05.060 Botschaft zur Änderung des Strafgesetzbuches in der Fassung vom 13. Dezember 2002 und des Militärstrafgesetzes in der Fassung vom 21. März 2003 vom 29. Juni 2005

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu nachträglichen Änderungen der noch nicht in Kraft gesetzten Fassung des Strafgesetzbuches vom 13. Dezember 2002 sowie den Entwurf zu den parallelen Anpassungen im Militärstrafgesetz in der Fassung vom 21. März 2003.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

29. Juni 2005

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Samuel Schmid Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2005-0932

4689

Übersicht Die eidgenössischen Räte verabschiedeten am 13. Dezember 2002 eine umfassende Änderung des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches und am 21. März 2003 die weitgehend analoge Änderung des Militärstrafgesetzes. Der Bundesrat setzte die Änderungen bisher hauptsächlich aus Rücksicht auf die notwendigen Vorbereitungen der Kantone nicht in Kraft.

Im Nachhinein wurde vor allem aus Kreisen von Strafverfolgungs- und Strafvollzugspraktikern Kritik an einigen Bestimmungen des revidierten Strafgesetzbuches laut, und es wurden entsprechende Änderungen gefordert. Der Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) veranlasste die nähere Prüfung dieser Anliegen.

Dies führte zur vorliegenden Gesetzesvorlage. Mit ihr wird die Änderung einiger Regelungen des revidierten Strafgesetzbuches und, soweit analoge Bestimmungen betroffen sind, des revidierten Militärstrafgesetzes vorgeschlagen.

Das neue Straf- und Massnahmensystem bleibt im Wesentlichen unverändert. Die vorgeschlagenen Korrekturen lassen sich in zwei Pakete aufteilen: Ein Paket umfasst punktuelle Änderungen im Bereich der Strafen (Art. 42 Abs. 4 nStGB), des Straf- und Massnahmenvollzugs (Art. 90 und 91 nStGB) sowie des Strafregisterrechts (Art. 369 Abs. 4 und 6 sowie Ziff. 3 Übergangsbestimmungen).

Im andern Paket werden schwerer wiegende Korrekturen an den Regelungen über die Massnahmen, insbesondere bei der neuen Form der Verwahrung, vorgeschlagen. Im Vordergund stehen hier die Erweiterung des Anlasstatenkatalogs (Art. 64 Abs. 1 nStGB) und die neue Bestimmung über die nachträgliche Verwahrung (Art. 65 nStGB).

4690

Inhaltsverzeichnis 1 Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.1.1 Die Änderung des Strafgesetzbuches vom 13. Dezember 2002 und des Militärstrafgesetzes vom 21. März 2003 1.1.2 Nachträgliche Kritiken und Änderungswünsche 1.1.3 Bericht der AG «Verwahrung» 1.1.4 Änderungsbedarf bei den Sanktionen im Bereich der Massendelinquenz 1.2 Vernehmlassungsverfahren 1.2.1 Vernehmlassungsentwürfe 1.2.1.1 Erstes Paket: Massnahmenrecht 1.2.1.2 Zweites Paket: Bedingte Geldstrafe, Straf- und Massnahmenvollzug, Strafregisterrecht 1.2.2 Ergebnisse der Vernehmlassungsverfahren 1.2.2.1 Erstes Paket 1.2.2.2 Zweites Paket 2 Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen 2.1 Verbindung bedingter Strafen mit einer unbedingten Geldstrafe oder Busse (Art. 42 Abs. 4 nStGB, Art. 36 Abs. 4 nMStG) 2.1.1 Einleitung 2.1.2 Die Schnittstellenproblematik im geltenden Recht 2.1.3 Strafensystem des neuen Allgemeinen Teils des StGB 2.1.4 Auswirkungen auf die Schnittstellenproblematik 2.1.5 Kritik an der Tauglichkeit der oben dargestellten Möglichkeiten 2.1.6 Eignung für das Massengeschäft 2.1.7 Änderungsvorschläge 2.1.7.1 Verbindung von bedingten Strafen mit einer unbedingten Geldstrafe 2.1.7.2 Verbindung von bedingten Strafen mit einer bedingten Geldstrafe 2.1.7.3 Verbindung von bedingten Strafen mit einer Übertretungsbusse 2.1.7.4 Präzisierung oder Ausdehnung der Voraussetzungen für den teilbedingten Strafvollzug 2.1.7.5 Analoge Änderung des Militärstrafgesetzes in der Fassung vom 21. März 2003 (Art. 36 Abs. 4 nMStG) 2.2 Verwahrung 2.2.1 Anlasstaten zur Verwahrung (Art. 64 Abs. 1 nStGB) 2.2.2 Entlassung aus dem Strafvollzug und Übertritt in die Verwahrung oder stationäre Behandlung (Art. 64 Abs. 2 und 3, 64b Abs. 1 und 2 nStGB) 2.2.3 Nachträgliche Verwahrung (Art. 65 nStGB) 2.2.3.1 Im Allgemeinen 2.2.3.2 Rückwirkung (Übergangsbestimmung Ziff. 2 Abs. 1)

4693 4693 4693 4693 4694 4695 4695 4695 4695 4696 4697 4697 4698 4699 4699 4699 4700 4700 4702 4704 4705 4705 4705 4706 4706 4708 4708 4709 4709 4712 4713 4713 4715

4691

2.3 Straf- und Massnahmenvollzug 2.3.1 Prüfung der Gemeingefährlichkeit Gefangener durch die kantonalen Fachkommissionen (Art. 75a und 90 Abs. 4bis nStGB) 2.3.2 Das Wohn- und Arbeitsexternat im Massnahmenvollzug (Art. 90 nStGB) 2.3.3 Die Busse als Disziplinarsanktion (Art. 91 nStGB) 2.4 Strafregisterrecht 2.4.1 Vorbemerkungen 2.4.2 Entfernung von Urteilen, die Massnahmen enthalten (Art. 369 Abs. 4 und 6 nStGB) 2.4.2.1 Ausgangslage 2.4.2.2 Urteile, die nicht stationäre Massnahmen in Verbindung mit Freiheitsstrafen enthalten 2.4.2.3 Urteile, die nicht stationäre Massnahmen allein enthalten 2.4.2.4 Lösungsvorschlag 2.4.2.5 Ergänzende Bemerkung 2.4.3 Entfernung gelöschter Daten bei Inkrafttreten des neuen Rechts (Übergangsbestimmungen Ziff. 3 Abs. 2 Bst. a nStGB und Übergangsbestimmungen Ziff. 2 Abs. 2 nMStG) 2.5 Übergangsbestimmungen (Ziff. 2 und 3 nStGB)

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3 Auswirkungen 3.1 Auswirkungen auf den Bund 3.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

4724 4724 4724

4 Verhältnis zur Legislaturplanung

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5 Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungsmässigkeit 5.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

4725 4725 4725

Schweizerisches Strafgesetzbuch und Militärstrafgesetz (Entwurf)

4727

4692

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

1.1.1

Die Änderung des Strafgesetzbuches vom 13. Dezember 2002 und des Militärstrafgesetzes vom 21. März 2003

Am 13. Dezember 2002, gut 4 Jahre nachdem die vorberatende Kommission des Ständerates mit der Behandlung der Vorlage begonnen hatte, verabschiedeten die eidgenössischen Räte nach intensiven Beratungen die umfassende Änderung des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafgesetzbuches (AT-StGB)1. Sie wurde bisher vom Bundesrat nicht in Kraft gesetzt, namentlich um den Kantonen genügend Zeit zu geben für ihre notwendigen und aufwändigen Arbeiten zur Vorbereitung auf diese Revision (Gesetzesanpassungen, Information und Schulung der Strafverfolgungs- und Gerichtsbehörden etc.). Der Änderung des AT-StGB folgte im März 2003 eine analoge Änderung des Militärstrafgesetzes.2

1.1.2

Nachträgliche Kritiken und Änderungswünsche

Nach Verabschiedung des revidierten AT-StGB durch das Parlament wurde namentlich von Praktikern der Strafverfolgung, der Strafjustiz, des Straf- und Massnahmenvollzugs und seitens der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren an verschiedenen neuen Regelungen zunehmend Kritik geübt und deren nachträgliche Änderung verlangt.3 Zusätzlichen Auftrieb erhielten diese Forderungen durch die Annahme der Volksinitiative zur lebenslänglichen Verwahrung gefährlicher Straftäter am 8. Februar 2004, weil zu deren Umsetzung auf Gesetzesebene vom EJPD eine Vorlage zur Ergänzung des revidierten AT-StGB in Aussicht gestellt wurde. Die Kritiken und Änderungswünsche im Einzelnen: ­

1 2 3

Im Laufe des Jahres 2003 machten Strafverfolgungs- und Strafvollzugspraktiker zunächst geltend, der Katalog der Delikte, die nach Artikel 64 Absatz 1 nStGB Anlass für die Verwahrung sein können, sei zu eng. Er berge ein Sicherheitsrisiko in sich, weil er die Verwahrung gewisser gefährlicher Straftäter nicht mehr zulasse. Die Kritik mündete Ende Oktober 2003 in eine BBl 2002 8240 BBl 2003 2808 In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die erwähnten Kreise in jeder Phase des lang dauernden Gesetzgebungsverfahrens beteiligt waren: Sie waren in der Expertenkommission vertreten und haben sich im Rahmen der Vernehmlassung umfassend und über verschiedene Organisationen geäussert. Sie wurden auch vom Parlament angehört (z.B. diverse Staatsanwälte und Richter sowie der Fachverband der Direktorinnen und Direktoren geschlossener Strafanstalten der Schweiz, FDGS). Im Übrigen waren auch Parlamentarier mit Erfahrung im Bereich der Strafverfolgung in den Rechtskommissionen vertreten. Die angeführte Kritik kannte das Parlament teils seit Beginn der Beratungen zum AT-StGB, folgte ihr aber nicht. Ein Teil der Kritikpunkte wurde aber in der konkreten, nachträglich geäusserten Form von den Praktikern während der parlamentarischen Beratungen der Vorlage nicht vorgebracht.

4693

entsprechende, an Bundesrat und Parlament gerichtete Resolution der Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz (KSBS). Namentlich vom Kanton Zürich wurde in diesem Zusammenhang auch die Forderung nach einer Rechtsgrundlage für nachträgliche Verwahrungen zur Diskussion gestellt.

­

Anfang 2004 forderten verschiedene Organisationen und Amtsträger von Strafverfolgungsbehörden im neuen AT-StGB eine Regelung, die es erlaubt, im Übergangsbereich zwischen Übertretungen und Vergehen mit wenig Aufwand (so genannt massengeschäftstauglich) gerechte Sanktionen verhängen zu können. Im Vordergund steht dabei die Möglichkeit, eine bedingte Strafe mit einer unbedingten Geldstrafe oder Busse verbinden zu können.

­

Im Zusammenhang mit der Ausarbeitung der neuen Verordnung zum StGB wiesen die Strafvollzugskonkordate darauf hin, dass im neuen Recht ein Hinweis darauf fehlt, wonach die Vollzugsstufe des Wohn- und Arbeitsexternats auch in Zukunft für den Vollzug von freiheitsentziehenden Massnahmen zulässig sein soll.

­

Der Fachverband der Direktoren und Direktorinnen geschlossener Strafanstalten der Schweiz (FDGS) unterbreitete dem Vorsteher des EJPD im September 2004 Änderungsvorschläge für die Strafvollzugsbestimmungen im neuen AT-StGB. Weil in der Vernehmlassungsvorlage zur Umsetzung der Verwahrungsinitiative Änderungen im neuen AT-StGB vorgeschlagen wurden, fand der Fachverband, dass bei dieser Gelegenheit auch weitere Bestimmungen dieses Gesetzes geändert werden könnten. Unter anderem hält er die Busse für eine im Strafvollzug unabdingbare Disziplinarsanktion, eine Ergänzung, die im nStGB vorgesehen werden muss. Andere Vorschläge des FDGS können in der neuen Verordnung zum Strafgesetzbuch berücksichtigt werden.

­

Schliesslich haben die Arbeiten an der neuen Strafregisterverordnung und insbesondere die Umprogrammierung des automatisierten Strafregisters gezeigt, dass eine neue Gesetzesbestimmung und eine Übergangsbestimmung zum Strafregister materiell korrigiert werden müssen.

1.1.3

Bericht der AG «Verwahrung»

Am 8. Februar 2004 stimmten Volk und Stände der sog. Verwahrungsinitiative und damit dem neuen Artikel 123a der Bundesverfassung (BV) über lebenslänglicheVerwahrung gefährlicher Gewalt- und Sexualstraftäter zu. Zur Konkretisierung der neuen Verfassungsbestimmung auf Gesetzesebene setzte der Vorsteher des EJPD Anfang Mai 2004 eine Arbeitsgruppe (Arbeitsgruppe «Verwahrung») ein. Diese erhielt auch den Auftrag, die Forderungen nach nachträglichen Änderungen an den Regelungen des revidierten AT-StGB über die Verwahrung (Anlasstaten, nachträgliche Verwahrung) näher zu prüfen und entsprechende Vorschläge zu erarbeiten. Die Arbeitsgruppe erfüllte diesen Auftrag und nutzte die Gelegenheit, in ihrem Bericht4 4

Bericht der Arbeitsgruppe «Verwahrung» vom 15. Juli 2004 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches in derFassung vom 13.12.2002 betreffend die Umsetzung von Artikel 123a BV über die lebenslängliche Verwahrung extrem gefährlicher Straftäter und einzelne nachträgliche Korrekturen am neuen Massnahmenrecht.

4694

und Gesetzesentwurf vom 15. Juli 2004 einige zusätzliche Änderungen am Massnahmenrecht des revidierten AT-StGB vorzuschlagen.

1.1.4

Änderungsbedarf bei den Sanktionen im Bereich der Massendelinquenz

Gespräche des Bundesamtes für Justiz von Ende August 2004 mit Vertretern von Strafverfolgungs-, Gerichts- und Vollzugsbehörden namentlich zur Frage der Verbindung bedingter Strafen mit einer unbedingten Geldstrafe oder Busse haben gezeigt, dass das Sanktionensystem des revidierten AT-StGB zwar im Einzelfall zu gerechten Lösungen führt. Diese sind jedoch mit einem Aufwand verbunden, der im Bereich der Massendelinquenz nicht verhältnismässig erscheint. Mit entsprechenden Gesetzesanpassungen sollen daher Möglichkeiten geschaffen werden, damit in der Praxis spürbare Sanktionen verhängt werden können, ohne sich näher mit dem Täter beschäftigen zu müssen.

1.2

Vernehmlassungsverfahren

1.2.1

Vernehmlassungsentwürfe

Die vorgeschlagenen Änderungen wurden den interessierten Kreisen zeitlich gestaffelt in zwei separaten Paketen zur Stellungnahme unterbreitet:

1.2.1.1

Erstes Paket: Massnahmenrecht

Wie in Ziffer 1.1.3 ausgeführt, bildeten die nachträglichen Änderungen am Massnahmenrecht einen Teil der Vorschläge der vom EJPD im Frühjahr 2004 eingesetzten Arbeitsgruppe «Verwahrung». Zu diesen Vorschlägen wurde von Mitte September bis Ende Dezember 2004 ein ordentliches Vernehmlassungsverfahren bei den Kantonen, den politischen Parteien und den interessierten Organisationen durchgeführt.

