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Botschaft des

Bundesrathes an. die Bundesversammlung, betreffend die Einführung neuer Handfeuerwaffen.

(Vom 19. Juni 1889.)

Tit.

Es darf wohl als bekannt vorausgesetzt werden, welche großen Anstrengungen in den letzten Jahren alle europäischen Staaten gemacht haben, um zu einer ganz neuen Infanteriebewaffnung zu gelangen. Dabei handelte es sich in erster Linie darum, durch die Adoption eines kleinern Kalibers flachere Flugbahnen und erhöhte Geschoßwirkung zu erreichen, sodann durch Uebergang vom bisherigen Einladergewehre zum Repetirgewehre eine erhöhte Feuergeschwindigkeit sich zu sichern. In neuester Zeit kam dazu auch noch die Einführung eines rauchlosen Pulvers.

Solchen Erscheinungen konnten die schweizerischen Behörden um so weniger gleichgültig zusehen, als gerade Schweizer es waren, welche die Vorzüge des kleinsten Kalibers durch praktische Versuche dargethan hatten und diesen Versuchen von Anfang an im Auslande die größte Aufmerksamkeit geschenkt worden war.

Unser Militärdepartement ließ daher vorerst und zwar schon vom Jahre 1882 an durch den Waffenchef der Infanterie und sodann, auf dessen Antrag hin, durch eine besondere im Jahre 1886 niedergesetzte Kommission die Gewehrfrage studiren.

636 Diese Kommission war zusammengesetzt wie folgt: Oberstdivisionär F e i ß , Präsident, Professor A m s l e r , Konstrukteur, Schaff hausen, Oberstdivisionär B l e u l e r , Zürich, Ständerath B l um er,*) Oberst G r e ß l y , Oberstdivisionär K ü n z l i , Ständerath M u h e i m , Oberst v o n M e c h e l , Oberstlieutenant T h èli n, Oberstlieutenant V e i l l o n , Nationalrath V o n m a 11.

Die technische Unterkommission bestand aus den Herren : Oberst G r e ß l y , Oberst von M e c h e l , Professor A m s l e r .

Wir haben Ihnen jeweilen in unsern Jahresberichten über den Fortgang der Versuche summarisch Kenntniß gegeben.

Heute sind wir nun in der Lage, Ihnen mittheilen zu können, daß die Gewehrkommission mit ihren Studien und Versuchen zum Abschlüsse gelangt ist und ein neues kleinkalibriges Repetirgewehr zur Einführung vorschlägt.

Es kann nur gebilligt werden, daß die Kommission ihre Arbeiten ohne Ueberstürzung zu Ende geführt hat. Sind wir doch dank den weitsichtigen Schlußnahmen der eidgenössischen Räthe vom Jahre 1866 ia der Lage, ein vorzügliches kleinkalibriges Repetirgewehr, das auch heute noch eine gute Bewaffnung bildet, schon zu besitzen. Wenn wir daher unmittelbar nach dem Schlußberichte der Grewehrkommission mit einer Vorlage an Sie gelangen, so geschieht es, weil wir aus den Vorgängen von 1863 (Einführung des kleinen Kalibers) und 1869 (Einführung des Repetirgewehrs) wissen, daß weder Sie, noch das Schweizervolk bezüglich der In-, fanteriebewaffnung im Range hinter andern Staaten zurückstehen wollen, und weil nicht zu erwarten ist, daß in der nächsten Zeit noch weitere wesentliche Verbesserungen erreicht werden können.

Das neue Gewehr und die neue Munition, welche wir Ihnen heute zur Einführung vorschlagen, haben in Kürze folgende Entstehungsgeschichte.

*) Herr Ständerath Blnmer wurde 1887 infolge Demission ersetzt durch.

Herrn Ständerath K e l l e r s b e r g e r.

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Schon im Jahr 1881 legte Hen- Major Rubin, Direktor der Munitionsfabrik in Thun, dem schweizerischen Militärdepartement ein Gewehr mit 9mm Kaliber vor, dessen Geschoß einen Kupfermantel trug. Die daraufhin vorgenommenen Versuche führten zu noch geringern Kaliberstufen, bis man schließlich bei derjenigen von 7,6-e mm. stehen blieb. Vielfache Versuche, Theile unserer gegenwärtigen Gewehre zu einer Umänderung zu benutzen, blieben fruchtlos, und zwar um so mehr, als es inzwischen den Bemühungen der Kommission gelungen war, ein zweckmäßigeres Magazin zu erstellen, und als auch bezüglich des Verschlusses ein Cylinderverschluß mit Gradzug in den Vordergrund getreten war. Der sogen. Gradzug erheischt nämlich nur eine Bewegung nach vorund rückwärts, so daß die drehende Bewegung zum Oeffnen und Schließen dahinfällt. Im Verlaufe der Versuche legte Herr Prof.

Hebler aus Zürich ein Gewehr vor, das ein Geschoß mit Stahlmantel führt. Die Versuche ergaben, daß es nicht nothwendig sei, das einfache und praktische Zugssystem von Rubin zu verlassen, um zum Stahlmantelgeschoß überzugehen, so daß wir diesfalls freie Hand haben, statt dem bei den letzten Versuchen noch verwendeten Kupfermantelgeschosse zum Stahlmantel überzugehen, der billiger ist, größere Durchschlagskraft hat und das Geschoß beim Eindringen weniger deformiren läßt.

Die große Ladung, welche zur Erzeugung einer möglichst großen Anfangsgeschwindigkeit verwendet werden mußte, führte bei dem kleinen Kaliber zu einer allzu langen Patrone. Es wurde deshalb zu komprimirtem Pulver übergegangen, das aber bei dem verhältnismäßig geringen Laderaum zu großen Gasspannungen führte, welche der Lauf nicht ertrug. Zudem erzeugte die große Ladung noch mehr Rauch, als das beim bisherigen Gewehr der Fall war.

