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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung in Sachen des Rekurses der Regierung des Kantons Tessin gegen den Bundesrathsbeschluss vom 11. Februar 1874, betreffend kantonale Konsumosteuer auf eingeführten Eisenbahnmaterialien.

(Vom 17. Juni 1874.)

Tit. !

Der Staatsrath des Kantons Tessin hat im Auftrage des Großen Rathes dieses Kantons Rekurs ergriffen gegen einen Beschluß des Bundesrathes vom 11. Februar 1874, wonach dem Kanton Tessin untersagt worden war, auf den von der Gotthardbaugesellschaft eingeführten Baumaterialien die kantonale Konsumosteuer zu erheben.

Die Beschwerdeschrift führt aus, daß in rechtlicher Beziehung die Konzessionen der Gotthardbahn und der tessinischen Thalbahnen eine Befreiung der vom Ausland eingeführten Baumaterialien von der kantonalen Konsumosteuer nicht aussprechen, und daß in formeller Beziehung der Bundesrath zu seiner vorerwähnten Schlußnahme nicht kompetent gewesen sei.

Bundesblatt Jahrg. XXVI. Bd. II.

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Was nun die rechtliche Seite der Sache betrifft, so wird zur Rechtfertigung des bundesräthlichen Standpunktes Folgendes angebracht : Nach Art. 24 der Bundesverfassung von 1848 stand dem Bunde das Recht zu, die von der Tagsazung den Kantonen etc. bewilligten Zölle gegen Entschädigung ganz oder theilweise aufzuheben.

Im Zollablösungsvertrag mit Tessin vom 3. Juli 1849 wurde in Ausführung obiger Verfassungsbestimmung dem Kanton Tessin der Fortbezug einer Reihe von Eingangszöllen für im Kanton konsumirte Waaren zugesichert, welche die Tagsazung unterm 3. August 1843 bewilligt hatte.

Durch Supplementsvertrag vom 21. Dezember 1850 wurden die 20 Kategorien, auf welche eine kantonale Konsumosteuer ,,droits de consommation" erhoben werden durfte, auf 7 beschränkt, darunter befinden sich: ,,Pierres, Minéraux, Fossiles, Terres et ouvrages de terre."

,,Bois, bois de construction et bois d'ouvrage."

Dièse droits de consommation werden an der Grenze erhoben, wie die cidg. Zölle, und zwar durch die eid'g. Zollbeamten für Rechnung des Kautons Tessin. Dieser hat damit in ganz ausnahmsweiser Stellung gegenüber andern Ohmgeldkantonen nicht nur auf geistigen Getränken, sondern auch auf andern Einfuhrartikeln seine kantonalen Zölle theilweise beibehalten.

Diese kantonalen Zölle waren nun und sind nach der Auffassung des Bundesrathes nichts anderes als eine indirekte Steuer, wie dies die eidg. Zölle ebenfalls sind.

Nun aber entheben die Konzessionen für die tessinischen Bahnen die aus dem Auslande eingeführten Baumaterialien jeder kantonalen Steuer, und zwar durch folgende Bestimmungen: Das Pflichtenheft für die Konzession einer Eisenbahn von Chiasso nach Lugano, sowie Locarno-Bellinzona-Biasca vom 16. Mai 1868 lautet im Artikel 7: ,,Die Einfuhr (auf Kantonsgebiet) aller für den Bau und Be,,trieb der Eisenbahn und der Dependenzen erforderlichen Materia,,lien und Gegenstände wird für die ganze Konzessionsdauer von ,,jeder kantonalen Abgabe befreit. a Die Konzession an das Gotthardkomite für den Bau einer Eisenbahn von Biasca bis an die Grenze Tessins gegen Uri und von Lugano bis Bellinzona vom 15. Mai 1869 lautet im Art. 7:

