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22.066 Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Baumängel) vom 19. Oktober 2022

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einer Änderung des Obligationenrechts (Baumängel).

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2002

M 02.3532

Bestimmungen über Architektur- und Bauleistungen im OR.

Schutz der Auftraggebenden (N 13.12.2002, Fässler-Osterwalder)

2011

M 09.3392

Stärkere Rechte der Bauherrschaft bei der Behebung von Baumängeln (N 02.03.2011, Fässler-Osterwalder; S 20.09.2011)

2018

M 17.4079

Praxistaugliches Bauhandwerker-Pfandrecht. Recht des Eigentümers auf die Stellung einer Ersatzsicherheit konkretisieren (N 16.03.2018, Burkart; S 19.09.2018)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

19. Oktober 2022

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ignazio Cassis Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2022-3368

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Übersicht Mit dieser Botschaft soll die Situation von Bauherren sowie Käuferinnen und Käufern von Grundstücken mit neu erstellten Bauten punktuell verbessert werden. Die Rechte der privaten Haus- und Stockwerkeigentümer, aber auch der professionellen Bauherren sollen ohne spürbare Nachteile für Bauunternehmer und Bauhandwerker gestärkt werden. Damit werden verschiedene parlamentarische Vorstösse erfüllt.

Ausgangslage Bauverträge fallen grundsätzlich unter die Regeln des Werkvertragsrechts und des Kaufvertragsrechts sowie allenfalls des Auftragsrechts. Bei Baumängeln ist das entsprechende Gewährleistungsrecht massgeblich. Diese weitgehend dispositiven Regelungen werden allerdings oft durch vertragliche Regelungen abgeändert und ergänzt.

Verschiedene parlamentarische Vorstösse verlangen die Überprüfung beziehungsweise die Anpassung der Haftung für Baumängel. Problematisch sind nach Ansicht des Bundesrates primär die geltenden Regeln zur Rüge von Baumängeln. Diese müssen grundsätzlich «sofort», das heisst innert weniger Tage, gerügt werden, andernfalls verwirken die entsprechenden Mängelrechte. Diese kurze Rügefrist und die Folgen ihrer Missachtung sind sowohl für privat als auch für professionelle Bauherren weder praktikabel noch sachlich gerechtfertigt.

Viele Probleme zeigen sich auch mit den weit verbreiteten vertraglichen Klauseln über die vollständige Wegbedingung der Mängelhaftung von Verkäufern oder Generalunternehmern unter gleichzeitiger Abtretung der Mängelrechte gegenüber den Subunternehmern. Diese Klauseln sind insbesondere in Verträgen mit privaten Käufern oder Bauherren zu finden. Sie benachteiligen diese jedoch erheblich, was bei Vertragsschluss aber zumeist nicht erkannt wird. Gleichzeitig sind die rechtliche Verbindlichkeit und Bedeutung solcher Klauseln oft unklar.

Problematisch sind darüber hinaus die Anforderungen an eine Ersatzsicherheit zur Abwendung der Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts. Die Rechtsprechung, wonach eine gleichwertige Ersatzsicherheit die Verzugszinsen für unbeschränkte Zeit decken muss, führt dazu, dass eine Realsicherheit in der Regel nicht genügt. Entsprechende Bankgarantien kann sich der Grundeigentümer selten verschaffen. Praktisch können Bauherren ein Bauhandwerkerpfandrecht daher oft nicht durch Leistung einer Ersatzsicherheit abwenden oder ablösen.
Inhalt der Vorlage Die Vorlage beschränkt sich auf die Neuregelung der Mängelrüge und der Wegbedingung des Nachbesserungsrechts sowie der Voraussetzungen der Ersatzsicherheit beim Bauhandwerkerpfandrecht.

Gemäss Entwurf soll sowohl bei offenen als auch bei versteckten Mängeln die Frist zur Rüge von Mängeln eines unbeweglichen Werkes neu 60 Tage betragen. Diese neue Rügefrist soll nicht nur für Werkverträge, sondern auch für Grundstückkaufverträge

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gelten. Die Regelung soll dispositiv sein, so dass die Parteien vertraglich davon abweichen können.

Der Entwurf sieht sodann vor, dass das Nachbesserungsrecht hinsichtlich Mängeln an Bauten, welche persönlichen oder familiären Zwecken dienen, unabdingbar sein soll. Ein Nachbesserungsrecht soll es neu auch bei Kaufverträgen über Grundstücke mit neu erstellten Bauten geben. Durch das unabdingbare Nachbesserungsrecht wird die für Haus- und Stockwerkeigentümer nachteilige Praxis der Kombination von Freizeichnung und Abtretung von Gewährleistungsansprüchen eingeschränkt.

Schliesslich soll eine Ersatzsicherheit zur Abwendung der Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts zukünftig die Verzugszinsen für zehn Jahre decken müssen und nicht wie bisher für unbeschränkte Zeit. Damit soll es den Grundeigentümern erleichtert werden, Realsicherheiten und vor allem Bankgarantien als Ersatzsicherheiten zu stellen.

Mit diesen Vorschlägen werden die Anliegen mehrerer parlamentarischer Vorstösse erfüllt beziehungsweise umgesetzt.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

6 6 6 6

2

Ausgangslage 1.1 Handlungsbedarf und Ziele 1.1.1 Die heutige Rechtslage 1.1.1.1 Vertrag über die Erstellung eines Bauwerks 1.1.1.2 Vertragsqualifikation bei zusätzlichem Grundstückserwerb 1.1.1.3 Verträge über den Erwerb von Stockwerkeigentum 1.1.1.4 Das Bauvertragsrecht in der Praxis 1.1.2 Parlamentarische Vorstösse 1.1.2.1 Motion 02.3532 1.1.2.2 Motion 09.3392 1.1.2.3 Parlamentarische Initiative 12.502 1.1.2.4 Parlamentarische Initiative 14.453 1.1.2.5 Motion 17.4079 1.1.3 Evaluation der heutigen Situation 1.1.4 Problematische Punkte 1.1.4.1 Mängelrügefrist 1.1.4.2 Kombinierte Freizeichnung und Abtretung von Gewährleistungsansprüchen 1.1.4.3 Weitere Schwierigkeiten 1.2 Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung 1.2.1 Punktuelle Revision statt Totalrevision des Werkvertragsrechts 1.2.2 Verzicht auf Anpassung der Verwirkung und Verjährung von Gewährleistungsansprüchen 1.2.3 Keine gesetzliche Regelung der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen bei Mängeln an gemeinschaftlichen Teilen im Stockwerkeigentum 1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates 1.4 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

7 8 9 10 10 10 11 11 11 12 13 13 15 18 20 20 20 21 21 21

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren 2.1 Vernehmlassungsvorlage 2.2 Zusammenfassung und Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens 2.3 Weitere Arbeiten

22 22

3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

24

4

Grundzüge der Vorlage 4.1 Die beantragte Neuregelung

26 26

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23 24

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4.1.1 4.1.2

4.2 4.3

Verlängerung der Rügefrist Nachbesserungsrecht für Bauherren und Erwerber von neu erstelltem Wohneigentum zur Eigennutzung 4.1.2.1 Beim Werkvertrag 4.1.2.2 Beim Grundstückkauf 4.1.3 Recht auf Stellung einer Ersatzsicherheit anstelle des Bauhandwerkerpfandrechts Übergangsrecht Umsetzungsfragen

26 27 27 28 29 30 31

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 5.1 Obligationenrecht 5.2 Zivilgesetzbuch

31 31 38

6

Auswirkungen 6.1 Auswirkungen auf den Bund 6.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete 6.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 6.4 Auswirkungen auf die Gesellschaft 6.5 Auswirkungen auf die Umwelt

39 39

Rechtliche Aspekte 7.1 Verfassungsmässigkeit 7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 7.3 Erlassform 7.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 7.5 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 7.6 Datenschutz

40 40 40 41 41 41 41

7

Literaturverzeichnis Obligationenrecht (Baumängel) (Entwurf)

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

1.1.1

Die heutige Rechtslage

Das Bauwesen ist komplex und technisch anspruchsvoll. An der Erstellung einer Baute sind in der Regel zahlreiche Akteure beteiligt. Manche von ihnen sind dabei gleichzeitig Partei mehrerer Vertragsverhältnisse. Meist besteht ein verzweigtes System von Unternehmern, Subunternehmern, Lieferanten, Unterlieferanten, Architekten und Planern. Die Herstellung einer Baute erfolgt damit über eine eigentliche «Kette» oder ein «Netzwerk» von Lieferanten und Bauhandwerkern sowie weiteren Dienstleistungserbringern. Derselbe Akteur ist nicht selten gleichzeitig sowohl Empfänger als auch Erbringer von Dienstleistungen. Oft tritt anfänglich ein professioneller Investor als Bauherr auf, allerdings mit der Absicht, das Grundstück zusammen mit der Baute nach oder sogar noch während ihrer Erstellung auf einen Dritten, den privaten Endnutzer, zu übertragen. Nach der Übertragung wird aus dem ursprünglichen Bauherrn also ein Verkäufer oder Unternehmer. Oftmals tritt auf der Gegenseite dann eine Privatperson, welche nicht gewerblich handelt, als Käufer oder neuer Bauherr auf.

Dabei unterstehen die Vertragsverhältnisse aber im Wesentlichen stets den rechtlichen Regeln des entsprechenden Vertragstyps.

1.1.1.1

Vertrag über die Erstellung eines Bauwerks

Zwischen dem Bauherrn und dem Unternehmer besteht in der Regel ein Bauwerkvertrag, welcher die Erstellung oder Änderung eines Bauwerks zum Gegenstand hat.

Beim Bauwerk kann es sich um ein ganzes Gebäude oder um Teile davon handeln, beispielsweise um die elektrischen Installationen, oder auch um Tiefbauten, zum Beispiel die Aushebung einer Baugrube und dergleichen.1 Geschuldet ist stets ein bestimmter Arbeitserfolg (ein «Werk»), weswegen sie als Werkverträge nach Artikel 363 ff. OR2 qualifiziert werden.3 Nach der Terminologie des Werkvertragsrechts ist der Bauherr «Besteller», die andere Partei «Unternehmer». Der Unternehmer eines Bauwerkvertrags kann die Arbeiten selber ausführen oder als Hauptunternehmer einige oder alle Arbeiten an Subunternehmer vergeben und so tatsächlich nur noch Koordinationsaufgaben wahrnehmen. Seinem Besteller bleibt er jedoch zur Erstellung des Werks verpflichtet. Unternehmer, die Arbeiten auf Subunternehmer übertragen,

1 2 3

Zum Gegenstand des Bauwerkvertrags GAUCH, Werkvertrag, Nr. 205 f.; TERCIER/BIERI/CARRON, Rz. 3565.

SR 220 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 205; TERCIER/BIERI/CARRON, Rz. 3508, 3527 ff.; siehe zum Werkbegriff statt vieler GAUCH, Werkvertrag, Nr. 14 ff. und TERCIER/BIERI/CARRON, Rz. 3510 ff.

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sind ihrerseits Besteller gegenüber den Subunternehmern. In der Praxis grosse Bedeutung hat sodann der Generalunternehmervertrag, bei welchem es sich um einen besonderen Bauwerkvertrag und damit ebenfalls um einen Werkvertrag im Sinne von Artikel 363 ff. OR handelt.4 Der Generalunternehmer verpflichtet sich gegenüber dem Bauherrn, ein Bauwerk zu erstellen oder erstellen zu lassen; er hat mithin eine Herstellungspflicht. Er kann dabei die Arbeiten selber beziehungsweise durch eigenes Personal ausführen oder teilweise oder vollständig an Subunternehmer vergeben.

Beim Totalunternehmervertrag verpflichtet sich der Unternehmer nicht nur zur Erstellung eines Werks, sondern auch zu dessen Planung. Auch dieser Vertrag ist als Werkvertrag im Sinne von Artikel 363 ff. OR zu qualifizieren.5

1.1.1.2

Vertragsqualifikation bei zusätzlichem Grundstückserwerb

In der Praxis von besonderer Bedeutung sind darüber hinaus aber auch Situationen, in welchen es nicht nur um die Erstellung einer Baute geht, sondern wo auch noch das entsprechende Grundstück erworben wird.

Der einfachere Fall ist der Erwerb eines Grundstücks mit einer bereits bestehenden Baute. Aufgrund des Akzessionsprinzips kann das Eigentum an einer Baute (ausser bei einem Baurecht nach Artikel 779 ff. ZGB6) nur durch das Eigentum am Grundstück, auf welchem sie steht, erworben werden.7 Der Vertrag über den Erwerb eines Grundstücks mit einer im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits erstellten Baute ist als Grundstückkaufvertrag im Sinne von Artikel 216 ff. OR zu qualifizieren. Für die Qualifikation des Rechtsgeschäfts ist es grundsätzlich nicht von Bedeutung, ob es sich um eine Neubaute oder um eine schon länger bestehende Baute handelt. Allerdings treten dabei typischerweise unterschiedliche Fragen in den Vordergrund: Bei einer Neubaute, welche erst vor kürzerer Zeit erstellt worden ist und welche noch nie entsprechend genutzt wurde, sind in vielen Fällen noch Baumängel vorhanden. Oft handelt es sich dabei um Mängel, welche bei Vertragsschluss oder Übernahme des Grundstücks noch nicht sichtbar waren. So kann es beispielsweise Monate oder gar Jahre dauern, bis mangelhaft abgedichtetes Mauerwerk oder ein schlecht erstelltes Flachdach so stark durchfeuchtet ist, dass der Mangel sichtbar wird. Bei einer seit längerer Zeit genutzten Baute wurden die schwerwiegendsten Baumängel hingegen zumeist entweder bereits beseitigt, oder sie sind in der Zwischenzeit wenigstens sichtbar geworden. Dort geht es für die Käuferin oder den Käufer eher darum, den Restwert des Gebäudes zuverlässig einzuschätzen. Der Käufer einer Neubaute befindet sich also trotz der Qualifikation als Kaufvertrag in einer ähnlichen Situation wie ein Bauherr bei einem Bauwerkvertrag. Diese Ähnlichkeit wird noch dadurch verstärkt, dass der Verkäufer oft selbst die Baute erstellt hat oder hat erstellen lassen, er mithin eine relativ grosse Nähe zum Herstellungsprozess hat, was beim Verkäufer einer älteren Baute in der Regel nicht zutrifft.

4 5 6 7

Vgl. BGE 114 II 53 E. 2b.

BGE 117 II 273 E. 3a.

SR 210 Das Akzessionsprinzip kommt insbesondere in Art. 667 Abs. 2 ZGB zum Ausdruck.

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Der rechtlich komplexere Fall ist sodann der Erwerb eines Grundstücks mit geplanter Neubaute. welche also im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht besteht. Den Parteien stehen in solchen Fällen grundsätzlich drei Möglichkeiten der vertraglichen Gestaltung offen:8 Sie können entweder zwei getrennte Verträge, das heisst einen Werkvertrag (Art. 363 ff. OR) und einen Grundstückkaufvertrag (Art. 216 ff. OR), abschliessen oder einen einzigen gemischten Vertrag, welcher die kaufrechtliche Leistungspflicht mit der werkvertraglichen Herstellungspflicht verbindet (einen sog.

«Grundstückkauf mit Bauleistungspflicht»9).

Die dritte Möglichkeit besteht darin, den Sachverhalt als Kauf einer künftigen Sache zu regeln. Welche vertragliche Regelung die Parteien gewollt haben, ist aufgrund der konkreten Ausgestaltung der Leistungspflichten im Rahmen der Vertragsauslegung zu entscheiden. Sieht der Vertrag vor, dass die Handänderung sofort nach Vertragsschluss zu erfolgen hat, so können die noch zu erbringenden Bauleistungen zur Erstellung oder Fertigstellung der Baute nur noch Gegenstand eines Werkvertrages sein, denn die Eigentumsverschaffung an der Baute ist aufgrund des Akzessionsprinzips nicht mehr erforderlich und ein Kaufvertrag darüber rechtlich auch nicht mehr möglich.10 Wird die Handänderung hingegen aufgeschoben, so ist die Unterscheidung schwieriger: Ist eine eigentliche Herstellungspflicht vereinbart worden, worauf namentlich die Möglichkeit des Erwerbers zur Einflussnahme auf den Arbeitsprozess hindeutet, beispielsweise durch Genehmigung und Änderung der Pläne, so liegt in der Regel ein gemischter Vertrag mit werkvertraglichen Elementen vor; wäre eine solche Einflussnahme nicht möglich gewesen und hätte der Veräusserer die Baute ohnehin in dieser Form hergestellt und veräussert, so deutet dies auf einen Kaufvertrag hin.11 Bisweilen wird eine Qualifikation des Rechtsgeschäfts nach diesen Kriterien schwierig sein und zu zufälligen Resultaten führen. Die Parteien können durch entsprechende Abreden die Vertragsqualifikation auch bewusst steuern.

