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zu 15.434 Parlamentarische Initiative Mutterschaftsurlaub für hinterbliebene Väter Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 19. August 2022 Stellungnahme des Bundesrates vom 26. Oktober 2022

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 19. August 20221 über die parlamentarische Initiative zum «Mutterschaftsurlaub für hinterbliebene Väter» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002 nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

26. Oktober 2022

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ignazio Cassis Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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2022-3462

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 8. Juni 2015 reichte Nationalrätin Margrit Kessler (GLP, SG) die parlamentarische Initiative 15.434 ein. Die Initiative verlangt, dass bei einem Todesfall der Mutter innerhalb von 14 Wochen nach der Geburt der Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen vollumfänglich dem Vater gewährt wird. Die parlamentarische Initiative wurde von Thomas Weibel (GLP, ZH) übernommen.

Am 22. Juni 2016 gab die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) der parlamentarischen Initiative mit 13 zu 8 Stimmen bei 2 Enthaltungen Folge. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) stimmte diesem Beschluss am 30. August 2016 mit 6 zu 3 Stimmen bei 3 Enthaltungen zu.

Am 25. Januar 2018 beriet die SGK-N über das weitere Vorgehen. Zwischenzeitlich wurde die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub ­ zum Nutzen der ganzen Familie» eingereicht.2 Die SGK-N beschloss mit 10 zu 10 Stimmen und Stichentscheid ihres Präsidenten, die Arbeiten zur Initiative 15.434 bis zum Abstimmungsergebnis der Volksinitiative auszusetzen. Am 27. September 2020 nahm das Volk den indirekten Gegenvorschlag3 zur Volksinitiative an. Der im indirekten Gegenvorschlag vorgesehene zweiwöchige Vaterschaftsurlaub trat per 1. Januar 2021 in Kraft.

Am 28. April 2021 legte die SGK-N die Eckwerte der Vorlage zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative fest. Sie beauftragte die Verwaltung, einen Vorentwurf mit mehreren Varianten auszuarbeiten, darunter auch eine Lösung für Fälle, in denen der Vater während der sechs Monate nach der Geburt des Kindes stirbt (analog zur sechsmonatigen Rahmenfrist für den Bezug des Vaterschaftsurlaubs). Am 17. November 2021 prüfte die SGK-N den Vorentwurf und äusserte sich dazu, welche Variante sie unterstützt. Zusätzlich erteilte sie den Auftrag, die redaktionellen und begrifflichen Änderungen bei der Vaterschaftsentschädigung und dem Vaterschaftsurlaub vorzunehmen, die sich mit dem Inkrafttreten der Änderung vom 18. Dezember 20204 des Zivilgesetzbuches (ZGB) («Ehe für alle») am 1. Juli 2022 ergeben. Am 3. Februar 2022 verabschiedete die SGK-N den Vorentwurf und schickte ihn in die Vernehmlassung.

Am 19. August 2022 nahm die SGK-N die Vernehmlassungsergebnisse zur Kenntnis.

Sie änderte den Vernehmlassungsentwurf und beschloss mit 17 Stimmen bei 4 Enthaltungen, ihn dem Bundesrat zur Stellungnahme zu unterbreiten.

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Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub ­ zum Nutzen der ganzen Familie» vom 4. Juli 2017 (BBl 2017 5473); Geschäftsnr. 18.052.

Schlussabstimmungstext: BBl 2019 6855; Geschäftsnr. 18.441.

AS 2021 747

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Allgemeine Würdigung

Der Tod eines Elternteils unmittelbar nach der Geburt ist für die Familie und insbesondere für das Neugeborene ein schwerer Schicksalsschlag. Glücklicherweise sind solche Fälle sehr selten. Laut Statistiken des Bundesamtes für Statistik (BFS) sterben im Durchschnitt etwa fünf Mütter pro Jahr an Komplikationen nach einer Schwangerschaft oder Geburt. Doch selbst bei wenigen Fällen wäre eine Regelung im Sinne der parlamentarischen Initiative eine grosse Entlastung für die betroffenen Familien.

Der Bundesrat erachtet es als zentral, dass beim Tod der Mutter unmittelbar nach der Geburt in erster Linie das Kindeswohl gewährleistet werden kann. Denn bei einem Ereignis wie dem Tod der Mutter während des Mutterschaftsurlaubs ist das Kind aufgrund des geringen Alters und der fehlenden Selbstständigkeit besonders verletzlich.

In dieser Situation hat das Interesse des Neugeborenen Vorrang. Nach einem solchen Schicksalsschlag sind die Kinder besonders schutzbedürftig und benötigen umfassende Betreuung. Deshalb anerkennt der Bundesrat den Handlungsbedarf in diesem Bereich.