Dies brachte die Pul ver Verwaltung zunächst auf den Gedanken, durch andere Salpetersorten geringere Gasspannungen und weniger Rauch zu erhalten; der Versuch scheiterte jedoch, weil sich dieses Pulver als sehr hygroskopisch und ungenügend entzündungsfähig erwies. Nachdem auch Pikrinpräparate aufgegeben werden mußten, weil sie übermäßige Gasspannungen erzeugten, begann Herr Schenker, Chef der Munitionskontrole in Thun, unter Assistirung von Herrn Chemiker Atnsler, Sohn, im Sommer 1887 mit Versuchen, die zu dem heutigen rauchlosen und bei verhältnißmäßig geringen
Gasspannungen große Anfangsgeschwindigkeiten erzeugenden Pulver führten, das den Namen P. C. 88 (Pul ver-Composition 88) erhielt und seither mit Erfolg bei den Versuchen verwendet wurde. Es sei gleich hier bemerkt, daß nach allen bisher gemachten Erfahrungen dieses Pulver allen äußern Einflüssen weit besser widersteht, als das bisherige Schwarzpulver.

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Nachdem im Verlaufe der Versuche verschiedene Gewehrsysteme eliminirt worden waren, standen sich bei den Schlußversuchen noch zwei Gewehre gegenüber, das von Herrn Oberst Schmidt in Bern und das von der Industriegesellschaft Neuhausen vorgelegte. Beide Gewehre waren schließlich in vielen Theilen durch die von der Kommission successive veranlaßten Verbesserungen gleich und unterschieden sich wesentlich nur noch im Verschlußsysteme. Jedes der beiden Gewehre hatte seine Vorzüge, ja sie konnten beide als so ziemlich gleichwerthig betrachtet werden, bis die Schlußversuche mit Truppen, die in der Schießschule Wallenstadt Anfangs Juni mit je 80 Gewehren vorgenommen worden waren, doch zu Gunsten des von Herrn Oberst Schmidt vorgeschlagenen Gewehres, als das zur Zeit in der Vollendung weiter vorgeschrittene, den Ausschlag gaben.

Das nun zur Einführung empfohlene Gewehr hat die von der Wissenschaft (Plönies) längst erkannten Vortheile des kleinen Kalibers, nämlich flache Flugbahn, große Tragweite und vermöge des gepanzerten Geschosses auch große Durchschlagskraft. Es genüge, indem wir im Uebrigen auf die Schießprotokolle verweisen, zu erwähnen, daß das Geschoß des neuen Gewehres die Mündung mit einer Anfangsgeschwindigkeit von 600 m. in der Sekunde verläßt, während unser Ordonnanzgewehr eine Anfangsgeschwindigkeit von 435 m. hat.

Die Präzision ist durch die Metallbemantelung und durch eine zweckmäßigere Schaffung gehoben worden. Der Metallmantel ist nämlich weit weniger empfindlich gegen Unebenheiten im Laufe, als die Papierumhüllung, und sichert absolut vor dem Verbleien der Züge, das bei den bisherigen Gewehren nach verhältnißmäßig wenigem Schießen erhebliche Streuungen der Geschosse erzeugte.

Zur Orientirung wollen wir nur die 50 °/o Abweichungen nach Höhe und Seite, sowie die Radien auffuhren, wie sie sich auf den Distanzen von 300, 600 und 1200 Metern beim bisherigen Ordonnanzgewehre, bei den 1882 durch Ingenieur Haller ermittelten Ergebnissen des damaligen Rubingewehres und bei den im laufenden Jahre vorgenommenen Versuchen ergeben haben. Es ist daraus zu ersehen, daß auch noch die Präzisionsergebnisse im Verlaufe der Versuche, dank der bessern Schäftung und dem neuen Pulver, bessere geworden sind.

639 300 m.

H.

S.

1200 m.

600 m.

R.

Ordonnanz . . . . 22 18 17 Enbin 1 8 8 2 . . . . 8,5 5,5 11,5 Versuchsgewehr 1889 6,9 5 10,3

H.

S.

K,

52 40 38 18,5 15,2 27 14,9 12,5 23,5

H.

S.

E.

232 98 146 63,5 37 -- 48,6 24,1 63,1

Der Rückstoß, dieser wichtige Präzisionsfaktor des Gewehres in Händen der Mannschaft, ist geringer als beim Ordonnanzgewehr; «r beträgt bei letzterem 109, wenn er beim Versuchsgewehr zu 100 angenommen wird.

Die Feuergeschwindigkeit, der andere Faktor, nach welchem heute so eifrig gesucht wird, hat durch den Gradzug namentlich deßhalb gewonnen, weil er gestattet, weiter zu schießen, ohne das Gewehr aus der Anschlagstellung zu nehmen. Das bisherige Magazin, als Rohr unter dem Laufe angebracht, hat sich überlebt ; das zur Einführung vorgeschlagene Gewehr hat daher ein unter der Lade·Öffnung angebrachtes Magazin, das sich weit schneller füllen läßt, als das bisherige. Zwar sind auch wir der Ansicht, daß das Gewehr in -der Regel als Einzellader und nur in entscheidenden Momenten als Magazingewehr gebraucht werden solle. Wir halten daher den am Magazine angebrachten Abschließer, bis die Erfahrungen im Friedensdienste oder in einem nächsten Kriege das <3egentheil bewiesen haben, als zweckmäßig. Der Magazinschließer kann trotz verschiedener Komplikationen, die er im Gefolge hat, ·einstweilen um so unbedenklicher belassen werden, als seine Beseitigung leicht ist. Auf jeden Fall sichert rasches Wiederladen des Magazins gegenüber einem Gewehre, das dieses Vortheiles entbehrt, ein ausgiebigeres Magazinfeuer im entscheidenden Momente.

Das Versuchsgewehr weist außer den erwähnten Vorzügen noch auf: verbessertes Absehen, vervollkommneten Abzug, zweckmäßigere Sicherung (Abspannen), ein um 200 gr. geringeres Gewicht des Gewehres ohne Bajonnet, 135 gr. geringeres Gewicht des Seitengewehres und 440 gr. geringeres Gewicht der Taschenmunition von 100 Patronen.

Zur Begründung der Einführung von rauchlosem Pulver führt die Gewehrkommission Folgendes an : Die Vor- und Nachtheile des rauchlosen Pulvers wird erst ein zukünftiger Krieg in's richtige Licht stellen.