1.1.1.3

Verträge über den Erwerb von Stockwerkeigentum

Stockwerkeigentum ist der Miteigentumsanteil an einem Grundstück, der dem Miteigentümer das Sonderrecht gibt, bestimmte Teile eines Gebäudes ausschliesslich zu benutzen und innen auszubauen (Art. 712a Abs. 1 ZGB). Als Miteigentumsanteil an einem Grundstück gilt das Stockwerkeigentum ebenfalls als Grundstück (vgl.

Art. 655 Abs. 2 Ziff. 4 ZGB) und der Erwerb von Stockwerkeigentum als Grundstückkauf.12 Das Stockwerkeigentum wird durch Eintragung im Grundbuch begründet (Art. 712d Abs. 1 ZGB). Obwohl Stockwerkeigentum grundsätzlich den Bestand eines Gebäudes mit sonderrechtsfähigen Räumen (vgl. dazu Art. 712b Abs. 1 ZGB) voraussetzt, ist die Begründung von Stockwerkeigentum unter gewissen Voraussetzung auch vor der 8 9 10 11 12

Siehe dazu grundlegend BGE 117 II 259 E. 2b.

Siehe dazu ausführlich GAUCH, Werkvertrag, Nr. 347 ff.

Vgl. STÖCKLI, Stockwerkeigentum, S. 8.

Vgl. zur Herstellungspflicht m.w.H. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 127; STÖCKLI, Stockwerkeigentum, S. 7; TERCIER/BIERI/CARRON, Rz. 3538.

Vgl. auch KRAUSKOPF, S. 119; KRAUSKOPF/MÄRKI, S. 57.

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Erstellung des Gebäudes möglich. Dazu muss namentlich der Aufteilungsplan, welcher die Ausscheidung der im Sonderrecht stehenden Teile aufzeigt, eingereicht werden (Art. 69 Abs. 1 GBV13). Damit ist auch die Übertragung von Stockwerkeigentum vor Erstellung des Gebäudes, also der sogenannte «Erwerb von Stockwerkeigentum ab Plan», möglich. Für die Vertragsqualifikation dieses Geschäfts sind im Wesentlichen dieselben Überlegungen relevant wie beim Erwerb eines Grundstücks mit geplanter Neubaute (siehe dazu oben 1.1.1.2).14 Erfolgt die Handänderung unmittelbar nach Vertragsschluss und noch bevor das Gebäude im Wesentlichen fertiggestellt ist, so liegt betreffend das Grundstück und die allenfalls bereits erstellten Teile des Gebäudes wiederum ein Grundstückkaufvertrag vor, und betreffend die noch zu erstellenden Teile ein Werkvertrag. Wird das Stockwerkeigentum erst nach Abschluss aller wesentlicher Bauarbeiten auf die Erwerberin oder den Erwerber übertragen, so kann es sich wiederum um einen gemischten Vertrag mit kauf- und werkvertraglichen Elementen handeln oder um einen reinen Kaufvertrag. Entscheidend ist auch hier, ob eine Herstellungspflicht vereinbart wurde.

1.1.1.4

Das Bauvertragsrecht in der Praxis

Nach dem Gesagten bestimmt sich die Rechtsposition der in die Erstellung oder Übertragung einer Neubaute involvierten Parteien untereinander somit in erster Linie nach dem Werkvertragsrecht (Art. 363 ff. OR) oder dem Grundstückkaufvertragsrecht (Art. 216 ff. OR). Zusätzlich gelangen insbesondere die allgemeinen Bestimmungen des OR zur Anwendung (Art. 1 ff. OR) und betreffend das Grundstück die Bestimmungen über das Grundeigentum (Art. 655 ff. ZGB). Die Regeln des OR sind grösstenteils dispositiver Natur, weswegen die Parteien weitgehende vertragliche Vereinbarungen treffen können. Dies kommt in der Praxis auch regelmässig vor, nicht zuletzt, weil das Gesetzesrecht eine verhältnismässig niedrige Regelungsdichte aufweist, die Parteien angesichts der Tragweite und Komplexität des Geschäfts aber Bedarf an spezifischen Regeln mit einem hohen Konkretisierungsgrad haben.

Dafür haben sich Musterverträge gebildet, die oft verwendet werden. Bekanntestes Beispiel hierfür dürften die Normen des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) sein, wobei die SIA-Norm 118 Regeln über Bauwerkverträge enthält.

Solche Musterverträge sind in der Regel als allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zu qualifizieren und gelten nur, soweit sie von den Parteien übernommen wurden.15 Bei Verträgen, mit welchen auch Grundstücke übertragen werden sollen, kommen in der Praxis oft Musterverträge von Notarinnen oder Notaren zur Anwendung. Bei Stockwerkeigentum oder Reiheneinfamilienhäusern erstellt die Notarin oder der Notar die Vertragsdokumente oft im Auftrag des Unternehmers oder Verkäufers für

13 14

15

Grundbuchverordnung vom 23. September 2011; SR 211.432.1.

Vgl. dazu bspw. BGer 4C.301/2002 vom 22. Januar 2003 E. 2; dazu im Allgemeinen auch KRAUSKOPF/MÄRKI, S. 58 ff.; KRAUSKOPF, S. 118 ff.; STÖCKLI, Stockwerkeigentum, S. 11 ff.

BGE 118 II 295 E. 2a.

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sämtliche Vertragsparteien. Solche Musterverträge können nach Auffassung der Lehre als AGB gelten.16

1.1.2

Parlamentarische Vorstösse

Anlass für die Vorlage und die vorgeschlagenen Änderungen bilden verschiedene parlamentarische Vorstösse, welche die rechtlichen Beziehungen der im Bauwesen beteiligten Akteure betreffen und die insbesondere die rechtliche Stellung der Bauherren oder der Käufer neuerstellter Bauten verbessern wollen. Neben den nachfolgend erwähnten Motionen wurde auch zwei parlamentarischen Initiativen Folge geben, die in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen, sodass sie im Rahmen dieser Revision umgesetzt werden können.

1.1.2.1

Motion 02.353217

Mit der Motion 02.3532 sollte der Bundesrat beauftragt werden, die Bestimmungen über Architektur- und Baudienstleistungen im Obligationenrecht unter einem neuen Titel zusammenzufassen, zeitgemäss zu formulieren und zu ergänzen, insbesondere mit präzisen gesetzlichen Rüge-, Garantie- und Haftungsfristen, mit einer gesetzlichen Pflicht der Auftragnehmer zum Nachweis einer Bank- oder Versicherungsgarantie zur Sicherstellung von Garantie- und Haftungsansprüchen der Auftraggeberschaft, mit einer gesetzlichen Regelung des Generalunternehmervertrags, mit einer gesetzlichen Pflicht des Anbieters zur Mängelbeseitigung nach Fertigstellung sowie einer Kausalhaftung bei Architekturleistungen analog zu werkvertraglichen Leistungen. Der Nationalrat überwies die Motion am 13. Dezember 2002 gemäss Antrag des Bundesrates in Form eines Postulats.

1.1.2.2

Motion 09.339218

Die Motion 09.3392 beauftragt den Bundesrat, vertiefte Abklärungen zur Verstärkung des Schutzes von Bauherren bei der Behebung von Baumängeln im Bereich der Architektur- und Baudienstleistungen zu treffen und gestützt darauf einen konsistenten Lösungsvorschlag für die aufgezeigten Probleme auszuarbeiten. Zu prüfen seien insbesondere die Frage der Schaffung eines besonderen Bau- und Architekturvertrages und die Unterstellung aller Architekturleistungen unter eine kausale Haftung für Mängel sowie die geltenden Rüge- und Garantiefristen und die Haftung des Unternehmers für verdeckte Mängel.

16 17 18

Vgl. dazu ERICH RÜEGG, in: Grundstückkauf, Rn 139; SCHMID, S. 56 ff.; STÖCKLI/AESCHIMANN, S. 84 ff. und 93.

Motion Fässler-Osterwalder 02.3532 vom 2. Oktober 2002 («Bestimmungen über Architektur- und Bauleistungen im OR. Schutz der Auftraggebenden»).

Motion Fässler-Osterwalder 09.3392 vom 29. April 2009 («Stärkere Rechte der Bauherrschaft bei der Behebung von Baumängeln»).

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1.1.2.3

Parlamentarische Initiative 12.50219

Die parlamentarische Initiative 12.502 verlangt eine Anpassung des Werkvertragsrechts in Artikel 370 Absatz 3 OR dahingehend, dass verdeckte Mängel innert 60 Tagen nach der Entdeckung gerügt werden müssen. Das geltende Recht überfordere mit seiner sofortigen Rügepflicht in der Praxis oft insbesondere private Bauherren, aber auch Baufachleute, sodass die sehr kurzen Fristen verpasst würden und damit sämtliche Mängelrechte verloren gingen. Am 25. Oktober 2013 hat die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates der parlamentarischen Initiative Folge gegeben. Am 3. Juli 2014 hat die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates ihre Zustimmung erteilt.

1.1.2.4

Parlamentarische Initiative 14.45320

Die parlamentarische Initiative 14.453 verlangt eine Anpassung des Kaufvertragsrechts dahingehend, dass gemäss einem neuen Absatz 4 von Artikel 219 OR der Käufer eines Miteigentumsanteils eines Grundstücks mit einer Baute, die weniger als ein Jahr vor dem Verkauf überwiegend neu erstellt wurde, bei Mängeln der Baute das unabdingbare Recht hat, vom Verkäufer die unentgeltliche Beseitigung der Mängel zu verlangen, sofern dies dem Verkäufer nicht übermässige Kosten verursacht. Mängel müssten dem Verkäufer dabei innert 60 Tagen nach der Entdeckung angezeigt werden. Beim Erwerb von neu erstellten Eigentumswohnungen werde die Haftung des Verkäufers regelmässig wegbedungen, und an deren Stelle werden dem Käufer die Mängelrechte des Verkäufers gegen seine Unternehmer abgetreten, was für den Käufer oft nachteilig sei. Am 12. November 2015 hat die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates der parlamentarischen Initiative Folge gegeben. Am 2. Februar 2016 hat die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates ihre Zustimmung erteilt.

1.1.2.5

Motion 17.407921

Die Motion 17.4079 beauftragt den Bundesrat, im Rahmen der Revision des Bauvertragsrechts die Bestimmungen zum Bauhandwerkerpfandrecht in der Weise zu konkretisieren, dass das Recht des Grundeigentümers, eine Ersatzsicherheit zu stellen, wieder die Bedeutung erlangt, die ihm vom Gesetzgeber zugedacht worden ist.

Die Anforderung einer zeitlich unbeschränkten Sicherstellung der Verzugszinsen führe dazu, dass die Höhe der Ersatzsicherheit nicht zum Voraus bestimmbar sei und

19 20 21

Parlamentarische Initiative Hutter 12.502 vom 14. Dezember 2012 («Für faire Rügefristen im Werkvertragsrecht»).

Parlamentarische Initiative Gössi 14.453 vom 25. September 2014 («Für verbindliche Haftungsregeln beim Kauf neuer Wohnungen»).

Motion Burkart 17.4079 vom 13. Dezember 2017 («Praxistaugliches Bauhandwerkerpfandrecht. Recht des Eigentümers auf Stellung von Ersatzsicherheit konkretisieren»).

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daher in der Praxis Schwierigkeiten bei der Ablösung durch Bankgarantien und Realsicherheiten verursache. Der Nationalrat hat die Motion am 16. März 2018, der Ständerat am 19. September 2018 angenommen.

1.1.3

Evaluation der heutigen Situation

Im Rahmen der Arbeiten zu dieser Vorlage wurde in Umsetzung der Motionen 02.353222 und 09.339223 die heutige Situation hinsichtlich in der Praxis auftretender Probleme untersucht. Der Bundesrat erachtet das heutige Recht grundsätzlich als zweckmässig, das heisst die heutigen Rechtsgrundlagen sind grundsätzlich geeignet, die Materie zu regeln. Aufgrund seiner weitestgehend dispositiven Natur lässt das heutige Gesetzesrecht ohnehin viel Raum für vertragliche Vereinbarungen der Parteien. Ebenso kann das heutige Recht grundsätzlich als ausgewogen bezeichnet werden. Eine systematische Benachteiligung der Bauherren liegt nicht vor. Insbesondere ist das werkvertragliche Gewährleistungsrecht (Art. 367 f. OR) grundsätzlich relativ vorteilhaft für den Besteller. So sind die praktisch sehr wichtigen Rechtsbehelfe der Wandelung, Minderung und Nachbesserung (Art. 368 OR) im Gesetz klar ausgestaltet, und ihre Ausübung ist verhältnismässig einfach und bedarf keiner gerichtlichen Mitwirkung. Auch unterliegen sie im Vergleich zur ursprünglichen Hauptleistungspflicht keinen Einschränkungen; sie knüpfen insbesondere nicht an ein Verschulden des Unternehmers an. Im Grundsatz ist somit insbesondere das für die Situation der Besteller respektive Bauherren so wichtige Gewährleistungsrecht relativ bauherrenfreundlich. Dasselbe gilt für den Grundstückkaufvertrag und die kauvertraglichen Mängelrechte (Art. 197 ff. und Art. 219 OR).

Das bedeutet allerdings nicht, dass es unter dem heutigen Recht nicht Probleme und unbefriedigenden Situationen geben würde. Bekanntlich besteht im Schweizer Recht heute kein gesetzlicher Typ des «Bauwerkvertrags». Mit den Artikeln 371 Absatz 1 und 2 sowie Artikel 375 Absatz 2 OR bestehen nur wenig Bestimmungen über unbewegliche Werke beziehungsweise Bauten. Mit dem Grundstückkaufvertrag besteht im Kaufrecht zwar ein spezifischer Vertragstyp, dieser ist jedoch relativ rudimentär geregelt und unterscheidet nicht zwischen dem Kauf eines Grundstücks mit schon länger bestehender Baute und dem Kauf eines Grundstücks mit einer neuerstellten Baute.

Diese mangelnde Differenzierung des Gesetzes führt in der Praxis punktuell zu Problemen. Überdies kommt der Vertragspraxis im Bauwesen eine wichtige Rolle zu (siehe dazu oben Ziff. 1.1.1.4). Diese relativ grosse Bedeutung der vertraglichen Vereinbarungen
ist insofern kritisch, als insbesondere im günstigeren Preissegment des Marktes für Wohneigentum der Unternehmer oder Verkäufer dem Bauherrn oder der Käuferin oder dem Käufer gegenüber oft in einer stärkeren Position ist. Der Bauherr oder Käufer gelangt mit der Erstellung der Baute beziehungsweise dem Erwerb der Immobilie vielfach schon an seine finanziellen Grenzen und verfügt meist nicht über vertiefte baufachliche und rechtliche Kenntnisse. Der Unternehmer oder Verkäufer hingegen ist meist im Rahmen seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit betroffen und verfügt entsprechend über grössere finanzielle Mittel und Erfahrung. In der 22 23

Siehe dazu oben Ziff. 1.1.1.1.

Siehe dazu oben Ziff. 1.1.1.2.

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Praxis haben sich dementsprechend problematische Vertragsklauseln entwickelt, welche die Bauherren oder Käufer erheblich benachteiligen.

