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23.008 Botschaft zur Genehmigung des Abkommens zwischen dem Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz der Bundesrepublik Deutschland über Zusammenarbeit und Koordinierung der Wettbewerbsbehörden vom 11. Januar 2023

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung des Abkommens zwischen dem Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz der Bundesrepublik Deutschland über Zusammenarbeit und Koordinierung der Wettbewerbsbehörden.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

11. Januar 2023

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2023-0098

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Übersicht Mit dem Abkommen zwischen dem Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz der Bundesrepublik Deutschland über Zusammenarbeit und Koordinierung der Wettbewerbsbehörden soll die Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden der beiden Vertragsparteien gestärkt werden. Das Abkommen wurde am 1. November 2022 unterzeichnet.

Ausgangslage Angesichts der starken Verflechtung zwischen den Volkswirtschaften der Schweiz und Deutschlands ist die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden von besonderem Interesse für die Schweiz, dies umso mehr, als unser Land nicht über dieselben Möglichkeiten der Zusammenarbeit verfügt wie die EUMitgliedstaaten unter sich. Da der Wettbewerb ein wichtiges Instrument zur Vermeidung überhöhter Preise ist, trägt das zur Genehmigung beantragte Abkommen auch zur Bekämpfung der «Hochpreisinsel Schweiz» bei, die unter anderem auf grenzüberschreitende wettbewerbswidrige Verhaltensweisen zurückzuführen ist.

Das Abkommen orientiert sich inhaltlich eng am Abkommen vom 17. Mai 2013 zwischen der Schweiz und der EU über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts (Wettbewerbsabkommen Schweiz­EU). Dieses hat sich in der Praxis bewährt.

Das Abkommen wird in beiden Ländern zu einem besseren Schutz des Wettbewerbs beitragen. Dies liegt im Interesse beider Vertragsparteien. Die Verfahrensführung wird wirksamer, und Inkohärenzen können vermieden werden, wenn gleiche oder miteinander zusammenhängende Sachverhalte betroffen sind. In der Vergangenheit waren die Wettbewerbsbehörden der Schweiz und Deutschlands wiederholt mit grenzüberschreitenden Verhaltensweisen konfrontiert, bei denen eine formelle Zusammenarbeit die Untersuchungen wirksamer gemacht hätte.

Inhalt der Vorlage Mit dem Abkommen soll eine engere Zusammenarbeit zwischen der Eidgenössischen Wettbewerbskommission (WEKO) und dem deutschen Bundeskartellamt ermöglicht werden. Das Abkommen bietet den Behörden die Möglichkeit, sich ihre Vollzugsmassnahmen gegenseitig mitzuteilen, diese zu koordinieren und Informationen auszutauschen. Die Behörde einer Vertragspartei ist aber auf keinen Fall verpflichtet, eine Massnahme (z. B. eine Durchsuchung) auf Ersuchen der Behörde der anderen Vertragspartei
durchzuführen.

Kern des Abkommens sind der Austausch, die Erörterung und die Übermittlung von Informationen. Unter strikten Bedingungen soll auch der Austausch vertraulicher Informationen möglich sein, welche für die Durchführung von Untersuchungen benötigt werden. Vertrauliche Informationen sollen aber, wie im Wettbewerbsabkommen Schweiz­EU, nur dann ausgetauscht werden dürfen, wenn die Behörden der beiden Vertragsparteien dieselben oder miteinander verbundene Fälle untersuchen. Diese

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enge Zusammenarbeit wird dadurch ermöglicht, dass die Wettbewerbsgesetzgebungen der beiden Vertragsparteien inhaltlich sehr ähnlich sind.

Das Abkommen ermöglicht einen besseren Zugang zu Beweismitteln, sorgt jedoch weiterhin für die erforderlichen Garantien, insbesondere betreffend Vertraulichkeit, Spezialitätsprinzip sowie Rechte der Verfahrensparteien und freies Ermessen der ersuchten Behörde, auf ein Ersuchen der anderen Vertragspartei einzutreten oder nicht. Die übermittelten Informationen dürfen nicht für die Verhängung von Sanktionen gegen natürliche Personen oder für Straf- oder Zivilverfahren verwendet werden.