Der Vorentwurf enthielt nebst den Bestimmungen zur Konkretisierung von Artikel 123a BV über die lebenslängliche Verwahrung im Wesentlichen folgende Vorschläge zur nachträglichen Änderung insbesondere am Massnahmenrecht des revidierten AT-StGB: ­

Artikel 64 Absatz 1 nStGB betreffend die Voraussetzungen der ordentlichen Verwahrung soll anstelle des nur schwere Verbrechen enthaltenden Anlasstatenkatalogs vorsehen, dass grundsätzlich jedes Verbrechen oder Vergehen Anlasstat sein kann.

­

Artikel 64 Absatz 3 nStGB betreffend den Übertritt des Verurteilten aus dem Straf- in den Verwahrungsvollzug wird durch eine Regelung ersetzt, die klärt, dass eine Entlassung schon vor Antritt der Verwahrung möglich ist, wenn der Gefangene nicht mehr gefährlich erscheint.

4695

­

Artikel 65 nStGB wird mit einem Absatz 2 ergänzt, der die nachträgliche Verwahrung verurteilter Personen in der Form der Revision zu Ungunsten des Täters ermöglicht.

­

Mit Ergänzungen der Artikel 59 Absatz 1 und 63 Absatz 1 nStGB wird ermöglicht, dass die Gerichte therapeutische Massnahmen auch gegenüber Straftätern anordnen können, die keine volle, diagnostizierbare psychische Störung aufweisen, aber besondere Persönlichkeitsmerkmale, die prognoserelevant sind und behandelt werden können.

­

Artikel 59 Absatz 3 nStGB wird hauptsächlich in der Weise geändert, dass die therapeutische stationäre Behandlung eines gefährlichen Verurteilten, wofür statt einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung oder Massnahmevollzugseinrichtung nur eine Strafanstalt in Frage kommt, nicht in einer getrennten Abteilung der Strafanstalt erfolgen muss.

­

Artikel 75a nStGB wird dahingehend eingeengt, dass die kantonalen Fachkommissionen im Hinblick auf die mögliche Einweisung in eine offene Anstalt oder die Gewährung von Vollzugsöffnungen wie bis anhin nur solche Gefangene auf ihre Gemeingefährlichkeit hin beurteilen müssen, die schwere Gewalt- und Sexualverbrechen, nicht aber andere schwere Taten wie Vermögens- oder Drogendelikte begangen haben.

­

Artikel 56 Absätze 3 und 4 nStGB wird so geändert, dass im Zusammenhang mit der Anordnung von Massnahmen nicht immer ein Expertengutachten einzuholen ist, sondern in leichten und eindeutigen Fällen darauf vezichtet werden kann. Anderseits soll die Unabhängigkeit bzw. Unbefangenheit des Gutachters nicht nur im Zusammenhang mit der Begutachtung der Urheber schwerer Verbrechen, sondern aller Täter verlangt werden.

1.2.1.2

Zweites Paket: Bedingte Geldstrafe, Straf- und Massnahmenvollzug, Strafregisterrecht

Zum zweiten Paket, das in einem gewissen Sinne bloss technische Änderungen umfasst, wurde kein eigentliches Vernehmlassungsverfahren durchgeführt. Vielmehr unterbreitete das Bundesamt für Justiz die Vorschläge Mitte März 2005 der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) zur Stellungnahme. Die KKJPD äusserte sich dazu anlässlich ihrer Frühjahrskonferenz vom 7. April 2005, forderte aber die Kantone auf, ihrerseits zu diesen Änderungsvorschlägen Stellung zu nehmen.

Dieses Paket umfasste die folgenden Vorschläge nachträglicher Änderungen des AT-StGB im Bereich der Strafen, des Straf- und Massnahmenvollzugs sowie des Strafregisterrechts: ­

4696

Artikel 42 Absatz 4 nStGB soll präzisiert und ergänzt werden, damit im Übergangsbereich zwischen Übertretungen und Vergehen so genannt «massengeschäftstaugliche» Strafen verhängt werden können. Bedingte Strafen (Geldstrafe, gemeinnützige Arbeit und Freiheitsstrafe) sollen sowohl mit einer (bedingten oder unbedingten) Geldstrafe als auch mit einer Übertretungsbusse verbunden werden können.

­

Artikel 90 nStGB soll um einen neuen Absatz 2bis erweitert werden, um für Massnahmen auch weiterhin die Vollzugsform des Wohn- und Arbeitsexternates zur Verfügung zu haben.

­

In Artikel 91 nStGB soll der Katalog der Disziplinarsanktionen um die Busse ergänzt werden.

­

In Artikel 369 nStGB und in Ziffer 3 der Übergangsbestimmungen sollen Regelungen geändert werden, die im Zusammenhang mit der Entfernung von Daten aus dem Strafregister zu stossenden Ergebnissen führen.

1.2.2

Ergebnisse der Vernehmlassungsverfahren

1.2.2.1

Erstes Paket

Von 117 zur Vernehmlassung eingeladenen Adressaten gingen 67 Antworten ein, nämlich von 3 eidgenössischen Gerichten, 26 Kantonen, 9 (von 15 eingeladenen) Parteien (inklusive alle Bundesratsparteien) und 29 (von 73 eingeladenen) Organisationen. In 11 Antworten wurde ausdrücklich auf eine inhaltliche Stellungnahme verzichtet (2 Gerichte, 3 Kantone, 6 Organisationen).

Die Meinungen zu diesem Vorentwurf fielen geteilt aus, sowohl zu den Vorschlägen zur Umsetzung von Artikel 123a BV über die lebenslängliche Verwahrung als auch zu den Vorschlägen hinsichtlich Nachbesserungen am Massnahmenrecht des revidierten AT-StGB. Die kritischen Stimmen gegenüber einem Teil der letztgenannten Vorschläge waren indessen etwas zahlreicher als zu den Vorschlägen über die Umsetzung von Artikel 123a BV. Die grosse Mehrheit der Kantone stimmte den Vorschlägen zu. Hingegen äusserten sich insbesondere die Bundesratsparteien mit Ausnahme der SVP skeptisch bis ablehnend. Das gleiche gilt für viele wichtige Organisationen wie Ärzte- und Juristenverbände, Universitäten, Menschenrechtsorganisationen und die Bischofskonferenz.

Für weitere Ausführungen zu den Vernehmlassungsergebnissen sei auf die Ziffern 2.2.1­2.2.3 und 2.3.1 verwiesen.

Angesichts dieser Vernehmlassungsresultate entschied der Vorsteher des EJPD Anfang März 2005 im Einvernehmen mit dem Präsidenten der KKJPD, bis zum Sommer 2005 eine Botschaft zu erstellen, die nur die dringlichsten Nachbesserungsvorschläge berücksichtigt5. Dazu gehören auch einzelne Vorschläge, die erst im März 2005 der KKJPD zur Stellungnahme unterbreitet wurden («Zweites Paket», vgl. Ziff. 1.2.1.2). Dieses Vorgehen soll es ermöglichen, den revidierten AT-StGB mit den wichtigsten, vom Parlament gutgeheisssenen nachträglichen Änderungen Anfang 2007 in Kraft setzen zu können. Die gesetzlichen Ausführungsbestimmungen zum neuen Artikel 123a BV über die lebenslängliche Verwahrung sollen Gegenstand einer separaten Botschaft werden, die vom Bundesrat im Herbst 2005 beschlossen wird.

5

Vgl. dazu die Pressemitteilung des EJPD vom 4. März 2005.

4697

1.2.2.2

Zweites Paket

Zum zweiten Vernehmlassungspaket haben die KKJPD sowie die Kantone Bern, Luzern, Schwyz, Obwalden, Zug, Appenzell A.Rh., St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin, Walis, Neuenburg und Genf Stellung genommen.

Die Ergänzung und Präzisierung von Artikel 42 Absatz 4 nStGB betreffend die Verbindung von bedingten Strafen mit der Geldstrafe und der Übertretungsbusse wird von allen Vernehmlassungsteilnehmern mit Ausnahme der Kantone Wallis und Genf im Grundsatz begrüsst. Während der Kanton Wallis die Regelungen über den bedingten Strafvollzug als Ganzes kritisiert, macht der Kanton Genf darauf aufmerksam, dass der neue Artikel 42 Absatz 4 zu Überschneidungen mit den teilbedingten Strafen nach Artikel 43 nStGB führen kann (so sinngemäss auch der Kanton Obwalden). Der Kanton Genf bedauert zudem, dass zur Lösung der so genannten Schnittstellenproblematik (vgl. Ziff. 2.1) nicht die Einführung der bedingten Busse und der bedingten gemeinnützigen Arbeit für Übertretungen geprüft wurde. Die Kantone Bern und Neuenburg sind der Auffassung, bedingte Strafen sollten nur mit einer unbedingten Geldstrafe und nicht auch mit einer bedingten Geldstrafe verbunden werden können. Demgegenüber wird die Verbindung einer bedingten Geldstrafe mit einer unbedingten Geldstrafe vom Kanton Tessin als fragwürdig erachtet.

Auf vorbehaltlose Zustimmung stiess die Ergänzung von Artikel 90 nStGB betreffend das Wohn- und Arbeitsexternat.

Die Busse als Disziplinarsanktion wurde von der KKJPD sowie den Kantonen Zug, Neuenburg, Luzern, Schwyz, Thurgau und Wallis begrüsst. Sie wird von den Kantonen Bern und Graubünden, welche in ihren kantonalen Vollzugserlassen bewusst auf diese Disziplinarsanktion verzichtet haben, abgelehnt.

Mehrheitlich positiv wurden die Änderungen betreffend die Entfernung von Daten aus dem Strafregister in Artikel 369 nStGB sowie Ziffer 3 der Übergangsbestimmungen aufgenommen. Einzig die Kantone Appenzell A.Rh. und St. Gallen erachten die Regelung über die Entfernung der Daten als zu kompliziert und würden eine einfachere Regelung, wie sie im Vernehmlassungsbericht skizziert wurde, unterstützten (vgl. dazu Ziffer 2.4.2.5).

Der Kanton Tessin sieht im Bereich des neuen Strafregisterrechts weiteren Änderungsbedarf. Artikel 371 Absatz 1 nStGB, der vorsieht, dass die Strafregisterauszügbe für Privatpersonen nur
Urteile wegen Verbrechen und solche mit Berufsverboten enthalten, müsse geändert werden. Der Auszug für Privatpersonen sei ein wichtiges Instrument, um abzuklären, ob eine Person für ein politisches Amt oder eine berufliche Stelle geeignet sei. Er müsse daher neben den Urteilen wegen Verbrechen auch die Urteile wegen Vergehen enthalten.

4698

2

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

2.1

Verbindung bedingter Strafen mit einer unbedingten Geldstrafe oder Busse (Art. 42 Abs. 4 nStGB, Art. 36 Abs. 4 nMStG)

2.1.1

Einleitung

In der ersten Hälfte des Jahres 2004 sind verschiedene Organisationen und Amtsträger aus dem Bereich der Strafverfolgung6 mit dem Ersuchen an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement gelangt, bestimmte Normen des neuen Allgemeinen Teils des StGB vom 13. Dezember 2002 zu überprüfen (vgl. Ziff. 1.1.2).

Im Zentrum der Kritik der Strafverfolgungsbehörden steht die Schnittstelle zwischen unbedingten Bussen für Übertretungen und bedingten Geldstrafen für Vergehen. Zur Illustration wird etwa das folgende Beispiel angeführt: ­

Wer die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um 20 Kilometer pro Stunde überschreitet, begeht eine Übertretung nach Artikel 90 Absatz 1 des Strassenverkehrsgesetzes7 (SVG, SR 741.01) und könne gemäss neuem Recht mit einer unbedingten Busse (oder unbedingter gemeinnütziger Arbeit) bestraft werden (bedingte Haftstrafen sind bei Übertretungen nicht mehr vorgesehen).

­

Wer hingegen die zulässige Geschwindigkeit innerorts um mehr als 24 Kilometer pro Stunde überschreitet, begeht ein Vergehen nach Artikel 90 Absatz 2 SVG und könne nach neuem Recht (zumindest als Ersttäter) bloss mit einer bedingten Geldstrafe (oder bedingter gemeinnütziger Arbeit) bestraft werden.

Die in diesem Beispiel dargestellte Situation beruht auf einer unvollständigen Anwendung und einer eigenen Interpretation des neuen Sanktionensystems des Allgemeinen Teils des StGB.

6

7

Schweizerische Kriminalistische Gesellschaft (SKG), 28.5.04; Konferenz der Schweizer Staatsanwälte c/o StA E. Kuhn, Aarau, 13.5.04; Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz (KSBS), 25.3.04; 4 Berner Oberrichter, 27.2.04.

Art. 90 SVG (Verletzung der Verkehrsregeln) gemäss geltendem Recht 1. Wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt, wird mit Haft oder mit Busse bestraft.

2. Wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.

3. Artikel 237 Ziffer 2 des Strafgesetzbuches findet in diesen Fällen keine Anwendung.

Art. 90 SVG (Verletzung der Verkehrsregeln) gemäss neuem Sanktionensystem des AT-StGB 1. Wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt, wird mit Busse bestraft.

2. Wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

3. Artikel 237 Ziffer 2 des Strafgesetzbuches findet in diesen Fällen keine Anwendung.

4699

2.1.2

Die Schnittstellenproblematik im geltenden Recht

Eine bereits heute bestehende Inkonsequenz gründet auf dem Ordnungsbussengesetz (OBG; SR 741.03). Danach können Übertretungen der Strassenverkehrsvorschriften in einem vereinfachten Verfahren mit Bussen bis 300 Franken geahndet werden, ohne Vorleben und persönliche Verhältnisse des Täters zu berücksichtigen (Art. 1 OBG).

Übertretungen, welche über die in der Ordnungsbussenverordnung (OBV; SR 741.031) definierten Tatbestände hinausgehen, werden mit Haft oder Busse bestraft, wobei für die Zumessung der Busse die persönlichen und finanziellen Verhältnisse des Täters berücksichtigt werden müssen (Art. 48 Ziff. 2 in Verbindung mit Art. 102 StGB) und die Haft mit bedingtem Vollzug verhängt werden kann (Art. 102 und 105 StGB).

Dies hat zur Folge, dass jemand, der innerorts 11­15 Kilometer zu schnell fährt, nach Ordnungsbussenverordnung 250 Franken Busse bezahlen muss. Fährt er hingegen innerorts 20 km pro Stunde zu schnell, so müsste er unter Umständen eine Busse bezahlen, die ­ unter Berücksichtigung seiner persönlichen und finanziellen Verhältnisse ­ nur 150 Franken beträgt. Die Kantone begegnen diesem Umstand, indem sie auch für diesen Bereich der Übertretungen im Strassenverkehr fixe Bussenkataloge vorsehen. Sie hätten zudem die Möglichkeit, bei guter Prognose eine bedingte Haftstrafe zu verhängen, was bedeutet, dass eine ähnliche Schnittstellenproblematik besteht, wie sie am neuen AT-StGB kritisiert wird.