1.1.4

Problematische Punkte

1.1.4.1

Mängelrügefrist

Um Gewährleistungsansprüche durchzusetzen, hat der Käufer oder Besteller die Kaufsache oder das Werk nach der Ablieferung zunächst zu prüfen und allfällige Mängel gegenüber dem Unternehmer oder Verkäufer zu rügen (vgl. Art. 201 Abs. 1 und Art. 367 Abs. 1 OR). Erkennbare Mängel (sog. «offene» Mängel) sind sofort nach Abschluss der Prüfung zu rügen und Mängel, welche bei der gesetzlich vorgeschriebenen Prüfung nicht erkennbar waren (sog. «versteckte» oder «geheime» Mängel), sofort nach ihrer Entdeckung zu rügen («Sofort-Rüge»). Im Kaufvertragsrecht kommt das Prinzip der Sofort-Rüge im Gesetz zum Ausdruck (vgl. Art. 201 Abs. 1 und 3 OR), im Werkvertragsrecht jedoch nur für versteckte Mängel (Art. 370 Abs. 3 OR).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts besteht aber auch für offene Mängel die Pflicht zur Sofort-Rüge.24 Bei der Beurteilung, ob eine Rüge rechtzeitig erfolgt ist, muss auf die konkreten Umstände des Einzelfalls, insbesondere auf die Art der Mängel, abgestellt werden. Als Richtwert für die Sofort-Rüge können nach der bundesgerichtlichen Praxis sieben Tage gelten; wenn es sich um einen Mangel handelt, bei dem die Gefahr besteht, dass ein Zuwarten zu einem grösseren Schaden führen kann, kann auch eine kürzere Frist geboten sein.25 Die Frist beginnt mit der Entdeckung des Mangels. Ein Mangel gilt dabei als entdeckt, wenn der Besteller davon solche Kenntnis erlangt hat, dass er eine genügend substanziierte Rüge erheben kann.26 Der Besteller muss in der Mängelrüge die einzelnen Mängel substanziiert bezeichnen und zum Ausdruck bringen, dass er das abgelieferte Werk nicht als vertragsgemäss anerkennt und den Unternehmer haftbar machen will.27 Die Beweislast für die Rechtzeitigkeit der Rüge liegt beim Besteller beziehungsweise Käufer.28 Unterbleibt die Mängelrüge, so gilt das Werk oder die Kaufsache hinsichtlich dieses Mangels als genehmigt und der Besteller oder Käufer verliert diesbezüglich sämtliche Mängelrechte (vgl. Art. 201 Abs. 2 und Art. 370 Abs. 1 und 2 OR).

Die Mängelrüge stellt für Bauherren heute in der Praxis ein sehr grosses Problem dar.

Primär für private Einmalbauherren ist die geltende Rechtslage kaum beherrschbar

24

25

26 27 28

Vgl. dazu bspw. BGer 4A_251/2018 vom 11. September 2018 E. 3.1; BGer 4A_231/2016 vom 12. Juli 2016 E. 2.2; BGer 4A_53/2012 vom 31. Juli 2012 E. 5.1; GAUCH, Werkvertrag, Nr. 2141 ff.

Vgl. dazu BGE 118 II 142 E. 3b; 107 II 172 E. 1a und b; BGer 4A_53/2012 vom 31. Juli 2012 E. 6.2; BGer 4A_82/2008 vom 29. April 2009 E. 7.1; BGer 4C.82/2004 vom 3. Mai 2004 E. 2.3 und zuletzt ausführlich BGer 4A_399/2018 vom 8. Februar 2019 E. 3.2.

BGE 131 III 145 E. 7.2; BGer 4A_293/2017 vom 13. Februar 2018 E. 2.2.3; BGer 4C.205/2003 vom 17. November 2003 E. 3.2.

BGE 107 II 172 E. 1a; zuletzt etwa BGer 4A_261/2020 vom 10. Dezember 2020 E. 7.2.1 und BGer 4A_293/2017 vom 13. Februar 2018 E. 2.2.2.

BGE 118 II 142 E. 3a; 107 II 172 E. 1a.

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und daher unbefriedigend;29 sie führt jedoch auch bei professionellen Bauherren immer wieder zu Unsicherheiten und Überraschungen.30 Die Probleme ergeben sich hauptsächlich aus der Kombination der äusserst kurzen Frist zur Ausübung der Mängelrüge mit der Rechtsfolge der vollständigen Verwirkung sämtlicher Mängelrechte bei unterlassener, verspäteter oder nicht genügend substanziierter Mängelrüge. Der Bauherr muss dann ungeachtet des Ausmasses der Mängel die volle Vergütung leisten und die Kosten für die Beseitigung der Mängel selber tragen. Die kurze Frist überfordert in der Praxis viele Bauherren, da sie oft nicht in der Lage sind, nach dem Auftreten von Mängeln deren rechtliche Bedeutung zu erkennen und innert Frist eine Mängelrüge zu erheben, welche den inhaltlichen Anforderungen genügt.

Diese Problematik betrifft offene wie auch versteckte Mängel. Bei offenen Mängeln widerspricht die kurze Rügefrist dem Rechtsempfinden, da der Unternehmer oder Verkäufer als Fachperson oder Ersteller des Gebäudes bessere Kenntnis über dessen Zustand als der Bauherr hat. Bei versteckten Mängeln besteht zusätzlich die Problematik, dass die Mängel schleichend, oft während Wochen oder Monaten, erkennbar werden, ab einem gewissen Zeitpunkt aber plötzlich innert Tagen gerügt werden müssen. Gerade Laien erkennen die Tragweite und rechtliche Bedeutung der ersten Manifestation der Mängel oft nicht. Zudem ist beim schleichenden Auftreten von Mängeln der Zeitpunkt, ab welchem die Mängel als erkennbar gelten, in vielen Fällen objektiv nicht so präzise feststellbar, dass eine derart kurze Rügefrist noch verhältnismässig erscheinen würde.

Daher widerspricht die extreme zeitliche Dringlichkeit einer Mängelrüge dem allgemeinen Rechtsempfinden. Der relativ unklare Beginn des Fristenlaufs verbunden mit der sehr kurzen Frist schaffen auch erhebliche Anreize für Rechtstreitigkeiten, selbst wenn der Bestand der Mängel und die grundsätzliche Verantwortlichkeit des Unternehmers offensichtlich sind. Das kann für private Bauherren dramatisch oder gar ruinös sein. Eine zwingende Rechtfertigung für eine derart strenge Regelung gibt es bei Bauwerkverträgen nicht. Die betreffende Regelung für den Werkvertrag wurde aus dem Kaufrecht übernommen. Sie war ursprünglich auf den handelsrechtlichen Distanzkauf gemünzt, wurde vom Gesetzgeber aber
zur allgemeinen Regel erhoben.31 Das Bundesgericht und die Lehre haben für diese Regel nachträglich verschiedene Begründungen herangezogen: Im Interesse der Rechtssicherheit sei eine rasche Klarstellung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse erforderlich, weswegen dem Verkäufer möglichst bald Gewissheit darüber verschaffen werden soll, ob die Ware genehmigt werde.32 Der Verkäufer soll von Beanstandungen rechtzeitig Kenntnis erhalten, damit er sich durch eigene Prüfung ein Urteil über die Begründetheit der Rüge bilden und beurteilen könne, ob er die Mängel zu vertreten habe.33 Auch soll die kurze Rügefrist verhindern, dass der Käufer rasche Konjunkturschwankungen zu Lasten des Verkäufers ausnutze, indem er nach dem Kauf fallende Preise abwarte und hernach Wandelung des Geschäfts verlange, um sich die Sache anderswo günstiger zu 29 30 31 32 33

STÖCKLI, Gutachten, Rz. 36, erachtet die heutige Rechtslage als «geradezu stossend».

Vgl. dazu BGer 4A_53/2012 und BGer 4A_55/2012 je vom 31. Juli 2012.

So THEODOR BÜHLER, N 3 ff. zu Art. 367 OR.

BGE 91 II 216; 88 II 365 E. 2; vgl. bspw. auch BGer 4A_53/2012 vom 31. Juli 2017 E. 6.2; BGer 4C.159/1999 vom 28. Juli 2000 E. 1b/bb.

BECKER, N 1 zu Art. 201 OR.

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besorgen.34 Diese Argumente überzeugen für Verträge über Grundstücke nicht, und auch für Werkverträge im Allgemeinen können sie nur teilweise als Begründung für eine Pflicht zur sofortigen Rüge dienen. Vertragsgegenstand bei Werkverträgen sind gerade für den einzelnen Besteller individuell angefertigte Werke und nicht standardisierte Güter. Ein rascher Weiterverkauf an Dritte steht in der Regel nicht zur Diskussion. Gelegentlich wird auch das Argument vorgebracht, der Unternehmer oder Verkäufer müsse davor geschützt werden, für die durch einen «weiterfressenden» Mangel entstandenen Schäden in Anspruch genommen zu werden, welche durch eine frühere Mängelrüge hätten vermieden werden können. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten kann jedoch mehr als in früheren Zeiten festgestellt werden, welche Schäden durch ein unnötiges Zuwarten entstanden sind. Aus der allgemeinen Schadenminderungspflicht hat der Bauherr sodann Mängel, welche durch Zuwarten einen grösseren Schaden bewirken, ohnehin unverzüglich zu rügen.35 Ein Schutz des Unternehmers durch eine sofortige Rügefrist, deren Verstreichenlassen durch Verwirkung sämtlicher Mängelrechte des Bauherrn sanktioniert wird, ist also weder notwendig noch gerechtfertigt.36 Das Bundesgericht hat sich zwar in jüngsten Entscheiden der Kritik an der kurzen Rügefrist angenommen und verschiedentlich klargestellt, dass dem Besteller oder Käufer durchaus eine kurze Bedenkzeit zustehe und es sich bei der siebentägigen Frist nur um einen Richtwert, keinesfalls aber um eine starre Regel handle.37 Ebenso hat es klargestellt, dass versteckte Mängel, die schleichend auftreten, nicht bereits bei ersten Anzeichen als entdeckt gelten, sondern erst, wenn ihre Bedeutung und ihr Ausmass erkennbar sind.38 Am gesetzlich verankerten Grundsatz der «Sofort-Rüge» ändert das aber nichts.

1.1.4.2

Kombinierte Freizeichnung und Abtretung von Gewährleistungsansprüchen

Häufig erfolgt in Verträgen über den Erwerb von Grundstücken mit neuerstellten Bauten eine Beschränkung oder weitgehende Wegbedingung der Haftung des Verkäufers oder Unternehmers im Gegenzug zur Abtretung seiner Gewährleistungsansprüche gegen seine Subunternehmer an den Käufer oder Bauherrn.39 Ziel dieser Vertragsklauseln ist es, dass sich der Käufer für Baumängel nicht an den Verkäufer oder Unternehmer halten können soll, sondern den oder die Subunternehmer in Anspruch nehmen kann, gegen welche der Verkäufer oder Unternehmer sonst selber vorgehen

34 35 36

37 38 39

BGE 88 II 365; BECKER, N 1 zu Art. 201 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, N 3 und 22 zu Art. 201 OR.

Siehe zur Schadenminderungspflicht im Einzelnen unter Ziff. 5.1 die Kommentierung zu Art. 219a E-OR.

Vgl. auch die umfassende Kritik an dieser Regel von THEODOR BÜHLER, N 62 ff. zu Art. 367 OR; auch gemäss STÖCKLI, Gutachten, Rz. 36, korrespondiert kein schützenswertes Interesse des Unternehmers mit dieser Belastung des Bauherrn durch die Rügepflicht.

Siehe dazu BGer 4A_399/2018 vom 8. Februar 2019 E. 3.2.; BGer 4A_261/2020 vom 10. Dezember 2020 E. 7.2.1; BGer 4A_205/2020 vom 13. Juli 2021 E. 3.1.1.

BGE 131 III 145 E. 7.2; BGer 4A_261/2020 vom 10. Dezember 2020 E. 7.2.1.

Vgl. zu dieser Praxis auch m.w.H. KRAUSKOPF/MÄRKI, S. 69 f. und 79 ff.

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müsste. Solche Klauseln treten besonders in Kaufverträgen über Grundstücke mit neuerstellten Bauten, aber teilweise auch in Generalunternehmerverträgen auf, und sie sind besonders beim Erwerb von Stockwerkeigentum oder Reiheneinfamilienhäusern verbreitet, und dort vorwiegend im günstigeren Preissegment.

Die rechtliche Wirksamkeit dieser Klauseln unterliegt gewissen Beschränkungen. So sind im Zusammenhang mit solchen Klauseln die allgemeinen Schranken der Freizeichnung von Artikel 100 und 199 OR zu berücksichtigen; die Freizeichnung ist somit hinsichtlich grobfahrlässig oder vorsätzlich verschuldeter wie auch hinsichtlich arglistig verschwiegener Mängel unwirksam. Für Hilfspersonen wie beispielsweise Subunternehmer kann die Haftung dagegen vollständig wegbedungen werden (Art. 101 Abs. 2 OR).40 Ebenso ist eine Abtretung von Gewährleistungsansprüchen, mit Ausnahme des Nachbesserungsrechts, nicht wirksam; erst die durch die Ausübung der Mängelrechte entstandenen Forderungen können abgetreten werden.41 Diesen offensichtlichen Mängeln solcher Klauseln wird in der Praxis durch ähnliche Konzepte teilweise Rechnung getragen; so wird beispielsweise nur das Nachbesserungsrecht abgetreten und die übrigen Rechte werden wegbedungen, oder es wird versucht, die erwähnten Schranken zu umgehen, indem der Käufer oder Bauherr vom Verkäufer oder Unternehmer bevollmächtigt wird, dessen Mängelrechte gegenüber den Subunternehmern auszuüben und den etwaigen Minderungsbetrag einzuziehen, anstatt die eigenen Mängelrechte geltend zu machen. Bei der rechtlichen Verbindlichkeit solcher Klauseln sind neben der Frage der Zulässigkeit der Freizeichnung und der Abtretbarkeit der Mängelrechte auch die für AGB geltenden Grundsätze zu beachten, namentlich die Frage der wirksamen Übernahme, sowie der Unklarheits- und Ungewöhnlichkeitsregel und einer etwaigen Anwendbarkeit von Artikel 8 des Bundesgesetzes vom 19. Dezember 198642 über den unlauteren Wettbewerb (UWG). Ob Bauherren, welche für private Zwecke ein Haus bauen lassen oder ein Grundstück kaufen, als Konsumentinnen oder Konsumenten im Sinne von Artikel 8 UWG gelten, ist nicht abschliessend geklärt; eine solche Auslegung ist jedoch denkbar und wird in der Lehre teilweise vertreten, denn der Konsumentenbegriff nach Artikel 8 UWG ist autonom und in Anlehnung an Artikel 3 Absatz
1 RL 93/13/EWG43 auszulegen und nicht etwa in Übereinstimmung mit Artikel 32 Absatz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)44 oder Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe e des Konsumkreditgesetzes vom 23. März 200145, sodass auch ein Konsumentengeschäft vorliegen kann, wenn Vertragsgegenstand eine

40 41

42 43 44 45

Vgl. im Einzelnen zur Freizeichnung im Zusammenhang mit solchen Vertragsklauseln: KRAUSKOPF/MÄRKI, S. 70 ff.; STÖCKLI, Stockwerkeigentum, S. 14; BGE 114 II 239 E. 5c/aa, bb mit Verweis auch GAUCH, Werkvertrag, 3. Aufl., Nr. 1781 ff.; vgl. auch KRAUSKOPF/MÄRKI, S. 79 ff. und STÖCKLI, Stockwerkeigentum, S. 17.

SR 241 RL 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. L 95 vom 21.4.1993, S. 29.

SR 272 SR 221.214.1

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Leistung ist, welche weit über den laufenden Gebrauch hinausgeht.46 Da diese Schutzbestimmung relativ hohe Anforderungen stellt und sehr offen formuliert ist und eine gerichtliche Klärung der entscheidenden Fragen bislang fehlt, bietet sie in der Praxis jedoch keinen effektiven Schutz vor solchen Klauseln. Obwohl die zivilrechtliche Zulässigkeit solcher Klauseln also unklar ist und für jeden Einzelfall geprüft werden müsste, werden sie regelmässig öffentlich beurkundet und finden sich auch in den Musterverträgen vieler Notarinnen und Notare.47 Solche Vereinbarungen erscheinen auf den ersten Blick nicht als besonders nachteilig, tatsächlich handelt es sich dabei aber aus verschiedenen Gründen um eine starke und daher auch kritisierte48 Schwächung der Position des Bauherrn. Sieht der Vertrag eine Abtretung vor und nicht eine vertretungsweise Geltendmachung der Mängelrechte des Verkäufers bzw. des Generalunternehmers, so kann nur das Nachbesserungsrecht und gegebenenfalls der Anspruch auf Ersatz des Mangelfolgeschadens auf den Bauherrn oder Käufer übertragen werden. Abgesehen davon, dass der Bauherr oder Käufer somit keine Möglichkeit der Minderung oder Wandelung hat, ist er in diesem Fall ausserdem darauf angewiesen, dass der Unternehmer rechtzeitig Mängelrüge erhebt.