Deutschland ist als EU-Mitgliedstaat in das Europäische Wettbewerbsnetz (European Competition Network, ECN) eingebunden, in dessen Rahmen gewisse Informationen über wettbewerbsrechtliche Fälle mit grenzüberschreitender Relevanz mit anderen Mitgliedstaaten und der EU-Kommission geteilt werden. Angesichts dessen, dass bereits ein Wettbewerbsabkommen zwischen der Schweiz und der EU besteht, enthält das Abkommen eine Regelung, wonach Deutschland im Rahmen des ECN unter dem Abkommen übermittelte Informationen ausschliesslich an die EU-Kommission weiterleiten darf, sofern die Interessen der EU einschliesslich ihrer Mitgliedstaaten berührt sind und die WEKO darüber informiert wird. An die EU-Mitgliedstaaten dürfen die Informationen hingegen nur ausnahmsweise und mit der Zustimmung der WEKO übermittelt werden.

Schliesslich enthält das Abkommen Bestimmungen zur Zustellung hoheitlicher Akte und sonstiger Schreiben an Unternehmen der anderen Partei.

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

Angesichts der starken Verflechtung zwischen den Volkswirtschaften der Schweiz und Deutschlands stossen die Wettbewerbsbehörden beim Vollzug der Wettbewerbsgesetzgebung auf Schwierigkeiten, da ihr Handlungsspielraum juristisch grundsätzlich auf das nationale Hoheitsgebiet beschränkt ist. Auf internationaler Ebene ist heute weitgehend anerkannt, dass eine wirksame Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden vorteilhaft ist.

Die Zusammenarbeit mit der EU-Kommission im Wettbewerbsbereich ist im Abkommen vom 17. Mai 20131 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts (Wettbewerbsabkommen Schweiz­EU) geregelt. Das Wettbewerbsabkommen Schweiz­EU regelt die Zusammenarbeit zwischen der Schweizer Wettbewerbsbehörden (Wettbewerbskommission, WEKO, und ihr Sekretariat) und der EUKommission. Dieses hat sich in der Praxis bewährt. Die Zusammenarbeit mit den Wettbewerbsbehörden der EU-Mitgliedstaaten, wie beispielweise dem deutschen Bundeskartellamt (BKartA) wird davon aber nicht erfasst. Die EU-Mitgliedstaaten sind je nach Sachlage für die Ahndung wettbewerbsbeschränkender Praktiken, die sich auf ihrem Territorium auswirken, zuständig. Deshalb ist es wichtig, diese Lücke zu schliessen.

Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Schweiz. Aufgrund der grossen Preisunterschiede besteht ein starker Anreiz zur Marktaufteilung zwischen der Schweiz und Deutschland. Gerade im Bereich des grenzüberschreitenden OnlineHandels ist mit einer zunehmenden Zahl paralleler Verfahren der Wettbewerbsbehörden beider Länder zu rechnen.

Die Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden der Schweiz und Deutschlands erfolgte bislang vorwiegend informell, entweder bilateral oder im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und des internationalen Wettbewerbsnetzwerks (International Competition Network, ICN).

Diese Zusammenarbeit ist begrenzt, namentlich, weil der Austausch von Informationen, die eine Behörde im Verlauf eines Verfahrens erlangt hat, nicht zulässig ist. Solche Informationen sind im schweizerischen Recht wie im deutschen Recht durch Bestimmungen zum Amts- und zum Geschäftsgeheimnis geschützt.

Ausserdem sind die Schweizer Wettbewerbsbehörden heute im Vergleich zu den
Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten der EU benachteiligt, die im Rahmen des ECN vertrauliche Informationen untereinander und mit der EU-Kommission austauschen können. Diese Situation beeinträchtigt den wirksamen Vollzug der schweizerischen Wettbewerbsgesetzgebung im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen, indem der Zugang zu Beweismitteln ausserhalb 1

SR 0.251.268.1

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des Hoheitsgebiets der Schweiz erschwert wird. Sie führt auch zu Doppelspurigkeiten sowie zu einem Mangel an Kohärenz bei Entscheiden zu den gleichen Sachverhalten.