Trotz der Unsicherheit, welche diesbezüglich noch waltet, wird jedoch kein Staat vermögen, sich der allgemeinen Strömung zu «ntziehen, so wenig als dies bezüglich des Repetirgewehres der Fall war, so sehr auch jene Neuerung von Seiten stehender Armeen

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belächelt worden war, die jetzt Millionen über Millionen auf die Einführung von Magazingewehren verwenden.

Nachdem nämlich das Schwarzpulver Jahrhunderte sich behauptet hat, ist das neue Pulver in einem Staate bereits eingeführt, in andern in Einführung begriffen oder mit großem Eifer studirt.

Das eigene rauchlose Pulver begünstigt die Anwendung desFeuers, indem es keine unfreiwilligen Pausen schafft, wie das Rauchpulver. Es begünstigt auch die Schußbeobachtung namentlich für die Artillerie.

Dem Feinde erschwert das rauchlose Pulver das Schätzen der Entfernungen. Während der Rauch einer Feuerlinie das Einschießen, namentlich der Artillerie, erleichtert, werden in Zukunft oft einzelne vom Terrain begünstigte Infanterie-Abtheilungen sich der feindlichen Aufstellung feuernd nähern können, ohue ihren Standort durch die Raucherscheinung zu verrathen.

Einen nicht zu unterschätzenden Vortheil wird das rauchlose Pulver gegenüber der Kavallerie gewähren, indem ein überraschendes Vorgehen dieser letztern Waffe nun in hohem Grade erschwert wird. Daß dieser Vorzug gerade für unsere Armee sehr in's Gewicht fallt, braucht nicht weiter auseinandergesetzt zu werden.

Allerdings werden auch diesen Vortheilen entsprechende Nachtheile gegenüberstehen. Bewegungen der rückwärtigen Treffen zu Umfassungen und andere Vorkehren werden nicht mehr so leicht dem feindlichen Auge durch den Schleier des Pulverdampfes verborgen werden können und auch die Schrecken des Kampfes werden in viel unmittelbarerer Weise an das Auge der einzelnen Mitkämpfenden herantreten.

Was nun auch die Vortheile und Nachtheile sein mögen, die,, wie bereits bemerkt, erst ein zukünftiger Krieg in's rechte Licht stellen wird, e i n e s bleibt sicher: wie das Magazingewehr selbst eine moralische Frage war und ist, so ist es nicht weniger das rauchlose Pulver. Ein Heer, das ohne dieses Kampfmittel der Neuzeit in's Feld rücken muß, wird sich von vorneherein einem solchen gegenüber, das sich im Besitze dieses Kampfmittels weiß, moralisch im Nachtheile fühlen.

Die Einführung des rauchlosen Pulvers ist daher eine gebieterische N o t h w e n d i g k e i t .

Wir stimmen diesen Ausführungen bei.

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Uebergehend zu der Art und Weise der Durchführung der neuen Bewaffnung, betonen wir, daß die anzustrebende möglichst schleunige Wiederherstellung der Munitionseinheit in Auszug und Landwehr nicht nur eine beschleunigte Fabrikation, sondern auch die Beschaffung einer möglichst großen Stückzahl erheischt.

Beides weist auf die Zuhülfenahrne unserer Privatindustrie hin,, die ja auch bisher bei der Gewehrfabrikation bethätigt war. Denn wenn jwir auch eine möglichste Bethätigung der eidgen. Waffenfabrik in's Auge fassen, so kann es doch nicht im Interesse der Eidgenossenschaft liegen, allzu große Installationen für den Regiebetrieb zu machen und eine große Anzahl von Maschinen zu erwerben, die nach Beendigung der Operation brach liegen würden, während die Privatindustrie Maschinen und Räume immer wieder zu verwenden und auch den Arbeitern wieder neue Beschäftigung zu verschaffen wissen wird.

Anders verhält es sich mit-der Fabrikation der Munition und speziell des Pulvers. Es muß dieß Staatssache bleiben. Die Erzeugung von Geschossen und Hülsen wird die Munitionsfabrik sehr rasch in's Werk setzen können. Die Fabrikation von Pulver dagegen erheischt neue und umfangreiche Einrichtungen an Gebäuden und Maschinen. Dagegen werden wohl manche bisherige Einrichtungen und vielleicht auch Grundstücke zur Veräußerung verfügbar.

Die Zahl der notwendigen Gewehre berechnen wir in Uebereinstimmung mit der Gewehrkommission wie folgt: Gewehrtragende nach Gesetz^ Infanterie d e s Auszugs .

.

.

.

.

69,888 Infanterie d e r Landwehr .

.

.

.

.

69,888 139,776 Gewehre, resp. Karabiner für Kavallerie, Park und Genie des Auszugs, rund .

.

.

6,000

Total 145,776 oder rund 150,000.

Da der wirkliche Stand namentlich bei der Landwehr unter dem gesetzliehen steht, so würde eine Anzahl Gewehre disponibel bleiben. Die eigentliche, so nothwendige Kriegsreserve aber würde aus der nach der Neubewaffnung der Armee wieder aufzunehmenden jährlichen Abgabe an die Rekruten, resp. aus den wieder abgegebenen Gewehren der aus der Landwehr übertretenden und der aus Auszug und Landwehr aus andern Gründen abgehenden Mannschaft geschaffen.

6Ì2 Die Erstellung von 150,000 neuen Gewehren würde die etwa 250,000 Repetirgewehre für den Landsturm disponibel machen, wodurch dieser eine so vorzügliche Bewaffnung wie wohl kein Landsturm eines andern Landes erhielte.

Die erhöhte Feuergeschwindigkeit und das leichtere Gewicht der neuen Patronen weisen auf eine größere Munitionsdotation, wenigstens für die Infanterie, hin. Wir stehen diesfalls mit unsevn 200 Patronen ohnehin gegenüber andern Staaten zurück und gehen nicht zu weit, wenn wir sie auf 300 per vorhandenes Gewehr erhöhen.

