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18.489 Parlamentarische Initiative Finanzmarktinfrastrukturgesetz. Bestrafung im Fall von unwahren oder unvollständigen Angaben in öffentlichen Kaufangeboten Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates vom 14. November 2022

Sehr geehrte Frau Präsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes über die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effektenund Derivatehandel. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

14. November 2022

Im Namen der Kommission Der Präsident: Leo Müller

2022-3856

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Übersicht Mit vorliegender Änderung des FinfraG wird eine neue, als Übertretung ausgestaltete Strafnorm betreffend die Verletzung der Pflicht zur Veröffentlichung eines wahren und vollständigen Angebotsprospekts oder einer wahren und vollständigen Voranmeldung geschaffen. Damit wird eine Strafbarkeitslücke geschlossen.

Ausgangslage Gemäss dem geltenden Finanzmarkinfrastrukturgesetz (FinfraG) wird die Zielgesellschaft in einem öffentlichen Übernahmeverfahren mit Busse bestraft, wenn sie in der Stellungnahme zum öffentlichen Kaufangebot unwahre oder unvollständige Angaben macht (Art. 153 Abs. 1 Bst. b FinfraG). Hingegen enthält das FinfraG keine Strafbestimmung für den Fall, dass der Anbieter im Angebotsprospekt oder der Voranmeldung des Angebots unwahre oder unvollständige Angaben macht. Dies erscheint stossend. Wahre und vollstände Angaben in einem Angebotsprospekt oder einer Voranmeldung sind für die Aktionäre der Zielgesellschaft ebenso wichtig, wie wahre und vollstände Angaben in der Stellungnahme des Verwaltungsrats der Zielgesellschaft.

Inhalt der Vorlage Aus diesem Grund wird im FinfraG eine neue, als Übertretung ausgestaltete Strafnorm betreffend die Verletzung der Pflicht zur Veröffentlichung eines wahren und vollständigen Angebotsprospekts oder einer wahren und vollständigen Voranmeldung geschaffen. Analog der Strafandrohung in Fall von unwahren oder unvollständigen Angaben in der Stellungnahme zum öffentlichen Kaufangebot der Zielgesellschaft lautet die Strafandrohung bei vorsätzlicher Tatbegehung auf Busse bis zu 500 000 Franken und bei fahrlässiger Tatbegehung auf Busse bis zu 150 000 Franken.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Am 14. Dezember 2018 reichte Nationalrat Hans-Ueli Vogt die parlamentarische Initiative 18.489 «Finanzmarktinfrastrukturgesetz. Bestrafung im Fall von unwahren oder unvollständigen Angaben in öffentlichen Kaufangeboten» ein. Die Initiative verlangt, dass die Strafbestimmungen des Bundesgesetzes vom 19. Juni 20151 über die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel (Finanzmarktinfrastrukturgesetz, FinfraG) in der Weise ergänzt werden, dass unwahre oder unvollständige Angaben in einem Angebotsprospekt oder in der Voranmeldung eines öffentlichen Kaufangebots mit Busse bestraft werden können.

Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-N) hat die parlamentarische Initiative am 8. Oktober 2019 vorberaten. Mit 13 zu 9 Stimmen bei 3 Enthaltungen beantragte sie ihrem Rat, der Initiative keine Folge zu geben. Dies wurde unter anderem damit begründet, dass das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) das Übernahmerecht in seiner Gesamtheit im Rahmen der anstehenden Evaluation des FinfraG prüfen werde.

Der Nationalrat entschied am 10. Dezember 2019 jedoch entgegen dem Antrag der WAK-N mit 125 zu 66 Stimmen, der Initiative Folge zu geben. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) stimmte diesem Beschluss am 26. Oktober 2020 mit 8 zu 5 Stimmen zu. Die WAK-N wurde somit als Kommission des Erstrates beauftragt, einen Gesetzesvorentwurf auszuarbeiten.

Um die Ausarbeitung des Vorentwurfes mit der Überprüfung und allfälligen Anpassung des FinfraG zu koordinieren, entschied die WAK-N an ihrer Sitzung vom 17. Mai 2021, den Evaluationsbericht des EFD abzuwarten und ihre Arbeiten bis dahin zu sistieren. Am 18. Oktober 2021 beschloss die WAK-N, die Arbeiten zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative wieder aufzunehmen. Es hatte sich ergeben, dass eine Koordination mit der laufenden Überprüfung und allfälligen Anpassung des FinfraG zu lange dauern würde.

Am 5. Mai 2022 trat die WAK-N auf den vorliegenden Vorentwurf ein und verabschiedete ihn mit 17 zu 7 Stimmen. Sie beschloss zudem, ihn zusammen mit dem erläuternden Bericht in die Vernehmlassung zu geben. An ihrer Sitzung vom 14. November 2022 nahm sie Kenntnis von den Vernehmlassungsergebnissen (siehe Kap. 2.4). Anschliessend verabschiedete sie den beiliegenden Gesetzesentwurf ohne Änderungen mit 17 zu 7 Stimmen zuhanden ihres Rates.