309 ,,Die Eisenbahn ist von jeder kantonalen und komunalen Steuer ,,enthoben. Diese Bestimmung findet jedoch keine Ausdehnung auf ,,Gebäude oder Grundstüke, welche allfällig Eigenthum der Gesell,,schaft sind, aber dabei in keiner nothwendigen Beziehung oder ,,Zusammengehörigkeit zur Eisenbahn stehen etc.a Wenn auch in der Konzession vom 16. Mai 1868 von ,,kantonalen Abgaben'1, in derjenigen vom 15. Mai 1869 von kantonaler Steuer die Rede ist, so ist nach dem Dafürhalten des Bundesrathes unter j e d e r dieser beiden Beziehungen auch der kantonale Zoll verstanden, welchen der Kanton Tessin nach obigen Auseinandersezungen fortbezieht.

Wollte indessen gegen Erwarten der Ausdruk ,,kantonaleSteuer a in der Konzession von 1869 nicht auf die kantonale Konsumosteuer bezogen werden, so bliebe die Bestimmung ,,kantonale Abgaben11 immerhin für die im Jahr 1868 konzedirten Linien in Kraft.

Mehr als auf die materielle Seite der Frage stellt indessen die Rekursschrift der Regierung des Kantons Tessin auf die Kompetenzfrage ab, indem sie den Entscheid dieser Frage nicht dem Bundesrathe, sondern einem Schiedsgerichte überweisen will. Sie beruft sich dabei auf die Artikel 27 und 28 der mehrerwähnten Konzession für die Gotthardbahu auf Tessinergebiet vom 15. Mai 1869, welche folgendermaßen lauten: ,,Art. 27. Außer den im Art. 26 angegebenen Fällen, *) sind ,,alle privatrechtlichen Anstände, welche bei der Ausführung des ,,gegenwärtigen Konzcssionsaktes entstehen möchten, vor ein Schiedsgericht zu bringen.a ,,Art. 28. Alle Streitigkeiten, welche sich zwischen dem Staate ,,Tessin und der Gesellschaft erheben sollten, sind durch eiu Schiedsgericht auszutragen etc."

Nach dem Dafürhalten des Bundesraths handelt es sich in vorliegender Angelegenheit nicht um einen Anstand privatrechtlicher Natur, um eine Streitigkeit zwischen Kanton und Gesellschaft, sondern es handelt sich darum, ob dem Bundesrathe ein Aufsichtsrecht und in welchem Umfange über den Bezug der fraglichen kantonalen Konsumosteuorn zustehe.

Ohne Zweifel ist ein solches Aufsichtsrecht durch Verfassung und Geseze wohl begründet.

*) Den Eükkauf betreffend.

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Die Bundesverfassung von 1848, unter deren Herrschaft der gegenwärtige Konflikt entstand, bezeichnete in Littera e des Artikels 29 als Ausnahmen vom freien Verkehr.

,,Die von der Tagsazung bewilligten oder anerkannten Gebüh,,ren, welche der, Bund nicht aufgehoben hat,"und im Art. 31 bestimmte die Verfassung : ,,Der B e z u g der im Art. 29, Litt, e b e z e i c h n e t e n -,,Gebühren steht unter der Aufsicht des Bundes" a the s."

Die neue Bundesverfassung erklärt im Art. 28 das Zollwesen als Sache des Bundes und erwähnt im Uebrigen der hier in Frage stehenden kantonalen Zölle im Art. 31 als einer Ausnahme von der Freiheit des Handels und der Gewerbe und im lezten Alinea des Artikels 32"mit den Worten: ,,e. Die Geseze und Verordnungen der Kantone über den Be-,,zug der Eingangsgebühren sind der Bundesbehörde vor Vollziehung ,,derselben zur Gutheißung vorzulegen, damit die Nichtbeachtung .,,vorstehender. Grundsäze verhindert werden kann.

