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Sicherstellung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden der dezentralen Bundesverwaltung: Stand der Umsetzung der Empfehlungen der GPK-S Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 21. Oktober 2022

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Das Wichtigste in Kürze Zwischen 2020 und 2022 hat die GPK-S die Umsetzung von vier Empfehlungen überprüft, die sie 2015 zur Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden der dezentralen Bundesverwaltung an den Bundesrat gerichtet hatte. Diese Behörden ­ insgesamt 17 an der Zahl ­ weisen zwei verschiedene Rechtsformen auf: jene der selbstständigen öffentlich-rechtlichen Anstalt (wie die FINMA oder Swissmedic) und jene der ausserparlamentarischen Kommission mit Entscheidungsbefugnissen, der sogenannten Behördenkommission (wie die WEKO). Für diese beiden Arten von Behörden gelten ­ namentlich was deren Unabhängigkeit anbelangt ­ unterschiedliche rechtliche Vorgaben.

Die GPK-S hält fest, dass der Bundesrat trotz wiederholter Aufforderung ihrerseits nicht bereit ist, ein Gesamtkonzept zur Harmonisierung der Normen für die Unabhängigkeit der Aufsichts- und Regulierungsbehörden auszuarbeiten. In den vergangenen Jahren wurden diesbezüglich zwar verschiedene Präzisierungen vorgenommen (Ergänzungen der Corporate-Governance-Leitsätze, Veröffentlichung von Mustererlassen), doch betreffen diese nur die selbstständigen öffentlich-rechtlichen Anstalten und nicht die Behördenkommissionen. Die GPK-S ist vor diesem Hintergrund weiterhin der Ansicht, dass es eines Gesamtkonzeptes bedarf.

Die Kommission hält fest, dass in den letzten Jahren verschiedene rechtliche Anpassungen vorgenommen wurden, die in allgemeiner Form zur Klärung der Unabhängigkeitsvorschriften beigetragen haben. Sie weist allerdings darauf hin, dass die konkreten Unabhängigkeitsvorschriften in den Spezialgesetzen der verschiedenen Behörden nach wie vor uneinheitlich sind und hier bisher nur wenige Revisionen vorgenommen wurden. Die Kommission erachtet es als sehr wichtig, dass der Bundesrat weiterhin auf eine Harmonisierung der einschlägigen Normen hinarbeitet. In den Augen der Kommission zeigt die rechtliche Ausgestaltung des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (ENSI), das über mehr Unabhängigkeit verfügt als vergleichbare Anstalten, die uneinheitliche Praxis des Bundes in diesem Bereich exemplarisch auf. Sie begrüsst die Bereitschaft des Bundesrates, diesen Sonderfall zu gegebener Zeit zu prüfen.

Im Jahr 2021 beschloss der Bundesrat, in den Corporate-Governance-Leitsätzen des Bundes zu präzisieren, dass er bei der Begründung
und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Direktorin bzw. dem Direktor von selbstständigen öffentlichrechtlichen Anstalten über ein Genehmigungsrecht verfügt. Die Gründe für diesen Schritt sind aus Sicht der GPK-S zwar nachvollziehbar. Sie betont jedoch, dass dieses erweiterte Interventionsrecht des Bundesrates auch gewisse Risiken für die Unabhängigkeit der Aufsichts- und Regulierungsanstalten birgt, weshalb dieses Instrument mit grösster Zurückhaltung einzusetzen sein wird.

Die GPK-S begrüsst den Entscheid des Bundesrates, Anforderungsprofile für alle Behördenkommissionen mit Aufsichts- und Regulierungsaufgaben zu erstellen und damit einer langjährigen Empfehlung der GPK-S zu entsprechen. Diese Anforderungsprofile sind ihrer Ansicht nach sinnvoll konzipiert und wurden gemäss einer summarischen Prüfung der GPK von den Departementen bei den zuletzt vorgenommenen Wahlen angewendet. Was die selbstständigen öffentlich-rechtlichen Anstalten anbelangt, 2 / 32

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begrüsst die Kommission den Entscheid des Bundesrates, die Transparenz des Verfahrens zur Wahl der Mitglieder des Instituts- bzw. Verwaltungsrats zu erhöhen.

Die GPK-S begrüsst ausserdem, dass die Leitsätze bezüglich Umgang mit Interessenbindungen für die selbstständigen öffentlich-rechtlichen Anstalten präzisiert worden sind. Aus Sicht der Kommission ist es sehr wichtig, dass der Bund in dieser Angelegenheit eine aktive Aufsicht ausübt. Die Kommission hält aber auch fest, dass die Vorschriften für den Umgang mit Interessenbindungen für die Behördenkommissionen deutlich rudimentärer sind. Sie ersucht den Bundesrat deshalb, sicherzustellen, dass alle Departemente die Mitglieder dieser Kommissionen für dieses Thema sensibilisieren und die entsprechenden Prozesse vereinheitlichen.

Im Rahmen ihrer Nachkontrolle befasste sich die GPK-S mit dem Sonderfall des früheren Präsidenten des ENSI-Rates, der nach Kritik an seiner Unabhängigkeit zurückgetreten war. In ihren Augen zeigt dieses Beispiel klar auf, wie passiv die Departemente ihre Aufsichtsfunktion in Sachen Interessenbindungen in der Vergangenheit wahrgenommen haben. Die Kommission nimmt allerdings positiv zur Kenntnis, dass aus diesem Fall Lehren gezogen wurden und das betreffende Departement seitdem seine Aufsichtspraxis geklärt und seine Aufsicht intensiviert hat. Ausserdem stellt sie fest, dass der Bund über geeignete Instrumente verfügt, um bei Unzulänglichkeiten zu intervenieren. Für unerlässlich hält die Kommission allerdings, dass der Bundesrat für die Überprüfung solcher Problemfälle klare Kriterien definiert und eine systematische Methode entwickelt.

Im Allgemeinen kommt die GPK-S zum Schluss, dass der Bundesrat sich bei der Sensibilisierung der Aufsichts- und Regulierungsbehörden wenig aktiv für das Thema der Unabhängigkeit einsetzt. Auch wenn die Kommission dessen Ansicht teilt, dass die Hauptverantwortung für die entsprechenden Massnahmen bei den Leitungsorganen der jeweiligen Behörden liegt, sollte das jeweils federführende Departement in direkten Gesprächen mit den Verantwortlichen regelmässig überprüfen, ob diese Sensibilisierung auch tatsächlich erfolgt.

Das grundsätzliche Problem, das nach wie vor besteht, liegt nach Ansicht der GPKS darin, dass die Aufsichts- und Regulierungsbehörden in zwei verschiedenen Rechtsformen organisiert
und dementsprechend unterschiedlichen Unabhängigkeitsvorschriften unterworfen sind. Diese Unterscheidung, die historische und organisatorische Gründe hat, kann die Kommission teilweise nachvollziehen. Es scheint ihr nicht realistisch, zu verlangen, dass alle Aufsichts- und Regulierungsbehörden künftig die gleiche Rechtsform haben. Zudem hält sie fest, dass sich die Unterschiede zwischen den beiden Formen von Behörden in Bezug auf die Sicherstellung der Unabhängigkeit in den letzten Jahren etwas verringert haben. Bei bestimmten grösseren Behördenkommissionen stellt sich für die GPK-S jedoch die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, diese in selbstständige Anstalten umzuwandeln.

Die GPK-S schliesst mit diesem Bericht ihre Arbeiten in diesem Dossier ab. Sie betont allerdings, dass gewisse Fragen nach wie vor offen sind bzw. in gewissen Punkten noch Handlungsbedarf für den Bundesrat besteht. Auf der Grundlage einer Gesamtanalyse, in der auch weitere hängige Dossiers berücksichtigt werden, wird die Kommission im Laufe des Jahres 2023 entscheiden, wie sie diese Aspekte weiterverfolgen möchte.

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Inhaltsverzeichnis Das Wichtigste in Kürze

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Einleitung

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Gegenstand der Nachkontrolle: die Aufsichts- und Regulierungsbehörden der dezentralen Bundesverwaltung

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Beurteilung der Umsetzung der Empfehlungen von 2015 durch die GPK-S 3.1 Konzept und Normierung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden 3.2 Anforderungsprofile und Wahlverfahren 3.3 Sensibilisierung für die Unabhängigkeit 3.4 Rechtsform der Aufsichts- und Regulierungsbehörden 3.5 Rücktritt des Präsidenten des ENSI-Rates

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Schlussfolgerungen und weiteres Vorgehen

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Abkürzungen

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Bericht 1

Einleitung

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) legt in diesem Bericht die Schlussfolgerungen aus der Nachkontrolle dar, die sie von 2020 bis 2022 zur Unabhängigkeit der Aufsichts- und Regulierungsbehörden der dezentralen Bundesverwaltung durchgeführt hat. Gleichzeitig beendet sie ihre diesbezügliche Inspektion, die sie vor mehr als neun Jahren begonnen hat.

Die GPK-S veröffentlichte im Oktober 2015 einen ersten Bericht zu diesem Thema1, der sich auf die Ergebnisse einer Evaluation2 der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK) stützte. Darin kam sie zum Schluss, dass die Unabhängigkeit dieser Behörden erhöht werden muss, namentlich durch eine Optimierung und Vereinheitlichung der einschlägigen Rechtsnormen. Sie formulierte vier entsprechende Empfehlungen zuhanden des Bundesrates.

Der Bundesrat zeigte sich in seinen Stellungnahmen vom 18. Dezember 20153 und vom 17. Juni 20164 grundsätzlich bereit, die Empfehlungen der Kommission umzusetzen, äusserte aber auch die Meinung, dass einige der Empfehlungen bereits vollständig, andere weitgehend umgesetzt sind.

Nach zusätzlichen Abklärungen veröffentlichte die GPK-S im Mai 2017 einen zweiten Bericht5, in dem sie die Stellungnahmen des Bundesrates beurteilte. Die Kommission begrüsste die Bemühungen in diesem Bereich, kam allerdings zum Schluss, dass noch weitere Massnahmen ergriffen werden müssen. Die GPK-S schloss ihre Inspektion ab und kündigte an, die Umsetzung ihrer Empfehlungen nach zwei bis drei Jahren in einer Nachkontrolle zu überprüfen.

Im Juni 2020 leitete die GPK-S die Nachkontrolle zu ihrer Inspektion ein, um zu überprüfen, inwieweit der Bundesrat ihre Empfehlungen von 2015 umgesetzt hat.

Sie beauftragte ihre Subkommission Eidgenössisches Departement des Innern / Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (EDI/UVEK)6, vertiefte Abklärungen in dieser Sache vorzunehmen. Zwischen 1 2

3

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5 6

Sicherstellung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden der dezentralen Bundesverwaltung. Bericht der GPK-S vom 6.10.2015 (BBl 2016 1711).

Evaluation der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden der dezentralen Bundesverwaltung. Bericht der PVK vom 2.2.2015 zuhanden der GPK-S (BBl 2016 1723) (im Folgenden: Bericht der PVK vom 2.2.2015).

Bericht der GPK-S vom 6.10.2015 betreffend die Sicherstellung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden der dezentralen Bundesverwaltung. Stellungnahme des Bundesrates vom 18.12.2015 (BBl 2016 1773).

Sicherstellung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden der dezentralen Bundesverwaltung. Schreiben des Bundesrates vom 17.6.2016 an die GPK-S (unveröffentlicht).

Sicherstellung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden der dezentralen Bundesverwaltung. Bericht der GPK-S vom 9.5.2017 (BBl 2017 4513).

Die Subkommission EDI/UVEK der GPK-S setzt sich zusammen aus den Ständeräten Marco Chiesa (Präsident), Matthias Michel und Othmar Reichmuth sowie aus den Ständerätinnen Elisabeth Baume-Schneider und Heidi Z'graggen.

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September 2020 und Februar 2022 untersuchte die Subkommission eingehend die Umsetzung der Empfehlungen. Sie nahm unter anderem Kenntnis vom Bericht «Eignerstrategie des Bundesrates für die verselbstständigten Einheiten des Bundes», den der Bundesrat im Mai 2021 in Erfüllung des Postulates Abate 18.42747 (im Folgenden: Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates Abate) veröffentlicht hatte, und richtete verschiedene schriftliche Fragen an den Bundesrat und die betroffenen Departemente.

Auf der Grundlage der ihr vorliegenden Informationen beschloss die Kommission, ihre abschliessende Beurteilung zu diesem Thema aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht im vorliegenden Bericht darzulegen. In den Kapiteln 3.1 bis 3.4 präsentiert sie den ihr bekannten Sachverhalt und nimmt anschliessend eine Beurteilung vor.

Die GPK-S befasste sich im Rahmen ihrer Nachkontrolle auch mit dem Fall des ehemaligen Präsidenten des Rates des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (ENSI), Martin Zimmermann, der 2020 nach öffentlicher Infragestellung seiner Unabhängigkeit zurückgetreten war.8 Die Erwägungen der GPK-S in dieser Sache sind in Kapitel 3.5 dargelegt.