Beim Stockwerkeigentum sind mit der Abtretung an den ersten Erwerber einer Stockwerkeinheit sodann alle zedierbaren Mängelrechte auf diesen übergegangen, und der Unternehmer kann diese Mängelrechte keinem weiteren Erwerber abtreten. In der Praxis wird deswegen teilweise versucht, betreffend Mängel an gemeinschaftlichen Teilen eine «quotenmässige» Abtretung an die einzelnen Erwerber durchzuführen, was allerdings ebenfalls rechtliche Fragen aufwirft und nachteilig für die Erwerber ist. Zu bedenken ist weiter, dass die Ansprüche des Unternehmers oder Verkäufers gegenüber seinen Subunternehmern auch nicht zwingende denjenigen des Bauherrn oder Käufers gegenüber dem Unternehmer beziehungsweise Verkäufer entsprechen. So hat der Unternehmer im Gegensatz zum Käufer oder Bauherrn oftmals keinen eigenen Mangelfolgeschaden, den er dem Bauherrn oder Käufer abtreten könnte. Sein Mangelfolgeschaden bestünde in den Ansprüchen des Bauherrn oder Käufers gegen ihn, welche er ja aber wegbedungen hat. Der Bauherr oder Käufer kann seinen Mangelfolgeschaden
dann nicht mehr geltend machen. Auch ist nicht gewährleistet, dass der Vertragsinhalt und somit der Begriff des Mangels in den Verträgen zwischen dem Unternehmer und seinen Subunternehmern deckungsgleich mit demjenigen im Vertrag mit dem Bauherrn oder Käufer ist. So ist es beispielsweise möglich, dass sich der Unternehmer von den Subunternehmern gewisse Eigenschaften nicht ausdrücklich hat zusichern lassen, welche im Vertrag mit dem Bauherrn oder Käufer vereinbart wurden; die entsprechenden Ansprüche des Bauherrn oder Käufers gehen dann ins Leere.

Das schwerwiegendste Problem in diesem Zusammenhang ist aber regelmässig ein rein praktisches: Sehr oft kann der Bauherr mangels Fachkenntnissen gar nicht beur-

46

47 48

siehe dazu mit Hinweisen auf die Materialien PROBST, Art. 8 Rz. 285 f.; MARTENET/PICHONNAZ, Art. 8 Rz. 124 ff. insb. Rz. 131. Für eine solche Auslegung und m.w.H. auf die Lehrmeinungen STÖCKLI/AESCHIMANN, S. 92 f. Die Frage ist in der Lehre allerdings umstritten.

Vgl. KRAUSKOPF/MÄRKI, Fn 96 und 114; STÖCKLI, Stockwerkeigentum, S. 11 f.

Siehe dazu eingehend STÖCKLI, Gutachten, Rz. 24 ff.; KRAUSKOPF/MÄRKI, S. 69 f.

und 79 ff. und die Hinweise auf weitere Kritik aus der Lehre in KRAUSKOPF/MÄRKI, Fn. 95.

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teilen, welcher Subunternehmer für den Mangel verantwortlich ist. Ihm ist vom Generalunternehmer zusammen mit der Abtretung der Gewährleistungsansprüche eine Liste der Subunternehmer ausgehändigt worden, und er müsste dann bestimmen, welcher Subunternehmer für den Mangel verantwortlich ist. Gerade bei komplexen Mängeln, wie beispielsweise eindringender Feuchtigkeit, ist es für den Bauherrn ohne Fachkenntnisse und ohne dass er zuerst auf eigene Kosten ein Gutachten erstellen lässt, oft unmöglich zu beurteilen, an welchen Subunternehmer er sich zu halten hat.

Die angesprochenen Bestimmungen sind somit stark nachteilig für den Bauherrn, ja sogar dysfunktional: Die Abtretung der Mängelrechte wird den unterschiedlichen Stellungen und Funktionen von Generalunternehmer und Bauherrn in dieser «Vertragskette» nicht gerecht. Unbillig ist dabei nicht bereits die Einschränkung der Mängelrechte des Bauherrn oder dass sich dieser für Ansprüche wegen Mängeln an Subunternehmer halten muss; unbillig ist vielmehr der Umstand, dass der Bauherr bei Abschluss solcher Vereinbarungen ihre Auswirkungen in der Regel nicht erkennt, sondern im Irrglauben zustimmen wird, sich nun in gleicher Weise einfach an die Subunternehmer anstatt an den Generalunternehmer halten zu können. Er wird dabei insbesondere nicht erkennen, dass sich der Generalunternehmer damit seiner charakteristischen Verantwortlichkeit entzieht; er wird auch nicht erkennen, dass er mangels Fachkenntnissen die Mängelrechte nicht effektiv wahrnehmen können wird und dass aus den abgetretenen Rechten unter Umständen gegenüber dem dispositiven Recht geringere oder andere Ansprüche resultieren. Da die Konsequenzen dieser Vertragspraxis für einen juristischen Laien kaum absehbar sind, ist dessen freie Willensbildung beim Vertragsabschluss nicht gewährleistet. Die betreffenden Klauseln führen oft zum Ergebnis, dass der Bauherr auf den Baumängeln sitzen bleibt. Solche Klauseln sind daher unbillig und missbräuchlich. Zwar ist, wie eingangs erwähnt, davon auszugehen, dass solche Klauseln im Einzelfall missbräuchlich nach Artikel 8 UWG sein können. Nicht zuletzt aber auch wegen den bestehenden Unsicherheiten bei der Anwendung dieser Bestimmung, drängt sich eine klare obligationenrechtliche Regelung auf.

1.1.4.3

Weitere Schwierigkeiten

Verjährungsfrist für Baumängel Baumängel verjähren innert fünf Jahren, wobei bei Bauwerkverträgen die Frist mit der Ablieferung des Werks zu laufen beginnt und bei Grundstückkaufverträgen mit dem Erwerb des Eigentums am Grundstück (vgl. Art. 219 Abs. 3 und Art. 371 Abs. 1 OR). Die Frist beginnt auch hinsichtlich versteckter Mängel in diesem Zeitpunkt (vgl.

zum Kaufvertrag Art. 210 Abs. 1 OR, welcher gemäss dem Verweis in Art. 371 Abs. 3 OR auch für den Werkvertrag gilt). Dies bedeutet, dass Ansprüche aus versteckten Mängeln unter Umständen verjähren, bevor die Mängel entdeckt sind. Ansprüche auf Schadenersatz verjähren ebenfalls nach diesen Bestimmungen.49 Die gegenüber der allgemeinen Verjährungsfrist für vertragliche Ansprüche von 10 Jahren (Art. 127 OR) deutlich kürzere Verjährungsfrist für Baumängel kann angesichts der 49

Siehe zum Werkvertragsrecht BGE 113 II 264 E. 2c; 77 II 243 E. 3.

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heutigen technischen Möglichkeiten zur Feststellung von Mängeln und deren Folgeschäden durchaus in Frage gestellt werden.50 Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen bei Mängeln an gemeinschaftlichen Teilen im Stockwerkeigentum Die frühere Praxis bei der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen wegen Mängeln an gemeinschaftlichen Teilen im Stockwerkeigentum war für die einzelnen Stockwerkeigentümer sehr nachteilig: Einerseits hat die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer keine eigenen Mängelrechte, da sie nicht Vertragspartei der entsprechenden Kaufverträge ist und das Bundesgericht eine Legalzession der Mängelrechte an sie ausdrücklich verneinte.51 Andererseits hatte der einzelne Stockwerkeigentümer nur ein auf seine Wertquote beschränktes Nachbesserungsrecht, sodass er den Verkäufer für den seine Quote übersteigenden Anteil an den Nachbesserungskosten entschädigen musste.52 Die Ausübung des Nachbesserungsrechts für den einzelnen Stockwerkeigentümer war dadurch erheblich erschwert.

Das Bundesgericht hat diese in der Lehre zuletzt immer stärker kritisierte Praxis jedoch vor wenigen Jahren geändert und die Quotenbezogenheit des Nachbesserungsrechts aufgegeben.53 Demnach kann nun jeder Stockwerkeigentümer vom Unternehmer die Behebung des gesamten Mangels verlangen, ohne dem Unternehmer einen Teil der Nachbesserungskosten vergüten zu müssen. Bei der Nachbesserung an gemeinschaftlichen Teilen muss der Stockwerkeigentümer dafür aber nach wie vor die Zustimmung der Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer nach den Regeln des Miteigentums über bauliche Massnahmen einholen (Art. 712g Abs. 1 i.V.m. Art. 647c ff.

ZGB). Mit diesem Entscheid des Bundesgerichts ist die grösste Hürde für Käuferinnen und Käufer von Stockwerkeigentum behoben, einige Fragen sind jedoch weiterhin offen: So ist namentlich unklar, wie es sich verhält, wenn ein Stockwerkeigentümer für Mängel an gemeinschaftlichen Teilen bereits Minderung erhalten hat und erst danach ein anderer Stockwerkeigentümer Nachbesserung verlangt.54 Diese Problematik ist jedoch in den Fällen, in welchen die SIA-Norm 118 vereinbart wird, massgeblich entschärft, weil dort in Artikel 169 ein Vorrang des Nachbesserungsrechts vorgesehen ist. Ungelöst ist daneben auch die Frage, wie es sich verhält, wenn die vertraglichen Gewährleistungsansprüche der einzelnen
Stockwerkeigentümer nicht identisch sind, weil sie mit dem Verkäufer Verträge mit unterschiedlichen Inhalten abgeschlossen haben. Das Bundesgericht erachtet insofern eine Koordination zwischen der Durchsetzung des werkvertraglichen Nachbesserungsanspruchs einzelner Erwerber von Stockwerkeigentum und den Regeln über die Beschlussfassung der Stockwerkeigentümergemeinschaft für erforderlich,55 was jedoch bereits aufgrund der Regeln über bauliche Massnahmen am Miteigentum (Art. 712g Abs. 1 i.V.m.

Art. 647c ff. ZGB) erfolgen muss.

50 51 52 53 54 55

STÖCKLI, Gutachten, S. 20 ff.

Vgl. BGE 114 II 239 E. 3 und 4.

Vgl. die Grundsatzentscheide zu dieser Thematik: BGE 114 II 239; 111 II 458.

Vgl. dazu BGE 145 III 8 E. 3.5.

Vgl. dazu namentlich PICCININ, Rz. 327.

BGE 145 III 8 E. 3.5.

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1.2

Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung

1.2.1

Punktuelle Revision statt Totalrevision des Werkvertragsrechts

Der Bundesrat schlägt eine punktuelle Revision des Gesetzes vor, namentlich des Werkvertragsrechts (Art. 363 ff. OR), des Grundstückkaufvertrags (Art. 216 ff. OR) und des Bauhandwerkerpfandrechtes (Art. 837 ff. ZGB), womit der im Lichte der parlamentarischen Vorstösse festgestellte Handlungsbedarf beseitigt wird. Er verzichtet hingegen auf eine Totalrevision des Werkvertragsrechts oder auf die Schaffung eines neuen Typus des Bauwerkvertrags. Weil das geltende Recht insgesamt zweckmässig und ausgewogen ist (vgl. dazu oben Ziff. 1.1.3), scheinen derart tiefgreifende Änderungen nicht erforderlich. Zudem besteht ohnehin ein grosses Bedürfnis der Praxis, situativ eigene vertragliche Regelungen zu verwenden. Es darf schliesslich bezweifelt werden, dass ein neuer Vertragstypus für die privaten Bauherren zusätzliche grössere Vorteile bringen würde. Angesichts der Komplexität des Bauwesens würde das Bauvertragsrecht gleichwohl eine Materie für Spezialisten bleiben, deren gesamte Neuregelung mit neuen Rechtsunsicherheiten einhergehen würde. Dies ginge primär zu Lasten der privaten Bauherren, die unter dem Eindruck drohender Gerichtsverfahren ihre Rechte dann oft gar nicht durchzusetzen versuchen würden. Deswegen ist vielmehr eine punktuelle Revision des Gesetzes angezeigt, die gezielt jene Punkte aufgreift, die sich für die Bauherren heute als besonders nachteilig erwiesen haben (siehe zur vertieften Darstellung unten Ziff. 4 und 5).

Im Einzelnen soll die Situation bei der Mängelrügefrist sowie hinsichtlich der Klauseln über eine kombinierte Freizeichnung und Abtretung von Gewährleistungsansprüchen verbessert werden. Zudem soll in Umsetzung der Motion 17.4079 (siehe dazu oben Ziff. 1.1.2.5) die Stellung einer Ersatzsicherheit zur Abwendung des Bauhandwerkerpfandrechts wieder ermöglicht werden. Bei diesen Punkten handelt es sich um die Punkte, die bereits mit dem Vorentwurf zur Vernehmlassung gestellt wurden (siehe dazu unten Ziff. 2).

1.2.2

Verzicht auf Anpassung der Verwirkung und Verjährung von Gewährleistungsansprüchen

Auf weitere punktuelle Änderungen soll verzichtet werden, auch wenn damit gewisse potenziell problematische Punkte bestehen bleiben. Dies betrifft zum einen die Verwirkungsfolge der verspäteten oder unterlassenen Mängelrüge, deren Abschaffung in der Vernehmlassung teilweise gefordert wurde. Mit einer Verlängerung der Mängelrügefrist kann die Härte der Verwirkungsfolge bereits erheblich gemildert und vielen praktischen Problemen ohne tiefere Eingriffe in die Gesetzessystematik begegnet werden. Insbesondere kann damit die Kohärenz zum Kaufrecht, in welchem die Verwirkungsfolge eine grössere Berechtigung hat, beibehalten werden. Zum andern wird auch auf eine Verlängerung der Verjährungsfrist verzichtet, zumal im Rahmen der

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Revision des Verjährungsrechts, welche am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist,56 darauf verzichtet wurde und eine mehrheitsfähige Lösung kaum absehbar ist.

1.2.3

Keine gesetzliche Regelung der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen bei Mängeln an gemeinschaftlichen Teilen im Stockwerkeigentum

Ebenso wird auf eine Regelung betreffend die Geltendmachung der Mängelrechte im Stockwerkeigentum verzichtet. Die Lösung der noch bestehenden Unklarheiten kann nach Ansicht des Bundesrates der Rechtsprechung überlassen werden. Insbesondere wäre nach Ansicht des Bundesrates die teilweise vorgeschlagene Schaffung einer Legalzession der Gewährleistungsansprüche der Stockwerkeigentümer an die Gemeinschaft nicht zielführend. Auch wenn damit die Zuständigkeit zur Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen eindeutiger geregelt und die Koordination der verschiedenen Ansprüche gewährleistet wäre, wäre die Schaffung einer Legalzession mit Unwägbarkeiten verbunden und würde einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte der Stockwerkeigentümer darstellen.

1.3

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 29. Januar 202057 zur Legislaturplanung 2019­2023 noch im Bundesbeschluss vom 21. September 202058 über die Legislaturplanung 2019­2023 angekündigt.

Die vorgeschlagene Gesetzesänderung ist dennoch angezeigt, damit die oben erwähnten parlamentarischen Vorstösse (siehe Ziff. 1.1.2) umgesetzt werden können.

1.4

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Es wird beantragt, die folgenden parlamentarischen Vorstösse als erledigt abzuschreiben: 2002

M 02.3532

Bestimmungen über Architektur- und Bauleistungen im OR.

Schutz der Auftraggebenden (N 13.12.2002, Fässler-Osterwalder)

2011

M 09.3392

Stärkere Rechte der Bauherrschaft bei der Behebung von Baumängeln (N 02.03.2011, Fässler-Osterwalder; S 20.09.2011)

56 57 58

AS 2018 5343 BBl 2020 1777 BBl 2020 8385

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2018

M 17.4079

Praxistaugliches Bauhandwerker-Pfandrecht. Recht des Eigentümers auf die Stellung einer Ersatzsicherheit konkretisieren (N 16.03.2018, Burkart; S 19.09.2018)

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

2.1

Vernehmlassungsvorlage

Der Bundesrat hat am 19. August 2020 die Vernehmlassung zum Vorentwurf eröffnet.59 Der Vorentwurf umfasste im Wesentlichen drei Themenblöcke, nämlich die Verlängerung der Mängelrügefrist, die Einschränkung der Möglichkeit der Wegbedingung des Nachbesserungsrechts sowie die Konkretisierung der Anforderungen der Ersatzsicherheit anstelle des Bauhandwerkerpfandrechts. Schliesslich wurden die Vernehmlassungsteilnehmenden noch zum Revisionsbedarf des Bauhandwerkerpfandrechts mit Blick auf das Doppelzahlungsrisiko des Bauherrn befragt.

