auf den Wirtschaftsstandort Schweiz dürften allfällige Mindereinnahmen gering ausfallen. Aufgrund des kleinen Kreises von Unternehmen, die die Massnahme in Anspruch nehmen könnten, dürften sich auch die zu erwartenden volkswirtschaftlichen Auswirkungen als eher gering erweisen.

Aus verfassungsrechtlicher Sicht gibt es Argumente für und gegen die Einführung einer Tonnagesteuer. Namentlich mit Blick auf die wirtschaftspolitischen Interessen der Schweiz erscheint sie vertretbar.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

5 5 9

Ausgangslage 1.1 Die Bedeutung der Seeschifffahrt für die Schweiz 1.2 Die Tonnagesteuer im Ausland 1.3 Bisherige Bestrebungen zur Einführung einer Tonnagesteuer in der Schweiz 1.4 Verhältnis zur Legislaturplanung

12 15

2

Vernehmlassungsverfahren 2.1 Die Vernehmlassungsvorlage 2.2 Berücksichtigung ökologischer Kriterien 2.3 Ergebnisse der Vernehmlassung 2.4 Würdigung des Vernehmlassungsergebnisses

15 15 16 18 19

3

Vergleich mit dem europäischen Recht 3.1 Verbot staatlicher Beihilfen in der EU 3.2 EU-Leitlinien für den Seeverkehr als Leitplanken zur Ausgestaltung der Tonnagesteuerregelungen 3.3 Zentrale Eckwerte des europäischen Rechts für die Ausgestaltung der Tonnagesteuerregelungen 3.4 Konsequenzen für die Einführung einer Schweizer Tonnagesteuer

20 20

4

Grundzüge der Vorlage 4.1 Die beantragte Neuregelung 4.2 Umsetzung

25 25 26

5

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln 5.1 Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer 5.2 Steuerharmonisierungsgesetz

27 27 35

6

Auswirkungen 6.1 Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte 6.2 Personelle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte 6.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 6.4 Auswirkungen auf die Umwelt

36 36 38 38 39

7

Rechtliche Aspekte 7.1 Verfassungsmässigkeit 7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

39 39 42

Bundesgesetz über die Tonnagesteuer auf Seeschiffen (Tonnagesteuergesetz) (Entwurf)

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20 21 23

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Die Bedeutung der Seeschifffahrt für die Schweiz

Die Seeschifffahrt ist für die Weltwirtschaft von zentraler Bedeutung. Mehr als 90 Prozent aller weltweit hergestellten Güter werden heute mindestens einmal über die Weltmeere transportiert. Wurden früher überwiegend Rohstoffe mit Schiffen befördert, so finden heute dank moderner Containertechnik und Logistik in stark zunehmendem Masse auch industrielle Konsumgüter des täglichen Bedarfs den Weg über das Meer.1 2019 sind im interkontinentalen Aussenhandel der Schweiz 94 Prozent der importierten und 92 Prozent der exportierten Volumen mit Seeschiffen transportiert worden, was betragsmässig 30 Prozent für den Import und 17 Prozent für den Export ausmacht.2 Das Bundesrecht unterscheidet zwischen der Binnenschifffahrt auf Binnengewässern und der Seeschifffahrt auf dem Meer. Rechtsgrundlage für die Seeschifffahrt unter der Schweizer Flagge ist das Seeschifffahrtsgesetz vom 23. September 19533. In der Verordnung vom 14. Juni 20024 über die Verbürgung von Darlehen zur Finanzierung schweizerischer Hochseeschiffe werden Seeschiffe als Hochseeschiffe bezeichnet. Die Ausdrücke «Seeschiff» und «Hochseeschiff» werden im Bundesrecht somit als Synonyme verwendet.

Schweizer Hochseeflotte Der Bund unterstützte im Rahmen seines Auftrags zur Landesversorgung nach Artikel 102 der Bundesverfassung5 (BV) den Aufbau einer Schweizer Hochseeflotte. Dies mit dem Ziel, die Versorgung mit Gütern in einem Krisenfall sicherzustellen und die Hochseeschiffe bei Bedarf in den Dienst der Landesversorgung stellen zu können.

Zwischen 1948 und 1959 gewährte der Bund hierzu zinsgünstige Darlehen. Seither hat er seine Sicherstellungsbemühungen ausschliesslich mit dem Instrument der Bürgschaft betrieben.

Diverse Bundesrats- und Bundesbeschlüsse zur Finanzierung sowie Sicherung eines ausreichenden Bestands an Hochseeschiffen unter Schweizer Flagge bildeten über 1

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Botschaft vom 16. Mai 2017 über den Nachtragskredit für die Honorierung von Bürgschaften des Bundes aus dem Bürgschafts-Rahmenkredit für die Sicherung eines ausreichenden Bestandes an Hochseeschiffen unter Schweizer Flagge, S. 9; im BBl nicht veröffentlicht, einsehbar unter: www.efv.admin.ch > Finanzberichte > Nachtragskredite > Nachtrag Ia / 2017.

Logistics Advisory Experts GmbH (Spin-off from the University of St. Gallen): Switzerland's dependency on maritime transportation. Contribution of high-sea shipping on Swiss import and export supply chains, Arbon 2021, S. 14; einsehbar unter: www.shipowners.ch > Documents > Swiss dependency on maritime transportation February 2021.

SR 747.30 SR 531.44 SR 101

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lange Jahre die Grundlage für die Unterstützung der Schweizer Hochseeflotte durch den Bund. Seit 1982 wird diese in einer Verordnung geregelt. Heute ist die Verordnung vom 14. Juni 20026 über die Verbürgung von Darlehen zur Finanzierung schweizerischer Hochseeschiffe anwendbar. Seit den 90er-Jahren wurde die Hilfe vermehrt unter Berücksichtigung des Wirtschaftsstandorts Schweiz sichergestellt. Letztmals erhöhte das Parlament mit Bundesbeschluss vom 3. März 20087 über die Erneuerung des Bürgschafts-Rahmenkredits für die Sicherung eines ausreichenden Bestands an Hochseeschiffen unter Schweizer Flagge den Verpflichtungskredit um 500 Millionen auf insgesamt 1,1 Milliarden Franken.

Ende Dezember 2016 beschied ein Bericht des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung einer Handelsflotte unter Schweizer Flagge nur mehr geringe versorgungspolitische Bedeutung. In der Folge verzichtete der Bundesrat auf die Erneuerung des Mitte 2017 auslaufenden Bürgschafts-Rahmenkredits.8 Im aktualisierten Bericht zur versorgungspolitischen Bedeutung der Hochseeschifffahrt vom 15. Januar 2020 wurde diese Einschätzung bestätigt. Neue Bürgschaften bleiben damit ausgeschlossen.

Seither ging der Bestand von damals 47 Schweizer Hochseeschiffen mit verbürgten Darlehen in Höhe von rund 794 Millionen Franken auf heute 16 Schiffe mit verbürgten Darlehen in Höhe von rund 275 Millionen Franken zurück (Ende Dezember 2021).

Die letzten Bürgschaftsverträge des Bundes zu Hochseeschiffen laufen 2032 aus. Insgesamt führen zurzeit 18 Hochseeschiffe die Schweizer Flagge zur See.

Am 16. Februar 2022 erteilte der Bundesrat dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten den Auftrag, mit den betroffenen Departementen und unter Einbezug der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Sozialpartner eine umfassende maritime Strategie auszuarbeiten. Diese soll eine gesamtheitliche Sicht der Interessen der Schweiz im maritimen Bereich ermöglichen sowie Eckwerte, Ziele und Massnahmen darlegen. Als Folge davon sollen dem Bundesrat bis im Frühling 2023 die Entwürfe für eine Änderung der Gesetzgebung zur Schweizer Flagge unterbreitet werden.9 In der Schweiz domizilierte Seeschifffahrtsunternehmen Neben der Schweizer Hochseeflotte sind auch international tätige Seeschifffahrtsunternehmen in der Schweiz domiziliert. Der
Dachverband Swiss Trading and Shipping Association (STSA) zählt etwas mehr als 60 Unternehmen, die rund 900 Schiffe halten.10 Zu den bedeutendsten in der Schweiz domizilierten Seeschifffahrtsunternehmen zählen MSC (mit Sitz in Genf), Suisse-Atlantique Société de Navigation Maritime

6 7 8 9 10

SR 531.44 BBl 2008 2487 www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-65072.html www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-87209.html www.stsaswiss > Knowledge > Shipping > Switzerland, a maritime nation

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(Renens) und Nova Marine Carriers (Lugano). Die kantonale Verteilung der Seeschifffahrtsunternehmen sieht wie folgt aus:

Das geltende Steuerrecht kennt keine besonderen Regelungen für die maritime Schifffahrt. Mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 28. September 201811 über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF) sind die kantonalen Steuerstatus per 1. Januar 2020 abgeschafft worden. Seeschifffahrtsunternehmen, die bisher in den Genuss von kantonalen Sonderregelungen kamen, werden seither ordentlich besteuert. Insoweit Kantone ihren Gewinnsteuersatz im Zuge der STAF gesenkt haben, konnten auch diejenigen Unternehmen profitieren, die im Bereich der Seeschifffahrt tätig sind.

Rohstoffhandel Die Schweiz gehört im Rohstoffhandel zu den weltweit führenden Ländern. Der Schweizer Rohstoffsektor umfasst namentlich Handelsunternehmen, aber auch Banken, die in der Finanzierung des Rohstoffhandels tätig sind, Reedereien und Versicherungen. Die Bedeutung der Schweizer Rohstoffbranche für die Schweizer Volkswirtschaft ist ungebrochen gross. Gemäss einer Erhebung des Bundesamts für Statistik vom März 2021 sind im Schweizer Rohstoffsektor rund 900 Unternehmen mit rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern tätig. Rund drei Viertel der auf Rohstoffunternehmen entfallenden Arbeitsplätze befinden sich in den Kantonen Genf (44 %),

11

AS 2019 2395

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Zug (21,4 %) und Tessin (9,5 %). Die Wertschöpfung aus dem Rohstoffhandel trug 2017 3,8 Prozent zum Schweizer Bruttoinlandprodukt (BIP) bei.12 Der Bundesrat setzt sich dafür ein, günstige Rahmenbedingungen für die Wettbewerbsfähigkeit des hiesigen Rohstoffsektors zu schaffen. Die wichtigsten Standorte sind die Städte Genf, Zug und Lugano. Der Schweizer Rohstoffsektor ist sehr heterogen. Die Spannweite der Handelsfirmen in der Schweiz reicht von sehr kleinen Firmen (mit weniger als 10 Angestellten) bis zu grossen multinationalen Unternehmen mit mehreren Hundert Beschäftigten. Werden die unternehmerischen Aktivitäten auf den Schiffsbetrieb verlegt (Transport von Rohwaren), so ergibt sich eine Verbindung zur Tonnagesteuer, weil in deren Geltungsbereich der Transport von Gütern fällt.

Bessere Aussichten für Teile der Seeschifffahrt Der Ausbruch der Coronapandemie hat 2020 auch die Seeschifffahrt vorübergehend stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Zahl der Schiffe ohne Beschäftigung befand sich auf dem höchsten Niveau aller Zeiten.

Nach Angaben der Branche erholte sich in der zweiten Hälfte 2020 vorab die internationale Containerschifffahrt schneller als erwartet. So deuteten gemäss dem Bremer Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik die Umschlagergebnisse der grössten Containerhäfen bereits in der Jahresmitte wieder auf eine Erholung des Welthandels hin.13 Auch die Ratingagentur Moody's ging Ende des Jahres 2020 für 2021 bereits wieder von stabilen Verhältnissen aus, sowohl bei der Containerschifffahrt als auch bei den Frachtern für trockenes Massengut.14 Stärker und nachhaltiger geriet die Kreuzfahrtindustrie durch die Coronakrise in Not.

Mit dem Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 kam dieser Schiffssektor praktisch komplett zum Erliegen. Zuvor hatte er stetig über fünf Prozent Wachstum pro Jahr verzeichnet. Der Dachverband Cruise Lines International Association (CLIA) hatte ursprünglich für 2020 mit einem erneuten Anstieg der Passagierzahl auf 32 Millionen gerechnet, nachdem bereits der Zuwachs von 2009 bis 2019 von 17,8 auf 30 Millionen beachtlich gewesen war. Dieses Ziel rückte indessen in weite Ferne, der anhaltende Aufwärtstrend wurde jäh gebremst. Die Kreuzfahrtbranche gehörte 2020 gemeinsam mit dem gesamten Tourismussektor zu den grössten Pandemieverlierern mit einer Passagierzahl von nur noch rund 400 000. Auch die führenden Branchenunternehmen Carnival, Royal Caribbean und die Norwegian Cruise Line rutschten in tiefrote Zahlen ab.15

12

13 14 15

Stand der Umsetzung der Empfehlungen aus dem Bericht «Rohstoffsektor Schweiz: Standortbestimmung und Perspektiven», Bericht des Bundesrates vom 21.4.2021, S. 3; einsehbar unter: www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/66220.pdf.

www.isl.org/de/news/umschlag-ergebnisse-fuehrenden-containerhaefen-deutenerholung-welthandels-hin www.offshore-energy.biz/moodys-shipping-to-end-2020-better-than-expected/ www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/kreuzfahrt-coronaflaute-bringt-kreuzfahrtbranche-in-not/25973070.html?ticket=ST-7322742XOakFaIEQSTRjchoFME7-ap6

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Nach Angaben von CLIA wurden 2020 weltweit Verluste in der Höhe von 77 Milliarden US-Dollar eingefahren und mehr als 500 000 Menschen aus der Branche verloren ihren Arbeitsplatz. Nicht nur wegen hoher finanzieller Verluste durch die Coronapandemie, sondern auch aufgrund der an Bedeutung gewinnenden Klimaschutzdiskussion steht die Kreuzfahrtbranche momentan unter starkem Druck (vgl. Ziff. 2.2 zu den ökologischen Herausforderungen der Seeschifffahrt). Die Coronapandemie traf die Kreuzfahrtbranche auch 2021 noch immer hart. Viele Häfen und Länder blieben weiterhin für Kreuzfahrtschiffe geschlossen und es galten strenge Reisebeschränkungen. Die Branche bewertete 2021 daher als ein Übergangsjahr. Inzwischen ist das Geschäft wieder angelaufen, wenngleich die Schiffe in der Regel mit reduzierter Passagierzahl unterwegs sind.16 Die wirtschaftliche Situation der internationalen Seeschifffahrt hat sich 2021 vor allem innerhalb der Containerschifffahrt stark verbessert. Spätestens seit Mitte des vergangenen Jahres sind fast alle weltweit verfügbaren Containerschiffe verchartert, die Reedereien profitieren vom Boom und fahren hohe Gewinne ein. Aufgrund der hohen Nachfrage nach Gütern bei knappen Schiffskapazitäten und einem Mangel an Leercontainern sind die Container-Frachtraten auf neue Rekordhöhen gestiegen. Die Schiffswerften profitieren ebenfalls von der neuen Blüte in der Containerschifffahrt.17 Für 2022 erwarten die grossen Containerreedereien weiterhin Transportengpässe wegen wackeliger Lieferketten.

Schliesslich hat innerhalb der Seeschifffahrt auch die Nachfrage nach Tankerschiffen und Frachtern für trockenes Massengut 2021 zu einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung geführt, die auch 2022 anhalten dürfte.18 Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung geht für 2021 von einer Erholung des maritimen Welthandels um 4,3 Prozent aus und prognostiziert auch für die Jahre 20222026 ein jährliches Plus von 2,4 Prozent.19 Die Verlässlichkeit dieser Vorhersagen ist wegen neuen negativen Faktoren (Krieg in der Ukraine sowie Lockdown in Shanghai und anderen chinesischen Städten) infrage gestellt.