Die finanzielle Tragweite unserer Vorschläge vermögen wir heute noch nicht genau zu beziffern. Es wird dies erst möglich sein, wenn Verträge mit Lieferanten abgeschlossen und die Devise für zu erstellende Gebäulichkeiten und anzuschaffende Maschinen aufgestellt sein werden. Indessen glauben wir doch, mit nachstehender Berechnung der Wirklichkeit ziemlich nahe zu kommen.

Wir können dabei der Hauptsache nach, wenigstens was die am meisten in's Gewicht fallende Gewehranschaffung betrifft, auf ziemlich sichern Grundlagen fußen. Wir ziehen es aber doch vor, gestützt auf die inzwischen abzuschließenden Verträge, in der Dezembersession mit bestimmten Zahlen vor Sie zu treten.

Immerhin dürfte es am Platze sein, wenn der Bundesrath ermächtigt wird, auch in der Zwischenzeit ein Anleihen aufzunehmen, sofern die Verhältnisse des Geldmarktes eine Beschleunigung der Emission als angezeigt erscheinen lassen sollten. Wir nehmen ein bezügliches Dispositiv in den Bundesbeschluß auf.

Die Erstellungskosten des neuen Gewehres werden vom Direktor der Waffenfabrik beim Regiebetriebe^ auf Fr. 70 per Stück geschätzt. So viel ist gewiß, daß es bei seiner Einfachheit nicht höher zu stehen kommt als unser gegenwärtiges Gewehr, das, Kontrole und Einschießen eingerechnet, in den Voranschlägen jeweilen mit Fr. 80 erscheint. Gleichwohl legen wir diese höhere Ziffer unserer Berechnung zu Grunde.

Die Munition schlagen wir nach den bisher gemachten Erfahrungen auf 10 Cts. per Stück an. Es wird zwar in der Folge «iue Reduktion dieser Erstellungskosten eintreten, weil die so theure Hülse mehr als einmal verwendet werden kann, was bei der bisherigen Hülse nicht der Fall war. Nach den gemachten Proben können nämlich 80 °/o der Hülsen zweimal, 61 °/o

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sogar dreimal verwendet werden. Wir setzen auch in unsere Berechnung die g a n z e Dotation von 300 Patronen, obschon eigentlich nur die wirkliche Erhöhung um 100 Patronen eingesetzt zu ·werden braucht, weil die bisherigen Patronen successive durch Militär- und Privatübungen verbraucht und von den Schulen und Kursen, resp. von den Privaten vergütet werden, und weil auch derjenige Theil, vielleicht etwa 30 Millionen, der für die Landsturmbewaffnung -bei Seite gelegt werden wird, formell durch einen besondern, dem Landsturm dienenden Kredit zu tragen wäre.

Eine genauere Präzisirung der einmaligen Installationskosten für die Pulverfabrikation ist zur Stunde unmöglich und ist übrigens deßhalb weniger nothwendig, weil die Pulververwaltung, wie jede andere Reafieanstalt, die Kosten ihrer ersten Einrichtungen durch O J O den Verkaufspreis des Produktes nach und nach arnortisiren wird.

Wir dürfen hier wohl auch beifügen, daß das künftige Gewehr weniger Reparaturen bedürfen wird, als das bisherige.

Nach diesen Auseinandersetzungen würden die in der nächsten Session der Bundesversammlung zu verlangenden Kredite sich voraussichtlich etwa wie folgt beziffern : 150,000 Gewehre à Fr. 80= .

.

.

. Fr. 12,000.000 300 Patronen à 10 Cts. ; per Gewehr = Fr. 30, 150,000 X 30 ,, 4,500,000 Fr. 16,500,000 Dieser Ausgabe wird jedoch eine Minderausgabe von circa Fr. 2,400,000 in unseren laufenden Budgets entgegenstehen. Wir hoffen, daß die Neubeschaffung in' drei Jahren durchgeführt sein wird. Für den gleichen Zeitraum kann die Erstellung von Vetterligewehren für den Rekrutenjahrgang, welche jährlich Fr. 800,000 beanspruchen, dahinfallen, indem die Rekruten, soweit sie noch mit dem bisherigen Ordonnanzgewehr einexerzirt werden, aus der Kriegsreservp bewaffnet werden können.

Unser heutiges Begehren nun zielt auf die Erlangung einer Vollmacht ab, schon jetzt mit der Einleitung der Fabrikation von Oewehren und Pulver beginnen und alle darauf bezüglichen Maßnahmen treffen zu dürfen.

Es sind namentlich zwei Gründe, welche uns bestimmen, dieses .Begehren jetzt schon zu stellen.

Für's erste gehen , gleichviel, ob Lieferungsverträge mit Privaten abgeschlossen werden oder ob theilweiser Regiebetrieb

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eintrete, vom Zeitpunkt der Bestellung bis zu demjenigen der Ablieferung der ersten Grewehrbestandtheile wenigstens 6 Monate verloren. Die Fabrikation wird daher auch, wenn wir die Vollmachten jetzt erhalten, in nur kleinen Anfängen mit Beginn des nächsten Jahres beginnen können. Würden die Vollmachten aber erst im Dezember ertheilt, so wäre keine Rede mehr davon, im nächsten Jahre Gewehre in größerer Zahl ausgeben zu können.

Ein anderer Grund ist folgender: Bei dem allgemeinen Wettlauf aller Staaten in der Erstellung -neuer Gewehre ist es sehr wahrscheinlich, daß auch die schweizerischen Etablissemente Bestellungen erhalten und dann für einige Zeit nicht mehr im Falle wären, für uns liefern zu können. Dieser Gefahr kann nur vorgebeugt werden, wenn die schweizerische Industrie in Bälde die Gewißheit erhält, für das eigene Land arbeiten zu können.

Genau so verhält es sich mit der Anfertigung von Pulver^ welche mit der Erzeugung der Gewehre Schritt halten muß.

Wir empfehlen daher den hohen Räthen den nachstehenden Bundesbeschluß zur Genehmigung und benutzen gleichzeitig den Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern^ B e r n , den 19. Juni

1889.

