BBl 2022 www.bundesrecht.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

Allgemeinverfügung betreffend das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen vom 19. Oktober 2022

Der Schweizerische Bundesrat, gestützt auf Artikel 74 des Nachrichtendienstgesetzes1 vom 25. September 2015 (NDG; SR 121), zieht in Erwägung: 1. Gesetzliche Grundlagen Nach Artikel 74 Absatz 1 des Nachrichtendienstgesetzes kann der Bundesrat eine Organisation oder Gruppierung verbieten, welche mittelbar oder unmittelbar terroristische oder gewalttätig-extremistische Aktivitäten propagiert, unterstützt oder in anderer Weise fördert und damit die innere oder äussere Sicherheit konkret bedroht.

Nach Absatz 2 derselben Bestimmung stützt sich ein Verbot auf einen die Organisation oder Gruppierung betreffenden Verbots- oder Sanktionsbeschluss der Vereinten Nationen; der Bundesrat konsultiert die für die Sicherheitspolitik zuständigen Kommissionen.

2. «Al-Qaïda» und verwandte Gruppierungen Die Al-Qaïda umfasst die Führungsgruppe Kern-Al-Qaïda in der Grenzregion Afghanistan/Pakistan bzw. Iran sowie weltweit angeschlossene grössere und kleinere Gruppierungen.

Die terroristische Bedrohung geht nicht nur unmittelbar von der Kern-Al-Qaïda und ihren regional ausgerichteten Ablegern aus, sondern mittelbar auch von autonom agierenden Individuen und Kleingruppen, welche die Ziele der Al-Qaïda propagieren, unterstützen oder in anderer Weise fördern. In diesem Sinne stellt die Al-Qaïda auch eine weltweite Bewegung dar.

Das strategische Endziel der Bewegung al-Qaida besteht darin, eine territoriale Herrschaft unter Berufung auf eine fundamentalistische sunnitische Ideologie zu errichten.

Zur Erreichung dieses Ziels bekämpft sie u. a. die Systeme und Interessen westlicher Staaten (inkl. der demokratischen Ordnung) sowie Regierungen im Nahen Osten, 1

Revidiert und in Kraft getreten am 1. Juli 2021.

2022-3392

BBl 2022 2548

BBl 2022 2548

Asien und Afrika, die sich in ihren Augen westlichen Werten und Interessen unterwerfen. Für den Kampf setzt sie auf bewaffnete Konfrontationen, Terrorakte (u. a.

mittels Selbstmordanschlägen) und Propaganda.

Die konkrete Bedrohung westlicher Interessen durch diese dschihadistische Bewegung manifestierte sich durch verübte oder versuchte Anschläge innerhalb und ausserhalb westlicher Staaten sowie durch folgenreiche Terrordrohungen sowie logistische und finanzielle Unterstützungshandlungen. Im Januar 2015 verübte die «Al-Qaïda auf der arabischen Halbinsel» (AQAH) einen Anschlag auf die Redaktion der Zeitschrift «Charlie Hebdo» in Paris. Seit 2021 ruft die Al-Qaïda in ihrer Propaganda vermehrt zu terroristischen Angriffen gegen Frankreich bzw. französische Interessen im Ausland auf. Die AQAH war in der Vergangenheit (2009 und 2010) auch verantwortlich für Anschlagsversuche auf den internationalen Flugverkehr. 2019 rief ein Ideologe der al-Qaïda dazu auf, Anschläge in Flughäfen zu verüben. Des Weiteren entführte 2021 die «Jama'at Nusrat al-Islam wal-Muslimin» (JNIM), der malische Ableger der «Al-Qaïda im islamischen Maghreb» (AQIM), einen französischen Staatsangehörigen in Mali. 2022 wurde zudem eine US-Bürgerin in Burkina Faso entführt, die sich wahrscheinlich in der Gewalt der JNIM befindet. In afrikanischen Staaten ist seit mehreren Jahren eine Zunahme der gewaltsamen Aktivitäten regional ausgerichteter Ableger der Al-Qaïda zu verzeichnen, die sich u. a. gegen nationale aber auch internationale bzw. westliche Streitkräfte und Zivilisten richten. Zu den gewaltsamen Aktivitäten gehören Entführungen, Konfrontationen mit anderen terroristische Gruppierungen, Konfrontationen mit und Anschläge auf Sicherheitsbehörden, Anschläge auf Zivilsten.