1.2

Die Tonnagesteuer im Ausland

Seit vielen Jahren geht die Europäische Union (EU) dagegen vor, dass Schiffe der Mitgliedstaaten der EU unter Flaggen von Offshore-Gebieten fahren. Zu diesem Zweck verabschiedete die Europäische Kommission bereits 1989 Leitlinien, in denen die Anforderungen festgelegt wurden, die die Mitgliedstaaten bei der Gewährung von

16 17 18

19

www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kreuzfahrten-corona-preise-aida-1.5368554 www.isl.org/de/news/bauauftraege-fuer-containerschiffe-steigen-1-halbjahr-2021-rekordniveau www.hellenicshippingnews.com/tanker-market-recovery-is-a-matter-of-when-not-if/ und www.globenewswire.com/en/news-release/2021/06/08/2243591/28124/en/ Global-Maritime-Freight-Transport-Market-2021-to-2026-Growth-Trends-COVID-19Impact-and-Forecasts.html UNCTAD: Review of Maritime Transport 2021, einsehbar unter: unctad.org/system/ files/official-document/rmt2021_en_0.pdf.

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Beihilfen im Seeverkehrssektor erfüllen müssen. Diese Leitlinien wurden 1997 erstmals angepasst.20 Dadurch sollten so viele Schiffe wie möglich unter Gemeinschaftsflagge gehalten und gleichzeitig innerhalb des EU-Binnenmarkts für gleiche Ausgangsbedingungen gesorgt werden. Im Kern ging es also um die Gewährleistung einer gewissen Konvergenz zwischen den Massnahmen der Mitgliedstaaten, insbesondere bezüglich der Einführung von Tonnagesteuerregelungen.

In diesem Kontext sollte ein günstiges steuerliches Umfeld für die Seeschifffahrtsunternehmen sichergestellt werden, um auf diese Weise der internationalen Konkurrenz in Form von Billigflaggen begegnen zu können. Bis in die erste Hälfte der 2010er-Jahre ist der wirtschaftliche Impetus dank der Einführung von Tonnagesteuerregelungen im EU-Raum positiv gewichtet worden. So hat die Schätzung des Beratungsunternehmens Oxford Economics 2014 ergeben, dass 2012 die Bruttowertschöpfung und das Beschäftigungsvolumen für die europäische Schifffahrtsindustrie 50 Prozent tiefer hätte liegen können, wenn die untersuchten neun EU-Mitgliedstaaten weder eine Tonnagesteuer noch andere staatliche Beihilfen eingeführt hätten.21 Die jeweiligen Tonnagesteuerregelungen in der EU unterliegen der Prüfung durch die Europäische Kommission und werden in der Regel alle zehn Jahre einem erneuten Genehmigungsverfahren unterzogen. Bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), die Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, erfolgt die Genehmigung durch die EFTA-Überwachungsbehörde. Die Voraussetzungen für die Genehmigung durch die Europäische Kommission sind in der Mitteilung C(2004) 43 der Kommission ­ Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen im Seeverkehr vom 17. Januar 200422 festgelegt worden, welche die Leitlinien von 1997 ersetzt. Im Zentrum der tonnagebesteuerten Tätigkeiten steht die internationale Beförderung von Waren und Personen auf dem Seeweg. Im Lauf der Zeit sind weitere maritime Aktivitäten hinzugekommen, die für die Tonnagesteuer qualifizieren. Dazu zählen namentlich die Rettungs- und Unterstützungsdienste sowie die Schiffstätigkeiten zur Kabel- und Rohrverlegung, zur Errichtung von Offshore-Bauwerken und zur wissenschaftlichen Meeresforschung (vgl. auch Ziff. 5.1). Damit die Tonnagesteuer zur Anwendung kommen kann,
muss insbesondere die strategische und wirtschaftliche Verwaltung der betroffenen Seeschiffe aus dem Hoheitsgebiet der EU erfolgen.

In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Tonnagesteuer im Bereich der Unterstützungsmassnahmen für die Seeschifffahrt als wichtigstes Instrument zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der EU-Seeschifffahrt erwiesen. Gegenwärtig kommt sie bei insgesamt 21 EU-Mitgliedstaaten zur Anwendung. Im übrigen Europa

20 21 22

Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen im Seeverkehr (97/C 205/05), ABl. C 205 vom 5.7.1997, S. 5.

www.globalmaritimehub.com/wp-content/uploads/attach_335.pdf, S. 33.

ABl. C 13 vom 17.1.2004, S. 3.

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kennen auch das Vereinigte Königreich und Norwegen eine solche Massnahme.23 In Griechenland hat die Tonnagesteuer sogar den Rang einer Verfassungsnorm.24 Einführungsjahr

Land

1957

Griechenland

1973

Malta

1996

Niederlande

1996

Norwegen

1999

Deutschland

2000

Vereinigtes Königreich

2002

Belgien

2002

Dänemark

2002

Spanien

2002

Lettland

2003

Frankreich

2003

Irland

2003

Finnland

2005

Bulgarien

2005

Italien

2006

Polen

2007

Litauen

2009

Slowenien

2010

Zypern

2015

Kroatien

2017

Schweden

2018

Portugal

2020

Estland

Ausserhalb Europas sind weitere prominente Schifffahrtsnationen zu nennen, die eine Tonnagesteuer in ihrem Recht verankert haben: Indien (2004), USA (2004), Südkorea (2005), Südafrika (2006), Japan (2009) und China (2018).25

23

24

25

International Transport Forum: Maritime Subsidies. Do they provide Value for Money?

2019, S. 7 und 18; einsehbar unter: www.itf-oecd.org/sites/default/files/docs/ maritime-subsidies-value-for-money.pdf.

Jens-Ragnar Martinen: Die Tonnagesteuer. Eine ökonomische Analyse, Peter Lang, Frankfurt am Main 2010, S. 71, und www.bankofgreece.gr/Publications/ Paper2019266.pdf > S. 9.

Martinen: Die Tonnagesteuer, S. 73, www.seatrade-maritime.com/asia/tonnage-tax-japan und www.fao.org/faolex/results/details/en/c/LEX-FAOC172978/.

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1.3

Bisherige Bestrebungen zur Einführung einer Tonnagesteuer in der Schweiz

Die Einführung einer Tonnagesteuer hat die Bundespolitik in jüngerer Zeit schon mehrmals beschäftigt. So hat der Bundesrat 2001 und 2007 im Zusammenhang mit der Erneuerung des Bürgschafts-Rahmenkredits für die Sicherung eines ausreichenden Bestands an Hochseeschiffen unter Schweizer Flagge die Tonnagesteuer als nicht geeignet für die schweizerischen Verhältnisse erklärt. Insbesondere wurde ins Feld geführt, dass sich ein solches Förderinstrument vornehmlich für Länder eigne, in denen die Seeschifffahrt einen wesentlichen Bereich der nationalen Gesamtwirtschaft ausmache.26 Von parlamentarischer Seite sind folgende Vorhaben hervorzuheben: Am 25. September 2014 reichte Nationalrat Guillaume Barazzone eine Motion ein (14.3909), mit welcher der Bundesrat beauftragt werden sollte, im Bundesgesetz vom 14. Dezember 199027 über die direkte Bundessteuer (DBG) und im Steuerharmonisierungsgesetz vom 14. Dezember 199028 (StHG) eine Tonnagesteuer einzuführen. In seiner Begründung argumentierte Nationalrat Barazzone, dass es sich hierbei um ein Förderinstrument handle, das einer einfachen und zuverlässigen Besteuerung gleichkomme und jegliche Manipulation verunmögliche. Die Tonnagesteuer sei von der EU wie auch von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hinsichtlich der Mechanismen zur Steueroptimierung als regelkonform beurteilt worden. Und sie passe perfekt zur Stossrichtung der Unternehmenssteuerreform III (USR III), zu deren Zielen die Stärkung der steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz gehöre.

Der Bundesrat beantragte den Vorstoss am 19. November 2014 zur Ablehnung. Er verwies dabei auch auf die früher vorgenommene Konsultation der Kantone zum Bericht des Steuerungsorgans vom 11. Dezember 2013 zuhanden des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) für Massnahmen zur Stärkung der steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit der USR III, in welchem die Tonnagesteuer als denkbare steuerpolitische Massnahme vorgestellt wurde. Die Mehrheit der Kantone erachtete sie generell nicht als prioritär, sechs Kantone lehnten sie explizit ab. Neun Kantone wie auch die Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren (FDK) und die Stadt Genf befürworteten demgegenüber die Einführung einer Tonnagesteuer. Die unterschiedliche Haltung dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die
Kantone von diesem Förderinstrument ungleich betroffen wären. Die parlamentarische Behandlung der genannten Motion fand ein Ende, als diese am 19. September 2016 vom Urheber zurückgezogen wurde.

Die Tonnagesteuer wurde im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zur USR III wieder Gegenstand der politischen Debatte. In seiner Botschaft zum Unternehmenssteuergesetz III vom 5. Juni 201529 listete der Bundesrat unter den geprüften, jedoch verworfenen Massnahmen auch die Einführung einer Tonnagesteuer auf. Er verfolgte sie nicht zuletzt aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken nicht weiter. Er stützte 26 27 28 29

BBl 2002 925, hier 941 und BBl 2007 5215, hier 5222.

SR 642.11 SR 642.14 BBl 2015 5069, hier 5133 und 5183.

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sich dabei auf ein vom EFD in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten von Professor Robert Danon (Universität Lausanne) vom 3. Juni 2015, das die im Rahmen der USR III in Erwägung gezogenen Massnahmen aus verfassungsrechtlicher Sicht prüfte.30 Darunter fiel auch die Tonnagesteuer. Der Gutachter kam zum Schluss, dass die Verfassungsmässigkeit dieser ausserfiskalischen Zielsetzung vorab aus nachfolgenden Gründen als problematisch einzustufen sei: ­

Der Tonnagesteuer fehle es an einer ausreichenden verfassungsmässigen Grundlage. Diese könne auch nicht durch Artikel 103 BV legitimiert werden, die es dem Bund zwar ermögliche, Wirtschaftszweige und Berufe zu fördern, wenn zumutbare Selbsthilfemassnahmen zur Sicherung ihrer Existenz nicht ausreichen würden. Die Seeschifffahrtsbranche, so der Gutachter weiter, sei nicht in ihrer Existenz bedroht, womit die Tonnagesteuer kaum als verhältnismässige Massnahme eingestuft werden könne.

­

Die spezifisch für die Seeschifffahrt konzipierte Tonnagesteuer verletze die Prinzipien der Rechtsgleichheit bei der Besteuerung sowie die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (vgl. Art. 127 Abs. 2 BV).

­

Es sei aus Sicht der rechtsgleichen Behandlung nicht einsichtig, nur dem maritimen Sektor aufgrund eines übergeordneten öffentlichen Interesses diese steuerliche Privilegierung zuzugestehen, während andere Transportsektoren (Flug- und Strassenverkehr) diesbezüglich aussen vor blieben.

In der Folge wurde auch Professor Xavier Oberson (Universität Genf) vom EFD mandatiert, die Verfassungsmässigkeit einer Tonnagesteuer in der Schweiz im Rahmen der USR III zu prüfen. Der Gutachter weist in der Schilderung der Ausgangslage darauf hin, dass er einer informellen Arbeitsgruppe zur Einführung einer Tonnagesteuer in der Schweiz unter der Leitung des Branchendachverbands STSA angehört hat. Er gelangte in seiner rechtlichen Einschätzung vom 12. August 2015 namentlich aus folgenden Gründen zu einem positiven Urteil:31

30

31

­

Die Tonnagesteuer komme einer besonderen Erhebungsart der Gewinnsteuer gleich, sodass Artikel 128 Absatz 1 Buchstabe b BV die notwendige Verfassungsgrundlage darstelle und damit keine Verfassungsänderung erforderlich sei.

­

Als ausserfiskalische Zielsetzung lasse sich die Tonnagesteuer auf zwei Verfassungsnormen abstützen: So könnte gestützt auf Artikel 101 (Aussenwirtschaftspolitik) die Niederlassung von Seeschifffahrtsgesellschaften gestärkt und damit ein «level playing field» geschaffen werden mit anderen Staaten, die die Tonnagesteuer bereits anwenden. Auch gestützt auf Artikel 103 BV (Strukturpolitik) lasse sich eine Tonnagesteuer insoweit legitimieren, als die Seeschifffahrt als in ihrer Existenz gefährdet zu betrachten sei, was ein steuerliches Eingreifen des Bundes im maritimen Bereich begründe.

La constitutionnalité des mesures fiscales proposées par la troisième réforme de l'imposition des entreprises (RIE III), Rechtsgutachten von Prof. Dr. Robert J. Danon, einsehbar unter: www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/39731.pdf.

La constitutionnalité de l'introduction d'une taxe au tonnage en Suisse dans le cadre de la troisième réforme de l'imposition des entreprises (RIE III), Rechtsgutachten von Prof. Dr. Xavier Oberson, einsehbar unter: biblio.parlament.ch/e-docs/383599.pdf.

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Am 17. März 2016 beschloss der Nationalrat im Rahmen der Gesamtabstimmung mit 138:52 Stimmen und einer Enthaltung, diese steuerpolitische Massnahme in die Vorlage aufzunehmen.32 Der Ständerat beschloss demgegenüber am 30. Mai 2016 mit 31:14 Stimmen, die als Entwurf 3 gekennzeichneten Bestimmungen zu einem Bundesgesetz über die Tonnagesteuer an den Bundesrat zurückzuweisen.33 Damit war der Auftrag verbunden, die Verfassungsgrundlage einer Tonnagesteuer zu prüfen, die Formulierung der Bestimmungen zu überarbeiten und anschliessend bei den Kantonen und interessierten Kreisen eine Vernehmlassung durchzuführen. Die grosse Kammer schloss sich dieser Sichtweise am 6. Juni 2016 mit 136:54 Stimmen an.34 Bezüglich der genannten parlamentarischen Rückweisung von Entwurf 3 an den Bundesrat schloss sich der Vorsteher des EFD im Namen des Bundesrates dieser Vorgehensweise während der Sommersession 2016 an.35 Hauptargument war die fehlende politische Diskussion im Rahmen eines vorgängigen Vernehmlassungsverfahrens.

Handlungsbedarf und Ziele Der Bundesrat will geeignete Rahmenbedingungen für einen wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort Schweiz schaffen. Dank Einführung der Tonnagesteuer wird die Standortattraktivität für Seeschifffahrtsunternehmen gesteigert. Dies kann zur Erhöhung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der hoch mobilen Seeschifffahrtsbranche und damit zu einer Steigerung von Unternehmensansiedlungen aus dem maritimen Sektor beitragen. Das Förderinstrument kann zudem auch die in der Schweiz bereits stark vertretene Rohstoffbranche begünstigen. Solange Seeschifffahrtsunternehmen Verluste erzielen, besteht für diese kein Anreiz, sich der Tonnagesteuer zu unterstellen. Insoweit Verlustvorträge geltend gemacht werden können, hat die Tonnagesteuer eine geringe praktische Bedeutung. Dabei gilt es den Geltungsbereich so auszugestalten, dass er mit den geltenden EU-Tonnagesteuerregelungen im Einklang steht.

Mit dem Bundesratsbeschluss vom 14. Oktober 2020 wurde das EFD beauftragt, eine Vernehmlassungsvorlage zur Einführung eines Bundesgesetzes über die Tonnagesteuer auf Seeschiffen auszuarbeiten. Dabei sei die Problematik der Verfassungsmässigkeit gebührend auszuführen (vgl. Ziff. 7.1). Mit der Mandatierung hat der Bundesrat letztlich dem parlamentarischen Anliegen entsprochen, das in der Sommersession 2016 ergangen war (Rückweisung).

32 33 34 35

AB 2016 N 496 AB 2016 S 248 AB 2016 N 861 AB 2016 S 247 und 2016 N 861.

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1.4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 29. Januar 202036 zur Legislaturplanung 2019­2023 noch im Bundesbeschluss vom 21. September 202037 über die Legislaturplanung 2019­2023 angekündigt. Sie erfüllt aber den vom Parlament erteilten Auftrag (vgl. Ziff. 1.3).