Eine weitere Schnittstellenproblematik besteht im geltenden Recht sehr ausgeprägt zwischen unbedingten Übertretungsstrafen und bedingten Strafen für Vergehen und Verbrechen: Wer z.B. innerorts 20 Kilometer zu schnell Auto fährt, wird mit einer unbedingten Busse bestraft; wer eine schwerere Straftat begeht, z.B. fahrlässig einen Menschen tötet, wird heute in bestimmten Fällen nur mit einer kurzen bedingten Freiheitsstrafe bestraft. Diese könnte gestützt auf Artikel 50 Absatz 2 StGB mit einer unbedingten Busse verbunden werden; dies geschieht in etwas mehr als 50 % der Fälle (rund 21 500 pro Jahr).

Diese Problematik war bei der Ausarbeitung der Botschaft des Bundesrates zur Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches bekannt8, und das neue Recht sieht Regelungen vor, um sie zu entschärfen.

2.1.3

Strafensystem des neuen Allgemeinen Teils des StGB

Ein wichtiges Ziel der Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches besteht darin, im Bereich der leichteren Kriminalität, die unsere Strafverfolgungsbehörden bei ihrer täglichen Arbeit weitaus am meisten beschäftigt, ein breiteres und differenzierteres Arsenal von Sanktionen anzubieten. Gleichzeitig soll in diesem Bereich der leichteren Kriminalität die kurze Freiheitsstrafe zurückgedrängt werden.

Diese kostet viel, nützt wenig und kann durch ebenso wirksame Sanktionen ­ Geld8

Unter anderem hat die Schweizerische Kriminalistische Gesellschaft bei verschiedenen Gelegenheiten auf diese Problematik hingewiesen. Ein Vertreter der SKG hat diese Frage anlässlich von Anhörungen zum Botschaftsentwurf ausführlich erörtert. Er war jedoch damals der Auffassung, dass das Problem durch die Einführung der teilbedingten Geldstrafe und der teilbedingten gemeinnützigen Arbeit gelöst wird.

4700

strafe und gemeinnützige Arbeit ­ ersetzt werden, welche für die Gemeinschaft sogar einen Ertrag abwerfen9.

Die neue Geldstrafe im Tagessatzsystem ist ein Kernpunkt des neuen Sanktionensystems. Sie wurde in zahlreichen Ländern ­ unter anderem in Deutschland, Österreich und Frankreich ­ eingeführt und hat sich als transparente und gerechte Form der Geldstrafe bewährt. Sie wurde vom Parlament daher bewusst auch für den Bereich, in dem die meisten Bussen (resp. Geldstrafen) ausgefällt werden, nämlich den Bereich der Strassenverkehrsdelikte, eingeführt10.

Damit im Bereich bis zu 6 Monaten die Freiheitsstrafe wirksam zurückgedrängt werden kann, wird nicht nur die unbedingte, sondern auch die bedingte Freiheitsstrafe nicht mehr vorgesehen. Gestützt auf die Erkenntnisse über die Austauschbarkeit der Sanktionen (vgl. oben), soll die bedingte Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten durch die bedingte Geldstrafe und die bedingte gemeinnützige Arbeit ersetzt werden11.

Das Strafensystem des neuen Allgemeinen Teils sieht konkret die folgenden Strafen vor: Für Übertretungen: ­

die Busse12 (Art. 106 nStGB) und

­

die gemeinnützige Arbeit (Art. 107 nStGB).

Beide Strafen können bei Übertretungen nur unbedingt verhängt werden (Art. 105 nStGB).

Für Vergehen und Verbrechen: ­

die Geldstrafe (Art. 34 ff. nStGB)

­

die gemeinnützige Arbeit (Art. 37 ff. nStGB) und

­

die Freiheitsstrafe (Art. 40 und 41 nStGB).

Alle drei Strafen (Geldstrafe, gemeinnützige Arbeit, Freiheitsstrafe) können auf drei Arten verhängt werden: unbedingt, bedingt (Art. 42) oder teilbedingt (Art. 43 nStGB).

9

10 11

12

Mit dieser Neuerung werden drei Standesinitiativen (BS, GE, BE), zwei Motionen (Longet, Zysiadis) und ein Postulat umgesetzt (Sahlfeld, aus dem Jahr 1974). Auch eine Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer sprach sich für die Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe aus.

Empirische Untersuchungen belegen, dass kurze Freiheitsstrafen weder spezial- noch generalpräventiv effizienter sind als alternative Sanktionen. Eine in der Schweiz durchgeführte Untersuchung der unterschiedlichen Sanktionspraxis der Kantone kommt zum Ergebnis, dass gerade bei Massendelikten (wie Diebstahl, Verletzung der Verkehrsregeln, Fahren in angetrunkenem Zustand), die am häufigsten mit kurzen Freiheitsstrafen sanktioniert werden, die Sanktionsarten weitgehend austauschbar sind. Das bedeutet, dass nach weniger eingriffsintensiven Sanktionen (z.B. Busse an Stelle von Freiheitsstrafe) keine negativen Effekte auf die Legalbewährung festzustellen sind. Somit können höhere resp.

strengere Strafen für den Bereich der Massenkriminalität nicht mehr mit dem Argument ihrer besseren Wirksamkeit verteidigt werden (vgl. Botschaft zur Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches vom 21. September 1998, BBl 1999 1979, Ziff. 213.132).

Vgl. u.a. die Beratungen im Ständerat, Sitzung vom 14.12.1999.

In Österreich ist die bedingte Geldstrafe in bestimmten Regionen mit 71 % die häufigste Strafart; vgl. Renate Binggeli, Die Geldstrafe, in: Annemarie Hubschmid/Jürg Sollberger (Hrsg.), Zur Revision des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafrechts und zum neuen materiellen Jugendstrafrecht, Bern 2004, S. 44.

Vorbehalten ist die Ordnungsbusse für Übertretungen der Strassenverkehrsvorschriften (nach Ordnungsbussengesetz).

4701

Eine kurze Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten soll nur ausgesprochen werden, wenn die Voraussetzungen für eine bedingte Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit nicht gegeben sind und zu erwarten ist, dass diese Strafen nicht vollzogen werden können (Art. 41 nStGB).

Jede bedingte Strafe kann zudem mit einer Geldstrafe (bedingt oder unbedingt) verbunden werden (Art. 42 Abs. 4 nStGB).

2.1.4

Auswirkungen auf die Schnittstellenproblematik

Die Schnittstellenproblematik zwischen Ordnungsbussen und normalen Übertretungsbussen (vgl. Ziff. 2.1.2) bleibt auch im neuen Recht bestehen. Um sie zu beseitigen, müsste entweder das Ordnungsbussengesetz mit den fixen Bussenbeträgen aufgehoben werden, oder aber dieses Gesetz auf alle Übertretungen von Strassenverkehrsvorschriften im Sinne von Artikel 90 Absatz 1 Strassenverkehrsgesetz ausgedehnt werden. Solche Änderungen standen im Rahmen der Revision des Allgemeinen Teils des StGB nicht zur Diskussion. Für Übertretungen im Strassenverkehr, die nicht von der Ordnungsbussenverordnung abgedeckt sind, werden daher die Kantone wie bis anhin Kataloge mit fixen Bussen vorsehen.

Um der Schnittstellenproblematik zwischen unbedingten Übertretungsstrafen und bedingten Strafen für Vergehen zu begegnen, stehen verschiedenen Möglichkeiten zur Verfügung: ­

Die logischste Lösung wäre, den bedingten Strafvollzug auch für Übertretungsstrafen vorzusehen (im Prinzip sogar für die Ordnungswidrigkeiten), denn es besteht aus strafrechtlicher Sicht kein Grund, weshalb jemand, der eine leichte Straftat begeht, ohne Prüfung der Zukunftsprognose in jedem Fall eine unbedingte Strafe erhält, während derjenige, der eine schwerere Straftat begeht, aufgrund einer günstigen Prognose mit einer bedingten Strafe sanktioniert werden kann. Von einem solchen Schritt wurde indessen im Rahmen der Revision des AT-StGB auf Bestreben von Strafverfolgungsbehörden abgesehen, weil die Einführung des bedingten Strafvollzugs bei Ordnungsbussen und Übertretungsbussen für Verstösse gegen das Strassenverkehrsgesetz zu einem grossen Mehraufwand in Justiz und Verwaltung sowie zu Einnahmeverlusten der Kantone führen würde. Diese Lösung wird daher in der voliegenden Gesetzesvorlage nicht mehr zur Diskussion gestellt (sie wurde in der Vernehmlassung zu den Nachbesserungen am neuen AT-StGB einzig vom Kanton Genf als möglicher Weg positiv erwähnt).

­

Wenn somit für Übertretungen nur unbedingte Bussen möglich sein sollen, muss der Schnittstellenproblematik bei den Strafen für Vergehen Rechnung getragen werden. Der neue Allgemeine Teil des StGB sieht deshalb vor, dass jede bedingte Strafe (Freiheitsstrafe, Geldstrafe und gemeinnützige Arbeit) mit einer (bedingten oder unbedingten) Geldstrafe verbunden werden kann (Art. 42 Abs. 4 nStGB). Diese Regelung entspricht weitgehend dem, was das heutige Recht erlaubt, nämlich gleichzeitig eine unbedingte Busse und eine bedingte Freiheitsstrafe auszusprechen (insbesondere gestützt auf Art. 50

4702

Abs. 2 StGB); es ändert sich nur, dass in Zukunft an Stelle der bedingten Freiheitsstrafe eine bedingte Geldstrafe oder eine bedingte gemeinnützige Arbeit tritt.

­

Der neue Allgemeine Teil des StGB führt zudem für Vergehen und Verbrechen das neue Institut des teilbedingten Strafvollzuges ein (Art. 43 nStGB).

Dieses erlaubt es, einen Teil der Strafe sofort vollziehbar zu erklären und den anderen Teil unter Ansetzung einer Probezeit aufzuschieben.

Mit beiden letztgenannten Möglichkeiten ist gewährleistet, dass ein Täter in jedem Fall mit einer spürbaren Sanktion belegt werden kann.

An der Schnittstelle zwischen Übertretungen und Vergehen hat der neue Allgemeine Teil des StGB die folgenden Auswirkungen (wir gehen davon aus, dass an dieser Schnittstelle noch keine Strafen in einem Mass von über 6 Monaten Freiheitsstrafe in Frage stehen): Geschwindigkeitsüberschreitungen

Strafe gemäss geltender Praxis

Strafe nach neuem AT-StGB

Innerorts 10 km/h

120 Franken Ordnungsbusse gemäss Ziffer 303.1. Ordnungsbussenverordnung (SR 741.031)

Unverändert

Innerorts 20 km/h

Unbedingte Busse von mehreren hundert Franken.

Unbedingte Busse von mehreren hundert Franken oder unbedingte gemeinnützige Arbeit (GA) Die Busse soll gemäss Art. 106 nStGB je nach den (persönlichen und finanziellen) Verhältnissen des Täters so bemessen sein, dass er die Strafe erleidet, die seinem Verschulden angemessen ist.

Die maximale Bussenhöhe für Übertretungen beträgt 10 000 Franken.

Die Busse sollte gemäss Art. 48 Ziff. 2 StGB den persönlichen und finanziellen Verhältnissen des Täters Rechnung tragen, wird aber in den meisten Fällen nach einem fixen kantonalen Tarif verhängt.

Die maximale Bussenhöhe für Übertretungen beträgt 5000 Franken.

Möglich wäre auch bedingte Haft.

Innerorts 30 km/h

Unbedingte Busse von mehreren hundert bis zu mehreren tausend Franken.

Die Busse sollte gemäss Art. 48 Ziff. 2 StGB den persönlichen und finanziellen Verhältnissen des Täters Rechnung tragen, wird aber in vielen Fällen nach einem fixen kantonalen Tarif verhängt.

Die maximale Bussenhöhe für Vergehen und Verbrechen beträgt i.d.R. 40 000 Franken.

Evtl. bedingte Freiheitsstrafe

1. Möglichkeit: ­ Bedingte Geldstrafe oder bedingte GA verbunden mit einer unbedingten Geldstrafe, die den finanziellen und persönlichen Verhältnissen des Täters Rechnung trägt (Art. 42 Abs. 4 nStGB).

­ Die Geldstrafe für Vergehen und Verbrechen beträgt maximal 1 080 000 Franken (Art. 34 nStGB).

2. Möglichkeit: ­ Teilbedingte Geldstrafe oder teilbedingte GA (ein Teil der Strafe ist sofort zu vollziehen, der andere Teil wird unter Ansetzung einer Probezeit aufgeschoben, Art. 43 nStGB).

3. Möglichkeit: ­ Unbedingte Geldstrafe oder unbedingte GA, sofern dem Täter eine ungünstige Prognose gestellt wird.

4703

Das neue Recht lässt zu, dass die Strafe bei Vergehen im Strassenverkehr strenger ausfallen kann, indem zusätzlich zur unbedingt zu vollziehenden Strafe (Geldstrafe, gemeinnützige Arbeit, eventuell Freiheitsstrafe) in den meisten Fällen auch eine bedingte Strafe mit einer Probezeit von 2­5 Jahren verknüpft ist.

2.1.5

Kritik an der Tauglichkeit der oben dargestellten Möglichkeiten

Verschiedentlich wird kritisiert, der Wortlaut von Artikel 42 Absatz 4 nStGB bringe nicht genügend klar zum Ausdruck, dass eine bedingte Strafe (Freiheitsstrafe, Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit) nicht nur mit einer bedingten Geldstrafe, sondern auch mit einer unbedingten Geldstrafe verbunden werden kann. Das Parlament wollte den Richtern eine möglichst breite Palette von Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung stellen und hat deshalb bewusst diese offene Formulierung gewählt. Eine präzisere Umschreibung könnte indessen eine Klarstellung bringen (vgl. die vorgeschlagene Präzisierung in Art. 42 Abs. 4 nStGB) Nach Meinung bestimmter Kritiker lässt der Wortlaut von Artikel 43 Absatz 1 nStGB eine Anwendung des teilbedingten Strafvollzugs zu den hier diskutierten Zwecken nicht zu13. Der teilbedingte Strafvollzug befriedige vor allem Vergeltungsbedürfnisse und eigne sich nicht für generalpräventive Zwecke. Diese Auffassung wird indessen nicht durchgehend geteilt14.

Weit verbreitet ist die Meinung, bei Ersttätern müsse in Zukunft gestützt auf Artikel 42 nStGB immer eine bedingte Strafe (Freiheitsstrafe, Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit) ausgefällt werden. Dies trifft nicht zu. Für die Gewährung des bedingten Strafvollzugs ist in erster Linie die günstige Prognose ausschlaggebend.

Nur wenn diese vorliegt, soll «in der Regel» eine bedingte Strafe verhängt werden.

Mit der Formulierung «in der Regel» wird zudem nicht eine Verpflichtung zum bedingten Strafvollzug festgelegt, sondern im Gegenteil klargestellt, dass Ausnahmen sogar bei Vorliegen einer günstigen Prognose möglich sind15.

