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Erwerbsausfallentschädigung Covid-19 für Selbstständigerwerbende Bericht der GPK-N vom 18. Februar 2022 Stellungnahme des Bundesrates vom 25. Mai 2022

Sehr geehrte Frau Kommissionspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der GPK-N vom 18. Februar 20221 betreffend Covid-19-Erwerbsersatz für Selbstständigerwerbende nehmen wir nach Artikel 158 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Kommissionspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

25. Mai 2022

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ignazio Cassis Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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2022-1628

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Der Corona-Erwerbsersatz (CEE) wurde vom Bundesrat am 17. März 2020 basierend auf dem Notrecht für eine Dauer von sechs Monaten beschlossen. Damit die Leistungen schnell ausgerichtet werden konnten, war es notwendig, sich an einer bestehenden Versicherung, der Erwerbsersatzordnung (EO), zu orientieren, um auf bestehende Angaben und automatisierte Prozesse zurückgreifen zu können. So konnten die ersten Leistungen bereits nach drei Wochen ausbezahlt werden. Nach Ablauf des Notrechts wurde das Covid-19-Gesetz am 25. September 2020 durch das Parlament verabschiedet.2 Mit der Annahme des Covid-19-Gesetzes wurde der Kreis der anspruchsberechtigten Personen erweitert und es wurde bestimmt, dass die Angaben zum Leistungsbezug per Selbstdeklaration gemacht und die Anspruchsvoraussetzungen per Stichkontrolle überprüft werden sollen.

Die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte beschlossen in ihrer Funktion als parlamentarisches Oberaufsichtsorgan Ende Mai 2020, eine Inspektion über den Umgang des Bundesrates und der Bundesverwaltung mit der Coronakrise einzuleiten. Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) befasste sich in diesem Zusammenhang mit den Massnahmen, die der Bund ab März 2020 zur Unterstützung der Selbstständigerwerbenden ergriff, deren Erwerbstätigkeit von der Pandemie betroffen war.

Mit dem Bericht vom 18. Februar 2022 präsentiert die GPK-N die Ergebnisse ihrer Inspektion. Sie zieht eine insgesamt positive Bilanz über den CEE und begrüsst das grosse Engagement der zuständigen Bundesbehörden. Der Anspruch des Bundesrates, rasch ein breit angelegtes und unbürokratisches Unterstützungssystem einzuführen, schränkte jedoch nach Ansicht der GPK-N die Aufsichtsmöglichkeiten ein. Die GPKN formuliert in ihrem Bericht drei Empfehlungen und fordert den Bundesrat hierzu zur Stellungnahme auf.

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Einleitung

Für den Bundesrat ist es wichtig, dass zwischen der Krisensituation der Covid-19Pandemie und dem Tagesgeschäft bzw. den Arbeitsabläufen der schon lange bestehenden Sozialversicherungen unterschieden wird. Der CEE wurde aufgrund der Covid-19-Krise als Nothilfe innert kürzester Zeit geschaffen. Im Gegensatz zu den bestehenden Sozialversicherungen wurden die Prioritäten anders gesetzt, denn der Fokus des CEE lag auf einer raschen Umsetzung bei einer sehr hohen Anzahl an Dossiers. Die Abläufe von CEE und des normalen Tagesgeschäfts der Ausgleichskassen unterscheiden sich denn auch stark. Während das EO-System darauf ausgerichtet ist, 2

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AS 2020 3835; SR 818.102

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Leistungen gestützt auf amtliche Urkunden auszuzahlen, war dies beim CEE nicht bzw. nur sehr eingeschränkt möglich. Rückschlüsse aus den Herausforderungen beim CEE auf das System der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), Invalidenversicherung (IV) und Erwerbsersatzordnung (EO) sind daher nicht ohne Weiteres möglich.

2.2

Zu den Empfehlungen der GPK

Empfehlung 1: Der Bundesrat wird ersucht, eine Bilanz der Zusammenarbeit und des Informationsaustauschs zwischen dem BSV und dem BAG während der Covid-19-Pandemie zu ziehen und sicherzustellen, dass die nötigen Lehren aus diesem Fall gezogen werden, um die Zusammenarbeit im Hinblick auf künftige Krisen zu verbessern.