2

Vernehmlassungsverfahren

2.1

Die Vernehmlassungsvorlage

Konzeptionell kommt die Tonnagesteuer einer alternativen Methode zur Ermittlung der Gewinnsteuer gleich. Sie ist im Sinne des Verfassungsauftrags zur vertikalen und horizontalen Harmonisierung auf der Ebene aller drei Gebietskörperschaften (Bund, Kantone und Gemeinden) einzuführen. Die Steuer soll für den Betrieb von Seeschiffen zur Anwendung kommen.

Bemessungsgrundlage für die Gewinnermittlung ist die pauschal mit einem gestaffelten Tarif multiplizierte Nettoraumzahl (Ladekapazität des Seeschiffs). Diese wiederum wird mit der Anzahl Betriebstage multipliziert. Der so ermittelte steuerbare Reingewinn wird sofern vorhanden zum übrigen steuerbaren Reingewinn hinzugerechnet und zum ordentlichen Gewinnsteuersatz besteuert. Somit wird die Steuerschuld nicht nach dem tatsächlich erwirtschafteten Gewinn oder Verlust, sondern nach der Ladekapazität des jeweiligen Seeschiffs berechnet. Dessen Vermessung ist im Internationalen Schiffsvermessungs-Übereinkommen von 1969 geregelt, das für die Schweiz am 18. Juli 1982 in Kraft getreten ist38. Die Tonnagesteuer führt bei rentablen Unternehmen zu einer vergleichsweise tiefen Steuerbelastung.

Die maritime Beförderung von Personen oder Gütern gehört zu den Kernaktivitäten, die unter die Tonnagesteuer fallen. Darunter fallen auch sämtliche Erträge aus dem Besitz und der Veräusserung von Seeschiffen. Von diesen Aktivitäten abzugrenzen ist namentlich der Reingewinn aus einem Handelsbetrieb und aus dem Halten von Liegenschaften. Letztgenannte Aktivitäten unterliegen der ordentlichen Berechnung des Reingewinns und nicht der Tonnagesteuer. Würde der Anwendungsbereich der Tonnagesteuer auf Gewinne aus Handelstätigkeiten, insbesondere aus dem Rohstoffhandel, ausgeweitet, so würde dies erstens international nicht akzeptiert und zweitens wäre dies mit hohen Mindereinnahmen für die öffentliche Hand verbunden. Indirekt können Rohstoffhandelsfirmen trotzdem von der Tonnagesteuer profitieren, wenn vermehrt in den maritimen Transport von Rohwaren investiert wird.

Die Tonnagesteuer ist freiwillig. Die Wahl erfolgt für jedes Seeschiff separat für eine Dauer von zehn Jahren. Danach unterliegt der steuerbare Reingewinn wieder der ordentlichen Bemessung es sei denn, die steuerpflichtige Person stellt erneut Antrag auf die Unterstellung unter die Tonnagesteuer. Will ein Unternehmen vor Ablauf der Zehnjahresperiode einen Wechsel vornehmen (bspw. aufgrund erlittener betrieblicher 36 37 38

BBl 2020 1777 BBl 2020 8385 SR 0.747.305.412

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Verluste oder trüber wirtschaftlicher Perspektiven), so kann es einen erneuten Antrag auf Tonnagebesteuerung erst wieder im sechsten Jahr nach dem Ausstieg stellen. Die allenfalls während der Anwendung der Tonnagesteuer aus dem Betrieb des Seeschiffs entstandenen Verluste können nicht vorgetragen werden. Mit diesen Massnahmen lassen sich Steueroptimierungsmöglichkeiten begrenzen.

Nimmt das Unternehmen nur für einen Teil seiner Seeschiffe die Tonnagesteuer in Anspruch oder verfolgt es noch andere, der ordentlichen Besteuerung unterliegende Aktivitäten, so muss es eine Spartenrechnung führen. Für die Zwecke dieser Spartenrechnung sind sämtliche Aufwendungen, einschliesslich Gemeinkosten, auf die einzelnen Schiffe oder die übrigen Aktivitäten zu verteilen.

2.2

Berücksichtigung ökologischer Kriterien

Auch die internationale Seeschifffahrt belastet das Klima. Ihr Anteil an den globalen CO2-Emissionen liegt bei etwas weniger als drei Prozent.39 Die Verbrennung von Schweröl, dem nach wie vor verbreitetsten Treibstoff im Schiffsverkehr, führt zu einem hohen Anteil an Schwefeldioxid. In jüngerer Zeit hat die Berücksichtigung von Umweltkriterien auch in der Schifffahrtsindustrie an Relevanz gewonnen.

So sind Anfang 2020 schärfere Regeln bezüglich des Schwefelgehalts der Treibstoffe in Kraft getreten. Die verbindlichen Vorgaben stammen von der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in London, der aktuell 175 Mitgliedstaaten angehören. Die Schweiz ist ihr 1955 beigetreten. Die IMO ist zuständig für die Sicherheit auf See sowie die Verhütung und Bekämpfung der Meeresverschmutzung. Ihren Zielen zufolge ist der Ausstoss von Schwefeldioxiden weltweit um 85 Prozent zu reduzieren. Hierzu muss der Schwefelgehalt im Treibstoff von 3,5 auf 0,5 Prozent gesenkt werden, um der neuen Emissionsverordnung IMO 2020 zu entsprechen. Den Reedereien stehen hierzu drei Umsetzungsmöglichkeiten zur Verfügung: Entweder wechseln sie auf einen schwefelarmen Treibstoff (VLSF) oder auf Marinedieselöl (MDO). Oder sie bauen in ihre Schiffe Abgasreinigungsanlagen ein, sogenannte Scrubber, um die Schwefelemissionen zu reinigen. Oder sie steigen auf alternative Antriebstechnologien um, allen voran auf nicht erdölbasierte Kraftstoffe wie Flüssigerdgas (LNG).40 Der Umweltverband Transport & Environment hält zwar fest, dass LNG die Luftqualität zu verbessern vermag. Damit betriebene Schiffe seien jedoch insgesamt schädlicher für das Klima als mit Öl betriebene Schiffe. Denn Kreuzfahrtschiffe mit LNG würden höhere Treibhausgasemissionen verursachen als diejenigen mit herkömmlichen Antrieben, weil bei der Verbrennung von LNG viel Methan freigesetzt werde.

Laut den Expertinnen und Experten der Weltbank sind Brennstoffzellenantriebe mit Wasserstoff oder mit Ammoniak die vielversprechendsten Lösungen, um die CO2-Neutralität zu erreichen. Ammoniak gilt mittlerweile als interessanter Schiffstreibstoff, weil er zu 75 Prozent aus Wasserstoff besteht und vergleichsweise einfach 39 40

IMO and the Environment, S. 7; einsehbar unter: safety4sea.com/wp-content/ uploads/2015/06/IMO-and-the-Environment-2011.pdf.

www.imo.org/en/MediaCentre/PressBriefings/Pages/34-IMO-2020-sulphur-limit-.aspx/

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zu transportieren ist. Ein Prototyp ist bei der norwegischen Reederei Eidesvik am Laufen, um ein Schiff mit Brennstoffzellen für Ammoniak auszurüsten.41 Die Mitglieder der IMO haben sich darauf geeinigt, einen Minderungspfad bei den CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050 festzulegen. Dieser sieht gegenüber 2008 eine Verringerung von mindestens 50 Prozent vor. Im Idealfall soll sogar eine vollständige Dekarbonisierung, d. h. eine kohlenstofffreie Seeschifffahrt, erreicht werden. Dies steht im Einklang mit den Zielen des Pariser Übereinkommens von 2015. Der genannte IMO-Beschluss gilt in Fachkreisen als ein wichtiges Signal, dass auch in der Seeschifffahrt eine deutliche Abkehr von fossilen Brennstoffen vorzunehmen ist.

Am 17. Juni 2021 hat die IMO zusätzliche verbindliche Massnahmen zur Verringerung der Kohlenstoffintensität im internationalen Schiffsverkehr beschlossen. Die verabschiedeten Änderungen im relevanten maritimen Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung sollen die Seeschifffahrt zu mehr Energieeffizienz verpflichten. Gemäss IMO sind hiervon rund 97 Prozent der globalen Schiffstonnage betroffen. Das Konzept sieht vor, dass alle Seeschiffe ihren Energieeffizienz-Index und ihren jährlichen betrieblichen Kohlenstoffintensitätsindikator berechnen. Sie erhalten so eine Bewertung ihrer Energieeffizienz (A, B, C, D, E), wobei A die beste Bewertung ist. Ein Schiff, das drei Jahre hintereinander mit D oder E eingestuft wurde, muss einen Plan mit Abhilfemassnahmen vorlegen, aus dem hervorgeht, wie die erforderliche Einstufung (C oder höher) erreicht werden soll. Diese Änderungen sollen im massgeblichen Übereinkommen voraussichtlich am 1. November 2022 in Kraft treten.42 Soweit überblickbar, wenden innerhalb des EWR bisher erst wenige Länder steuerliche Ermässigungen als Gegenleistung zur Erreichung ökologischer Ziele an. Gemäss einer OECD-Studie aus dem Jahr 2019 honorieren Norwegen und Portugal einen spezifisch ökologischen Leistungsausweis eines Schiffs; Malta wiederum setzt Anreize primär beim Alter des Schiffs und Griechenland beim Schiffstyp.43 Seit Anfang 2020 sieht auch Zypern einen ökologisch bedingten steuerlichen Anreiz vor und lässt eine Verringerung der Bemessungsgrundlage von maximal 30 Prozent zu.44 Es ist davon auszugehen, dass solche im EU-Raum angewandten Kriterien künftig
einen noch höheren Stellenwert erhalten werden.

In Norwegen wird anhand vordefinierter Kriterien ein sogenanntes Ökorating pro Schiff vorgenommen. Dieses erfolgt auf Ersuchen des Seeschifffahrtsunternehmens, das zu diesem Zweck ein von der norwegischen Schifffahrtsbehörde erstelltes Formular zur Berechnung des Umweltfaktors einreicht. Auf Basis dieser Deklaration erhält das Unternehmen das so ermittelte Ökorating auf einer Skala von 1 bis 10. Je höher 41

42 43

44

Luxusliner mit Nebenwirkungen. Neue Kreuzfahrtschiffe sind schädlich fürs Klima, in: SonntagsZeitung vom 1. August 2021, Emissionsfrei unterwegs auf hoher See, in: NZZ vom 14. August 2021, Die neue Hoffnung der Reedereien, in: Tages-Anzeiger vom 15. Februar 2022.

www.imo.org/en/MediaCentre/MeetingSummaries/Pages/MEPC76meetingsummary.aspx International Transport Forum: Maritime Subsidies. Do they provide Value for Money?

2019 > S. 18 und 46; einsehbar unter: www.itf-oecd.org/sites/default/files/docs/ maritime-subsidies-value-for-money.pdf.

State Aid SA. 51809 (2019/N) ­ Cyprus Prolongation of the Cyprus Tonnage Tax and Seafarer Scheme, S. 7, einsehbar unter: ec.europa.eu/competition/state_aid/cases1/ 202018/282978_2151764_167_2.pdf.

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das Rating ausfällt, desto stärker verringert sich die Steuerschuld. Wird Faktor 10 erreicht, so wird sie um 25 Prozent reduziert. Bei einem Rating von Faktor 1 ist eine Senkung von 2,5 Prozent vorgesehen. Die für das Ökorating relevanten Kriterien gruppieren sich nach den folgenden drei Verschmutzungskategorien auf See: ­

Luftemissionen;

­

betriebsbedingte Entladungen auf See (bspw. Abgabe von Abwässern, die eine bestimmte Menge an Schadstoffen enthalten);

­

unbeabsichtigte Entladungen auf See (bspw. Ölverschmutzungen beim Zusammenstoss von Schiffen).

Jede Verschmutzungskategorie wird weiter unterteilt in Schadstoffe, die auf der Grundlage technischer und betrieblicher Schiffskategorien eine bestimmte Punktzahl erzielen.45 Der Bundesrat erachtet es als geboten, ökologische Kriterien bei der Schweizer Tonnagesteuer einzubauen. Dazu zählen ein fortschrittliches Antriebssystem des Schiffs sowie die Verringerung der Luft- und der Wasserverschmutzung. Die vorgeschlagene Grundsatznorm (vgl. Erläuterungen zu Art. 75 Abs. 4 E-DBG / Art. 28c Abs. 4 E- StHG) lässt je nach Leistungsausweis des betroffenen Seeschiffs eine Verringerung bei der Bemessung des Tonnagegewinns zu. Je ökologischer ein Seeschiff unterwegs ist, desto höher fällt die Reduktion des steuerbaren Reingewinns aus. Diese soll jedoch höchstens 30 Prozent betragen.

Eine wichtige Bedingung für die Berücksichtigung ökologischer Kriterien in der Vorlage ist die Vollzugstauglichkeit. Denn Steuerbehörden verfügen nicht über die notwendigen fachtechnischen Kenntnisse im Bereich umweltschonender Technologien.

Zur Umsetzung gilt es daher auf Verordnungsstufe einen wirksamen und gleichzeitig praktikablen Kriterienkatalog festzulegen. Neben dem Nachweis eines umweltfreundlichen Antriebssystems sind weitere Voraussetzungen zu berücksichtigen: der Nachweis eines möglichst geringen Ausstosses umweltschädlicher Luftemissionen (insb.

Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Kohlenstoffdioxid, Russpartikel und Feinstaub) und der Nachweis geringerer Schiffsverschmutzungen (Verminderung des Schiffsmülls und verminderte Verschmutzung durch Schiffsabwasser).

2.3

Ergebnisse der Vernehmlassung

Der Bundesrat hat am 24. Februar 2021 den Entwurf für ein Bundesgesetz über die Tonnagesteuer auf Seeschiffen (Tonnagesteuergesetz) in die Vernehmlassung geschickt. Diese dauerte bis zum 31. Mai 2021. Insgesamt wurden 55 Stellungnahmen eingereicht: von 19 Kantonen und der FDK, 5 politischen Parteien sowie 30 Organisationen und Verbänden.

45

EFTA Surveillance Authority decision of 26 November 2014 on Amendments to the Norwegian Special Tax System for Shipping, Randziffern 616, einsehbar unter: www.eftasurv.int/cms/sites/default/files/documents/decision-519-14-COL.pdf.

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18 Kantone wie auch die FDK sprechen sich grundsätzlich für die Einführung einer Tonnagesteuer in der Schweiz aus. Dieselbe Grundhaltung nehmen unter den politischen Parteien die Mitte, die FDP und die SVP ein. Insgesamt 27 Organisationen und Verbände teilen dieselbe Einschätzung (darunter Economiesuisse, EXPERTsuisse, Schweizerischer Gewerbeverband sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Seeschifffahrtsbranche). Als Hauptgründe werden genannt: ­

Die Tonnagesteuer schafft für in der Schweiz domizilierte Seeschifffahrtsunternehmen gleich lange Spiesse im internationalen Wettbewerb und stärkt damit die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz.

­

Sie ergänzt die mit der STAF eingeführten Massnahmen zur Aufrechterhaltung der Standortattraktivität der Schweiz für international tätige, mobile Unternehmen.

Demgegenüber lehnt unter den Kantonen einzig Appenzell Innerrhoden die Einführung einer Tonnagesteuer explizit ab. Auch bei zwei politischen Parteien (Grüne und SP) sowie bei drei Organisationen und Verbänden (Alliance Sud, Public Eye und Schweizerischer Gewerkschaftsbund) stösst die Vorlage auf Ablehnung. Als Hauptgründe werden genannt: ­

Die Tonnagesteuer verletzt die verfassungsrechtlichen Prinzipien der Rechtsgleichheit und damit auch die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

­

Neben den grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken ist auch die Signalwirkung zu berücksichtigen, die eine solche Ausnahmeregelung für die Zukunft und für andere Branchen mit sich bringen kann.