Im Namen des Schweiz. BundesrathesDer B u n d e s p r ä s i d e n t : Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Rlngier.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluß betreffend

die Einführung neuer Handfeuerwaffen.

Die Bundesversammlung der schweizerischen -Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des schweizerischen Bundesrathes vom 19. Juni 1889, beschließt: Art. 1. Für die Infanterie des Auszugs und der Landwehr, sowie für die Kavallerie, den Park und das Genie des Auszugs werden neue Handfeuerwaffen nach dem von der Gewehrkom mission vorgelegten Mustergewehr mit der offi.ziellen Benennung, Schweizerisches Repetirgewehr, Model 1889, eingeführt.

Art. 2. Der Bundesrath wird ermächtigt, alle Maßnahmen zu treffen, um die Erstellung der neuen Gewehre und der zudienenden Munition in kürzester Frist durchzuführen.

Art. 3. Der Bundesrath wird eingeladen, für die er'forderlichen Kredite in der nächsten Session der eidgenössischen Räthe die geeigneten Vorlagen zu machen. Inzwischen ist er ermächtigt, ein Anleihen bis auf den Betrag von höch.stens 16 Millionen Franken aufzunehmen.

Art. 4. Dieser Beschluß tritt, als nicht allgemein verbindlicher Natur, sofort in Kraft.

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Nachtrag zur Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Hauptergebnisse der eidg. Volkszählung vom 1. Dezember 1888.

(Vom 15. Juni 1889.)

Tit.

Vorkommnisse, welche hienach ihre Erklärung finden, veranlassen uns, die den 3. d. Mts. an Sie gerichtete Botschaft, betreffend die letzte eidg. Volkszählung, durch das Nachstehende zu ergänzen, beziehungsweise abzuändern.

Es wurde unserm statistischen Bureau den 12. dieses Monats mitgetheilt, in Luzern verlaute gerüchtweise, daß man in der dortigen Gemeinde Buttisholz die Ergebnisse der letzten eidg. Volkszaînlung in ungehöriger Weise verändert habe, indem der Bevölkerung jener Gemeinde auch die Insaßen der Buttisholzer-Waisenanstalt zugerechnet worden seien, obwohl diese Anstalt sich auf dem Gebiete der Gemeinde Ruswil befinde. In Luzern, so wurdeweiter beigefügt, sei auch die Vermuthung ausgesprochen worden, es könnte solcher Ungehörigkeit, falls selbe wirklich vorgekommen, die Absicht zu Grunde gelegen haben, dem WahlkreiseButtisholz einen zweiten Vertreter im Großen Rathe zu sichern, auf welchen dieser Kreis bei richtiger Zählung vielleicht keinen Anspruch habe.

Die nach diesen Mittheilungen vorgenommene Untersuchung hat das Folgende ergeben. Sowohl in den Zälilpapieren der Gemeinde Buttisholz, als in denjenigen der Gemeinde Ruswil (beiden Orts je im 5. Zählkreise) ist eine aus 81, beziehungsweise aus

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79 Personen bestehende Haushaltung mitgezählt, welche als ,,Waisenhaus a , .,,Waisenanstalt" oder ,,Armenanstalt" 1 bezeichnet wird und deren Personennamen und sonstige Angaben bis auf zwei am ersteren Orte überschüssige Köpfe so sehr übereinstimmen, daß über die Gleichheit der an beiden Orten gezählten Personen irgend ein Zweifel nicht bestehen kann. Da zudem diese Personen in Buttisholz wie in Ruswil als ^in der Zählgemeinde wohnhaft11 und als ,,in der Zählgemeinde anwesend" bezeichnet und folglich an> beiden Orten sowohl zur Wohn- als auch zur ortsanwesenden Bevölkerung gerechnet wurden, so liegt hier in der That eine unzulässige Doppelzählung vor. Es erübrigt in Bezug auf letztere nur noch zu untersuchen, in welcher Gemeinde jene Haushaltung mit.

Recht und in welcher Gemeinde selbe mit Unrecht gezählt wurde -- eine Frage, welche nach den sehr deutlichen Zählvorschriften mit der Frage zusammenfällt, auf dem Gebiete welcher Gemeinde die fragliche Anstalt gelegen sei.

In einem den 13. d. Mts. datirten Telegramm theilt das Departement des Genieindewesens des Kantons Luzeru mit, daß sowohl die Gebäude als das offene Land jenes Waisenhauses auf dem Gebiete der Gemeinde Ruswil liegen, und aus einem Schreiben des gleichen Departements vom 19. Februar 1889 ergibt sich, daß an diesem Orte wenigstens seit 1850 irgend eine Aenderung in der Umschreibung der Gemeinden niemals stattgefunden hat. So wird denn auch in einem im Jahre 1884 auf Anordnung der Regierungvon Luzern veröffentlichten Ortschaftsverzeiehniß jenes Kantons die Ortschaft ,,Stalten"1, wo sich die fragliche Anstalt befindet, als Beslandtheil der Gemeinde Ruswil bezeichnet; endlieh sei beigefügt,, daß die Anstalt bei der Volkszählung von 1880 nur in Ruswil mitgezählt wurde.

Diese Thatsaehen setzen somit, fest, daß die Insaßen des bezeichneten Waisenhauses bei der letzten Volkszählung richtigerweisenur in Ruswil gezählt werden durften und in Buttisholz zu streichen sind. Sie schließen im Fernern nahezu mit Sicherheit auch die Annahme aus, daß in Buttisliolz selbst hierüber ein Zweifel obwalten konnte.

Zur Richtigstellung ist noch das Folgende zu erwähnen. Obwohl die beiden Ausfertigungen die Unterschrift des gleichen Anstaltsvorstandes tragen, sind in den für Buttisholz bestimmten Heften im Ganzen zwei Personen mehr verzeichnet, als in
denjenigen für Ruswil (am ersteren Orte 81, am letzteren 79). Eine mit Bezeichnung der fraglichen zwei Namen den 13. d. Mts. an den Anstaltsvorstand gerichtete Frage wurde dahin beantwortet, daß sich jene zwei Personen zur Zeit der Volkszählung wirklich in der Anstalt

648 befunden haben. Dieselben sind somit in den Zäblheften für Ruswil, sowie in dein Zählergebniß der letztem Gemeinde nachzutragen.