Die Ausarbeitung der Schutzmassnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie sowie der Unterstützungsmassnahmen für die Erwerbsbevölkerung war eine grosse Herausforderung für alle Beteiligten. Das BAG musste die seinen Zuständigkeitsbereich betreffenden Massnahmen innert kürzester Zeit vorbereiten und war deshalb stark beansprucht. Aufgrund der hohen Dringlichkeit konnten die üblichen Konsultationsverfahren nicht oder nur stark verkürzt durchgeführt werden (Ämterkonsultationen innert weniger Stunden statt drei Wochen). Vor allem zu Beginn der Krise war die Zusammenarbeit zwischen BAG und BSV suboptimal, was jedoch auf die Krisensituation zurückzuführen ist. Die beteiligten Ämter konnten innert kürzester Zeit ihre Arbeitsabläufe den neuen Umständen anpassen, womit die anfänglich vorhandenen Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit gelöst werden konnten. Der Bundesrat ist daher der Ansicht, dass die Zusammenarbeit zwischen BAG und BSV grundsätzlich gut funktioniert und dass diesbezüglich kein Handlungsbedarf besteht.

Empfehlung 2: Der Bundesrat wird ersucht, nach Beendigung des Covid-19-Erwerbsersatzes, ausgehend von den Erfahrungen mit diesem Instrument zu prüfen, ob die Organisationsstruktur des AHV/IV/EO-Systems ­ zusätzlich zu den bereits im Rahmen der Modernisierung der Aufsicht über die 1. Säule ergriffenen Massnahmen ­ angepasst bzw. verbessert werden muss.

In diesem Zusammenhang sind insbesondere folgende Aspekte zu überprüfen: ­

die Aufsicht des BSV über die Ausgleichskassen;

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die Harmonisierung der Datensysteme der Ausgleichskassen;

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die stärkere Digitalisierung im AHV/IV/EO-Bereich.

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Der Bundesrat wird ersucht, über die spezifische Frage der Harmonisierung der Datensysteme hinaus allgemein zu prüfen, ob die dezentrale Struktur der Ausgleichskassen geeignet ist oder ob für eine stärkere Harmonisierung andere Massnahmen zu ergreifen sind.

Der Bundesrat wird gebeten, die GPK-N über die Ergebnisse seiner Prüfung zu informieren.

Die GPK-N hat ausschliesslich die Entwicklung, Umsetzung und Aufsicht in Bezug auf den CEE geprüft. Dieser lehnte sich an Prinzipien der EO an, und für die Umsetzung wurden Teile der AHV/IV/EO-Infrastruktur benutzt. Beim CEE handelte es sich um eine sehr spezifische, vorübergehende Sozialversicherung für eine Ausnahmesituation. Die AHV, die IV und die EO an sich wurden nicht geprüft. Es ist nicht sinnvoll, Rückschlüsse vom Ausnahmefall CEE auf den nicht geprüften Normalfall AHV/IV/EO zu machen; dies führt zu falschen Schlussfolgerungen.

Das Bild einer unzureichend organisierten Umsetzung mit unzureichenden Datenbanken beim CEE ergab sich vermutlich deshalb, weil sehr kurzfristig Datenmeldungen zu Themen eingefordert wurden, die bei den Ausgleichskassen nicht vorhanden sind und auch nicht vorhanden sein können. Eingefordert wurden beispielsweise die Zulassungsnummer des Arztes, der die Quarantänebescheinigung ausgestellt hatte, oder die aufgrund des Covid-19-Gesetzes (mit sofortigem Inkrafttreten) verlangten Umsatzdaten der Selbstständigerwerbenden für die vergangenen Jahre und die aktuellen Monate. Diese Art von Daten benötigen die Ausgleichskassen für ihr normales Geschäft nicht und deshalb führen sie auch keine Datenbanken darüber. Beim CEE wurden diese Angaben nicht als Datenfelder, sondern als pdf-Files in die Datenbanken eingetragen. Entsprechend können sie nicht elektronisch als Datensätze übermittelt werden. Solche Unzulänglichkeiten können entstehen, wenn für die Durchführung sehr kurzfristig und mit sofortiger Wirkung Daten eingefordert werden, die zuvor nicht relevant und nicht vorhanden waren. Mit genügendem zeitlichen Vorlauf können solche Abläufe anders organisiert werden.