2.4

Würdigung des Vernehmlassungsergebnisses

Der Vorschlag zur Einführung einer Tonnagesteuer in der Schweiz ist insgesamt auf positive Resonanz gestossen. Namentlich für jene wirtschaftsnahen Vernehmlassungsteilnehmenden, die sich zugunsten dieses Förderinstruments aussprechen, ist im Hinblick auf die Ausgestaltung der Gesetzesbestimmungen darauf zu achten, dass im Rahmen des international möglichen Gestaltungsspielraums eine attraktive Lösung für die Schweiz ausgearbeitet wird. Die Bestimmungen sollten so formuliert sein, dass der Anwendungsbereich der Schweizer Tonnagesteuer noch gezielter dem Gestaltungsspielraum der EU-Leitlinien und der Entscheidpraxis der Europäischen Kommission zur Genehmigung mitgliedstaatlicher Tonnagesteuerregelungen im Rahmen der Beihilfeaufsicht entspricht. Vor diesem Hintergrund werden namentlich eine Ausweitung des zulässigen Verwendungszwecks der tonnagebesteuerten Seeschiffe, eine erneute Überprüfung des im Vorentwurf als zu restriktiv angesehenen Mindestanteils des Flaggenerfordernisses sowie die Unterstellung von Schiffsmanagementtätigkeiten und die blosse Vermietung des Schiffs (Bareboat-Charter) unter die Tonnagesteuer gefordert.

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3

Vergleich mit dem europäischen Recht

3.1

Verbot staatlicher Beihilfen in der EU

Das Verbot staatlicher Beihilfen in der EU figuriert heute in Artikel 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).46 Staatliche Beihilfen im Anwendungsbereich des AEUV sind grundsätzlich verboten. Allerdings handelt es sich um ein Verbot mit Genehmigungsvorbehalt. In begründeten Einzelfällen können staatliche Beihilfen aufgrund eines Beschlusses der Europäischen Kommission genehmigt werden. Dies setzt eine vorherige Notifizierung voraus. Eine Massnahme darf somit nicht durchgeführt werden, solange die Kommission keine Genehmigung erteilt hat. Darüber hinaus sind bestimmte Sachverhalte, etwa aufgrund der Beihilfehöhe, von der Notifizierung freigestellt.

Der Beihilfebegriff ist als unbestimmter Rechtsbegriff in Artikel 107 Absatz 1 AEUV sehr allgemein («Beihilfen gleich welcher Art») gefasst. In Artikel 107 Absätze 2 und 3 sind Ausnahmen vom Beihilfeverbot aufgezählt. Vorliegend relevant sind insbesondere die sogenannten Ermessensausnahmen nach Artikel 107 Absatz 3 AEUV.

Die dort beschriebenen Beihilfen können als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden. Die EU sieht in der Tonnagesteuer ein zulässiges Instrument zur Förderung des maritimen Sektors, das im gemeinsamen europäischen Interesse liegt, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Seeschifffahrt auf dem Weltmarkt sicherzustellen, Knowhow und Arbeitsplätze in diesem Bereich aufrechtzuerhalten sowie die Standortverlagerung in Niedrigsteuerländer ausserhalb des EU-Binnenmarkts zu verhindern.47

3.2

EU-Leitlinien für den Seeverkehr als Leitplanken zur Ausgestaltung der Tonnagesteuerregelungen

Die jeweiligen Tonnagesteuerregelungen der EU-Mitgliedstaaten unterliegen als Beihilferegelungen der Prüfung durch die Europäische Kommission und werden unter Vorbehalt der Vereinbarkeit mit den EU-Beihilfevorschriften in der Regel alle zehn Jahre einem erneuten Genehmigungsverfahren unterzogen. Die Voraussetzungen für die jeweilige Genehmigung sind in den Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen im Seeverkehr festgelegt, deren Anhang 2017 aktualisiert worden ist.48 Im Zentrum der tonnagebesteuerten Tätigkeiten steht die internationale Beförderung von Waren und Personen auf dem Seeweg. Im Lauf der Zeit sind weitere maritime Aktivitäten hinzugekommen, die für die Tonnagesteuer qualifizieren. Dazu zählen nd Unterstützungsdienste, die Schiffstätigkeiten zur Kabel- und Rohrverlegung sowie zur Errichtung von Offshore-Bauwerken und zur wissenschaftlichen Meeresforschung.

46 47

48

ABl. C 202 vom 7.6.2016, S. 47.

Zur Legitimierung der staatlichen Beihilfen im maritimen Sektor siehe stellvertretend die Einschätzungen der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager anlässlich der Genehmigung von Tonnagesteuerregelungen in Malta (19.12.2017), Portugal (6.4.2018) und Dänemark (12.10.2018), einsehbar unter: www.ec.europa.eu/commission/ presscorner/detail/en/IP_17_5361.

ABl. C 120 vom 13.4.2017, S. 10.

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Damit die Tonnagesteuer für die ganze Flotte eines Seeschifffahrtsunternehmens und nicht nur für dessen Schiffe unter der Flagge eines EU-Mitgliedstaats zur Anwendung kommen kann, muss insbesondere die strategische und wirtschaftliche Verwaltung der betroffenen Seeschiffe aus dem Hoheitsgebiet der EU erfolgen.

2009 hat die Europäische Kommission einen Leitfaden zu staatlichen Beihilfen für Schiffsmanagementgesellschaften vorgelegt, der die Regeln zu den Leitlinien für staatliche Beihilfen im Seeverkehr vervollständigt. Mit den neuen Vorgaben soll auch die Auslagerung eines Teils der Aufgaben des Schiffsbetriebs keine steuerlichen Nachteile mehr nach sich ziehen; die ausgelagerten Tätigkeiten sollen ebenfalls der Tonnagesteuer unterstellt werden können. Im Zentrum stehen Tätigkeiten rund um das technische Management (Wartung und Überprüfung der Sicherheit eines Seeschiffs) und das Besatzungsmanagement (Einstellung und Ausbildung der Seeleute).49 Sowohl bei den Leitlinien für staatliche Beihilfen im Seeverkehr als auch beim Leitfaden zu staatlichen Beihilfen für Schiffsmanagementgesellschaften handelt es sich nicht um Rechtsakte der EU, sondern um Praxisfestlegungen, die aber für die Europäische Kommission bindend sind.50

3.3

Zentrale Eckwerte des europäischen Rechts für die Ausgestaltung der Tonnagesteuerregelungen

Die Tonnagesteuerregelungen der EU-Mitgliedstaaten wurden seit der Veröffentlichung der Leitlinien für staatliche Beihilfen im Seeverkehr laufend weiterentwickelt.

Dies gilt insbesondere bezüglich der qualifizierenden Schiffe und der damit verbundenen maritimen Aktivitäten, die gemäss EU-Kommission der Tonnagesteuer unterstellt werden dürfen. Dadurch hat sich der Gestaltungsspielraum der EU-Mitgliedstaaten im Lauf der Jahre erweitert. Aufgrund der heutigen im europäischen Kontext existierenden Regelungen lassen sich die wichtigsten Eckwerte wie folgt zusammenfassen: Eckwerte

Beschrieb

Abweichende Regelungen in Europa

Antragstellung und zeitliche Dimension

Die Unterstellung unter die Tonnagesteuer ist freiwillig und umfasst in der Regel einen Zeitraum von zehn Jahren mit der Möglichkeit zur Erneuerung.

In Griechenland ist beim Führen der nationalen Flagge die Tonnagesteuer obligatorisch. Das gilt auch für Zypern.

Bulgarien weist mit fünf Jahren eine kürzere Bindungsdauer auf.51

49 50 51

ABl. C 132 vom 11.6.2009, S. 6.

Henning Jessen und Michael Jürgen Werner, Hrsg.: EU-Maritime Transport Law, Baden Baden 2016, S. 358.

www.minfin.bg/en/771

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Eckwerte

Beschrieb

Abweichende Regelungen in Europa

Bemessungsgrundlage: Ermittlung des Tonnagegewinns

Dieser berechnet sich auf Basis der Nettoraumzahl (NRZ) jedes Schiffs, multipliziert mit einem fiktiven Gewinn je volle 100 NRZ unter Verwendung eines vierstufigen Tarifs und pro Betriebstag.

Der so ermittelte Tonnagegewinn wird anschliessend zum jeweiligen Gewinnsteuersatz versteuert.

Belgien, die Niederlande und Zypern wenden für die Bemessungsgrundlage einen fünfstufigen Tarif an.

Norwegen geht von einem fiktiven Gewinn pro 1000 NRZ unter Verwendung eines vierstufigen Tarifs pro Betriebstag aus.

In Griechenland basiert die Ermittlung des Tonnagegewinns auf der Bruttoraumzahl, multipliziert mit einem von der Bruttotonnage abhängigen Koeffizienten.

Der so ermittelte Tonnagegewinn wird anschliessend mit dem vom Alter des Schiffs abhängigen Gewinnsteuersatz multipliziert.

Rechtsform der Keine Beschränkung auf bestimmte begünstigten Rechtsformen Unternehmen Ansässigkeitserfordernis der Geschäftsleitung im Tonnagesteuer-Staat

Artikel 8 Absatz 1 des OECD-Musterabkommens zur Vermeidung von Doppelbesteuerung von Einkommen und Vermögen: Gewinne aus der Schifffahrt können nur im Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet.

Mindestanforderung an die Flaggenführung

Wer weniger als 60 Prozent der eigenen Tonnage unter der Flagge von EU- oder EWR-Mitgliedstaaten betreibt, muss zur Unterstellung unter die Tonnagesteuer diesen Anteil erhöhen oder zumindest auf demselben Stand halten.

52 53 54

In Zypern ist es seit Anfang 2020 zulässig, dass ein neu im Land domiziliertes Seeschifffahrtsunternehmen ab Eintritt in das Tonnagesteuerregime über mindestens ein Seeschiff verfügen muss, das mit einer Flagge eines EUoder EWR-Mitgliedstaats bestückt ist.52 Dieselbe minimale Vorgabe kennen auch die Niederlande in ihrer Tonnagesteuerregelung.53 Deutschland erlaubt ein zeitweises Ausflaggen. Das betroffene Schiff bleibt in einem deutschen Seeschiffsregister eingetragen, erhält aber die Genehmigung zum Führen einer ausländischen Flagge.54

ec.europa.eu/competition/state_aid/cases1/202018/282978_2151764_167_2.pdf ec.europa.eu/competition/state_aid/cases1/201932/280530_2088470_95_2.pdf www.deutsche-flagge.de > Flagge > Ausflaggung

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Eckwerte

Beschrieb

Einkünfte aus der Bereederung im Tonnagesteuer-Staat

Unter der Bereederung wird im Allgemeinen die strategische und wirtschaftliche Verwaltung von Seeschiffen verstanden.

Einkünfte aus der Vercharterung

Die Vercharterung des bereederten Schiffs umfasst zwingend die Ausrüstung und Mannschaft (Time- und Voyage-Charter)

Abweichende Regelungen in Europa

Einzelne Länder (u. a. Estland, Malta, Norwegen, Portugal und Zypern) lassen unter bestimmten Voraussetzungen auch die blosse Vermietung des Schiffs zu (Bareboat-Charter).

Qualifizierende Kernaktivität ist der Transport von GüAktivitäten tern und Personen. Zu Letzterem zählen auch Kreuzfahrtaktivitäten. Hinzu kommen Rettungs- und Unterstützungsdienste. Für weitere Schiffsaktivitäten ist im Lauf der Jahre die Genehmigung für die Tonnagebesteuerung erteilt worden, beispielsweise für die Kabel- und Rohrverlegung oder die wissenschaftliche Meeresforschung.

Die gültigen Tonnagesteuerregelungen sind in den letzten zehn Jahren bezüglich dieses Ausgestaltungsmerkmals vielfältiger geworden. Die von der EU-Kommission unterschiedlich gewährten Aktivitäten eröffnen einen beachtlichen Gestaltungsspielraum.

Steuerliche Der Veräusserungsgewinn unterliegt Behandlung der Tonnagesteuer.

eines allfälligen Veräusserungsgewinns von Seeschiffen

Dänemark und Polen unterstellen den Veräusserungsgewinn der gesetzlich vorgeschriebenen Körperschaftssteuer.

3.4

Konsequenzen für die Einführung einer Schweizer Tonnagesteuer

Bei den oben vorgestellten Bestimmungen handelt es sich um EU-interne Regelungen und somit nicht um für die Schweiz verbindliche internationale Verpflichtungen.55 Mit Blick auf die angestrebte internationale Akzeptanz einer Schweizer Tonnagesteuer kommt den entsprechenden Rahmenbedingungen in der EU dennoch besondere Relevanz zu. Im Vergleich zur EU kennt die Schweiz kein grundsätzliches Verbot staatlicher Beihilfen. Einheitliche Vorschriften zur Kontrolle von Subventionen auf Bundesebene ergeben sich aus dem Subventionsgesetz vom 5. Oktober 199056. Dieses soll sicherstellen, dass Finanzhilfen und Abgeltungen nur gewährt werden, wenn sie hinreichend begründet sind sowie ihren Zweck auf wirtschaftliche und wirkungsvolle Art erreichen. Auch das Bundesgesetz vom 6. Oktober 200657 über Regionalpolitik ist in der Beihilfethematik verwurzelt. Es soll die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Regionen stärken, deren Wertschöpfung erhöhen sowie zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen beitragen.

55 56 57

Vgl. hierzu auch die Einschätzung des Bundesrates in der Botschaft vom 5. Juni 2015 zum Unternehmenssteuergesetz III, BBl 2015 5069 und 5195 f.

SR 616.1 SR 901.0

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Die Einführung einer Tonnagesteuer in der Schweiz ist ein gezieltes Mittel, um gleich lange Spiesse im Wettbewerb um die Gunst hoch mobiler Seeschifffahrtsunternehmen zu schaffen. Die Schweiz lehnt sich hierzu in zentralen Bereichen an die bestehenden Tonnagesteuerregelungen in der EU an. Dies betrifft vor allem den Verwendungszweck der tonnagebesteuerten Schiffe und die Festlegung der Staffeltarife anhand der EU-Mediane zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage. Die EU-Leitlinien für staatliche Beihilfen im Seeverkehr stecken im Wesentlichen das Aktionsfeld ab. Orientiert sich die Schweiz daran, dürften sich keine Risiken mit Blick auf die internationale Akzeptanz ergeben.

Bezüglich der Vorgaben aus den EU-Leitlinien für staatliche Beihilfen im Seeverkehr, die für eine konkrete Ausgestaltung der Tonnagesteuer hohe Relevanz aufweisen, gilt es das Grundprinzip der Europäischen Kommission hervorzuheben, wonach grundsätzlich sämtliche Steuererleichterungen im Seeverkehr an das Führen der EU-Flagge zu knüpfen seien. Konkret sind in den genannten Leitlinien folgende Rahmenbedingungen festgelegt:


Die höhere Benchmark hält fest, dass der Tonnageanteil der Flotte eines Seeschifffahrtsunternehmens zu mindestens 60 Prozent unter der Flagge eines EU-Mitgliedstaats fährt. Hieraus ergeben sich keine weiteren Anforderungen an die Flagge.



Die tiefere Benchmark gibt vor, dass ein Seeschifffahrtsunternehmen nach dem Eintritt in die Tonnagebesteuerung seinen Tonnageanteil, der unter der Flagge eines EU-Mitgliedstaats fährt, erhöht oder zumindest auf demselben Stand hält.58

Die genannten Vorgaben bezüglich Beflaggung gelten auch für den EWR. In EUTonnagesteuerregelungen jüngeren Datums (Niederlande vom 16.07.2019 und Zypern vom 16.12.2019) hat die Europäische Kommission in ihrer Entscheidpraxis tiefere Mindestquoten unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen genehmigt. Ihr zufolge ist es zulässig, dass mit dem Eintritt in die Tonnagebesteuerung die Flotte eines Seeschifffahrtsunternehmens mindestens ein Schiff aufweist, das unter der Flagge eines EU- oder EWR-Mitgliedstaats fährt. Diese Vorgabe ist im Folgenden zu erhöhen oder zumindest auf demselben Stand zu halten.