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SR 958.1

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Ausgangslage

2.1

Geltendes Recht

Das FinfraG enthält unter anderem Bestimmungen über öffentliche Kaufangebote in Bezug auf Gesellschaften, deren Beteiligungspapiere mindestens teilweise an einer Schweizer Börse kotiert sind (sog. Zielgesellschaften). Dabei verpflichtet es den Anbieter und mit diesem in gemeinsamer Absprache handelnde Personen insbesondere dazu, das öffentliche Kaufangebot mit wahren und vollständigen Informationen in einem Prospekt zu veröffentlichen (vgl. Art. 127 Abs. 1 und 3 FinfraG). Welche Angaben dieser sogenannte Angebotsprospekt genau enthalten muss, wird in der Verordnung vom 21. August 20082 der Übernahmekommission über öffentliche Kaufangebote (Übernahmeverordnung, UEV) konkretisiert (vgl. Art. 17 ff. UEV).

Der Anbieter kann ein Angebot vor der Veröffentlichung des Angebotsprospektes voranmelden beziehungsweise eine Voranmeldung publizieren (vgl. Art. 131 Abs. 1 FinfraG). Die Angaben der Voranmeldung werden ebenfalls in der UEV konkretisiert (vgl. Art. 5 ff. UEV). Im Angebotsprospekt dürfen Änderungen im Vergleich zur Voranmeldung nur vorgenommen werden, wenn sich diese gesamthaft gesehen zugunsten der Empfängerinnen und Empfänger auswirken (vgl. Art. 8 Abs. 2 UEV).

Die Verletzung der Bestimmungen über den Inhalt des Angebotsprospekts und der Voranmeldung durch den Anbieter werden durch das FinfraG aktuell nicht unter Strafe gestellt. Hingegen macht sich der Verwaltungsrat der Zielgesellschaft strafbar, wenn er in der vorgeschriebenen Stellungnahme zum öffentlichen Kaufangebot unwahre oder unvollständige Angaben macht (vgl. Art. 132 FinfraG).

Im Einzelfall könnten unwahre oder unvollständige Angaben im Angebotsprospekt oder in der Voranmeldung immerhin allgemeinstrafrechtliche Tatbestände erfüllen, etwa denjenigen der unwahren Angaben über kaufmännische Gewerbe (vgl. Art. 152 StGB3). Gestützt auf Artikel 292 StGB mit Busse bestraft werden könnte zudem eine Zuwiderhandlung gegen eine von der Übernahmekommission verfügte Berichtigung eines Angebotsprospekts oder einer Voranmeldung (vgl. Art. 138 Abs. 3 FinfraG), sofern die Übernahmekommission bei Zuwiderhandlung eine Busse angedroht hatte.

2.2

Handlungsbedarf und Ziele

Wie erwähnt, werden die Strafbestimmungen für den Anbieter und die Zielgesellschaft im geltenden Übernahmerecht uneinheitlich geregelt. Dies erscheint als störende Asymmetrie. Während die Organe der Zielgesellschaft mit Busse bestraft werden, wenn sie in der Stellungnahme zum Angebot an ihre Aktionäre unwahre oder unvollständige Angaben machen (Art. 153 Abs. 1 Bst. b FinfraG), fehlt eine entsprechende Sanktionsmöglichkeit für unwahre oder unvollständige Angaben im Angebotsprospekt oder der Vorankündigung seitens des Anbieters. Diese Strafbarkeitslücke soll mit dem vorliegenden Vorentwurf geschlossen werden. Das Ziel dabei ist, die

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SR 954.195.1 SR 311.0

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freie Entscheidung des Aktionariats der Zielgesellschaft basierend auf vollständiger und korrekter Informationen zu gewährleisten.

Die Tatsache, dass unwahre oder unvollständige Angaben im Angebotsprospekt oder in der Voranmeldung in Einzelfällen strafbar sein können, ist nicht ausreichend. Insbesondere kann zwar die Übernahmekommission bei falschen Angaben im Angebotsprospekt oder der Voranmeldung die Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustandes verlangen und mit einer Strafandrohung nach Artikel 292 StGB verbinden.

Eine Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustandes ist in der Praxis aber schwierig, vor allem, wenn Aktienverkäufe bereits getätigt wurden. Ausserdem erscheint es störend, dass die Strafbarkeit erst greift, wenn der Anbieter den Angebotsprospekt oder die Voranmeldung nicht korrigiert. Dies soll mit dem vorliegenden Vorentwurf geändert werden, indem beide Vertragsparteien bei einer Übernahme strafrechtlich gleich behandelt werden.

Schliesslich bietet die Tatsache, dass das FinfraG derzeit einer Evaluation unterzogen wird, keinen Grund, eine bereits festgestellte Strafbarkeitslücke nicht zu schliessen.

Das Abwarten des Evaluationsberichtes des EFD und einer damit einhergehenden Anpassung des FinfraG würde die Korrektur der uneinheitlichen Regelung unangemessen hinauszögern.