In den letzten Jahren waren die Schweizer Wettbewerbsbehörden mit mehreren Fällen grenzüberschreitender Kartelle konfrontiert, bei denen eine Zusammenarbeit im Sinne des Abkommens wirksameres Vorgehen ermöglicht hätte.

Die laufende technische Teilrevision des Schweizer Kartellgesetzes (Kartellgesetz vom 6. Oktober 19952, KG), namentlich die Revision und Angleichung der Zusammenschlusskontrolle, sowie die Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht auf den 1. Januar 2022 (Änderung vom 19. März 20213 des KG) dürften die Bedeutung eines Wettbewerbsabkommens zwischen der Schweiz und Deutschland im Interesse der Schweizer Unternehmen sowie der Konsumentinnen und Konsumenten noch zusätzlich erhöhen, insbesondere bei der grenzüberschreitenden Zustellung hoheitlicher Akte und anderer Schriftsätze.

1.2

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu nationalen Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 29. Januar 20204 zur Legislaturplanung 2019­2023 noch im Bundesbeschluss vom 21. September 20205 über die Legislaturplanung 2019­2023 angekündigt. Das vorliegende Kooperationsabkommen mit Deutschland wird zur Förderung des Wettbewerbs und effizienteren Verfahren zugunsten der Schweizer Konsumenten und Unternehmen beitragen.

Indem das Abkommen die Anwendung der Wettbewerbsgesetzgebung wirksamer macht, fördert es die Ziele der Wettbewerbs- und Wachstumspolitik der Schweiz. Das Abkommen trägt insofern zu stabilen sowie innovationsfördernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei (vgl. Ziel 3 der Legislaturplanung 2019­20236).

Eine wettbewerbsorientierte Wirtschaftspolitik ist eine wichtige Voraussetzung, um den schweizerischen Wirtschaftsstandort im internationalen Umfeld zu stärken. Insofern trägt das Abkommen auch zur Erreichung von Zielen der Schweiz im Rahmen ihrer Aussenwirtschaftsstrategie bei.

2 3 4 5 6

SR 251 AS 2021 576 BBl 2020 1777 BBl 2020 8385 BBl 2020 8385 S. 8386

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Vorverfahren

2.1

Verlauf der Verhandlungen

In seiner Botschaft zum Wettbewerbsabkommen Schweiz­EU7 hat der Bundesrat die Möglichkeit erwähnt, ähnliche Abkommen mit EU-Mitgliedstaaten zu schliessen.

Von März 2016 bis Oktober 2017 führte das Staatsekretariat für Wirtschaft (SECO) im Beisein des Sekretariats der WEKO exploratorische Gespräche mit dem deutschen Wirtschaftsministerium im Beisein des BKartA. Im November 2017 erteilte der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) dem SECO das Mandat, ein Abkommen mit Deutschland auszuhandeln. Im Dezember 2017 wurden der Bundesrat und im Januar 2018 in Übereinstimmung mit Artikel 152 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20028 die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats und jene des Ständerats über dieses Vorhaben informiert.

Der Bundesrat genehmigte das Abkommen am 22. Juni 2022. Die Staatssekretärin für Wirtschaft Budliger Artieda und von Seiten Deutschlands der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz Giegold unterzeichneten das Abkommen am 1. November 2022 in Berlin.

2.2

Vernehmlassungsverfahren

Für völkerrechtliche Verträge, die nach Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b oder 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 der Bundesverfassung (BV)9 dem Referendum unterliegen oder wesentliche Interessen der Kantone betreffen, ist nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 200510 (VlG) ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen. Darauf kann nach Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b VlG verzichtet werden, wenn keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, weil die Positionen der interessierten Kreise bekannt sind.