Eine weitere Kritik macht geltend, es könne zu stossenden Ergebnissen führen, wenn die Bussen für Übertretungen nach einem fixen Tarif berechnet, die Geldstrafen für Vergehen hingegen im Tagessatzsystem unter Berücksichtigung der persönlichen und finanziellen Verhältnisse des Täters zugemessen werden. So könnte ein Täter 13

14 15

Günter Stratenwerth, Die Strafe im Bagatellbereich nach künftigem Recht; ZStR 2004, S. 159 ff. Die Kritik stellt wesentlich auf die Bemerkungen eines Praktikers ab, wonach bedingte Bussen oder Geldstrafen lächerlich wirken. Sowohl Stratenwerth als auch der Praktiker waren Mitglieder der Expertenkommission zur Revision des Allgemeinen Teils des StGB. Die Expertenkommission schlug als Ersatz für die kurzen bedingten Freiheitsstrafen das Institut der «bedingten Verurteilung» vor. Im Ergebnis umfasste die bedingte Verurteilung eine bedingte Freiheitsstrafe, eine bedingte Geldstrafe und eine bedingte gemeinnützige Arbeit (vgl. Art. 36 Abs. 2 VE der Expertenkommission, Bundesamt für Justiz, 1993). Indem die bedingte Geldstrafe als lächerlich dargestellt wird, werden nicht nur die Grundprinzipien der Revision des AT-StGB in Frage gestellt, sondern auch die Sanktionspraxis anderer Länder negiert (vgl. die oben erwähnten Zahlen zu Österreich).

Franz Riklin, Die Sanktionierung von Verkehrsdelikten nach der Strafrechtsreform, ZStR 2004, S. 169 ff.

Vgl. dazu die Botschaft des Bundesrates, BBl 1999 1979 ff., Ziff 213.142. Vgl. auch Georges Greiner, Bedingte und teilbedingte Strafen, Strafzumessung, in: Annemarie Hubschmid / Jürg Sollberger (Hrsg.), Zur Revision des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafrechts und zum neuen materiellen Jugendstrafrecht, Bern 2004, S. 77.

4704

für eine Übertretung unter Umständen mit einer höheren Busse bestraft werden, als wenn er ein an sich schwereres Vergehen begehe. Diese Kritik trifft zwar zu, sie deckt indessen nicht einen Mangel des Strafensystems auf. Sie zeigt vielmehr, dass es zu stossenden Ergebnissen führt, wenn im Bereich der Übertretungen mit fixen Bussentarifen gearbeitet wird, obwohl das Gesetz vorsieht, dass auch in diesem Bereich die persönlichen und finanziellen Verhältnisse des Täters für die Zumessung der Busse massgebend sind. Die angeführten Einwände sind jedoch ernst zu nehmen, weil es illusorisch wäre, zu erwarten, dass die Kantone unter dem neuen StGB die fixen Bussentarife aufgeben werden, wenn sie dies bereits beim geltenden StGB gestützt auf eine langjährige Praxis nicht tun16.

2.1.6

Eignung für das Massengeschäft

Das Bundesamt für Justiz hat mit Vertretern von Strafverfolgungs-, Gerichts- und Vollzugsbehörden Kontakt aufgenommen, um zu prüfen, inwieweit und in welcher Form der Kritik der Strafverfolger Rechnung getragen werden könnte. Dabei hat sich gezeigt, dass die Regelungen des neuen Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches zwar im Einzelfall durchaus gerechte Lösungen ermöglichen. Diese sind indessen mit einem Aufwand verbunden, der angesichts der Vielzahl der im Bereich der Alltagskriminalität zu beurteilenden Fälle als nicht verhältnismässig erachtet wird. Die Strafverfolgungsbehörden verlangen eine Regelung, die «blindflugtauglich» ist, das heisst es erlaubt, eine spürbare Strafe auszufällen, ohne sich näher mit dem Täter auseinanderzusetzen. Damit zeichnet sich ein Problem ab, das nach Meinung der an diesen Diskussionen beteiligten Behördenvertreter nicht durch Auslegung der neuen Regelungen gelöst werden kann. Die im Folgenden vorgeschlagene Gesetzesanpassungen sollen der Praxis einen gangbaren Weg eröffnen.

2.1.7

Änderungsvorschläge

2.1.7.1

Verbindung von bedingten Strafen mit einer unbedingten Geldstrafe

Eine erste Möglichkeit, den praktischen Bedürfnissen der Strafverfolgungsbehörden Rechnung zu tragen, besteht darin, die Formulierung von Artikel 42 Absatz 4 nStGB zu verdeutlichen, so dass klar zum Ausdruck kommt, dass eine bedingte Strafe auch mit einer unbedingten Geldstrafe verbunden werden kann.

Es muss unseres Erachtens im Gesetz nicht präzisiert werden, dass die unbedingte Geldstrafe in Verbindung mit einer bedingten Strafe (Freiheitsstrafe, Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit) verhängt werden kann, ohne dass für sie die Voraussetzungen des bedingten Vollzugs geprüft werden müssen.

16

Vgl. Renate Binggeli, Die Geldstrafe, in Annemarie Hubschmid/Jürg Sollberger (Hrsg.), Zur Revision des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafrechts und zum neuen materiellen Jugendstrafrecht, Bern 2004, S. 70.

4705

2.1.7.2

Verbindung von bedingten Strafen mit einer bedingten Geldstrafe

In der Botschaft zur Änderung des Allgemeinen Teils des StGB (BBl 1998 1979) war eine Regelung vorgesehen, wonach das Gericht «zusätzlich zum bedingten Strafvollzug (...) auf Geldstrafe erkennen» kann (Art. 43 E-StGB).

Das Parlament hat diese Bestimmung ausführlich diskutiert und eine Präzisierung, wonach bedingte Strafen nur mit einer unbedingten Geldstrafe verbunden werden können, verworfen. Den Gerichten solle eine möglichst breite Palette von Santionierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, so auch die Möglichkeit, bedingte Strafen wie die Freiheitsstrafe oder die gemeinnützige Arbeit mit einer bedingten Geldstrafe zu verbinden.

Artikel 42 Absatz 4 nStGB soll daher so präzisiert werden, dass dieser Wille des Parlamentes zum Ausdruck kommt.

In der Vernehmlasung wurde darauf hingewiesen, dass die Verbindung von bedingten Strafen (insbesondere von bedingten Geldstrafen) mit bedingten Geldstrafen fragwürdig sei. Artikel 42 Absatz 4 soll jedoch nicht gegen den ausdrücklichen Willen des Parlamentes geändert werden. Die Gerichte haben zudem keine Pflicht, bestimmte Sanktionen miteinander zu verbinden. Sie werden vielmehr entscheiden können, welche Verbindungsmöglichkeiten im konkreten Fall sinnvoll erscheinen.

2.1.7.3

Verbindung von bedingten Strafen mit einer Übertretungsbusse

Als zweite Möglichkeit kann vorgesehen werden, dass eine bedingte Strafe (Freiheitsstrafe, Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit) immer auch mit einer (unbedingten) Übertretungsbusse im Sinne von Artikel 106 nStGB verbunden werden kann.

Diese Möglichkeit würde gegenüber dem oben dargestellten Vorschlag keine Arbeitsersparnis bewirken: In beiden Fällen muss zuerst eine bedingte Geldstrafe im Tagessatzsystem (gemeinnützige Arbeit wird wohl selten verhängt werden) zugemessen werden. Gestützt auf diese Zumessung wäre es wohl einfacher ­ wie oben vorgeschlagen ­, zusätzlich eine unbedingte Geldstrafe zu verhängen. Dies umso mehr, als offenbar die Kantone die Geldstrafen im Sinne eines fixen Katalogs pauschalisieren wollen.

Die Verbindung von bedingten Geldstrafen mit einer Übertretungsbusse hätte bei korrekter Anwendung des Gesetzes sogar einen Mehraufwand zur Folge, weil die Geldstrafe im Tagessatzsystem zugemessen wird, während für die Übertretungsbusse das so genannte Pauschalsystem gilt. Zudem müsste bei der Übertretungsbusse die Umwandlungsfreiheitsstrafe separat zugemessen werden (vgl. Art. 36 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 nStGB).

Im Weiteren ist anzumerken, dass die Busse für Übertretungen neu an eine Obergrenze von 10 000 gebunden ist, während für Vergehen Geldstrafen bis 1 080 000 Franken vorgesehen sind (Art. 34 nStGB).

Der Vorteil dieser Lösung kommt erst zum Zug, wenn ­ wie bereits in der heutigen Praxis ­ die Strafzumessungsregeln des StGB nicht beachtet, sondern die Bussen nach einem vorgegebenen Tarif verhängt werden. Mit einem fixen Tarif für reine 4706

Übertretungsbussen sowie einem Tarif für Übertretungsbussen, die gestützt auf den neu vorgeschlagenen Artikel 42 Absatz 4 nStGB für Vergehen verhängt werden, kann den Bedenken Rechnung getragen werden, ein Täter werde für ein Vergehen leichter bestraft, als wenn er eine Übertretung begeht. Dieses Ergebnis könnte zwar auch bei Anwendung der im StGB vorgesehenen Strafzumessungsregeln erreicht werden. Dazu müssten sich die zuständigen Behörden jedoch mit den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters auseinandersetzen, was im so genannten Massengeschäft nicht mehr möglich ist.

Für die Verbindung von bedingten Strafen mit einer unbedingten Busse spricht nach Ansicht der Praktiker, dass sie im Ergebnis einem Urteil entspreche, in dem ­ wie das heute oft der Fall sei ­ eine Übertretung und ein Vergehen gleichzeitig sanktioniert werden. In der Vernehmlassung weist der Kanton Bern darauf hin, dass gegen einen Angeschuldigten, der wegen eines Vergehens und einer Übertretung zu bestrafen ist (z.B. wegen qualifizierten Fahrens in angetrunkenem Zustand und Missachtung eines Signals) nach dem Sanktionensystem des neuen AT-StGB die Ausfällung einer Vergehensstrafe und einer Übertretungsbusse zwingend ist. In solchen Fällen dränge es sich auf, nicht zusätzlich zur bedingten Vergehensstrafe eine unbedingte Geldstrafe zu verhängen, sondern die ohnehin auszufällende Übertretungsbusse zu erhöhen.

Um den Anliegen der Praktiker nachzukommen, wird vorgeschlagen, Artikel 42 Absatz 4 nStGB so zu ergänzen, dass eine bedingte Strafe (Freiheitsstrafe, Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit) auch mit einer unbedingten Busse im Sinne von Artikel 106 verbunden werden kann. Diese Regelung ist zwar auf das Massengeschäft ausgerichtet, kann jedoch im gesamten Bereich der bedingten Strafen zur Anwendung kommen.

In der Vernehmlassung hat der Kanton ZG angeregt, es sei zu prüfen, ob die Verbindung bedingter Strafen mit einer Busse auch in den Fällen zur Anwendung kommen könnte, in denen das Gesetz die Verbindung von Freiheitsstrafe und Busse ohnehin schon vorsieht.

Da die neue Regelung es erlaubt, unabhängig von einer konkreten Strafdrohung im besonderen Teil des StGB oder des Nebenstrafrechts eine bedingte Strafe mit einer unbedingten Busse zu verbinden, steht ausser Frage, dass diese Möglichkeit auch in den Fällen
zur Anwendung kommen kann, in denen das Gesetz die Verbindung von Freiheitsstrafen und Bussen (nach neuem AT-StGB werden es «Geldstrafen» sein) ­ wie z.B. in Artikel 172bis StGB ­ bereits fakultativ vorsieht.

Analoges gilt, wenn eine Strafdrohung ­ so z.B. Artikel 235 Ziffer 1 StGB ­ die Verbindung der Freiheitsstrafe mit einer Geldstrafe obligatorisch vorsieht. In diesem Fall ist es sinnvoll, wenn der neu vorgeschlagene Artikel 42 Absatz 4 nStGB der konkreten Strafdrohung vorgeht, so dass die bedingte Freiheitsstrafe nicht nur mit einer unbedingten Geldstrafe, sondern auch mit einer unbedingten Busse verbunden werden kann. Unverändert bleiben diese Regelungen in Bezug auf die unbedingte Freiheitsstrafe: Der neu vorgeschlagene Artikel 42 Absatz 4 nStGB ist auf diese nicht anwendbar; sie muss mit einer unbedingten Geldstrafe verbunden werden.

Mit dem neuen AT-StGB ändert die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden zur Verfolgung von Straftaten des Nebenstrafrechts nicht. Diese werden auch nach neuem Recht für Straftaten, die in ihre Verfolgungskompetenz fallen, nicht freiheitsentziehende Strafen (Geldstrafen, gemeinnützige Arbeit und Bussen) verhängen

4707

können. Es versteht sich daher von selbst, dass die vorgeschlagene Bestimmung auch in verwaltungsrechtlichen Verfahren zu Anwendung kommen kann.

2.1.7.4

Präzisierung oder Ausdehnung der Voraussetzungen für den teilbedingten Strafvollzug

Die Voraussetzungen für den teilbedingten Strafvollzug nach Artikel 43 Absatz 1 nStGB könnten im Sinne der Kritik (vgl. Ziff. 2.1.5) präzisiert werden, so dass sie ausdrücklich auch generalpräventive Aspekte umfassen. Nach Ansicht der Praktiker liessen sich ihre Anliegen damit jedoch nicht verwirklichen: ­

Mit dem Institut des teilbedingten Strafvollzugs könne im Bereich der Strafen über 12 Monaten die in der Praxis wichtige Kombination von Freiheitsstrafe und Geldstrafe (oder Busse) nicht verhängt werden. Daher sei es wichtig, Artikel 42 Absatz 4 nStGB zu präzisieren oder auszudehnen (vgl.

Ziff. 2.1.7.1 und 2.1.7.3).

­

Es sei zudem schwer zu begründen, weshalb ein Ersttäter (und um diese würde es bei der hier diskutierten Schnittstellenproblematik vor allem gehen) eine gespaltene Prognose haben solle.17

­

Der teilbedingte Vollzug sei vor allem für Wiederholungstäter im unteren Sanktionsbereich geeignet, das heisst Täter, die bereits einmal eine leichte, bedingte Strafe erhalten haben. Damit lasse sich auch die Gesamtstrafe, die im Wiederholungsfall nach Artikel 46 Absatz 1 nStGB verhängt werden kann, etwas abschwächen.

­

Der teilbedingte Vollzug sei zudem eher an der Einzelfallbeurteilung und der Einzelfallgerechtigkeit orientiert. Diese sei jedoch für das Massengeschäft zu aufwendig. Wenn nach Artikel 42 Absatz 4 nStGB eine bedingte Strafe mit einer Busse verbunden werden könne (Ziff. 2.1.7.3), so erlaube dies in der Praxis eine viel effizientere Arbeitsweise.

Aus den angeführten Gründen wird auf eine Änderung von Artikel 43 Absatz 1 nStGB verzichtet.

2.1.7.5

Analoge Änderung des Militärstrafgesetzes in der Fassung vom 21. März 2003 (Art. 36 Abs. 4 nMStG)

Obwohl der Grenzbereich zwischen Übertretungen und Vergehen angesichts fehlender unter das Militärstrafgesetz (MStG) fallender Massendelinquenz für die Militärjustiz kaum zu nennenswerten Problemen führen dürfte, soll der zu Artikel 42 Absatz 4 nStGB analoge Artikel 36 Absatz 4 nMStG entsprechend den Ausführungen hievor angepasst und ergänzt werden.

