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zu 16.504 Parlamentarische Initiative Sicherstellung der Blutversorgung und Unentgeltlichkeit der Blutspende Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 19. August 2022 Stellungnahme des Bundesrates vom 16. Dezember 2022

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 19. August 20221 betreffend die parlamentarische Initiative 16.504 «Sicherstellung der Blutversorgung und Unentgeltlichkeit der Blutspende» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

16. Dezember 2022

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ignazio Cassis Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 16. Dezember 2016 wurde die Parlamentarische Initiative 16.504 «Sicherstellung der Blutversorgung und Unentgeltlichkeit der Blutspende» von Nationalrat Ulrich Giezendanner eingereicht. Diese verlangt eine Anpassung des Heilmittelgesetzes (HMG) vom 15. Dezember 20002, um eine hinreichende Versorgung der schweizerischen Bevölkerung mit Blut und labilen Blutprodukten sowie die Unentgeltlichkeit der Blutspende sicherzustellen. Aus Sicht des Initianten ist die Sicherstellung der Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit Blut und labilen Blutprodukten sowie die Organisation des Blutspendewesens bis heute rechtlich kaum geregelt, obwohl der Bundesrat dies bereits 1995 als landesweit gesundheitspolitische Aufgabe bezeichnet habe3. Daher seien die ständige Versorgung der Bevölkerung mit Blut und labilen Blutprodukten und die Einhaltung der hohen Sicherheitsanforderungen als öffentliche Aufgabe des Bundes gesetzlich zu verankern. Zudem bedürfe es einer rechtlichen Grundlage, um die Übertragung dieser Aufgabe an eine geeignete Organisation in Form eines Leistungsauftrags sowie eine Abgeltung der mit der Aufgabenerfüllung verbundenen Kosten zu ermöglichen. Weiter argumentierte der Initiant, dass das Unentgeltlichkeitsgebot zwar in der Bundesverfassung verankert sei (Art. 119a Abs. 3 Satz 1 Bundesverfassung, BV4), bisher jedoch die Umsetzung auf Gesetzesebene fehle. Der Initiative wurde von der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) am 25. Januar 2018 mit 16 zu 2 Stimmen bei 5 Enthaltungen Folge gegeben. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) stimmte dem Beschluss der SGK-N am 16. Oktober 2018 einstimmig zu.

Zur Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfes zog die Kommission des Erstrates (SGKN) Fachleute der Verwaltung (Bundesamt für Gesundheit BAG) für Rechts- und Sachauskünfte bei. Das BAG analysierte im Auftrag der Kommissionspräsidentin die Hauptfragen, die sich im Hinblick auf eine Regulierung stellten (Versorgungsauftrag des Bundes; Grundsätze für einen Leistungsauftrag; Unentgeltlichkeit der Blutspende), und schlug der Kommission eine alternative Regelung vor, da eine gesetzliche Verankerung eines Versorgungsauftrages des Bundes zunächst die Schaffung einer Verfassungsgrundlage benötigen würde. Entsprechend präzisierte die SGK-N am
25. Juni 2020, dass die Aufgabe der Blutversorgung eine private Aufgabe bleiben soll, aber eine rechtliche Grundlage für Finanzhilfen im Bereich des Blutspendewesens im HMG geschaffen werden soll. An der Sitzung vom 17. November 2021 ergänzte die SGK-N zudem das Diskriminierungsverbot beim Blutspenden. Am 4. Februar 2022 wurde der SGK-N der aktualisierte Vorentwurf und der erläuternde Bericht vorgelegt.

Die Kommission entschied einstimmig, das Vernehmlassungsverfahren über den Vorentwurf mit erläuterndem Bericht zu eröffnen.

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SR 812.21 BBl 1995 II 985, 995f.

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Die Vernehmlassung wurde vom 24. Februar bis 31. Mai 2022 durchgeführt. Die Vernehmlassungsteilnehmenden begrüssten grundsätzlich die Vernehmlassungsvorlage.

Basierend auf den Rückmeldungen unterbreitete das BAG der Kommission Anpassungsvorschläge zum Unentgeltlichkeitsgebot (Art. 33a) und zum Diskriminierungsverbot (Art. 36 Abs. 2bis). So wurde die Ausnahme vom Unentgeltlichkeitsgebot für seltene Blutgruppen und Notsituationen, das Abstellen auf das individuelle Risikoverhalten und die wissenschaftliche Begründetheit bei den Ausschlusskriterien ergänzt.

An der Sitzung vom 19. August 2022 beschloss die SGK-N einstimmig, die Formulierungsvorschläge der Fachleute der Verwaltung zu übernehmen, den Gesetzesentwurf mit dem Bericht ihrem Rat zu unterbreiten und den Bundesrat zur Stellungnahme einzuladen.

Der Bundesrat nimmt wie folgt Stellung.

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Allgemeine Beurteilung der parlamentarischen Initiative

Der Bundesrat anerkennt die Bedeutung der Unentgeltlichkeit der Blutspende sowie die Wichtigkeit der Vermeidung jeglicher Diskriminierung bei den Ausschlusskriterien der spendenden Personen und unterstützt eine gesetzliche Verankerung dieser Prinzipien. Der Bundesrat ist jedoch der Ansicht, dass die Finanzierung des schweizerischen Blutspendewesens auch in Zukunft durch den kostendeckenden Verkauf der aus den unentgeltlichen Blutspenden hergestellten Produkte zu erfolgen hat. Er lehnt daher eine gesetzliche Bestimmung für Finanzhilfen ab.