Der Entwurf des Berichts wurde im Sommer 2022 allen Departementen und der Bundeskanzlei (BK) unterbreitet.9 Der Bericht wurde von der GPK-S schliesslich am 21. Oktober 2022 verabschiedet und dem Bundesrat übermittelt.

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Gegenstand der Nachkontrolle: die Aufsichtsund Regulierungsbehörden der dezentralen Bundesverwaltung

Die Definition der Aufsichts- und Regulierungsbehörden und die Kriterien für deren Unabhängigkeit werden im Evaluationsbericht der PVK von 2015 ausführlich dargelegt.10 Gemäss der Kategorisierung, die der Bundesrat in seinem CorporateGovernance-Bericht von 200611 vornimmt, handelt es sich in der Regel um Behörden, die Aufgaben der Wirtschaftsaufsicht12 und der Sicherheitsaufsicht13 erfüllen. Die

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8 9

10 11 12 13

Eignerstrategie des Bundesrates für die verselbstständigten Einheiten des Bundes. Bericht des Bundesrates vom 26.5.2021 in Erfüllung des Postulates Abate 18.4274 vom 13.12.2018.

Präsident Martin Zimmermann legt per Ende Juni 2020 sein Mandat im ENSI-Rat nieder, Medienmitteilung des ENSI-Rates vom 24.6.2020.

Diese wurden gebeten, zu prüfen, ob der Berichtsentwurf formelle oder materielle Fehler enthält oder ob schützenswerte Interessen einer Veröffentlichung bestimmter Informationen entgegenstehen. Zudem wurde Martin Zimmermann zu den ihn betreffenden Berichtsabschnitten konsultiert.

Bericht der PVK vom 2.2.2015, Kap. 2.

Bericht des Bundesrates vom 13. September 2006 zur Auslagerung und Steuerung von Bundesaufgaben [Corporate-Governance-Bericht] (BBl 2006 8233).

Die Wirtschaftsaufsicht befasst sich mit der Funktionsweise von Märkten und kann bei Marktversagen sowie bei der Preisbildung korrigierend eingreifen.

Bei der Sicherheitsaufsicht steht der präventive Aspekt im Vordergrund, dies mit dem Ziel, die Öffentlichkeit bzw. einzelne Marktteilnehmende vor bestimmten Gefahren zu schützen, die mit der Erbringung spezifischer Leistungen zusammenhängen.

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Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden wird einerseits als Unabhängigkeit vom Markt, d. h. insbesondere von den direkt zu Beaufsichtigenden, und andererseits als Unabhängigkeit von der Politik, d. h. von der Einflussnahme durch Regierung und Organe der Verwaltung, verstanden. Die PVK unterschied in ihrem Bericht von 2015 vier Dimensionen der Unabhängigkeit: die funktionale, die institutionelle, die personelle und die finanzielle Unabhängigkeit.14 Aus rechtlicher Sicht sind Aufsichts- und Regulierungsbehörden entweder als selbstständige öffentlich-rechtliche Anstalten (im Folgenden: selbstständige Anstalten)15 oder als ausserparlamentarische Kommissionen mit Entscheidungsbefugnissen (im Folgenden: Behördenkommissionen)16 organisiert.

Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Arten von Aufsichts- und Regulierungsbehörden ist insofern wichtig, als für die selbstständigen Anstalten nicht die gleichen rechtlichen Vorgaben gelten wie für die Behördenkommissionen:

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15

16

Bericht der PVK vom 2.2.2015, Kap. 2.2 und 2.3. Die PVK hält hierzu fest: «Wahrgenommen wird die Unabhängigkeit in erster Linie als funktionelle Unabhängigkeit, d. h. primär in Bezug auf die Aufgabenerfüllung. Die Behörde resp. ihre einzelnen Mitglieder sollen ihre Entscheide ohne innere Konflikte treffen können, also weder aufgrund von Interessenkollisionen, Beziehungen noch aus anderen Gründen. Auch institutionell-organisatorische, personelle oder finanzielle Faktoren können, wenn sie unzweckmässig ausgestaltet sind, die Unabhängigkeit beeinträchtigen».

Derzeit gibt es sieben selbstständige Anstalten, die Aufsichts- und Regulierungsaufgaben im Sinne dieses Berichts wahrnehmen: die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA), das Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI), die Schweizerische Exportrisikoversicherung (SERV), das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum (IGE), die Eidgenössische Revisionsaufsichtsbehörde (RAB) und das Schweizerisches Heilmittelinstitut (Swissmedic). Seit dem 1.1.2021 ist die neu geschaffene Anstalt «Schweizerische Trassenvergabestelle» (TVS), die ebenfalls Aufsichtsaufgaben erfüllt, operativ. Gemäss dem Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates Abate werden das IGE und die SERV zu den «Einheiten mit Dienstleistungen mit Monopolcharakter» und nicht zu den «Einheiten mit Aufgaben der Wirtschafts- und Sicherheitsaufsicht» gezählt. Die PVK konzentrierte sich in ihrer Evaluation von 2015 auf das ENSI, die RAB und Swissmedic.

Derzeit gibt es 26 Behördenkommissionen, von denen 10 Aufsichts- und Regulierungsaufgaben im Sinne dieses Berichts wahrnehmen. Diese werden in Anhang 2 Ziffer 2 RVOV als «marktorientierte Kommissionen» bezeichnet. Es handelt sich dabei um: die Eidgenössische Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (ESchK), die Wettbewerbskommission (WEKO), die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV), die Schiedskommission im Eisenbahnverkehr (SKE, seit 2020: RailCom), die Eidgenössische Kommunikationskommission (ComCom), die Postkommission (PostCom), die Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom), die Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle (SUST), die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) und die Eidgenössische Spielbankenkommission (ESBK). Früher war auch
die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) in dieser Liste aufgeführt. Diese wurde 2018 in die Innosuisse umgewandelt, die keine Kommission mehr ist. Die PVK konzentrierte sich in ihrer Evaluation von 2015 auf die ComCom und die WEKO. Im Rahmen einer Inspektion vertieft die GPK-S derzeit die Thematik der ausserparlamentarischen Verwaltungskommissionen.

Diese Inspektion, deren Ergebnisse nächstens vorliegen werden, befasst sich ausschliesslich mit Verwaltungskommissionen, welchen keine Entscheidbefugnisse zukommen.

Aufsichts- und Regulierungsbehörden sind damit nicht Gegenstand der Inspektion. Die GPK-S hat hierzu die PVK mit der Durchführung einer Evaluation mandatiert.

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Die Tätigkeiten (und die Unabhängigkeit) der selbstständigen Anstalten sind einzelfallspezifisch in der Spezialgesetzgebung (z. B. ENSI-Gesetz [ENSIG]17 für das ENSI, Heilmittelgesetz [HMG]18 für Swissmedic) sowie in spezifischen internen Weisungen geregelt.

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Die Betriebsgrundsätze (und die Unabhängigkeit) der Behördenkommissionen sind ganz allgemein im Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (Art. 57a ff. RVOG) 19 und in der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung (Abschnitt 1a, Art. 8a ff. RVOV)20 geregelt. Die spezifischen und detaillierten Bestimmungen zu den Tätigkeiten und Befugnissen dieser Kommissionen finden sich in der Spezialgesetzgebung (z. B. Art. 40 ff. des Eisenbahngesetzes [EBG]21 für die RailCom).

Diese Formunterscheidung hat einen entscheidenden Einfluss auf die Funktionsweise dieser Behörden, auf deren Beaufsichtigung durch den Bundesrat und somit auch auf deren Unabhängigkeit. Die Corporate-Governance-Leitsätze des Bundes (und namentlich die Schlussfolgerungen aus dem jüngst veröffentlichten Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates Abate) gelten beispielsweise nur für die selbstständigen Anstalten, nicht aber für die Behördenkommissionen.

Auch das Wahlverfahren unterscheidet sich zwischen diesen beiden Arten von Behörden: Die Mitglieder der Behördenkommissionen werden vom Bundesrat zu Legislaturbeginn gebündelt22für vier Jahre gewählt, während bei den selbstständigen Anstalten die Wahl der Verwaltungs- bzw. Institutsratsmitglieder nach einem bestimmten, in den verschiedenen Spezialgesetzen festgelegten Verfahren zeitlich versetzt23 erfolgt.

Die GPK-S befasste sich im Rahmen ihrer Nachkontrolle mit der Frage, ob eine solche Formunterscheidung immer noch gerechtfertigt ist. Die diesbezüglichen Schlussfolgerungen der Kommission werden in Kapitel 3.4 dargelegt.

17 18 19 20 21 22 23

Bundesgesetz vom 22.6.2007 über das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSIG; SR 732.2).

Bundesgesetz vom 15.12.2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21).

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21.3.1997 (RVOG; SR 172.010).

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25.11.1998 (RVOV; SR 172.010.1).

Eisenbahngesetz vom 20.12.1957 (EBG; SR 742.101).

gemäss Art. 57c Abs. 3 RVOG und Art. 8g RVOV.

Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) machte bei der Konsultation zum vorliegenden Bericht geltend, dass die Bestimmungen über die Wahl der Verwaltungs- bzw. Institutsratsmitglieder von selbstständigen Anstalten und die Bestimmungen über die Wahl der Mitglieder der Behördenkommissionen grundsätzlich inhaltlich deckungsgleich sind.

Das EFD wies darauf hin, dass in den Organisationserlassen aller selbstständigen Anstalten (FINMA, RAB, Swissmedic, ENSI, SAS) vorgesehen ist, dass die Verwaltungs- bzw.

Institutsratsmitglieder vom Bundesrat für vier Jahre gewählt werden und wiedergewählt werden können. Die Bestimmungen zur Wahl der Mitglieder der Behördenkommissionen und der selbstständigen Anstalten mögen zwar recht ähnlich sein (namentlich in Sachen Amtsdauer), doch verweist die GPK-S darauf, dass sich die Verfahren und Zuständigkeiten für die Vorbereitung dieser Wahlen unterscheiden und diese Wahlen auf verschiedenen Rechtsinstituten beruhen (Aktienrecht für die selbstständigen Anstalten und Verwaltungsrecht für die Behördenkommissionen).

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Beurteilung der Umsetzung der Empfehlungen von 2015 durch die GPK-S

3.1

Konzept und Normierung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden

Empfehlung 1 von 2015 Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, ein Konzept zu erarbeiten, um die Normierung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden zu vereinheitlichen.

Empfehlung 2 von 2015 Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, bei zukünftigen Gesetzesvorlagen dafür zu sorgen, dass die Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden stufengerecht und ausreichend detailliert gemäss einem einheitlichen Konzept normiert wird.

Dabei sind insbesondere die explizite Verankerung der Unabhängigkeit der Behörden gegenüber dem Bund und gegenüber den Beaufsichtigten sowie die Verpflichtung der Behörden zur Selbstregulierung zu prüfen.

Die Kommission fordert den Bundesrat zudem auf, im Rahmen seiner Verordnungs- und Aufsichtskompetenzen gegenüber Aufsichts- und Regulierungsbehörden auf eine verstärkte Selbstregulierung der personellen Unabhängigkeit hinzuwirken.

Die GPK-S wies in ihrem Bericht von 2015 auf die uneinheitliche Normierung der Unabhängigkeit der Aufsichts- und Regulierungsbehörden hin und hielt ein einheitliches Konzept für die Unabhängigkeit dieser Behörden für notwendig. Ausserdem stellte sie einige Lücken in den bestehenden Rechtsnormen fest, auch wenn diese Lücken zumindest teilweise durch behördeninterne Reglemente oder Weisungen kompensiert worden waren. Sie forderte, die wichtigen Eckwerte der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden auf Gesetzesstufe zu verankern.

Der Bundesrat erklärte in seiner Stellungnahme von 2015 zu den Empfehlungen der GPK-S, ein einheitliches Konzept für die Unabhängigkeit der Aufsichts- und Regulierungsbehörden bestehe bereits, und verwies auf den Corporate-Governance-Bericht von 2006. Ferner verwies er auf die von der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV) und vom Bundesamt für Justiz (BJ) in diesem Bereich erarbeiteten Mustererlasse.24 Er kündigte zudem an, dass die Änderungen zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Aufsichts- und Regulierungsbehörden bei den Teilrevisionen der Erlasse, welche die Organisation dieser Behörden betreffen, fortlaufend eingeflochten würden.

24

«Mustererlass für Anstalten mit Dienstleistungen mit Monopolcharakter» und «Mustererlass für Anstalten mit Aufgaben der Wirtschafts- und Sicherheitsaufsicht»

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Die GPK-S begrüsste in ihrem Bericht von 2017 die Mustererlasse, da diese die Leitsätze konkretisieren und eine wichtige Grundlage für die Harmonisierung der Rechtsnormen zur Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden darstellen. Sie stellte fest, dass der Mustererlass für die Aufsichtsbehörden mehrere ihrer Empfehlungen erfüllt. Die Kommission hielt aber auch fest, dass dieser Mustererlass eher vage gehalten ist und dass einige Bestimmungen von den Leitsätzen aus dem Corporate-Governance-Bericht des Bundesrates von 2006 abweichen und die Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörden schwächen könnten. Sie rief den Bundesrat deshalb erneut auf, ein transparentes und aktualisiertes Konzept zu erarbeiten, das als Grundlage für die künftige Normierung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden dienen kann.