Besondere Bedeutung misst der Bundesrat auch den Massnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei. Dementsprechend wurden in den letzten 15 Jahren verschiedene über die Erwerbsersatzordnung (EO) entschädigte Urlaube eingeführt: der Mutterschafts- und der Vaterschaftsurlaub, der Urlaub zur Betreuung von gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kindern und der Adoptionsurlaub. Die Urlaube fördern zudem die Gleichstellung zwischen den Eltern und sorgen für eine ausgewogene Rollenteilung bei der Kinderbetreuung. Diese Urlaube werden erwerbstätigen Eltern gewährt, wenn ihre Anwesenheit für das Kind notwendig ist.

Mütter haben Anspruch auf einen 14-wöchiger Urlaub, den sie unmittelbar nach der Geburt am Stück beziehen müssen. Väter haben einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub zugute, den sie innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt des Kindes beziehen müssen. Ab dem 1. Januar 2023 werden Adoptiveltern innerhalb des Jahres nach der Aufnahme eines unter vier Jahre alten Kindes zur Adoption einen zweiwöchigen Urlaub untereinander aufteilen können. Eltern von gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kindern können einen höchstens 14-wöchigen Urlaub zur Betreuung des Kindes unter sich aufteilen.

Beim Tod der Mutter muss der hinterbliebene
Vater die Betreuung für das Neugeborene in vollem Umfang übernehmen. Bislang gibt es keinen Urlaub, der es dem Vater ermöglicht, die Rolle der verstorbenen Mutter zu übernehmen.

2.2

Würdigung der Kommissionsvorlage

2.2.1

Anträge der SGK-N

Die Mehrheit der SGK-N schlägt vor, Vätern einen 14-wöchigen Urlaub zu gewähren, wenn die Mutter des Kindes während des Mutterschaftsurlaubs stirbt. Der Urlaubsanspruch würde am Folgetag des Todestags beginnen und müsste wie der Mutterschaftsurlaub am Stück bezogen werden. Der 2-wöchige Vaterschaftsurlaub wäre im 3/6

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14-wöchigen Urlaub enthalten. Wäre der Vaterschaftsurlaub im Zeitpunkt des Todes der Kindsmutter bereits ausgeschöpft, hätte der Vater somit Anspruch auf 12 Wochen.

Andernfalls wären insgesamt 14 Wochen vorgesehen. Wäre im Zeitpunkt des Todes lediglich ein Teil des Vaterschaftsurlaubs bezogen, würde die entsprechende Dauer von den 14 Wochen abgezogen.

Der Antrag der Minderheit I Mettler entspricht der Variante, die ursprünglich von der Mehrheit der SGK-N unterstützt und in die Vernehmlassung geschickt wurde. Auch diese Variante schlägt vor, Vätern einen 14-wöchigen Urlaub zu gewähren, wenn die Kindsmutter während des Mutterschaftsurlaubs stirbt. Der Urlaub würde am Folgetag des Todestags beginnen und müsste am Stück bezogen werden. Er würde jedoch zusätzlich zum Vaterschaftsurlaub gewährt. Dieser könnte nach den Regeln für den Vaterschaftsurlaub bezogen werden, sobald der Urlaub infolge Todesfalls der Mutter bezogen wurde.

Für den Fall, dass der Vater während der sechsmonatigen Rahmenfrist stirbt, die für den Bezug des Vaterschaftsurlaubs gilt, schlägt die Minderheit I Mettler vor, der hinterbliebenen Mutter zusätzlich zu den 14 Wochen Mutterschaftsurlaub zwei Wochen Urlaub zu gewähren. Der Anspruch würde am Folgetag des Todestags entstehen und müsste innerhalb der folgenden sechs Monate bezogen werden, analog zum Vaterschaftsurlaub.

Die Minderheit II Wasserfallen Flavia greift das Konzept der Minderheit I Mettler auf, verlängert die Urlaube jedoch um jeweils vier Wochen. Gemäss der Minderheit II würde der Urlaub beim Tod der Mutter also 18 Wochen und der Urlaub beim Tod des Vaters sechs Wochen betragen. Dabei handelt es sich um die grosszügigste der vorgeschlagenen Varianten.

2.2.2

Würdigung

Sowohl der Mehrheitsantrag als auch die Anträge der beiden Minderheiten sind geeignete Lösungen, die Ziel und Zweck der parlamentarischen Initiative erfüllen. Die finanziellen Auswirkungen auf das EO-System sind bei allen Anträgen angesichts der wenigen Fälle vernachlässigbar.