Aus dem Angeführten folgt, daß an den mit unserer Botschaft -vom 3. d. Mts. Ihnen mitgetheilten Bevölkerungszahlen die folgenden .Aenderungen vorzunehmen sind. Die Bevölkerung der Gemeinde Ruswil ist um 2 zu vermehren, dagegen diejenige der Gemeinde Buttisholz um 81 zu vermindern ; eine Verminderung um je 79 hat bei den Zahlen des Bezirkes Sursee, des Kantons Luzern und der schweizerischen Gesammtsumme einzutreten. Die Aenderungeu sind durchwegs in gleichem Maße bei der Wohnbevölkerung und bei der ortsanwesenden Bevölkerung vorzunehmen. Wir erlauben uns, den Ihnen früher unterbreiteten Beschlussesentwurf in entspreehen-der neuer Fassung vorzulegen.

Im Weitern werden wir die Regierung des Kantons Luzern einladen, eine Untersuchung über das Zustandekommen der fraglichen Ungehörigkeit vornehmen zu lassen und je nach dem Ergebnisse die Bestrafung der Schuldigen einzuleiten. Wenn wir auch ein Urtheil darüber, ob diese Unrichtigkeiten wirklich mit bewußter Absicht vorgenommen wurden, zur Zeit nicht äußern wollen, so darf dagegen schon jetzt ausgesprochen werden, daß der Widerspruch der vorgekommenen Fehler mit den deutlichen Vorschriften ·für die mit den örtlichen Verhältnissen wohl vertrauten Zählorgane ein so offenbarer sein mußte, diese Zählorgane aber nicht blos die von Andern begangenen Fehler, zu deren Prüfung und Richtigstellung sie übrigens verpflichtet waren, durchgehen ließen, sondern dieselben durch eigene der Wahrheit widersprechende Angaben ver· mehrten und dieses zudem in einer Ausdehnung vorgekommen ist, daß hier von einem bloßen entschuldbaren Uebersehen wohl nicht mehr gesprochen werden darf. Selbstverständlich muß auch der Jedermann wohlbekannte Umstand, daß die durch die Volkszählung festgestellten Zahlen zur Regelung mannigfacher rechtlicher Verhältnisse zu dienen haben, die Strafbarkeit der begangenen Fehler erhöhen.

Wir benutzen auch diesen Anlaß, Sie. Tit., unserer besondern .Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 15. Juni 1889.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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^{Berichtigter Entwurf)

Bundesbeschluß betreffend

die Gültigerklärung der Hauptergebnisse der eidg. Volkszählung vom 1. Dezember 1888.

Die Bundesversammlung der s c h w e i z e r i s c h e n E i d g e n o s s e n s c h a f t , auf den Vorsehlag des Bundesrathes vom 3. Juni 1889, beschließt: Art. 1. Es werden die folgenden Hauptergebnisse der ·eidg. Volkszählung vom 1. Dezember 1888 als gültig erklärt.

WohnBevölkerung.

Ortsanwesende Bevölkerung.

Zürich Bern .

.

.

.

Luzern U r i.

.

.

.

Schwyz Unterwaiden o. d. W. .

Unterwaiden n. d. W. .

Glarus Zug .

Freiburg Solothurn .

Baselstadt .

337,183 536,679 135,360 17,249 50,307 15,043 12,538 33,825 23,029 119,155 85,621 73,749

339,056 539,405 135,722 17,285 50,378 15,030 12,520 33,794 23,123 119,529 85,709 74,245

Uebertrag

1,439,738

1,445,796

Kantone.

Sundesblatt. 41. Jahrg. Bd. III.

43

650 Kantone.

Uebertrag Baselland .

Schaffhausen Appenzell A. Rh.

Appenzell I. Rh.

St. Gallen .

.

Graubünden Aargau Thurgau Tessin Waadt .

Wallis Neuenburg .

Genf .

.

.

.

Wohn-

Ortsanwesende Bevölkerung.

1,439,738 61,941 37,783 54,109 12,888 228,160 94,810 193,580 104,678 126,751 247,655 101,985 108,153 105,509

1,445,796 62,154 37,876 54,192.

12,904 229,367 96,235 193,834 105,121 126,946 251,297 101,837 109,037 106,738 2,933,334

Bevölkerung.

2,917,740 Schweiz Art. 2. Dieser Beschluß wird als dringlich erklärt.

Der Bundesrath ist mit seiner Vollziehung beauftragt.

651

Interpellation über

den Konflikt mit Deutschland im schweizer. Nationalrathe.

Die Herren Künzli, Ador, Arnold, Bürkli, Forrer, Isler, LutzMüller, Müller (Ed., Bern), Ruffy, Schobinger haben den 20. Juni folgende Interpellation im Nationalrathe gestellt: ,,Die Obgenannten wünschen den Bundesrath darüber zu interpelliren, ob er gegenwärtig in der Lage sei, Mittheilungen zu machen in Betreff der Schwierigkeiten, welche zwischen der Schweiz und andern Ländern entstanden sind.11 In der Sitzung vom 21. dies entwickelte Herr K ü n z l i seine Interpellation mit folgenden Worten : ,,Mit wachsendem Erstaunen vernahm das Schweizervolk und waren wir alle Zeugen, wie ein Spezialfall von scheinbar nicht großer Bedeutung zu ernster Spannung mit einer befreundeten Großmacht geführt, wie sich aus demselben eine diplomatische Aktion mehrerer Mächte entwickelt hat, und wie in einem Notenwechsel Fragen von größter Tragweite aufgeworfen wurden, die offenbar in keinem Zusammenhang mit dem Fall Wohlgemuth stehen.

,,Wenn aus der Bundesversammlung bisher keine Auskunft über diese Vorkommnisse verlangt wurde, wenn auch das Volk und unsere Presse eine anerkennenswerthe Zurückhaltung beobachteten, so darf dies als ein Beweis des Vertrauens aufgefaßt werden, das Volk und Behörden in den Bundesrath setzen, als ein Beweis ferner der überall herrschenden Ueberzeugung, daß der Bundesrath die Rechte und Interessen des Landes in jeder Beziehung wahren und daß er nichts thun werde, was die nationale Ehre, was unsere Freiheit und Unabhängigkeit beeinträchtigen könnte.