Da die Erhebung einer Tonnagesteuer allein auf die Schweizer Flagge bezogen nicht zielführend wäre, war in der Vernehmlassungsvorlage vorgesehen, auch die Flaggen aller EU- und EWR-Mitgliedstaaten miteinzuschliessen. Konkret heisst das, dass sich die Schiffsflotte einer in der Schweiz domizilierten Reederei an den Vorgaben der EU-Tonnagesteuerregelungen auszurichten hat und ein Mindestanteil der Schiffstonnage grundsätzlich unter den Flaggen der Schweiz oder von EU- oder EWRMitgliedstaaten fahren soll.

Es hat sich im Folgenden jedoch gezeigt, dass ein solchermassen fixierter Mindestanteil im Konflikt stünde zum Allgemeinen Abkommen vom 15. April 199459 über den Handel mit Dienstleistungen (GATS). Dieses sieht in Artikel II die Meistbegünsti-

58 59

ABl. C 13 vom 17.1.2004, S. 3.

SR 0.632.20

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gungsklausel für alle Massnahmen vor, die den Handel mit Dienstleistungen betreffen. Die Einhaltung eines Mindestanteils an der Tonnage der in Schiffsregistern von EU- oder EWR-Mitgliedstaaten eingetragenen Flotte würde zu einer Diskriminierung gegenüber Drittstaaten führen. Da sich die Schweizer Tonnagesteuer nicht auf den vom GATS ausgenommenen Kernbereich der Seeschifffahrt beschränkt (Beförderung von Gütern und Personen), sondern einen breiten Anwendungsbereich vorsieht wie zum Beispiel Nebentätigkeiten an Bord oder die Vermietung von Seeschiffen, kann die Schweiz das Risiko einer völkerrechtlichen Unvereinbarkeit mit dem GATS nicht in Kauf nehmen. Es ist daher nach anderen Anknüpfungspunkten Ausschau zu halten (vgl. Ziff. 4.1).

In den meisten EU-Ländern bemisst sich der nach der Tonnage ermittelte Gewinn des Seeschiffs für jeweils volle 100 Nettoraumzahleinheiten pro Betriebstag. Dabei ist der je nach Umfang der Ladekapazität zur Anwendung kommende Betrag degressiv gestaffelt. Das hängt damit zusammen, dass grössere Schiffe in der Regel mit kleineren Margen pro Volumeneinheit rechnen.

Im Rahmen der Ermittlung der Bemessungsgrundlage soll auch in der Schweiz die degressiv ausgestaltete Staffelung anhand der EU-Mediane herangezogen werden.

Die Ermittlung des steuerbaren Gewinns soll für Bund und Kanton nach denselben Kriterien erfolgen. Dank der verfassungsrechtlich verankerten Tarifautonomie der Kantone besteht ausreichend Spielraum, um den interkantonalen Wettbewerb über die ordentlichen Gewinnsteuersätze spielen zu lassen.

4

Grundzüge der Vorlage

4.1

Die beantragte Neuregelung

Im Vergleich zum Vorentwurf werden in spezifischen Bereichen Nachbesserungen vorgenommen, um sicherzustellen, dass die Schweizer Regelung nicht unattraktiver ist als die europäischen Regelungen. Der Gestaltungsspielraum der EU-Leitlinien und der Entscheidpraxis der Europäischen Kommission zur Genehmigung mitgliedstaatlicher Tonnagesteuerregelungen im Rahmen der Beihilfeaufsicht soll gezielter genutzt werden. Dazu gehören insbesondere die folgenden zwei Anpassungen gegenüber der Vernehmlassungsvorlage: ­

Schiffsmanagementgesellschaften erbringen unterschiedliche Dienstleistungen für eine Reederei. Dies kann in Form der Wartung und Überprüfung der Sicherheit des Seeschiffs im Bereich des technischen Managements erfolgen oder mittels Einstellung und Ausbildung von Seeleuten im Bereich des Besatzungsmanagements. Die Schweizer Tonnagesteuer soll daher auch auf Schiffsmanagementtätigkeiten anwendbar sein.

­

Obwohl die Bareboat-Charter mit der blossen Vermietung des Seeschiffs ohne Ausrüstung und Mannschaft einem Leasing gleichkommt, haben EUTonnagesteuerregelungen jüngeren Datums von einem strikten Verbot Abstand genommen, sofern bestimmte Bedingungen eingehalten werden. Der Schweizer Tonnagesteuer sollen diesbezüglich nicht höhere Hürden entgegenstehen als im EU-Raum.

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Weil die GATS-Meistbegünstigungsklausel der Schweiz keinen gesetzlichen Mindestanteil an EU- oder EWR-Flaggen zulässt (vgl. Ziff. 3.4), sind andere Anknüpfungspunkte geprüft worden. Es hat sich gezeigt, dass sowohl die Ausrichtung nach den GATS-Unterzeichnerstaaten als relevantes Abgrenzungskriterium als auch der vollständige Verzicht auf ein Flaggenerfordernis zu unbefriedigenden Ergebnissen führen. Auch eine Ausgestaltung, wie sie beispielsweise Deutschland kennt, erweist sich nicht als zielführend. Tonnagebesteuerten Seeschiffen wird dort das Führen einer ausländischen Flagge befristet erlaubt sie müssen hierzu bloss in einem inländischen Seeschiffsregister eingetragen sein.60 Die Schweiz hingegen schliesst dies gemäss geltendem Recht explizit aus. Im Schweizer Register sind nur Seeschiffe mit Schweizer Flagge eingetragen.

Im Folgenden ist mit Blick auf das Flaggenerfordernis die Berücksichtigung qualitativer Kriterien geprüft worden. Es hat sich gezeigt, dass ein Abstellen auf völkerrechtlich verbindliche Seeverkehrsübereinkommen zielführend ist, mit denen die Flagge des tonnagebesteuerten Schiffs in Einklang stehen muss. So bilden die drei IMO-Regelwerke (SOLAS, MARPOL, STCW) und jenes der Internationalen Arbeitsorganisation (MLC) die vier Kernkonventionen des maritimen Rechts (siehe detailliertere Ausführungen in Ziff. 5.1). Sie umfassen elementare Standards im Bereich der Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe, der Schiffssicherheit, der beruflichen Befähigung der Schiffsbesatzungen sowie der Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord von Schiffen.

Damit die Schweizer Tonnagesteuer überhaupt zur Anwendung kommen kann, ist der Nachweis der Ansässigkeit der Seeschifffahrtsunternehmen in der Schweiz zentral.

Das Schweizer Steuerrecht sieht diesbezüglich vor, dass juristische Personen aufgrund persönlicher Zugehörigkeit steuerpflichtig sind, wenn sich ihr Sitz oder ihre tatsächliche Verwaltung in der Schweiz befindet (Art. 50 DBG / Art. 20 Abs. 1 StHG).

4.2

Umsetzung

Systembedingt sollen die gleichlautenden Bestimmungen für Bund und Kantone gleichzeitig in Kraft gesetzt werden. Damit sie ins kantonale Recht überführt und die Vorkehrungen für einen reibungslosen Vollzug sichergestellt werden können, ist eine angemessene Übergangsfrist einzuräumen. Sollte diese Frist nicht eingehalten werden, findet das Bundesrecht direkt Anwendung.

Zusätzlich zu den Änderungen im StHG werden die Kantone auch die Änderungen im DBG umzusetzen haben, da die Erhebung der direkten Bundessteuer durch die Kantone (unter Aufsicht des Bundes) erfolgt.

Der Bundesrat erachtet es als geboten, auch bei der Schweizer Tonnagesteuer ökologische Kriterien einzubauen. Die in Ziffer 2.2 erwähnte Grundsatznorm lässt je nach ökologischem Leistungsausweis des betroffenen Seeschiffs eine Verringerung bei der 60

Per 31.12.2021 umfasste die deutsche Flotte insgesamt 1767 Seeschiffe, davon fuhren 275 unter deutscher Flagge. Der Anteil an EU-Flaggen am Gesamtbestand betrug 46,5 Prozent (546 Seeschiffe). Dabei ragten neben der erwähnten deutschen Flagge die portugiesische (335) und die zypriotische (123) heraus.

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Bemessungsgrundlage des Tonnagegewinns zu. Für die Umsetzung dieser Bestimmung gilt es auf Verordnungsstufe einen für die Kantone praktikablen Kriterienkatalog festzulegen.

5

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln

5.1

Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer

Art. 18 Abs. 3bis Die Tonnagesteuer soll nicht von der Rechtsform des Unternehmens abhängig sein.

Deshalb können sich auch selbstständig Erwerbstätige sowie Personengesellschaften in der Form einer einfachen Gesellschaft, einer Kollektiv- oder einer Kommanditgesellschaft mit ihren Seeschiffen der Tonnagesteuer unterstellen. Dabei sind die Artikel 73 bis 77 sinngemäss anwendbar. Das mittels Tonnagesteuer ermittelte Einkommen aus dem Betrieb von Seeschiffen wird sofern vorhanden zum übrigen steuerbaren Einkommen hinzugerechnet und zum ordentlichen Einkommenssteuersatz besteuert.

Art. 58a

Tonnagesteuer

Die Tonnagesteuer kommt einer alternativen Methode zur Ermittlung der Gewinnsteuer gleich. Für die Berechnung des steuerbaren Reingewinns aus dem Betrieb von Seeschiffen sind die Artikel 73 bis 77 anwendbar. Der vorliegende Artikel bringt den entsprechenden Vorbehalt bei der ordentlichen Gewinnbesteuerung an. Der mittels Tonnagesteuer ermittelte steuerbare Reingewinn wird sofern vorhanden zum übrigen steuerbaren Reingewinn hinzugerechnet und zum ordentlichen Gewinnsteuersatz besteuert.

Dritter Titel: Tonnagesteuer (Gliederungstitel vor Art. 73) Für die Bestimmungen zur Tonnagesteuer wird ein neuer Titel geschaffen. Bis zur Inkraftsetzung des Bundesgesetzes vom 10. Oktober 199761 über die Reform der Unternehmensbesteuerung 1997 am 1. Januar 1998 war dort die Kapitalsteuer des Bundes verortet.

Art. 73

Gegenstand

Absatz 1 hält abschliessend fest, für welche betrieblichen Zwecke auf Antrag Seeschiffe der Tonnagesteuer unterstellt werden können. Diesbezüglich wird EUKompatibilität angestrebt. Den oben bereits genannten Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen im Seeverkehr kann entnommen werden, dass die Schiffe zur Beförderung von Gütern und Personen auf dem Seeweg den Kernbereich bilden. Im Lauf der Zeit hat die EU-Kommission die Unterstellung unter die Tonnagesteuer auch für zulässig erklärt für Seeschiffe, die anderen Zwecken dienen: den Schlepp- und 61

AS 1998 669

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Baggerarbeiten, den Rettungs- und Unterstützungsdiensten, der Kabel- und Rohrverlegung, der Errichtung und dem Unterhalt von Offshore-Bauwerken, der wissenschaftlichen Meeresforschung sowie den seismografischen Aktivitäten.62 Auch diese Zwecke finden Eingang in die Bestimmung.

Die Binnenseeschifffahrt und die reine Flussschifffahrt qualifizieren nicht für die Tonnagesteuer. Soweit aber beispielsweise Güter über das Meer und anschliessend auf demselben Seeschiff noch auf einem Fluss transportiert werden, um zum Zielhafen zu gelangen, qualifiziert dieser letzte Teil des Transportwegs ebenfalls für die Tonnagesteuer.

Absatz 2 regelt die Tätigkeiten, die als Betrieb des Seeschiffs gelten: ­

Bereederung: Unter die Bereederung fällt die generelle Verwaltung des Betriebs des Schiffs. Dazu zählen u. a. die Bereitstellung von Ausrüstung, die Wartung, der Unterhalt, die Inspektion und Verproviantierung von Seeschiffen, die Vermittlung von Schiffsbesatzungen sowie die Fracht- und Passagierbeförderung.

­

Charterung: In der Seeschifffahrt werden als Charterer Personen bezeichnet, die ein Schiff von der Eigentümerin oder dem Eigentümer (in der Regel die Reederei) mieten. Eine Charterung ist die befristete Übernahme eines Gegenstands gegen Entrichtung eines entsprechenden Entgelts. Nicht jede Reederei ist mit eigenen Schiffen unterwegs. Sie kann daher auch Charterer sein.

­

Vercharterung: Unter die Vercharterung fällt die Vermietung von Seeschiffen an Dritte. Zu unterscheiden sind einerseits die Time- und die Voyage-Charter und andererseits die Bareboat-Charter.

Bei der Time- und der Voyage-Charter handelt es sich jeweils um die Vermietung des bereederten Schiffs, d. h. inklusive Ausrüstung und Mannschaft, für eine bestimmte Dauer (Time) oder für eine bestimmte Reise (Voyage).

Bei der Bareboat-Charter vermietet die Eigentümerin oder der Eigentümer indessen bloss das Schiff, was grundsätzlich einer nicht der Tonnagesteuer unterliegenden Leasing-Aktivität gleichkommt. Ausnahmsweise unterliegt auch die Bareboat-Charter der Tonnagesteuer.

Beim Bareboat-Chartering an unabhängige Dritte müssen kumulativ die folgenden Voraussetzungen gegeben sein:63 ­ Erstens ist die Bareboat-Charter auf temporäre Überkapazitäten bei der Flotte der steuerpflichtigen Person zurückzuführen, deren Schiffe nicht speziell für die Vercharterung erworben worden sind.

­ Zweitens ist sie auf maximal drei Jahre befristet.

62

63

Beschluss (EU) 2019/1116 der Kommission vom 19. Dezember 2017 über die staatliche Beihilfe SA.33829 (2012/C). Maltesische Tonnagesteuerregelung und andere staatliche Maßnahmen zugunsten von Seeverkehrsunternehmen und deren Anteilseignern, ABl. L 176 vom 1.7.2019, S. 7, hier 18 und 56.

State Aid SA. 51809 (2019/N) Cyprus Prolongation of the Cyprus Tonnage Tax and Seafarer Scheme, Randziffern 29 sowie 128130, einsehbar unter: ec.europa.eu/ competition/state_aid/cases1/202018/282978_2151764_167_2.pdf.

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­

Drittens dürfen höchstens 50 Prozent der Flotte der steuerpflichtigen Person auf diese Weise verchartert werden.

Konzernintern ist die Bareboat-Charter unbeschränkt zulässig, da es sich hierbei lediglich um eine Frage der Konzernstrukturierung handelt.

­

Schiffsmanagementtätigkeiten: Diese werden in der Regel von den Reedereien selbst erbracht. Sie können jedoch auch an Drittfirmen ausgelagert werden. Im Zentrum dieser Tätigkeiten stehen das technische Management (Wartung und Überprüfung der Sicherheit eines Seeschiffs) und das Besatzungsmanagement (Einstellung und Ausbildung der Seeleute).

Der Bundesrat umschreibt den Betrieb in Ausführungsbestimmungen näher.

In Absatz 3 wird verdeutlicht, dass der Tonnagesteuer sämtliche Gewinne unterliegen, die unmittelbar mit dem Betrieb des Schiffs in Zusammenhang stehen. Im Vordergrund stehen hierbei die Haupteinnahmen des Seeverkehrs durch Fahrkartenverkauf und Kabinenvermietung für die Personenbeförderung sowie Gebühren für die Güterbeförderung. Ein allfälliger Kapitalgewinn aus der Veräusserung eines tonnagebesteuerten Schiffs unterliegt ebenfalls der Tonnagesteuer, sofern dieses während mindestens einem Jahr durch eine Reederei oder einen Vercharterer gehalten wurde.