Neue Rechtsbestimmungen zur Unabhängigkeit Die GPK-S erkundigte sich im Rahmen ihrer Nachkontrolle beim Bundesrat nach den Änderungen an den einschlägigen Rechtsgrundlagen zur Unabhängigkeit der Aufsichts- und Regulierungsbehörden.

Die Kommission nimmt Kenntnis davon, dass der Bundesrat 2016 und 2018 einige Änderungen an der RVOV betreffend die Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörden vorgenommen hat. Als zentrale Änderung erachtet sie die Anpassung von Artikel 8k RVOV, wonach im von der BK erstellten Verzeichnis der Mitglieder ausserparlamentarischer Kommissionen und der Mitglieder der Leitungsorgane von Organisationen des Bundes25 nun auch die Interessenbindungen der betreffenden Person anzugeben sind. Darüber hinaus führte der Bundesrat 2018 in der RVOV die Pflicht ein, für alle ausserparlamentarischen Kommissionen, die mit Aufsichts- und Regulierungsaufgaben betraut sind, ein Anforderungsprofil zu erstellen, welches die Kommissionsmitglieder erfüllen müssen (Art. 8e Abs. 2 Bst. m RVOV, siehe diesbezüglich Kap. 3.2).

Die GPK-S begrüsst diese beiden Massnahmen ausdrücklich, da diese insbesondere die Unabhängigkeit der Behördenkommissionen und die Transparenz in Sachen Interessenbindungen stärken.

Die GPK-S weist indes darauf hin, dass seit 2017 nur wenige Änderungen an Spezialgesetzen vorgenommen wurden, welche die Unabhängigkeit betreffen. Die einzigen Änderungen waren die Aufnahme neuer Bestimmungen ins EBG betreffend die Kommission für den Eisenbahnverkehr (RailCom) und die
Schweizerische Trassenvergabestelle (TVS). Laut Bundesrat ist derzeit keine weitere Änderung geplant. Für die GPK-S ist es daher schwierig, eine allgemeine Schlussfolgerung zu den Gesetzesänderungen und zur Umsetzung der Mustererlasse von 2016 zu ziehen. Diese Situation ist zwar insofern nachvollziehbar, als der Bundesrat beschlossen hatte, dass diese Anpassungen schrittweise, also bei weiteren Revisionen der betreffenden Erlasse, erfolgen. Die Kommission hält jedoch fest, dass es noch viele Jahre dauern wird, bis die einschlägigen Vorschriften tatsächlich vereinheitlicht sind. Sie hält es für besonders wichtig, dass der Bundesrat bei künftigen Gesetzesänderungen die in den Mustererlassen definierten Grundsätze weiterhin konsequent anwendet. Sie erwartet, dass allfällige Abweichungen in diesem Bereich in den dem Parlament vorgelegten 25

Ausserparlamentarische Kommissionen, Leitungsorgane und Bundesvertretungen, www.admin.ch > Dokumentation > Ausserparlamentarische Kommissionen (Stand: 16.5.2022).

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Botschaften begründet werden. Die Kommission behält sich die Möglichkeit vor, diese Frage bei künftigen Revisionen der einschlägigen Gesetze punktuell zu prüfen.

Selbstständige Anstalten: Arbeitsverhältnis mit der Direktorin bzw. dem Direktor Die GPK-S machte in ihrem Bericht von 2017 darauf aufmerksam, dass die Mustererlasse der EFV und des BJ in Bezug auf das Arbeitsverhältnis mit der Direktorin bzw. dem Direktor der Behörden in Widerspruch zu den Corporate-GovernanceGrundsätzen standen. Während die Mustererlasse dem Bundesrat in diesem Punkt ein Genehmigungsrecht einräumten, war eine solche Möglichkeit in den CorporateGovernance-Grundsätzen nicht vorgesehen.

In seinem Bericht in Erfüllung des Postulates Abate26 teilte der Bundesrat mit, angesichts dieses Widerspruchs beschlossen zu haben, den Corporate-Governance-Leitsatz 4 zu ändern. Dieser sieht nun vor, dass die Begründung und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Direktorin bzw. dem Direktor, die in die Zuständigkeit des Verwaltungs- bzw. Institutsrates fallen, der Genehmigung des Bundesrates bedürfen.27 Die GPK-S erkundigte sich nach den Gründen für diese Änderung und nach deren Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der betreffenden Behörden.

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Schlüsselstellung und die zentrale Verantwortung, die der Direktorin bzw. dem Direktor zukommen, diese Regelung rechtfertigt.

Nach Auffassung des Bundesrates muss es ihm in seiner Funktion als Aufsichtsinstanz möglich sein, allfälligen Mängeln auf den Grund zu gehen und dafür zu sorgen, dass die betreffende Behörde ihren gesetzlichen Auftrag ordnungsgemäss erfüllen kann. Er betont, dass mit der Auslagerung von Verwaltungsaufgaben nur die eigentliche Erfüllung der Aufsichtsaufgaben ausgelagert wird, der Bundesrat jedoch das ordnungsgemässe Funktionieren der verselbstständigten Behörde zu gewährleisten hat, weshalb er bei Mängeln ausserhalb der inhaltlichen Aufsichtstätigkeit eingreifen können muss.

Laut Bundesrat erhöht die Genehmigungserfordernis die Legitimation der Funktion und kann sie die Unabhängigkeit der Anstalt sogar stärken, indem der Verwaltungsbzw. Institutsrat einen ihm nicht mehr genehmen Direktor bzw. eine ihm nicht mehr genehme Direktorin nicht «aus beliebigen Gründen oder zu einem beliebigen Zeitpunkt entlassen kann». Umgekehrt könne
der Bundesrat einer Anstellung die Genehmigung versagen, wenn die Kandidatur eine hinreichende Unabhängigkeit von der zu beaufsichtigenden Branche vermissen lässt oder das Anforderungsprofil nicht erfüllt ist. Daraus schliesst er, dass der Genehmigungsvorbehalt die Unabhängigkeit der Anstalt nicht beeinträchtigt.

Der Bundesrat teilte der Kommission zudem mit, dass mit der Genehmigungsregelung für die Direktorin bzw. den Direktor eine Angleichung an die bereits seit Längerem in mehreren Einheiten geltende und bewährte Regelung erfolgt ist.28 Er präzisierte zudem, dass sich dieser Genehmigungsvorbehalt auf die Begründung und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Direktorin bzw. dem Direktor 26 27 28

Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates Abate, Kap. 2.2.1.

Dieser Leitsatz gilt nur für die selbstständigen Anstalten und nicht für die Behördenkommissionen (siehe Kap. 2).

Der Bundesrat nannte in diesem Zusammenhang die Beispiele FINMA, Swissmedic und RAB.

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beschränkt und nicht bei Vertragsänderungen gilt. Zu guter Letzt versicherte er der Kommission, dass die unabhängige operative Führung der Einheit gewährleistet bleibt und er von seinem Mitspracherecht nur zurückhaltend Gebrauch machen wird.

Die GPK-S hält fest, dass diese Massnahme theoretisch zu einer Verringerung der organisatorischen Unabhängigkeit der betreffenden Einheiten führt, da sie dem Verwaltungs- bzw. Institutsrat die Kompetenz für den abschliessenden Entscheid in Bezug auf das Arbeitsverhältnis mit der Direktorin bzw. dem Direktor entzieht.

In den Augen der Kommission sind die Argumente des Bundesrates in gewissem Masse dennoch nachvollziehbar. Sie teilt dessen Auffassung, dass der Direktorin bzw.

dem Direktor eine Schlüsselfunktion zukommt und dass der Bundesrat dank seiner Kompetenz, die Wahl oder Kündigung der Direktorin bzw. des Direktors zu genehmigen, seine Führungsrolle klarer wahrnehmen kann, insbesondere dann, wenn Mängel festgestellt werden. Die Kommission nimmt zudem Kenntnis davon, dass diese Regelung in einigen Einheiten bereits seit mehreren Jahren in Kraft ist. Ihres Wissens hat diese Praxis bisher zu keinen grundlegend problematischen Situationen geführt.

Vor diesem Hintergrund begrüsst die Kommission, dass der Bundesrat die Praxis in diesem Bereich vereinheitlichen und formalisieren will.

Die Begründung und Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit der Direktorin bzw. dem Direktor der Genehmigung durch den Bundesrat zu unterstellen, birgt jedoch auch gewisse Risiken, insbesondere diejenigen, dass die diesbezüglichen Entscheidungen künftig stärker von politischen Überlegungen beeinflusst werden könnten und der Bundesrat indirekt in das operative Geschäft der Einheit eingreifen könnte. Aus diesem Grund erachtet es die GPK-S als besonders wichtig, dass das Mitspracherecht des Bundesrates ­ wie von diesem angekündigt ­ nur sehr zurückhaltend und auch nur in gut begründeten Fällen genutzt wird und keinesfalls in die Unabhängigkeit der Einheit in Bezug auf ihre Aufsichtstätigkeit eingegriffen wird.

Sollte der Bundesrat bei der Begründung oder Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit der Direktorin bzw. dem Direktor sein Vetorecht ausüben, ist zudem zu befürchten, dass das Vertrauensklima in der Einheit selbst sowie zwischen der Einheit und dem Bund nachhaltig gestört
wird. Da ein solcher Fall bislang noch nicht aufgetreten ist, ist es für die GPK-S schwierig, zu beurteilen, welche Lösungen angesichts dieser Situation gefunden werden könnten. Wie der Bundesrat hält es auch die Kommission für äusserst wichtig, dass in solchen Fällen rasch der Dialog mit dem Verwaltungsbzw. Institutsrat aufgenommen wird. Sollte sich eine solche Situation abzeichnen, so geht die GPK-S davon aus, dass in der Praxis bereits im Vorfeld ein Austausch zwischen den involvierten Stellen stattfindet, um eine Blockade zu vermeiden.

Schliesslich sind einige Argumente des Bundesrates in den Augen der GPK-S wenig überzeugend: Der Bundesrat hält fest, dass der Verwaltungs- bzw. Institutsrat einen Direktor bzw. eine Direktorin «aus beliebigen Gründen oder zu einem beliebigen Zeitpunkt entlassen» oder eine Kandidatur vorschlagen könnte, «die eine hinreichende Unabhängigkeit» vermissen lasse. Dieses Argument kommt eher überraschend, wenn man bedenkt, dass die Mitglieder des Verwaltungs- bzw. Institutsrates vom Bundesrat selbst ernannt werden und ihre Unabhängigkeit und ihre Fähigkeiten hohe Voraussetzungen zur Wahl darstellen.

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Gesetzgebung betreffend das ENSI Die GPK-S befasste sich im Rahmen ihrer Nachkontrolle mit dem Sonderfall im Zusammenhang mit der Gesetzgebung betreffend das ENSI. Aus dem Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates Abate geht hervor, dass der Bundesrat dem ENSI gegenüber ­ im Vergleich zu den anderen selbstständigen Anstalten ­ nur sehr beschränkte Einflussmöglichkeiten hat. So verfügt er über keine Genehmigungskompetenz bei der Wahl des Direktors bzw. der Direktorin und bei der Festlegung der strategischen Ziele.29 Auf Nachfrage der Kommission meinte der Bundesrat zu diesem Punkt, die Ausnahmeregelung für das ENSI sei deshalb gerechtfertigt, weil «das ENSI (im Gegensatz etwa zur FINMA) nur Aufgaben der Sicherheitsaufsicht und keine Wirtschaftsaufsicht wahrnehme; dies entsprechend einem Trennungsgebot, das sich auf internationale Standards stütze». Mit der vollständigen Anpassung an die Corporate-GovernanceLeitsätze würden dieses Trennungsgebot sowie die Regierungsunabhängigkeit des ENSI aufgeweicht und würde die Autorität des ENSI-Rates geschwächt.

Laut Bundesrat sollen die betreffenden Bestimmungen bei der nächsten Revision des ENSIG vertieft überprüft werden. Dabei gehe es um die Frage, «ob unter Wahrung der fachlichen Unabhängigkeit des ENSI weitere Anpassungen an die CorporateGovernance-Leitsätze des Bundes möglich sind». Er wies indes darauf hin, dass noch keine solche Revision in Vorbereitung ist, weshalb «der Zeitpunkt der Überprüfung noch offen» sei.

