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15.434 Parlamentarische Initiative Mutterschaftsurlaub für hinterbliebene Väter Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 19. August 2022

Sehr geehrte Frau Präsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes über den Erwerbsersatz (Erwerbsersatzgesetz, EOG)1 und weiterer Erlasse. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

19. August 2022

Im Namen der Kommission Der Präsident: Albert Rösti

1

SR 834.1

2022-2982

BBl 2022 2515

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Übersicht Nach der Geburt eines Kindes erhalten erwerbstätige Mütter in der Schweiz 14 Wochen Urlaub. Stirbt die Mutter während ihres Urlaubs, endet ihr Anspruch darauf.

Mit der vorliegenden Gesetzesänderung soll neu ein Urlaub für den hinterbliebenen Elternteil gewährt werden. Dieser Urlaub soll wie der Mutterschafts- und der Vaterschaftsurlaub über die Erwerbsersatzordnung (EO) entschädigt werden.

Der durch die EO entschädigte Urlaub im Todesfall soll erlauben, dass der hinterbliebene Elternteil familiäre Aufgaben wahrnehmen kann, ohne dass er seine Erwerbstätigkeit aufgeben muss. Ähnlich wie der Mutterschaftsurlaub soll dieser Urlaub gewährleisten, dass sich der hinterbliebene Elternteil um das Neugeborene kümmern und die neue, schwierige Situation meistern kann. Angesichts der Härte dieser Situation besteht in den Augen der Kommission trotz weniger Fälle Handlungsbedarf.

Im Einzelnen schlägt die Kommission vor, dass der Vater einen Urlaub von 14 Wochen erhält, wenn die Mutter während der 14 Wochen nach der Geburt des Kindes stirbt. Der Urlaub ist unmittelbar nach dem Tod und am Stück zu beziehen; er endet frühzeitig, wenn der Vater seine Erwerbstätigkeit wiederaufnimmt. Der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub ist in diesen insgesamt 14-wöchigen Urlaub eingeschlossen.

Seit dem Inkrafttreten der Gesetzesänderungen im Zusammenhang mit der «Ehe für alle» per 1. Juli 2022 hat auch die Ehefrau der Mutter unter gewissen Voraussetzungen Anspruch auf Vaterschaftsentschädigung. Entsprechend erhält sie auch Anspruch auf den vorgeschlagenen Urlaub im Todesfall. Zusätzlich schlägt die Kommission vor, in dieser Vorlage die redaktionellen und begrifflichen Anpassungen bei der Vaterschaftsentschädigung vorzunehmen, die sich aufgrund der Annahme der «Ehe für alle» ergeben. So soll etwa der «Vaterschaftsurlaub» neu als «Urlaub des andern Elternteils» bezeichnet werden.

Zwei Minderheiten beantragen, den Urlaub im Todesfall zusätzlich zum Vaterschaftsurlaub zu gewähren und den Anwendungsbereich des Urlaubs im Todesfall zu erweitern. So soll die hinterbliebene Mutter zusätzlich Anspruch auf einen durch die EOentschädigten Urlaub erhalten, wenn der andere Elternteil während der sechs Monate nach der Geburt des Kindes stirbt. Die Minderheitsanträge unterscheiden sich bei der Dauer des Urlaubs: Eine Minderheit nimmt
die heute geltenden Regelungen auf und beantragt einen Urlaub von 14 Wochen im Todesfall der Mutter und einen Urlaub von 2 Wochen im Todesfall des andern Elternteils. Die andere Minderheit will diesen Urlaub um je vier Wochen verlängern.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

2

1

Entstehungsgeschichte

5

2

Ausgangslage 2.1 Rechtliche Grundlagen und aktuelle Situation 2.2 Handlungsbedarf und Ziele 2.3 Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung 2.4 Vernehmlassungsverfahren

6 6 11 12 13

3

Grundzüge der Vorlage 3.1 Minderheitsanträge 3.1.1 Zusätzlicher Urlaub im Todesfall eines Elternteils 3.1.2 Verlängerter, zusätzlicher Urlaub im Todesfall eines Elternteils

14 15 15

4

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 4.1 Bundesgesetz über den Erwerbsersatz (Erwerbsersatzgesetz, EOG) 4.2 Änderung anderer Erlasse 4.2.1 Obligationenrecht (OR) 4.2.2 Bundesgesetz vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen und Invalidenvorsorge 4.2.3 Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung 4.2.4 Bundesgesetz vom 20. Juni 1952 über die Familienzulagen in der Landwirtschaft

17

5

Auswirkungen 5.1 Finanzielle Auswirkungen für die EO 5.2 Auswirkungen für Bund, Kantone, Gemeinden 5.2.1 Finanzielle Auswirkung 5.2.2 Personelle Auswirkungen 5.3 Wirtschaftliche und soziale Auswirkungen

27 27 28 28 28 28

6

Rechtliche Aspekte 6.1 Verfassungsmässigkeit 6.2 Vereinbarkeit mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz 6.3 Erlassform 6.4 Ausgabenbremse 6.5 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 6.6 Datenschutz

29 29

16

17 22 22 26 26 26

29 29 30 30 30

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Bundesgesetz über den Erwerbsersatz (Erwerbsersatzgesetz, EOG) (Entwurf)

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Nationalrätin Margrit Kessler (GLP, SG) reichte am 8. Juni 2015 die parlamentarische Initiative mit folgendem Wortlaut ein: «Das Erwerbsersatzgesetz und das Obligationenrecht sind so anzupassen, dass bei einem Todesfall der Mutter innerhalb von 14 Wochen nach der Geburt der Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen vollumfänglich dem Vater gewährt wird.» In der Begründung weist die Initiantin darauf hin, dass der Anspruch auf den 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub nach dem Tod der Mutter erlischt. Dies bedeute, dass der hinterbliebene Vater unbezahlten Urlaub nehmen muss, damit er sich mit der schwierigen Situation auseinandersetzen und sich um das Neugeborene sowie allfällige weitere Kinder kümmern kann. Entsprechend soll in diesen Fällen der Anspruch auf Mutterschaftsurlaub auf den Vater übertragen werden. Die Initiantin bezeichnet es als stossend, wenn gerade in diesen seltenen, tragischen Fällen ohnehin bereitgestellte Gelder für die Mutterschaftsversicherung eingespart würden.

Nach dem Ausscheiden der Initiantin aus dem Rat wurde die parlamentarische Initiative von Nationalrat Thomas Weibel (GLP, ZH) übernommen.

Am 22. Juni 2016 gab die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) der parlamentarischen Initiative mit 13 zu 8 Stimmen bei 2 Enthaltungen Folge. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) stimmte dem Beschluss der SGK-N am 30. August 2016 mit 6 zu 3 Stimmen bei 3 Enthaltungen zu.

Am 25. Januar 2018 diskutierte die Kommission über das weitere Vorgehen. Sie stellte fest, dass in der Zwischenzeit die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub ­ zum Nutzen der gesamten Familie» eingereicht worden war.2 Mit 10 zu 10 Stimmen und Stichentscheid des Präsidenten beschloss die Kommission, die Arbeiten am Erlassentwurf zur parlamentarischen Initiative bis zum Entscheid über die Volksinitiative zu sistieren. Am 27. September 2020 nahm die Schweizer Stimmbevölkerung den indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative3 mit 60,3 Prozent der Stimmen an. Der im indirekten Gegenvorschlag vorgesehene zweiwöchige Vaterschaftsurlaub trat per 1. Januar 2021 in Kraft (siehe Ziff. 2.1).

Während die Arbeiten sistiert waren, verlängerte der Nationalrat die zweijährige Frist zur Ausarbeitung des Erlassentwurfs gemäss Artikel 113 Absatz
1 des Parlamentsgesetzes (ParlG)4 zwei Mal. Den ersten Antrag zur Fristverlängerung stellte die Kommission am 30. August 2018 mit 11 zu 7 Stimmen, um die Beratung der Volksinitiative zum Vaterschaftsurlaub abzuwarten. Der Nationalrat stimmte diesem Antrag am

2 3 4

Die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub ­ zum Nutzen der ganzen Familie» wurde am 4. Juli 2017 eingereicht (BBl 2017 5473); Geschäftsnr. 18.052.

Schlussabstimmungstext: BBl 2019 6855; Geschäftsnr. 18.441.

SR 171.10

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28. September 2018 mit 137 zu 44 Stimmen bei 9 Enthaltungen zu. Den zweiten Antrag zur Fristverlängerung beschloss die Kommission am 14. Januar 2021 mit 14 zu 8 Stimmen, da das Anliegen der parlamentarischen Initiative auch mit der mittlerweile in Kraft getretenen Regelung zum Vaterschaftsurlaub nicht erfüllt werde. Der Nationalrat stimmte dieser zweiten Fristverlängerung am 19. März 2021 mit 146 zu 35 Stimmen bei 8 Enthaltungen zu.

Daraufhin legte die Kommission am 28. April 2021 die Eckwerte der Vorlage fest, mit welcher die parlamentarische Initiative umgesetzt werden soll. Gestützt auf Artikel 112 Absatz 1 ParlG zog sie Sachverständige des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) und des Bundesamtes für Justiz (BJ) bei. Sie beauftragte die Verwaltung, einen Vorentwurf mit mehreren Varianten auszuarbeiten (siehe auch Ziff. 2.3).

Dabei sollte nicht nur der Tod der Mutter während der Dauer des Mutterschaftsurlaubs, sondern auch der Tod des Vaters während der sechs Monate nach der Geburt des Kindes, analog zur Rahmenfrist des Vaterschaftsurlaubs, berücksichtigt werden.

Am 17. November 2021 beriet die Kommission den Vorentwurf und legte sich auf ihren Vorschlag fest. Zusätzlich erteilte sie den Auftrag, in der Vorlage die redaktionellen und begrifflichen Anpassungen zur Vaterschaftsentschädigung vorzunehmen, welche sich aufgrund der Annahme der «Ehe für alle» in der Volksabstimmung vom 26. September 2021 ergeben. Am 3. Februar 2022 verabschiedete die Kommission den Vorentwurf zusammen mit dem erläuternden Bericht in die Vernehmlassung.

An der Sitzung vom 19. August 2022 nahm die Kommission von den Ergebnissen der Vernehmlassung Kenntnis (siehe Ziff. 2.4). Sie änderte den Entwurf im Vergleich zur Vernehmlassungsvorlage. So soll nur im Todesfall der Mutter ein Urlaub von 14 Wochen gewährt werden, nicht aber im Todesfall des andern Elternteils. Weiter soll der Anspruch auf die 2 Wochen Vaterschaftsentschädigung in diesem Urlaub im Todesfall der Mutter eingeschlossen sein und nicht zusätzlich bezogen werden können. Die Kommission beschloss mit 17 Stimmen bei 4 Enthaltungen, den Entwurf ihrem Rat zu unterbreiten und den Bundesrat zur Stellungnahme einzuladen.