,,Da nun aber in letzter Zeit die widersprechendsten Berichte über 'die entstandenen Schwierigkeiten verbreitet worden sind, so

652 macht sich allgemein das Bedürfnis nach Aufklärung geltend. Falls daher der Budnesrath findet, daß eingehende Mitteilungen den weitern Verlauf der Verhandlungen nicht stören können, so erachten die Interpellanten die Zeit für gekommen, wo über den Gang und den ögegenwärtigen Stand der Angelegenheit bestimmte Auskunft O O O ertheilt werden sollte" Herr Bundesrath D r o z gab Namens des Bundesrathes folgende Antwort: Der Bundesrath hält dafür, daß bei dem gegenwärtigen Stande der Frage und bei der berechtigten Erwartung des Schweizervolkes, über die Lage aufgeklärt zu werden, Nichts entgegenstehe, die nachfolgenden Mittheilungen zu machen : Die gegenwärtigen Schwierigkeiten mit Deutschland haben zum Ausgangspunkt den Fall Wohlgemuth. Wir erachten es nicht für nothwendig, auf die Einzelheiten dieses Falles, welche in der Hauptsache bekannt sind, zurückzukommen. Die kaiserliche Regierung war der Ansicht, daß ihr Beamter auf unserm Gebiete nichts Strafbares begangen habe und daher widerrechtlich verhaftet und ausO ~ gewiesen worden sei. Angesichts des sorgfältig ermittelten Thatbestandes war es uns indessen, so sehr wir es auch bedauerten, von der aargauischen Polizei nicht gleich zu Anfang benachrichtigt worden zu sein, nicht möglich, uns von der Harmlosigkeit und Unschädlichkeit der Handlungsweise des Wohlgemuth zu überzeugen, und wir müssen zu unserm Leidwesen konstatiren, daß der mit Deutsehland gepflogene Meinungsaustausch keine Uebereinstimmung in der Beurtheilun des Falles herbeizuführen vermocht hat.

Anläßlieh dieses Meinungsaustausches sind grundsätzlich wichtige Fragen des Völkerrechtes zwischen den beiden Regierungen zur Sprache gekommen. Deutschland hat betont, daß es sich gezwungen sehe, eine eigene Polizei auf unserem Gebiete zu unterhalten, da die unserige nicht die nöthige Gewähr für wirksame Ueberwachung der gegen seine innere Sicherheit gerichteten Umtriebe biete, welche von den in der Schweiz sich aufhaltenden und, seiner Ansicht nach, allzu großer Gastfreundlichke.it sich erfreuenden Anarchisten und revolutionären Sozialisten ausgehen. Wir haben geantwortet, daß es uns unmöglich sei, mit irgend Jemandem die Ausübung der Polizei auf unserm Gebiete zu theilen, daß das ein Ausfluß der Souveränität sei und daß wir dieses Souveränitätsrecht nicht antasten lassen dürfen, ebensowenig das Asylrecht, soweit sich dessen Ausübung mit unserer Sicherheit sowohl, wie mit deiSicherheit anderer Staaten vertrage. Wir haben im Uebrigen darauf

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aufmerksam gemacht, daß die Individuen, welchen wir eine allzuweit gehende Gastfreundschaft erwiesen haben sollen, nicht als politische Flüchtlinge, sondern kraft des Niederlnssungsvertrages vom 27. April 187ö zu uns gekommen seien, daß wir sie daher nicht auf dem Wege der Präventivpolizei, sondern lediglich dann auszuweisen berechtigt seien, wenn sie unsern Gesetzen zuwiderhandeln oder unsere Sicherheit gefährden. Ohne die von untergeordneten Beamten in Ausübung der politischen Polizei begangenen Fehler zu vertuschen, Fehler, welche zu rügen wir niemals Anstand nahmen, haben wir hervorgehoben, daß wir stetsfort ängstlich beflissen gewesen seien, Elemente, welche für uns oder andere Staaten gefährlich sind, nicht bei uns zu dulden, daß wir die Mittel zu ihrer Bekämpfung fortwährend zu verbessern trachten, aber daß die durch die deutsche Polizei auf unser Gebiet entsandten geheimen Agenten, weit entfernt diesen Zweck zu fördern, zu wiederholten Malen die Ursache von Oi'dnungsstörungen gewesen seien, welche die öffentliche Meinung unseres Landes in hohem Maße aufgeregt hätten.

Die deutsche Regierung hat darauf erwiedert, daß, wenn wir Art. 2 jenes Niederlassungsvertrages,,, welcher vorschreibe, daß die deutschen Staatsangehörigen, um sich in der Schweiz niederzulassen, nicht nur mit einem Heimatschein, sondern auch mit einem Leumundszeugnisse versehen sein m ü s s e n , strikte angewendet hätten, die berührten Uebelstände nicht eingetreten sein würden. Die Vorweisung dieser Papiere zu verlangen, sei für die Schweiz eine Pflicht, und begründe für Deutschland ein entsprechendes Recht.

Wir haben mit aller Festigkeit eine Auslegung zurückweisen müssen, welche, abgesehen davon, daß sie dem Geiste des Vertrages zuwiderlaufe, auf nichts Anderes abzielen könnte, als die Zulassung von Fremden auf unser Gebiet in's Belieben einer auswärtigen Regierung zu stellen, diese thatsächlich über unser Asylrecht verfügen ließe und uns folgerichtig eines der wesentlichsten Souveränitätsrechte berauben würde.