Für die GPK-S zeigt der Fall des ENSI die uneinheitliche Praxis bei der Regelung der Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörden, auf welche die Kommission bereits 2015 hingewiesen hatte. In ihren Augen ist weiterhin schwer zu verstehen, weshalb das ENSI eine grössere Unabhängigkeit vom Bundesrat geniessen sollte als Swissmedic oder die FINMA, die beide ebenfalls mit Aufsichtsaufgaben in besonders sensiblen Bereichen betraut sind. Die Argumente des Bundesrates bleiben für die Kommission sehr allgemein und überzeugen sie nur bedingt. So kann sie nur schwer nachvollziehen, weshalb die Tatsache, dass das ENSI nur Aufgaben der Sicherheitsaufsicht wahrnimmt, eine grössere Zurückhaltung seitens des Bundes rechtfertigen sollte. Die GPKS bedauert zudem, dass der Bundesrat keine Argumente anführt, die für eine grössere Angleichung der Verhaltensregeln
sprechen.

Die Kommission begrüsst jedoch, dass der Bundesrat bereit ist, bei der nächsten Revision des ENSIG eine Änderung der betreffenden Bestimmungen zu prüfen. Allerdings dürfte diese Überprüfung erst in einigen Jahren stattfinden. Die GPK-S behält sich die Möglichkeit vor, bei der künftigen Revision auf diesen Punkt zurückzukommen.

Stärkung der Selbstregulierung und der personellen Unabhängigkeit der Behörden Die GPK-S forderte den Bundesrat in ihren Berichten von 2015 und 2017 auf, im Rahmen seiner Verordnungs- und Aufsichtskompetenz dafür zu sorgen, dass die personelle Unabhängigkeit in den Aufsichts- und Regulierungsbehörden mittels einer verstärkten Selbstregulierung erzielt wird.

29

Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates Abate, Kap. 2.2.1 und Kap. 6.

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Laut Bundesrat wurde dieser Aspekt der Empfehlung mit der Ergänzung von 2019 des Corporate-Governance-Leitsatzes 6 umgesetzt.30 In diesem heisst es nun: «Der Verwaltungs- oder Institutsrat erlässt, in Ergänzung zu den bereits bestehenden Rechtsvorschriften, Verhaltensregeln zum Umgang mit Interessenbindungen und sorgt für geeignete Sensibilisierungsmassnahmen. Er informiert über die getroffenen Massnahmen im Rahmen des Geschäftsberichts.» Der Bundesrat bestätigte der GPK-S, dass dieser Grundsatz für alle verselbstständigten Einheiten des Bundes, einschliesslich derjenigen mit Aufsichtsaufgaben, gilt. Er fügte an, dass die FINMA, die RAB, das ENSI und Swissmedic bereits seit Langem entsprechende Verhaltensregeln haben, und präsentierte der Kommission die in diesen vier Einheiten geltenden Vorschriften im Detail.31 Diese neue Regelung gilt jedoch nicht für die Behördenkommissionen, da diese nicht unter die Corporate Governance des Bundes fallen.

Die Kommission informierte sich zudem darüber, wie in den betreffenden Einheiten für die Thematik der Interessenbindungen sensibilisiert wird und wie das EDI, das UVEK, das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) und das Eidgenössische Justizund Polizeidepartement (EJPD) ihre diesbezügliche Aufsicht ausüben. Der Bundesrat teilte der Kommission mit, dass die Eignerstellen nach der Änderung des Leitsatzes 6 in Zukunft vermehrt darauf achten müssen, dass die Einheiten in ihren Geschäftsberichten hinreichend über die ergriffenen Massnahmen berichten, und dass die Interessenbindungen der betreffenden Organe gemäss Artikel 8k RVOV von der BK veröffentlicht werden. Er präzisierte zudem, dass die Selbstregulierung bei Bedarf auch im Rahmen von Eignergesprächen thematisiert werden kann.

Im Mai 2022 unterrichtete der Bundesrat die GPK-S darüber,32 dass er das EFD ­ vertreten durch die EFV ­ beauftragt hat, die selbstständigen Anstalten in geeigneter Weise erneut auf den Corporate-Governance-Leitsatz 6 aufmerksam zu machen. Entsprechende Schreiben wurden Ende März 2022 von der EFV an die Leitungsorgane der bundesnahen Unternehmen und der selbstständigen Anstalten des Bundes verschickt. Die EFV ersucht darin die betreffenden Einheiten, ihre Geschäftsberichte (ab dem Geschäftsjahr 2022) um detailliertere Informationen zu den Interessenbindungen und zu den diesbezüglich
ergriffenen Sensibilisierungsmassnahmen zu ergänzen.

Die GPK-S begrüsst, dass der Corporate-Governance-Leitsatz 6 ergänzt wurde und dass dieser auch für die mit Aufsichtsaufgaben betrauten selbstständigen Anstalten

30

31

32

Diese Änderung erfolgte auf der Grundlage der Empfehlungen aus einem Expertenbericht zur Corporate Governance des Bundes, der vom Bundesrat nach der PostAuto-Affäre in Auftrag gegeben worden war. Siehe diesbezüglich den Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates Abate, Kap. 5.1.4.

Er führte diesbezüglich insbesondere den Verhaltenskodex der FINMA, das Organisationsreglement von Swissmedic, den Verhaltenskodex der RAB sowie den Verhaltenskodex und das Personalreglement des ENSI an. Er liess der Kommission zudem eine Kopie des Verhaltenskodex der TVS ­ einer neuen selbstständigen Anstalt mit Aufsichtsaufgaben ­ zukommen, der Ende 2020 von deren Verwaltungsrat erstellt worden war.

Diese Information wurde im Rahmen der Nachkontrolle zur Inspektion der GPK-S «Überwachung der Interessenbindungen in den Verwaltungsräten der bundesnahen Unternehmen» übermittelt (siehe Fussnote 49).

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gilt.33 Die Kommission stellt erfreut fest, dass die betreffenden Einheiten seit zahlreichen Jahren ­ die meisten seit ihrer Gründung ­ über einen Verhaltenskodex verfügen, in dem deren Praxis hinsichtlich des Umgangs mit Interessenbindungen festgehalten ist. Aus den Informationen des Bundesrates geht zudem hervor, dass in den letzten Jahren mehrere neue Richtlinien zum Thema Interessenbindungen (z. B. von der FINMA oder von Swissmedic) publiziert wurden.

Für die Kommission ist aber vor allem wichtig, dass diese Regelungen in den betreffenden Einheiten im Alltag angewendet und gelebt werden. In dieser Hinsicht spielt die vom Bund ausgeübte Aufsicht in ihren Augen eine zentrale Rolle. Eine der wichtigsten Neuerungen, welche die neue Fassung des Leitsatzes 6 mit sich bringt, besteht darin, dass die Einheiten in ihrem Geschäftsbericht über die zum Umgang mit Interessenbindungen ergriffenen Massnahmen informieren müssen. Die Kommission begrüsst ausdrücklich die bundesrätlichen Massnahmen, die darauf abzielen, dass die selbstständigen Anstalten künftig in ihren Jahresberichten transparenter über dieses Thema informieren. Dies wird nach Meinung der GPK-S in Zukunft eine wichtige Aufgabe der Eignerstellen des Bundes sein, welche diese Behörden beaufsichtigen.

Da die vom Bundesrat geforderte Erhöhung der Transparenz aber erst ab dem Geschäftsjahr 2022 wirksam wird (Anfang 2023 veröffentlichte Geschäftsberichte), ist es für eine Beurteilung dieses Aspekts noch zu früh.

Die GPK-S verzichtet darauf, detailliert zu beurteilen, wie die Überwachung der Interessenbindungen in den betreffenden Aufsichts- und Regulierungsbehörden umgesetzt wird. Aus den Informationen des Bundesrates geht hervor, dass alle Einheiten in dieser Hinsicht zwar aktiv, deren Praktiken jedoch weiterhin heterogen sind. Zwar sehen alle Einheiten eine jährliche Offenlegung der Interessenbindungen vor, aber nur die RAB erwähnt regelmässige Informationssitzungen zu diesem Thema. Im Übrigen veröffentlichen die FINMA, die RAB und Swissmedic die Interessenbindungen auf ihren jeweiligen Websites, nicht aber der ENSI-Rat. Die Kommission ersucht den Bundesrat, weiterhin auf eine Harmonisierung der Praxis in diesem Bereich hinzuwirken.

Was die Aufsicht der Departemente betrifft, so kommt die GPK-S zum Schluss, dass aus Sicht der parlamentarischen
Oberaufsicht kein Handlungsbedarf besteht. Die Kommission begrüsst insbesondere die Massnahmen des EJPD zur Sensibilisierung der Behörden für die Einhaltung der Karenzfristen und die strenge Aufsicht des UVEK in Bezug auf die Offenlegung der Interessenbindungen beim ENSI.

Schreiben vom 2018 zum Umgang mit Interessenkonflikten Im Dezember 2018 liessen der Direktor der EFV und die Generalsekretäre des UVEK und des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) den Verwaltungsratspräsidenten von SBB, Post, Swisscom, RUAG und Skyguide ein Schreiben zukommen, in welchem sie die Erwartungen, welche der Bund als Eigner bezüglich des Umgangs mit Interessenbindungen an die betreffenden 33

Die Frage, ob dieser Leitsatz auf die bundesnahen Unternehmen (SBB, Post usw.) angewendet werden soll, wird von der GPK-S im Rahmen eines separaten Dossiers (Nachkontrolle «Überwachung der Interessenbindungen in den Verwaltungsräten der bundesnahen Unternehmen») geprüft.

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Unternehmen stellt, in acht Punkten formulierten.34 Die GPK-S erkundigte sich beim Bundesrat, ob diese Grundsätze auch für die Aufsichts- und Regulierungsbehörden gelten, die Gegenstand des vorliegenden Berichts sind.

Der Bundesrat teilte ihr mit, der Direktor der EFV habe im November 2019 sämtliche Leitungsorgane der bundesnahen Anstalten und Unternehmen über die Ergänzung des Corporate-Governance-Leitsatzes 6 (siehe oben) orientiert. Gleichzeitig sei ihnen auch eine Kopie des Schreibens vom Dezember 2018 zugestellt worden. Laut Bundesrat gelten die Grundsätze in diesem Schreiben sinngemäss auch für die selbstständigen Anstalten.

Die GPK-S begrüsst, dass den selbstständigen Anstalten eine Kopie des Schreibens vom Dezember 2018 zum Umgang mit Interessenbindungen zugestellt wurde und dass die Grundsätze in diesem Schreiben auch für diese Einheiten gelten. Die Kommission hält es für wichtig, dass die zuständigen eidgenössischen Departemente in den kommenden Jahren dafür sorgen, dass diese Grundsätze in den Aufsichts- und Regulierungsbehörden, die der Aufsicht dieser Departemente unterstehen, korrekt umgesetzt werden.

Unabhängigkeitskontrolle in den Behördenkommissionen Wie bereits erwähnt, gelten die zuvor genannten Corporate-Governance-Leitsätze nur für die selbstständigen Anstalten. Was die Offenlegung und die Kontrolle der Interessenbindungen bei den Behördenkommissionen betrifft, so wird nur ein Verfahren erwähnt, nämlich die jährliche Veröffentlichung der Interessenbindungen im von der Bundeskanzlei erstellten Verzeichnis nach Artikel 8k RVOV. Der neue CorporateGovernance-Leitsatz 6 gilt für sie nicht.

Der Bundesrat informierte die GPK-S darüber, dass die Ausstandsregeln nach Artikel 10 des Verwaltungsverfahrensgesetzes35 auch für die ausserparlamentarischen 34

35

Zum Beispiel: «Der Verwaltungsrat sorgt für griffige und transparente Vorgaben und Massnahmen im Umgang mit Interessenkonflikten und der Regelung des Ausstands.»; «Die Mitglieder des Verwaltungsrates sowie Kandidierende sind zu verpflichten, der Präsidentin oder dem Präsidenten des Verwaltungsrates alle ihre Mandate in Führungs- und Aufsichtsgremien sowie ihre Beratungsmandate in Gesellschaften, Institutionen oder Stiftungen des privaten oder öffentlichen Rechts laufend bzw. unverzüglich zu melden.» oder «Bei der Neubesetzung von Mitgliedern des Verwaltungsrats bestätigt der Verwaltungsrat dem federführenden Eignerdepartement im Rahmen des Wahlantrags, dass die Meldung von Interessenbindungen der zur Wahl vorgeschlagenen Person vollständig ist und dass keine Interessenkonflikte bestehen.» Für die detaillierte Liste siehe «Überwachung der Interessenbindungen in den Verwaltungsräten der bundesnahen Unternehmen am Beispiel des Falles der Verwaltungsratspräsidentin der SBB. Beurteilung der Stellungnahme des Bundsrates, Bericht der GPK-S vom 12.11.2019» (BBl 2020 945).

Bundesgesetz vom 20.12.1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG; SR 172.021).