Der gesamte Gewinn aus Nebentätigkeiten an Bord eines Schiffs fällt ebenfalls unter die Tonnagesteuer, solange die vom Seeschifffahrtsunternehmen erbrachten Leistungen höchstens 50 Prozent des nach Handelsrecht ermittelten Gewinns aus dem Betrieb des Schiffs ausmachen.64 Als Bemessungsgrundlage für diesen Gewinn gilt somit das handelsrechtliche Ergebnis. Unter solche Nebentätigkeiten fallen unter anderem die Vermietung von Werbetafeln, der Verkauf von Waren, Spa- und Friseurdienstleistungen sowie Glückspiele und andere Unterhaltungsdienstleistungen.

Solange Kreuzfahrtschiffe unter einer anderen als der Schweizer Flagge fahren und ein Casino betreiben, ergeben sich keine verfassungsmässigen Restriktionen. Fährt indessen ein Kreuzfahrtschiff mit Casino unter einer Schweizer Flagge, wäre nach Artikel 106 BV für die Errichtung und den Betrieb von Spielbanken eine Konzession des Bundes erforderlich. Dies wäre frühestens ab dem 1. Januar 2025 möglich. Gemäss Artikel 140 Absatz 1 des Geldspielgesetzes vom 29. September 201765 (BGS) laufen erteilte Konzessionen nämlich sechs Kalenderjahre nach Inkrafttreten des BGS ab. Vorher werden keine neuen Konzessionen erteilt. Der Bund erhebt gestützt auf Artikel 119 Absatz 1 BGS auf den Bruttospielerträgen eine Abgabe (Spielbankenabgabe). Diese darf mindestens 40 und höchstens 80 Prozent der Bruttospielerträge betragen (Art. 106 Abs. 2 BV sowie Art. 120 Abs. 2 Bst. a BGS). Der um die Abgabe reduzierte Gewinn ist für die Tonnagesteuer massgebend.

64

65

Die genannte Limite ist unter anderem in folgenden Tonnagesteuerregelungen durch die Europäische Kommission genehmigt worden. Zypern vom 16.12.2019: ec.europa.eu/competition/state_aid/cases1/202018/282978_2151764_167_2.pdf; Estland vom 16.12.2019: ec.europa.eu/competition/state_aid/cases1/202017/281883_2149331_168_2.pdf und Kroatien vom 3.4.2020: ec.europa.eu/competition/state_aid/cases1/202018/282852_2152628_145_2.pdf.

SR 935.51

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Landgestützte Dienstleistungen wie etwa lokale Ausflüge fallen nicht unter die Tonnagesteuer.

Absatz 4 hält fest, dass Gewinne aus Handelstätigkeiten und Liegenschaften der ordentlichen Besteuerung unterliegen. Für Gewinne aus dem Betrieb von Seeschiffen, für die kein Antrag auf Tonnagebesteuerung gestellt wurde, gilt dies ohnehin. Üben Unternehmen mit ihren Schiffen sowohl tonnagebesteuerte Tätigkeiten als auch andere Tätigkeiten aus, so müssen sie für beide Tätigkeiten eine Spartenrechnung führen. Für die Zwecke dieser Spartenrechnung sind sämtliche Aufwendungen, einschliesslich Gemeinkosten, auf die einzelnen Schiffe zu verteilen. Dieses Erfordernis bringt naturgemäss Abgrenzungsfragen und administrativen Mehraufwand mit sich.

Aufgrund der allgemeinen Beweislastregeln hat die steuerpflichtige Person den Nachweis zu erbringen, dass bestimmte Aktivitäten und deren Aufwände unter die Tonnagesteuer fallen.

Art. 74

Voraussetzungen

Wer die Tonnagesteuer beantragen will, hat gemäss Absatz 1 sicherzustellen, dass das betroffene Schiff unter einer Flagge fährt, die im Einklang steht mit den vier wichtigsten Seeverkehrsübereinkommen. Diese bilden den regulatorischen Rahmen im internationalen Seerecht und sind kumulativ einzuhalten. Dazu gehören die folgenden drei von der IMO verabschiedeten Regelwerke:

66 67 68

1.

Die Anforderungen an den Umweltschutz seitens der Seeschifffahrt sind im Internationalen Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL)66 festgeschrieben. Dieses trat am 2. Oktober 1983 in Kraft und ist seither immer wieder erweitert worden. Das Vertragswerk regelt in sechs Anlagen verschiedene Arten von Verschmutzungen und deren Verhütung im Zusammenhang mit dem Schiffsbetrieb. Die seit dem 1. Januar 2020 beschlossenen schärferen Regeln bezüglich des Schwefelgehalts der Treibstoffe (vgl. Ziff. 2.2) sind Bestandteil der Ergänzungen von Anlage VI, die die Verhütung der Luftverunreinigung durch Seeschiffe behandeln. Insgesamt 160 Staaten haben das MARPOL bisher ratifiziert, darunter auch die Schweiz.

2.

Das Internationale Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS)67 legt Mindestsicherheitsstandards für den Bau, die Ausrüstung und den Betrieb von Schiffen fest. Es ist am 25. Mai 1980 in Kraft getreten und hat seither eine Vielzahl von Aktualisierungen und Änderungen erfahren.

Insgesamt 167 Staaten haben das Übereinkommen bisher ratifiziert, darunter auch die Schweiz.

3.

Das Internationale Übereinkommen betreffend Standards für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten (STCW)68 schreibt Mindestnormen vor und ist am 28. April 1984 in Kraft

SR 0.814.288.2 SR 0.747.363.33 SR 0.747.341.2

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getreten. Es ist seither immer wieder ergänzt worden. Insgesamt 166 Staaten haben das STCW bisher ratifiziert, darunter auch die Schweiz.

Das vierte zentrale Regelwerk im maritimen Bereich ist das Seearbeitsübereinkommen (MLC)69 der Internationalen Arbeitsorganisation, das am 20. August 2013 in Kraft getreten ist. Dieses legt weltweit Mindeststandards im Bereich der Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord fest und bietet eine umfassende Perspektive zur Einhaltung der Rechte der Seeleute sowie zur Stärkung ihrer Stellung am Arbeitsplatz. Es hat im Verlauf der Zeit ebenfalls eine Reihe von Ergänzungen erfahren. Das MLC ist bisher von 98 Staaten ratifiziert worden, darunter auch von der Schweiz.

Die kumulative Berücksichtigung bietet ausreichend Gewähr dafür, dass der Flaggenstaat im Bereich des Umweltschutzes, der Schiffssicherheit und des Arbeitsrechts zumindest formell den Mindesterfordernissen zur Förderung der Qualitätsschifffahrt genügt.

In Absatz 2 wird festgelegt, dass für das Führen der Flagge der letzte Tag der Steuerperiode massgebend ist.

Gemäss Absatz 3 ist der Antrag auf Unterstellung von Seeschiffen unter die Tonnagesteuer bei der kantonalen Verwaltung für die direkte Bundessteuer einzureichen.

Art. 75

Berechnung

Absatz 1 regelt den Grundsatz, wonach der steuerbare Reingewinn aus dem Betrieb des Seeschiffs pauschal anhand der mit einem gestaffelten Tarif multiplizierten Nettoraumzahl (Ladekapazität des Schiffs) berechnet wird. Der so ermittelte Betrag wird anschliessend mit der Anzahl Betriebstage multipliziert.

Die Nettoraumzahl ist eine international gebräuchliche Zahl, mit der die Grösse eines Schiffs vermessen wird. Die Formel zu ihrer Berechnung ist im internationalen Schiffsvermessungs-Übereinkommen geregelt. Die Nettoraumzahl wird von der zuständigen Behörde für jedes Schiff ermittelt und im Schiffsmessbrief vermerkt. Die Steuerbehörden können somit für die Steuerberechnung auf diese offiziellen Angaben zurückgreifen.

Absatz 2 liefert die Basis zur Ermittlung des steuerbaren Reingewinns. Die im Vorentwurf verwendeten Tarife entsprechen den aktuellen EU-Medianen. Diese können dem Ende Mai 2020 veröffentlichten Weissbuch der Swiss Shipowners Association entnommen werden.70 Zur Veranschaulichung wird das nachfolgende Beispiel herangezogen:

69 70

SR 0.822.81 www.shipowners.ch > Documents > White Book on Swiss maritime sector February 2020 > Download the White Book on Swiss maritime sector / DE

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Mittelgrosses, unter Schweizer Flagge fahrendes Frachtschiff mit einer Nettoraumzahl (NRZ) von 19 990 Der Gewinn bis 1000 NRZ pro Betriebstag beträgt:

1000 x 1.09 Franken /100

Der Gewinn von 1001 NRZ bis 10 000 NRZ pro Betriebstag beträgt:

9000 x 0.80 Franken /100

Der Gewinn von 10 001 NRZ bis 25 000 NRZ pro Betriebstag beträgt:

9990 x 0.52 Franken /100

Der so ermittelte Tonnagegewinn pro Betriebstag beträgt:

134.85 Franken

Der steuerbare Gewinn pro Jahr beträgt bei 320 Betriebstagen (134.85 Franken x 320 Tage):

43 152 Franken

Auf dem ermittelten Tonnagegewinn kommt in der Folge der jeweilige ordentliche Steuersatz der Gebietskörperschaft zur Anwendung. Bei der direkten Bundessteuer beträgt die Gewinnsteuer für Kapitalgesellschaften und Genossenschaften 8,5 Prozent des Reingewinns (Art. 68 DBG) vor Steuern. Bei rentablen Seeschifffahrtsunternehmen führt die Tonnagesteuer gegenüber der ordentlichen Besteuerung zu einer vergleichsweise tiefen Steuerbelastung.

Absatz 3: Der Leitfaden der Europäischen Kommission für Schiffsmanagementgesellschaften hält fest, dass der Umsatz von Schiffsmanagementgesellschaften für ein bestimmtes Seeschiff wegen der beschränkten Betriebstätigkeit deutlich geringer ausfällt als jener bei Reedereien. Deshalb entspricht der pauschale Tonnagegewinn etwa 25 Prozent des üblichen pauschalen Gewinns pro Schiff.71 Die Kürzung um 75 Prozent hat die EU-Kommission beispielsweise den Niederlanden bereits zum zweiten Mal gewährt. Auch in Zypern ist eine solche Regelung seit dem 1. Januar 2020 in Kraft.72 Werden Schiffsmanagementtätigkeiten als Teil des Betriebs von Seeschiffen der Tonnagesteuer unterstellt, so ist gleich wie in den einschlägigen EU-Tonnagesteuerregelungen der Gewinn pauschal zu reduzieren.

Absatz 4 hält fest, dass die Verwendung umweltfreundlicherer Seeschiffe zu einer tieferen Tonnagesteuer führen soll. Der gemäss Absatz 2 ermittelte Tonnagegewinn ermässigt sich um maximal 30 Prozent, sofern bestimmte ökologische Anforderungen eingehalten werden. Die Höhe der Ermässigung hängt massgeblich davon ab, welchen Nachweis die steuerpflichtige Person bezüglich eines umweltfreundlichen Antriebssystems sowie der Luft- und der Wasserverschmutzung des Schiffs erbringt. Der vollständige Kriterienkatalog wie auch die Höhe der Ermässigung im Einzelnen werden vom Bundesrat in einer Verordnung geregelt. Wie bereits in Ziffer 2.2 ausgeführt, ist

71 72

ABl. C 132 vom 11.6.2009, S. 9.

Bezüglich der Niederlande: ec.europa.eu/competition/state_aid/cases/227410/ 227410_1745841_60_2.pdf > Randziffern 12, 13 und 53; ec.europa.eu/ competition/state_aid/cases1/201932/280530_2088470_95_2.pdf > Randziffern 17, 19, 24 und 75; bezüglich Zypern: ec.europa.eu/competition/state_aid/cases1/202018/ 282978_2151764_167_2.pdf > Randziffer 53; www.hellenicshippingnews.com/ cyprus-cyprus-tonnage-tax-system/.

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für die Berücksichtigung ökologischer Kriterien die Vollzugstauglichkeit eine wichtige Bedingung. Denn die Steuerbehörden verfügen nicht über die notwendigen fachtechnischen Kenntnisse im Bereich umweltschonender Technologien. Zur Umsetzung gilt es daher auf Verordnungsstufe einen wirksamen und gleichzeitig praktikablen Kriterienkatalog festzulegen.

Art. 76

Beginn, Dauer und Ende der Tonnagebesteuerung

Ein Seeschifffahrtsunternehmen hat die Wahl, ob es Schiffe der Tonnagesteuer unterstellen will oder nicht. Weil bei der Tonnagebesteuerung sowohl Einstieg als auch Ausstieg pro Schiff (und nicht pro Flotte) erfolgen, liegt für eine Reederei ein hohes Mass an Flexibilität vor insbesondere mit Blick auf eine steuerneutrale Übertragung mittels Umstrukturierung im Konzernverhältnis (vgl. Erläuterungen zu Art. 77). Der gewählte Lösungsansatz der Einzelfallbetrachtung bedingt, dass für die Gewinnermittlung Spartenrechnungen geführt werden müssen. Demnach bilden sämtliche Seeschiffe der steuerpflichtigen Person, die der Tonnagesteuer unterstellt sind, eine Sparte. Für diese Sparte erfolgt die Gewinnermittlung nach Artikel 75 mit dem Ergebnis, dass als steuerbares Spartenergebnis die Summe der Reingewinne sämtlicher der Tonnagesteuer unterstehenden Seeschiffe ausgewiesen wird. Für alle übrigen Gewinne und für Gewinne aus Schiffen, die nicht der Tonnagesteuer unterstehen, wird eine weitere Sparte geführt. Das steuerbare Ergebnis dieser Sparte wird dabei nach den ordentlichen Gewinnermittlungsvorschriften des Steuerrechts ermittelt. Die Summe beider Spartenergebnisse bildet das steuerbare Ergebnis der steuerpflichtigen Person.

In Absatz 1 wird der Beginn der Tonnagebesteuerung festgelegt. Es obliegt der steuerpflichtigen Person, die Unterstellung unter die Tonnagesteuer zu beantragen.

In Absatz 2 wird den vor Eintritt in das Tonnagesteuerregime gebildeten stillen Reserven Rechnung getragen. Seeschifffahrtsunternehmen können auf dem Anlagevermögen mittels Ersatzbeschaffung beträchtliche stille Reserven bilden, solange die Schiffe Teil des betriebsnotwendigen Anlagevermögens sind. Gemäss Artikel 64 Absatz 1 DBG können die stillen Reserven auf die als Ersatz erworbenen Anlagegüter übertragen werden, sofern sie weiterhin betriebsnotwendig sind. Als betriebsnotwendig gilt nur Anlagevermögen, das dem Betrieb unmittelbar dient. Dies ist bei einer Ersatzbeschaffung in Form eines Schiffs zugunsten eines Seeschifffahrtsunternehmens ohne Weiteres der Fall. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die auf dem Seeschiff gebildeten stillen Reserven im Moment, in dem die Tonnagebesteuerung beginnt, besteuert werden sollten.

Dies hätte zur Folge, dass die Attraktivität der Tonnagesteuer stark gemindert würde.
Handkehrum kann es als stossend empfunden werden, wenn der Systemwechsel weg von der ordentlichen Besteuerung hin zur Tonnagebesteuerung steuerlich nicht erfasst wird. Daher soll ein Mittelweg beschritten werden: Es braucht mit dem Eintritt in die Tonnagebesteuerung eine Norm zur Besteuerung der aufgelaufenen stillen Reserven.

Die Besteuerung des ermittelten Betrags (Differenz zwischen Gewinnsteuerwert und Verkehrswert) kann jedoch auf Antrag bis zur Veräusserung des Seeschiffs aufgeschoben werden.