17

Bei dieser Argumentation wird allerdings nicht berücksichtigt, dass die von den Praktikern bevorzugte Lösung ­ die Verbindung einer bedingten Strafe mit einer unbedingten Übertretungsbusse ­ ebenfalls von einer gespaltenen Prognose für den Täter ausgeht.

4708

2.2

Verwahrung

2.2.1

Anlasstaten zur Verwahrung (Art. 64 Abs. 1 nStGB)

Im revidierten AT-StGB sind die Voraussetzungen zur Verwahrung gefährlicher Straftäter in Artikel 64 sowie die Prüfung und das Verfahren einer allfälligen bedingten Entlassung der Verwahrten in den Artikeln 64a und 64b geregelt. Diese Bestimmungen sollen die Artikel 42 und 43 des geltenden StGB ersetzen.

Nach Artikel 64 Absatz 1 nStGB werden einerseits gefährliche Täter mit einer schweren psychischen Störung verwahrt, sofern keine Aussicht besteht, dass deren Gefährlichkeit mit einer stationären therapeutischen Behandlung nach Artikel 59 nStGB beseitigt werden kann (Art. 64 Abs. 1 Bst. b). Anderseits erlaubt die Bestimmung als sinnvolle Neuerung gegenüber dem geltenden Recht auch die Verwahrung gefährlicher Ersttäter, die keine Störung im Sinne einer psychiatrischen Prognose aufweisen, bei denen aber aufgrund ihrer Persönlichkeitsmerkmale, der Tat- und der gesamten Lebensumstände mit weiteren schweren Straftaten in der Freiheit zu rechnen wäre.

Für die Annahme der Gefährlichkeit bedarf es zweier Voraussetzungen: Zum einen muss der Täter eine schwere Straftat, d.h. ein Verbrechen begangen haben, das mit einer Höchststrafe von 10 Jahren oder mehr bedroht ist und durch das er jemanden schwer schädigte oder dies zumindest versuchte. Zum andern bedarf es der ernsthaften Erwartung, dass der Täter in Freiheit weitere Taten dieser Schwere begehen würde. Solange diese Erwartung besteht, bleibt der Täter verwahrt (vgl. Art. 64a Abs. 1 nStGB). Die Verwahrung wird also auf unbestimmte Zeit ausgesprochen und dauert möglicherweise bis ans Lebensende des Verurteilten. Ob die Rückfallgefahr als Voraussetzung dieser Verwahrung noch besteht, soll allerdings in Übereinstimmung mit der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK; SR 0.101) regelmässig überprüft werden (vgl. Art. 64b nStGB).

Als weitere wichtige Neuerung gegenüber dem geltenden Recht wird künftig eine gleichzeitig mit der Verwahrung gegen die verurteilte Person ausgesprochene Freiheitsstrafe nicht aufgeschoben, sondern vor der Verwahrung vollzogen. Während dieses Strafvollzuges erfolgt keine Prüfung über die Berechtigung des Freiheitsentzuges.

Nach der Verabschiedung des revidierten Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches am 13. Dezember 2002 wurde namentlich aus Kreisen von Strafverfolgungs- und Strafvollzugspraktikern
die Kritik laut, wonach der Katalog der Delikte, die nach Artikel 64 Absatz 1 nStGB Anlass für die Verwahrung sein können, zu eng sei. Er berge die Gefahr in sich, dass gewisse Täter, die nach den geltenden Artikeln 42 oder 43 StGB verwahrt würden, künftig nicht mehr verwahrt werden könnten. Ferner müssten einzelne Täter, die heute verwahrt seien, nach den Übergangsbestimmungen zum neuen Recht in die Freiheit entlassen werden. Die Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz (KSBS) beschloss an ihrer Delegiertenversammlung vom 30. Oktober 2003 eine diesbezügliche Resolution zuhanden der Bundesbehörden. Darin wurde verlangt, zumindest für rückfällige Täter den Anlasstatenkatalog gemäss Artikel 64 nStGB noch vor dessen Inkrafttreten mit den zehn folgenden Delikten zu ergänzen, für die das StGB als Höchststrafe weniger als die von Artikel 64 nStGB vorgesehenen 10 Jahre Freiheitsstrafe androht:

4709

Einfache Körperverletzung (Art. 123 StGB), Gefährdung des Lebens (Art. 129 StGB), Angriff (Art. 134 StGB), Erpressung (Art. 156 Ziff. 1 StGB), Drohung (Art.

180 StGB), Nötigung (Art. 181 StGB), Freiheitsberaubung und Entführung (Art. 183 StGB), Sexuelle Handlungen mit Kindern (Art. 187 Ziff. 1 StGB), Sexuelle Handlungen mit Abhängigen (Art. 188 StGB), Ausnützung der Notlage (Art. 193 StGB).

Die vom Vorsteher des EJPD Ende März 2004 eingesetzte Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Verwahrungsinitiative hatte auch den Auftrag, diese Kritik zu prüfen und Änderungsvorschläge zu erarbeiten. Nach eingehenden Diskussionen entschied sich die Mehrheit der Arbeitsgruppe für folgenden Vorschlag: In Artikel 64 Absatz 1 nStGB wird auf einen eigentlichen Anlasstatenkatalog verzichtet. Anlass für die Verwahrung können wie nach geltendem Recht sämtliche Verbrechen und Vergehen geben, wenn ernsthaft zu erwarten ist, dass der Täter in Freiheit sehr schwere Delikte begehen würde. Die zu befürchtenden Delikte zeichnen sich durch die schwere Beeinträchtigung der körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität des Opfers aus; dabei wird grundsätzlich auf den Deliktskatalog gemäss Artikel 64 Absatz 1 nStGB zurückgegriffen. Damit wird zur Charakterisierung der Gefährlichkeit des Täters der Akzent hauptsächlich auf die Prognose verlagert und den Gerichten weiteres Ermessen eingeräumt. Die Schwere der Anlasstat tritt als Indiz für die Gefährlichkeit in den Hintergrund. Dies entspricht nach Meinung der Mehrheit der Arbeitsgruppe der Logik der präventiven Zielsetzung der Verwahrung. Im Unterschied zum Schuldstrafrecht, bei dem die Schwere der Anlasstat das entscheidende Kriterium darstellt, besteht kein zwingender Zusammenhang zwischen der Schwere der Anlasstat und dem Grad der Gefährlichkeit des Täters. Die Verantwortung für den Entscheid, ob eine Verwahrung richtig und angemessen ist, liegt damit folgerichtig bei den Gerichten, wobei die forensisch psychiatrischen Risikokalkulationen eine wichtige Entscheidgrundlage bilden. Die Arbeitsgruppe betonte in diesem Zusammenhang, dass die Praxis auch bisher ihr weites Ermessen bei der Anwendung der geltenden Artikel 42 (Verwahrung von Gewohnheitsverbrechern) und 43 StGB (Verwahrung geistig Abnormer) verantwortungsbewusst und mit Augenmass ausgeübt habe.

Eine Minorität der
Arbeitsgruppe sprach sich gegen die vorgeschlagene Erweiterung der Verwahrung aus; Artikel 64 Absatz 1 nStGB solle in der vom Parlament beschlossenen Fassung bestehen bleiben, werde doch dadurch der Grundsatz der Verhältnismässigkeit direkt im Gesetz konkretisiert.

Die im Vernehmlassungsverfahren zum Vorschlag der Arbeitsgruppe geäusserten Meinungen waren geteilt. Während die Mehrheit der Kantone diesem Nachbesserungsvorschlag weitgehend mit den von der Arbeitsgruppe vorgebrachten Argumenten zustimmten, lehnten ihn insbesondere die Bundesratsparteien ­ mit Ausnahme der Schweizerischen Volkspartei (SVP) ­ sowie viele Organisationen (Ärzte- und Juristenverbände, Menschenrechtsorganisationen, Caritas, Bischofskonferenz, Universitäten) ab. Zur Begründung führten die Kritiker im Wesentlichen aus, der Vorschlag verstosse gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip. Die Verwahrung als Ultima Ratio und möglicherweise lebenslänglicher Freiheitsentzug sei nur bei genügend schwerer Anlasstat zu rechtfertigen. Der Vorschlag tangiere auch das aus dem Legalitätsprinzip abgeleitete Bestimmtheitsgebot. Dieses sei bei der Verwahrung besonders zu beachten, weil es sich dabei um einen schwer wiegenden Grundrechtseingriff handle und sie dem Täter unabhängig von seiner Schuld auferlegt werde. Auch wurde argumentiert, die Diskussion über den Anlasstatenkatalog sei im Parlament hinlänglich geführt worden.

4710

Bei dieser Ausgangslage beschreitet der Bundesrat einen Mittelweg. Einerseits hält er es für notwendig, zur Forderung nach nachträglichen Änderungen der Regelung über die Anlasstaten für die Verwahrung (Art. 64 Abs. 1 nStGB) im Parlament eine Diskussion zu führen, nachdem von Praktikerkreisen und verschiedenen Kantonen ­ wenn auch verspätet ­ geltend gemacht wird, die vom Parlament verabschiedete Bestimmung berge ein Risiko für die öffentliche Sicherheit in sich. Anderseits wird am Änderungsvorschlag der Arbeitsgruppe «Verwahrung» mit Blick auf die daran im Vernehmlassungsverfahren geübte Kritik nicht ohne Abstriche festgehalten. Der Bundesrat verzichtet weder auf einen Katalog der wichtigsten Anlasstaten, noch weitet er diese auch auf Vergehen aus. Er schlägt aber sowohl eine Erweiterung wie eine Einschränkung der Auffangklausel, die den Anlasstatenkatlog ergänzt, vor. So sollen als Anlasstaten für die Verwahrung neben den aufgezählten Delikten nicht nur Verbrechen genügen, die mit einer Höchsstrafe von mindestens 10 Jahren bedroht sind, sondern schon solche, die mit einer Höchststrafe von mindestens 5 Jahren bedroht sind18. Um diese Öffnung in Grenzen zu halten, wird die Klausel anderseits auf Verbrechen eingeschränkt, mit denen die Täter die physische, psychische oder sexuelle Integrität ihrer Opfer schwer beeinträchtigten oder beeinträchtigen wollten.

Es geht also nicht mehr um schwere Schädigungen schlechthin. Die Auffangklausel wird mehr oder weniger auf Gewalt- und Sexualverbrechen eingeschränkt.

Schliesslich schlägt der Bundesrat in diesem Zusammenhang auch eine Änderung der Übergangsbestimmung zum Vollzug altrechtlicher Massnahmen (VI Ziff. 2 Abs. 2) vor: Anders, als vom Parlament beschlossen, sollen Personen, die aufgrund von Artikel 42 oder 43 des geltenden StGB verwahrt sind, nach Inkrafttreten des revidierten AT-StGB nicht entlassen werden müssen, falls in ihren Fällen eine Voraussetzung für die Verwahrung nach dem neuen Recht fehlt, zum Beispiel eine genügend schwere Anlasstat. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ein Teil der Kritiker mit der Forderung nach einer weiten Öffnung des Anlasstatenkatalogs in Artikel 64 Absatz 1 nStGB bis hin zu den Vergehen hauptsächlich bezwecken, die automatische Aufhebung altrechtlicher Verwahrungen, die bloss auf einem Vergehen beruhen,
zu verhindern. Nach altem, härterem Recht angeordnete Massnahmen fortzusetzen, verstösst nicht gegen bisher geltende Grundsätze des intertemporalen Rechts. Immerhin kommen beim weiteren Vollzug der Verwahrung die neuen Bestimmungen über das Vollzugsregime und die Rechte und Pflichten der Gefangenen zur Anwendung.

Setzt sich dieser Vorschlag durch, kann anderseits, wie schon von der Arbeitsgruppe «Verwahrung» vorgeschlagen, auf die nachfolgende Ziffer 2 Absatz 3 der Übergangsbestimmung verzichtet werden. Danach sollte das Gericht über die Aufhebung oder Weiterführung altrechtlicher Verwahrungen gestützt auf ein Gutachten sowie nach Anhörung der kantonalen Fachkommission entscheiden, wenn die Anlasstat für diese Verwahrung ein Verbrechen im Sinne von Artikel 64 Absatz 1 nStGB gewesen war. Die Begutachtung und der Beizug der Fachkommission sind als zusätzliche Sicherungen nicht nötig, wenn Absatz 2 der Übergangsbestimmung wie vorgeschlagen geändert wird. Kommt dazu, dass es hier in erster Linie um eine Rechtsüberprüfung geht. Die Streichung der Bestimmung vermeidet schliesslich zusätzliche Kapazitätsprobleme der forensischen Psychiater, aber auch Mehrkosten.

18

Damit sind beispielsweise auch jene 5 Verbrechen (Gefährdung des Lebens, Angriff, Einfache Erpressung, Freiheitsberaubung und Entführung sowie sexuelle Handlungen mit Kindern) erfasst, um die zusammen mit 5 Vergehen der Anlasstatenkatalog laut der einleitend erwähnten KSBS-Resolution vom 30.10.2003 erweitert werden sollte.

4711

2.2.2

Entlassung aus dem Strafvollzug und Übertritt in die Verwahrung oder stationäre Behandlung (Art. 64 Abs. 2 und 3, 64b Abs. 1 und 2 nStGB)

Nach Artikel 64 Absatz 3 nStGB prüft die zuständige Behörde «zum Zeitpunkt, in welchem der Täter voraussichtlich aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe entlassen werden und die Verwahrung antreten kann, die Voraussetzung einer stationären therapeutischen Behandlung nach Artikel 59 nStGB. Diese Prüfung ist nach Antritt der Verwahrung alle zwei Jahre zu wiederholen». Die Auslegung dieser Bestimmung bietet erhebliche Schwierigkeiten. Die Konsultation der Ratsprotokolle bringt diesbezüglich keine Klärung. Insbesondere ist nicht klar, ob der Verurteilte die vorausgehende Freiheitsstrafe vollständig zu verbüssen und ­ wenn auch nur für kurze Zeit ­ die Verwahrung oder eine stationäre Behandlung anzutreten habe, selbst wenn er inzwischen nicht mehr gefährlich ist. Dieser Schluss liegt zwar nahe, wenn man Artikel 64 Absatz 3 nStGB isoliert betrachtet. Indessen steht er im Widerspruch zu Artikel 56 Absatz 6 nStGB, wonach eine Massnahme aufzuheben ist, für welche die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind. Überdies sieht Artikel 86 nStGB die bedingte Entlassung aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe vor, wenn er zwei Drittel der Strafe (15 Jahre bei lebenslanger Freiheitsstrafe) verbüsst hat und nicht zu erwarten ist, dass der Verurteilte weitere Verbrechen oder Vergehen begeht.

Weder die eine noch die andere dieser Bestimmungen behalten Artikel 59 Absatz 3 nStGB ausdrücklich vor, woraus eher auf die Zulässigkeit der bedingten Entlassung schon während des Strafvollzuges zu schliessen wäre.

Die Arbeitsgruppe «Verwahrung» hielt es für angebracht, bei der sich bietenden Gelegenheit auch Änderungsvorschläge zur Klärung dieser Situation zu erarbeiten.