Dieser Artikel sieht vor, dass «Personen, die eine Verfügung zu treffen oder diese vorzubereiten haben, in den Ausstand [treten], wenn sie in der Sache ein persönliches Interesse haben, mit einer Partei durch Ehe oder eingetragene Partnerschaft verbunden sind oder mit ihr eine faktische Lebensgemeinschaft führen, mit einer Partei in gerader Linie oder bis zum dritten Grade in der Seitenlinie verwandt oder verschwägert sind, Vertreter einer Partei sind oder für eine Partei in der gleichen Sache tätig waren oder aus anderen Gründen in der Sache befangen sein könnten. Ist der Ausstand streitig, so entscheidet darüber die Aufsichtsbehörde oder, wenn es sich um den Ausstand eines Mitgliedes einer Kollegialbehörde handelt, diese Behörde unter Ausschluss des betreffenden Mitgliedes».

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Kommissionen mit Entscheidkompetenz gelten. Weiter fügte er an, dass allfällige spezialrechtliche Vorgaben sowie Vorgaben, die in der Einsetzungsverfügung festgehalten sind, ebenfalls berücksichtigt werden müssen (siehe Kap. 3.2).

Die GPK-S weist ­ wie bereits in der Vergangenheit ­ darauf hin, dass die Bestimmungen über die Interessenbindungen für die Behördenkommissionen rudimentärer und weniger spezifisch sind als diejenigen für die selbstständigen Anstalten. Dies wirft die Frage auf, ob es zweckmässig ist, dass es die Aufsichtsbehörden in zwei unterschiedlichen Rechtsformen gibt (siehe Kap. 3.4).

Der Bundesrat teilte mit, dass das UVEK mit einem Schreiben vom September 2020 die Mitglieder all seiner ausserparlamentarischen Kommissionen für die Thematik der Interessenbindungen sensibilisiert und dabei den Ablauf für die Aktualisierung der Interessenbindungen vereinheitlicht hat, was die GPK-S begrüsst. Aus Sicht der Kommission sollten sich alle Departemente für die ihnen unterstellten Kommissionen an dieser Praxis orientieren. Sie ersucht den Bundesrat deshalb, sicherzustellen, dass dies der Fall ist.

Zudem geht die Kommission davon aus, dass die neuen Anforderungsprofile, die für die ausserparlamentarischen Kommissionen, die mit Aufsichts- oder Regulierungsaufgaben betraut sind (Art. 8e RVOV), erstellt wurden, dazu beitragen, dass es bei der Überwachung der Interessenbindungen in diesen Kommissionen zu einer Angleichung der unterschiedlichen Praktiken kommt (siehe Kap. 3.2).

Zwischenfazit der GPK-S Die GPK-S hält fest, dass der Bundesrat offensichtlich immer noch nicht bereit ist, ein einheitliches Konzept für die Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörden auszuarbeiten, da seiner Meinung nach ein solches bereits im Corporate-Governance-Bericht von 2006 enthalten ist.

Die GPK-S hält diese Argumentation für problematisch. Im Corporate-GovernanceBericht ­ und in gewissem Masse auch im Bericht vom Mai 2021 in Erfüllung des Postulates Abate ­ werden zwar wichtige Grundsätze für die Unabhängigkeit der Aufsichts- und Regulierungsbehörden festgelegt, doch gelten diese Grundsätze nur für die selbstständigen Anstalten, nicht aber für die Behördenkommissionen. Folglich unterliegen Letztere in Sachen Verhalten und Kontrolle der Interessenbindungen einer anderen Praxis, für die es kein überzeugendes Argument
gibt (siehe Kap. 3.4).

Die GPK-S begrüsst die punktuellen Verbesserungen, die an den einschlägigen Rechtsgrundlagen vorgenommen wurden. Sie hat keine Fälle festgestellt, in denen die geltende Regelung grundlegend problematisch wäre oder die Unabhängigkeit der betreffenden Behörde gefährden würde. Dennoch ist sie der Meinung, dass das Genehmigungsrecht des Bundesrates bei der Begründung bzw. der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Direktorin bzw. dem Direktor gewisse Risiken für die Unabhängigkeit der Aufsichts- und Regulierungsbehörden gegenüber dem Bund birgt und dass dieses Instrument mit grösster Zurückhaltung einzusetzen ist.

Aus den der GPK-S vorliegenden Informationen geht hervor, dass die Vorschriften betreffend die Unabhängigkeit sowie deren Umsetzung ­ sowohl bei den selbstständigen Anstalten als auch bei den Behördenkommissionen ­ in mehrfacher Hinsicht heterogen ausgestaltet und weitgehend von Einzelfallüberlegungen abhängig sind.

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Dies ist in den Augen der Kommission ein weiterer Beweis dafür, wie wichtig es ist, klare und allgemeine Grundsätze in diesem Bereich festzulegen und vor allem sicherzustellen, dass diese in der Gesetzgebung und in der Praxis korrekt umgesetzt werden.

3.2

Anforderungsprofile und Wahlverfahren

Empfehlung 3 von 2015 Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, bei der Wahl der Leitungsorgane von Aufsichts- und Regulierungsbehörden die Festlegung von präzisen und transparenten Anforderungsprofilen sicherzustellen sowie seiner Steuerungs- und Auf-sichtskompetenz mittels Wahl der Leitungsorgane vermehrt Gewicht beizumes-sen.

Die GPK-S hielt in ihrem Bericht von 2015 fest, dass sich der Bundesrat kaum in die Wahl der Leitungsorgane der Aufsichts- und Regulierungsbehörden einmischt, er allgemein eine passive Rolle einnimmt und die vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kandidaten ausnahmslos gutheisst. Sie verwies zudem darauf, dass nicht in allen Fällen Anforderungsprofile für die Wahl in die Leitungsorgane existierten. Die Kommission forderte den Bundesrat deshalb auf, seinen Kompetenzen bei der Wahl der Leitungsorgane vermehrt Gewicht beizumessen und sicherzustellen, dass alle Behörden über geeignete Anforderungsprofile verfügen.

Die zusätzlichen Abklärungen der Kommission in den Jahren 2016 und 2017 zeigten, dass es insbesondere bei den Behördenkommissionen an Anforderungsprofilen fehlt.

Der Bundesrat erachtete spezifische Anforderungsprofile für diese Organe nicht für notwendig, da er in den einschlägigen Spezialgesetzen eine ausreichende Grundlage sah. Die GPK-S teilte diese Ansicht nicht und ersuchte den Bundesrat 2017 deshalb, auch für diese Behörden Anforderungsprofile zu erstellen.

Der Bundesrat teilte 2016 zudem mit, zu prüfen, ob es zweckmässig ist, nach dem Vorbild der «Weisung über die Wahl des obersten Kaders durch den Bundesrat» von Ende 2014 Regelungen für die Wahlverfahren von Leitungsorganen der dezentralen Verwaltungseinheiten des Bundes zu erlassen. Die GPK-S begrüsste diesen Schritt.

Anforderungsprofile für die Mitglieder der Behördenkommissionen Wie bereits erwähnt (siehe Kap. 3.1), änderte der Bundesrat 2018 Artikel 8e Absatz 2 RVOV. In diesem heisst es nun (Bst. m), dass die Einsetzungsverfügung für ausserparlamentarische Kommissionen, die mit Aufsichts- oder Regulierungsaufgaben betraut sind, ein Anforderungsprofil für deren Mitglieder enthalten muss.

Aufgrund dieser Rechtsänderung wurden die Einsetzungsverfügungen der folgenden Kommissionen mit einem Anforderungsprofil ergänzt: WEKO, ComCom, ElCom, PostCom, RailCom, SUST, UBI, OAK BV und ESBK.36

36

Der Bundesrat stellte der GPK-S je eine Kopie dieser Dokumente zu.

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Was die Anwendung dieser Anforderungsprofile betrifft, so teilte der Bundesrat der GPK-S mit, dass die zuständigen Departemente dafür verantwortlich sind, Kandidierende auszuwählen, die den Anforderungen entsprechen. Sind Kompromisse unvermeidlich (anders gesagt, können ein oder mehrere Aspekte des Anforderungsprofils nicht berücksichtigt werden), sind sie gegenüber dem Bundesrat offenzulegen und zu begründen. Der Bundesrat beschrieb der Kommission, wie das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF), das UVEK und das EDI die Anforderungsprofile bei der Erneuerung der Kommissionen 2019 angewandt haben.

Laut Bundesrat war nur in einem Fall ein Kompromiss notwendig.

Die einzige Behördenkommission mit Aufsichts- oder Regulierungsaufgaben37, die weiterhin nicht über ein schriftliches Anforderungsprofil verfügt, ist die Eidgenössische Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Rechten (ESchK). Der Bundesrat orientierte die GPK-S darüber, dass er das EJPD beauftragt hat, bis zu den nächsten ordentlichen Wahlen der Mitglieder der ESchK, die 2023 stattfinden, ein solches zu erstellen, machte aber auch darauf aufmerksam, dass für die ESchK gewisse Sondervorschriften gelten.38 Die GPK-S begrüsst ausdrücklich, dass der Bundesrat beschlossen hat, für alle ausserparlamentarischen Kommissionen, die mit Aufsichts- und Regulierungsaufgaben betraut sind, ein Anforderungsprofil zu erstellen und so einem langjährigen Anliegen der Kommission zu entsprechen. Sie stellt erfreut fest, dass in der Zwischenzeit praktisch für alle betroffenen Kommissionen Anforderungsprofile erstellt wurden.

Auf der Grundlage einer mit Unterstützung der PVK durchgeführten Grobanalyse kommt die GPK-S zum Schluss, dass die Anforderungsprofile, die sie einsehen konnte, zweckmässig scheinen. Sie sind alle nach demselben Muster aufgebaut und allfällige Unterschiede sind nachvollziehbar. Die Kommission verzichtet darauf, vertieft zu analysieren, wie diese Profile bei der Erneuerung dieser Kommissionen 2019 angewendet wurden. Eine solche Analyse würde den Rahmen ihrer Nachkontrolle sprengen. Die Informationen des Bundesrates zu diesem Thema scheinen jedoch darauf hinzuweisen, dass die Anforderungsprofile von den Departementen angewendet wurden und dass ein Kompromiss nur in seltenen Fällen
nötig gewesen zu sein scheint.

Das vom Bundesrat vorgebrachte Argument, die Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten liege in der Verantwortung der zuständigen Departemente, überzeugt die Kommission hingegen nur zum Teil: Zwar obliegt es den Departementen, geeignete Personen zu suchen. Auch verfügen sie über die Fachkompetenzen in ihrem Bereich, um einen Vorschlag erarbeiten zu können. Dennoch möchte die Kommission noch einmal darauf hinweisen, dass dem Bundesrat nicht nur ein Genehmigungsrecht, sondern nach wie vor die Hauptverantwortung für die Wahl (und damit auch für die Überprüfung der Angemessenheit der Kandidaturen) zukommt.

37 38

Mit anderen Worten: marktorientierte ausserparlamentarische Kommission im Sinne von Anhang 2 Ziffer 2 RVOV.

Der Bundesrat wies insbesondere darauf hin, dass zwei unterschiedliche Anforderungsprofile erstellt werden müssen (eines für die unabhängigen Mitglieder und eines für die von den Verwertungsgesellschaften und von den Nutzerverbänden vorgeschlagenen Mitglieder) und dass die höchstzulässige Anzahl Mitglieder für eine Kommission nicht eingehalten werden muss.

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Regelungen über das Verfahren für die Wahl der Verwaltungsratsmitglieder bei dezentralen Verwaltungseinheiten des Bundes Gestützt auf einen Expertenbericht über die Corporate-Governance des Bundes beschloss der Bundesrat 2019, dass das Verfahren für die Wahl der Verwaltungsratsmitglieder der bundesnahen Unternehmen ihm gegenüber transparenter zu machen ist.

Die Wahlanträge der zuständigen Departemente enthalten seither auch Ausführungen zum Auswahlprozess sowie Informationen zu den Evaluationen.39 Der Bundesrat präzisierte gegenüber der GPK-S, dass er mit Beschluss vom 26. Mai 2021 diese Vorgaben auch auf die bundesnahen Anstalten ausgeweitet hat.40 Die Eignerstellen seien beauftragt worden, diese Regelungen bei allen verselbstständigten Einheiten (einschliesslich derjenigen mit Aufsichtsaufgaben) sinngemäss anzuwenden. In seinem Bericht in Erfüllung des Postulates Abate teilte der Bundesrat mit, dass diese neue Praxis 2022 evaluiert wird.41 Die GPK-S ist erfreut darüber, dass der Bundesrat ­ wie 2016 angekündigt ­ beschlossen hat, beim Verfahren für die Wahl der leitenden Mitglieder der bundesnahen Unternehmen mehr Transparenz zu verlangen, und zwar auch bei den mit Aufsichtsaufgaben betrauten selbstständigen Anstalten. Die Kommission begrüsst zudem, dass der Bundesrat diese neue Praxis rasch evaluieren will. Sie wird im Rahmen ihrer derzeit laufenden Nachkontrolle zur Inspektion «Überwachung der Interessenbindungen in den Verwaltungsräten der bundesnahen Unternehmen» Kenntnis von den Ergebnissen dieser Evaluation nehmen.