Im Einzelnen sollte gemäss dem Vorentwurf die Frist zur Rüge von Mängeln eines unbeweglichen Werkes neu 60 Tage betragen, und zwar sowohl bei offenen wie auch bei versteckten Mängeln, wobei bei letzteren die Frist ab Entdeckung zu laufen beginnen soll. Diese neue Rügefrist sollte nicht nur für Werkverträge, sondern auch für Grundstückkaufverträge gelten. Die Regelung sollte dispositiv sein, sodass die Parteien vertraglich davon abweichen können. Das Nachbesserungsrecht sollte sodann hinsichtlich Mängeln an Bauten, welche persönlichen oder familiären Zwecken dienten, unabdingbar sein. Ein Nachbesserungsrecht sollte es gemäss dem Vorentwurf neu auch bei Kaufverträgen über Grundstücke mit neu erstellten Bauten geben. Durch das unabdingbare Nachbesserungsrecht sollte die für Haus- und Stockwerkeigentümerinnen und -eigentümer nachteilige Praxis der Kombination von Freizeichnung und Abtretung von Gewährleistungsansprüchen eingeschränkt werden. Schliesslich sollte gemäss dem Vorentwurf eine Ersatzsicherheit zur Abwendung der Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts die Verzugszinsen für zehn Jahre decken müssen und nicht wie bisher für unbeschränkte Zeit.

Die Vernehmlassung dauerte bis zum 30. November 2020. Insgesamt gingen 70 Stellungnahmen ein (24 Kantone, 4 politische Parteien sowie 42 Organisationen und weitere Teilnehmende).60

59

60

Der Vorentwurf zur Revision des Obligationenrechts (Bauvertragsrecht) vom 19. August 2020 und der erläuternde Bericht sind abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2020 > EJPD > Vernehmlassung 2020/46.

Bericht vom 19. Oktober 2022 über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, S. 3, abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2020 > EJPD > Vernehmlassung 2020/46.

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2.2

Zusammenfassung und Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Die Stossrichtung des Vorentwurfs wurde von einer grossen Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsst oder mindestens akzeptiert: 23 Kantone, 4 Parteien und 16 Organisationen begrüssen den Vorentwurf umfassend oder in den Grundzügen. Kein Teilnehmer sprach sich grundsätzlich gegen den Vorentwurf aus; fünf Organisationen sprachen sich teilweise kritisch aus. Von vielen Teilnehmern wurde dabei begrüsst, dass der Vorentwurf nur punktuelle Änderungen vorsah, jedoch keine Totalrevision des Werkvertragsrechts oder die Einführung eines neuen Vertragstypus.

Begrüsst wurde ebenfalls, dass der Vorentwurf Raum für vertragliche Vereinbarungen, insbesondere für die SIA-Norm 118, liess.

Betreffend die einzelnen Punkte des Vorentwurfs ergab sich jedoch teilweise ein sehr uneinheitliches Bild. Dies galt insbesondere für die Verlängerung der Mängelrügefrist. Zwar unterstützen sehr viele Teilnehmende (10 Kantone, 2 Parteien und 26 Organisationen) den Vorschlag gemäss Vorentwurf, allerdings verlangten nicht wenige Teilnehmende eine längere Frist (2 Kantone, 2 Parteien und 5 Organisationen), eine teilzwingende Frist (3 Kantone, 2 Parteien und 11 Organisationen) oder die Abschaffung der Verwirkungsfolge (ein Kanton, eine Partei sowie 8 Organisationen). Andere verlangten hingegen eine kürzere Frist (ein Kanton und 9 Organisationen) oder bestanden auf der dispositiven Natur (ein Kanton und 5 Organisationen). Im Zusammenhang mit dem unabdingbaren Nachbesserungsrecht gab insbesondere die Beschränkung auf den persönlichen und familiären Gebrauch Anlass für divergierende und auch kritische Stellungnahmen; vor allem Abgrenzungsfragen wurden angesprochen.

Breite Unterstützung erhielt hingegen der Vorschlag zur Konkretisierung der Anforderungen an eine Ersatzsicherheit beim Bauhandwerkerpfandrecht (9 Kantone, 4 Parteien und 35 Organisationen).

Zur Frage des Doppelzahlungsrisikos des Bauherrn im Zusammenhang mit dem Bauhandwerkerpfandrecht für Subunternehmer ergingen viele inhaltlich sehr unterschiedliche Stellungnahmen. Dabei ergab sich kein Lösungsansatz, der von einer Mehrheit oder auch nur einer grösseren Gruppe getragen wurde, zumal auch der gesetzgeberische Handlungsbedarf umstritten ist.

Insgesamt erscheint die Vernehmlassungsvorlage daher aus Sicht des Bundesrates bereits als mehrheitsfähiger Kompromissvorschlag,
indem sowohl ihre Stossrichtung und Konzeption als auch die konkreten Umsetzungsvorschläge von einer deutlichen Mehrheit von Kantonen, Parteien und Organisationen unterstützt werden. Gleichzeitig wurden die Vorschläge jeweils entweder als zu wenig weitgehend oder als zu weitgehend kritisiert, was den Kompromisscharakter unterstreicht. Zudem macht die Vernehmlassung deutlich, dass sich umgekehrt keine mehrheitsfähigen Alternativvorschläge ausmachen lassen.

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2.3

Weitere Arbeiten

Im Lichte der Ergebnisse der Vernehmlassung und ihrer Würdigung wurde die Vernehmlassungsvorlage kritisch geprüft mit dem Ergebnis, dass die Vernehmlassungsvorlage inhaltlich den grösstmöglichen gemeinsamen Nenner aus den teilweise gegensätzlichen Wünschen gemäss Vernehmlassung entspricht. Daher entspricht die Vorlage grundsätzlich dem Vorentwurf als austariertem und breit akzeptiertem Kompromissvorschlag. Gleichzeitig wurde der teilwiese geäusserten Kritik sowie Anregungen und Fragen im Rahmen der Erläuterungen Rechnung getragen beziehungsweise diese angepasst. Dabei wurde die Verwaltung durch folgende externen Experten unterstützt: ­

Prof. Dr. Hubert Stöckli, MCL, Rechtsanwalt, ordentlicher Professor an der Universität Freiburg (Schweiz) für Zivil- und Handelsrecht, Co-Leiter Institut für Schweizerisches und Internationales Baurecht;

­

Dr. iur. Thomas Siegenthaler, MJur, Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Bauund Immobilienrecht, Lehrbeauftragter an der Universität Freiburg (Schweiz).

Angesichts der Vielzahl von Stellungnahmen und ihrer Heterogenität ist zur Frage des Doppelzahlungsrisikos von Bauherrn im Zusammenhang mit dem Bauhandwerkerpfandrecht für Subunternehmer unmittelbar kein mehrheitsfähiger Lösungsansatz erkennbar. Diese im Rahmen der Vernehmlassung gestellten Fragen sind daher separat im Rahmen der weiteren Arbeiten zur Erfüllung des Postulats 19.4638 Caroni «Ausgewogeneres Bauhandwerkerpfandrecht» zu behandeln.

3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Die Rechtsposition der Bauherren ergibt sich nicht nur aus dem Recht eines Vertragstypen, sondern aus verschiedenen Vertragstypen sowie massgeblich aus allgemeinen obligationenrechtlichen sowie sachenrechtlichen Grundsätzen. Ausländisches Recht ordnet die Materie zudem teilweise sehr unterschiedlich, auch was die charakterisierenden Merkmale der Vertragstypen betrifft. Aus diesen Gründen ist ein umfassender Rechtsvergleich nur schwer möglich und auch nur beschränkt aussagekräftig. Nachdem angesichts der parlamentarischen Vorstösse und der Evaluation der heutigen Rechtslage auf tiefgreifende Eingriffe in die Gesetzessystematik verzichtet werden soll (siehe oben Ziff. 1.1.2 und 1.2), können sich die rechtsvergleichenden Ausführungen auf die nachfolgenden Punkte beschränken: ­

Mängelrüge: Die Rechtsordnungen der Nachbarländer kennen keine entsprechend strenge Regelung wie die Schweiz: Im italienischen Recht ist wie vorliegend vorgeschlagen (vgl. dazu Ziff. 4.1.1) eine Rügefrist von 60 Tagen vorgesehen (Art. 1667 Abs. 2 Codice civile), welche allerdings nicht erforderlich ist, wenn der Unternehmer die Vertragswidrigkeiten oder Mängel anerkannt oder sie verheimlicht hat. Für schwerwiegende Mängel an Bauwerken gilt sodann

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eine einjährige Frist (Art. 1669 Codice civile). Das deutsche, das österreichische und das französische Recht sehen sodann überhaupt keine Rügefristen für innerhalb der Verjährungsfrist auftretende Mängel vor.61 Das deutsche Recht sieht eine Mängelrüge, deren Unterlassung mit einer Genehmigungswirkung verbunden ist, einzig für beidseitige Handelsgeschäfte vor (§ 377 Handelsgesetzbuch). Zu beachten ist für das deutsche Recht auch, dass eine Genehmigungswirkung auch dann eintreten kann, wenn der Besteller ein mangelhaftes Werk abnimmt, obschon er den Mangel kennt (vgl. § 640 Abs. 3 BGB).

­

Nachbesserungsrecht: Nach deutschem Recht kann der Besteller, wenn das Werk mangelhaft ist, unter gewissen Voraussetzungen Nacherfüllung verlangen, den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen, vom Vertrag zurücktreten oder die Vergütung mindern und Schadensersatz oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen (vgl. § 639 des Bürgerlichen Gesetzbuches, BGB). Auf eine Vereinbarung, durch welche die Rechte des Bestellers wegen eines Mangels ausgeschlossen oder beschränkt werden, kann sich der Unternehmer nicht berufen, soweit er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie für die Beschaffenheit des Werkes übernommen hat. (§ 639 BGB). Wird ein neu erstelltes oder umgebautes Haus oder Bauwerk zusammen mit dem Grundstück verkauft (sog. Bauträgervertrag), so finden die werkvertraglichen Bestimmungen des BGB auf die Errichtung oder den Umbau des Hauses Anwendung (§ 650u BGB). Im französischen Recht ist die Haftung des Bauunternehmers in Artikel 1792 ff. des Code Civil (CC) geregelt. In diesem Zusammenhang gibt es drei Arten von gesetzlichen Garantien, für welche der Besteller ein Nachbesserungsrecht hat: Die einjährige Fertigstellungsgarantie nach Artikel 1792-6 CC erstreckt sich auf die Behebung aller Mängel, die vom Bauherrn entweder durch Vorbehalte im Abnahmeprotokoll oder, im Falle von nach der Abnahme aufgetretener Mängel, durch schriftliche Mitteilung gemeldet wurden. Die zweijährige Funktionsgarantie (Art. 1792-3 CC) erfasst vom Bauwerk trennbare Ausstattungsgegenstände, und die zehnjährige Garantie schliesslich umfasst Schäden, die die Festigkeit des Bauwerks gefährden oder es für seine Bestimmung ungeeignet machen (Artikel 1792 CC). Eine Einschränkung oder Wegbedingung dieser gesetzlichen Gewährleistungsrechte ist nichtig (Art. 1792-5 CC). Auch Artikel L111-18 des Code de la construction et de l'habitation statuiert die Nichtigkeit einer Wegbedingung oder Einschränkung der gesetzlichen Gewährleistungsrechte. Gemäss Artikel 1646-1 CC gelten die Artikel 1792 bis 1792-3 CC schliesslich auch für die Verkäufer noch zu errichtender Immobilien. Nach italienischem Werkvertragsrecht kann der Besteller verlangen, dass die Mängel auf Kosten des Unternehmers beseitigt werden oder dass der Preis verhältnismäßig herabgesetzt wird, vorbehältlich Schadenersatzes

61

Vgl. dazu ZINDEL/PULVER/SCHOTT, Art. 367 N 36 mit Hinweis auf ALFRED BÜHLER, S. 331 und TRACHSEL, N 149 und N 156 ff.

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im Falle eines Verschuldens des Unternehmers; ist das Werk jedoch so mangelhaft, dass es für den vorgesehenen Zweck völlig ungeeignet ist, kann der Besteller die Auflösung des Vertrags verlangen (Artikel 1668 Codice Civile).

Betreffend Haftungsbeschränkungen ist Artikel 1229 Codice civile zu beachten, nach dessen Absatz 1 die Haftungsbeschränkung für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit unwirksam ist, sowie Artikel 1342 Absatz 2 Codice civile, wonach eine Haftungsbeschränkung in allgemeinen Geschäftsbedingungen ausdrücklich schriftlich bestätigt werden muss; in Konsumentenverträgen ist überdies Artikel 36 Absatz 2 des Codice del consumo zu beachten, wonach Klauseln, welche Ansprüche des Konsumenten im Falle der Nichterfüllung oder mangelhaften Erfüllung ausschliessen oder einschränken, nichtig sind.

4

Grundzüge der Vorlage

4.1

Die beantragte Neuregelung

Der Bundesrat schlägt eine punktuelle Revision des Gesetzes vor, welche gezielt jene Punkte aufgreift, die sich für die Bauherren heute als besonders nachteilig erwiesen haben (siehe dazu oben Ziff. 1.2). Diese Punkte sollen einer möglichst direkten und praktisch wirksamen Lösung zugeführt werden, welche für die Bauherren und Käufer verständlich ist und gleichzeitig für die Unternehmer und Verkäufer keine erheblichen Nachteile oder Einschränkungen bewirken. Insbesondere soll soweit möglich auch Raum für die in der Praxis wichtigen vertraglichen Vereinbarungen, wie namentlich die SIA-Normen belassen werden. Angesichts der Ergebnisse der öffentlichen Vernehmlassung entspricht die Vorlage im Wesentlichen dem Vorentwurf (siehe dazu oben Ziff. 2 und insb. Ziff. 2.3).

4.1.1

Verlängerung der Rügefrist

Da das heutige gesetzliche Erfordernis der Sofort-Rüge bei Mängeln an Bauwerken ungerechtfertigt streng ist (siehe dazu oben Ziff. 1.1.4.1), schlägt der Bundesrat vor, die Rügefrist zwar grundsätzlich beizubehalten, sie aber gegenüber heute in drei wichtigen Punkten zu verlängern: Für Mängel an unbeweglichen Werken wird neu eine Rügefrist von 60 Tagen vorgeschlagen (Art. 367 Abs. 1 zweiter Satz E-OR). Dieselbe Rügefrist soll auch beim Grundstückskauf gelten (Art. 219a Abs. 1 E-OR). Für versteckte Mängel soll sodann ebenfalls eine Frist von 60 Tagen gelten; solche Mängel können also während 60 Tagen nach ihrer Entdeckung gerügt werden (Art. 219a Abs. 1 und Art. 370 Abs. 3 zweiter Satz E-OR).

Die Verlängerung der Rügefrist wurde von einem grossen Teil der Vernehmlassungsteilnehmer im Grundsatz begrüsst.62 Damit wird die Situation für Bauherren stark entschärft, und es werden zahlreiche unnötige Streitigkeiten verhindert. Gleichzeitig werden die Unternehmer im Vergleich zum geltenden Recht nicht wesentlich schlechter gestellt; namentlich wird ihre Haftung nicht ausgeweitet. Dass die längere Frist für 62

Vgl. Bericht Vernehmlassungsverfahren (Fn 60), S. 5 f.

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die Unternehmer keine unangemessene Benachteiligung darstellt, zeigt sich auch darin, dass die SIA-Norm 118 in ihrem Artikel 172 Absatz 1 eine noch längere Frist von zwei Jahren vorsieht. Die neue Frist soll im Übrigen (entsprechend der heutigen Rechtslage) dispositiver Natur sein. Zwar wurde im Rahmen der Vernehmlassung teilweise eine zwingende (Minimal-)Frist gefordert. Da es bei dieser Gesetzesänderung jedoch nicht um eine Korrektur einer missbräuchlichen Vertragspraxis, sondern um eine Korrektur einer aus heutiger Sicht unbilligen Gesetzesbestimmung geht, ist die Schaffung zwingenden Rechts hier nicht erforderlich und wäre unverhältnismässig (siehe dazu auch unten Ziff. 5, Erläuterung zu Art. 219a Abs. 1 erster Satz E-OR).