2.3

Nichteintreten: Begründung der Minderheit

Eine Kommissionminderheit (Aeschi Thomas, Amaudruz, Burgherr, Dettling, Friedli Esther, Matter Thomas, Tuena) spricht sich generell für Zurückhaltung bei der Einführung neuer Straftatbestände aus. Ausserdem blieben falsche Angaben im Angebotsprospekt schon heute nicht ohne Konsequenzen. Die Übernahmekommission sei gesetzlich verpflichtet, den Angebotsprospekt zu prüfen und auf Missstände hinzuweisen. Zudem führe das Finanzdepartment derzeit eine gesamthafte Evaluation des FinfraG durch. Dabei werde allfälliger Handlungsbedarf eruiert.

2.4

Vernehmlassungsverfahren

Vom 16. Mai 2022 bis zum 8. September 2022 führte die Kommission eine Vernehmlassung zu ihrem Vorentwurf durch, in deren Verlauf insgesamt 36 Stellungnahmen eingereicht wurden. Inhaltlich geäussert haben sich 23 Kantone, 4 politische Parteien, 5 Dachverbände der Wirtschaft und 4 interessierte Kreise. Die Kantone Graubünden und Uri haben explizit auf eine inhaltliche Stellungnahme verzichtet. Die Vorlage stiess in der Vernehmlassung auf breite Zustimmung. Einzig die SVP lehnt die vorgeschlagene Strafbestimmung ab. Kritisch äusserten sich die Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer vereinzelt darüber, dass die parlamentarische Initiative separat und nicht im Rahmen der laufenden gesamtheitlichen Überprüfung und Anpassung des FinfraG umgesetzt wird, sowie über die Tatsache, dass auch die fahrlässige Tatbegehung unter Strafe gestellt werden soll.

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Grundzüge der Vorlage

Mit vorliegender Änderung des FinfraG wird eine neue, als Übertretung ausgestaltete Strafnorm betreffend die Verletzung der Pflicht zur Veröffentlichung eines wahren und vollständigen Angebotsprospekts oder einer wahren und vollständigen Voranmeldung geschaffen (Art. 152a VE-FinfraG). Sie ist spiegelbildlich ausgestaltet zur Strafbestimmung betreffend unwahre oder unvollständige Angaben in der Stellungnahme der Zielgesellschaft (vgl. Art. 153 FinfraG). Damit die oben erwähnte Strafbarkeitslücke geschlossen wird.

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Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 152a

Pflichtverletzungen durch den Anbieter

Die neue Strafbestimmung wird systematisch als Artikel 152a ins FinfraG aufgenommen, also zwischen der Strafbestimmung betreffend die Verletzung der Pflicht zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebots (Art. 152 FinfraG) und der Strafbestimmung betreffend die Pflichtverletzungen durch die Zielgesellschaft (Art. 153 FinfraG).

Die Strafandrohung lautet analog derjenigen im Falle von Pflichtverletzungen durch die Zielgesellschaft (Art. 153 FinfraG) bei vorsätzlicher Tatbegehung auf Busse bis zu CHF 500 000. Bei fahrlässiger Tatbegehung lautet sie auf Busse bis zu CHF 150 000.

Eine höhere Strafandrohung wäre dem Unrechtsgehalt der Tat kaum angemessen.

Strafbar sind nicht nur der Anbieter, sondern mit diesem in gemeinsamer Absprache handelnde Personen (vgl. Art. 127 Abs. 1 und 3 FinfraG). Ob ein Angebotsprospekt oder eine Voranmeldung vollständig sind, beurteilt sich im Detail nach den Ausführungsvorschriften in der UEV (vgl. Art. 17 ff. und Art. 5 ff. UEV).

Erhält die Übernahmekommission Kenntnis von Widerhandlungen gegen die neue Strafbestimmung, so hat sie unverzüglich die zuständigen Strafverfolgungsbehörden zu benachrichtigen (vgl. Art. 138 Abs. 4 FinfraG). Dies ist grundsätzlich das Eidgenössische Finanzdepartement EFD (Art. 50 Abs. 1 des Finanzmarktaufsichtsgesetzes vom 22. Juni 20074; FINMAG).

5

Auswirkungen

5.1

Auswirkungen auf den Bund oder die Kantone

Widerhandlungen gegen die neue Strafbestimmung werden ­ wie auch die meisten anderen Widerhandlungen gegen Finanzmarktgesetze ­ vom EFD zu verfolgen und zu beurteilen sein (vgl. Art. 50 Abs. 1 FINMAG). Es ist allerdings nicht davon auszugehen, dass dies Auswirkungen auf den Personalbestand des EFD haben wird. Auch andere finanzielle Auswirkungen auf den Bund sind nicht zu erwarten.

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SR 956.1

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5.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Es sind keine Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete zu erwarten.

5.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Die Vorlage betrifft alle potentiellen Anbieter in einem öffentlichen Übernahmeverfahren. Es sind keine Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft zu erwarten.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 98 Absatz 1 und 123 Absatz 1 BV5, welche dem Bund die Kompetenz geben zum Erlass von Vorschriften über das Banken- und Börsenwesen sowie im Bereich des Strafrechts.

6.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Vorlage ist mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

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SR 101

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