Sie war überwiegend der Meinung, dass eine vorzeitige Entlassung der zu einer Verwahrung verurteilten Person möglich sein sollte, wenn ihre Gefährlichkeit tatsächlich nicht mehr besteht. Es soll aber keine Entlassung nach den Regeln der Entlassung aus der Freiheitsstrafe (Art. 86­88 nStGB) sein. Sie schlug vor, Artikel 64 Absatz 3 nStGB durch einen neuen Absatz 6 von Artikel 64a sowie eine teilweise Neuformulierung von Artikel 64b Absätze 1 und 2 zu ersetzen. Danach kann das Gericht, das die Verwahrung angeordnet hat, frühestens auf den Zeitpunkt hin, an welchem der Täter zwei Drittel der Strafe (oder 15 Jahre der lebenslangen Strafe) verbüsst hat, die bedingte
Entlassung anordnen, wenn sich schon während des Strafvollzugs herausstellt, dass der Täter ungefährlich geworden ist und sich in Freiheit bewähren wird. Vom Zeitpunkt der Entlassung an gelten für den Entlassenen dieselben Bestimmungen wie für Personen, die bedingt aus der Verwahrung entlassen werden (Art. 64a Abs. 6 Entwurf der Arbeitsgruppe). Die Anwendung der Bestimmungen über die bedingte Entlassung aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe wird für diese Fälle ausdrücklich ausgeschlossen (Art. 64 Abs. 2 Entwurf der Arbeitsgruppe). Muss indessen der Verurteilte die Verwahrung voraussichtlich antreten, bleibt es dabei, dass die zuständige Behörde prüft, ob er inzwischen die Voraussetzungen einer therapeutischen Behandlung nach Artikel 59 nStGB erfüllt.

Dies soll neu in Artikel 64b Absatz 1 Buchstabe b festgehalten werden.

Im Vernehmlassungsverfahren nahmen zu diesem Vorschlag neben 12 Kantonen die liberale Partei, die beiden Deutschschweizer Strafvollzugskonkordate, die Universitäten Genf und Lausanne sowie die Kriminalistische Gesellschaft ausdrücklich Stellung, mit Ausnahme des Kantons Neuenburg und der liberalen Partei alle in zustimmendem Sinne. Der Bundesrat übernimmt diesen Vorschlag, der eine gewich4712

tige Lücke füllen würde, und unterbreitet ihn dem Parlament mit der redaktionellen Änderung, wonach die im Vorentwurf als neuer Artikel 64a Absatz 6 vorgesehene Bestimmung zum neuen Artikel 64 Absatz 3 werden soll.

2.2.3

Nachträgliche Verwahrung (Art. 65 nStGB)

2.2.3.1

Im Allgemeinen

Schon während der Parlamentsdebatte zum revidierten Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches wurde diskutiert, ob vorzusehen sei, gegen einen Täter, der einzig zu einer Freiheitsstrafe mit begrenzter Dauer verurteilt wurde, nachträglich die Verwahrung anzuordnen, wenn deren Voraussetzungen gegeben sind. Das EJPD unterbreitete dem Parlament damals entsprechende Vorschläge. Die Räte lehnten eine entsprechende Bestimmung schliesslich ab, weil sie von praktisch allen damals angehörten Experten als mit der Verfassung und der EMRK unvereinbar erklärt wurde.

Strafvollzugspraktiker und ein Teil der Kantone hielten indessen an der Forderung nach einer solchen Gesetzesbestimmung fest, in erster Linie mit dem Argument, in schweizerischen Strafanstalten befänden sich einzelne gefährliche Straftäter, die in absehbarer Zeit nach der vollständigen Verbüssung ihrer Strafe entlassen werden müssten, obwohl vorauszusehen sei, dass sie nach der Entlassung schwere Gewaltoder Sexualdelikte begehen würden. Solche Fälle seien aber auch nach dem Inkrafttreten des revidierten Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches nicht gänzlich vermeidbar.

Die Arbeitsgruppe «Verwahrung» befasste sich deshalb auch mit dieser Frage und schlug mit Artikel 65 Absatz 2 eine Bestimmung vor, welche die nachträgliche Anordnung sowohl der ordentlichen wie der lebenslänglichen Verwahrung im Sinne einer Revision zu Ungunsten des Verurteilten vorsah. In Verbindung mit der Übergangsbestimmung in Titel VI. Ziffer 2 Absatz 1 zum revidierten Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches vom 13. Dezember 2002 wäre die neue Bestimmung grundsätzlich auch rückwirkend anwendbar, was notwendig ist, wenn ein Teilziel der neuen Bestimmung (die nachträgliche Verwahrung von nach bisherigem Recht verurteilten gefährlichen Strafgefangenen) nicht verfehlt werden soll.

Das Urteil der Vernehmlasser fiel auch zu diesen Vorschlägen geteilt aus. Die Befürworter und Gegner setzten sich ähnlich zusammen wie betreffend den Änderungsvorschlag zu Artikel 64 Absatz 1 nStGB. Die ablehnenden Stimmen waren hier allerdings noch zahlreicher. So sprachen sich auch einige Kantone, das Strafvollzugskonkordat der Nordwest- und Innerschweiz und zwei Parteien, die der Änderung von Artikel 64 Absatz 1 zustimmten, gegen den vorgeschlagenen neuen Artikel 65 Absatz 2 aus. Die Ablehnung wurde
insbesondere mit rechtsstaatlichen Argumenten begründet. Die Bestimmung verstosse gegen die Prinzipien der Verhältnismässigkeit, der Bestimmtheit und des Verbotes der Doppelbestrafung (ne bis in idem). Sie sei umso fragwürdiger, als sie auch rückwirkend zur Anwendung kommen solle. Obwohl als Revision zu Ungunsten des Täters ausgestaltet, bestünden Zweifel, ob der Vorschlag völkerrechtskonform sei. Die Revision zu Ungunsten des Täters werde in der Schweiz bisher fast durchgehend abgelehnt. Das Bedürfnis nach einer solchen Norm sei nicht sorgfältig genug abgeklärt worden. Im Übrigen

4713

sei eine derartige Bestimmung vom Parlament bereits ausgiebig diskutiert und verworfen worden.

Trotz dieser zahlreichen Kritiken hält der Bundesrat am Vorschlag von Artikel 65 Absatz 2 als neue Rechtsgrundlage für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung fest. Mit Blick auf die beharrlichen Warnungen der Vollzugspraktiker vor schweren Rückfällen gefährlicher Gewalt- oder Sexualstraftäter, die man mangels einer solchen Bestimmung heute und in Zukunft entlassen müsse, erachtet der Bundesrat eine nochmalige Diskussion zu dieser Frage im Parlament für notwendig. Seiner Meinung nach wurde im Vernehmlassungsverfahren die Tatsache, dass nach dem Vorschlag der Arbeitsgruppe die nachträgliche Verwahrung nur in den Grenzen der Revision zu Ungunsten des Täters in Frage kommt, viel zu wenig Beachtung geschenkt. Auch wurde seinerzeit vom Parlament die Zulässigkeit der nachträglichen Verwahrung unter dieser besonderen Voraussetzung nicht näher geprüft.

Die Berechtigung der Revision zu Ungunsten der betroffenen Person ist in der Wissenschaft zwar umstritten19. Sie ist aber grundsätzlich unter zwei Voraussetzungen zulässig: Es ist erstens eine gesetzliche Grundlage notwendig, welche die nachträgliche Anordnung einer härteren Sanktion ausdrücklich vorsieht. Zweitens bedarf es neuer Tatsachen und Beweismittel, die belegen, dass die Voraussetzungen für die härtere Sanktion schon im Zeitpunkt des ersten Urteils bestanden haben, ohne dass das Gericht davon Kenntnis haben konnte.

Bereits der im Vernehmlassungsentwurf enthaltene Artikel 65 Absatz 2 trug diesen Anforderungen Rechnung und war daher sowohl im Lichte von Artikel 5 EMRK als auch des Grundsatzes ne bis in idem (Art. 4 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK, SR 0.101.07) nicht problematisch. Er erlaubte dem Gericht, eine Freiheitsstrafe oder eine ordentliche Verwahrung durch die härtere Sanktion der Verwahrung bzw. der lebenslänglichen Verwahrung zu ersetzen, aber nur, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Voraussetzungen dafür erfüllt sind und schon im Zeitpunkt des ersten Urteils gegeben waren. Diese Bestimmung ist nun vom Bundesrat im Wesentlichen übernommen worden. Sie erwähnt allerdings die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der lebenslänglichen Verwahrung nicht mehr, weil ­ wie eingangs erläutert (vgl. Ziff. 1.2.2.1 letzter Absatz)
­ die Umsetzung der Verwahrungsinitiative jetzt Gegenstand einer separaten Vorlage bildet. Der Wortlaut der Bestimmung wurde ferner präzisiert, um noch deutlicher zu machen, dass die nachträgliche Verwahrung nur bei Vorliegen eines Revisionsgrundes angeordnet werden kann.

Nach Meinung des Bundesrates ist bei objektiver Betrachtung festzustellen, dass mit einer solchen Bestimmung die Rechtslage im Vergleich zum geltenden Recht und zum revidierten StGB nicht derart stark verändert wird, wie dies die Kritiker gelegentlich darstellen. So ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die nachträgliche Verwahrung schon heute zulässig, wenn vom urteilenden Gericht gegenüber dem Täter neben einer unbedingten Freiheitsstrafe bloss eine vollzugsbegleitende ambulante Therapie angeordnet wurde20. Ferner sieht Artikel 65 Absatz 1 nStGB die nachträgliche Verwahrung in indirekter Weise vor, indem ein Täter, der sich im Verlaufe des Strafvollzuges als gefährlich erweist, in eine stationäre Behandlung nach Artikel 59 nStGB geschickt werden kann (sofern eine ernsthafte 19 20

Hauser/Schweri/Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel-GenfMünchen 2005, S. 517 N 51.

BGE 123 IV 100 E. 3

4714

Aussicht auf Therapierbarkeit besteht) und ­ wenn die Therapie erfolglos verläuft ­ die Möglichkeit der nachträglichen Verwahrung nach Artikel 64 nStGB besteht.

Schliesslich sei darauf hingewiesen, dass die Mehrheit der kantonalen Strafprozessordnungen eine Revision zu Ungunsten der verurteilten Person (Revisio in peius) in irgend einer Form kennen. Sie wird allerdings fast immer von strengeren Voraussetzungen abhängig gemacht als die Revision zu Gunsten der verurteilten Person. So ist wegen neuer Tatsachen und Beweismittel die Revision zu Ungunsten beurteilter Personen meistens nur möglich, wenn diese freigesprochen wurden. Wo sie auch zu Lasten schon verurteilter Personen vorgesehen ist, setzt sie in der Regel voraus, dass eine bedeutend strengere Bestrafung in Aussicht steht. Wurde indessen mit strafbaren Mitteln zu Gunsten des Angeklagten auf das Urteil eingewirkt, ist die Revisio in peius in vielen Kantonen hinsichtlich Schuldspruch und Sanktionen möglich21.

2.2.3.2

Rückwirkung (Übergangsbestimmung Ziff. 2 Abs. 1)

Die vorgesehene rückwirkende Anwendung von Artikel 65 Absatz 2 auf Täter, die vor Inkrafttreten der Bestimmung ein Delikt begehen oder verurteilt werden, wurde im Vernehmlassungsverfahren besonders kritisiert und war auch in der Arbeitsgruppe «Verwahrung» teilweise umstritten.

Nach dem allgemeinen Grundsatz in Artikel 2 Absatz 2 nStGB ist die rückwirkende Anwendung neuer Strafnormen auf Täter, die vor Inkrafttreten des neuen Rechts delinquieren, aber erst nachher beurteilt werden, zulässig, wenn die neue Gesetzesbestimmung für den Täter milder ist als die bisher geltende Regelung. Für Täter, die nach altem Recht bereits rechtskräftig verurteilt wurden, gilt grundsätzlich Artikel 388 nStGB, wonach altrechtliche Urteile nach altem Recht vollzogen werden. Ausgenommen sind Urteile, denen eine Tat zugrunde liegt, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar ist. Ferner kommen nach Artikel 388 Absatz 3 nStGB die neuen Bestimmungen über das Vollzugsregime von Strafen und Massnahmen sowie über die Rechte und Pflichten der Gefangenen rückwirkend zur Anwendung. Ergänzend dazu enthält das Strafgesetzbuch in der Fassung vom 13. Dezember 2002 indessen in Titel VI. Ziffer 2 folgende besondere Übergangsbestimmung: «1 Die Bestimmungen des neuen Rechts über die Massnahmen (Art. 56­65) und über den Massnahmenvollzug (Art. 90) sind auch auf die Täter anwendbar, die vor deren Inkrafttreten eine Tat begangen haben oder beurteilt worden sind. ...» Die Regelung erlaubt also ­ entgegen den Artikeln 2 und 388 Absatz 1 nStGB ­ die rückwirkende Anwendung des gesamten neuen Massnahmerechts (inklusive Verwahrung) sowohl auf verurteilte als auch auf noch nicht beurteilte Täter. Bleibt sie unverändert, hat sie auch Geltung für die im vorliegenden Rahmen vorgeschlagenen Änderungen an den Artikeln 64 ­ 65 und 90 nStGB. Das verleiht dieser Übergangsbestimmung besonders mit Blick auf den vorgeschlagenen neuen Artikel 65 Absatz 2 eine neue Tragweite.

Aus völkerrechtlicher Sicht unterliegt die rückwirkende Anwendung insbesondere des neuen Artikels 65 Absatz 2 gewissen Einschränkungen: Gemäss Artikel 7 EMRK und Artikel 15 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (SR 0.103.2), die als völkerrechtliches ius cogens gelten22, darf «keine 21

Hauser/Schweri/Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. A, Basel-GenfMünchen 2005, S. 517 N 52­54.

22 Vgl. u.a. BBl 1997 I 446.

4715

schwerere als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden». Der Begriff «Strafe» ist durch autonome Auslegung zu ermitteln. Ausgangspunkt ist nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, ob die fragliche Massnahme im Nachgang zur Verurteilung wegen eines Delikts verhängt wurde. Als weitere Elemente kommen in Anlehnung an den Begriff «strafrechtliche Anklage» gemäss Artikel 6 Absatz 1 EMRK in Betracht: Art, Zweck und Schwere der Massnahme, die Zuordnung im innerstaatlichen Recht sowie die Art der Durchsetzung.23 Im Lichte dieser Kriterien hat der Gerichtshof etwa die Einziehung von Vermögenswerten, die durch Drogenhandel erzielt wurden, als Strafe im Sinne von Artikel 7 EMRK qualifiziert24 oder eine Freiheitsentziehung unter diese Bestimmung subsumiert, die nach Auffassung der Regierung als reine Massnahme zur Sicherung der Vollstreckung konzipiert war.25 Der Begriff «Strafe» im Sinne von Artikel 7 Absatz 1 EMRK umfasst «alle Verurteilungen ..., welche im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 EMRK gestützt auf eine gegen eine Person erhobene strafrechtliche Anklage entschieden wurden. ... Wie die Straftat bestraft wird, ist für Artikel 7 EMRK unerheblich.»26 Es besteht daher eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Gerichtshof ­ anders als etwa das deutsche Bundesverfassungsgericht27 ­ die Verwahrung als «Strafe» qualifiziert. Ob wiederum eine «schwerere» Strafe vorliegt, ist vergleichsweise unproblematisch zu beurteilen, wenn dieselbe Strafart betroffen ist.