3.3

Sensibilisierung für die Unabhängigkeit

Empfehlung 4 von 2015 Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, Massnahmen zu prüfen, um in den Aufsichts- und Regulierungsbehörden die Sensibilisierung für die Unabhängigkeit zu stärken.

Die GPK-S betonte in ihrem Bericht von 2015, wie wichtig es ist, die Sensibilität der Aufsichts- und Regulierungsbehörden für Fragen der Unabhängigkeit zu stärken, namentlich durch geeignete Sensibilisierungsmassnahmen. Eine solche Massnahme sah sie insbesondere in der Schaffung einer Instanz, welche im Zweifelsfall beurteilen kann, ob die Unabhängigkeit gewährleistet ist.

Der Bundesrat erklärte in seiner Stellungnahme zu dieser Empfehlung, dass solche Massnahmen in seinen Augen in die Zuständigkeit der jeweiligen Kommissionen und Anstalten fallen. Die GPK-S stimmte dem zu, äusserte aber die Meinung, der 39 40

41

Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates Abate, Kap. 5.1.2.

Dieser Beschluss wurde bei der Verabschiedung des Berichts in Erfüllung des Postulates Abate getroffen (siehe Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates Abate, Kap. 5.2.1).

Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates Abate, Kap. 5.2.1.

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Bundesrat könne im Rahmen seiner gesetzlichen Kompetenzen durchaus zur Sensibilisierung für die Unabhängigkeit beitragen, z. B. durch die Festlegung entsprechender strategischer Ziele oder durch Gespräche mit den Vertreterinnen und Vertretern der Aufsichts- und Regulierungsbehörden.

Arbeiten des Bundesrates im Hinblick auf eine stärkere Sensibilisierung für die Unabhängigkeit Der Bundesrat teilte der GPK-S im September 2020 mit, dass er für die selbstständigen Anstalten keine entsprechenden strategischen Ziele festgelegt hat. Er machte erneut geltend, dass die Anordnung von Sensibilisierungsmassnahmen in der Verantwortung der Verwaltungs- bzw. Institutsräte und die Umsetzung dieser Massnahmen in jener der Geschäftsleitungen liegt. Er präzisierte zudem, dass die Bundesbehörden, die mit der Aufsicht betraut sind, das Thema bei Bedarf im Rahmen der Eignergespräche behandeln können, und nannte verschiedene Fälle, in denen in den letzten Jahren die Unabhängigkeit thematisiert wurde.42 Der Bundesrat ging zudem näher auf die Sensibilisierungspraxis des UVEK ein, das bei jeder Wahl ein persönliches Gespräch mit den Kandidatinnen und Kandidaten durchführt und sie einen Fragenbogen zu den Interessenbindungen ausfüllen und unterschreiben lässt, welcher jedes Jahr von Neuem auszufüllen und zu unterschreiben ist. Auch hier verwies der Bundesrat auf die Änderung des Corporate-GovernanceLeitsatzes 6 (siehe Kap. 3.1).

Ferner teilte er mit, dass im Musteranforderungsprofil für die Behördenkommissionsmitglieder die «Unabhängigkeit von Interessenbindungen, die eine unvoreingenommene Meinungsbildung verhindern», verlangt wird.

In den Augen der GPK-S zeigen die zusammengetragenen Informationen, dass der Bundesrat bei der Sensibilisierung keine sehr aktive Rolle übernimmt. Die Kommission teilt die Meinung, dass die diesbezügliche Verantwortung in erster Linie beim Verwaltungs- bzw. Institutsrat sowie bei der Geschäftsleitung liegt. Dies entbindet den Bundesrat als oberste Exekutivbehörde jedoch nicht davon, sich regelmässig zu vergewissern, dass eine solche Sensibilisierung in den betreffenden Einheiten tatsächlich stattfindet.

Aus Sicht der Kommission hat dies in erster Linie durch den direkten Austausch mit den Verantwortlichen der betreffenden Einheiten zu geschehen, weshalb sie begrüsst, dass sich der Bundesrat
die Möglichkeit vorbehält, das Thema der Unabhängigkeit bei Gesprächen mit den betreffenden Einheiten aufzugreifen. Die genannten Beispiele zeigen, dass diese Möglichkeit in den letzten Jahren genutzt wurde. Die Kommission begrüsst insbesondere das diesbezüglich sehr aktive Vorgehen des UVEK, welches scheinbar nach dem Rücktritt des ENSI-Ratspräsidenten verstärkt worden ist (siehe Kap. 3.5). Sie ersucht den Bundesrat, dafür zu sorgen, dass alle Departemente gleich vorgehen.

42

Er führte insbesondere den Fall der FINMA bei der Vorbereitung und Ausarbeitung der Verordnung zum Finanzmarktaufsichtsgesetz und den Fall von Swissmedic bei der Revision von dessen Organisationsreglement im Jahr 2020 auf.

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Was die Behördenkommissionen betrifft, so ist die GPK-S der Ansicht, dass es zwar sinnvoll ist, in den Anforderungsprofilen auf die Unabhängigkeit hinzuweisen, dass dies aber nicht genügt, um die betreffenden Organe stärker für dieses Thema zu sensibilisieren, wenn man bedenkt, dass die Sensibilisierung vor allem «in der Praxis» stattfindet und nicht aufgrund von bestehenden Vorschriften.

3.4

Rechtsform der Aufsichts- und Regulierungsbehörden

Wie bereits zu Beginn dieses Berichts erwähnt (siehe Kap. 2), können die Aufsichtsund Regulierungsbehörden der dezentralen Bundesverwaltung zwei Rechtsformen annehmen: diejenige der selbstständigen Anstalt und diejenige der Behördenkommission.

Die von der GPK-S im Rahmen ihrer Nachkontrolle zusammengetragenen Informationen zeigen, dass dieser Formunterschied einen grundlegenden Einfluss auf die Regelungen der Unabhängigkeit dieser Behörden hat, z. B. was die Beaufsichtigung durch den Bundesrat, die Verfahren zur Kontrolle der Interessenbindungen oder die Sensibilisierung für die Unabhängigkeit betrifft (siehe Kap. 3.1 bis 3.3). Dieser Unterschied wurde durch den Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates Abate insofern noch verstärkt, als die neuen Regelungen, die darin formuliert werden, nur für die selbstständigen Anstalten, nicht aber für die Behördenkommissionen gelten.

Nach Ansicht der GPK-S wirft dies die grundlegende Frage auf, weshalb für die Aufsichts- und Regulierungsbehörden nicht die gleiche Rechtsform gewählt wird.

Die GPK-S ersuchte den Bundesrat, hierzu Stellung zu nehmen. Dieser führte diesbezüglich aus, dass die unterschiedlichen Regelungen für die selbstständigen Anstalten und die Behördenkommissionen historisch bedingt sind und sich auch aus deren jeweiliger Nähe zur Verwaltung ergeben. Die Organisationsform der Behördenkommissionen sei als Alternative zur rechtlichen Verselbstständigung zu verstehen. Ihre Vorteile lägen in der Einfachheit der Regelung und in der Entlastung bei diversen administrativen Aufgaben (Personal, Informatik, Rechnungslegung), da die Behördenkommission einem Departement administrativ zugeordnet sei. Laut Bundesrat stellen die Behördenkommissionen damit grundsätzlich ein Instrument dar, das zwischen der Aufgabenerfüllung durch die zentrale Bundesverwaltung und der vollständigen Auslagerung steht. Er ist der Ansicht, dass Behördenkommissionen vor allem für kleinere Einheiten mit wenig Personal geeignet sind, räumt jedoch ein, dass diese konzeptionelle Unterscheidung nicht immer eingehalten wird. So gebe es auch sehr grosse Behördenkommissionen (wie die WEKO), deren Organisation in erheblichem Umfang spezialgesetzlich geregelt ist. In Bezug auf die selbstständigen Anstalten hält der Bundesrat fest, dass er darauf hinarbeitet, die Organisationserlasse
­ gestützt auf die Mustererlasse von 2016 ­ einheitlicher zu formulieren.

Aus Sicht der GPK-S ist es zwar nicht ideal, dass nicht allen Aufsichts- und Regulierungsbehörden die gleiche Rechtsform zukommt und diese daher nicht den gleichen Unabhängigkeitsregeln unterliegen. Die Kommission kann aber nachvollziehen, dass diese Heterogenität historisch bedingt ist. Sie begrüsst die verschiedenen Abklä-

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rungen und Verbesserungen, die der Bundesrat in den letzten Jahren in Sachen Regelungen der Unabhängigkeit sowohl bei den selbstständigen Anstalten als auch bei den Behördenkommissionen vorgenommen hat.

Die Begründung des Bundesrates für die Wahl der Form einer Behördenkommission ist für die GPK-S bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar, insbesondere bei den kleineren Kommissionen. Die Kommission ist jedoch der Auffassung, dass die konzeptionelle Unterscheidung bei den grösseren Behördenkommissionen an ihre Grenzen stösst, wie der Bundesrat selbst einräumt. Das deutlichste Beispiel stellt die WEKO dar, deren Sekretariat fast dreimal so viele Mitarbeitende zählt wie die RAB.43 Die Kommission anerkennt, dass es kaum realistisch wäre, zu verlangen, dass alle Aufsichts- und Regulierungsbehörden künftig dieselbe Rechtsform haben. Deshalb ist es unvermeidlich, dass Aufsichtsaufgaben auch weiterhin zum Teil von Behördenkommissionen und zum Teil von selbstständigen Anstalten wahrgenommen werden.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass die Leitsätze, welche die Unabhängigkeit regeln, klar und möglichst einheitlich sind, dass sie konsequent umgesetzt werden und dass die zuständigen Bundesbehörden regelmässig ihre Anwendung kontrollieren.

Für die GPK-S stellt sich dennoch die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, die Umwandlung gewisser grosser Behördenkommissionen in selbstständige Anstalten in Betracht zu ziehen. Eine solche Umwandlung hätte namentlich den Vorteil, dass diese Behörden den Corporate-Governance-Leitsätzen unterstellt wären und die Auswahl ihrer Leitungsmitglieder spezifischer geregelt wäre. Die GPK-S ersucht den Bundesrat, zu prüfen, bei welchen Kommissionen eine solche Umwandlung sinnvoll wäre.

3.5

Rücktritt des Präsidenten des ENSI-Rates

2020 wurde in der Öffentlichkeit44 Kritik an der Unabhängigkeit des ENSI-Ratspräsidenten, Martin Zimmermann, geäussert, woraufhin dieser seinen Rücktritt erklärte. Gemäss Medienberichten habe Martin Zimmermann es bei seiner Ernennung in den ENSI-Rat (2017) bzw. zum Präsidenten dieses Rates (2019) versäumt, dem UVEK seine (letztlich bis 2019 andauernde) Mitgliedschaft in der Fachgesellschaft «Schweizerische Gesellschaft für Kernfachleute»45 und in der Interessengruppe 43

44 45

Das Sekretariat der WEKO beschäftigt ungefähr 70 Mitarbeitende (siehe www.weko.admin.ch > Die WEKO > Sekretariat, Stand: 20.5.2022), während die RAB 2020 ungefähr 25 Vollzeitstellen zählte (siehe Geschäftsbericht 2020 der RAB).

Siehe insbesondere «Die atomare Vergangenheit des obersten Atomaufsehers», In: Infosperber, 15.6.2020.

Gemäss ihren Statuten stellt sich die Gesellschaft die Aufgabe, «den Fortschritt von Wissenschaft und Technik auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kerntechnik in der Schweiz zu fördern. Sie unterstützt die Bestrebungen des Nuklearforums Schweiz.» Quelle: www.kernfachleute.ch > Über uns (Stand: 7.6.2022). Martin Zimmermann wies in seiner Stellungnahme zum vorliegenden Bericht darauf hin, dass die «Schweizerische Gesellschaft für Kernfachleute» seiner Ansicht nach keine Interessengruppe, sondern eine «Fachgesellschaft» ist. Er machte insbesondere geltend, dass die Einzelziele dieser Organisation typisch für eine Fachgesellschaft sind, die Mitgliedschaft nur Einzelpersonen und nicht Organisationen offensteht und die Gesellschaft Mitglied der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften ist, was einer Interessengruppe nicht möglich wäre.

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«Nuklearforum Schweiz»46 offenzulegen.47 Jedoch habe Martin Zimmermann gemäss den gleichen Medienberichten 2018 über seine Mitgliedschaft in den genannten Organisationen informiert, diese Interessenbindungen seien allerdings nicht in das von Artikel 8k RVOV vorgesehene und von der Bundeskanzlei geführte Verzeichnis aufgenommen worden. Die GPK-S befasste sich im Rahmen ihrer Nachkontrolle mit den Lehren, die in Bezug auf die Unabhängigkeit der Aufsichts- und Regulierungsbehörden aus diesem Fall gezogen worden waren.

