809

#ST#

Schweizerische Bundesversammlung.

Die gesetzgebenden Räthe der Eidgenossenschaft sind am 25. März 1889 zur II. Abtheilung ihrer Wintersession zusammengekommen.

Der Nationalrath wurde durch seinen Präsideuten, Hrn. Eugène Ruffy Staatsrath des Kantons Waadt, in Lausanne, mit folgender Ansprache eröffnet : ,,Meine Herren Nationalräthe!

,,Nach den wiederholten Schlägen, mit denen uns das Schicksal vor und während unserer letzten Session heimgesucht hat, schien es, daß der Tod für einige Zeit mit seinem Zerstörungswerke hätte einhalten können. Es sollte nicht sein. Wir mußten es sehen, wie in Luzern einer der Veteranen unserer Räthe hingerafft wurde.

Melchior Martin K n U s o l war von vielen unter uns, deren politische Laufbahn im Bundesdienste erst begann, als die seinige zum Abschlüsse gelangt war, wenig gekannt. Mir war es schon in meinen Jugendjahren vergönnt, ihn zu kennen und sein gediegenes Wesen zu würdigen, das sich unter einer auf den ersten Blick vielleicht etwas kalten und wenig zugänglichen Hülle barg. Zuerst Mitglied unseres Käthes, war er später während mehr als zwanzig Jahren Mitglied des Bundesrathes und zwei Mal Bundespräsident. Als Politiker war Knüsel ein milder, friedlich gesinnter Liberaler, als Verwalter die personifizirt Pflichttreue und für seine Untergebenen ein Muster von Arbeitsamkeit und Pünktlichkeit. Gewiß finden Sie mit mir, daß die vom Verstorbenen in seinen hohen Stellungen geleisteten Dienste diesen Nachruf rechtfertigen, mag er auch durch die dreizehn seit dem freiwilligen Rücktritt Knüsel' aus unseren Käthen verflossenen Jahre etwas abgeschwächt sein.

,,Anderer Art ist die Lücke, welche der Hinscheid von Antoine C a r t er e t zurückläßt, eines Mannes, der noch in seiner vollen Thätigkeit stand, als er uns, nach einer der längsten, schönsten Laufbahnen, von denen unsere eidgenössischen Geschichtsbücher berichten, entrissen wurde. Auf der Tagsatzung von 1847 war er eines der jüngsten Mitglieder derselben. Und nun, im Jahre 1889,

«10

scheidet er von uns als Aeltester unseres Rallies, nachdem er ihm ununterbrochen während nahezu zwanzig Jahren angehört hatte.

Außerdem war er Mitglied des Ständerathes in den Jahren 1848 und 1849.

,,Ein Mann von tiefwurzelnde» Ueberzeugungen, ein f'Ur den Kampf gestählter Charakter, war Cartere ein Mann der Politik, noch mehr: ein politischer Führer. Und welch trefflicher Führer!

Wie sehr verdien! diese Bezeichnung ein Mann, der während mehr als zwanzig Jahren in seiner Person die Bestrebungen und Ziele der großen Mehrheit des Genfer Volkes zusammenzufassen und ihnen den richtigsten und schlagendsten Ausdruck zu geben verstand. Welch' herrlicher Führer, dieser Mann von patriarchalischem Aussehen, mit seiner mitunter etwas herben, aber immer glänzenden und durch neue, kühne Redefiguren gezierten Beredsamkeit, mit seiner so schönen und sonoren Stimme, welche gleich vom ersten Worte an die allgemeine Aufmerksamkeit zu fesseln wußte.

"Zwar mochte seine bisweilen etwas brutale Freimüthigkei seine Gegner etwa verletzen; aber der tiefere Grund seines Charakters war die lauterste Aufrichtigkeit. In guter Stunde dichtend, hat er sich selbst sein Verhalten in einem schönen Verse vorgezeichnet. ,,Volle Aufrichtigkeit, ohne jede Beimischung, das ist die erste Pflicht desjenigen, der den Himmel sucht. Wie dieser, so muß auch unser Geist klar sein. Wenn wir zum Lichte eingehen wollen, müssen wir immer wahr sein vor dem Ewigen."

"Wohl hat er in der letzten Zeit auch die Gebrechen des Alters über sich ergehen lassen müssen, aber sein Herz ist jung geblieben, und dieses Herz -- das wissen Alle, die Carteret nahe getreten sind -- war voll Güte.

,,Es sei daher von uns Allen unserm Carteret ein freundliches Andenken bewahrt !

,,Selbst seine Gegner werden, ich will nicht sagen ihm verzeihen, denn es ist keine Verzeihung anzurufen oder zu gewähren, wo keine Beleidigung ist, und Carteret hatte ein zu gutes und zu edles Herz, um wissentlich Jemanden beleidigen zu wollen; selbst seme Gegner, sage ich, werden ihn als einen Mann achten, der sein Vaterland geliebt hat und der sich ganz der Thätigkeit für dasjenige hingab, was seinem innersten Gewissen als zum Wohle und zur Ehre seines Vaterlandes gereichend vorschwebte.

,,Ich bitte Sie, meine Herren, sich von Ihren Sitzen erheben zu wollen, zur Bezeugung unserer Trauer um die Hingeschiedeneu, Melchior Martin Knüsel und Anton Carteret

811 [m N a t i o n a l rat h sind drei neue Mitglieder erschienen, nämlich : Herr Gottfried J o o s t , Handelsmann, von und in Langnau (Bern), gewählt im 7. eidg. Wahlkreise am 3. Februar 1889, an der Stelle des am 3. November vorigen Jahres gestorbenen Hrn. Gottlieb Riem von Kiesen (Bern).

,, Friedrich Abraham S t o c k , Medizindoktor, von und in Murten (Freiburg), am 27. Januar 1889 gewählt vom 21. eidg. Wahlkreise, in Ersetzung des am 16. November vorigen Jahres verstorbenen Hrn. Georges Cressier in Murten.

,, Gustave A do r, Staatsrath von Genf, vom 49. eidg. Wahlkreise am 10. März 1889 gewählt für den am 2». Januar dieses Jahres verstorbenen Hrn. Antoine Cartere in Genf.

Im Ständerathe erschienen zwei neue Mitglieder, nämlich: Für Zürich: Herr Jakob Pfenninger Advokat, von Hinweil, in Zürich, für den zum Bundesrath gewählten Hrn. Hauser.

,, Thurgau: ,, Johann Ulrich B a u m an n, Gerichtspräsident, VOD Neukirch-Egnach, an der Stelle des verstorbenen Hrn. Altwegg.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Schweizerische Bundesversammlung.

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1889

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

13

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

30.03.1889

Date Data Seite

809-811

Page Pagina Ref. No

10 014 317

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.