Ein längerer Freiheitsentzug oder eine höhere Busse als zur Tatzeit gesetzlich vorgesehen, stellen eine unzulässige schwerere Strafe dar.28 Schwierig ist der Vergleich verschiedener Strafarten. Hier kommt es nicht zuletzt auf das subjektive Empfinden des Betroffenen an. Die Entscheidung muss im Einzelfall unter Abwägung aller relevanten Umstände erfolgen.29 Nach dem Gesagten ist die nachträgliche Anordnung der Verwahrung gegenüber Tätern, die vor Inkrafttreten des revidierten StGB delinquierten, nur zulässig, wenn die Verwahrung dieser Täter im Zeitpunkt der Tatbegehung möglich war. Es müssen mit andern Worten die Voraussetzungen der bisherigen Artikel 42 oder 43 StGB bestanden haben. Die rückwirkende Anwendung des neuen Artikels 65 Absatz 2 auf psychisch nicht gestörte Ersttäter widerspräche folglich zwingendem Völkerrecht.

Der neu in die oben zitierte Übergangsbestimmung (VI. Ziff. 2 Abs. 1) eingefügte zweite Satz trägt diesem Umstand Rechnung.

23

24 25 26 27 28 29

Grundlegend: Welch gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 307-A, § 27 f.; Arthur Haefliger/Frank Schürmann, Die EMRK und die Schweiz, 2.A., Bern 1999, S. 246; Manfred Nowak, CCPR-Kommentar, Kehl/ Strassburg/ Arlington 1989, ad Art. 15 N 11.

Welch gegen Vereinigtes Königreich (a.a.O.), § 35.

Jamil gegen Frankreich, Ser. A Nr. 317-B, § 10, 15 und 30.

Mark E. Villiger, Handbuch der EMRK, 2. A. 1999, N 534.

Beschluss 2 BvR 2029 vom 5. Februar 2004, §§ 144 ff.

Vgl. z.B. Gabarri Moreno gegen Spanien, 22.07.2003, § 22 ff.

Nowak (a.a.O.), ad Art. 15 N 12.

4716

2.3

Straf- und Massnahmenvollzug

2.3.1

Prüfung der Gemeingefährlichkeit Gefangener durch die kantonalen Fachkommissionen (Art. 75a und 90 Abs. 4bis nStGB)

Nach Artikel 75a nStGB haben sich die kantonalen Fachkommissionen im Zusammenhang mit der Wahl des Vollzugsortes, der Urlaubsgewährung und der bedingten Entlassung zur Gemeingefährlichkeit sämtlicher Strafgefangenen zu äussern, die ein Verbrechen begangen haben, welches das Gesetz mit einer Höchststrafe von 10 Jahren oder mehr bedroht. Dazu gehören auch eine Reihe von Straftaten wie etwa Vermögensdelikte oder Drogendelikte, welche die physische, psychische oder sexuelle Integrität anderer Personen nicht direkt beeinträchtigen. Solche Täter werden auf der Grundlage des geltenden Rechts von den Fachkommissionen normalerweise nicht begutachtet. Das bedeutet nach Meinung der Strafvollzugspraktiker, dass die vom Parlament beschlossene Bestimmung eine erhebliche Mehrbelastung der Fachkommissionen bringen würde, ohne dass damit eine erhöhte Sicherheit für die Öffentlichkeit verbunden wäre. Sie könnte im Gegenteil dazu führen, dass die Fachkommissionen für die sorgfältige Beurteilung aller wirklich gefährlichen Täter nicht mehr genügend Kapazitäten hätten.

Die Arbeitsgruppe «Verwahrung» erarbeitete daher auch für Artikel 75a nStGB einen Änderungsvorschlag. Er zielt darauf ab, den Aufgabenbereich der Fachkommissionen in vernünftigem Rahmen zu halten. Die Überprüfung soll sich einerseits auf Täter beschränken, die wegen Verbrechen verurteilt werden, mit denen sie andere Personen körperlich, psychisch oder sexuell schwer beeinträchtigt haben oder beeinträchtigen wollten. Sie wird anderseits auf alle Vollzugsöffnungen ausgedehnt, mit denen eine Gefahr für die Öffentlichkeit verbunden sein kann. Sie kann entfallen, wenn bereits die Vollzugsbehörde die Frage nach der Gemeingefährlichkeit eines Täters eindeutig beantworten kann.

Im Übrigen hielt es die Arbeitsgruppe im Interesse der Sicherheit für angebracht, für Entscheide über Vollzugsöffnungen während des Vollzuges der Verwahrung (und anderer stationärer Massnahmen) im gleichen Umfang die Fachkommissionen heranzuziehen, wie dies nach Artikel 75a für den Strafvollzug vorgesehen ist. Sie schlug daher eine entsprechende Ergänzung von Artikel 90 nStGB über den Vollzug von Massnahmen vor (Art. 90 Abs. 4bis).

Im Vernehmlassungsverfahren äusserten sich zum Vorschlag betreffend Artikel 75a nStGB neben der grossen Mehrheit der Kantone nur zwei Strafvollzugskonkordate,
die Anstaltsleiterkonferenz und die Universitäten Genf und Lausanne ausdrücklich, alle in zustimmendem Sinne. Vereinzelt wurden redaktionelle Vorbehalte geäussert.

Viele Kantone versicherten übereinstimmend, dass die vorgeschlagene Einschränkung des Aufgabenbereichs der Fachkommissionen bzw. die Rückführung der Regelung auf den Stand der heutigen bewährten Praxis ein grosses Anliegen der Vollzugspraxis sei. Die vom Parlament verabschiedete Regelung würde gegenüber heute etwa zu einer Verzehnfachung der vorlagepflichtigen Fälle führen, ohne dass dafür eine Notwendigkeit bestünde. Dies habe der Gesetzgeber wohl kaum beabsichtigt. Zwei Kantone bedauerten, dass der Änderungsvorschlag die Bedeutung der Bestimmung für den vorzeitigen Straf- oder Massnahmeantritt nicht klarstelle. Die vorgeschlagene Ergänzung von Artikel 90 nStGB wurde in der Vernehmlassung praktisch nicht kommentiert.

4717

Der Bundesrat macht sich grundsätzlich beide Vorschläge zu eigen. Artikel 90 Absatz 4bis unterbreitet er dem Parlament unverändert. Artikel 75a erfuhr hingegen eine redaktionelle Vereinfachung, die wegen der Änderungen von Artikel 64 Absatz 1 gegenüber der im Vorentwurf enthaltenen Fassung möglich wurde. Eine Klärung in Bezug auf den vorzeitigen Straf- oder Massnahmeantritt ist nicht notwendig. Die Bestimmung schliesst den Beizug der kantonalen Fachkommissionen in solchen Fällen nicht aus, ebensowenig wie ergänzende kantonale Bestimmungen, die für diese Kommissionen zusätzliche Aufgaben vorsehen.

2.3.2

Das Wohn- und Arbeitsexternat im Massnahmenvollzug (Art. 90 nStGB)

Nach Artikel 3 der Verordnung 3 vom 16. Dezember 1985 zum Strafgesetzbuch (VStGB 3, SR 311.03) ist die Vollzugsstufe des so genannten Wohn- und Arbeitsexternates heute nur im Massnahmenvollzug zulässig. Mit Artikel 77a nStGB wird sie neu als Vollzugsstufe des Strafvollzuges eingeführt.

Im Zusammenhang mit der Ausarbeitung der neuen Verordnung zum StGB (VStGB) haben die Sekretäre der Strafvollzugskonkordate darauf hingewiesen, dass im Entwurf für die neue VStGB ein Hinweis darauf fehlt, wonach das Wohn- und Arbeitsexternat auch in Zukunft für den Vollzug von freiheitsentziehenden Massnahmen zulässig sein soll.

In der Vernehmlassung war unbestritten, dass das Wohn- und Arbeitsexternat auch künftig als Vollzugsstufe des Massnahmenvollzugs, als welche sie sich bis heute bewährt hat, zur Verfügung stehen soll.

Weil eine Regelung in der neuen VStGB nicht stufenkonform wäre, wird vorgeschlagen, Artikel 90 nStGB um einen entsprechenden Absatz 2bis zu ergänzen. Die Voraussetzungen für das Wohn- und Arbeitsexternat setzen sich nach dieser neuen Bestimmung aus den Kriterien des geltenden Artikels 3 VStGB 3 und den Sicherheitsschranken nach Artikel 77a Absatz 1 nStGB zusammen.

2.3.3

Die Busse als Disziplinarsanktion (Art. 91 nStGB)

Artikel 91 nStGB regelt die Grundzüge des Disziplinarrechts, weil es sich um schwer wiegende Einschränkungen der Rechte der Gefangenen handelt. In Absatz 2 dieser Bestimmung werden die einzelnen Disziplinarsanktionen abschliessend aufgezählt. Als Disziplinarsanktionen sind vorgesehnen: der Verweis; der zeitweise Entzug oder die Beschränkung der Verfügung über Geldmittel, der Freiheitsbeschäftigung oder der Aussenkontakte; der Arrest als zusätzliche Freiheitsbeschränkung.

Im Rahmen der Änderungsvorschläge, die der Fachverband der Direktoren und Direktorinnen geschlossener Strafanstalten der Schweiz dem EJPD im September 2004 betreffend die Strafvollzugsbestimmungen des revidierten AT-StGB unterbreitete, schlägt er unter anderem vor, die Busse als zusätzliche Disziplinarsanktion vorzusehen.

Die Busse wurde seinerzeit von Bundesrat und Parlament bewusst nicht in den Katalog der Disziplinarsanktionen aufgenommen, weil sie letztlich einen Abzug am Arbeitsentgelt darstellt. Das Arbeitsentgelt soll jedoch in jedem Fall leistungsabhän4718

gig sein und nicht vom Wohlverhalten des Gefangenen abhängen. Das heisst, die Quantität und Qualität der Arbeit bestimmt die Höhe des Arbeitsentgeltes. Das neue Recht will bewusst ausschliessen, dass das Arbeitsentgelt als Disziplinierungsmittel missbraucht wird30. Ferner soll mit dem Arbeitsentgelt ­ zumindest zum Teil ­ eine Rücklage für die Zeit nach der Entlassung gebildet werden. Diese Rücklage und damit die Wiedereingliederung des Verurteilten könnten durch die Disziplinarbusse gefährdet werden. Aus diesen Gründen sieht Artikel 91 Absatz 2 nStGB nur den zeitweisen Entzug oder die Beschränkung der Verfügung über Geldmittel vor, was den Gefangenen im Vollzugsalltag ebenso treffen kann wie eine eigentliche Busse, jedoch nicht deren Nachteile aufweist.

Heute sehen verschiedene Kantone die Busse als Disziplinarsanktion im Strafvollzug nicht vor31. Die Kantone Bern und Graubünden haben sich denn auch im Vernehmlassungsverfahren gegen diese Ergänzung der Disziplinarstrafen ausgesprochen.

Da sich in der Vernehmlassung jedoch eine Mehrheit für die Busse als Disziplinarsanktion ausgesprochen hat, soll Artikel 91 nStGB entsprechend ergänzt werden.

2.4

Strafregisterrecht

2.4.1

Vorbemerkungen

Mit Blick auf die Einführung des neuen Allgemeinen Teils des StGB muss das automatisierte Strafregister neu programmiert werden. Im Zusammenhang mit diesen Arbeiten hat sich gezeigt, dass zwei Bestimmungen betreffend die Entfernung von Daten in der Praxis zu nicht sinnvollen Lösungen führen würden. Sie sollen daher geändert werden.

2.4.2

Entfernung von Urteilen, die Massnahmen enthalten (Art. 369 Abs. 4 und 6 nStGB)

2.4.2.1

Ausgangslage

Artikel 369 Absatz 4 Buchstabe b nStGB sieht vor, dass Urteile, die bestimmte Massnahmen enthalten, 10 Jahre nach dem Vollzug der Massnahmen aus dem Strafregister entfernt werden. Diese Bestimmung umfasst nicht nur Urteile, die eine ambulante Behandlung nach Artikel 63 enthalten, sondern auch Urteile, die so genannte «andere Massnahmen» nach den Artikeln 66­73 nStGB bzw. Massnahmen und andere Massnahmen nach den Artikeln 48­53 nMStG enthalten. Diese Regelung führt zu stossenden Lösungen, weil bei Urteilen, die sowohl eine Freiheitsstrafe als auch eine Massnahme enthalten, nur die Massnahme für die Entfernung des Urteils ausschlaggebend ist. Ein Urteil, das eine unbedingte Freiheitsstrafe und eine Massnahme (z.B. eine ambulanten Behandlung) umfasst, wird unter Umständen aus 30 31

Botschaft des Bundesrates zur Revision des AT-StGB vom 21. September 1998, BBl 1999 1979, Ziff. 214.29.

Vgl. Artikel 76 Strafvollzugsgesetz des Kantons Bern (BSG 341.1); Artikel 36 des Gesetzes über den Vollzug von Freiheitsstrafen und sichernden Massnahmen des Kantons Solothurn (BGS 331.11) oder Artikel 73 der Verordnung über den Straf- und Massnahmenvollzug des Kantons Graubünden (Systematische Gesetzessammlung Nr. 350.460.

4719

dem Register entfernt, während die Freiheitsstrafe noch vollzogen wird32. Damit solche Ergebnisse vermieden werden, wird eine Neuregelung der von Artikel 369 Absatz 4 Buchstabe b nStGB erfassten Urteile vorgeschlagen.

Artikel 369 Absatz 4 Buchstabe b nStGB erfasst grundsätzlich zwei Konstellationen: ­

zum einen die Urteile, in denen eine ambulante Behandlung oder eine andere Massnahme nach den Artikeln 66­73 nStGB resp. 48­53 nMStG in Verbindung mit einer Strafe verhängt wird

­

zum andern die Urteile, in denen diese Massnahmen allein angeordnet werden (so z.B. in einem freisprechenden Urteil nach Artikel 19 nStGB).

2.4.2.2

Urteile, die nicht stationäre Massnahmen in Verbindung mit Freiheitsstrafen enthalten

Stossende Lösungen ergeben sich nur im ersten Fall, das heisst dann, wenn die nicht stationären Massnahmen mit einer Freiheitsstrafe verbunden werden. Das Problem kann dadurch gelöst werden, dass in diesen Fällen nicht die kurze Frist der Massnahme massgebend ist (wie das Art. 369 Abs. 4 Bst. b nStGB vorsieht), sondern die längere Frist für die Freiheitsstrafe nach Artikel 369 Absatz 1 nStGB.

2.4.2.3

Urteile, die nicht stationäre Massnahmen allein enthalten

Wird hingegen die ambulante Behandlung oder eine andere Massnahme nach den Artikeln 66­73 nStGB oder den Artikeln 48, 50­53 nMStG (der Ausschluss aus der Armee nach Art. 49 MStG ist nur in Verbindung mit einer Freiheitsstrafe möglich) allein verhängt, so drängt sich eine spezielle Regelung im Sinne von Artikel 369 Absatz 4 Buchstabe b auf. Diese Regelung soll jedoch präzisiert werden; insbesondere soll sie keine Massnahmen erfassen, deren Eintragung im Strafregister nicht sinnvoll ist.