Rechtsgrundlagen und Grundsätze Gemäss Artikel 6 Absatz 3 ENSIG dürfen die Mitglieder des ENSI-Rates weder eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben noch ein eidgenössisches oder kantonales Amt bekleiden, welches geeignet ist, ihre Unabhängigkeit zu beeinträchtigen. Eine ausführliche Unvereinbarkeitsregelung ist in den Artikeln 4 bis 4b ENSIV48 enthalten. Diese hält insbesondere fest, dass die Mitglieder des ENSI-Rates «in keiner Beziehung stehen [dürfen], die den Anschein der Voreingenommenheit erwecken kann» (Art. 4 Abs. 2). Es ist ihnen insbesondere untersagt, von «einer vom ENSI beaufsichtigten Organisation oder von einer Organisation, die zum gleichen Konzern gehört wie die beaufsichtigte Organisation» «Aufträge oder Unteraufträge an[zu]nehmen» oder «eine leitende Funktion in einer Organisation [zu] übernehmen, die in einer wirtschaftlich engen Beziehung zu einer vom ENSI beaufsichtigten Organisation steht» (Art. 4a Abs. 1 Bst. b und c).

Für die Mitglieder des ENSI-Rates wurde ein spezifisches Anforderungsprofil erstellt, welches auch die Anforderungen an das Präsidium definiert. Die Interessenbindungen der Mitglieder des ENSI-Rates werden im Verzeichnis nach Artikel 8k RVOV (in Kraft seit dem 1.1.2017) publiziert, für welches die BK zuständig ist.

Informationen des Bundesrates Der Bundesrat bestätigte der GPK-S, dass Martin Zimmermann bei seinen Ernennungen 2017 und 2019 seine Mitgliedschaft in den genannten Organisationen nicht offengelegt hatte. Der Bundesrat bestätigte weiter, dass Martin Zimmermann diese im Jahr 2018 im Fragebogen zur Erfassung der Interessenbindungen zwar aufgeführt hatte, diese Information aber nicht im Verzeichnis gemäss Artikel 8k RVOV erfasst wurde. Laut Bundesrat lässt es «sich heute nicht mehr eruieren, weshalb diese Erfassung [...] nicht erfolgte».
Als Martin Zimmermann 2019 zur Wahl für das ENSI-Präsidium vorgeschlagen worden sei, sei das Verzeichnis gemäss Artikel 8k RVOV sowie die bei Martin Zimmermann erneut eingeforderte aktualisierte Meldung von Interessenbindungen (in der die 46

47 48

Gemäss den Statuten des Vereins (früher «Schweizerische Vereinigung für Atomenergie») «fördert [dieser] die friedliche Nutzung und die weitere Entwicklung der Kernenergie in der Schweiz. Er setzt sich ein für die Koordination der Tätigkeiten auf diesem Gebiet. Darüber hinaus unterstützt er die breite Anwendung nuklearer Techniken in der Medizin, Industrie und Forschung.» Quelle: www.nuklearforum.ch > Über uns (Stand: 7.6.2022).

Martin Zimmermann betonte in seiner Stellungnahme zu diesem Bericht, dass er über seine Mitgliedschaft hinaus ab 2017 keine Funktionen in diesen Organisationen innehatte.

Verordnung vom 12.11.2008 über das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSIV; SR 732.21).

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beiden Organisationen aber nicht erwähnt waren) berücksichtigt worden. Weiter teilte der Bundesrat mit, dass das UVEK «etwaige Interessenbindungen von Herrn Martin Zimmermann nicht prüfen konnte, weil es bei den beiden Wahlgeschäften davon keine Kenntnis hatte.» Danach befragt, ob die Mitgliedschaft von Martin Zimmermann in den beiden Organisationen Artikel 4 ENSIV zuwiderläuft, begnügte sich der Bundesrat zunächst mit folgender Antwort: «Aus einer ausserberuflichen Mitgliedschaft in einem Verein, ohne Führungs- oder Aufsichtsfunktion und ohne Leitungs- oder Beratungstätigkeit, kann nicht zwingend auf eine Interessenbindung geschlossen werden.» Die GPK-S ersuchte den Bundesrat daher, anhand einer eingehenden Rechtsanalyse zu prüfen, ob die Mitgliedschaft von Martin Zimmermann in den beiden Organisationen gegen die Verordnung verstiess. In seiner Antwort räumte der Bundesrat zwar ein, dass «eine vertiefte Analyse des jeweiligen Einzelfalls (Aufgabe in der Kommission vs. Vereinsziele, Rolle im Verein [...]) zentral und zielführend» ist. Er teilte der Kommission aber mit, er habe auf eine eingehende rechtliche Analyse zu diesem konkreten Fall verzichtet, da Martin Zimmermann aus dem ENSI-Rat zurückgetreten sei.

In den Augen der GPK-S sind die Antworten des Bundesrates nicht zufriedenstellend.

Sie zeigen, dass das UVEK bei der Überprüfung von Kandidaturen wie derjenigen von Martin Zimmermann in der Vergangenheit ein passives Verhalten bevorzugte und sich offensichtlich weitgehend auf die von den betroffenen Personen selbst gelieferten Informationen stützte. Ein solches Versäumnis wurde von der GPK-S bereits 2018 beim Fall der Verwaltungsratspräsidentin der SBB festgestellt.49 Die Kommission bedauert, dass die von Martin Zimmermann 2018 gemeldeten Interessenbindungen von der BK nicht in das entsprechende Verzeichnis aufgenommen wurden und dass der Bundesrat die Gründe dafür nicht angeben kann. Sie hält es für wichtig, dass die Departemente bei der Wahl der Mitglieder der Verwaltungs- bzw.

Institutsräte (und insbesondere bei der Wahl von deren Vorsitz) allfällige Interessenbindungen der Kandidierenden aktiv und ausführlich thematisieren, beispielsweise im Rahmen eines persönlichen Gesprächs. Im vorliegenden Fall hätte das UVEK oder die BK ebenfalls zum Zeitpunkt dieser Wahl erkennen müssen, dass Martin
Zimmermann 2018 zwar einige Interessenbindungen gemeldet hat, diese aber nicht in das Online-Verzeichnis aufgenommen wurden. Das UVEK hätte dann überprüfen müssen, ob Martin Zimmermann immer noch in den betreffenden Interessengruppen tätig ist, und es hätte gegebenenfalls entscheiden müssen, ob diese Tätigkeiten einen Interessenkonflikt darstellen. Dies wurde offensichtlich unterlassen.

Die Kommission nimmt zudem zur Kenntnis, dass es der Bundesrat keinen Sinn darin sieht, im Nachhinein eine gründliche rechtliche Analyse dieses Falles vorzunehmen.

Sie will nicht weiter darauf insistieren, da ihrer Meinung nach aus diesem Fall dennoch Lehren gezogen wurden (siehe weiter unten).

Angesichts der Antworten des Bundesrates fragt sich die GPK-S ganz generell, ob der Bundesrat tatsächlich über klare Kriterien und über eine systematische Methode zur

49

Überwachung der Interessenbindungen in den Verwaltungsräten der bundesnahen Unternehmen am Beispiel des Falles der Verwaltungsratspräsidentin der SBB, Bericht der GPK-S vom 28.8.2018 (BBl 2018 7827).

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Beurteilung solcher Fälle verfügt. Sie ersucht den Bundesrat, kritisch zu prüfen, ob Verbesserungen in diesem Punkt nicht zweckmässig wären.

Lehren aus diesem Fall Auf die Frage der GPK-S, welche allgemeinen Lehren aus diesem Fall für die Kontrolle der Interessenbindungen gezogen wurden, antwortete der Bundesrat, dass aus seiner Sicht die rechtlichen Vorgaben bezüglich der Offenlegung von Interessenbindungen klar sind. Er gab indes bekannt, das UVEK werde von nun an verlangen, dass der Fragebogen zu den Interessenbindungen vor jeder Wahl bzw. Wiederwahl ausgefüllt und unterschrieben wird und dass alle Mitglieder ihre Interessenbindungen jährlich bestätigen. Weiter fügte er an, dass kritische Interessenbindungen vertieft geprüft werden. Zudem teilte er mit, das UVEK habe die Mitglieder des ENSI-Rates schriftlich darauf hingewiesen, dass sie zwingend alle ihre Interessenbindungen melden müssen. Zu guter Letzt wurde der Prozess zur korrekten Erfassung der Interessenbindungen standardisiert.

Die GPK-S stellt erfreut fest, dass der Bundesrat die Lehren aus diesem Fall gezogen hat. Die ihr vorliegenden Informationen scheinen zu zeigen, dass das UVEK seine diesbezügliche Aufsichtspraxis seither geklärt und verstärkt hat. Sie begrüsst auch die schriftliche Mitteilung, die den Mitgliedern des ENSI-Rates übermittelt wurde, um sie für diese Thematik zu sensibilisieren. Wie bereits weiter oben (siehe Kap. 3.3) ersucht die Kommission den Bundesrat auch an dieser Stelle, sicherzustellen, dass alle Departemente ähnlich wie das UVEK vorgehen.

Die Kommission informierte sich ferner darüber, welche Sanktionen bei einer Verletzung der Meldevorschriften gegenüber der betroffenen Behörde oder Person möglich sind.

Das EFD teilte der Kommission mit, dass die wichtigsten Instrumente des Bundesrates zum Umgang mit Fehlentwicklungen bei den selbstständigen Anstalten in Corporate-Governance-Leitsatz 22b50 aufgelistet sind. Gemäss dem Departement kann der Bundesrat «aus wichtigen Gründen» oder «wenn die Voraussetzungen für die Ausübung des Amtes nicht mehr erfüllt sind», Mitglieder eines Verwaltungs- oder Institutsrates abberufen.51 Laut EFD kann die Verletzung der Meldevorschriften zu den Interessenbindungen (unvollständige Offenlegung anlässlich der Wahl oder unvollständige Meldung der Änderung während der Amtsdauer)
einen solchen wichtigen Grund darstellen. Zudem wäre es möglich, dem Geschäftsbericht einer Anstalt oder eines Unternehmens die Genehmigung zu verweigern, wenn die erforderlichen Angaben zu den Interessenbindungen und den diesbezüglich ergriffenen Massnahmen

50

51

Zusatzbericht des Bundesrates vom 25.3.2009 zum Corporate-Governance-Bericht ­ Umsetzung der Beratungsergebnisse des Nationalrates (BBl 2009 2659 2717). Leitsatz 22b lautet: «Der Bundesrat kann bei Fehlentwicklungen folgende Massnahmen treffen: Ergänzung oder Änderung der Zielvorgaben; Verweigerung der Genehmigung des Geschäftsberichts; Verweigerung der Entlastung; Abberufungen oder Ersatz von Personen; Verantwortlichkeitsansprüche; Anträge zu Massnahmen der Gesetzgebung».

Die Möglichkeit der Mitgliederabberufung ist in der Spezialgesetzgebung (Art. 6 Abs. 5 ENSIG, Art. 30 Abs. 5 RAG, Art. 9 Abs. 5 FINMAG, Art. 9h Abs. 3 EBG und Art. 71 Abs. 3 HMG) ausdrücklich vorgesehen.

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darin fehlen (Corporate-Governance-Leitsatz 6, siehe Kap. 3.1). Dies sei aber aufgrund der Folgen (kein definitiver Abschluss des Geschäftsjahres) eine «relativ einschneidende Massnahme», weshalb «im Einzelfall zu beurteilen» sei, «ob sie sinnvoll und verhältnismässig ist».

Die BK erklärte der Kommission in Bezug auf die Behördenkommissionen, dass deren Mitglieder gemäss Artikel 57f RVOG vor ihrer Wahl ihre Interessenbindungen offenlegen müssen und wer dies verweigert, nicht als Mitglied einer Kommission wählbar ist. Gemäss Artikel 8f Absatz 4 RVOV können Kommissionsmitglieder, die ihre Interessenbindungen anlässlich der Wahl nicht vollständig offengelegt oder Änderungen der Interessenbindungen während der Amtsdauer nicht gemeldet haben und dies auch nach entsprechender Aufforderung durch die zuständige Behörde unterlassen, abberufen werden.

Die GPK-S kommt auf der Grundlage dieser Informationen zum Schluss, dass dem Bundesrat Instrumente zur Verfügung stehen, mit denen er angemessen auf Verletzungen der Meldevorschriften zu den Interessenbindungen reagieren kann. Diese Instrumente können ­ wie bereits erwähnt ­ jedoch nur dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn die Departemente in diesem Bereich eine aktive Aufsicht über die betreffenden Behörden ausüben sowie über klare Kriterien und eine systematische Methode für die Überprüfung der Problemfälle verfügen.