Für die Anhänger der Al-Qaïda gehört die Schweiz zur westlichen, als islamfeindlich eingestuften Welt und stellt damit aus deren Sicht ein legitimes Ziel von Terroranschlägen dar. Entsprechende Anschläge können sich sowohl gegen Ziele im Inland als auch gegen Schweizer Interessen im Ausland richten. Auf Schweizer Territorium können sich dschihadistisch motivierte Anschläge zudem gegen Interessen anderer Staaten richten, die von Anhängern der Al-Qaïda als Feinde angesehen werden. Dies betrifft insbesondere Staaten, die bei der internationalen Bekämpfung der Al-Qaïda
eine herausragende Rolle spielen.

Im Ausland besteht die konkrete Gefahr, dass Schweizer Staatsangehörige zufällig oder gezielt Opfer von Anschlägen oder Entführungen durch Anhänger der Al-Qaïda werden. Eine im Januar 2016 von der JNIM in Mali entführte Schweizer Bürgerin wurde im Sommer 2020 getötet.

3. «Islamischer Staat» und verwandte Gruppierungen Der «Islamische Staat» umfasst die Kernorganisation im Irak bzw. in Syrien sowie etliche grössere und kleinere Gruppierungen, die sich weltweit zum obersten Anführer und zur Ideologie des «Islamischen Staats» bekennen.

Das Ziel des «Islamischen Staats» besteht darin, eine territoriale Herrschaft unter Berufung auf eine fundamentalistische sunnitische Ideologie zu errichten. Zwischen 2014 und 2019 hat die Kernorganisation im Irak und in Syrien dieses Ziel mit der Etablierung eines territorialen Kalifats vorübergehend erreicht. Zur Verwirklichung ihres exklusiven Machtanspruchs erklären Anhänger des «Islamischen Staats»

2/6

BBl 2022 2548

alle Andersdenkenden kompromisslos zu Ungläubigen, die es zu bekämpfen gilt. Dabei wird die Anwendung von Gewalt in der Ideologie des «Islamischen Staats» nicht nur legitimiert, sondern zur persönlichen Pflicht jedes einzelnen Anhängers erhoben.

Angriffe des «Islamischen Staats» richten sich weltweit sowohl gegen Andersgläubige (Schiiten, Christen, Juden etc.) als auch gegen nationalstaatliche Strukturen sowie konkurrierende Herrschaftssysteme (z. B. Taliban in Afghanistan). Westliche Staaten, Interessen und Wertevorstellungen werden vom «Islamischen Staat» bekämpft. Für den Kampf setzt der «Islamische Staat» auf bewaffnete Konflikte, Terrorakte (u. a. mittels Selbstmordanschläge) und Propaganda.

Die terroristische Bedrohung geht dabei nicht nur unmittelbar von der Kernorganisation und ihren regional ausgerichteten Ablegern aus, sondern mittelbar auch von autonom agierenden Individuen und Kleingruppen, welche die Ziele des «Islamischen Staats» propagieren, unterstützen oder in anderer Weise fördern. In diesem Sinne stellt der «Islamische Staat» auch eine weltweite Bewegung dar, die ihren Einfluss insbesondere im digitalen Raum ausübt.

Der «Islamische Staat» hat sich mehrfach zu Terroranschlägen in Europa bekannt, zuletzt beim Terroranschlag in Wien vom 2. November 2020. Der «Islamische Staat» stellt trotz des Verlusts des territorialen Kalifats im Irak und in Syrien weiterhin eine konkrete terroristische Bedrohung für Europa dar, indem er durch seine Online-Propaganda autonom agierende Anhänger zu terroristischen Anschlägen in westlichen Ländern inspiriert. In der Schweiz haben die beiden Messerattacken von Morges und Lugano im Jahr 2020 gezeigt, welche Auswirkungen die Propaganda des «Islamischen Staats» auf radikalisierte oder psychisch labile Personen haben kann.