2

Ausgangslage

2.1

Rechtliche Grundlagen und aktuelle Situation

Gemäss Artikel 116 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV)5 richtet der Bund eine Mutterschaftsversicherung ein. Wie der Bundesrat in seinem Bericht «Vaterschaftsurlaub und Elternurlaub. Auslegeordnung und Präsentation unterschiedlicher Modelle» vom 30. Oktober 2013 in Erfüllung des Postulates Fetz (11.3492)6 feststellt, kann der Begriff der Mutterschaftsversicherung weit gefasst werden und nicht nur das «Mutterschaftsrisiko» im üblichen Sinne ­ Schwangerschaft und Geburt eines Kindes ­ betreffen, sondern auch Risiken in Zusammenhang mit mutterschaftsähnlichen Situationen. Artikel 116 Absatz 3 BV erteilt dem Bund folglich die Kompetenz, im Rahmen

5 6

SR 101 Abrufbar unter www.parlament.ch > 11.3492 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

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der Mutterschaftsversicherung auch Vorschriften über die Gewährung von Erwerbsersatzentschädigungen bei Adoptionen sowie in Bezug auf Vaterschafts- oder Elternurlaub zu erlassen. Gleichzeitig ergibt sich aus Artikel 116 Absatz 3 BV keine Pflicht des Bundes für solche Entschädigungen.7 Entschädigung und Urlaub bei Mutterschaft Nach der Niederkunft erhalten erwerbstätige Mütter 14 Wochen Mutterschaftsurlaub, der über die Erwerbsersatzordnung (EO) entschädigt wird. Der Mutterschaftsurlaub und die Mutterschaftsentschädigung sind im Obligationenrecht (OR)8 beziehungsweise im Erwerbsersatzgesetz (EOG)9 verankert und seit dem 1. Juli 2005 in Kraft10.

Anspruch auf eine Mutterschaftsentschädigung hat die Frau, wenn sie: ­

während der neun Monate unmittelbar vor der Geburt im Sinne des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)11 obligatorisch versichert war,

­

in dieser Zeit während mindestens fünf Monaten erwerbstätig war, und

­

zum Zeitpunkt der Geburt Arbeitnehmerin oder selbstständig erwerbend ist oder im Familienbetrieb zu einem Barlohn mitarbeitet (Art. 16b EOG).

Frauen, die arbeitslos oder arbeitsunfähig sind, haben grundsätzlich auch Anspruch auf eine Mutterschaftsentschädigung. Die Voraussetzungen dafür sind ebenso wie weitere nähere Vorgaben zur Mutterschaftsentschädigung in der Erwerbsersatzverordnung vom 24. November 2004 (EOV)12 geregelt.

Die Mutterschaftsentschädigung wird als Taggeld ausgerichtet und beträgt 80 Prozent des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, das vor Beginn des Anspruchs erzielt wurde, höchstens aber 196 Franken pro Tag (Art. 16e und 16f EOG). Der Bezug der Mutterschaftsentschädigung hat Vorrang vor Ansprüchen auf Taggelder anderer Sozialversicherungen (Art. 16g EOG). Die Kantone können weitergehende Leistungen vorsehen; zum Beispiel können sie höhere oder länger dauernde Entschädigungen gewähren und zu deren Finanzierung besondere Beiträge erheben (Art. 16h EOG).

Der Mutterschaftsurlaub beginnt am Tag der Niederkunft und dauert 14 Wochen ohne Unterbruch (Art. 329f Abs. 1 OR). Wenn das Neugeborene unmittelbar nach der Geburt während mindestens zwei Wochen im Spital bleiben muss, wird der Mutterschaftsurlaub um die Dauer des Spitalaufenthalts verlängert, höchstens aber um acht Wochen (Art. 329f Abs. 2 OR). Der Mutterschaftsurlaub wird mit 98 Taggeldern entschädigt, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 16c Abs. 2 EOG). Dazu kommen maximal 56 Taggelder im Falle einer Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs

7 8 9 10 11 12

Bericht «Vaterschaftsurlaub und Elternurlaub. Auslegeordnung und Präsentation unterschiedlicher Modelle» in Erfüllung des Postulates Fetz (11.3492), S. 35.

SR 220 SR 834.1 AS 2005 1429 SR 831.10 SR 834.11

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(Art. 16c Abs. 3 EOG). Der Anspruch auf die Mutterschaftsentschädigung endet vorzeitig, wenn die Frau während des Mutterschaftsurlaubs stirbt oder die Erwerbstätigkeit wiederaufnimmt (Art. 16d Abs. 3 EOG).

Arbeitnehmerinnen, die dem Arbeitsgesetz (ArG)13 unterstellt sind, dürfen zudem in den ersten acht Wochen nach der Niederkunft nicht beschäftigt werden (Art. 35a Abs. 3 ArG). Ihnen darf weiter während der Schwangerschaft sowie in den ersten 16 Wochen nach der Niederkunft und auch gegebenenfalls während des verlängerten Mutterschaftsurlaubs nicht gekündigt werden, sofern die Probezeit abgelaufen ist (Art. 336c Abs. 1 Bst. c und cbis OR). Weiter dürfen die Ferien nicht aufgrund des Mutterschaftsurlaubs gekürzt werden (Art. 329b Abs. 3 Bst. b OR).

Entschädigung und Urlaub bei Vaterschaft Seit dem 1. Januar 2021 erhalten erwerbstätige Väter zwei Wochen Vaterschaftsurlaub, der ebenfalls von der EO entschädigt wird14. Anspruch auf eine Vaterschaftsentschädigung hat der Mann, wenn er zum Zeitpunkt der Geburt oder spätestens innert sechs Monaten danach der rechtliche Vater des Kindes ist. Die restlichen Anspruchsberechtigungen sind gleich wie bei der Mutterschaftsentschädigung (Art. 16i EOG).

Die Höhe der Entschädigung und auch ihr Vorrang gegenüber anderen Taggeldern ist ebenso analog geregelt (Art. 16l, Art. 16m EOG).

Der Vaterschaftsurlaub muss nicht automatisch ab dem Tag der Niederkunft, sondern die insgesamt zwei Wochen können innerhalb der sechs Monate nach der Geburt tageoder wochenweise bezogen werden (Art. 329g OR). Der Vaterschaftsurlaub wird mit 14 Taggeldern entschädigt, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 16k). Der Anspruch auf die Vaterschaftsentschädigung endet, wenn die Rahmenfrist abläuft oder die Taggelder ausgeschöpft sind; er endet vorzeitig, wenn der Vater oder das Kind stirbt, oder die Vaterschaft aberkannt wird (Art. 16j Abs. 3 EOG).

Im Gegensatz zum Mutterschaftsurlaub gilt kein Kündigungsschutz, sondern die Kündigungsfrist wird um die Anzahl Tage des Vaterschaftsurlaubs verlängert, welche der Vater zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht bezogen hat (Art. 335c Abs. 3 OR).

Die Ferien dürfen aber auch wegen des Vaterschaftsurlaubs nicht gekürzt werden (Art. 329b Abs. 3 Bst. c OR).

Seit dem Inkrafttreten der Gesetzesänderungen im Zusammenhang mit der «Ehe für alle»
per 1. Juli 2022 hat auch die Ehefrau der Mutter Anspruch auf Vaterschaftsentschädigung, wenn sie im Zeitpunkt der Geburt des Kindes mit der Mutter verheiratet ist und das Kind gemäss Fortpflanzungsmedizingesetz15 durch eine Samenspende gezeugt wurde. Die Regelungen zur Vaterschaftsentschädigung sind folglich sinngemäss auf die Ehefrau der Mutter anzuwenden.

13 14 15

SR 822.11 AS 2020 4689 SR 810.11

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Regelungen im Todesfall eines Elternteils Es besteht keine spezifische Regelung für den Fall, dass ein Elternteil während des Mutterschafts- oder Vaterschaftsurlaubs stirbt, sondern es können allgemeine arbeitsrechtliche Bestimmungen angewendet werden. Generell ist der Arbeitgeber gemäss Artikel 36 Absatz 1 ArG verpflichtet, auf die besondere Situation seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Familienpflichten Rücksicht zu nehmen, wenn er die Arbeits- und Ruhezeit festlegt. Als Familienpflichten gelten die Erziehung von Kindern bis 15 Jahren und die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger oder nahestehender Personen. Sie umfassen alle Aufgaben, welche die Anwesenheit der betreuenden Person notwendig oder wünschenswert erscheinen lassen.16 Auch der Tod von Angehörigen gehört gemäss Literatur zu den Ereignissen, die im Zusammenhang mit Familienpflichten stehen.17 Ob der Arbeitgeber bei Verhinderung des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin zur Lohnfortzahlung gemäss Artikel 324a OR verpflichtet ist, hängt namentlich davon ab, ob die Erfüllung der Arbeitspflicht in der betreffenden Situation zumutbar ist.18 Der Tod eines nahen Verwandten gilt als ein Ereignis, das zu Lohnfortzahlung Anlass geben kann.19 Dazu kommt die Betreuung des Neugeborenen, die aus der gesetzlichen Unterhaltspflicht des überlebenden Elternteils begründet ist. Die Dauer der Lohnfortzahlung ist indessen nicht genau gesetzlich bestimmt. Der Anspruch auf Lohnfortzahlung setzt auch voraus, dass der überlebende Elternteil seinen Anspruch auf den gesamten Jahreslohn, der ihm für jedes Dienstjahr zusteht, noch nicht ausgeschöpft hat (Art. 324a Abs. 2 OR).20 Wenn der Lohnanspruch nicht auf der Grundlage von Artikel 324a OR gegeben ist, kann der hinterbliebene Elternteil aufgrund des Todes des anderen Elternteils Anspruch auf eine Arbeitsbefreiung gemäss Artikel 329 Absatz 3 OR geltend machen.

Dabei sind die «üblichen freien Stunden und Tage» zu gewähren. Die Dauer der Arbeitsbefreiung für spezifische familiäre Ereignisse wie der Todesfall der Partnerin oder des Partners ist in Arbeitsverträgen, Gesamt- oder Normalarbeitsverträgen konkretisiert. Da es sich beim Anspruch auf Gewährung der üblichen Freizeit um relativ zwingendes Recht handelt, kann die übliche Dauer allerdings nur verlängert werden.21 Eine Dauer in der Grössenordnung
von ein bis drei Tagen kann derzeit als üblich angesehen werden. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Dauer und der Zeitpunkt der Arbeitsbefreiung in jedem konkreten Fall in Anbetracht aller Umstände ­

16

17 18

19 20 21

Wegleitung des SECO zu Art. 36 ArG, März 2021. Abrufbar unter: www.seco.

admin.ch > Publikationen & Dienstleistungen > Publikationen > Arbeit > Arbeitsbedingungen > Wegleitungen zum Arbeitsgesetz.