4

Schlussfolgerungen und weiteres Vorgehen

Die GPK-S bilanziert in diesem Bericht ihre Arbeiten der letzten neun Jahre in Sachen Unabhängigkeit der Aufsichts- und Regulierungsbehörden der dezentralisierten Bundesverwaltung. Dieses Thema hat nichts von seiner Aktualität eingebüsst, wie unter anderem der Fall des früheren Präsidenten des ENSI-Rates zeigt. Die Unabhängigkeit dieser Behörden ist nicht nur für deren Glaubwürdigkeit von grundlegender Bedeutung, sondern dient auch dazu, dass diese Behörden ihren gesetzlichen Auftrag angemessen erfüllen können. In den Augen der Kommission sollte der Bundesrat diesem Thema deshalb weiterhin besondere Aufmerksamkeit schenken.

Die GPK-S bedauert, dass der Bundesrat nach wie vor nicht bereit ist, ein Gesamtkonzept zur Harmonisierung der Normen für die Unabhängigkeit der Aufsichts- und Regulierungsbehörden auszuarbeiten (Empfehlung 1, Kap. 3.1). Sie anerkennt, dass die in den letzten Jahren ergänzten Corporate-Governance-Leitsätze des Bundes und die 2016 vom BJ und der EFV ausgearbeiteten Mustererlasse einen gewissen konzeptionellen Rahmen bilden. Allerdings sind diese Instrumente nur auf die selbstständigen Anstalten und nicht auf die Behördenkommissionen anwendbar. Die GPK-S ist deshalb nach wie vor der Ansicht, dass es ein Gesamtkonzept für alle Behörden ­ unabhängig von deren Rechtsform ­ braucht.

Was die Gesetzgebung angeht (Empfehlung 2, Kap. 3.1), so nimmt die GPK-S erfreut zur Kenntnis, dass der Bundesrat mit verschiedenen Änderungen, namentlich an der RVOV, zur Klärung der Unabhängigkeitsvorschriften beigetragen hat. Die Kommission weist allerdings darauf hin, dass die Unabhängigkeitsvorschriften in den Spezialgesetzen zu den verschiedenen Behörden nach wie vor uneinheitlich sind und hier in den letzten Jahren nur wenige Revisionen vorgenommen wurden. Es ist für die 27 / 32

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GPK-S deshalb schwierig, die Anwendung der 2016 ausgearbeiteten Mustererlasse zu bewerten. Es wird noch Jahre dauern, bis alle Gesetze in dieser Hinsicht harmonisiert sind. Die Kommission erachtet es als sehr wichtig, dass der Bundesrat weiterhin auf eine solche Harmonisierung hinarbeitet.

Aus Sicht der Kommission zeigt das Beispiel des ENSI die uneinheitliche Praxis des Bundes in Sachen Normierung der Unabhängigkeit bestens auf. Für die GPK-S ist schwer nachvollziehbar, warum diese selbstständige Anstalt über mehr Unabhängigkeit verfügt als zum Beispiel die FINMA oder Swissmedic. Sie begrüsst, dass sich der Bundesrat dieses Punkts noch einmal annehmen möchte, auch wenn zu befürchten ist, dass die entsprechende Überprüfung erst in einigen Jahren stattfinden wird.

Die GPK-S nimmt Kenntnis vom Entscheid des Bundesrates, sein Genehmigungsrecht bei der Begründung bzw. der Beendigung von Arbeitsverhältnissen mit Direktorinnen oder Direktoren von selbstständigen Anstalten in den Corporate-Governance-Leitsätzen zu verankern. Die Gründe für diesen Schritt sind zwar nachvollziehbar, doch birgt dieses erweiterte Interventionsrecht des Bundesrates auch gewisse Risiken für die Unabhängigkeit, weshalb dieses Instrument mit grösster Zurückhaltung einzusetzen ist.

Die Kommission begrüsst ferner die Änderung des Corporate-Governance-Leitsatzes Nr. 6, mit welcher der Rahmen für den Umgang mit den Interessenbindungen in den selbstständigen Anstalten mit Aufsichts- und Regulierungsaufgaben präzisiert wurde.

Sie nimmt erfreut zur Kenntnis, dass die betreffenden Anstalten über geeignete Vorschriften verfügen, auch wenn diese zum Teil uneinheitlich sind. Sie begrüsst die Massnahmen, mit denen der Bundesrat sicherstellen will, dass diese Anstalten künftig transparenter über dieses Thema informieren. Die grösste Herausforderung besteht nach Ansicht der Kommission allerdings darin, dass betroffenen Anstalten die Vorschriften zu den Interessenbindungen in der Praxis auch anwenden und leben. Der Aufsicht durch den Bundesrat kommt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle zu.

Die GPK-S hält aber auch fest, dass die Vorschriften für den Umgang mit den Interessenbindungen in den Behördenkommissionen mit Aufsichts- und Regulierungsaufgaben deutlich rudimentärer sind. Sie hat allerdings zur Kenntnis genommen, dass sich
gewisse Departemente, z. B. das UVEK, darum bemühen, die Mitglieder dieser Kommissionen stärker für dieses Thema zu sensibilisieren und die entsprechenden Prozesse zu vereinheitlichen. Aus Sicht der GPK-S sollte der Bundesrat dafür sorgen, dass alle betroffenen Departemente diesem Beispiel folgen.

Die Kommission begrüsst ausdrücklich den Entscheid des Bundesrates, Anforderungsprofile für alle Behördenkommissionen mit Aufsichts- und Regulierungsaufgaben zu erstellen und damit einer langjährigen Empfehlung der GPK-S zu entsprechen (Empfehlung 3, Kap. 3.2). Diese Anforderungsprofile sind ihrer Ansicht nach sinnvoll konzipiert und scheinen von den Departementen bei den zuletzt vorgenommenen Wahlen angewendet worden zu sein. Die GPK-S erinnert allerdings daran, dass es zwar die Departemente sind, welche die Kandidatinnen und Kandidaten auswählen, die finale Verantwortung für die Wahl und die Kontrolle der Eignung der Kandidaturen aber beim Bundesrat liegt. Die Kommission begrüsst ausserdem den Entscheid

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des Bundesrates, die Transparenz des Verfahrens zur Wahl der Leitungsmitglieder der selbstständigen Anstalten zu erhöhen und die neue Praxis demnächst zu überprüfen.

Die Kommission hält fest, dass sich der Bundesrat bei der Sensibilisierung der Aufsichts- und Regulierungsbehörden für das Thema der Unabhängigkeit (Empfehlung 4, Kap. 3.3) wenig aktiv zeigt. Sie teilt die Ansicht, dass die Hauptverantwortung für die entsprechenden Massnahmen bei den Leitungsorganen der jeweiligen Behörden liegt.

Dies entbindet den Bundesrat als oberste Exekutivbehörde jedoch nicht von der Aufgabe, regelmässig ­ insbesondere in den direkten Gesprächen mit den Verantwortlichen der betreffenden Behörden ­ zu überprüfen, ob diese auch tatsächlich solche Massnahmen ergreifen. Die GPK-S ersucht den Bundesrat, sich die Good Practices gewisser Departemente zum Vorbild zu nehmen.

Die Kommission ist ferner der Ansicht, dass der Fall des früheren Präsidenten des ENSI-Rates klar aufzeigt, wie passiv die Departemente ihre Aufsichtsfunktion in Sachen Interessenbindungen in der Vergangenheit wahrgenommen haben. Es ist aus ihrer Sicht wichtig, dass die Departemente dieses Thema bei der Wahl von Mitgliedern der Aufsichts- und Regulierungsbehörden aktiv angehen und ihm grössere Aufmerksamkeit schenken. Die GPK-S nimmt allerdings erfreut zur Kenntnis, dass aus diesem Fall Lehren gezogen wurden und das UVEK seitdem seine Aufsichtspraxis geklärt und seine Aufsicht intensiviert hat. Sie kommt zum Schluss, dass der Bund über geeignete Instrumente verfügt, um bei Fehlentwicklungen zu intervenieren. Es ist allerdings unerlässlich, dass der Bundesrat für die Überprüfung der Problemfälle klare Kriterien definiert und eine systematische Methode entwickelt.

Das grundsätzliche Problem, das nach wie vor besteht, liegt nach Ansicht der GPK-S darin, dass die Aufsichts- und Regulierungsbehörden in zwei verschiedenen Rechtsformen (selbstständige Anstalten und Behördenkommissionen) organisiert und dementsprechend unterschiedlichen Unabhängigkeitsvorschriften unterworfen sind (siehe Kap. 3.4). Diese Unterscheidung, die historische und organisatorische Gründe hat, ist zum Teil nachvollziehbar. Es scheint nicht realistisch, zu verlangen, dass alle Aufsichts- und Regulierungsbehörden künftig die gleiche Rechtsform haben. Zudem haben sich die Unterschiede
zwischen den beiden Formen von Behörden ­ was die Unabhängigkeitsvorschriften angeht ­ in den letzten Jahren etwas verringert. Dennoch stellt sich für die GPK-S die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, bestimmte grössere Behördenkommissionen in selbstständige Anstalten umzuwandeln.

Angesichts der zusammengetragenen Informationen hat die GPK-S beschlossen, ihre Arbeiten in diesem Dossier abzuschliessen. Wie bereits erwähnt, ist sie der Auffassung, dass einige Fragen nach wie vor offen sind bzw. in folgenden Punkten noch Handlungsbedarf für den Bundesrat besteht: ­

Ausarbeitung eines Gesamtkonzepts für die Unabhängigkeit der Aufsichtsund Regulierungsbehörden (siehe Kap. 3.1);

­

stärkere Harmonisierung der Unabhängigkeitsvorschriften in den Spezialgesetzen zu den Aufsichts- und Regulierungsbehörden (siehe Kap. 3.1);

­

Überprüfung der Unabhängigkeitsvorschriften des ENSI (siehe Kap. 3.1);

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­

Stärkung der Aufsicht des Bundes über die Aufsichts- und Regulierungsbehörden in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften zu den Interessenbindungen (siehe Kap. 3.1 und 3.5);

­

Bilanz des neuen Verfahrens für die Wahl der Leitungsmitglieder von selbstständigen Anstalten (siehe Kap. 3.2);

­

stärkere Sensibilisierung der Aufsichts- und Regulierungsbehörden für das Thema der Unabhängigkeit, nach dem Beispiel des UVEK (siehe Kap. 3.3);

­

Prüfung der Umwandlung bestimmter grösserer Behördenkommissionen mit Aufsichts- und Regulierungsaufgaben in selbstständige Anstalten (siehe Kap. 3.4).

Die GPK-S befasst sich derzeit im Zusammenhang mit zwei anderen Dossiers52 mit unterschiedlichen Aspekten der Corporate Governance des Bundes. Die Kommission wird im Laufe des Jahres 2023 auf der Grundlage einer Gesamtanalyse entscheiden, wie sie die noch offenen Fragen in diesem Bereich weiterverfolgt.

21. Oktober 2022

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) Der Präsident: Matthias Michel Der Präsident der Subkommission EDI/UVEK: Marco Chiesa Die Sekretärin der GPK und der GPDel: Ursina Jud Huwiler Der Sekretär der Subkommission EDI/UVEK: Nicolas Gschwind

52

Inspektion «Buchungsunregelmässigkeiten bei der PostAuto Schweiz AG ­ Erwägungen aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht» und Nachkontrolle zur Inspektion «Überwachung der Interessenbindungen in den Verwaltungsräten der bundesnahen Unternehmen».

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Abkürzungen BBl

Bundesblatt

BJ

Bundesamt für Justiz

BK

Bundeskanzlei

ComCom

Eidgenössische Kommunikationskommission

EBG

Eisenbahngesetz vom 20. Dezember 1957 (SR 742.101)

EDI

Eidgenössisches Departement des Innern

EFD

Eidgenössisches Finanzdepartement

EFV

Eidgenössische Finanzverwaltung

EJPD

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement

ElCom

Eidgenössische Elektrizitätskommission

ENSI

Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat

ENSIG

Bundesgesetz vom 22. Juni 2007 über das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (SR 732.2)

ENSIV

Verordnung vom 12. November 2008 über das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (SR 732.21)

ESBK

Eidgenössische Spielbankenkommission

ESchK

Eidgenössische Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten

FINMA

Eidgenössische Finanzmarktaufsicht

GPK-S

Geschäftsprüfungskommission des Ständerates

HMG

Bundesgesetz vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, SR 812.21)

IGE

Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum

KTI

Kommission für Technologie und Innovation

OAK BV

Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge

PostCom

Eidgenössische Postkommission

PVK

Parlamentarische Verwaltungskontrolle

RAB

Eidgenössische Revisionsaufsichtsbehörde

RailCom

Kommission für Eisenbahnverkehr Rüstungs-Unternehmen Aktiengesellschaft

RUAG RVOG

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997 (SR 172.010)

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RVOV

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 1998 (SR 172.010.1)

SBB

Schweizerische Bundesbahnen

SERV

Schweizerische Exportrisikoversicherung

SKE

Schiedskommission im Eisenbahnverkehr

SUST

Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle

Swissmedic Schweizerisches Heilmittelinstitut TVS

Schweizerische Trassenvergabestelle

UIB

Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen

UVEK

Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation

VBS

Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport

VwVG

Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (RS 172.021)

WBF

Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung

WEKO

Wettbewerbskommission

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