4.1.2

Nachbesserungsrecht für Bauherren und Erwerber von neu erstelltem Wohneigentum zur Eigennutzung

4.1.2.1

Beim Werkvertrag

Um die schwerwiegenden Auswirkungen der rechtlich fragwürdigen und für private Bauherren und Käufer teilweise undurchschaubaren Vertragsklauseln über die Kombination von Haftungsfreizeichnung und Abtretung von Gewährleistungsansprüchen gegen Subunternehmer (siehe dazu oben Ziff. 1.1.4.2) zu begrenzen, schlägt der Bundesrat vor, dass zukünftig das Recht des Bauherrn auf unentgeltliche Nachbesserung bei Mängeln an Bauten, die für seinen persönlichen oder familiären Gebrauch bestimmt sind, unabdingbar sein soll. Obwohl diese Klauseln schwerpunktmässig bei rechtlich als Grundstückkaufverträgen zu qualifizierenden Geschäften anzutreffen sind, ist eine werkvertragliche Regelung notwendig, da diese Klauseln erstens bisweilen auch bei Generalunternehmerverträgen vorkommen und zweitens die Umgehung der kaufrechtlichen Regel durch den Abschluss eines Werkvertrags anstelle eines Kaufvertrags verhindert werden muss.63 Mängel an Bauten, die zu beruflichen oder gewerblichen Zwecken erworben werden, sowie andere bewegliche und unbewegliche Werke sind von dieser Regel nicht erfasst. Das werkvertragliche Nachbesserungsrecht bleibt somit also grundsätzlich dispositiver Natur. Bei Bauherren, welche Bauten zu einer gewerblichen Tätigkeit erstellen lassen, kann Fachwissen oder die Inanspruchnahme fachkundiger Beratung vorausgesetzt werden. Aus Gründen der Verhältnismässigkeit wird sodann darauf verzichtet, auch das Wandelungs- und Minderungsrecht für zwingend zu erklären. Für den Bauherrn ist die unentgeltliche Nachbesserung oft von grösserem praktischem Nutzen als die anderen Behelfe, und für Unternehmer ist sie oft die günstigste und somit mildeste Variante. Das zeigt sich auch darin, dass das Recht auf unentgeltliche Nachbesserung den Bauherren gemäss Artikel 169 der SIA-Norm 118 zusteht. Die Schaffung eines unabdingbaren Nachbesserungsrechts im Kaufvertrag und im Werkvertrag wurde in der Vernehmlassung von sehr vielen Teilnehmenden im Grundsatz unterstützt.64

63 64

Siehe zur Möglichkeit der Parteien, die Vertragsqualifikation bewusst zu steuern, oben Ziff. 1.1.1.2).

Vgl. Bericht Vernehmlassungsverfahren (Fn 60), S. 11 f.

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4.1.2.2

Beim Grundstückkauf

Wie oben (vgl. Ziff. 1.1.1.2) dargestellt, unterliegt es bisweilen einer gewissen Zufälligkeit und kann von den Parteien in einem begrenzten Rahmen auch bewusst gesteuert werden, ob das Rechtsgeschäft über den Erwerb von Grundstücken mit neuerstellten Bauten als Kaufvertrag, als Werkvertrag oder als Mischform dieser Vertragstypen zu qualifizieren ist. Dies betrifft namentlich den Erwerb von Wohneigentum und dabei insbesondere den Erwerb von neu erstellten Stockwerkeinheiten. Die praktischen Auswirkungen dieser unterschiedlichen Qualifikation können bisweilen gross sein.

Obwohl dies von Teilen der Lehre postuliert wird, besteht de lege lata nämlich im Kaufvertragsrecht kein gesetzliches Nachbesserungsrecht.65 Ohne entsprechende Vereinbarung kann die Käuferin oder der Käufer somit bisher keine Nachbesserung verlangen. Zudem ist die Praxis der Wegbedingung der Mängelrechte des Bauherrn beziehungsweise des Käufers oder der Käuferin gegenüber dem Verkäufer oder Unternehmer bei gleichzeitiger Abtretung der Mängelrechte des Verkäufers oder Unternehmers gegen die Subunternehmer schwerpunktmässig bei rechtlich als Kaufverträge zu qualifizierenden Geschäften anzutreffen. Aus diesem Grund und auch zur Vermeidung von Umgehungsversuchen wird vorgeschlagen, zunächst das dispositive Recht auf unentgeltliche Nachbesserung auch auf Kaufverträge über Grundstücke auszudehnen. Das neu geschaffene Nachbesserungsrecht soll sodann beim Grundstückskaufvertrag wie beim Werkvertrag dann unabdingbar sein, wenn der Mangel eine Baute betrifft, die für den persönlichen oder familiären Gebrauch des Käufers bestimmt ist. Das Nachbesserungsrecht soll jedoch nur beim Kauf eines Grundstücks mit einer neu erstellten oder noch zu erstellenden Baute bestehen. Da es nur dort von zufälligen Umständen oder einer bewussten Steuerung der Vertragsparteien abhängen kann, ob ein Kauf- oder Werkvertrag vorliegt, rechtfertigt sich nur dort eine Gleichbehandlung dieser beiden Vertragstypen. Auch die Problematik der Wegbedingung der Mängelrechte bei gleichzeitiger Abtretung von Mängelrechten gegen Subunternehmer kann naturgemäss nur bei Neubauten auftreten. Für ein generelles Nachbesserungsrecht bei Kaufverträgen oder der Einschränkung der Zulässigkeit von Freizeichnungen besteht demgegenüber kein Anlass; dies wäre einem Verkäufer eines Grundstücks
mit einer schon lange bestehenden Baute zudem kaum zumutbar. Zudem sind die Auswirkungen einer solchen Freizeichnung auch für juristische Laien als Käuferin oder Käufer weitgehend abschätzbar. Da beim Nachbesserungsrecht des Käufers aber im Unterschied zum Werkvertrag nicht schon definitionsgemäss gewährleistet ist, dass es ein neu erstelltes Werk betrifft, muss für die Beschränkung auf Neubauten an ein geeignetes Kriterium angeknüpft werden. Der Entwurf sieht daher eine zeitliche Begrenzung vor: Das Nachbesserungsrecht soll nur beim Erwerb von Bauten gelten, die weniger als ein Jahr vor dem Erwerb neu errichtet worden sind oder noch zu errichten sind. Damit ist der Tatbestand des definitiven Erwerbs durch einen privaten Käufer zuverlässig erfasst. Neubauten werden praktisch durchwegs deutlich früher als ein Jahr nach Erstellung verkauft. Insgesamt erscheint das Kriterium der Jahresfrist deswegen als angemessene Lösung.

65

BGE 95 II 119 E. 6; BGer 4C.307/2000 vom 22. Februar 2001 E. 6.

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4.1.3

Recht auf Stellung einer Ersatzsicherheit anstelle des Bauhandwerkerpfandrechts

In Umsetzung der Motion 17.4079 (siehe dazu oben Ziff. 1.1.2.5) wird ein Vorschlag zur Konkretisierung der Anforderungen an die Ersatzsicherheit zur Ablösung eines Bauhandwerkerpfandrechts gemacht. Nach geltendem Recht haben Handwerker oder Unternehmer, die auf einem Grundstück zu Bauten oder anderen Werken Material und Arbeit geliefert oder Arbeit allein geleistet haben, für ihre Forderungen Anspruch auf Errichtung eines gesetzlichen Grundpfandrechts an diesem Grundstück (vgl.

Art. 836 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Das Gesetz sieht deswegen vor, dass der Eigentümer die Eintragung des Pfandrechts im Grundbuch abwenden kann, indem er für die Forderung «hinreichende Sicherheit leistet» (Art. 839 Abs. 3 ZGB). Damit eine Ersatzsicherheit als «hinreichend» gelten kann, muss sie gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts qualitativ und quantitativ die gleiche Sicherheit bieten wie das Bauhandwerkerpfandrecht.66 Das Bundesgericht hat dazu festgehalten, dass die Verzugszinsen zeitlich nicht limitiert seien (Art. 104 OR) und dementsprechend auch die Ersatzsicherheit hinsichtlich der Verzugszinsen eine zeitlich beziehungsweise quantitativ nicht limitierte Sicherheit bieten müsse.67 Dementsprechend erfüllt eine Bankgarantie, die zwar den Kapitalbetrag, nicht aber die zeitlich unlimitiert geschuldeten Verzugszinsen abdeckt, die Anforderungen an eine hinreichende Sicherheit nicht. 68 Diese Rechtsprechung führt dazu, dass die Höhe der Ersatzsicherheit aufgrund der theoretisch unendlichen Laufzeit der Verzugszinse nicht zum Voraus bestimmbar ist.

In der Praxis ist es deswegen kaum möglich, das Bauhandwerkerpfandrecht durch eine Bankgarantie oder eine Realsicherheit abzulösen.

Um der Gesetzesbestimmung wieder praktische Bedeutung zu verleihen und die Situation der betroffenen Grundeigentümer zu verbessern, sollen die Voraussetzungen für eine Ablösung des Pfandrechtes durch eine Ersatzsicherheit dahingehend konkretisiert werden, dass es neu genügen soll, wenn die Sicherheit nebst der Forderungssumme den Verzugszins für die Dauer von zehn Jahren umfasst. Dadurch wird der Umfang der Ersatzsicherheit bestimmbar. Der erforderliche Betrag einer Bankgarantie oder der erforderliche Wert einer Realsicherheit werden dadurch konkret bezifferbar. Die Interessen der Handwerker und Unternehmer werden demgegenüber kaum beeinträchtigt:
Kaum je wird Verzugszins für eine längere Dauer anfallen, denn in der Regel werden die zehn Jahre ausreichen, um allfällige gerichtliche Verfahren betreffend die Beanspruchung der Sicherheit abzuschliessen. Zu bedenken ist auch, dass der erwähnte Entscheid des Bundesgerichts im Hinblick auf die «quantitative» Gleichwertigkeit, also den Umfang der Sicherung, ergangen ist. Über die wirtschaftliche Qualität der Sicherheit ist damit nichts gesagt. Die Frage nach der «qualitativen» Gleichwertigkeit dürfte in der Praxis regelmässig deutlich wichtiger sein als die Frage, ob die Sicherheit für Verzugszins für eine Dauer von mehr als zehn Jahren beansprucht werden kann. Die wirtschaftliche Qualität dürfte bei einer Bankgarantie in vielen Fällen aber gerade grösser sein. Zudem ist die Beanspruchung einer Bankgarantie in aller Regel einfacher und innert kürzerer Frist möglich als die Verwertung 66 67 68

BGE 142 III 738 E. 4.4.2; 121 III 445 E. 5a; 110 II 34 E. 1b.

BGE 142 III 738 E. 4.4.2; 121 III 445 E. 5a.

BGE 142 III 738 E. 4.4.3.

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eines Grundpfandes, was ein grosser praktischer Vorteil für den Gläubiger ist. Die Erleichterung der Stellung einer Bankgarantie als Ersatzsicherheit kommt somit letztlich auch den Gläubigern zugute.

4.2

Übergangsrecht

Ohne besondere übergangsrechtliche Regelung gelten für das Privatrecht die Artikel 1­4 Schlusstitel ZGB. Artikel 1 Schlusstitel ZGB enthält die Grundregel der Nichtrückwirkung einer Gesetzesänderung. Sie schützt das Vertrauen in den Bestand einmal rechtsgeschäftlich gesetzeskonform begründeter Rechte.69 Ausdrückliche oder stillschweigende vertragliche Vereinbarungen, aber auch der weitere Inhalt eines unter altem Recht begründeten Vertrages werden nach dem alten Recht beurteilt, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es sich um dispositives oder zwingendes Recht handelt.70 Dies betrifft insbesondere auch Fragen betreffend die Pflicht zur Gewährleistung.71 Demgegenüber ist in den Artikeln 2­3 Schlusstitel ZGB festgehalten, in welchen Fällen abweichend von der Grundregel trotzdem eine Rückwirkung stattfinden soll; das gilt insbesondere für Normen, welche der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit willen aufgestellt werden (Art. 2 Abs. 1 Schlusstitel ZGB). Eine Rückwirkung setzt damit voraus, dass die Norm zu den Grundpfeilern der heutigen Rechtsordnung gehört und dass ohne ihre Rückwirkung eine Verletzung grundsätzlicher sozialpolitischer und ethischer Anschauungen vorliegen würde.72 Die vorgeschlagenen Artikel 219a Absatz 2 und Artikel 368 Absatz 2bis E-OR mit ihrer zwingenden Natur sollen eine heute als stossend und missbräuchlich empfundene Vertragspraxis unterbinden. Dennoch stehen solche Freizeichnungsklauseln nicht in einem offensichtlichen Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung. Eine Rückwirkung wäre deswegen nicht durch ein hinreichendes öffentliches Interesse gerechtfertigt.73 Unter altem Recht erfolgte Wegbedingungen von Gewährleistungsansprüchen bleiben somit in den allgemeinen Schranken auch unter neuem Recht wirksam. Ebenso haben Käufer, welche ein Grundstück unter altem Recht gekauft haben, auch wenn keine Wegbedingung der Gewährleistung erfolgt ist, kein Nachbesserungsrecht nach Artikel 219a Absatz 2 E-OR. Die Anwendung von Artikel 367 Absatz 1 zweiter Satz E-OR, das heisst die Länge der Rügefrist, bemisst sich gemäss Artikel 1 Absatz 1 und 2 Schlusstitel ZGB für vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts abgeschlossene Verträge nach altem Recht. Für solche Verträge gilt also auch nach Inkrafttreten des neuen Rechts die Pflicht zur Sofort-Rüge, was besonders bei versteckten Mängeln relevant sein wird.

69 70 71 72 73

BGE 140 III 406; BGE 138 III 662.

MUTZNER, Art. 1 N 64.

MUTZNER, Art. 1 N 65.

BGE 133 III 105 E. 2.1.3; 119 II 46 E. 1a; 100 II 105 E. 2.

Ein hinreichendes öffentliches Interesse wäre auch aus verfassungsrechtlicher Sicht erforderlich; vgl. VISCHER, Art. 2 SchlT ZGB N 3.

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4.3

Umsetzungsfragen

Die vorgeschlagenen Änderungen erfordern weder zusätzliche Massnahmen zur Umsetzung in einer Verordnung noch die Änderung kantonalen Rechts.

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

5.1

Obligationenrecht

Art. 219 Randtitel und Abs. 3 Absatz 3 der Bestimmung, der heute die Verjährungsfrist für die Gewährleistungsrechte des Grundstückkäufers enthält, soll in einen neuen Artikel 219a verschoben werden, der die Verjährung für Gewährleistungsansprüche (Art. 219a Abs. 3 E-OR) neu zusammen mit der Mängelrüge und dem Nachbesserungsrecht des Käufers regelt.

Artikel 219 E-OR wird in Zukunft nur noch die Thematik der Gewährleistung für das Mass enthalten, was sich auch im geänderten Randtitel widerspiegeln soll; im Übrigen bleibt die bisherige Bestimmung unverändert.

Art. 219a Gegenstand dieser neuen Bestimmung ist die Gewährleistung bei Grundstückskäufen und dabei die Mängelrüge (Abs. 1), das Nachbesserungsrecht des Käufers (Abs. 2) sowie die Verjährung der Gewährleistungsrechte (Abs. 3). Die neue Bestimmung entspricht der Fassung des Vorentwurfs.

Absatz 1 erster Satz sieht neu eine Rügefrist von 60 Tagen für Sachmängel beim Grundstückkauf vor. Damit soll die ausserordentliche Härte der heutigen «SofortRüge» im Werkvertrags- und Kaufvertragsrecht für Grundstückkäufer und Bauherren abgemildert werden (siehe dazu oben Ziff. 1.1.4.1 sowie die parallele Regel im Werkvertragsrecht, Art. 367 Abs. 1 Satz 2 E-OR). Erfasst werden gleichermassen Kaufverträge über Grundstücke mit neu erstellten Bauten und Kaufverträge über Grundstücke mit schon länger bestehenden Bauten oder ohne Bauten. Letztere beide werden von dieser Regel ebenfalls erfasst, da auch dort die kurze Mängelrüge oft problematisch ist.

Die Rügefrist von 60 Tagen gilt sowohl für offene als auch für versteckte Mängel. Bei diesen Rügefristen handelt es sich wie bisher um Verwirkungsfristen,74 die grundsätzlich weder unterbrochen noch gehemmt werden können.75 Die Rügefrist beginnt bei offenen Mängeln mit Ablauf der Prüfungsfrist zu laufen. Die Prüfungsfrist wiederum beginnt beim Grundstückkauf mit der Besitzesübertragung zu laufen76, und sie kann in der Regel notwendigerweise nicht einheitlich lang für das gesamte Grundstück

74 75 76

BGE 61 II 148 E. 5.c.

GUHL/KOLLER/SCHNYDER/DRUEY, § 38 N 51.

