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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs des Hrn. Konrad Knechtle, Wirth und Krämer in Teufen (Appenzell A. Rh.), betreffend Bestrafung wegen Uebertretung des Bundesgesetzes vom 23. Dezember 1886 über gebrannte Wasser.

(Vom 22. Januar 1888.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat in Sachen des Herrn K o n r a d K n e c h t l e , Wirth und Krämer in Teufen, Kt. Appenzell A. Rh., betreffend Bestrafung wegen Uebertretung des Bundesgesetzes vom 23. Dezember 1886 über gebrannte Wasser ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse:

I. Im Januar 1888 wurde Konrad Knechtle, Wirth und Krämer in Teufen, Appenzell A. Rh., in Herisau polizeilich angehalten, weil er 25 Liter Branntwein mit sich führte, und hierauf wegen U e b e rt r e t u n g des B u n d e s g e s e t z e s vom 23. Dezember 1886, bet r e f f e n d g e b r a n n t e Wasser, an das Appenzell A. Rh. Bezirksgericht des Hinterlandes zur Bestrafung überwiesen. Knechtle bestritt zwar, mit Branntwein Hausirhandel getrieben zu haben, vielmehr habe er bloß Bestellungen auf Branntwein ausgeführt; allein dessen ungeachtet erklärte ihn das Gericht unterm 12. M ä r z 1888 der Uebertretung des erwähnten Bundesgesetzes schuldig, ,,begangen dadurch, daß er mit Quantitäten unter 40 Liter Branntweinhandel

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ausgeübt habe", und verurtheilte ihn gemäß Art. 8 und 15 dieses Gesetzes zu Fr. 20 Buße, eventuell 4 Tagen Haft, und zur Tragung der Untersuchungskosten.

Am 6. September 1888 hatte sich Knechtle gemeinschaftlich mit seinem Sohne Konrad Knechtle, Honighändler, vor dem Bezirksgerichte des Mittellandes neuerdings wegen Uebertretung des Bundesgesetzes, betreffend gebrannte Wasser, zu verantworten. Durch die gerichtliehen Verhandlungen wurde festgestellt, einerseits, daß Vater Knechtle Branntwein in Quantitäten unter 40 Liter nach Speicher verkauft hatte, und daß er diesen Branntwein den Kunden durch seinen Sohn überbringen ließ, und andererseits, daß Sohn Knechtle gleichzeitig bei Ausübung seines Hausirhandels mit Honig auch Bestellungen auf kleinere Quantitäten Branntwein aufgenommen hatte.

Gestützt auf diesen Thatbestand wurden Vater und Sohn Knechtle vom Bezirksgerichte der eingeklagten Uebertretung für schuldig erklärt, ,,begangen dadurch, daß sie mit gebrannten Wassern hausirt haben", und Vater Knechtle zu Fr. 25 Buße, eventuell 5 Tagen Haft, und Sohn Knechtle zu Fr. 20 Buße, eventuell 4 Tagen Haft, verurtheilt, sowie Beide solidarisch in. die Bezahlung der Untersuchungskosten verfällt.

Gegen dieses letztere Erkenntniß ergriff Vater Knechtle die Appellation. Das Obergericht des Kantons Appenzell A. Rh. bestätigte indeß unterm 29. O k t o b e r 1888 im Wesentlichen das erstinstanzliche Urtheil und erhöhte gleichzeitig die Buße für Vater Knechtle auf Fr. 30, beziehungsweise auf 71/2 Tage Haft.

II. Mit Eingabe d. d. Teufen, 19. November 1888, stellt nun Konrad Knechtle, Vater, an den Bundesrath das Gesuch, es möchte derselbe, gestützt auf Art. 102, Ziffer 2, der Bundesverfassung und Art. 20 des Bundesgesetzes, betreffend gebrannte Wasser, d a s U r t h e i l d e s B e z i r k s g e r i c h t e s d e s H i n t e r l a n d e s v o m 12. M ä r z 1 8 8 8 , sowie dasjenige des Obergerichtes des Kantons Appenz e l l A . R h . v o m 29. O k t o b e r g l e i c h e n J a h r e s a u f h e b e n , indem die betreffenden Gerichte den Begriff ,,Hausiren mit gebrannten Wassern" unrichtig ausgelegt haben und daher die fraglichen Urtheile auf einem Rechtsirrthum beruhen.

III.