Entgegen den Aussagen in Kapitel 3.3 des Berichts der GPK-N unter «Aufsicht des BSV über die Ausgleichskassen» erfolgt die Aufsicht für die Durchführung von AHV/IV/EO mehrschichtig. So bestehen mehrere zentrale Register, an welche die Daten der Ausgleichskassen regelmässig
übermittelt werden. Über diese Register erfolgt eine permanente, flächendeckende Datenanalyse mit einer Vielzahl an Plausibilitätsprüfungen. So werden z. B. die Rentnerinnen- und Rentnerbestände mit dem Personenstandsregister abgeglichen und Todesfälle oder Zivilstandsänderungen werden den Ausgleichskassen innerhalb von wenigen Tagen gemeldet. Was die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) für den CEE manuell gemacht hat, ist für die übrigen Leistungen der Sozialversicherungen, die durch die Ausgleichskassen durchgeführt werden, ein digitalisierter, automatischer Standard.

Für die CEE-Leistungen bestand hingegen kein solches Register und ein solches hätte auch nicht so schnell eingeführt werden können, wie die EFK ihre manuelle Lösung aufgebaut hat. Da die EFK ihre eigene Datenanalyse bereits in den ersten Wochen (noch vor der ersten Auszahlung einer CEE-Leistung) organisiert hat und diese zusätzlich mit Daten aus anderen Bereichen wie z. B. der Kurzarbeitsentschädigungen 4/6

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kombiniert werden sollte, bestand auch keine Veranlassung mehr, für diese befristeten Leistungen parallel eine zusätzliche Datenanalyse zu organisieren. Im Gegenteil, es machte Sinn, das bereits bei der EFK eingeführte Instrument bis zum Ende der Pandemie zu verlängern. Die Zusammenarbeit zwischen BSV und EFK hat dabei sehr gut funktioniert und das Modell darf als Erfolg gewertet werden.

Die Berichte der Revisionsstellen ergänzen die digitalisierte Aufsicht durch Rechnungs- und aufsichtsrechtliche Prüfungen vor Ort, in denen das institutionelle Funktionieren und sämtliche Aufgabenbereiche der Ausgleichskassen geprüft werden.

Diese Prüfberichte werden durch das BSV analysiert. Sie können zu weitergehenden aufsichtsrechtlichen Massnahmen führen. Ergänzend gibt es noch weitere Aufsichtsinstrumente, die vom BSV genutzt werden. Die dezentrale Organisationsstruktur ist kein Hindernis für eine effektive und effiziente Aufsicht.

Die AHV-Ausgleichskassen arbeiten bereits heute sehr stark digitalisiert. Ein Grossteil der Lohnmeldungen erfolgt heute ausschliesslich digital. Den Arbeitgebern und den Versicherten, die dies wünschen, werden aber bewusst auch analoge Kommunikationsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt. Selbst für den CEE wurden sehr rasch elektronische Anmeldeformulare geschaffen, mit denen die ersten Plausibilitätsprüfungen (z. B. existiert diese Person und ist sie als Selbstständigerwerbende bei dieser Ausgleichskasse angeschlossen?) bereits beim Ausfüllen des Online-Antrags vorgenommen wurden. Die Daten wurden danach automatisch in die Fachapplikationen übernommen (zum Teil als Datensatz, zum Teil als pdf). Es wurde darauf geachtet, dass es auch immer möglich war, eine Anmeldung per Papier einzureichen, damit wirklich alle versicherten Personen Zugang zu den Leistungen haben.

Die AHV-Ausgleichskassen haben eine Organisationsautonomie bei der Durchführung der Aufgaben. Sie sind also frei, wie sie sich intern organisieren und welche Instrumente sie verwenden. Die Resultate müssen jedoch gesetzeskonform und einheitlich sein. Der Meldefluss und insbesondere die Art und Weise der elektronischen Meldungen und der Datenaustausch werden durch Weisungen des BSV klar vorgegeben. Dadurch ist die Harmonisierung der an die zentralen Register übermittelten Daten bereits heute sichergestellt.