Hensch, A. (2016). Arbeitnehmer mit Familienpflichten, Aktuelle Juristische Praxis / Pratique Juridique Actuelle (AJP/PJA) 12/2016, S. 1633.

Portmann, W. / Rudolph, R. (2020). Art. 324a OR, Basler Kommentar Obligationenrecht I, N1. Perrenoud, S. (2021). Art. 324a CO, Commentaire romand Code des obligations I, N 17. Siehe auch Hensch, A. (2016), S. 1641.

Portmann, W. / Rudolph, R. (2020). Art. 324a OR, N47.

Portmann, W. / Rudolph, R. (2020). Art. 324a OR, N13, N17. Perrenoud, S. (2021).

Art. 324a CO, N68.

Hensch, A. (2016), S. 1641. Siehe auch Portmann, W./Rudolph, R. (2020). Art. 329 OR, Basler Kommentar Obligationenrecht I, N15-N16; P. Dietschy-Martenet (2021). Art. 329 CO, Commentaire romand Code des obligations I, N9.

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vonseiten des Arbeitgebers und des hinterbliebenen Elternteils ­ angemessen bestimmt werden müssen (Art. 329 Abs. 4 OR).

Neben diesen arbeitsrechtlichen Regelungen werden mit dem Todesfall eines Elternteils auch Ansprüche auf Leistungen der Sozialversicherungen begründet. So erhalten Kinder unter 18 Jahren eine Waisenrente, wenn ein Elternteil stirbt (Art. 25 AHVG).

Bei Ehepaaren oder Paaren in eingetragener Partnerschaft hat der hinterbliebene Elternteil, unter weiteren Bedingungen, Anspruch auf eine Witwer- beziehungsweise Witwenrente (Art. 23 AHVG). Der Anspruch beginnt dabei am ersten Tag des Monats, der auf den Tag des Todes folgt. Je nach erzieltem Einkommen der verstorbenen Person kommen Hinterlassenenleistungen der beruflichen Vorsorge hinzu (Bundesgesetz vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge22, BVG; Art. 19­20a). Gemäss Artikel 20a BVG können Vorsorgeeinrichtungen dabei auch für nicht verheiratete Elternteile Hinterlassenenleistungen vorsehen. Sind die finanziellen Verhältnisse bescheiden, besteht unter gewissen Voraussetzungen weiter Anspruch auf Ergänzungsleistungen.23 Weiter sehen auch die Unfall- sowie die Militärversicherung Hinterlassenenrenten für die Kinder sowie die Gattin oder den Gatten der verstorbenen Person vor, sofern die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind (Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung24, UVG; Art. 28; Bundesgesetz vom 19. Juni 1992 über die Militärversicherung25, MVG; Art. 51).

Aktuelle Situation Es gibt keine Statistiken zu der Anzahl der Frauen, die im Laufe der 14 Wochen nach der Niederkunft sterben. Auf der Grundlage der vorhandenen Daten lässt sich aber schliessen, dass es nur wenige Frauen betrifft. Gemäss der Todesursachenstatistik des Bundesamtes für Statistik (BFS) sterben in der Schweiz pro Jahr zwischen einer und acht Frauen im Zusammenhang mit der Schwangerschaft, Geburt und dem Wochenbett. Zur Anzahl der Männer, die während der sechs Monate nach der Geburt des Kindes sterben, sind keine Schätzungen verfügbar, da die Todesfälle während des Vaterschaftsurlaubs nicht mit einer spezifischen Todesursache in Verbindung gesetzt werden können.

22 23

24 25

SR 831.40 Siehe auch Merkblatt «Hinterlassenenrenten der AHV» der Informationsstelle AHV/IV, Stand am 1. Januar 2021. Abrufbar unter: www.ahv-iv.ch > Merkblätter & Formulare > Leistungen der AHV.

SR 832.20 SR 833.1

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Anzahl und Rate der Sterbefälle der Mütter Müttersterbefälle Geburtsjahr

Alle Geburten

Anzahl

Rate pro 100 000 Geburten

2007

74 791

1

1.3

2008

77 032

8

10.4

2009

78 631

3

3.8

2010

80 636

3

3.7

2011

81 157

3

3.7

2012

82 514

7

8.5

2013

83 133

2

2.4

2014

85 655

5

5.8

2015

86 916

6

6.9

2016

88 254

3

3.4

2017

87 743

4

4.6

2018

88 232

6

6.8

2019

86 516

6

6.9

2020

86 233

nicht verfügbar

­

Quelle: BFS, Geburten: Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung; Muttersterbefälle: Statistik der Todesursachen und Totgeburten, ICD-10 Code: O00-099.

2.2

Handlungsbedarf und Ziele

Die besondere Situation, wenn ein Elternteil kurz nach der Geburt des Kindes stirbt, ist heute nicht im Gesetz geregelt. Mit dem Tod eines Elternteils entstehen zwar sozialversicherungsrechtliche Ansprüche auf Hinterlassenenleistungen. Auch gibt es arbeitsrechtliche Vorgaben, die eine Kurzbefreiung von der Arbeit ermöglichen sowie gegebenenfalls eine Lohnfortzahlung für eine beschränkte Dauer. Gleichzeitig erlischt mit dem Tod eines Elternteils sein Anspruch auf Mutterschafts- beziehungsweise Vaterschaftsurlaub. Die Konsequenzen dieser Regelung werden besonders deutlich, wenn die Mutter stirbt. In diesem Fall entfällt der 14-wöchige Mutterschaftsurlaub und dem hinterbliebenen Elternteil steht lediglich der Vaterschaftsurlaub von zwei Wochen zu, sofern er diesen Urlaub zum Zeitpunkt des Todes noch nicht bezogen hat.

Um dieser besonderen Situation angemessen Rechnung zu tragen, soll dem hinterbliebenen Vater oder der hinterbliebenen Ehefrau Anspruch auf einen Urlaub mit einer festgelegten Dauer und Entschädigung gewährt werden. Der Urlaub soll diesem hinterbliebenen Elternteil erlauben, familiäre Aufgaben wahrzunehmen, ohne dass er seine Erwerbstätigkeit aufgeben muss. Ähnlich wie der Mutterschafts- und der Vaterschaftsurlaub soll dieser Urlaub im Todesfall gewährleisten, dass der hinterbliebene 11 / 30

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Elternteil genügend Zeit hat, damit er sich in den ersten Monaten um das Neugeborene kümmern und die schwierige, neue familiäre Situation meistern kann. Da der 14-wöchige Urlaub im Todesfall der Mutter entfällt, soll der hinterbliebene Elternteil die Möglichkeit erhalten, in diesen ersten und prägenden Monaten ständig präsent zu sein.

Letztlich soll mit einer gesetzlichen Regelung dafür gesorgt werden, dass sich die Betroffenen nicht darauf verlassen müssen, dass am Arbeitsplatz eine Lösung gefunden wird und genügend finanzielle Mittel sowie ein soziales Beziehungsnetz vorhanden sind.

Es gibt zwar wenige Todesfälle einer Mutter kurz nach der Geburt, aufgrund der ausgesprochenen Härte dieser Situation besteht in den Augen der Kommission aber dennoch Handlungsbedarf. Für eine gesetzliche Regelung dieser besonderen Situation spricht auch, dass die finanziellen Konsequenzen gering sein werden und zudem je nach Umständen teilweise mit den Mitteln kompensiert werden können, die für den Urlaub der verstorbenen Mutter vorgesehenen waren.

Mit der Änderung des Zivilgesetzbuches (ZGB) zur «Ehe für alle»26 erhält die Ehefrau der Mutter unter gewissen Voraussetzungen den rechtlichen Status als Elternteil und wird damit dem rechtlichen Vater gleichgestellt. Nach dem Inkrafttreten dieser Änderung per Juli 202227 sind deshalb die Bestimmungen zum Vaterschaftsurlaub sinngemäss anzuwenden.28 Mit der vorliegenden Gesetzesänderung sollen die notwendigen redaktionellen und begrifflichen Anpassungen an diese neue Rechtslage vollzogen werden.

2.3

Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung

Die Kommission prüfte verschiedene Möglichkeiten, wie der Mutterschaftsurlaub auf den hinterbliebenen Elternteil übertragen werden kann. Angesichts der wenigen betroffenen Fälle stand dabei im Vordergrund, eine schlanke und einfach umsetzbare Lösung zu finden, welche die Interessen der Betroffenen und der Arbeitgebenden sowie die Abläufe bei den Behörden berücksichtigt.

Erstens stellte sich dabei die Frage, ob dem andern Elternteil ein Urlaub gewährt werden soll, der die verbleibenden Tage zwischen dem Todestag der Mutter und dem Ablaufen der 14. Woche nach der Niederkunft umfasst, oder ob ihm ein 14-wöchiger Urlaub gewährt werden soll, ungeachtet dessen, wie viel Zeit die Mutter mit dem Neugeborenen zwischen der Niederkunft und ihrem Tod verbracht hatte. Im ersten Fall wird der Urlaub abhängig vom Zeitpunkt des Todes der Mutter reduziert. Im zweiten Fall erhält der Vater oder die Ehefrau der Mutter 14 Wochen Urlaub beziehungsweise 98 Taggelder unabhängig vom Zeitpunkt des Todes während der 14 Wochen nach der Niederkunft. Die Kommission sprach sich für dieses Modell aus, da eine festgelegte Dauer einfacher umsetzbar ist. Hätte der Vater oder die Ehefrau der Mutter nur

26 27 28

BBl 2020 9913 AS 2021 747 Antwort des Bundesrates auf die Motion Bertschy (21.4212) «Elternschaftsurlaub.

Der zweiwöchige soll für alle Eltern gelten» sowie auf die materiell identische Motion Mazzone (21.4331).

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Anspruch auf die verbleibenden Tage, müssten auch der Arbeitgeber sowie die Ausgleichskasse der verstorbenen, erwerbstätigen Mutter einbezogen werden. Zudem dürften sich die zwei Modelle in der Praxis kaum unterscheiden, da zu erwarten ist, dass die meisten Todesfälle relativ kurz nach der Geburt auftreten.

Zweitens diskutierte die Kommission wiederholt über das Verhältnis zum gesetzlichen Anspruch auf Vaterschaftsurlaub. Sie sprach sich letztlich dafür aus, dass die beiden Ansprüche nicht kumuliert werden können. Entsprechend besteht insgesamt Anspruch auf 98 Taggelder, wobei der Urlaub im Todesfall um die Anzahl der bereits bezogenen Taggelder der Vaterschaftsentschädigung verkürzt wird. Aus Sicht der Kommission sollen die beiden Entschädigungen nicht kumuliert werden, da dies im Vergleich zur geltenden Regelung ein Ausbau der Leistungen bedeuten würde. Dem hinterbliebenen Elternteil werde mit einem 14-wöchigen Urlaub die notwendige Unterstützung ermöglicht und die parlamentarische Initiative werde damit umgesetzt.