Für die Anhänger des «Islamischen Staats» gehört die Schweiz zur westlichen, als islamfeindlich eingestuften Welt und stellt damit aus deren Sicht ein legitimes Ziel von Terroranschlägen dar. Entsprechende Anschläge können sich sowohl gegen Ziele im Inland als auch gegen Schweizer Interessen im Ausland richten. Auf Schweizer Territorium können sich vom «Islamischen Staat» motivierte Anschläge zudem gegen Interessen anderer Staaten richten, die von Anhängern des «Islamischen Staats» als Feinde angesehen werden. Dies betrifft insbesondere
Staaten, die bei der internationalen Bekämpfung des «Islamischen Staats» eine herausragende Rolle spielen.

Im Ausland besteht die konkrete Gefahr, dass Schweizer Staatsangehörige zufällig oder gezielt Opfer von Anschlägen oder Entführungen durch Anhänger des «Islamischen Staats» werden.

4. Verbots- und Sanktionsbeschluss der Vereinten Nationen Das Verbot der Gruppierungen Al-Qaïda und Islamischer Staat sowie verwandter Gruppierungen steht in Einklang mit dem Sanktionsregime der Vereinten Nationen (vgl. Security Council Committee pursuant to resolutions 1267 (1999) 1989 (2011) and 2253 (2015) concerning Islamic State in Iraq and the Levant (Da'esh), Al-Qaïda and associated individuals, groups, undertakings and entities | United Nations Security Council). Damit ist die Voraussetzung gemäss Artikel 74 Absatz 2 NDG in Bezug auf den Verbots- oder Sanktionsbeschluss der Vereinten Nationen erfüllt.

3/6

BBl 2022 2548

5. Konsultation der für die Sicherheitspolitik zuständigen Kommissionen Die für die Sicherheitspolitik zuständigen Kommissionen von National- und Ständerat wurden am 24. Juni 2022 (SiK S) bzw. am 4. Juli 2022 (SiK N) konsultiert; beide unterstützen das Organisationsverbot.

6. Verbotsdauer In zeitlicher Hinsicht ist ein Verbot auf höchstens fünf Jahre zu befristen. Sind die Voraussetzungen nach Ablauf der Frist weiterhin erfüllt, so kann es jeweils um höchstens weitere fünf Jahre verlängert werden (vgl. Art. 74 Abs. 3 NDG). Da die Bedrohung bereits seit Jahren andauert und kein Ende dieser Situation absehbar ist, scheint in den vorliegenden Fällen ein fünfjähriges Verbot angemessen.

7. Widerhandlungen gegen das Organisationsverbot Widerhandlungen gegen das vorliegende Organisationsverbot werden gemäss Art. 74 Abs. 4­6 NDG mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.

und verfügt: 1. Folgende Gruppierungen und Organisationen sind verboten: a)

Die Gruppierung «Al-Qaïda»;

b)

Die Gruppierung «Islamischer Staat»;

c)

Tarn- und Nachfolgegruppierungen der Gruppierung «Al-Qaïda» oder der Gruppierung «Islamischer Staat»;

d)

Gruppierungen, die im Auftrag oder im Namen der «Al-Qaïda» oder des «Islamischen Staats» handeln;

e)

Gruppierungen, die terroristische oder gewalttätig-extremistische Aktivitäten unter Bezugnahme auf die «Al-Qaïda» oder den «Islamischen Staat» propagieren, unterstützen oder in anderer Weise fördern;

2. Das Verbot gilt ab 1. Dezember 2022 und ist auf fünf Jahre befristet.

4/6

BBl 2022 2548

Rechtsmittelbelehrung Gegen diese Verfügung kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesverwaltungsgericht, Postfach, 9023 St. Gallen, Beschwerde erhoben werden. Diese hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Sie ist unter Beilage der angefochtenen Verfügung einzureichen, und es sind ihr die als Beweismittel angerufenen Urkunden, soweit sie die beschwerdeführende Partei in Händen hat, beizulegen.

Die Rechtsmittelfrist von 30 Tagen ist gewahrt, wenn die Eingabe spätestens am letzten Tag der Frist der zuständigen Behörde eingereicht oder zu deren Handen der Schweizer Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben wird (vgl. Art. 21 und 50 bis 52 VwVG). Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (vgl. Art. 83 Abs. 2 NDG).

19. Oktober 2022

Für den Schweizerischen Bundesrat Der Bundespräsident: Ignazio Cassis Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

5/6

BBl 2022 2548

6/6