Die dezentrale
Organisationsstruktur der AHV besteht seit 1948. Trotz dieser Organisationsstruktur führen die AHV-Ausgleichskassen neben der AHV, der EO, Teilen der IV, den Ergänzungsleistungen und den Überbrückungsleistungen noch zahlreiche andere Aufgaben im Auftrag von Bund, Kantonen oder Arbeitgeberverbänden durch.

Diese Aufgaben werden effizient, speditiv und zu tiefen Verwaltungskosten für eine sehr hohe Zahl von Versicherten, Rentnerinnen und Rentnern sowie Arbeitgebern durchgeführt.

Aus Sicht des Bundesrates besteht kein Handlungsbedarf, die Organisationsstruktur des AHV/IV/EO-Systems ­ zusätzlich zu den bereits im Rahmen der Modernisierung der Aufsicht über die 1. Säule ergriffenen Massnahmen ­ anzupassen oder zu verbessern.

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Empfehlung 3: Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, ob es nicht sinnvoll wäre, ausgehend von den Erfahrungen aus der Pandemie die soziale Absicherung der Selbstständigerwerbenden eingehender zu untersuchen, um zu ermitteln, welche allgemeinen Lehren aus Sicht der Sozialversicherungen gezogen werden können (die auch in normalen Zeiten einen Mehrwert darstellen). Der Bundesrat wird gebeten, die GPK-N über die Ergebnisse seiner Überlegungen zu informieren.

Der Versicherungsschutz von Selbstständigerwerbenden im Rahmen der Sozialversicherungen war in den letzten Jahren verschiedentlich Thema parlamentarischer Vorstösse. Dies gab dem Bundesrat mehrfach die Gelegenheit, sich zur Frage der sozialen Absicherung von Selbstständigerwerbenden zu äussern. (Motion 21.3807 Carobbio «Erwerbsersatzordnungen an die veränderte Arbeitswelt anpassen», Postulat 20.4141 Roduit «Für eine bessere soziale Absicherung der Selbstständigerwerbenden», Interpellation 20.3811 Grossen «Lehren aus der Corona-Krise bei der Arbeitslosenversicherung ziehen»).

Selbstständigerwerbende sind in der AHV, der IV und der EO sowie in den Bereichen der Familienzulagen, der Militärversicherung und der obligatorischen Krankenversicherung obligatorisch versichert. Sie haben bei Eintritt eines versicherten Risikos Anspruch auf Versicherungsleistungen wie namentlich Mutterschafts- und Vaterschaftsentschädigung oder IV-Taggelder. In der Unfallversicherung und der beruflichen Vorsorge können sich Selbstständigerwerbende freiwillig versichern. Zur Situation der Selbstständigerwerbenden in der beruflichen Vorsorge wird der Bundesrat in Kürze einen Postulatsbericht (Postulat 16.3908 der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates) verabschieden. Mit dem Bericht «Digitalisierung ­ Prüfung einer Flexibilisierung des Sozialversicherungsrechts (Flexi-Test)»3, den der Bundesrat am 27. Oktober 2021 verabschiedet hat, wurde zudem die soziale Absicherung von Beschäftigten in der Plattformwirtschaft untersucht. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats hat den Bericht behandelt und dem Bundesrat keine weiteren Aufträge erteilt.

Im Gegensatz zu Arbeitnehmenden können sich Selbstständigerwerbende hingegen nicht gegen Arbeitslosigkeit versichern. Die Frage einer Arbeitslosenversicherung für Selbstständigerwerbende
ist zuletzt im Rahmen der im Jahr 2011 in Kraft getretenen Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzesvom 25. Juni 19824 gründlich diskutiert und geprüft worden. Wie der Bundesrat in seiner Antwort auf das Postulat Roduit (20.4141) im November 2020 festgestellt hat, sprechen versicherungstechnische und ökonomische Gründe gegen eine Arbeitslosenversicherung für Selbstständigerwerbende.

Der Bundesrat ist weiterhin der Ansicht, dass bezüglich der sozialen Absicherung von Selbstständigerwerbenden kein Handlungsbedarf besteht.

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