Die Vernehmlassungsvorlage sah dagegen vor, dass der Anspruch auf den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub unverändert erhalten bleiben soll.

Drittens befasste sich die Kommission ebenfalls wiederholt mit der Frage, ob der hinterbliebenen Mutter auch ein Urlaub gewährt werden soll, wenn der andere Elternteil kurz nach der Geburt stirbt. Da die Mutter bereits Anspruch auf 14 Wochen Mutterschaftsentschädigung hat und ein zusätzlicher Urlaub zu einem Ausbau der aktuellen Leistungen führen würde, sprach sich die Kommission dagegen aus. Der Vorentwurf beinhaltete hingegen einen zusätzlichen zweiwöchigen Urlaub für die hinterbliebene Mutter.

2.4

Vernehmlassungsverfahren

Die Vernehmlassung dauerte vom 17. Februar bis am 24. Mai 2022. Die Kommission lud 70 Adressaten ein, zum Vorentwurf und dem erläuternden Bericht Stellung zu nehmen. Insgesamt gingen 59 Stellungnahmen ein, die sich wie folgt zusammenfassen lassen29: Die Teilnehmenden an der Vernehmlassung unterstützen den Vorentwurf insgesamt mehrheitlich. 22 Kantone und die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) sprechen sich für den Vorentwurf aus, 2 Kantone befürworten ihn mit Vorbehalten, 1 Kanton lehnt ihn ab und 1 Kanton nahm keine Stellung.

Alle politischen Parteien begrüssen den Vorentwurf (Die Mitte, EVP, FDP, GLP, Grüne, SP, SVP). Die Stellungnahmen der Dachverbände der Wirtschaft und weiterer Wirtschaftsverbände sind geteilt: 5 Teilnehmende sprechen sich für den Vorentwurf aus, 4 lehnen ihn ab. Die weiteren interessierten Organisationen unterstützen den Vorentwurf grundsätzlich; die Verbände der Ausgleichskassen äussern sich nur zu Fragen der Umsetzung.

29

Vernehmlassungsbericht. Parlamentarische Initiative 15.434. Mutterschaftsurlaub für hinterbliebene Väter. Verfügbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > Parl. oder unter: www.parlament.ch > Suche Curia Vista > 15.434 > Vernehmlassung.

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Die Teilnehmenden, welche den Vorentwurf begrüssen, unterstreichen den Handlungsbedarf aufgrund der ausserordentlich schwierigen Situation, die entsteht, wenn ein Elternteil kurz nach der Geburt des Kindes stirbt. Mit dem vorgeschlagenen Urlaub könne sich der hinterbliebene Elternteil mit dieser Situation auseinandersetzen, ohne die Erwerbstätigkeit aufgeben zu müssen. Die Teilnehmenden, welche den Vorentwurf ablehnen, bemängeln dessen Zweckmässigkeit. Einerseits hätten der Mutterund Vaterschaftsurlaub nicht zum Ziel, die Härte eines Todesfalls zu lindern. Anderseits werde mit der vorgeschlagenen Änderung eine gesetzliche Grundlage für Einzelfälle geschaffen, für welche Arbeitgeber und Arbeitnehmende bereits im Rahmen der aktuellen Grundlagen zusammen Lösungen finden können. Auf den Einzelfallcharakter weisen auch einzelne Teilnehmende hin, welche den Vorentwurf insgesamt unterstützen (NW, FDP). Verschiedene Teilnehmende, welche den Vorentwurf unterstützen, würden sich im Grundsatz eine flexiblere und teilweise grosszügigere Lösung wünschen.

Die gemäss Vorentwurf vorgeschlagene Ausgestaltung des Urlaubs im Todesfall der Mutter wird ebenfalls mehrheitlich unterstützt. 14 Kantone, Die Mitte, FDP, GLP, die Grünen und die SP, 5 Verbände der Wirtschaft sowie alle weiteren Kreise, die sich dazu geäussert haben, befürworten den Vorschlag der Kommission. Demnach sollte der hinterbliebene Elternteil zusätzlich zum zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub einen Urlaub von 14 Wochen erhalten. 5 Kantone, die SVP sowie 4 Verbände der Wirtschaft sprechen sich hingegen dafür aus, den Vaterschaftsurlaub sowie den Urlaub im Todesfall der Mutter auf insgesamt 14 Wochen zu beschränken (damalige Minderheit Schläpfer).

Der in der Vernehmlassungsvorlage enthaltene Urlaub im Todesfall des andern Elternteils wird auch mehrheitlich befürwortet, aber kritischer beurteilt. Insgesamt unterstützen 14 Kantone, Die Mitte, GLP, die Grünen und die SP, 4 Verbände der Wirtschaft sowie 8 weitere Organisationen diesen Urlaub für die hinterbliebene Mutter.

5 Kantone, die SVP sowie 4 Verbände der Wirtschaft sprechen sich dagegen aus (damalige Minderheit Schläpfer). Zusätzlich lehnen auch der Kanton Zug und die FDP einen solchen Urlaub für die hinterbliebene Mutter ab.

Die begrifflichen Anpassungen, welche mit der Vorlage vorgenommen werden sollen, werden von den Teilnehmenden befürwortet.

3

Grundzüge der Vorlage

Die Kommission schlägt vor, dass der hinterbliebene Vater oder die hinterbliebene Ehefrau der Mutter Anspruch auf einen durch die EO entschädigten Urlaub von 14 Wochen erhält, wenn die Mutter während der 14 Wochen nach der Geburt des Kindes stirbt. Es gelten dabei die folgenden Bedingungen: ­

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Anspruch auf diesen Urlaub hat dieser hinterbliebene Elternteil, sofern das Kindesverhältnis anerkannt ist oder dies innerhalb der 14 Wochen nach dem Tod der Mutter geschieht. Der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub ist in den Taggeldern des 14-wöchigen Urlaubs im Todesfall der Mutter eingeschlossen.

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Der hinterbliebene Elternteil erhält entsprechend insgesamt 98 Taggelder, sofern die Anspruchsvoraussetzungen für die Vaterschaftsentschädigung erfüllt sind (Art. 16kbis E-EOG; Art. 329gbis E-OR).

­

Der Urlaub im Todesfall beginnt am Tag nach dem Tod der Mutter und ist am Stück zu beziehen. Er wird verlängert, wenn das Neugeborene unmittelbar nach der Geburt mindestens zwei Wochen im Spital bleiben muss (Art. 16kbis E-EOG; Art. 329gbis E-OR). Der Anspruch auf die Entschädigung endet nach Ausschöpfung der gesamten Taggelder. Er erlischt frühzeitig, wenn der hinterbliebene Elternteil seine Erwerbstätigkeit wiederaufnimmt, wenn das Kind oder der Elternteil verstirbt oder das Kindesverhältnis aufgelöst wird (Art. 16kbis Abs. 3 E-EOG).

­

Die Ferien können wegen des Urlaubs nicht gekürzt werden, weiter gilt ein Kündigungsschutz (Art. 329b Abs. 3 Bst. c, Art. 336c Abs. 1 Bst. cquater E-OR).

Daneben schlägt die Kommission vor, die vorliegende Gesetzesänderung zu nutzen, um die Begrifflichkeiten an die Änderungen infolge der «Ehe für alle» anzupassen.

Mit dem Inkrafttreten der «Ehe für alle» per 1. Juli 2022 erhält die Ehefrau der Mutter unter gewissen Voraussetzungen einen rechtlichen Status als Elternteil. Damit erhält sie Anspruch auf Vaterschaftsurlaub30 und auch auf den Urlaub im Todesfall, der mit der vorliegenden Gesetzesänderung eingeführt werden soll. Die dazugehörigen Bestimmungen sollen daher entsprechend redaktionell und begrifflich angepasst werden, damit sie sich auf neutrale Begriffe abstützen. Der Begriff «Vater» wird mit dem Begriff «anderer Elternteil» ersetzt. Der «Vaterschaftsurlaub» und die «Vaterschaftsentschädigung» sollen demgemäss als «Urlaub des andern Elternteils» beziehungsweise «Entschädigung des andern Elternteils» bezeichnet werden. Diese neue Formulierung umfasst somit den Vater und die Ehefrau der Mutter.

3.1

Minderheitsanträge

3.1.1

Zusätzlicher Urlaub im Todesfall eines Elternteils

Eine Minderheit I (Mettler, Feri Yvonne, Gysi Barbara, Humbel, Mäder, Maillard, Meyer Mattea, Porchet, Prelicz-Huber, Wasserfallen Flavia, Weichelt) beantragt ein Konzept, das den Entwurf der Mehrheit in zwei Punkten ändert: Erstens soll der Urlaub im Todesfall der Mutter zusätzlich zum bestehenden Vaterschaftsurlaub gewährt werden. Der hinterbliebene Vater oder die Ehefrau der Mutter soll entsprechend unverändert Anspruch auf zwei Wochen Vaterschaftsurlaub haben (Art. 16kbis Abs. 1 E-EOG, Art. 329gbis Abs. 1 E-OR). Da die sechsmonatige Rahmenfrist zum Bezug der Vaterschaftsentschädigung unter Umständen nicht ausreicht, wird sie aber während des Bezugs des Urlaubs im Todesfall der Mutter ausgesetzt (Art. 16kbis Abs. 4 E-EOG, Art. 329g Abs. 2 E-OR). Ansonsten werden die Bedingungen der Mehrheit übernommen.

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Siehe dazu die Antwort des Bundesrates auf die Motionen 21.4212 und 21.4331.

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Die Minderheit I spricht sich aus verschiedenen Gründen für eine Kumulation des Urlaubs im Todesfall mit dem Vaterschaftsurlaub aus. Grundsätzlich versicherten die beiden Urlaube unterschiedliche Situationen. Weiter wäre es umständlich, die beiden Ansprüche miteinander zu verrechnen. Zudem seien die Zusatzkosten einer Auszahlung von bis zu 14 Taggeldern an den hinterbliebenen Elternteil gering. Ebenso wären in einigen Fällen Entschädigungen ausgerichtet worden, wenn die Mutter nicht verstorben wäre.

Zweitens soll auch die hinterbliebene Mutter einen durch die EO-entschädigten Urlaub von zwei Wochen erhalten, wenn der Vater oder die Ehefrau der Mutter während der sechs Monate nach der Geburt stirbt. Die Dauer und Ausgestaltung dieses Urlaubs orientiert sich an den Regeln für die Vaterschaftsentschädigung. Es gelten entsprechend zusätzlich folgende Bedingungen: ­

Während des Urlaubs wird die hinterbliebene Mutter mit zusätzlichen Taggeldern gemäss ihrem Einkommen entschädigt, sofern die Anspruchsvoraussetzungen für die Mutterschaftsentschädigung erfüllt sind (Art. 16cbis E-EOG, Art. 329f Abs. 3 E-OR).