2.2

Unentgeltlichkeit der Blutspende (Art. 33a; Art. 35 Abs. 1bis; Art. 86 Abs. 1. Bst. c)

Der Bundesrat begrüsst die gesetzliche Verankerung der Unentgeltlichkeit der Blutspende.

Auch wenn das Unentgeltlichkeitsgebot gemäss dem Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin vom 4. April 19975 und der BV direkt anwendbar ist, fehlt es im Blutspendebereich an den entsprechenden verwaltungs- und strafrechtlichen Instrumenten, um dem Gebot Wirksamkeit zu verschaffen. Deshalb ist die Unentgeltlichkeit der Blutspende, entsprechend der Spende von menschlichen Organen, Geweben oder Zellen gemäss dem Transplantationsgesetz vom 8. Oktober 20046, gesetzlich zu verankern und mit einer Strafnorm zu bewehren.

Artikel 35 Absatz 2 zweiter Satz (Ausnahme vom Unentgeltlichkeitsgebot) steht im Widerspruch zur Bundesverfassung, da Artikel 119a Absatz 3 BV keine Ausnahmen vom Prinzip der Unentgeltlichkeit vorsieht. Da die Blutprodukte aus dem Ausland für 5 6

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Patientinnen und Patienten mit sehr seltenen Blutgruppen nicht von kommerziellen Spendern stammen, ist jedoch in der Praxis für diese Art von Einfuhr auch keine spezifische Ausnahme vom Unentgeltlichkeitsgebot nötig. Auch für aussergewöhnliche Situationen (etwa Kriegen oder Epidemien) ist nach Ansicht des Bundesrates eine Ausnahme vom Unentgeltlichkeitsgebot nicht gerechtfertigt, da die Blutversorgung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in einem solchen Fall durch das Inland gedeckt werden kann. Artikel 35 Absatz 2 zweiter Satz ist deshalb zu streichen.

2.3

Diskriminierung (Art. 36 Abs. 2bis)

Der Bundesrat begrüsst die von der Kommission vorgeschlagene Ergänzung des HMG, wonach die Ausschlusskriterien vom Blutspenden niemanden diskriminieren dürfen. Beim zweiten Satz des vorgeschlagenen Artikels 36 Absatz 2bis «Sie stellen auf das individuelle Risikoverhalten der spendewilligen Personen ab und müssen wissenschaftlich begründet sein» wird jedoch eine Ergänzung vorgeschlagen, denn die Spendetauglichkeit hängt von mehreren Faktoren ab ­ z.B. Alter, Gewicht, Intervall zwischen den Spenden, Blutdruck, Kreislaufstörungen, Schwangerschaft sowie Risikoverhalten der spendewilligen Personen. Der von der Kommission vorgeschlagene Satz bezieht sich lediglich auf Konstellationen, in denen das Risikoverhalten die Spendentauglichkeit beeinträchtigen und gegebenenfalls zum Ausschluss vom Blutspenden führen kann. Nach Ansicht des Bundesrates sollte dieser Bezug zum Risikoverhalten in der erwähnten Bestimmung präzisiert werden. (vgl. Ziffer 3). Damit wird klargestellt, dass die Kriterien des individuellen Verhaltens und der wissenschaftlichen Begründetheit dann zur Anwendung kommen, wenn die Ausschlusskriterien am Risikoverhalten der spendewilligen Personen anknüpfen.

2.4

Finanzhilfe (Art. 41a; Art. 82 Abs. 1 dritter Satz)

Der Bundesrat ist der Meinung, dass es sich bei der Versorgung der Schweiz mit Blut und labilen Blutprodukten primär um eine private Aufgabe handelt, welche vom Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) in seiner Sonderstellung wahrgenommen wird7.

Damit einhergehend folgt eine Eigenfinanzierung durch den Verkauf von Produkten und Dienstleistungen. Der Bundesrat lehnt daher die Verankerung von Finanzhilfen als flankierende Massnahme zur Sicherstellung des sicheren Umgangs mit Blut und Blutprodukten im HMG ab. Sämtliche Aufgaben des schweizerischen Blutspendewesens sollen auch in Zukunft privat finanziert werden. Hinzu kommt, dass grundsätzlich die Kantone für die Gesundheitsversorgung zuständig sind und eine Finanzhilfe des Bundes im Vergleich zum Nutzen mit hohen Umsetzungskosten verbunden ist (Bagatell-Subvention). Demnach beantragt der Bundesrat, die Artikel 41a und Artikel 82 Absatz 1 dritter Satz zu streichen.

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Anträge des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt, auf die Vorlage einzutreten und unterstützt sie unter Vorbehalt des nachfolgenden Änderungsantrags.

Er stellt folgenden Änderungsantrag zum Entwurf des HMG: Art. 35 Abs. 2 zweiter Satz Streichen Art. 36 Abs. 2bis zweiter Satz ... Soweit sie am Risikoverhalten der spendewilligen Personen anknüpfen, stellen sie auf das individuelle Verhalten ab und müssen wissenschaftlich begründet sein.

2bis

Art. 41a Streichen Art. 82 Abs. 1 dritter Satz Streichen Weiter beantragt der Bundesrat, den Kommissionsbericht im Sinne der Stellungnahme des Bundesrates (Ziff. 2.2, 2.3, 2.4 vorstehend) zu ergänzen.

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