BGE 131 III 145 E. 7.1.

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sein.77 Einen fixen Zeitpunkt für den Beginn der Rügefrist kann es deswegen nicht geben. Die Rügefrist für versteckte Mängel beginnt sodann mit der Entdeckung des Mangels zu laufen (Abs. 1 zweiter Satz).78 Angesichts dieser verlängerten Fristen werden Käuferinnen und Käufer insbesondere ihre Schadenminderungspflicht zu berücksichtigen haben, welche im Einzelfall eine Mängelrüge innert kürzerer Frist gebieten kann. Dabei handelt es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, welcher die allgemeine Pflicht zur schonenden Rechtsausübung konkretisiert (Art. 2 Abs. 1 ZGB) und bei der Schadensberechnung die Berücksichtigung des Selbstverschuldens des Geschädigten verlangt (vgl. Art. 44 Abs. 1 OR, welcher aufgrund des Verweises in Art. 99 Abs. 3 OR auch für die Haftung aus Vertrag gilt).79 Demnach muss der Geschädigte den Schaden selbst tragen, soweit er ihn selbstverantwortlich mitverursacht hat, sodass bei dessen Verletzung nur der Schaden zu ersetzen ist, der auch entstanden wäre, wenn der Geschädigte seiner Obliegenheit zur Schadensminderung nachgekommen wäre.80 Entsprechend hat der Käufer Mängel, die weitere Schäden verursachen oder erkennbar die Behebung zu einem späteren Zeitpunkt erschweren oder verteuern, nach Treu und Glauben sobald als möglich zu rügen. Kommt der Käufer dieser Obliegenheit nicht nach, wird er aber nicht mehr sämtliche Mängelrechte verlieren, sondern nur den Anspruch auf Ersatz desjenigen Schadens, der bei einer zumutbar früheren Mängelrüge nicht eingetreten wäre. Der Grundsatz der Schadenminderungspflicht ist in der Lehre und Rechtsprechung unbestritten, weswegen auf eine ausdrückliche gesetzliche Regelung im vorliegenden Zusammenhang entgegen entsprechenden Forderungen im Rahmen der Vernehmlassung81 verzichtet wird. Eine solche Regelung würde angesichts der allgemeinen Geltung dieses Grundsatzes im vertraglichen und ausservertraglichen Haftungsrecht auch singulär erscheinen und möglicherweise neue Fragen aufwerfen.

Die neue Regelung soll entsprechend der heutigen Rechtslage dispositiver Natur sein, sodass die neue Rügefrist vertraglich abgeändert werden kann. Im Rahmen der Vernehmlassung wurde seitens einiger Vernehmlassungsteilnehmenden eine relativ zwingende Rügefrist gefordert, da ansonsten die Gefahr einer vertraglichen Verkürzung der Rügefrist bestünde.82 Da es bei dieser
Gesetzesänderung jedoch nicht in erster Linie um eine Korrektur einer missbräuchlichen Vertragspraxis, sondern primär um eine Korrektur einer unbilligen Gesetzesbestimmung geht (siehe dazu oben 1.1.4.1), ist die Schaffung zwingenden Rechts nicht ohne weiteres erforderlich und wäre unverhältnismässig. Mit der Schaffung eines zwingenden Nachbesserungsrechts in Artikel 368 Absatz 2bis E-OR bzw. Artikel 219a Absatz 2 in Verbindung mit

77

78

79 80 81 82

Vgl. ERICH RÜEGG, in: Grundstückkauf, Rn 232, welcher das Beispiel der Wärmedämmung oder Heizung erwähnt, für welche sich die Dauer der Prüfungsfrist bis in die kalte Jahreszeit erstreckt.

Zum Begriff der Entdeckung kann auf die diesbezüglichen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Werkvertrag (Art. 370 Abs. 3 OR) verwiesen werden, vgl. dazu auch die Erläuterung zu Art. 367 Abs. 1 Satz 2 E-OR.

M.w.H. BGE 130 III 182 E. 5.5.1; vgl. auch BGer 4C_37/2011 vom 27. April 2011 E. 4.2; OFTINGER/STARK, § 6 Rz. 42 und § 7 Rz. 16.

BGer 4C_37/2011 vom 27. April 2011 E. 4.2; 4C.83/2006 vom 26. Juni 2006 E. 4.

Bericht Vernehmlassungsverfahren (Fn 60), S. 9.

Vgl. Bericht Vernehmlassungsverfahren (Fn 60), S. 9 f.

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Artikel 368 Absatz 2bis E-OR ist zudem damit zu rechnen, dass die Vereinbarung einer kürzeren Rügefrist betreffend das zwingende Nachbesserungsrecht nicht wirksam sein wird (siehe dazu gerade unten die Erläuterung zu Art. 368 Abs. 2bis), was den vorgetragenen Bedenken Rechnung tragen würde. Auch im Hinblick auf alle weiteren Aspekte bleibt es bei der heutigen Rechtslage, namentlich hinsichtlich der Verwirkungsfolge der verspäteten oder unterbliebenen Mängelrüge (Art. 201 Abs. 2 und Abs. 3 OR).

In Absatz 2 wird der Käuferin oder dem Käufer eines Grundstücks unter gewissen Voraussetzungen analog einem Besteller ebenfalls ein Nachbesserungsrecht eingeräumt. Da die Qualifikation als Werk- oder Kaufvertrag bei neu erstellten oder noch zu erstellenden Bauten oft von mehr oder weniger zufälligen Umständen abhängig ist und von den Parteien auch bewusst gesteuert werden kann (siehe dazu oben Ziff. 1.1.1.2), drängt sich für Werk- wie auch für Kaufverträge eine parallele Regelung auf, auch wenn das Nachbesserungsrecht im Kaufvertrag einen Fremdkörper darstellen mag und bisher von Gesetzes wegen nicht vorgesehen ist (siehe dazu oben Ziff. 4.1.2.2). Ein Nachbesserungsrecht dient dem Käufer oft am besten und stellt für den Verkäufer in der Praxis meist keine wesentliche Belastung dar. Bei der Erstellung neuer Bauten ist es Verkäufern zumutbar, dass ihnen eine solche im Grunde vertragsfremde Pflicht aufgebürdet wird, zumal hier meist ein System von Planern, Generalund Subunternehmern anzutreffen ist, sodass es zur Erfüllung der Nachbesserungsschuld gar nicht auf die persönlichen Kenntnisse und Mittel des Nachbesserungspflichtigen ankommt. Zudem erfolgt nicht nur bei Werkverträgen, sondern vor allem auch bei Kaufverträgen über Stockwerkeinheiten und Reiheneinfamilienhäuser oft eine weitgehende Freizeichnung bei gleichzeitiger Abtretung der Mängelrechte des Verkäufers gegenüber seinen Subunternehmern. Das Schutzbedürfnis des Käufers ist hinsichtlich dieser problematischen Vertragspraxis vergleichbar mit demjenigen eines Bestellers im Rahmen eines Werkvertrags.

Ein Nachbesserungsrecht soll beim Grundstückkauf nur unter zwei Bedingungen bestehen: ­

83 84

Erstens muss Vertragsgegenstand ein Grundstück mit einer Baute sein. Der Begriff des Grundstücks ergibt sich aus Artikel 655 ZGB. Damit fallen nicht nur Liegenschaften (Abs. 2 Ziff. 1), sondern auch in das Grundbuch aufgenommene selbständige und dauernde Rechte (Abs. 2 Ziff. 2) sowie Miteigentumsanteile an Grundstücken (Abs. 2 Ziff. 4) darunter. Der Kauf einer Baute im Baurecht wird also auch vom neuen Artikel 219a Absatz 2 E-OR erfasst, sofern das Baurecht nach Artikel 779 Absatz 3 ZGB als selbständiges und dauerndes Recht in das Grundbuch aufgenommen wird. Ebenso fällt auch der Kauf von Stockwerkeigentum darunter (vgl. Art. 712a Abs. 1 ZGB). Als Baute gilt in Anlehnung an Artikel 667 Absatz 2 ZGB jede mit dem Boden fest und dauerhaft verbundene Vorrichtung. Nicht darunter fallen hingegen Fahrnisbauten (Art. 677 ZGB) und reine Umgestaltungen des Erdbodens83.

Entgegen gewissen Forderungen aus der Vernehmlassung84 wird nicht an den Begriff des «unbeweglichen Werke» angeknüpft. Dieser Begriff entstammt Vgl. dazu BGE 98 II 191 E. 2.

Vgl. Bericht Vernehmlassungsverfahren (Fn 60), S. 14.

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dem Werkvertragsrecht und hat im Kaufvertrag keine Bedeutung. Es müsste stattdessen ein neuer Begriff geschaffen werden, womit wiederum neue Abgrenzungsprobleme entstehen würden.

­

Zweitens besteht das Nachbesserungsrecht nur bei Grundstücken mit Bauten, die weniger als ein Jahr vor dem Verkauf neu errichtet wurden oder noch zu errichten sind. Damit wird sichergestellt, dass nur der Erwerb einer neuen Baute von dieser Regelung erfasst ist und für schon länger bestehende Bauten kein Nachbesserungsrecht besteht. Nur Käuferinnen und Käufer von Neubauten können wertungsmässig wie Bauherren behandelt werden. Bei schon länger bestehenden Bauten erfolgt in der Regel auch keine Freizeichnung des Verkäufers bei gleichzeitiger Abtretung der Mängelrechte gegen seine Subunternehmer; sofern eine weitgehende Freizeichnung erfolgt, ist dies alleine weniger täuschend für den Käufer. Die Jahresfrist beginnt ab der Errichtung zu laufen. Dies bedeutet, dass die Arbeiten abgeschlossen sein müssen, sodass die Baute im Wesentlichen den Zustand erreicht hat, welcher im Kaufvertrag versprochen wurde. Geringfügige oder nebensächliche Arbeiten sowie etwaige Nachbesserungsarbeiten werden den Zeitpunkt der Errichtung in der Regel nicht mehr beeinflussen. Ist dieser Zustand hingegen noch nicht erreicht, so ist der Tatbestand der Bestimmung ohnehin erfüllt, da die Baute dann als noch zu errichten gilt. In diesem Fall wird entweder ein gemischtes Vertragsverhältnis oder ein Kauf über eine zukünftige Sache vorliegen (siehe dazu oben Ziff. 1.1.1.2). In beiden Fällen besteht ein Nachbesserungsrecht hinsichtlich der noch zu erstellenden Teile. Die Ausübung des Nachbesserungsrechts ist im Übrigen nicht an die Jahresfrist gebunden.

Nach Absatz 2 zweiter Satz sollen die werkvertraglichen Voraussetzungen auf das kaufvertragliche Nachbesserungsrecht sinngemäss zur Anwendung kommen. Es gelten für seine Ausübung somit dieselben Voraussetzungen wie beim Werkvertrag (namentlich muss die Mangelbeseitigung überhaupt objektiv möglich sein, und die Verbesserungskosten dürfen nicht übermässig sein).85 Der Mangelbegriff wird sich dabei allerdings aus dem Kaufvertrag ableiten. Die Nachbesserungspflicht beinhaltet somit die Herstellung des im Kaufvertrag versprochenen Zustandes. Dabei hat der Verkäufer ­ gleich einem nachbesserungspflichtigen Unternehmer ­ auch die erforderlichen Vorbereitungs- und Wiederherstellungskosten zu tragen.86 Soweit dem Verkäufer die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Herstellung des vertragsgemässen Zustandes fehlen, kann und muss er dafür einen Dritten heranziehen.87 Zwingender Natur ist das Nachbesserungsrecht im Rahmen eines Kaufvertrags sodann nur unter den Voraussetzungen von Artikel 368 Absatz 2bis E-OR.

Absatz 3 entspricht dem bisherigen Absatz 3 von Artikel 219 OR. Die neue Platzierung der Bestimmung über die Verjährung der Gewährleistungsansprüche ergibt sich aus Gründen der Gesetzessystematik. Ausserdem wurde der Wortlaut der Bestim-

85 86 87

Siehe zu den Voraussetzungen des Nachbesserungsrechts im Einzelnen GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1745 ff.

Vgl. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1720.

Vgl. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1715.

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mung demjenigen der bundesgerichtlichen Praxis angepasst, gemäss welcher die Verjährungsbestimmung des bisherigen Artikel 219 Absatz 3 OR auf sämtliche Mängel anwendbar ist und nicht nur auf Mängel an Gebäuden.88 Art. 367 Abs. 1 zweiter Satz Die vorgeschlagene Fassung entspricht der Fassung des Vorentwurfs. Diese Bestimmung enthält demnach neu eine ausdrückliche Regelung der Rügefrist für offene Mängel. Die Rügefrist für versteckte Mängel ist, entsprechend der heutigen Rechtslage, in Artikel 370 Absatz 3 E-OR enthalten. Die Bestimmung bezieht sich nur auf unbewegliche Werke. Der Begriff des «unbeweglichen Werks» wird vom Gesetz heute an verschiedener Stelle verwendet, namentlich in Artikel 371 Absatz 1 und 2 OR sowie in Artikel 210 Absatz 2 OR. Vorausgesetzt wird dabei eine feste Verbindung mit dem Erdboden.89 Unbewegliche Werke sind also beispielsweise ein mit dem Boden fest verbundenes Bauwerk, aber auch Arbeiten an einem solchen, oder eine fest mit dem Boden verbundene Anlage oder Arbeiten am Erdboden selber.90 Anders als in Artikel 368 Absatz 2bis E-OR wird nicht der weniger weite Begriff der «Baute» verwendet, da sich eine längere Rügefrist bei unbeweglichen Werken einerseits bereits grundsätzlich rechtfertigt, andererseits aber auch deswegen, weil sonst für ein unbewegliches Werk, welches neben anderem auch die Erstellung einer Baute umfasst, unter Umständen unterschiedlich lange Rügefristen bestünden.

An der bisher in Absatz 1 enthaltenen Prüfungspflicht soll sich nichts ändern. Die Prüfung soll wie bisher erfolgen, sobald es nach Ablieferung des Werks nach dem üblichen Geschäftsgang tunlich ist. Die Rügefrist beträgt neu jedoch 60 Tage. Offene Mängel gelten mit Abschluss der Prüfung als entdeckt, sehr offensichtliche Mängel allenfalls noch vorher. Die Frist beginnt somit in diesem Zeitpunkt zu laufen. Aufgrund der Schadenminderungspflicht kann im Einzelfall sodann eine Mängelrüge innert kürzerer Frist geboten sein (siehe dazu die Erläuterung zu Art. 219a Abs. 1 E-OR). Die Rechtsfolge der verspäteten oder unterlassenen Mängelrüge bleibt wie heute in Artikel 370 Absatz 2 OR geregelt.

Die Bestimmung soll wie bisher dispositiver Natur sein, sodass eine vertragliche Abänderung der Rügefrist weiterhin zulässig ist (siehe dazu oben die Erläuterung zu Art. 219a Abs. 1 erster Satz E-OR).

Art. 368
Abs. 2bis Artikel 368 regelt die Mängelrechte des Bestellers beim Werkvertrag.

Ein neuer Absatz 2bis erklärt die zum Voraus getroffene Wegbedingung oder Einschränkung des Nachbesserungsrechts für unwirksam, wenn der Mangel eine Baute betrifft, die für den persönlichen oder familiären Gebrauch des Bestellers bestimmt ist. Die Bestimmung entspricht ebenfalls der Fassung des Vorentwurfs; sie bezweckt, die problematische Praxis der Wegbedingung sämtlicher Mängelrechte des Bauherrn gegenüber dem Generalunternehmer im Gegenzug zur Abtretung der Mängelrechte 88 89 90

BGE 104 II 265 E. 3.

GAUCH, Werkvertrag, Nr. 2239.

Vgl. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 2244 ff.

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des Generalunternehmers gegenüber seinen Subunternehmern einzuschränken (vgl.

dazu oben Ziff. 1.1.4.2). Die neue Bestimmung ist jedoch nicht auf Generalunternehmerverträge beschränkt, was Umgehungen verhindert und für rechtliche Klarheit sorgt, da bei Teilbauten (beispielsweise der Erneuerung des Badezimmers oder der Küche) die Unterscheidung zwischen einem Generalunternehmervertrag und einem einfachen Bauwerkvertrag oft unklar ist. Eine Wegbedingung der übrigen Mängelrechte, also des Rechts auf Wandelung, Minderung und Schadenersatz, wird im Rahmen der allgemeinen Schranken zulässig bleiben. Obwohl in der Vernehmlassung teilweise eine Unabdingbarkeit sämtlicher Mängelrechte gefordert wurde,91 rechtfertigt sich dies angesichts der grossen Wirkung, die mit einem unabdingbaren Nachbesserungsrecht alleine erzielt werden kann, nicht.