­

Der Urlaub im Todesfall des andern Elternteils kann innerhalb von sechs Monaten ab dem Tag nach dem Tod entweder tage- oder wochenweise bezogen werden. Sinngemäss zum Vaterschaftsurlaub ist der Anspruch auf die Taggelder nicht davon abhängig, ob die Mutter ihre Erwerbstätigkeit wiederaufgenommen hat (Art. 16cbis E-EOG, Art. 329f Abs. 3 E-OR).

­

Wie bereits das geltende Recht vorsieht, können die Ferien wegen des Urlaubs nicht gekürzt werden (Art. 329b Abs. 3 Bst. b OR). Weiter gilt ein Schutz vor Kündigung bis zum letzten Urlaubstag, höchstens aber bis drei Monate nach der 16-wöchigen Schutzfrist nach der Niederkunft (Art. 336c Abs. 1 Bst. cbisa E-OR).

­

In Übereinstimmung mit der Möglichkeit zur Kumulation bleibt der Anspruch auf den Mutterschaftsurlaub beziehungsweise die Mutterschaftsentschädigung unverändert; die Taggelder können nur nacheinander bezogen werden.

Die Minderheit I argumentiert, dass die hinterbliebene Mutter aus Gründen der Gleichbehandlung ebenfalls Anspruch auf Urlaub erhalten soll. Der Text der parlamentarischen Initiative zielte auf den Mutterschaftsurlaub, übereinstimmend mit den politischen und rechtlichen Entwicklungen seit ihrer Einreichung soll aber der Anwendungsbereich erweitert werden.

Der Antrag der Minderheit I entspricht damit insgesamt dem Konzept, das in der Vernehmlassung als Antrag der Mehrheit unterbreitet wurde.

3.1.2

Verlängerter, zusätzlicher Urlaub im Todesfall eines Elternteils

Eine Minderheit II (Wasserfallen Flavia, Feri Yvonne, Gysi Barbara, Maillard, Meyer Mattea, Porchet, Prelicz-Huber, Weichelt) beantragt, einen Urlaub von 18 Wochen für den hinterbliebenen andern Elternteil sowie einen Urlaub von 6 Wochen für die 16 / 30

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hinterbliebene Mutter einzuführen, der jeweils zusätzlich zur Vater- beziehungsweise der Mutterschaftsentschädigung gewährt wird.

Im Todesfall der Mutter erhielte damit der hinterbliebene Vater oder die Ehefrau der Mutter 126 Taggelder, die kumuliert mit den 14 Taggeldern der Vaterschaftsentschädigung insgesamt einen Anspruch von 20 Wochen ergeben (Art. 16kbis Abs. 1 E-EOG, Art. 329gbis Abs. 1 E-OR). Wie bei der Minderheit I wird auch in diesem Fall die Rahmenfrist für den Bezug der Vaterschaftsentschädigung ausgesetzt (Art. 16kbis Abs. 4 E-EOG, Art. 329g Abs. 2 E-OR). Ansonsten werden die Bedingungen der Mehrheit übernommen.

Im Todesfall des Vaters oder der Ehefrau der Mutter erhielte die Mutter 42 Taggelder, die wiederum kumuliert mit dem 98 Taggeldern der Mutterschaftsentschädigung werden und einen Anspruch von insgesamt 20 Wochen ergeben (Art. 16cbis E-EOG, Art. 329f Abs. 3 E-OR). Ansonsten werden die Bedingungen der Minderheit I übernommen.

Die Minderheit II argumentiert, dass nur eine grosszügigere Lösung die Bedürfnisse der Betroffenen deckt. So hat der hinterbliebene Elternteil gleichzeitig zwei Ereignisse zu bewältigen, da er sich nicht nur um das Neugeborene kümmern, sondern auch den Todesfall zu verkraften hat. Folglich sei es angebracht, eine länger dauernde Entschädigung vorzusehen. Zumal es sich um sehr seltene und tragische Fälle handelt, sei es auch angebracht, sich nicht an den geltenden Ansprüchen des 14-wöchigen Mutterschaftsurlaubs und des zweiwöchigen Vaterschaftsurlaubs zu orientieren.

4

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

4.1

Bundesgesetz über den Erwerbsersatz (Erwerbsersatzgesetz, EOG)

Art. 16b Abs. 1 Bst. c Ziff. 3 Redaktionelle Anpassung aufgrund der Anpassung des ZGB31 vom 18. Dezember 2020 (Ehe für alle), die die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ermöglicht. Eine Frau, die im Betrieb der Ehefrau mitarbeitet und einen Barlohn bezieht, soll auch von dieser Bestimmung erfasst werden. Auf Französisch wird der Begriff «conjoint» zur Bezeichnung sowohl des Ehemanns als auch der Ehefrau der Frau verwendet.

Art. 16cbis

Anspruch auf zusätzliche Taggelder im Falle des Todes des andern Elternteils: Minderheit I (Mettler, Feri Yvonne, Gysi Barbara, Humbel, Mäder, Maillard, Meyer Mattea, Porchet, Prelicz-Huber, Wasserfallen Flavia, Weichelt)

Während der Kommissionsentwurf keine zusätzlichen Taggelder für die Mutter beim Tod des anderen Elternteils vorsieht, schlägt die Minderheit I Mettler dies wie folgt vor: 31

SR 210

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Abs. 1: Der Anspruch auf zusätzliche Taggelder besteht, wenn der rechtliche andere Elternteil vor Ablauf der sechsmonatigen Rahmenfrist nach Artikel 16j stirbt. Die Anzahl zusätzliche Taggelder beträgt 14 Taggelder, unabhängig von der Anzahl Taggelder, die der andere Elternteil bereits im Rahmen der Entschädigung des andern Elternteils bezogen hat.

Der Anspruch auf diese Taggelder besteht unabhängig davon, ob der andere Elternteil die Voraussetzungen für eine Entschädigung des andern Elternteils nach Artikel 16i erfüllt hat. Der Anspruch ergibt sich, wenn die Mutter die Voraussetzungen für die Mutterschaftsentschädigung nach Artikel 16b erfüllt.

Der Todestag kann mit einem im Rahmen des Urlaubs des andern Elternteils bezogenen Tag zusammenfallen. Der Anspruch entsteht am Tag nach dem Tod des anderen Elternteils.

Die Höhe und Bemessung der Taggelder richtet sich nach Artikel 16e und somit nach dem Einkommen der Mutter. Hat die Mutter bereits Mutterschaftstaggelder bezogen, bleibt die Höhe der Taggelder gleich.

Der Vorrang der Taggelder ist in Artikel 16g EOG geregelt.

Stirbt der andere Elternteil während des Mutterschaftsurlaubs, so können die Taggelder nach Absatz 1 und Artikel 16c nur nacheinander beansprucht werden.

Abs. 2: Wie der Urlaub des andern Elternteils kann auch der Urlaub im Falle des Todes des anderen Elternteils wochen- oder tageweise bezogen werden. Wird der Urlaub wochenweise bezogen, so werden pro Woche 7 Taggelder ausgerichtet. Bezieht die Mutter ihren Urlaub tageweise, so werden pro 5 entschädigte Tage zusätzlich 2 Taggelder ausgerichtet.

Abs. 3: Die Erlöschensgründe der Entschädigung des andern Elternteils gemäss Artikel 16j Absatz 3 Buchstaben a bis d sind anwendbar. Der Anspruch auf die zusätzlichen Taggelder erlischt somit, sobald die Rahmenfrist nach Absatz 1 abgelaufen ist oder alle zusätzlichen Taggelder bezogen wurden oder wenn die Mutter oder das Kind verstirbt.

Da der Urlaub am Stück oder tageweise bezogen werden kann, ist die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit durch die Mutter kein Erlöschensgrund für den Anspruch auf zusätzliche Taggelder.

Art. 16cbis

Anspruch auf zusätzliche Taggelder im Falle des Todes des andern Elternteils: Minderheit II (Wasserfallen Flavia, Feri Yvonne, Gysi Barbara, Maillard, Meyer Mattea, Porchet, Prelicz-Huber, Weichelt)

Abs. 1: Die Minderheit II Wasserfallen Flavia schlägt vor, beim Tod des anderen Elternteils zusätzliche Taggelder für die Mutter nach den gleichen Modalitäten wie die Minderheit I Mettler zu gewähren. Nach Ansicht der Minderheit II Wasserfallen Flavia sollte die Anzahl der zu gewährenden Taggelder auf 42 erhöht werden.

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Gliederungstitel vor Art. 16i und Art. 16i Abs. 1, Einleitungssatz sowie Bst. a, b und d Ziff. 1 und 2 sowie Abs. 3 Redaktionelle Anpassung aufgrund der Anpassung des ZGB vom 18. Dezember 2020 (Ehe für alle), die die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ermöglicht und in diesem Zusammenhang unter gewissen Voraussetzungen (Art. 255a ZGB) auch das Kindesverhältnis mit der Ehefrau der Mutter ab Geburt des Kindes einführt.

Im Rahmen des Vaterschaftsurlaubs hat der erwerbstätige rechtliche Vater des Kindes Anspruch auf 14 Taggelder. Mit Inkrafttreten der Ehe für alle am 1. Juli 2022 erhält die Ehefrau der Mutter ­ ebenso wie der Ehemann der Mutter ­ unter gewissen Voraussetzungen einen rechtlichen Status als Elternteil. Deshalb werden die Bestimmungen zum Vaterschaftsurlaub und zur Vaterschaftsentschädigung sinngemäss auf diesen anderen Elternteil angewendet. Die Terminologie wird so angepasst, dass sie auch die Ehefrau der Mutter des Kindes umfasst.

Art. 16j Abs. 1 und 3 Bst. c und e Redaktionelle Anpassung aufgrund der Anpassung des ZGB vom 18. Dezember 2020 (Ehe für alle).

Art. 16k

Form der Entschädigung und Anzahl der Taggelder

Redaktionelle Anpassung aufgrund der Anpassung des ZGB vom 18. Dezember 2020 (Ehe für alle).

Art. 16kbis

Entschädigung des andern Elternteils im Falle des Todes der Mutter

Abs. 1: Der Anspruch auf die Entschädigung entsteht, wenn die Mutter während des Zeitraums verstirbt, der durch die Mutterschaftsentschädigung nach Artikel 16c Absatz 2 EOG32 gedeckt wäre. Die Mutterschaftsentschädigung wird der Mutter ab dem Tag der Niederkunft und während der darauffolgenden 97 Tage ausgerichtet. Die zusätzlichen Taggelder sind für Fälle vorgesehen, in denen die Mutter bei der Niederkunft oder während der Dauer des Mutterschaftsurlaubs nach Artikel 329f Absatz 1 OR33 verstirbt. Kein Anspruch besteht, wenn die Mutter während der längeren Ausrichtung der Mutterschaftsentschädigung nach Artikel 16c Absatz 3 EOG verstirbt.

