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Schweizerische Bundesversammlung.

Am 25. November 1889 sind die eidgenössischen Räthe zu ihrer ordentlichen Wintersession zusammengetreten.

Der Präsident des Nationalrathes, Herr H ä b e r l i n aus dem Kauton Thurgau, eröffnete die Session mit einem warmen Nachrufe an die dem Rathe seit der Junisitzung durch den Tod entrissenen Mitglieder : Jakob S c h e r z aus dem Kanton Bern, und J. J. S c h ü m p e r l i n aus dem Kanton Thurgau, zu deren Andenken sich die Mitglieder des Rathes von ihren Sitzen erheben. Ebenso gedachte er mit Anerkennung des gewesenen langjährigen Mitgliedes und ehemaligen Präsidenten des Rathes, Hrn. Dr. B u r c k h a r d t - I s e l i n aus BaselStadt, welcher aus Gesundheitsrücksichten seinen Austritt zu nehmen sich veranlaßt sah.

Er erwähnte endlich noch der beiden Gesetze über die B u n d e s a n w a l t s c h a f t und über B e t r e i b u n g und K o n k u r s , von denen das erstere, weit entfernt, unsere demokratischen Freiheiten beeinträchtigen zu wollen oder zu können, bereits den Erfolg gehabt habe, unsere guten Beziehungen zu einem großen Nachbarstaate wieder herzustellen ; das letztere, von einer Mehrheit des Volkes angenommen, in unzweifelhafter Weise den Wunsch dieser Mehrheit nach Herstellung der Rechtseinheit dokumentire.

Der Präsident des Ständerathes, Herr Dr. H o f f m a n n , von St. Gallen, hielt folgende Eröffnungsrede : Geehrte Herren Kollegen !

Zufolge der von der Bundesversammlung gefaßten besondern Schlußnahme sind Sie auf heutigen Tag zur Wiederaufnahme unserer Arbeiten einberufen worden : ich heiße Sie hiezu herzlich willkommen.

Seit unserm letzten Zusammensein haben sich in und außer unserm Vaterlande bedeutungsvolle Ereignisse vollzogen.

In ernstem Wahlkampfe hat die französische Nation neuerdings der republikanischen Staatsform ihre Huldigung dargebracht

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und ihren Willen zur Aufrechthaltung der Republik kundgethan, deren Centenarium sie in glänzender Weise feierte.

In friedlichem Wetteifer rangen gleichzeitig Völker beider Hemisphären am Strande der Seine um die Palme des Sieges auf dem Felde der Industrie und der Kunst.

Auch unser kleines Land hat bei diesem Wettkampfe sich eingestellt: die Schweiz hat, wir dürfen es, ohne ruhmrednerisch zu erscheinen, uns eingestehen, in demselben eine ehrenvolle Stelle eingenommen, und neuerdings den Beweis dafür erbracht, was Ausdauer und rastloser Fleiß unter noch so ungünstigen Verhaltnissen immer noch zu leisten vermögen.

Auch unser öffentliches Leben hat sich in dem kurzen Zeitraum der letzten Monate in glücklicher Weise entwickelt. Der Wahlspruch der Bundesbehörden, daß wir in unserm Hause seihst regiereu und in demselben Ordnung halten wollen, hat in unserm Volke lebhaften Wiederhall gefunden. Das Gesetz über die Aufstellung einer eidgenössischen Staatsanwaltschaft ist in Rechtskraft getreten. Der gegen dasselbe von einem verhältnismäßig kleinen Theile unserer Bevölkerung erhobene Widerspruch fand im Volke keinen Wiederhall : die ßesorgniß, es möchte der Bundesrath einen der Würde eines freien Staates nicht völlig entsprechenden Gebrauch von seinen gesetzlichen Befugnissen zu machen geneigt sein, faßte keine Wurzel.

Das Zutrauensvotum, welches in der Ablehnung des angebahnten Referendums für die Bundesbehörden liegt, wird dieselben ermuftrigeu, auch fernerhin, getreu den Ueberlieferungen unseres Landes, ebenso sehr die Erfüllung sefaer völkerrechtlichen Verpflichtungen zu sichern, als, stark im Bewußtsein seines guten Rechtes, jeden Angriff auf seine Freiheit und Selbstständigkeit zurückzuweisen.

Als einen bedeutungsvollen Markstein in der Entwicklung unseres nationalen Lebens begrüßen wir den in jüngsten Tagen ergangenen Volks-Entscheid über das im Verlaufe dreijähriger Arbeit von der Bundesversammlung aufgebaute Gesetz über Betreibung und Konkurs, welches nunmehr in Rechtskraft getreten ist.

Unstreitig ist dieser Entscheid wohl weniger die Frucht eingehender technischer Erkenntniß, welche der Mehrzahl der Bürger kaum zugemuthet werden dürfte, als vielmehr eines putriotischnationalen Gedankens, welcher die vielen gegen das Gesetz aufworfenen Bedenken siegreich aus dem Felde schlug.

Nichtsdestoweniger
liegt es uns ferne, die im Volksentscheide unterlegene, immerhin große Minderheit als solche einer mehr oder weniger unpatriotischen Gesinnung beziehten zu wollen.

790 Mag auch in der Geschichte der jüngstvergangenen Tage manch' dunkles Blatt zu verzeichnen sein, so müssen wir doch uns zugestehen, daß Vielen, die zu dieser Minderheit zählen, es auch bei redlicher vaterländischer Gesinnung schwer fallen mußte, eingelebte und überlieferte Einrichtungen, welche dem Bürger vertraut und lieb geworden waren, gegen ein ihm U n b e k a n n t e s zu vertauschen, dessen Güte und Zweckmäßigkeit für ihn noch nicht erprobt war.

Begrüßen wir daher den Entscheid des 17. November mit patriotischer Freude, aber ohne Bitterkeit gegen alle Diejenigen, die uns in redlichem Kampfe gegenüber gestanden sind. Geben wir vielmehr der zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck, daß wenn das Gesetz erst einmal, durch umsichtige und praktische Vorarbeiten unterstützt, ins Leben getreten sein wird, dasselbe auch von der demselben zur Zeit noch mißtrauisch gegenüberstehenden Minderheit liebgewonnen und so diese Schöpfung des nationalen Gedankens selbst wieder zu einer intensiven Kräftigung seiner Gestaltungskraft dienen werde.

Mit diesen kurzen Worten erkläre ich die Wintersession des h. Ständerathes als eröffnet.

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30.11.1889

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