,,Mit Ablauf des Jahres sollen alle Eingangsgebühren, welche .,,dermalen von den Kantonen erhoben werden, sowie ähnliche von ,,einzelnen Gemeinden bezogene Gebühren ohne Entschädigung ,,dahinfallen."

Damit ist wohl auch das Aufsichtsrecht des Bundes über die kantonalen Zölle durch die neue Bundesverfassung ausgesprochen, und es bleibt deßhalb auch das Bundesgesez vom 28. Juli 1873 (XI, 256) in Kraft, welches vom Geschäftsgange des Bundesrathes handelt und welches'im Art. 31" in die Kompetenz des Bundesrathes, resp. in die Vorberathung des Finanz- und Zolldepartements verweist : ,, 2 ) U e b e r w a c h u n g d e r d e n "K a n t o n e n z u m F o r t b e überladenen Gebühren.

,,3) B e a u f s i c h t i g u n g des B e z u g e s der den K a n t o n e n bewilligten V e r b r a u chs s t e u e r n."

Zu dieser Ueberwachung der den Kantonen zum Fortbezug überlassenen Gebühren gehört nun offenbar nicht nur eine Aufsicht 'darüber, daß nicht höhere Gebühren als die vom Bunde bewilligten bezogen werden, sondern auch darüber, daß diese Gebühren von Niemandem bezogen werden, der nicht zur Entrichtung von solchen durch Verfassung und Geseze verpflichtet ist.

zug

311 Im vorliegenden Falle ist es ein vom eidgenössischen Gesezgeber und dadurch selbst zum eidg. Geseze erhobener Akt, die Gotthardkonzession, welcher die Befreiung des Unternehmens von kantonalen Steuern und damit gewiß auch der kantonalen Konsumosteuern ausspricht. Es läge eine Verlezung dieses Aktes der Bundesgesezgebung vor, würde der in Frage stehende kantonale Zoll bezogen, und darin gerade liegt nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht des Bundesrathes zum Einschreiten begründet.

Die dem Bundesrathe durch Verfassung und Gesez überbundene Ueberwachung muß eine um so ängstlichere sein, als der beanstandete kantonale Grenzzoll eine Ausnahme vom freien Handel und Verkehr ist und in unsern Institutionen ganz vereinzelt dasteht.

Es wird, gestüzt auf das Angebrachte, Abweisung des Rekurses' beantragt.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 17. Juni 1874.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Konzession einer Eisenbahn von Lugano nach Fornasette.

(Vom 22. Juni 1874.)

Mit Botschaft vom 28. November v. J. haben wir Ihnen den Antrag gestellt und begründet, für eine Eisenbahn von Menaggio über Lugano nach Luino, soweit sie Schweizergebiet berührt, die Konzession sowohl einem bezüglichen Initiativkomite als dem Herrn Clément Marami., Ingenieur in Lugano, zu ertheilen.

O i Sie haben die Vorlage an uns zurükgewiesen, um im Sinne des Berichtes der ständeräthlichen Kommission entweder auf dem Wege der Verständigung zwischen den Rivalen den Erfolg zu erzielen, daß nur ein Konzessionsgesuch vorliege oder Anhaltspunkte für die Lösung der Frage zu bieten, welcher der beiden Bewerber die bessern Garantien für die Realisirung des Projektes biete.

Das mit der Vorbehandlung der Angelegenheit beauftragte Eisenbahn- und Handelsdepartement gab den Bewerbern ohne Säumen Kenntniß von Ihrem Beschlüsse, lud sie in erster Linie ein, eine Verständigung unter einander zu versuchen, und bezeichnete ihnen in zweiter Linie diejenigen Ausweise, durch deren Leistung

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung in Sachen des Rekurses der Regierung des Kantons Tessin gegen den Bundesrathsbeschluss vom 11. Februar 1874, betreffend kantonale Konsumosteuer auf eingeführten Eisenbahnmaterialien. (Vom 17. J...

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27.06.1874

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