Der Anspruch auf Entschädigung besteht unabhängig davon, ob die Mutter die Voraussetzungen für eine Mutterschaftsentschädigung nach Artikel 16b EOG erfüllt hat.

Der andere Elternteil hingegen muss die Voraussetzungen für die Entschädigung des andern Elternteils nach Artikel 16i EOG erfüllen.

Verstirbt die Mutter am Tag der Niederkunft oder während der darauffolgenden 97 Tage, hat der andere Elternteil Anspruch auf insgesamt 98 Taggelder, die auch die Entschädigung des andern Elternteils umfassen. Von diesem Gesamtanspruch ausgeschlossen sind Taggelder, die bei einem Spitalaufenthalt des Neugeborenen nach Absatz 3 vorgesehen sind. Falls der andere Elternteil die Entschädigung des andern Elternteils nach Artikel 16i ff. bereits teilweise oder ganz bezogen hat, ist die Anzahl 32 33

SR 834.1 SR 220

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der beim Tod der Mutter zu beziehenden Taggeldern von den 98 Taggeldern in Abzug zu bringen. Somit ersetzt die Entschädigung im Falle des Todes der Mutter die Entschädigung des andern Elternteils nach Artikel 16i ff. Der Anspruch auf noch nicht erhaltene Taggelder erlischt ebenfalls. Beispiel: Hat der andere Elternteil vor dem Tod der Mutter bereits 14 Taggelder bezogen, so hat er noch Anspruch auf 84 Taggelder, die er am Stück ab dem Tag nach dem Tod der Mutter beziehen muss. Hat der andere Elternteil vor dem Tod der Mutter aber keine Taggelder bezogen, so hat er Anspruch auf 98 Taggelder, die er am Stück ab dem Tag nach dem Tod der Mutter beziehen muss.

Die Höhe und Bemessung der Entschädigung richtet sich nach Artikel 16l EOG und somit nach dem Einkommen des anderen Elternteils. Hat der andere Elternteil bereits Taggelder im Rahmen des Urlaubs des andern Elternteils bezogen, bleibt deren Höhe gleich.

Der Vorrang der Taggelder ist in Artikel 16m EOG geregelt.

Abs. 2: Verstirbt die Mutter am Tag der Niederkunft oder während der darauffolgenden 97 Tage und muss das Neugeborene unmittelbar nach der Geburt mindestens zwei Wochen ununterbrochen im Spital verbleiben, so wird der Anspruch auf die längere Ausrichtung der Mutterschaftsentschädigung auf den anderen Elternteil übertragen.

Artikel 16c Absatz 3 EOG legt die Voraussetzungen der Verlängerung der Entschädigung für die Mutter fest und ist auch auf den anderen Elternteil anwendbar. Zusätzlich zum Spitalaufenthalt des Neugeborenen muss der andere Elternteil sinngemäss zu Artikel 16c Absatz 3 EOG nachweisen, dass er zum Zeitpunkt des Todes der Mutter vorhatte, nach dem Urlaub im Falle des Todes der Mutter weiter erwerbstätig zu sein.

Abs. 3: Das Ziel der Gesetzesänderung besteht darin, dem anderen Elternteil die Möglichkeit zu geben, in den ersten Lebensmonaten des Kindes eine kontinuierliche Präsenz zu gewährleisten, wie dies die Mutter getan hätte. Deshalb müssen die Taggelder am Stück bezogen werden. Analog zur Mutterschaftsentschädigung endet der Anspruch auf die Entschädigung im Falle des Todes der Mutter, wenn der andere Elternteil seine Erwerbstätigkeit wieder aufnimmt, sei dies auch nur teilweise. Ausserdem erlischt der Anspruch, sobald alle Taggelder bezogen wurden, wenn der andere Elternteil oder das Kind verstirbt oder das Kindesverhältnis
aufgelöst wird.

Die gleichen Regeln gelten für die längere Ausrichtung der Entschädigung bei Spitalaufenthalt des Neugeborenen nach Absatz 2.

Art. 16kbis Sachüberschrift, Abs. 1 und 4: Minderheit I (Mettler, ...)

Anspruch auf zusätzliche Taggelder im Falle des Todes der Mutter Abs. 1: Der Anspruch auf zusätzliche Taggelder entsteht, wenn die Mutter während des Zeitraums verstirbt, der durch die Mutterschaftsentschädigung nach Artikel 16c Absatz 2 EOG34 gedeckt wäre. Die Mutterschaftsentschädigung wird der Mutter ab dem Tag der Niederkunft und während der darauffolgenden 97 Tage ausgerichtet. Die Entschädigung ist für Fälle vorgesehen, in denen die Mutter bei der Niederkunft oder

34

SR 834.1

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während der Dauer des Mutterschaftsurlaubs nach Artikel 329f Absatz 1 OR35 verstirbt. Verstirbt die Mutter während der längeren Ausrichtung der Mutterschaftsentschädigung nach Artikel 16c Absatz 3 EOG, hat der andere Elternteil keinen Anspruch auf Entschädigung. Der Anspruch auf zusätzliche Taggelder besteht unabhängig davon, ob die Mutter die Voraussetzungen für eine Mutterschaftsentschädigung nach Artikel 16b EOG erfüllt hat. Der andere Elternteil hingegen muss die Voraussetzungen für die Entschädigung des andern Elternteils nach Artikel 16i EOG erfüllen.

Die Höhe und Bemessung der Taggelder richtet sich nach Artikel 16l EOG und somit nach dem Einkommen des anderen Elternteils.

Verstirbt die Mutter am Tag der Niederkunft oder während der darauffolgenden 97 Tage, hat der andere Elternteil neben den 14 Taggeldern der Entschädigung des andern Elternteils einen Anspruch auf 98 Taggelder.

Abs. 4: Der andere Elternteil verfügt für den Bezug der Entschädigung des andern Elternteils über eine Rahmenfrist von sechs Monaten, die am Tag der Geburt des Kindes zu laufen beginnt. Bezieht er 98 zusätzliche Taggelder wegen des Todes der Mutter, kann es vorkommen, dass die Rahmenfrist abläuft, bevor der andere Elternteil die Entschädigung des andern Elternteils vollständig beziehen konnte. Deshalb muss die Rahmenfrist während des gesamten Bezugs der zusätzlichen Taggelder im Falle des Todes der Mutter ausgesetzt werden.

Art. 16kbis Sachüberschrift, Abs. 1 und 4: Minderheit II (Wasserfallen Flavia, ...)

Anspruch auf zusätzliche Taggelder im Falle des Todes der Mutter Abs. 1: Die Minderheit II Wasserfallen Flavia schlägt vor, beim Tod der Mutter zusätzliche Taggelder für den anderen Elternteil nach den gleichen Modalitäten wie die Minderheit I Mettler zu gewähren. Nach Ansicht der Minderheit II Wasserfallen Flavia sollte die Anzahl der zu gewährenden Taggelder auf 126 erhöht werden.

Art. 16m, Sachüberschrift, Abs. 1 Einleitungssatz und Abs. 2 Einleitungssatz Redaktionelle Anpassung aufgrund der Anpassung des ZGB vom 18. Dezember 2020 (Ehe für alle).

Art. 20 Abs. 1 Bst. c und e Bst. c: Redaktionelle Anpassung aufgrund der Anpassung des ZGB vom 18. Dezember 2020 (Ehe für alle).

Bst. e: Der Anspruch auf die Entschädigung soll nicht unmittelbar nach dem Bezug des Urlaubs geltend gemacht werden müssen. Das wird
heute auch bei den anderen Entschädigungen des EOG so gehandhabt. Aus diesem Grund soll Artikel 20 Absatz 1 mit dem Buchstaben e präzisiert werden. Somit wäre klargestellt, dass die Anmeldung für die Entschädigung auch erst dann eingereicht werden kann, wenn der Urlaub aufgrund des Todesfalles bereits bezogen worden ist. Der Antrag sollte jedoch spätestens 35

SR 220

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fünf Jahre nach Ende des Anspruchs auf die Entschädigung gestellt werden. Da der Urlaub im Todesfall der Mutter unmittelbar nach dem Tod ununterbrochen genommen werden muss, beginnt die Verwirkungsfrist erst nach dem Erlöschen des Anspruchs auf die Entschädigung zu laufen.

Art. 20 Abs. 1 Bst. dbis und e: Minderheit I (Mettler, ...) und Minderheit II (Wasserfallen Flavia, ...)

Die Minderheiten I Mettler und II Wasserfallen Flavia schlagen einen Anspruch der Mutter auf zusätzliche Taggelder im Falle des Todes des anderen Elternteils vor. Die Aufzählung ist daher zu ändern, indem die Entschädigungen beim Tod des anderen Elternteils aufgeführt werden und ein Buchstabe dbis eingeführt wird, um die Verwirkung des Anspruchs auf Entschädigung beim Tod der Mutter zu regeln. Da die Entschädigung beim Tod des anderen Elternteils während einer Rahmenfrist von sechs Monaten nach dem Tod frei bezogen werden kann, beginnt die Verwirkungsfrist nach Ablauf dieser Rahmenfrist.

Schlussbestimmung der Änderung vom ...

Vor dem Inkrafttreten der vorliegenden Änderung besteht für den anderen Elternteil kein Anspruch auf zusätzliche Taggelder im Falle des Todes der Mutter. Diese Bestimmung regelt das Übergangsrecht.

Eine ähnliche Bestimmung für die Anpassungen des OR (nachfolgend) ist nicht nötig, denn hierfür gilt Artikel 1 Absatz 1 SchIT ZGB. Demnach gelten die neuen Regeln, wenn der Todesfall nach Inkrafttreten der Gesetzesanpassung eintritt.

Schlussbestimmung der Änderung vom ...: Minderheit I (Mettler, ...)

und Minderheit II (Wasserfallen Flavia, ...)

Die Minderheiten I Mettler und II Wasserfallen Flavia schlagen einen Anspruch der Mutter auf zusätzliche Taggelder im Falle des Todes des anderen Elternteils vor, so dass es einen Verweis auf Artikel 16cbis braucht. Vor dem Inkrafttreten der vorliegenden Änderung besteht also für die Mutter kein Anspruch auf zusätzliche Taggelder im Falle des Todes des anderen Elternteils. Diese Bestimmung regelt das Übergangsrecht.

4.2

Änderung anderer Erlasse

4.2.1

Obligationenrecht (OR)

Art. 329b Abs. 3 Bst. c Diese Bestimmung regelt die Kürzung der Ferien wegen Verhinderung des Arbeitnehmers. Mit der Änderung von Absatz 3 Buchstabe c soll ausgeschlossen werden, dass die Ferien wegen Urlaubs des anderen Elternteils infolge des Todes der Mutter gekürzt werden. Diese Regelung gilt heute bereits für den Mutterschafts- und den Va-

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terschaftsurlaub. Da der Urlaub der hinterbliebenen Mutter in Artikel 329f zum Mutterschaftsurlaub vorgesehen ist, ist er durch Artikel 329b Absatz 3 Buchstabe b OR bereits abgedeckt. Eine ähnliche Regelung wie für den Urlaub im Falle des Todes der Mutter ist somit nicht nötig.