Absatz 2bis bezieht sich einerseits auf das werkvertragliche Nachbesserungsrecht in Absatz 2 und aufgrund des Verweises in Artikel 219a Absatz 2 zweiter Satz E-OR auch auf das Nachbesserungsrecht für Kaufverträge über Grundstücke nach dem neuen Artikel 219a Absatz 2 E-OR. Ausserdem gilt Absatz 2bis auch in den von Artikel 368 Absatz 3 OR erfassten Fällen. Artikel 368 Absatz 3 OR schränkt das Wahlrecht des Bestellers ein, indem es die Wandelung für gewisse Fälle ausschliesst. Absatz 2bis regelt jedoch die zwingende Natur des Nachbesserungsrechts, welches von Artikel 368 Absatz 3 OR ohnehin unberührt bleibt.

Das Nachbesserungsrecht ist jedoch nur unter gewissen Voraussetzungen zwingend.

So besteht das zwingende Nachbesserungsrecht nur bei Mängeln an Bauten, nicht aber an Grundstücken beziehungsweise unbeweglichen Werken im Allgemeinen (siehe zum Begriff der Baute gerade vorne die Kommentierung zu Art. 219a Abs. 2), wie dies im Rahmen der Vernehmlassung teilweise gefordert wurde.92 Diese Unterscheidung ist vor allem bei Kaufverträgen relevant, unter Umständen jedoch auch bei Werkverträgen, beispielsweise wenn das Gelände umgestaltet werden muss. Es ist nicht ersichtlich, dass der Schutzzweck der Norm eine Ausdehnung auf unbewegliche Werke, welche nicht gleichzeitig Bauten sind, erfordert. Zudem kann Anknüpfungspunkt im Kaufvertrag nur eine Baute und nicht ein unbewegliches Werk sein (siehe dazu oben die Erläuterung zu Art. 219a Abs. 2 E-OR), weswegen mit der Anknüpfung
an den Begriff der Baute auch im Werkvertrag eine parallele Rechtslage bewirkt werden kann. Die zweite Einschränkung besteht im Erwerbszweck der Baute zum persönlichen oder familiären Gebrauch durch den Besteller. Diese Formulierung entspricht Artikel 40a und 210 OR sowie Artikel 32 Absatz 2 ZPO93. Damit wird sichergestellt, dass nur Bauten erfasst werden, welche unmittelbar privaten Zwecken dienen.94 Wird eine Baute zwecks Weiterverkauf oder gewerbsmässiger Vermietung erstellt oder erworben, ist diese Bestimmung nicht anwendbar. Der Erwerbszweck beurteilt sich nach der ausdrücklichen oder konkludenten Erklärung des Erwerbers oder Bauherren und bei Fehlen einer solchen nach Treu und Glauben nach jener Gebrauchsbestimmung, die üblich oder billigerweise zu erwarten ist.95 In aller Regel wird der Zweck des Erwerbs für den Unternehmer oder Verkäufer aus dem gesamten 91 92 93 94 95

Vgl. Bericht Vernehmlassungsverfahren (Fn 60), S. 12.

Vgl. Bericht Vernehmlassungsverfahren (Fn 60), S. 14.

SR 272, wobei in der ZPO von «persönlichen oder familiären Bedürfnissen» die Rede ist.

KOLLER-TUMLER, Art. 40a N 3.

Vgl. m.w.H. KUT, Art. 40 a­g N 31.

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Zusammenhang, namentlich aus der Zweckbestimmung der Baute und aus der Person des Erwerbers, ersichtlich sein. Sind sowohl ein privater als auch ein beruflicher oder gewerblicher Gebrauch beabsichtigt (gemischte Gebrauchsbestimmung), reicht es in Anlehnung an die heute wohl herrschende Lehrmeinung zu Artikel 40a OR aus, wenn dem privaten Gebrauch zumindest keine völlig untergeordnete Bedeutung zukommt beziehungsweise wenn die geplante berufliche oder gewerbsmässige Nutzung nicht deutlich überwiegt.96 Bei Anwendbarkeit der SIA-Norm 118 wird die Abgrenzungsproblematik beim gemischten Gebrauch, welche in der Vernehmlassung relativ häufig angesprochen wurde,97 aufgrund des Vorrangs des Nachbesserungsrechts in deren Artikel 169 ohnehin nur untergeordnete Bedeutung haben.

Gemäss dem Wortlaut der Bestimmung ist eine Einschränkung oder ein Ausschluss des Nachbesserungsrechts unwirksam. Somit ist auch eine nur teilweise Wegbedingung unwirksam, beispielsweise eine vertragliche Beschränkung der Nachbesserung auf einen bestimmten Maximalbetrag (der Nachbesserungskosten oder des Minderwerts) oder bei Stockwerkeinheiten auf eine bestimmte Quote. Als Rechtsfolge einer Wegbedingung des Nachbesserungsrechts soll ausdrücklich die Ungültigkeit der entsprechenden Abrede angeordnet werden. Anstelle der ungültigen Wegbedingung tritt dann die gesetzliche Regel über das Nachbesserungsrecht. Der Vertrag bleibt damit entsprechend dem Grundsatz der geltungserhaltenden Reduktion98 insgesamt grundsätzlich wirksam, lediglich die Abrede über die Beschränkung des Nachbesserungsrechts ist nichtig; die Einwendung einer Vertragspartei, dass sie den Vertrag ohne die nichtige Freizeichnungsklausel nicht geschlossen hätte, ist dabei unbeachtlich.99 Im Übrigen sind solche Abreden nur dann nichtig, wenn sie zum Voraus getroffen werden. Ein Verzicht auf den Nachbesserungsanspruch ist also zulässig, wenn das Nachbesserungsrecht zu diesem Zeitpunkt bereits entstanden ist. Somit können Streitigkeiten über die Nachbesserung weiterhin auch wirksam durch den Abschluss eines Vergleichs beigelegt werden.

Gemäss der allgemeinen Regel von Artikel 8 ZGB trägt im Übrigen der Bauherr die Beweislast für die Voraussetzungen des zwingenden Nachbesserungsrechts, namentlich auch für die Bestimmung der Baute für seinen persönlichen oder familiären
Gebrauch,100 was die Abgrenzungsproblematik bei gemischtem Gebrauch in der Praxis weiter relativieren wird.

Diese Bestimmung ist mit der SIA-Norm 118 aufgrund des dort vorgesehenen Vorrangs des Nachbesserungsrechts während der ersten zwei Jahre (Art. 169 SIANorm 118) kompatibel. Sofern in Übereinstimmung mit Teilen der Lehre in einer Verkürzung der (neuen) Rügefrist eine «mittelbare Haftungsmodifikation» erblickt wird, welche denselben Schranken unterliegen soll wie die Haftungsfreizeichnung,101 wird eine solche Abrede hinsichtlich des Nachbesserungsrechts ungültig sein und im 96

KUT, Art. 40a­g N 31; DORNIER, N 160 ff; KOLLER-TUMLER, OFK, Art. 40a N 8; STAUDER, Art. 40a N 15.

97 Vgl. Bericht Vernehmlassungsverfahren (Fn 60), S. 12 und 15 f.

98 Vgl. dazu BGE 134 III 438 E. 2.3; 131 III 467 E. 1.3; 123 III 292 E. 2e/aa.

99 BGE 123 III 292 E. 2e/aa und BGer 4A_404/2008 vom 18. Dezember 2008 E. 5.6.2 sowie m.w.H. GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 708 ff. und insbes. N 712a.

100 Vgl. für die Beweislastverteilung im Zusammenhang mit dem Widerrufsrecht nach Art. 40a OR KOLLER-TUMLER, Vor Art. 40a­40f N 11.

101 Vgl. dazu GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3081 und Fn. 164.

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dritten bis fünften Jahr nach der Abnahme anstelle der Regeln SIA-Norm 118, namentlich deren Artikel 179 Absatz 2 sowie Artikel 178 Absatz 1 und 2 (wenn der Mangel weniger als 60 Tage vor Ablauf des zweiten Jahres erkennbar geworden ist), die neue 60-tägige Rügefrist gemäss Artikel 367 Absatz 1 zweiter Satz E-OR gelten.

Art. 370 Abs. 3 zweiter Satz Diese Bestimmung enthält die Rügefrist für versteckte Mängel bei unbeweglichen Werken. Die neue Fassung wurde unverändert vom Vorentwurf übernommen. Sie sieht wie bei offenen Mängeln neu eine Rügefrist für versteckte Mängel von 60 Tagen vor (vgl. Art. 367 Abs. 1 zweiter Satz E-OR). Was den Fristbeginn betrifft, so besteht für versteckte Mängel keine Prüfungsobliegenheit,102 weswegen die Rügefrist noch nicht mit der objektiven Erkennbarkeit des Mangels alleine zu laufen beginnt und auch die tatsächliche Feststellung erster Mängelspuren noch keinen Fristbeginn auslöst, sofern der Besteller nach Treu und Glauben vorerst davon ausgehen darf, dass es sich um übliche Erscheinungen und nicht um Vertragsverletzungen handelt; als entdeckt gilt ein Mangel erst mit seiner zweifelsfreien Feststellung.103 Diese kann erst angenommen werden, wenn der ernsthafte Charakter des Zustands deutlich wird, sodass der Besteller die Bedeutung und Tragweite des Mangels erfassen kann104, was gegebenenfalls auch eine angemessene Beobachtungsfrist umfasst105.

5.2

Zivilgesetzbuch

Art. 839 Abs. 3 Die vorgeschlagene Änderung der Regelung des Bauhandwerkerpfandrechts entspricht der Fassung des Vorentwurfs. Mit ihr werden die Anforderungen an die Ersatzsicherheit für ein Bauhandwerkerpfandrecht in quantitativer Hinsicht definiert. Im Unterschied zur heutigen Rechtslage soll die Ersatzsicherheit Verzugszins nicht für unbestimmte Zeit, sondern nur, aber immerhin, im Umfang von zehn Jahren sicherstellen (vgl. dazu auch oben Ziff. 4.1.3). Dazu wird die bisherige Formulierung um die Präzisierung «zuzüglich Verzugszinse für die Dauer von zehn Jahren» ergänzt.

Dies gilt wiederum nur insoweit, als im konkreten Fall überhaupt für diesen Zeitraum Verzugszinsen geschuldet sind; die Höhe der Verzugszinsen bestimmt sich nach dem tatsächlich anwendbaren Zinssatz, der sich aus dem Gesetz (Art. 104 Abs. 1 OR) oder aus Vertrag (vgl. Art. 104 Abs. 2 OR) ergeben kann. Wie bisher sind daneben auch weiterhin die übrigen qualitativen und quantitativen Anforderungen zu berücksichtigen, damit eine Sicherheit als «hinreichend» gelten kann, wofür die bisherigen Regeln unverändert weiter gelten. Demnach muss die Ersatzsicherheit insbesondere mindestens die wirtschaftliche Qualität eines Grundpfandes haben und gegebenenfalls auch

102 103 104 105

Zum Kaufrecht BGer 4C.152/2003 vom 29. August 2003 E. 3.1.

BGE 117 II 425 E. 2; 107 II 172 E. 1a.

BGE 118 II 142 E. 3b; 131 III 145 E. 7.2.

Vgl. BGer 4C.159/1999 vom 28. Juli 2000 E. 1b.bb.

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die Kosten der Betreibung und die Vertragszinsen decken (vgl. Art. 818 Abs. 1 Ziff.

2 und 3 ZGB).106

6

Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund

Die Vorlage hat keine finanziellen und personellen Auswirkungen auf den Bund.

6.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Die Vorlage hat keine besonderen Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden. Bezüglich öffentlichem Bauwesen kann auf die vorstehenden Ausführungen zu den Auswirkungen auf den Bund (vgl. Ziff. 6.1) verwiesen werden, die sinngemäss gelten.

6.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Es sind keine relevanten Auswirkungen der vorgeschlagenen Änderungen auf die Volkswirtschaft zu erwarten. Die Wahrscheinlichkeit, für Baumängel tatsächlich in Anspruch genommen zu werden, dürfte im Wesentlichen nur für diejenigen Verkäufer und Unternehmer leicht steigen, welche sich heute der erwähnten unbilligen Vertragsbestimmungen (Kombination von Freizeichnung und Abtretung von Gewährleistungsansprüchen) bedienen. Dies wird für diese besonders gelagerten Fälle gerade bezweckt. Für die übrigen Verkäufer und Unternehmer, insbesondere solche, welche heute regelmässig die SIA-Norm 118 vereinbaren, werden die vorgeschlagenen Änderungen deswegen nur geringe Auswirkungen haben. Eine messbare Preissteigerung auf dem Immobilienmarkt ist somit nicht zu erwarten. Was die SIA-Norm 118 im Besonderen betrifft, so ist die Vorlage damit weitestgehend kompatibel; es stellt sich lediglich die Frage, ob das Erfordernis der Sofort-Rüge im dritten bis fünften Jahr nach der Abnahme gemäss Artikel 179 Absatz 2 und (im Falle von Mängeln, die weniger als 60 Tage vor Ablauf des zweiten Jahres erkennbar geworden sind) die Verwirkungsfolge nach Ablauf der zweijährigen Rügefrist gemäss Artikel 178 Absatz 1 und 2 der SIA-Norm 118 betreffend das Nachbesserungsrecht weiterhin wirksam sind.107 Hinsichtlich des Verkaufs von Grundstücken mit schon länger bestehenden Bauten wird sich nichts ändern, da die Vorlage für solche Fälle kein Nachbesserungsrecht

106

Zu den qualitativen und quantitativen Anforderungen an eine Ersatzsicherheit vgl.

im Einzelnen BGE 142 III 738 E. 4.4.2 und 121 III 445 E. 5.a.

107 Siehe dazu oben Ziff. 5.1 Erläuterung zu Artikel 368 Absatz 2bis.

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vorsieht. Entsprechende Einschränkungen der Gewährleistungsansprüche, wie beispielsweise auch der «Kauf wie besehen», bleiben im Rahmen der bisherigen Schranken zulässig.

6.4

Auswirkungen auf die Gesellschaft

Die vorgeschlagenen Änderungen haben positive Auswirkungen auf die Gesellschaft: Gewisse stossende Fälle von Bauherren, welche auf den Kosten für die Behebung von Baumängeln sitzen bleiben und deswegen in wirtschaftliche Not geraten, werden vermieden. Positiv zu erwähnen ist auch, dass mit den vorgeschlagenen Änderungen eine als unsachlich streng wahrgenommene Gesetzesbestimmung («Sofort-Rüge») und eine unbillige und für viele Betroffene völlig intransparente Vertragspraxis (Kombination von Freizeichnung und Abtretung von Gewährleistungsansprüchen) beseitigt werden. Dadurch wird die Rechtslage für die Bevölkerung klarer und fairer und insgesamt das Vertrauen in das Rechtsystem gestärkt.

6.5

Auswirkungen auf die Umwelt

Die Vorlage hat keine besonderen Auswirkungen auf die Umwelt.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 122 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)108, der dem Bund die Kompetenz zur Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts- und Zivilprozessrechts gibt.

7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Schweiz ist an keine internationale Verpflichtung gebunden, die ihren Handlungsspielraum auf dem vorliegend betroffenen Gebiet einschränkt. Der Entwurf ist somit in Übereinstimmung mit den völkerrechtlichen Normen, welche für die Schweiz verbindlich sind, namentlich mit den Verpflichtungen, die aus der Mitgliedschaft in einer internationalen Organisation und aus bilateralen und multilateralen völkerrechtlichen Verträgen resultieren.

108

SR 101

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7.3

Erlassform

Die Änderung des Obligationenrechts und des Zivilgesetzbuchs, die grundlegende Bestimmungen über die Rechte und Pflichten von Personen behandeln, ist in Form eines Bundesgesetzes zu erlassen (Art. 164 Abs. 1 Bst. c BV).

7.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen (die Ausgaben über einem der Schwellenwerte nach sich ziehen) geschaffen, noch neue Verpflichtungskredite / Zahlungsrahmen (mit Ausgaben über einem der Schwellenwerte) beschlossen.

7.5

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Mit der Vorlage werden keine neuen Rechtsetzungsbefugnisse an den Bundesrat delegiert.

7.6

Datenschutz

Die Vorlage betrifft keine Fragen im Zusammenhang mit dem Datenschutz.

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