Die interessierten Kreise hatten Gelegenheit, sich vor Beginn der Verhandlungen 2017 und vor der erfolgten Paraphierung (2021) zum Vorhaben bzw. zum Abkommensentwurf zu äussern. Es gab keine Einwände. Die ausserparlamentarische Kommission für Wirtschaftspolitik, die sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der Zivilgesellschaft und akademischer Kreise zusammensetzt, wurde im November 2021 schriftlich und mit zusätzlichen Erläuterungen des SECO an ihrer Sitzung im Februar 2022 zum Abkommensentwurf konsultiert. Die Kommission erhob ebenfalls keine Einwände. Schliesslich wurden die Aussenpolitischen Kommissionen von National- und Ständerat vom Vorsteher des WBF 2018 über das Verhandlungsmandat und im Juni 2021 über den Stand der Ver7

8 9 10

Botschaft vom 22. Mai 2013 zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Union über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts, BBl 2013 3959.

SR 171.10 SR 101 SR 172.061

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handlungen informiert. Auch von Seiten der beiden aussenpolitischen Kommissionen gab es keine Einwände. Die Kantone, vertreten durch die Konferenz der Kantonsregierungen, verzichteten auf eine Stellungnahme.

Vor diesem Hintergrund wären mit der Durchführung einer Vernehmlassung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten gewesen. Im Ergebnis wurde gestützt auf Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b VlG auf die Durchführung einer Vernehmlassung verzichtet.

3

Grundzüge des Abkommens

Der Abkommenstext entspricht inhaltlich in weiten Teilen dem Wettbewerbsabkommen mit der EU. Die wenigen Abweichungen des Vertragsentwurfs vom Modell des Wettbewerbsabkommens Schweiz­EU sind mehrheitlich auf Unterschiede zwischen dem Wettbewerbsrecht der EU und Deutschlands und entsprechende Begriffsbestimmungen oder Anpassungen redaktioneller Natur zurückzuführen.

Der Vertragsentwurf zielt darauf ab, auf grenzüberschreitende wettbewerbswidrige Verhaltensweisen wirksam reagieren zu können. Wie das Abkommen mit der EU verlangt der Vertragsentwurf aber keine materielle Harmonisierung des Rechts. Die Vertragsparteien wenden weiterhin ihre nationalen Gesetzgebungen an. Das Abkommen ist rein verfahrensrechtlicher Natur: Es handelt sich um ein Amtshilfeabkommen.

Die Zusammenarbeit betrifft die Untersuchungen und die Verfahren im Bereich der Abreden, der Missbräuche marktbeherrschender Stellungen und der Unternehmenszusammenschlüsse. Die Zusammenarbeit wird durch die Wettbewerbsbehörden der Vertragsparteien durchgeführt, d. h. die WEKO und ihr Sekretariat für die Schweiz und das BKartA auf Seiten Deutschlands.

Das Abkommen regelt die Notifikationen zwischen den Wettbewerbsbehörden, die Koordinierung der wettbewerbsrechtlichen Durchsetzungsmassnahmen, das Negative Comity (Vermeidung von Konflikten bei der Umsetzung des Wettbewerbsrechts) und das Positive Comity (Möglichkeit, die Wettbewerbsbehörde der anderen Vertragspartei zu bitten, in einem konkreten Fall gewisse Massnahmen zu treffen). In diesen Bereichen geht der Text des Abkommens weitgehend auf die Empfehlung des OECDRates vom 16. September 2014 über die internationale Zusammenarbeit bei wettbewerbsrechtlichen Ermittlungen und Verfahren (OECD-Empfehlung von 2014)11 zurück sowie auf die Bestimmungen, welche die Schweiz und die EU in ihrem Wettbewerbskooperationsabkommen und ihren jeweiligen Abkommen mit Japan vereinbart haben12.

Wie das Wettbewerbsabkommen Schweiz­EU geht das vorliegende Abkommen über die oben erwähnten Instrumente hinaus, indem unter strikten Bedingungen auch der Austausch vertraulicher Informationen, welche für die Durchführung von Untersuchungen benötigt werden, ermöglicht wird. Dies aber nur unter der Voraussetzung, dass die Behörden der beiden Vertragsparteien dieselben oder miteinander verbun11 12

Abrufbar unter: https:// legalinstruments.oecd.org Für die Schweiz sind diese Bestimmungen Teil des Umsetzungsabkommens zum Abkommen vom 19. Februar 2009 über Freihandel und wirtschaftliche Partnerschaft mit Japan, das am 1. September 2009 in Kraft getreten ist (SR 0.946.294.632).