Art. 329f Abs. 3: Minderheit I (Mettler, ...)

Während der Kommissionsentwurf keine zusätzlichen Urlaubswochen für die Mutter im Falle des Todes des anderen Elternteils vorsieht, schlägt die Minderheit I Mettler einen solchen Urlaub in Artikel 329f vor.

Mit Absatz 3 wird ein zweiwöchiger Urlaub für die Mutter im Falle des Todes des anderen Elternteils eingeführt. Es versteht sich von selbst, dass das Kind zum Zeitpunkt des Todes des anderen Elternteils leben muss, damit der Anspruch entsteht.

Der Urlaub wird der Mutter unabhängig vom Anspruch des anderen Elternteils auf Urlaub des andern Elternteils gewährt. Ausserdem spielt es keine Rolle, ob der andere Elternteil den Urlaub des andern Elternteils vor dem Tod teilweise oder ganz bezogen hat. Der Bedarf nach einem Urlaub im Falle des Todes des anderen Elternteils besteht nämlich unabhängig davon, ob dieser vor seinem Tod bereits einen Teil des Urlaubs des andern Elternteils bezogen hat.

In einigen Punkten wird jedoch an den Urlaub des andern Elternteils angeknüpft: Die Dauer des Urlaubs der Mutter (zwei Wochen), die Möglichkeiten des Bezugs des Urlaubs (tage- oder wochenweise innert einer Rahmenfrist von sechs Monaten) und der Zeitraum, innerhalb dessen der andere Elternteil versterben muss, damit der Anspruch entsteht (sechs Monate nach der Geburt), stützen sich auf die für den Urlaub des andern Elternteils geltenden Regeln.

Art. 329f Abs. 3: Minderheit II (Wasserfallen Flavia, ...)

Die Minderheit II Wasserfallen Flavia schlägt vor, der Mutter beim Tod des anderen Elternteils vier Wochen zusätzlichen Urlaub zu gewähren, und zwar unter denselben Bedingungen wie die Minderheit I Mettler. Gemäss der Minderheit II Wasserfallen Flavia soll die Anzahl auf sechs Wochen zusätzlichen Urlaub erhöht werden.

Art. 329g

5. Urlaub des andern Elternteils a. Im Allgemeinen

Randtitel und Abs. 1 und 2: Mit der Änderung wird die Bestimmung an die Einführung des Kindesverhältnisses mit der Ehefrau der Mutter (Art. 255a ZGB) im Rahmen der Änderung des ZGB vom 18. Dezember 2020 (Ehe für alle) angepasst.

Dies ist nebst der Adoption die einzige Form der Co-Elternschaft für homosexuelle Paare. Während der sechsmonatigen Rahmenfrist des Urlaubs kann das rechtliche Kindesverhältnis nicht anders entstehen. Die Begründung eines Kindesverhältnisses ausserhalb der Ehe durch Anerkennung (Art. 260 ZGB) oder Gerichtsurteil (Art. 261 ZGB) ist nur für Männer zulässig.

Der Randtitel von Artikel 329g wird ebenfalls angepasst, um die beiden in Absatz 1 vorgesehenen Annahmen zu integrieren.

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Art. 329g Abs. 2 zweiter Satz und Abs. 3: Minderheit I (Mettler, ...)

und Minderheit II (Wasserfallen Flavia, ...)

Abs. 2: Da der in Artikel 329gbis E-OR vorgesehene Urlaub auf einmal bezogen werden muss, hat dies einen grossen Einfluss auf die dem anderen Elternteil in den Absätzen 2 und 3 gewährte Flexibilität. Wenn der andere Elternteil den Urlaub des andern Elternteils beispielsweise beziehen wollte, nachdem die Mutter den Mutterschaftsurlaub bezogen hat, und die Mutter in der 13. oder 14. Woche stirbt, kann der andere Elternteil den Urlaub des andern Elternteils nicht mehr nach Ablauf des Urlaubs beziehen, auf den er wegen des Todes der Mutter Anspruch hat, da die Rahmenfrist von sechs Monaten abgelaufen ist. Nach Absatz 2 zweiter Satz soll die Rahmenfrist während des Urlaubs im Falle des Todes folglich stillstehen. Die Rahmenfrist wird ab Ende des Urlaubs im Falle des Todes wieder laufen, sodass der Urlaub des andern Elternteils bezogen werden kann.

Abs. 3: Es handelt sich um eine rein redaktionelle Änderung aufgrund des Hinzufügens des zweiten Satzes in Absatz 2.

Art. 329gbis

b. Im Falle des Todes der Mutter

Absatz 1 regelt die Voraussetzungen für den Urlaub. Als erste Voraussetzung gilt, dass der Tod der Mutter am Tag der Niederkunft oder während der 14 Wochen danach eintreten muss. Der Anspruch auf Urlaub besteht unabhängig vom Anspruch der Mutter auf Mutterschaftsurlaub. Grund für den Urlaub ist, dass das Neugeborene nach dem Verlust seiner Mutter der Betreuung durch den anderen Elternteil bedarf. Der Tod muss dennoch eintreten, bevor der Mutterschaftsurlaub abgelaufen ist. Der Urlaub des andern Elternteils kann nicht zusätzlich zum Urlaub im Falle des Todes der Mutter von 14 Wochen bezogen werden. Die bereits genommenen Urlaubstage des anderen Elternteils werden daher von den 14 Wochen abgezogen, während der Anspruch auf den Resturlaub des anderen Elternteils, der zum Zeitpunkt des Todes der Mutter verbleibt, erlischt. Es ist nicht mehr möglich, den Urlaub des andern Elternteils, wie nach Artikel 329g Absätze 2 und 3 OR vorgesehen, flexibel zu beziehen.

Absatz 2 hält fest, zu welchem Zeitpunkt das Kindesverhältnis begründet sein muss.

Wenn es erst nach dem Tod der Mutter begründet wird, aber vor Ablauf der 14 Wochen, besteht ein Anspruch auf den Urlaub. Der Urlaub beginnt jedoch auf jeden Fall am Tag nach dem Tod der Mutter. Wenn das Kindesverhältnis erst nach ihrem Tod begründet wird, hat der andere Elternteil folglich Anspruch auf den restlichen Urlaub ab dem Zeitpunkt, an dem das Kindesverhältnis begründet wird. Falls das Verfahren zur Anerkennung des Kindes bereits läuft, ist es in der Praxis jedoch möglich, dem Arbeitnehmer den Urlaub bereits ab dem Tag nach dem Tod zu gewähren. Dieses Vorgehen ist rechtsgültig, da die Vaterschaft rückwirkend auf den Zeitpunkt der Geburt anerkannt wird. Der Anspruch auf den Urlaub besteht hingegen erst zum Zeitpunkt der Anerkennung. Wenn das Kindesverhältnis nicht begründet wird, sind die bezogenen Urlaubstage zu kompensieren und die erhaltenen Taggelder zurückzuzahlen. Gemäss der Anpassung des ZGB vom 18. Dezember 2020 (Ehe für alle) besteht das Kindesverhältnis nur dann mit beiden Müttern, wenn sie zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes miteinander verheiratet sind. Das Kindesverhältnis kann in diesem Fall nicht durch Anerkennung begründet werden.

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Absatz 3 regelt die Dauer des Urlaubs, wenn der Mutterschaftsurlaub wegen einer Hospitalisierung des Neugeborenen verlängert wird. Der Urlaub wird entsprechend verlängert. Dieser Absatz ändert nichts an der Voraussetzung bezüglich des Zeitpunkts des Todes der Mutter. Wenn die Mutter nach den 14 Wochen nach der Niederkunft stirbt, aber während des verlängerten Mutterschaftsurlaubs, hat der andere Elternteil keinen Anspruch auf Urlaub im Falle des Todes der Mutter.

Art. 329gbis Abs. 1: Minderheit I (Mettler, ...)

Gemäss Minderheit I Mettler dauert der Urlaub unabhängig vom Zeitpunkt des Todes der Mutter auch 14 Wochen. Die zwei Wochen Urlaub des andern Elternteils können zusätzlich zu diesem Urlaub und gemäss den Bestimmungen nach Artikel 329g OR bezogen werden.

Art. 329gbis Abs. 1: Minderheit II (Wasserfallen Flavia, ...)

Die Minderheit II Wasserfallen Flavia schlägt einen längeren Urlaub von 18 Wochen vor. Die zwei Wochen Urlaub des andern Elternteils können zusätzlich zu diesem Urlaub und gemäss den Bestimmungen nach Artikel 329g OR bezogen werden.

Art. 335c Abs. 3 Diese redaktionelle Anpassung ist aufgrund der Anpassung des ZGB vom 18. Dezember 2020 (Ehe für alle) notwendig.

Art. 336c Abs. 1 Bst. cquater Bst. cquater: Der Arbeitgeber darf den Arbeitsvertrag des anderen Elternteils während des Urlaubs nach Artikel 329gbis E-OR nicht kündigen. Angesichts der dramatischen familiären Situation aufgrund des Todes der Mutter muss der andere Elternteil die Gewissheit haben, den Urlaub beziehen und das Kind betreuen zu können, ohne eine Kündigung zu riskieren. Die Suche nach einer neuen Stelle wäre in dieser Zeit praktisch unmöglich.

Art. 336c Abs. 1 Bst. cbisa und cquater: Minderheit I (Mettler, ...) und Minderheit II (Wasserfallen Flavia, ...)

Die Minderheiten I Mettler und II Wasserfallen Flavia schlagen ein Recht der Mutter auf Urlaub im Falle des Todes des anderen Elternteils mit entsprechendem Schutz vor Entlassung zur Unzeit vor. Bst. cbisa: Wie im Fall der Sperrfrist von 16 Wochen nach der Niederkunft (Bst. c), die den Mutterschaftsurlaub abdeckt ­ bzw. während eines längeren Zeitraums, wenn der Urlaub wegen einer Hospitalisierung des Neugeborenen verlängert wird ­, muss die Mutter ebenfalls während des Urlaubs, auf den sie im Falle des Todes des anderen Elternteils Anspruch hat, vor
einer Kündigung geschützt sein. Die Sperrfrist beginnt am Tag nach dem Tod. Aufgrund der flexiblen Bedingungen für den Bezug des Urlaubs endet die Frist nicht nach Ablauf einer bestimmten Zeit, sondern, sobald die Mutter den letzten ihr zustehenden Urlaubstag bezogen hat.