Als Vernehmlassung übermachte die Regierung des Kantons Appenzell A. Rh. dem eidgenössischen Departement des Innern unterm 13. Dezember
1888 die Abschrift eines Berichtes des Obergerichts-Präsidenten des Kantons Appenzell A. Rh. vom 2. Dezember, worin der Letztere darauf hinweist, daß Vater und

175Sohn Knechtle erwiesenermaßen Bestellungen auf Branntwein aufgesucht und effektuirt haben und zwar nicht immer in genau begrenztem und bestelltem Quantum und zu übereingekommenen Preisen. Hieran schließt er die Bemerkung, das Obergericht habe geglaubt, vollständig im Sinne und Geiste des Gesetzgebers zu handeln, indem es einen derartigen Vertrieb von Branntwein unter Art. 7 des Bundesgesetzes (Hausirverbot) einreihte.

Bei Uebersendung dieser Antwort erklärte sieh die Regierung des Kantons Appenzell A. Rh. in ihrem Begleitschreiben vom 13. Dezember 1888 mit derselben einverstanden. Bei dem gleichen Anlasse erinnerte die Regierung an eine Eintrage., die sie im April 1888 an den Bundesrath gerichtet hat, um dessen Ansicht darüber zu erfahren, ob gewisse Handlungen den Begriff des Hausirens mit gebrannten Wassern im Sinne des Art, 7 des Bundesgesetzes bilden, worauf der Bundesrath am 4. Juli dahin sich aussprach, daß er Interpretationen von Gesetzesstellen nur in konkreten, ihm zum Entscheide vorliegenden Rekursfällen geben könne. Bin solcher Rekurs liege nicht vor und überdies sei die Beurtheilung von Uebertretungen des Bundesgesetzes, betreffend gebrannte Wasser, gemäß Art. 17 dieses Gesetzes den kantonalen Gerichten überwiesen. Es stehe dem Bundesrathe ein Eingriff in diese Gerichtsbarkeit nicht zu. Im Anschlüsse an diese Antwort des Bundesrathes wird vom eidgenössischen Departement des Innern, unter Mittheilung der Akten an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, die Frage aufgeworfen, ob der Bundesrath überhaupt kompetent sei, die vorliegende Beschwerde zu entscheiden.

In B e t r a c h t : 1) In Art. 7 und 8 des Bundesgesetzes, betr. gebrannte Wasser, vom 23. Dezember 1886, ist das Hausiren mit gebrannten Wassern jeder Art, sowie der Ausschank von solchen und der Kleinhandel mit denselben in Brennereien und solchen Geschäften, in denen der besagte Ausschank und Kleinhandel nicht in natürlichem Zusammenhang mit dem Verkaufe der übrigen Handelsartikel stehen würde, -- in Quantitäten unter 40 Liter, verboten, unter Vorbehalt des in Art 8 näher präzisirten Kleinhandels.

2) Durch Art. 15 des gleichen Bundesgesetzes ist jede Uebertretung desselben oder der zur Ausführung des Gesetzes erlassenen Verordnungen rnit Geldbuße von 20 bis 500 Franken bedroht, und os soll die Buße erhöht werden, wenn der Fehlbare die Vornahme der amtlichen Kon troie zu verhindern gesucht hat.

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3) Mit Bezug auf das Verfahren bei Uebertretungen dieses Gesetzes oder dei1 zur Ausführung desselben erlassenen Verordnungen soll, nach Maßgabe von Art. 17, das B u n d e s g es e tz v o m 30. J u n i 1 8 4 9 , b e t r e f f e n d d a s V e r f a h r e n bei U e b e r t r e t u n g e n fiskalischer und polizeilicher B u n d e s g e s e t z e , Anwendung f i n d e n .

4) Nach Vorschrift dieses letztern Gesetzes muß der Thatbestand einer Uebertretung fiskalischer und polizeilicher Bundesgesetze durch Aufnahme eines Protokolls nach Maßgabe der im Gesetze selbst enthaltenen Vorschriften festgestellt und hierauf zunächst die Erklärung des Angeschuldigten über den Inhalt des Protokolles, sowie über die Anerkennung der von der betreffenden Verwaltung auszusprechenden Buße, eingeholt und diese Erklärung ins Protokoll eingetragen werden. Für den Fall der Angeschuldigte den Entscheid der Verwaltungsbehörde nicht anerkennt, schreibt Art. 16 des Bundesgesetzes vom 30. Juni 1849 vor, daß die betreffenden Uebertretungen sodann von den kompetenten Gerichten der Kantone, in denen die Uebertretung verübt wurde, beurtheilt werden sollen.

In Art. 17 des gleichen Gesetzes sind noch gewisse prozessualische Regeln aufgestellt, welche von den kantonalen Gerichten beobachtet werden müssen und wovon hier nur zu erwähnen ist, daß in denjenigen Kanlonen, in welchen das Rechtsmittel der Appellation gegen Strafurtheile zuläßig ist, die Parteien auch in solchen fiskalischen Strafprozessen dieses Rechtsmittels sich bedienen können, wenn es sich um eine Buße von über Fr. 50 oder um Grefänguißstrafe handelt.