Die Unmöglichkeit über all' diese Punkte eine Verständigung zu erzielen, hat eine Spannung zwischen den beiden Ländern herbeigeführt, welche insbesondere in der Presse Ausdruck gefunden hat. Nachdem uns die k. deutsche Regierung hatte niittheilen lassen, daß sie sich vorbehalten müsse, mit Bezug auf den Grenzverkehr
diejenigen Maßnahmen zu treffen, welche ihr noth«'endig erscheinen, um sich gegen die Gefahren zu schützen, mit welchen der innere Frieden des deutschen Reiches durch die Unzulänglichkeit unserer politischen Polizei, die Gleichgültigkeit oder die Ohnmacht der Bundesregierung, die Konnivenz der untergeordneten

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schweizerischen Behörden, die Weigerung, geheime Agenten auf unser Gebiet senden zu lassen, und, als Folge alles dessen, die Frechheit der Unisturzparteien bedroht sei, haben wir die zahlreichen Maßregeln in Erinnerung gebracht, welche wir gegen diese Elemente bereits eingeführt hätten, Maßregeln, welche in Verbindung mit den weitern noch in Vorbereitung befindlichen, den unzweideutigen Beweis leisten, daß wir nicht nur den festen Willen, sondern auch die Kraft besitzen, unsere völkerrechtlichen Pflichten gewissenhaft zu erfüllen, und des fernem erklärt, daß, wenn die Maßnahmen, die Deutschland in Aussicht stelle, ihre Spitze gegen unser Land richten würden, wir sie von vornherein als nicht gerechtfertigt betrachten müßten, In diesem Stadium der Verhandlungen hat zunächst Rußland, sodann auch Oesterreich unsere Aufmerksamkeit auf die Gefahren gelenkt, durch welche, infolge der allzugroßen Toleranz, deren sich die anarchistischen und revolutionären Elemente auf uuserm Gebiete zu erfreuen hätten, auch sie bedroht seien; Als der Schweiz befreundete Mächte und Mitgaranten ihrer Neutralität halten sie dafür, daß diese Neutralität für uns die Pflicht in sich schließe, Umtriebe zu verhindern, welche den innern Frieden ihrer Länder zu stören geeignet seien, widrigenfalls sie die Frage zu prüfen in die Lage kämen, ob unsere Neutralität noch in ihrem Interesse liege. In mehreren Mittheilungen hat sich Deutschland mit Bezug auf unsere Neutralität in gleicher Weise vernehmen lassen.

Wir haben Rußland und Oesterreich in Betreff der Erfüllung unserer völkerrechtlichen Pflichten in gleicher Weise geantwortet, wie Deutschland. Wir haben sodann allen drei Mächten gegenüber bemerkt, daß die Ueberwachung und Unterdrückung anarchistischer uud revolutionärer Umtriebe nicht als eine der Schweiz ausschließlich auffallende und aus ihrer Neutralität zu folgernde Pflicht betrachtet werden könne. Diese gleiche Pflicht liege jedem Staatswesen ob, möge es neutral sein oder nicht. Was die von uns gegen die Unruhestifter zu treffenden Maßregeln anbelange, so hätten wir dieselben mit Niemandem zu diskutiren, und müßten uns diesbezüglich freie Entschließung vorbehalten. Es seien das innere Fragen, .in welche wir, als souveräner Staat, eine fremde Einmischung nicht zulassen könnten. Wir haben insbesondere hervorgehoben, daß unsere
Neutralität unsere Souveränität nicht beeinträchtigen könne, und daß es unmöglich sei, im wahren Sinne des Wortes neutral zu sein, wenn man nicht unabhängig sei. Das hätten die europäischen Mächte anei-kanut, als sie, in der Akte vom 20. November 1815, proklamirt hätten ,,daß die Neutralität und Un veri età barkeit der Schweiz und i h r e U n a b h ä n g i g k e i t von

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j e d e m f r e m d e n E i n f l u ß im wahren Interesse von ganz Europa liegeu. Wir haben demzufolge erklärt, daß wir uns von diesem Boden nicht verdrängen lassen könnten, und im Uebrigen betont, daß die Neutralität der Schweiz auch auf ihrem eigenen Willen beruhe.

Da die Besprechung dieser hochwichtigen Fragen noch nicht zu einem offiziellen Abschluß gelangt ist, glauben wir uns für heute .auf die soeben gemachten Mittheilungen beschränken zu sollen.

Wenn der Augenblick zu weitern detaillirten Eröffnungen gekommen .sein wird, werden Sie sich noch besser überzeugen, daß wir nichts versäumt haben, noch versäumen werden, um die Würde, die Interessen und die Souveränitätsrechte der Schweiz nach allen Richtungen zu wahren.

Mag nun aber der Ausgang der schwebenden Verhandlungen ·sein, welcher er wolle, wir stehen einer Situation gegenüber, welcher 'wir die ernstlichste Aufmerksamkeit zu schenken haben. Dem 'Bundesrathe ist die Besorgung der auswärtigen Angelegenheiten übertragen; es ist, damit er seiner schweren Verantwortlichkeit genügen' könne, unumgänglich nothwendig, daß Sie ihn mit den ·dazu nöthigen Mitteln ausrüsten. Sie werden sich über die Maßregeln auszusprechen haben, die er Ihnen zu diesem Behufe vorschlägt. Er muß insbesondere verlangen, in die Möglichkeit versetzt au werden, innert den Schranken der Verfassung eine wirksamere Ueberwachung der fremden Elemente auszuüben, .welche unsere Sicherheit bedrohen, und so der Mangelhaftigkeit der Aktionsmittel zu begegnen, deren Vorhandensein er zu konstatiren in der Lage war. Der Bundesrath hofft, daß Sie ihm Ihre Unterstützung nicht versagen werden ; er rechnet auf Ihr Vertrauen und auf die Eintracht des Schweizervolkes überhaupt, deren er bedarf, um seiner schwierigen Aufgabe gerecht zu werden.

Herr Oberst Künzli erklärte hierauf Namens der Interpellanten seine Befriedigung über die erhaltenen Aufschlüsse und bezeugte dem Bundesrathe das Zutrauen in seine Umsicht und Festigkeit zur Wahrung unserer Unabhängigkeit und unserer Freiheiten. Er sprach auch seine Ueberzeugung aus, daß die Räthe und das Schweizervolk zum Bundesrathe stehen und ihn in seinem schweren Amte unterstützen werden.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Einführung neuer Handfeuerwaffen. (Vom 19. Juni 1889.)

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