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Absatz 3 sieht vor, dass die steuerpflichtige Person für jedes Seeschiff einen Antrag auf Unterstellung während eines Zeitraums von zehn Jahren stellen muss. Die meisten EU-Mitgliedstaaten, die dieses Förderinstrument kennen, verfügen bezüglich Zeitraum über entsprechende Regelungen.

Endet die Tonnagebesteuerung vor dem ordentlichen Zeitraum von zehn Jahren, weil die steuerpflichtige Person darauf verzichtet oder die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind, so kommt Absatz 5 zur Anwendung.

Gemäss Absatz 4 kann die steuerpflichtige Person die Unterstellung von Schiffen unter die Tonnagesteuer nach Ablauf von zehn Steuerperioden erneut beantragen.

Könnte die steuerpflichtige Person jährlich beliebig zwischen der Tonnagesteuer und der ordentlichen Besteuerung hin und her wechseln, so ergäben sich massive Steueroptimierungsmöglichkeiten.

Falls die steuerpflichtige Person gemäss Absatz 5 vor Ablauf der zehn Steuerperioden auf die Tonnagebesteuerung verzichtet oder die Tonnagebesteuerung aus anderen Gründen (bspw. weil das Flaggenerfordernis nicht mehr erfüllt ist oder der Verwendungszweck des Seeschiffs nicht mehr dem Tonnagesteuerregime entspricht) vorzeitig endet, kann für das betreffende Schiff erst mit Wirkung ab der sechsten Steuerperiode nach dem Ende eine erneute Unterstellung unter die Tonnagesteuer beantragt werden. Dadurch lassen sich Steueroptimierungsmöglichkeiten begrenzen.

Absatz 6 hält fest, dass nach Ablauf der Zehnjahresfrist der steuerbare Reingewinn wiederum der ordentlichen Berechnung unterliegt. Dabei werden ab Beginn der neuen Steuerperiode die handelsrechtlichen Buchwerte am Ende der Tonnagebesteuerung als Gewinnsteuerwerte herangezogen. Das Abstellen auf das Handelsrecht stellt sicher, dass die gemäss Obligationenrecht73 geltenden Höchstbewertungsvorschriften eingehalten werden. Damit wird verhindert, dass eine steuerpflichtige Person während der Tonnagebesteuerung keine Abschreibungen an den Aktiven aus dem maritimen Betrieb von Schiffen vornimmt und anschliessend ­ im Rahmen der ordentlichen Gewinnermittlung ­ durch aufgelaufene Abschreibungen den Gewinn über Gebühr schmälern kann.

Der letzte Satz in Absatz 6 stellt klar, dass Verluste aus der Zeit der Tonnagebesteuerung nicht vorgetragen werden können. Das ist systematisch korrekt, da es sich bei der Tonnagesteuer um
eine alternative Methode zur Ermittlung der ordentlichen Gewinnsteuer handelt und somit die effektive Höhe der Gewinne oder Verluste während der Tonnagebesteuerung unberücksichtigt bleibt.

Art. 77

Umstrukturierungen

Mit dieser Gesetzesbestimmung sollen Steueroptimierungsmöglichkeiten durch Umstrukturierungen verhindert werden. Grundsätzlich können auch Seeschiffe durch Umstrukturierungen steuerneutral übertragen werden. Dabei ist zu unterscheiden, ob ein Schiff im Zeitpunkt der Übertragung der ordentlichen oder der Tonnagebesteuerung unterliegt. Im ersten Fall sind die für die Gewinnsteuer massgebenden Werte zu übernehmen. Es gelten die gesetzlichen Bestimmungen gemäss Artikel 61 und die 73

SR 220

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Praxisfestlegungen des ESTV-Kreisschreibens Nr. 5a vom 1. Februar 202274 betreffend Umstrukturierungen. Im zweiten Fall sind die handelsrechtlichen Buchwerte massgebend.

Diese Unterscheidung hat damit zu tun, dass für tonnagebesteuerte Schiffe keine steuerliche Gewinnermittlung nach Massgabe der Handelsbilanz erfolgt. Somit erfahren die Buchwerte gemäss Handelsrecht keine steuerlichen Korrekturen. Das Unternehmen hat aber für die Bestimmung der handelsrechtlichen Buchwerte im Zeitpunkt der Umstrukturierung die bisher angewandten handelsrechtlichen Bewertungsgrundsätze beizubehalten.

Um die Regelungen von Artikel 76 einzuhalten, werden die folgenden zwei Konstellationen unterschieden: 1.

Es wird ein Seeschiff übertragen, für welches die Tonnagesteuer gilt. In diesem Fall laufen die Tonnagesteuer und die Anwendungsdauer gemäss Artikel 76 Absatz 3 im übernehmenden Unternehmen weiter.

2.

Es wird ein Seeschiff übertragen, für welches die Tonnagesteuer erst nach Ablauf der Sperrfrist gemäss Artikel 76 Absatz 5 wieder beantragt werden könnte. In diesem Fall läuft die Sperrfrist weiter und ist vom übernehmenden Unternehmen zu beachten.

Bei einem Verkauf des Seeschiffs gelangen diese Regelungen nicht zur Anwendung.

Das heisst, dass der neue Schiffsbesitzer die Unterstellung unter die Tonnagesteuer beantragen kann, sofern er die notwendigen Voraussetzungen (Art. 73 und 74) erfüllt.

Wenn das verkaufende Unternehmen über weitere Schiffe verfügt, die der Tonnagesteuer unterstellt worden sind, läuft für diese die Tonnagesteuer weiter, sofern die Verwendungszwecke und das Flaggenerfordernis eingehalten werden (Art. 73 und 74).

5.2

Steuerharmonisierungsgesetz

Art. 8 Abs. 5 Siehe Erläuterungen zu Artikel 18 Absatz 3bis DBG.

Art. 14 Abs. 3 zweiter Satz Gleich wie bei juristischen Personen (Kapitalsteuer) soll auch für selbstständig Erwerbstätige eine Ermässigung bei der Vermögenssteuer für Schiffe geltend gemacht werden können, die der Tonnagesteuer unterstellt sind.

Art. 24 Abs. 1bis Es wird auf die Erläuterungen zu Artikel 58a DBG verwiesen.

74

www.estv.admin.ch/estv/de/home/direkte-bundessteuer/fachinformationen-dbst/ dbst-kreisschreiben.html > 1-005a-DVS-2022-d vom 1.2.2022 Umstrukturierungen.

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Art. 28a28e Die Bestimmungen stimmen mit den Artikeln 73 bis 77 DBG überein.

Auf die Möglichkeit für die Kantone, die eidgenössische Tonnagesteuer mit der kantonalen Tonnagesteuer zu verrechnen, wie dies der Gesetzestext des Nationalrats ursprünglich vorsah, wird verzichtet.75 Der Grund liegt darin, dass die Tonnagesteuer nur auf Stufe Bemessungsgrundlage wirkt. Das heisst, dass die kantonale Tarifautonomie eingehalten wird.

Art. 29 Abs. 3 Die nach geltendem Recht bestehende Möglichkeit von Steuerermässigungen bei der Kapitalsteuer wird auf die Seeschiffe ausgedehnt, die der Tonnagesteuer unterstellt sind (Art. 28a Abs. 1).

6

Auswirkungen

6.1

Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

Statische Effekte Die ESTV verfügt über keine statistischen Daten darüber, welche Unternehmen für die Tonnagesteuer qualifizieren würden und welche fiskalische Bedeutung diese Unternehmen hätten. Daher erweist sich bereits eine Schätzung der statischen finanziellen Auswirkungen bei Einführung einer Tonnagesteuer als schwierig.

Mutmasslich könnten weniger als 100 Unternehmen die Tonnagesteuer beantragen.

Für die Inanspruchnahme der Tonnagesteuer ist es entscheidend, dass es sich um in der Schweiz steuerpflichtige Gesellschaften handelt, die Seeschiffe direkt halten und ausschliesslich maritime Schifffahrtsaktivitäten im Sinne des vorliegenden Gesetzesentwurfs ausüben. In diesem Fall würde die bisherige Gewinnbesteuerung vollständig durch die Tonnagesteuer abgelöst, soweit das Unternehmen dafür optiert. Betreibt ein solches Unternehmen zusätzlich noch andere Tätigkeiten, die nicht der Tonnagesteuer unterstellt sind (insb. Grosshandelsaktivitäten), so müsste es bei der Ausübung seines Wahlrechts eine den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Aufteilung zwischen dem Gewinn aus dem Betrieb von Seeschiffen und dem Gewinn aus den übrigen Aktivitäten (insb. aus dem Rohstoffhandel) vornehmen, da Letztere nicht in den Geltungsbereich der Tonnagesteuer fallen. Dies könnte ein gewisses Potenzial zur Steueroptimierung eröffnen, wobei die Grössenordnung dieses Effekts unklar ist.

75

www.parlament.ch/centers/eparl/curia/2015/20150049/S3%20D.pdf > S. 29 (Art. 28 Abs. 2 Bst. e E-StHG).

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Dynamische Effekte Das Lausanner Institut d'économie appliquée (CREA) hat 2015 in einer Studie («Le pôle économique maritime suisse et la taxe au tonnage») die dynamischen Effekte bei Einführung einer Tonnagesteuer in der Schweiz untersucht.76 Diese Studie wurde 2020 aktualisiert.77 Die Aussagen der aktualisierten Untersuchung lassen sich wie folgt zusammenfassen: ­

2020 zählte der Cluster Rohstoffhandel und Seeschifffahrt 11 800 Beschäftigte, davon 2000 in der Seeschifffahrt.

­

Mittels eines ökonometrischen Ansatzes wurde ermittelt, dass im Beobachtungszeitraum 19902018 die Länder, die eine Tonnagesteuer einführten, aufgrund der steuerlichen Massnahme im Mittel neun und mehr Jahre nach der Einführung der Tonnagesteuer eine Steigerung des Tonnagevolumens um 164 Prozent verzeichneten.

­

Mittels der Annahme, dass die Beschäftigung in der Seeschifffahrt proportional mit der Steigerung des Tonnagevolumens wächst, überträgt die Studie diese Steigerung von rund 160 Prozent auf die weiter oben genannten 2000 Beschäftigten. Hieraus resultiert eine Beschäftigungserhöhung in diesem Sektor um rund 3200 Beschäftigte.

­

Unter der Annahme, dass die jährliche Lohnsumme pro zusätzliche beschäftigte Person durchschnittlich 107 500 Franken78 beträgt, wurde eine zusätzliche direkte Lohnsumme von 344 Millionen Franken ermittelt, die durch Multiplikatoreffekte auf 393 Millionen Franken anwächst.

­

Die so ermittelte Lohnsumme bewirkt zusätzliche Steuereinnahmen von 84 Millionen Franken und zusätzliche Beiträge für die erste und zweite Säule von 96 Millionen Franken.

Die erwarteten dynamischen Effekte gilt es kritisch zu beleuchten, weil der Beobachtungszeitraum 19902018 eher zu einer Überschätzung führen dürfte. Dafür sprechen die folgenden Gründe:

76 77

78

­

Aufgrund des von der OECD und der G20 (Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer) gemeinsam lancierten 15-Punkte-Aktionsplans zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS) wurde der internationale Steuerwettbewerb teilweise eingedämmt.

­

Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass die Tonnagesteuer international breit etabliert ist, sodass es nicht mehr so einfach sein dürfte, Marktanteile zulasten anderer Länder zu gewinnen.

Sie ist einsehbar unter: nanopdf.com/download/le-pole-economique-maritime-suisseet-la-taxe-au-tonnage_pdf.

Die aktualisierte Studie ist einsehbar unter: www.shipowners.ch > Documents > Impact Analysis > Le pôle économique maritime suisse et la taxe au tonnage Mai 2020, Lausanne.

1600 Stellen mit Gehalt von 130 000 Franken, 800 Stellen mit Gehalt von 100 000 Franken und 800 Stellen mit Gehalt von 70 000 Franken.

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Schliesslich gilt es zu bedenken, dass die Unterschiede in der Schweiz zwischen ordentlicher Steuerbelastung und Belastung durch eine Tonnagesteuer kleiner sind als in den meisten anderen Ländern, die eine solche steuerliche Massnahme bereits kennen.

Zusätzlich zu den aus der CREA-Studie gewonnenen Erkenntnissen können als positiver, dynamischer Effekt die intakten Chancen auf eine vermehrte Ansiedlung von Seeschifffahrtsgesellschaften in der Schweiz hervorgehoben werden, da diese eng mit in der Schweiz domizilierten Grosshandelsgesellschaften zusammenarbeiten (Clusterbildung), die vor allem im Rohstoffhandel tätig sind. Insofern könnte die Einführung einer Tonnagesteuer in der Schweiz die Clusterbildung im wirtschaftlich bedeutsamen Rohstoffsektor in der Schweiz verstärken. Hieraus könnten zusätzliche Steuereinnahmen von hochqualifizierten Arbeitskräften generiert werden.

Die finanziellen Auswirkungen einer Tonnagesteuer können letztlich nicht verlässlich geschätzt werden. Unter Berücksichtigung der zu erwartenden positiven Effekte auf den Wirtschaftsstandort Schweiz dürften allfällige auf die öffentliche Hand entfallende Mindereinnahmen jedoch gering ausfallen.

6.2

Personelle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

Weil nur ein kleiner Kreis von Unternehmen überhaupt in Frage kommt, die die steuerliche Massnahme potenziell in Anspruch nehmen können, ist beim Bund mit keinen nennenswerten personellen Auswirkungen zu rechnen. Dies dürfte insbesondere auch auf jene Gebietskörperschaften zutreffen, in denen sich keine oder nur wenige Unternehmen der Tonnagesteuer unterstellen (vgl. Grafik in Ziff. 1.1).

6.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Laut dem Dachverband Swiss Shipowners Association belegte die Schweizer Seeschifffahrt 2019 gemessen an der Tonnage weltweit Platz 9 sowie Platz 4 innerhalb von Europa.79 Der direkte Beitrag dieses Sektors an das BIP wurde für das Jahr 2016 auf rund 2,4 Milliarden Franken (0,4 % des BIP) geschätzt. Die Anzahl Arbeitsplätze wird auf rund 2000 geschätzt.80 Aktuellere Zahlen liegen nicht vor.

Die Auswirkungen auf die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen sind als gering einzustufen. Auf Stufe Unternehmen beschränkt sich die Steuerermässigung auf jene, die für die Unterstellung unter die Tonnagesteuer optieren. Wegen der geringen Zahl Betroffener ist der Gesamteffekt als gering einzustufen. Bezüglich der Regulierungskosten gilt es zu unterscheiden zwischen Unternehmen, die ausschliesslich Seeschifffahrtsaktivitäten ausüben, und solchen mit gemischten Aktivitäten. Erstgenannte können vollumfänglich in die Tonnagesteuer wechseln. Da diese anhand pauschaler

79 80

www.shipowners.ch > Documents > Shipping > Swiss shipping in the world www.stsa.swiss > Knowledge > Shipping > Switzerland, a maritime nation

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Grössen ermittelt wird, dürfte der administrative Aufwand gering sein. Bei gemischten Aktivitäten hingegen müsste neu eine Spartenrechnung durchgeführt werden, was den administrativen Aufwand erhöht. Allerdings gilt es zu beachten, dass die Inanspruchnahme der Tonnagesteuer freiwillig ist. Aufgrund des kleinen Kreises von Unternehmen, die die Massnahme potenziell in Anspruch nehmen können, sind die zu erwartenden volkswirtschaftlichen Auswirkungen eher gering. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich eine Regulierungsfolgenabschätzung.

Die Einführung einer Tonnagesteuer im Schweizer Steuerrecht wäre jedoch ein gezieltes Mittel, um gleich lange Spiesse im Wettbewerb um die Gunst hoch mobiler Seeschifffahrtsunternehmen zu schaffen und damit die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz sicherzustellen. Da das wichtigste Kapital im maritimen Sektor die Schiffe selbst sind, ist eine Verlagerung der Geschäftstätigkeit an einen anderen Standort einfach.