Nach Ansicht des Bundesrates erfüllt der Antrag der Minderheit I Mettler die Kriterien der Gleichbehandlung der Eltern besser, da sie mit dieser Variante jeweils den Urlaub des verstorbenen Elternteils erhalten. Denn es lässt sich keinesfalls rechtfertigen, dass der 14-wöchige beziehungsweise der 2-wöchige Urlaub, auf den der verstorbene Elternteil Anspruch gehabt hätte, einfach verloren geht und das Neugeborene nicht durch einen Elternteil betreut werden kann während der gleichen Zeit, in der es davon profitiert hätte, wenn der verstorbene Elternteil am Leben geblieben wäre. Der Antrag der Minderheit I Mettler zeichnet sich ausserdem dadurch aus, dass der Vaterschaftsurlaub nicht gekürzt wird. Zudem haben sich die Vernehmlassungsteilnehmenden, die eine der Varianten befürwortet haben, mehrheitlich für diesen Antrag ausgesprochen. Der Antrag der Minderheit II Wasserfallen Flavia geht über den Rahmen der Initiative hinaus und sieht einen längeren Urlaub vor als den, der dem verstorbenen Elternteil zugestanden hätte.

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2.3

Änderungen infolge «Ehe für alle»5

Die SGK-N beantragt einstimmig, die Vorlage zum Anlass zu nehmen, die redaktionellen und begrifflichen Änderungen vorzunehmen, die infolge des Inkrafttretens der «Ehe für alle» per 1. Juli 2022 notwendig sind. Der Vaterschaftsurlaub gilt bereits jetzt analog für die Ehefrau der Mutter gemäss Artikel 255a ZGB. Der Begriff «Vater» wird durch «anderer Elternteil» ersetzt. Die Begriffe «Vaterschaftsurlaub» und «Vaterschaftsentschädigung» müssen daher geändert werden zu «Urlaub des anderen Elternteils» und «Entschädigung für den anderen Elternteil». Diese Formulierung ermöglicht es somit, nicht nur den Vater, sondern auch die Ehefrau der Mutter einzubeziehen. Der Bundesrat begrüsst diese Änderungen, die für Klarheit sorgen.

2.4

Finanzielle Auswirkungen auf die EO

Nach Schätzungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) würde ein 14wöchiger Vaterschaftsurlaub beim Tod der Kindsmutter gemäss Mehrheitsantrag der SGK-N im Jahr 2024 rund 70 000 Franken kosten.

Die Kosten des Minderheitsantrags I Mettler werden für 2024 auf 120 000 Franken geschätzt, wovon 80 000 Franken auf den Urlaub für hinterbliebene Väter und 40 000 Franken auf den Urlaub für hinterbliebene Mütter entfallen würden.

Der Antrag der Minderheit II Wasserfallen Flavia schlüge im Jahr 2024 mit Gesamtkosten von 220 000 Franken zu Buche: 100 000 Franken müssten für den Urlaub beim Tod der Mutter und 120 000 Franken für den Urlaub beim Tod des Vaters aufgewendet werden.

Die einzelnen Anträge verursachen letztlich nur sehr geringfügige Kosten, die die EO ohne zusätzliche Finanzierungsquellen tragen kann.

2.5

Schlussfolgerung

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Vorlage einem tatsächlichen Bedürfnis entspricht. Die SGK-N schlägt eine Lösung mit einem ausgewogenen Kosten-NutzenVerhältnis vor, bei der das Interesse des Neugeborenen im Mittelpunkt steht. Aus diesen Gründen spricht sich der Bundesrat für die Einführung eines Urlaubs aus, der die Betreuung des Neugeborenen in den ersten Lebensmonaten sicherstellt.

Nach Ansicht des Bundesrates wird der Antrag der Minderheit I Mettler dem Initiativeziel und den Kriterien der Gleichbehandlung am besten gerecht. Ausserdem werden die Errungenschaften des Vaterschaftsurlaubs nicht infrage gestellt. Zudem war die Variante als Antrag der Mehrheit der SGK-N in die Vernehmlassung geschickt und von einer Mehrheit der Teilnehmenden, die sich für eine der Varianten aussprachen, gutgeheissen worden. Dem Antrag dieser Minderheit ist deshalb nach Ansicht des Bundesrates Folge zu geben.

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Änderung vom 18. Dezember 2020 des Zivilgesetzbuch; AS 2021 747.

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Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt Eintreten und Zustimmung zur Vorlage der Minderheit I Mettler.

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