Nach Artikel 366 Absatz 2 Buchstabe a nStGB sind grundsätzlich alle Urteile in das Register aufzunehmen, die eine Strafe oder Massnahme enthalten. Das heisst, dass auch freisprechende Urteile aufzunehmen sind, sofern gestützt auf Artikel 19 Absatz 3 nStGB nur eine Massnahme angeordnet wurde. Handelt es sich dabei um eine Verwahrung (Art. 64 nStGB), ein Berufsverbot (Art. 67 nStGB) oder ein Fahrverbot (Art. 67b nStGB), so ist die Eintragung des Urteils sicher sinnvoll.

Enthält ein freisprechendes Urteil jedoch nur eine «andere Massnahme» wie die Veröffentlichung des Urteils (Art. 68 nStGB, 50b nMStG), die Einziehung (Art. 70 ff. nStGB, 51 ff. nMStG) oder eine Verwendung zugunsten des Geschädigten (Art. 73 nStGB, 53 nMStG), so ist die Aufnahme dieses Urteils in das Strafregister fragwürdig, wenn nicht gar unsinnig (z.B. die Veröffentlichung des freisprechen32

Eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren wird gemäss Artikel 369 Absatz 1 Buchstabe a nStGB nach 32 Jahren (20 Jahre plus die Dauer der Freiheitsstrafe von 12 Jahren) entfernt. Ist diese Strafe mit einer ambulanten Massnahme verbunden, die z.B. nach einem Jahr aufgehoben wird, so wird das Urteil gemäss Artikel 369 Absatz 4 Buchstabe b in Verbindung mit Artikel 369 Absatz 6 Buchstabe b nStGB bereits nach 11 Jahren entfernt.

4720

den Urteils). Diese drei so genannten anderen Massnahmen sollen daher, wenn sie allein in einem Urteil erscheinen, nicht in das Strafregister aufgenommen werden.

Eine entsprechende Regel wird in der neuen Verordnung zum automatisierten Strafregister vorgesehen. Werden diese drei Massnahmen zusammen mit einer anderen Sanktion verhängt, so ist diese andere Sanktion für den Fristenlauf massgebend.

Wird hingegen in einem Urteil eine Friedensbürgschaft (Art. 66 nStGB) oder in einem freisprechenden Urteil ein Berufsverbot oder ein Fahrverbot angeordnet, so sollen diese Urteile im Strafregister erfasst und nach einer Frist von 10 Jahren entfernt werden.

2.4.2.4

Lösungsvorschlag

Vorgeschlagen werden folgende Neuerungen: ­

Die Regelung nach Artikel 369 Absatz 4 nStGB soll nur mehr Urteile erfassen, die stationäre Massnahmen enthalten (Bst. a und c). Absatz 4 Buchstabe b wird gestrichen.

­

In einem neuen Absatz 4bis wird für die Urteile, die allein eine ambulante Behandlung nach Artikel 63 nStGB enthalten, eine Frist von 10 Jahren vorgesehen. In einem neuen Absatz 4ter wird für Urteile, die eine andere Massnahme nach den Artikeln 66­67b nStGB und 48, 50 und 50a nMStG allein enthalten, ebenfalls eine Frist von 10 Jahren festgesetzt. Es werden zwei Absätze gebildet, weil für beide ein unterschiedlicher Fristenlauf gelten soll (vgl. Abs. 6).

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Der Fristenlauf für die Entfernung von Urteilen, die eine ambulante Behandlung enthalten, beginnt mit dem Tag, an dem die Massnahme aufgehoben wird oder der Betroffene endgültig aus der Massnahme entlassen ist (Art. 369 Abs. 6 Bst. b nStGB).

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Bei Urteilen, die eine andere Massnahme nach den Artikeln 66­67b nStGB und 48, 50 und 50a nMStG enthalten, beginnt der Fristenlauf mit dem Tag, an dem das Urteil rechtlich vollstreckbar wird (Art. 369 Abs. 6 Bst. a nStGB).

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Der Ausschluss aus der Armee nach Artikel 48 nMStG könnte zwar auch unter Absatz 4bis geführt werden, so dass der Fristenlauf erst beginnt, wenn die Massnahme aufgehoben wird. Dies würde zum einen eine Meldung der Armeejustiz bedingen. Zum anderen müsste die Entfernungsfrist auch zu laufen beginnen, wenn die Dienstpflicht der betroffenen Person endet. Solche Urteile werden nach geltendem Recht nicht in das Strafregister aufgenommen. Wir sind der Meinung, dass auch in Zukunft das Interesse an einem freisprechenden Urteil mit Ausschluss aus der Armee nicht so gross ist, dass dafür ein Meldeverfahren und spezielle Programmierungen von VOSTRA vorgesehen werden müssten, damit es länger als 10 Jahre im Register eingetragen bleibt.

4721

2.4.2.5

Ergänzende Bemerkung

Die oben dargestellten Probleme zeigen die Komplexität der Regelung über die Entfernungsfristen auf. Sie ist nur noch mit elektronischen Rechnern handhabbar.

Die Expertenkommission zur Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches hatte im Vorentwurf von 1993 eine vergleichsweise sehr einfache Regelung vorgeschlagen, die sich an der heutigen Regelung über die Löschung der Eintragungen orientiert (Art. 80 Ziff. 1 StGB)33. Diese Regelung wurde indessen nicht in die Botschaft des Bundesrates aufgenommen, weil sie verlangt hätte, dass die Kantone den Vollzug von Freiheitsstrafen melden, während sie bisher nur den Vollzug von Massnahmen melden. Dieser zusätzliche Aufwand sollte den Kantonen nicht auferlegt werden. Dies insbesondere deshalb, weil die Erleichterungen, welche die damalige Automatisierung des Strafregisters für die Kantone zur Folge hatte, relativiert worden wären.

Diese Argumentation kann man angesichts der komplizierten Regelung nach Artikel 369 nStGB, die sie zur Folge hat, sehr wohl in Frage stellen. Insbesondere stellt sich die Frage, ob es den Kantonen mit den heute zur Verfügung stehenden technischen Mitteln nicht zumutbar wäre, den Vollzug von Freiheitsstrafen in das Strafregister einzutragen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass mit der Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafen unter 6 Monaten der grösste Teil der heute verhängten Freiheitsstrafen in Zukunft wegfallen wird.

Wären die Kantone bereit, den Vollzug von Freiheitsstrafen zu melden, so könnte für die Entfernung von Strafregisterdaten eine einfache und zweckmässige Regelung im Sinne des Vorentwurfs von 1993 geschaffen werden.

In der Vernehmlassung haben sich die Kantone, die sich zu dieser Frage geäussert haben (AR, SG, NE und GR), zugunsten dieser vereinfachten Regelung ausgesprochen. Während der Kanton Graubünden der Auffassung ist, der zusätzliche Aufwand liesse sich mit den heutigen technischen Möglichkeiten bewältigen, weist der Kanton Neuenburg darauf hin, dass zurzeit die dafür notwendige Infrastruktur fehle.

Zwei Kantone (AR und SG) wären bereit, die zusätzlichen Kosten zu tragen, wenn für sie ein zusätzlicher Nutzen entstehen würde, indem aus dem Strafregister ersichtlich werden müsste, in welchem Zeitraum eine Freiheitsstrafe vollzogen wurde.

Damit entfielen die heute zahlreichen Anfragen von
Strafuntersuchungsbehörden, Gerichten und Vollzugsbehörden anderer Kantone, wann eine Strafe tatsächlich vollzogen wurde.

Angesichts der eingeschränkten Vernehmlassung und der wenigen Rückmeldungen zu diesem Thema, aber auch wegen der zeitlichen Dringlichkeit dieser Vorlage, erscheint eine grundsätzliche Änderung der neuen Entfernungsregeln im jetzigen Zeitpunkt nicht angezeigt.

33

Artikel 362 VE (Entfernung des Eintrags): 1 Die Eintragungen werden von Amtes wegen entfernt: a. bei einer Freiheitsstrafe von mindestens 5 Jahren nach 20 Jahren; b. bei einer Freiheitsstrafe von mindestens einem und weniger als fünf Jahren oder einer Massnahme nach den Artikeln 61­64 und 68 nach 15 Jahren; c. in allen anderen Fällen nach 10 Jahren.

2 Eintragungen über eine bedingte Verurteilung sind zwei Jahre nach Ablauf der Probezeit von Amtes wegen zu entfernen, wenn sich der Verurteilte bewährt hat.

3 Der Fristenlauf beginnt mit Rechtskraft des Urteils, bei freiheitsentziehenden Sanktionen mit der endgültigen Entlassung.

4722

2.4.3

Entfernung gelöschter Daten bei Inkrafttreten des neuen Rechts (Übergangsbestimmungen Ziff. 3 Abs. 2 Bst. a nStGB und Übergangsbestimmungen Ziff. 2 Abs. 2 nMStG)

Nach der zweistufigen Regelung des geltenden Rechts werden Urteile nach einer bestimmten Frist aus dem Strafregister gelöscht (das heisst, sie sind für die Strafverfolgungsbehörden zugänglich, erscheinen aber nicht mehr im Privatauszug) und erst in einem viel späteren Zeitpunkt definitiv aus dem Register entfernt. Der neue AT-StGB sieht die Löschung nicht mehr vor, sondern nur noch die definitive Entfernung.

Nach Ziffer 3 Absatz 2 Buchstabe a Übergangsbestimmungen sollen alle Urteile, die bis zum Inkrafttreten des neuen AT-StGB nach geltendem Recht als gelöscht gelten, definitiv entfernt werden. Dies führt dazu, dass sehr viele Strafregistereinträge nach einer relativ kurzen Frist definitiv entfernt werden und daher für die Strafverfolgungsbehörden nicht mehr verfügbar sind. Es handelt sich dabei in erster Linie um Verurteilungen zu einer Busse oder zu einer bedingten Freiheitsstrafe, welche nach geltendem Recht nach einer relativ kurzen Frist bereits gelöscht (jedoch nicht aus dem Strafregister entfernt) werden (Art. 41 Ziff. 4 und 49 Ziff. 4 StGB).

Es war indessen nicht die Absicht des Gesetzgebers, die Strafverfolgungsbehörden einzuschränken oder die Verurteilten besser zu stellen. Das Ziel der Bestimmung war vielmehr, dass die Eintragungen, die als gelöscht gelten, wie nach geltendem Recht auch in Zukunft nicht mehr im Privatauszug erscheinen. Dieser Grundsatz soll in einem neuen Absatz 3 von Ziffer 3 der Übergangsbestimmungen festgehalten werden.

Eine analoge Änderung soll in der parallelen Übergangsbestimmung des nMStG (Übergangsbestimmungen Ziff. 2 Abs. 2 nMStG) vorgenommen werden.

Wie für alle Daten des Strafregisters gelten auch für die nach altem Recht gelöschten Einträge die Entfernungsfristen des neuen AT-StGB (Übergangsbestimmung Ziff. 3 Abs. 1 nStGB).

2.5

Übergangsbestimmungen (Ziff. 2 und 3 nStGB)

Für die vorgeschlagenen Änderungen von Ziffer 2 (Anordnung und Vollzug von Massnahmen) und Ziffer 3 (Strafregister) der Übergangsbestimmungen vom 13.12.2002 wird auf die Erläuterungen in den Ziffern 2.2.1 (letzter Absatz) und 2.4.3 hievor verwiesen.

4723

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

Für den Bund ergeben sich aus den vorliegenden Neuregelungen keine unmittelbaren zusätzlichen finanziellen oder personellen Auswirkungen. Die Änderungen von Artikel 369 nStGB und Ziffer 3 Übergangsbestimmungen ziehen zwar gewisse Programmierungsarbeiten am automatisierten Strafregister nach sich. Diese Arbeiten können jedoch im Zuge der umfangreichen Gesamtanpassung des Strafregisters an das neue Strafregisterrecht des revidierten AT-StGB vorgenommen werden.

3.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Die unmittelbaren finanziellen und personellen Auswirkungen auf die Kantone, welche für den Vollzug der Strafen und Massnahmen zuständig sind, lassen sich schwer abschätzen.

Die neue Möglichkeit, bedingte Strafen mit einer Übertretungsbusse zu verbinden (Art. 42 Abs. 4 des Entwurfs zum revidierten StGB, E-nStGB), stellt eine Erleichterung dar, die sich finanziell und personell positiv auswirken dürfte.

Ähnliches gilt für die Neureglung der Kompetenzen der Fachkommissionen in Artikel 75a nStGB. Sie wäre für die Kantone die kostengünstigere Lösung als die vom Parlament am 13.12.2002 verabschiedete Bestimmung, weil die Fachkommissionen mit ihr künftig weniger Straftäter, d.h. etwa gleich viele wie nach geltendem Recht, zu beurteilen hätte. Die nachträglichen Änderungen des Massnahmenrechts könnte im Vergleich zu den revidierten Bestimmungen vom 13.12.2002 insofern zu Mehrkosten für die Kantone führen, als infolge des erweiterten Anlasstatenkatalogs und der Möglichkeit nachträglicher Verwahrungen die Zahl verwahrter Personen möglicherweise zunähme. Anderseits werden Kosten gespart, wenn Verurteilte, die nicht mehr gefährlich sind, aus dem Strafvollzug entlassen werden, bevor sie in die Verwahrung übertreten müssten.

Der mit der vorgeschlagenen Streichung von Ziffer 2 Absatz 2 der Übergangsbestimmungen verbundene Verzicht auf die obligatorische Begutachtung aller nach geltendem Recht verwahrten Personen sowie auf die Vorprüfung dieser Fälle durch die kantonalen Fachkommissionen würde Mehrkosten der Kantone verhindern.

Die übrigen Änderungen, insbesondere das Wohn- und Arbeitsexternat für Massnahmen (Art. 90 E-nStGB) und die Änderungen im Strafregisterrecht (Art. 369 E-nStGB und Ziff. 3 Übergangsbestimmungen) sind weitestgehend kostenneutral.

Auch die Busse als neue Disziplinarsanktion (Art. 91 E-nStGB) dürfte kaum ins Gewicht fallen.

4724

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist im Bericht über die Legislaturplanung 2003­2007 nicht angekündigt (BBl 2004 1149).

Die vorliegenden Nachbesserungen waren zur Zeit, in der die Legislaturplanung 2003­2007 erarbeitet wurde, nicht absehbar. Die ihnen zu Grunde liegende Kritik namentlich von Praktikern der Strafverfolgung, der Strafjustiz sowie des Straf- und Massnahmenvollzugs wurde zum grossen Teil erst nach der Verabschiedung des revidierten AT-StGB durch das Parlament am 13. Dezember 2002 in den Jahren 2003 und 2004 vorgebracht und konkretisiert und konnte daher während der Erarbeitung der Legislaturplanung noch nicht berücksichtigt werden.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Nach Artikel 123 BV ist der Bund zur Gesetzgebung im Bereich des Strafrechts befugt.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Direkte Berührungspunkte zum Völkerrecht hat in erster Linie die vorgeschlagene Möglichkeit der nachträglichen Verwahrung, insbesondere deren rückwirkende Anwendung. Zur Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit der EMRK und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte sei auf Ziffer 2.2.3.2 verwiesen.

4725

4726