5) Gegen die in dieser Weise entstandenen rechtskräftigen Urtheile gibt es keinen Rekurs mehr, und insbesondere ist der Bundesrath nicht kompetent, diese Urtheile seiner Prüfung zu unterstellen. Es ist nur noch das einzige, in Art. 18 des Bundesgesetzes vom 30. Juni 1849 vorgesehene Rechtsmittel der Kassation durch das eidgenössische Kassationsgericht möglieh. Die Kassation kann jedoch nur stattfinden, wenn eine schriftliche Beschwerde binnen 30 Tagen, von der Mittheilung des Unheiles an, bei dem eidgenössischen Kassationsgerichte eingereicht wird, und wenn das urtheilende Gericht inkompetent war, oder durch das Urtheil bestimmte gesetzliche Vorschriften verletzt, oder wesentliche Formfehler unterlaufen sind.

6) Nachdem
durch den oben in Erwägung 3 citirten Art. 17 des Bundesgesetzes über gebrannte Wasser ausdrücklich das im Bundesgesetze vom 30. Juni 1849 aufgestellte Verfahren als maßgebend bei Uebertretungen gegen das Alkoholgesetz erklärt ist, so

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darf nur das. soeben skizzirte gerichtliche Verfahren stattfinden.

Es hätte daher der Beschwerdeführer Knechtle seine Beschwerde an das eidgenössische Kassationsgericht richten sollen.

7) Eine solche Beschwerde wäre ohne Zweifel begründet, weil in dem in Sachen Knechtle beobachteten Verfahren wirklich gesetzliche Vorschriften verletzt und auch wesentliche Formfehler unterlaufen sind, indem das im Bundesgesetze vom 30. Juni 1849, wie auch im Réglemente des Bundesrathes vom 24. Juli 1888 vorgeschriebene Protokoll nicht aufgenommen wurde und vor Einleitung der gerichtlichen Klage das im gleichen Gesetze von 1849 vorgeschriebene administrative Verfahren (Bußenentscheid der betreffenden obern Verwaltungsbehörde, Eröffnung desselben an Knechtle und dessen Erklärung, ob er sich unterziehe oder nicht) nicht stattgefunden hat.

8) Nun muß konstatirt werden, daß das Urtheil des Übergerichtes des Kts. Appenzell A. Rh., dessen Aufhebung Hr. Knechtle verlangt, am 29. Oktober 1888 ausgefällt und den Verurtheilten, Vater und Sohn Knechtle, an den Gerichtsschranken eröffnet worden ist, so daß die in Art. 18 des Bundesgesetzes von 1849 bewilligte Frist von 30 Tagen zur Einleitung des Kassationsverfahrens vom 29. Oktober 1888 hinweg zu berechnen ist. Diese Frist hätte Hr. Knechtle innegehalten-, wenn er sich, statt an den Bundesrath, an das eidgenössische Kassationsgericht gewendet hätte, indem seine vom 19. November datirte Beschwerde am 21. November 1888 bei dem Bundesrathe eingekommen ist,.

9) Dieser Irrthum sollte Hrn. Knechtle nicht zum Schaden gereichen. Indess kann eine Remedur nicht vom Bundesrathe, sondern nur vom eidgenössischen Kassationsgericht herbeigeführt werden. Es dürfte sich daher rechtfertigen, diese Angelegenheit dem genannten Kassationsgerichte zu überweisen.

10) Was dagegen das Urtheil des Bezirksgerichtes für das Außerrhodische Hinterland vom 12. März 1888 betrifft, dessen Aufhellung Hr. Knechtle ebenfalls beantragt, so ist aus den vorstehenden Erörterungen zu entnehmen, daß ein solcher Antrag verspätet ist, beschlossen: 1. Der Bundesrath ist inkompetent, über den Antrag des Hrn. Knechtle zu entscheiden.

2. Dieser Beschluß ist, unter Zustellung sämmtlicher Akten, Bundesblatt. 41. Jahrg. Bd. I.

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dem eidgenössischen Kassationsgerichte zu übermachen behufs des Entscheides über das Kassationsbegehren.

3. Derselbe ist im Fernern dem eidgenössischen Departement des Innern, dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement, der eidgenössischen Alkoholverwaltung, sowie der Regierung des Kantons Appenzell A. Rh., für sich und zu Händen des Obergerichtes und des Rekurrenten Knechtle, in extenso mitzutheilen.

B e r n , den 22. Januar 1889.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs des Hrn. Konrad Knechtle, Wirth und Krämer in Teufen (Appenzell A. Rh.), betreffend Bestrafung wegen Uebertretung des Bundesgesetzes vom 23. Dezember 1886 über gebrannte Wasser. (Vom 22. Januar 1888.)

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26.01.1889

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