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dene Fälle untersuchen und die in den beiden Ländern geltenden Verfahrensgarantien gewährleistet sind. Die enge Zusammenarbeit der Wettbewerbsbehörden wird dadurch ermöglicht, dass die Wettbewerbsgesetzgebungen der beiden Vertragsparteien inhaltlich sehr ähnlich sind. Die ersuchte Vertragspartei hat im Übrigen freies Ermessen, ob sie auf ein Ersuchen der anderen Vertragspartei eintreten will oder nicht.

Übermittelte Informationen dürfen ausschliesslich durch die zuständige Behörde in einem bestimmten wettbewerbsrechtlichen Verfahren verwendet werden.

In Deutschland werden Verstösse gegen das Kartellrecht im Gegensatz zum Schweizer Kartellrecht (und auch jenem der EU) regelmässig auch strafrechtlich verfolgt.

Ausserdem kommt es häufiger zu kartellrechtlichen Zivilprozessen als in der Schweiz.

Allerdings dürfen die übermittelten Informationen im Einklang mit Artikel 42b Absatz 2 Buchstabe d KG nicht für die Verhängung von Sanktionen gegen natürliche Personen oder für Straf- oder Zivilverfahren verwendet werden.

Deutschland ist als EU-Mitgliedstaat in das ECN eingebunden, in dessen Rahmen gewisse Informationen über wettbewerbsrechtliche Fälle mit grenzüberschreitender Relevanz mit anderen Mitgliedstaaten und der EU-Kommission geteilt werden.

Angesichts dessen, dass bereits ein Wettbewerbsabkommen zwischen der Schweiz und der EU besteht, enthält das Abkommen eine Regelung, wonach Deutschland im Rahmen des ECN unter dem Abkommen übermittelte Informationen an die EUKommission weiterleiten darf, sofern die Interessen der EU einschliesslich ihrer Mitgliedstaaten berührt sind und die WEKO darüber informiert wird. Demgegenüber ist eine Übermittlung solcher Informationen an andere EU-Mitgliedstaaten nur ausnahmsweise mit der ausdrücklichen Zustimmung der WEKO erlaubt.

Schliesslich enthält das Abkommen Bestimmungen zur Zustellung hoheitlicher Akte und sonstiger Schreiben an Unternehmen der anderen Partei. Diese entsprechen inhaltlich weitgehend dem Notenaustausch zwischen der Schweiz und der EU, der in Ergänzung zum Wettbewerbsabkommen Schweiz­EU vereinbart wurde.13 Davon abweichend können unter dem vorliegenden Abkommen auf Wunsch der Schweiz auch Schriftsätze, die nicht eindeutig hoheitliche Akte sind (z. B. Eröffnungsschreiben), über die andere Wettbewerbsbehörde an Unternehmen in deren Territorium zugestellt werden.

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Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Abkommens

Präambel Die Präambel des Abkommens weist darauf hin, dass die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen zur Verbesserung und zum Ausbau der Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland beitragen soll und die wirksame Durchsetzung des Wettbewerbsrechts letztlich für den wirtschaftlichen Wohlstand ihrer Verbraucher und den Handel miteinander von Bedeutung ist. Weiter 13

Notenaustausch vom 17. Mai 2013 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Europäischen Kommission zur Notifikation hoheitlicher Akte im Bereich der Wettbewerbspolitik (SR 0.251.268.11).

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hält die Präambel fest, dass die Wettbewerbssysteme Deutschlands und der Schweiz vergleichbar sind. Dies bedeutet in der Praxis, dass unter beiden Gesetzgebungen grundsätzlich dieselben Handlungsweisen als unzulässig erachtet werden. Die Behörden der Vertragsparteien haben ähnliche Untersuchungsinstrumente zur Verfügung, und die Verfahrensparteien haben vergleichbare Verteidigungsrechte. Diese Ähnlichkeit der Rechtssysteme der Vertragsparteien ist eine notwendige Voraussetzung für eine enge und effektive Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden. Die Präambel verweist schliesslich auch auf die Empfehlung der OECD von 2014, die auf internationaler Ebene einen wichtigen Standard für die Zusammenarbeit im Wettbewerbsbereich darstellt.