Um den Interessen des Arbeitgebers Rechnung zu tragen, ist die Sperrfrist jedoch auf 25 / 30

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eine Dauer von längstens drei Monaten beschränkt. Die drei Monate beginnen ab dem Ende der Sperrfrist von 16 Wochen nach Buchstabe c zu laufen. Sonst wäre die Mutter in Bezug auf diesen Urlaub nicht geschützt, wenn der andere Elternteil zum Beispiel in der Woche nach der Niederkunft stirbt. Denn die Frist von drei Monaten wäre dann in den 16 Wochen nach Buchstabe c inbegriffen.

Art. 362 Abs. 1, Aufzählungselement Redaktionelle Anpassung aufgrund der Anpassung des ZGB vom 18. Dezember 2020 (Ehe für alle).

Die Bestimmung wird zudem mit dem Hinweis auf Artikel 329gbis OR ergänzt.

4.2.2

Bundesgesetz vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen und Invalidenvorsorge

Art. 8 Abs. 3 erster Satz Redaktionelle Anpassung aufgrund der Anpassung des ZGB vom 18. Dezember 2020 (Ehe für alle).

Die Bestimmung wird zudem mit dem Verweis auf Artikel 329gbis OR ergänzt, damit der koordinierte Lohn während des Urlaubs des andern Elternteils im Falle des Todes der Mutter weitergeführt wird.

4.2.3

Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung

Art. 16 Abs. 3 Redaktionelle Anpassung aufgrund der Anpassung des ZGB vom 18. Dezember 2020 (Ehe für alle).

4.2.4

Bundesgesetz vom 20. Juni 1952 über die Familienzulagen in der Landwirtschaft

Art. 10 Abs. 4 Redaktionelle Anpassung aufgrund der Anpassung des ZGB vom 18. Dezember 2020 (Ehe für alle).

Die Bestimmung wird zudem mit dem Verweis auf Artikel 329gbis OR ergänzt, damit der Anspruch auf die Familienzulagen während des Urlaubs des anderen Elternteils im Falle des Todes der Mutter bestehen bleibt.

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5

Auswirkungen

5.1

Finanzielle Auswirkungen für die EO

Die Schweiz weist eine sehr niedrige Müttersterblichkeitsrate auf. Gemäss der Publikation «Entbindungen und Gesundheit der Mütter im Jahr 2017»36, die das BFS im Rahmen der medizinischen Statistik der Krankenhäuser veröffentlicht hat, treten «Komplikationen bei Schwangerschaft oder Entbindung, die zum Tod der Mutter führen, [...] sehr selten auf. Zwischen 2007 und 2016 starben in der Schweiz 41 Mütter bei der Geburt. Dies entspricht einer Müttersterblichkeitsrate von fünf Todesfällen pro 100 000 erfolgreiche Geburten». Die Müttersterblichkeitsrate betrifft Todesfälle, bei denen die Mutter innerhalb eines Jahres nach der Geburt des Kindes stirbt.

Eine Statistik über die Todesursache von Müttern während oder nach der Entbindung gibt es nicht. Da der Tod der Mutter für den Entschädigungsanspruch innerhalb von 14 Wochen nach der Niederkunft eintreten muss, kann jedoch grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Todesfälle meist auf die Geburt oder deren Folgen zurückzuführen sind. Gestützt auf die vom BFS erhobene Müttersterblichkeit von unter fünf Todesfällen pro Jahr dürften sich die Kosten für einen über die EO abgegoltenen Urlaub im Falle des Todes der Mutter im Jahr 2024 auf rund 70 000 Franken belaufen37.

Die Kosten für den Minderheitsantrag I Mettler betragen im Jahr 2024 zirka 80 000 Franken für den Urlaub im Falle des Todes der Mutter. Grund für diesen Unterschied ist, dass die Minderheit im Falle des Todes der Mutter einen längeren Urlaub gewähren will als die Kommission. Was den Urlaub im Falle des Todes des anderen Elternteils betrifft, gibt es zu den Todesfällen von Vätern kurz nach der Geburt keine Statistik. Gestützt auf die Sterblichkeitsrate von Männern im Alter, in dem sie häufig Vater werden, von etwas mehr als 24 Todesfällen, dürften sich die Kosten beim Tod des anderen Elternteils im Jahr 2024 auf rund 40 000 Franken belaufen38. Die Gesamtkosten des Vorschlags der Minderheit I Mettler belaufen sich somit im Jahr 2024 auf rund 120 000 Franken.

Die Kosten der Minderheit II Wasserfallen Flavia, welche die längsten Urlaube vorsieht, belaufen sich im Jahr 2024 auf insgesamt rund 220 000 Franken, nämlich 100 000 Franken für den Urlaub beim Tod der Mutter und 120 000 Franken für den Urlaub beim Tod des anderen Elternteils.

Die Zahlen weisen demnach darauf hin, dass die finanziellen
Auswirkungen eines Urlaubs im Todesfall eines Elternteils für die EO minim sind und über die derzeitigen Ressourcen abgedeckt werden können. Somit braucht es keine Zusatzfinanzierung; der aktuelle Beitragssatz von 0,5 % reicht aus.

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37

38

www.bfs.admin.ch > Bundesamt für Statistik > Statistiken finden > 14 ­ Gesundheit > Gesundheitszustand > Reproduktive Gesundheit > Entbindungen und Gesundheit der Mütter im Jahr 2017, S. 4.

Bei der Berechnung der Kosten wird von einem durchschnittlichen Tagessatz von 174,90 Franken ausgegangen. Hinzu kommen noch die Kosten für die Sozialversicherungsbeiträge.

Bei der Berechnung der Kosten wird von einem durchschnittlichen Tagessatz von 108,60 Franken ausgegangen. Hinzu kommen noch die Kosten für die Sozialversicherungsbeiträge.

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Mit der Anpassung des ZGB vom 18. Dezember 2020 und der Einführung der Ehe für alle erhält die Ehefrau der Mutter unter gewissen Voraussetzungen ­ ebenso wie der Ehemann der Mutter ­ einen rechtlichen Status als Elternteil. Deshalb sind die Bestimmungen zur Vaterschaftsentschädigung ab dem 1. Juli 2022 sinngemäss auch auf den anderen Elternteil, d. h. auf die Ehefrau der Mutter, anwendbar. Die im Rahmen dieser Vorlage vorgenommenen Anpassungen infolge der Ehe für alle sind rein redaktionell und haben keine finanziellen Auswirkungen für die EO.

5.2

Auswirkungen für Bund, Kantone, Gemeinden

5.2.1

Finanzielle Auswirkung

Die Leistungen der EO werden über paritätische Versicherten- und Arbeitgeberbeiträge finanziert. Der Bund und die Kantone beteiligen sich somit einzig als Arbeitgeber an der Finanzierung der EO. Angesichts der geringen Anzahl betroffener Fälle wird die Gewährung der zusätzlichen Taggelder beim Tod der Mutter kaum Auswirkungen für Bund, Kantone und Gemeinden haben; als Arbeitgeber werden sie aber ihre Personalreglemente anpassen müssen.

Die im Rahmen dieser Vorlage vorgenommenen Anpassungen infolge der Ehe für alle sind rein redaktionell und haben somit keine finanziellen Auswirkungen für Bund, Kantone und Gemeinden.

5.2.2

Personelle Auswirkungen

Aufgrund des begrenzten Anwendungsbereichs wird die vorgeschlagene Änderung voraussichtlich zu keinem grösseren Mehraufwand führen und keine zusätzlichen Personalressourcen erfordern.

5.3

Wirtschaftliche und soziale Auswirkungen

Zurzeit kann beim Tod eines Elternteils einzig ein Urlaub im üblichen Rahmen nach Artikel 329 Absatz 3 OR bezogen werden. Dieser dauert in der Regel zwischen einem und drei Tagen. Im Gesetz ist kein spezifischer bezahlter Urlaub vorgesehen.

Auf persönlicher Ebene ermöglicht die vorliegende Änderung dem hinterbliebenen Elternteil, den Urlaub zu verlängern, um den vor Kurzem erlittenen Verlust der Mutter zu bewältigen. Ausserdem stärkt die dadurch gewährleistete Präsenz in den ersten Lebensmonaten des Kindes die Bindung, und das Fehlen der Mutter kann soweit möglich aufgefangen werden. Mit der Abgeltung über die EO stellt der Urlaub daher keine direkte finanzielle Belastung für den Arbeitgeber dar. Die Auswirkungen durch die Abwesenheit der arbeitnehmenden Person müssen hingegen durch den Arbeitgeber getragen werden.

Insgesamt sind die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen dieser Änderung aufgrund der wenigen jährlichen Fallzahlen sehr gering.

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6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die vorgeschlagene Änderung des EOG basiert auf Artikel 116 Absatz 3 BV. Diese Bestimmung definiert weder Art noch Umfang der Versicherungsleistung bei Mutterschaft und lässt damit dem Gesetzgeber einen grossen Gestaltungsspielraum offen.

Die von der Kommission vorgeschlagene Gesetzesänderung ist verfassungskonform.

Grundlage für die Änderung des OR bildet Artikel 122 BV.

6.2

Vereinbarkeit mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Der Gegenstand dieser Vorlage ist in keiner internationalen Verpflichtung geregelt.

Zu erwähnen ist die Empfehlung Nr. 191 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) betreffend den Mutterschutz39. Dieses rechtlich nicht bindende Instrument sieht vor, dass im Fall des Todes der Mutter vor dem Ende des Urlaubs nach der Geburt der unselbstständig beschäftigte Vater des Kindes berechtigt sein sollte, Urlaub entsprechend dem verbleibenden Teil des nach der Geburt liegenden Mutterschaftsurlaubs zu nehmen (Art. 10 Abs. 1). Gemäss der Vorlage soll im Fall des Todes der Mutter der Mutterschaftsurlaub dem hinterbliebenen Elternteil gewährt werden, was in die Richtung der Empfehlung geht.

Auch in Bezug auf die Bestimmungen zur Koordination mit dem Abkommen vom 21. Juni 199940 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit sowie dem revidierten EFTA-Abkommen41 stellt die Vorlage kein Problem dar.42

6.3

Erlassform

Nach Artikel 164 Absatz 1 BV sind alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form eines Bundesgesetzes zu erlassen. Die vorliegenden Änderungen erfolgen demzufolge im normalen Gesetzgebungsverfahren.

39 40 41 42

https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_norm/---normes/documents/ normativeinstrument/wcms_r191_de.htm SR 0.142.112.681 SR 0.632.31 Gestützt auf diese Abkommen wendet die Schweiz die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 (SR 0.831.109.268.1) und 987/2009 (SR 0.831.109.268.11) an.

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6.4

Ausgabenbremse

Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen noch neue Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen, die einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken nach sich ziehen. Sie ist somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.

6.5

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die Vorlage sieht keine neuen Delegationsnormen für den Bundesrat vor.

6.6

Datenschutz

Die vorgeschlagenen Massnahmen haben keinen Einfluss auf den Datenschutz.

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