6.4

Auswirkungen auf die Umwelt

Die Tonnagesteuer allein erzeugt noch keine nachhaltigen Effekte im Bereich des Klimaschutzes. Durch ökologisch motivierte Steuerermässigungen, wie sie bereits in einigen EWR-Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung ihrer Tonnagesteuer zur Anwendung kommen, können in der Schweiz domizilierte Seeschifffahrtsunternehmen mit ihren tonnagebesteuerten Seeschiffen einen Beitrag zur Verringerung der Meeresverschmutzung leisten (vgl. Ziff. 2.2). Hier kann sich die Schweiz mit einer fortschrittlichen Tonnagesteuer aktiv einbringen.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

Wie bereits in Ziffer 1.3 festgehalten, verfolgte der Bundesrat die Tonnagesteuer in seiner Botschaft zur USR III nicht zuletzt aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken, die auch das Bundesamt für Justiz nach wie vor teilt, nicht weiter. Aufgrund nachfolgender Gründe kommt er zu einer neuen Einschätzung: Nach Artikel 127 Absatz 2 BV sind bei der Steuererhebung insbesondere die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu beachten. In der Lehre wird die Frage, ob die Tonnagesteuer diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, kontrovers beurteilt (vgl. die Aussagen in den beiden Rechtsgutachten in Ziff. 1.3). Um ausserfiskalische Zielsetzungen zu verfolgen, ist zur Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips die Erfüllung folgender Voraussetzungen notwendig: ­

Erstens muss das ausserfiskalische Förderungsziel mit dem Rechtsgleichheitsgebot und den oben genannten Besteuerungsgrundsätzen gleichrangig in der BV verankert sein.

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­

Zweitens muss die Massnahme notwendig und geeignet sein, um das ausserfiskalische Förderungsziel zu erreichen.

­

Drittens muss das öffentliche Interesse am Erreichen des Förderungsziels höher bewertet werden können als das Interesse der betroffenen steuerpflichtigen Personen an einer Einhaltung gerechter Belastungsrelationen.

Professorin Madeleine Simonek (Universität Zürich) hält hierzu in einem Rechtsgutachten von 2010 betreffend die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer kantonalen Zweitliegenschaftssteuer als kantonale Sondersteuer fest: «Was das erste Kriterium, die verfassungsrechtliche Verankerung des Förderungsziels betrifft, erachtet die herrschende Lehre es als genügend, wenn die ausserfiskalische Zielsetzung implizit in der Verfassung zum Ausdruck kommt. Das Förderungsziel muss somit nicht ausdrücklich genannt sein, sondern kann auch auf dem Auslegungsweg ermittelt werden.»81 Die Tonnagesteuer lässt sich weder mit Artikel 101 (Aussenwirtschaftspolitik) noch mit Artikel 103 BV (Strukturpolitik) uneingeschränkt als ausserfiskalische Zielsetzung rechtfertigen. Die erstgenannte Verfassungsbestimmung, wonach der Bund zum Schutz der inländischen Wirtschaft Massnahmen treffen kann (Art. 101 Abs. 2 BV), könnte eine sachliche Kompetenz begründen, um für den Wirtschaftsstandort Schweiz im internationalen Wettbewerb um die Gunst hoch mobiler Seeschifffahrtsunternehmen gleich lange Spiesse zu schaffen, insbesondere im Vergleich zu den EU- und EWR-Mitgliedstaaten. Die Lehre schliesst jedoch aus, eine bestimmte Branche aufgrund fehlender internationaler Wettbewerbsfähigkeit dauerhaft vor ausländischer Konkurrenz zu schützen.82 Im Übrigen sind Schutzmassnahmen gestützt auf Artikel 1 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 198283 über aussenwirtschaftliche Massnahmen ausserordentlich selten.

Artikel 103 BV wiederum knüpft die Förderung an eine hohe Anforderung, indem er dem Bund die Kompetenz verleiht, Wirtschaftszweige und Berufe zu fördern, soweit zumutbare Selbsthilfemassnahmen zur Sicherung von deren Existenz nicht ausreichen. Das Kriterium der Selbsthilfemassnahmen hat sich in der Vergangenheit jedoch als zu vage erwiesen, um dem Gesetzgeber konkrete Vorgaben zu setzen. Was es für die Seeschifffahrtsunternehmen faktisch bedeuten würde, ist nicht klar. Zudem wird vorausgesetzt, dass der gesamte Wirtschaftszweig in seiner Existenz gefährdet ist.

Eine Branchenkonzentration bedeutet noch nicht, dass die Existenz der gesamten Branche bedroht ist, sondern allenfalls die Existenz bestimmter Unternehmen.84 Bezüglich des zweiten und dritten Kriteriums lässt sich eine unterschiedliche steuerliche Behandlung zugunsten der Seeschifffahrt wie folgt rechtfertigen: ­

81 82 83 84

Die Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft stellt ein öffentliches Interesse dar, das ­ bei verhältnismässiger Ausgestaltung der Tonnagesteuer ­ gewisse Ungleichbehandlungen im Vergleich zu anderen steuerpflichtigen Personen zu rechtfertigen vermag.

www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/35837.pdf > S. 2223.

Die schweizerische Bundesverfassung, hrsg. von Bernhard Ehrenzeller et al., 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2014, S. 1887.

SR 946.201 Basler Kommentar zur Bundesverfassung, hrsg. von Bernhard Waldmann et al., Basel 2015, S. 1627.

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­

Die Schweiz ist im Bereich der Seeschifffahrt einem intensiven Standortwettbewerb ausgesetzt. Viele Staaten besteuern diese Branche anders als die übrigen Branchen. Die Reedereien konnten in der Schweiz lange von den kantonalen Steuerstatus profitieren, bevor diese mit der STAF abgeschafft worden sind. Dadurch hat die Schweiz einen Wettbewerbsvorteil eingebüsst. Mit einer Tonnagesteuer wären die steuerlichen Voraussetzungen für die Schweizer Seeschifffahrt wieder mit jenen der meisten EU- und EWR-Mitgliedstaaten vergleichbar.

­

Die vorgeschlagene Ausgestaltung der Tonnagesteuer leistet einen wesentlichen Beitrag zur Verhältnismässigkeit der Massnahme. Namentlich soll sich die Steuerbelastung an derjenigen in der EU orientieren. Kommt die Tonnagesteuer zur Anwendung, so gilt sie für eine Dauer von zehn Jahren. Danach kommt abermals die ordentliche Bemessung zur Anwendung es sei denn, die steuerpflichtige Person stellt erneut Antrag auf Unterstellung unter die Tonnagesteuer. Kommt es zu einem vorzeitigen Ausstieg, so kann ein erneuter Antrag erst im sechsten Jahr nach dem Ausstieg gestellt werden. Auch bezüglich Umstrukturierungen im Konzernverhältnis werden Steueroptimierungsmöglichkeiten eingeschränkt, womit eine übermässige Entlastung vermieden wird. Zu erwähnen ist auch die Besteuerung der aufgelaufenen stillen Reserven.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es aus verfassungsrechtlicher Sicht Argumente für und gegen eine Tonnagesteuer gibt (siehe dazu die unterschiedlichen Einschätzungen der Gutachten Danon und Oberson unter Ziff. 1.3). Vor diesem Hintergrund und gerade mit Blick auf die Standort- und Fiskalinteressen der Schweiz erscheint die Einführung einer Tonnagesteuer verfassungsrechtlich vertretbar.

Wie in den Ziffern 2.2 und 5.1 dargelegt, soll mit der Vorlage ökologischen Anliegen im Seeverkehr Rechnung getragen werden. Mit der Verringerung der Bemessungsgrundlage, sofern umweltfreundliche Technologien eingesetzt werden, wird desgleichen ein ausserfiskalisches Förderungsziel anvisiert, bei dem zur Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips ebenfalls die Erfüllung der oben genannten Voraussetzungen erforderlich ist.

Artikel 74 BV ermächtigt den Bundesgesetzgeber, Vorschriften zu erlassen über den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen. Gestützt auf diesen Umweltschutzartikel kommt dem Bund somit eine umfassende Gesetzgebungskompetenz zum Schutz der Umwelt zu. Diese Kompetenz umfasst auch die Verhaltenslenkung zum Zweck der Verminderung klimarelevanter Emissionen.85 Für die genannte ausserfiskalische Zielsetzung lässt sich Artikel 74 BV als notwendige Kompetenzgrundlage heranziehen.

Bezüglich der zweiten Voraussetzung (Notwendigkeit und Eignung der Massnahme) lässt sich schlussfolgern, dass es globale Vorschriften gibt, die schon heute dazu verpflichten, die Seeschiffe ökologisch sauberer zu fahren (vgl. IMO-Vorgaben in

85

Helen Keller und Matthias Hauser: Rechtsgutachten über den verfassungsrechtlichen Rahmen einer Klimalenkungsabgabe des Bundes, 2008, S. 56, einsehbar unter: www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/klima/recht/rechtsgutachten.html.

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Ziff. 2.2). Damit auch die Schifffahrtsindustrie darüber hinaus ihren freiwilligen Beitrag zur Verwirklichung der langfristigen Klimastrategie der Schweiz (Senkung der Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050) leistet, ist ein entsprechender steuerlicher Anreiz eine denkbare Massnahme. In diesem Zusammenhang kann auch auf die kantonalen Vergünstigungen bei den Motorfahrzeugsteuern verwiesen werden. Die Rabatte für energieeffiziente Fahrzeuge führen zu entsprechenden Reduktionen bei der jeweiligen Bemessungsgrundlage.

Die dritte Voraussetzung (Primat des öffentlichen Interesses) lässt sich mit Bezug auf die zentrale Bedeutung der Seeschifffahrt für die Weltwirtschaft und den Warentransport bejahen. Wie in Ziffer 1.1 festgehalten, werden mehr als 90 Prozent aller weltweit hergestellten Güter mindestens einmal über die Weltmeere transportiert. Die Bedeutung des globalen Warentransports zur See hat sich besonders in der Coronapandemie gezeigt. Die Knappheit an Frachtcontainern zieht bei den globalen Lieferketten nachhaltige Störungen nach sich.

7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Damit die Schweiz ihre Konkurrenzfähigkeit erhalten kann und als Unternehmensstandort weiterhin attraktiv bleibt, muss sie vorteilhafte und international akzeptierte steuerliche Rahmenbedingungen bieten. Mit der Tonnagesteuer liegt ein Förderinstrument vor, das den heutigen Wettbewerbsnachteil der Schweizer Seeschifffahrtsunternehmen gegenüber den Unternehmen mit Sitz in den EU- oder EWR-Mitgliedstaaten, die die Tonnagesteuer kennen, beseitigen kann. Die Ausgestaltung der Schweizer Tonnagesteuer muss mit den staatsvertraglichen Regelungen sowie den internationalen Standards und Empfehlungen, namentlich mit jenen der OECD, in Einklang stehen.

Die Schweiz unterhält mit der EU traditionell enge Beziehungen, die durch zahlreiche bilaterale Abkommen und Vereinbarungen geregelt werden. Zu erwähnen ist insbesondere das Freihandelsabkommen vom 22. Juli 197286 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (FHA). Es stellt einen tragenden Pfeiler der Handelsbeziehungen mit der EU dar. Der Beihilfebegriff in Artikel 23 FHA steht demjenigen im AEUV zwar nahe, enthält aber entgegen dem EU-Beihilferecht kein grundsätzliches Beihilfeverbot. So ist im besagten Artikel nicht die Rede von einem Verbot oder einer Rechtswidrigkeit, sondern nur von einer Unvereinbarkeit «mit dem guten Funktionieren dieses Abkommens» und nur soweit geeignet, «den Warenverkehr zwischen der Gemeinschaft und der Schweiz zu beeinträchtigen». Unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit von Artikel 23 FHA ist die Kompatibilität mit dem von der EU gesteckten Rahmen für die Tonnagesteuer sichergestellt. Die Schweiz richtet sich bei der Ausgestaltung ihrer Tonnagesteuer in den zentralen Bereichen nach den Leitlinien für staatliche Beihilfen im Seeverkehr der EU, die für die Europäische Kommission als zentrale Rechtfertigung zur Einräumung der mitgliedstaatlichen Steuervergünstigungen für die EU-Schifffahrtsindustrie 86

SR 0.632.401

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genügen. Während gemäss den EU-Leitlinien ein Mindestanteil der Schiffsflotte das EU-/EWR-Flaggenerfordernis erfüllen muss, soll in der Schweiz als Voraussetzung die kumulative Ratifikation der vier zentralen maritimen Übereinkommen vorausgesetzt werden. Trotz gewisser Unterschiede führt das Schweizer Tonnagesteuerregime damit insgesamt zu gleich langen Spiessen im Vergleich zu jenen EU-Mitgliedstaaten, die ebenfalls Tonnagesteuerregelungen vorsehen.

In den letzten Jahren haben sich verschiedene Initiativen auf internationaler Ebene zum Ziel gesetzt, die Steuerpraktiken der Staaten zu analysieren und ihre Schädlichkeit zu bewerten. Die wichtigsten internationalen Entwicklungen im Bereich der Unternehmensbesteuerung stehen im Zusammenhang mit dem von der OECD und der G20 gemeinsam lancierten BEPS-Projekt. Unter anderem wurden auch die Arbeiten des Forums über schädliche Steuerpraktiken (FHTP) mit dem BEPS-Projekt koordiniert, wobei dem FHTP die Arbeiten für die Massnahme 5 übertragen wurden. Die Veröffentlichung der Schlussergebnisse aus dem BEPS-Projekt vom 5. Oktober 2015 hat gezeigt, dass die Tonnagesteuer nicht als schädliche Steuerpraxis eingestuft wird.87 Dies wurde in der Folge auch in den jeweiligen «Progress Report on Preferential Regimes» bestätigt. Das Gleiche gilt für die «Peer Review Results».88 Das Inclusive Framework on BEPS der OECD hat am 8. Oktober 2021 die Eckwerte zur Reform der globalen Unternehmensbesteuerung konkretisiert.89 Bei der globalen Mindestbesteuerung ist eine Ausnahmeregelung für Einkünfte aus «International Shipping» vorgesehen. Die Definition der qualifizierenden Einkünfte soll sich auf das OECD-Musterabkommen stützen. Die detaillierte Ausgestaltung der Musterregeln ist am 20. Dezember 2021 veröffentlicht worden. Teile der Mustervorschriften sind auch die Ausnahmebestimmungen zur Seeschifffahrt.90 Am 22. Dezember 2021 hat die EU eine Richtlinie zur Mindestbesteuerung von Unternehmen vorgeschlagen, in welcher die Ausnahmebestimmungen zur Seeschifffahrt ebenfalls enthalten sind.91 Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Schädlichkeit von Steuerregelungen anhand der Kriterien der OECD beurteilt werden soll. Daher wirkt die Schweiz als OECDMitglied aktiv in deren Arbeitsgruppen im Steuerbereich mit. Sie setzt sich für die Entwicklung internationaler Standards ein,
die von allen Ländern und Gebieten eingehalten werden sollen, damit gleich lange Spiesse im internationalen Steuerwettbewerb gewährleistet sind. Auch vor diesem Hintergrund erscheint es folgerichtig, eine Tonnagesteuer in der Schweiz einzuführen, um einen Wettbewerbsnachteil zu beheben.

87

88 89

90 91

Wirksamere Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz , Aktionspunkt 5 Abschlussbericht 2015, einsehbar unter: doi.org/10.1787/9789264258037-de.

www.oecd.org/tax/beps/harmful-tax-practices-consolidated-peer-review-results-onpreferential-regimes.pdf Inclusive Framework on BEPS, Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy ­ 8 October 2021 ­ OECD, S. 5.

www.oecd.org/tax/beps/tax-challenges-arising-from-the-digitalisation-of-the-economyglobal-anti-base-erosion-model-rules-pillar-two.htm ec.europa.eu/taxation_customs/system/files/2021-12/COM_2021_823_1_EN_ACT_ part1_v11.pdf

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