Art. 1

Zweck und Geltungsbereich

Das Abkommen soll durch Zusammenarbeit und Koordinierung, einschliesslich des Informationsaustauschs, zwischen den Wettbewerbsbehörden beider Vertragsparteien zur wirksamen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts der Vertragsparteien beitragen und die Möglichkeit von Konflikten zwischen den Vertragsparteien in allen Angelegenheiten, die die Anwendung ihres Wettbewerbsrechts betreffen, ausschliessen oder verringern. Demgegenüber wird die Zusammenarbeit von Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden oder Gerichten in strafrechtlichen Belangen explizit ausgeschlossen.

Art. 2

Verhältnis zu anderen Übereinkommen

Die Vertragsparteien bekräftigen ihre Rechte und Pflichten, die sich aus anderen internationalen Übereinkommen ergeben, insbesondere im Fall der Schweiz aus dem Wettbewerbsabkommen Schweiz­EU. Ebenso wird klargestellt, dass sich die Zusammenarbeit der Vertragsparteien zur Umsetzung gemeinstrafrechtlicher oder sonstiger Strafnormen nach dem Europäischen Übereinkommen vom 20. April 195914 über die Rechtshilfe in Strafsachen und dem Vertrag vom 13. November 196915 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung richtet.

Art. 3

Begriffsbestimmungen

Artikel 3 enthält die wesentlichen Begriffsbestimmungen für das Abkommen. Als Wettbewerbsbehörden (Ziff. 1) werden für die Schweiz die WEKO einschliesslich ihres Sekretariats und für Deutschland das BKartA bezeichnet. Sodann wird das Wettbewerbsrecht definiert, und zwar als die jeweiligen Regeln der Vertragsparteien betreffend unzulässige Abreden, Missbräuche einer marktbeherrschenden Stellung und Unternehmenszusammenschlüsse sowie die diesbezüglichen Änderungen (Ziff. 2).

Für die Schweiz handelt es sich dabei um das Kartellgesetz und die dazu erlassenen Verordnungen, insbesondere die Verordnung vom 17. Juni 199616 über die Kontrolle 14 15 16

SR 0.351.1 SR 0.351.913.61 SR 251.4

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von Unternehmenszusammenschlüssen und die KG-Sanktionsverordnung vom 12. März 200417. Für Deutschland handelt es sich insbesondere um das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juli 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Juli 2022 (BGBl. I S. 1214, 1225) geändert worden ist. Der Unternehmensbegriff wird für beide Seiten nach ihrer jeweiligen Gesetzgebung definiert (Ziff. 3), für die Schweiz gemäss Artikel 2 Absatz 1bis KG, für Deutschland im Sinne von § 1 GWB.

Die Definition der wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen (Ziff. 4) bezieht sich ihrerseits auf das Wettbewerbsrecht der Vertragsparteien. Dasselbe gilt für die Durchsetzungsmassnahmen (Ziff. 6). Für die Schweiz umfassen die Durchsetzungsmassnahmen die Untersuchungen im Sinne von Artikel 27 KG und die Prüfungsverfahren bei Unternehmenszusammenschlüssen nach Artikel 33 KG. Hinsichtlich des Begriffs der Untersuchungen (Ziff. 5) wird seitens der Schweiz auf Ermittlungen der WEKO nach den Artikeln 26 ff. und 32 ff. KG verweisen, seitens Deutschland auf jedes Verwaltungsverfahren zur Anwendung des deutschen oder europäischen Wettbewerbsrechts und eigenständige, d. h. nicht im Rahmen der Amtshilfe zugunsten anderer deutscher Behörden geführte Bussgeldverfahren. Überdies werden die in einer Untersuchung und anderen Verfahren (Kronzeugenverfahren, Vergleichsverfahren) erlangten Informationen (Ziff. 7­9) sowie hoheitliche Akte (Ziff. 10) definiert.

Art. 4

Notifikationen

Die Notifikation von Durchsetzungsmassnahmen durch die Wettbewerbsbehörde einer Vertragspartei, die wichtige Interessen der anderen Vertragspartei berühren können, ist ein klassisches Instrument der internationalen Zusammenarbeit im Wettbewerbsbereich und bildet häufig deren Ausgangspunkt. Artikel 4 stützt sich massgeblich auf die Bestimmungen der OECD-Empfehlung von 2014 und auf das Wettbewerbsabkommen Schweiz­EU.

Das Abkommen sieht ein einfaches und schnelles Vorgehen für die Notifikationen vor, indem diese auf elektronischem Weg statt per Post vorgenommen werden können (Abs. 1 in fine). Gemeint ist beispielsweise die heute gängige Notifikation per E-Mail, für Deutschland eine Abweichung vom Schrifterfordernis.

Absatz 2 enthält eine beispielhafte Liste mit Fällen, in denen eine Notifikation vorgenommen werden muss. Es steht den Wettbewerbsbehörden der Vertragsparteien frei, auch andere Notifikationen vorzunehmen, wenn sie der Ansicht sind, dass ihre Durchsetzungsmassnahmen die Interessen der anderen Vertragspartei berühren könnten.

In den Absätzen 3 und 4 wird der Zeitpunkt festgelegt, zu dem eine Notifikation vorgenommen werden muss. Auf Schweizer Seite hat die Notifikation hinsichtlich Zusammenschlüssen zu erfolgen, wenn ein Prüfungsverfahren nach Artikel 33 KG eingeleitet wird. In allen anderen Fällen, wenn ein Verfahren nach Artikel 27 KG eingeleitet wird, fällt dieser Zeitpunkt mit jenem zusammen, zu dem die entsprechenden Angaben laut Schweizer Recht veröffentlicht werden müssen.

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SR 251.5

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Inhaltlich muss die Notifikation ausführlich genug sein, um der sie erhaltenden Behörde zu erlauben, die absehbaren Auswirkungen auf die Interessen ihres Hoheitsgebiets abzuschätzen. Die in der Notifikation anzugebenden Informationen sind in Absatz 5 aufgeführt, insbesondere die Namen der von der Durchsetzungsmassnahme betroffenen Unternehmen, die untersuchten Verhaltensweisen und die Märkte, auf die sie sich beziehen, die einschlägigen Rechtsvorschriften und das Datum der behördlichen Durchsetzungsmassnahmen.

Art. 5

Koordinierung von Durchsetzungsmassnahmen

Absatz 1 erlaubt den Wettbewerbsbehörden der Vertragsparteien, ihre Durchsetzungsmassnahmen zu koordinieren, wenn diese miteinander verbundenen Vorgänge betreffen. Diese Formulierung ist bewusst weit gefasst, sodass eine Koordinierung möglich ist, sobald die Wettbewerbsbehörden, auch schon in einem frühen Stadium des Verfahrens (z. B. bei Hausdurchsuchungen), mit miteinander verbundenen Sachverhalten zu tun haben. Auf dieser Grundlage können die WEKO und das BKartA zum Beispiel die Bedingungen und Auflagen für die Genehmigung eines Zusammenschlusses, der bei beiden Behörden gemeldet wurde, koordinieren. Sie können auch Informationen zur Abgrenzung der Märkte oder zum Stand von Verfahren austauschen. Wie in Absatz 1 ausdrücklich erwähnt wird, können die Behörden Durchsuchungen auch zeitlich aufeinander abstimmen. Dieser Aspekt ist besonders wichtig, denn wenn eine Behörde vor der anderen eine Durchsuchung durchführt, geht der Überraschungseffekt bei der zweiten verloren und das Einholen von Beweisen wird erschwert.

Können Durchsetzungsmassnahmen bei miteinander verbundenen Vorgängen koordiniert werden, so trägt dies in der Praxis zur Effizienz der Wettbewerbsbehörden und zur Kohärenz für die von diesen Massnahmen betroffenen Unternehmen bei. Diese beiden Aspekte kommen auch in der Liste der Gesichtspunkte zum Tragen, welche die Wettbewerbsbehörden bei der Prüfung berücksichtigen, ob bestimmte Durchsetzungsmassnahmen koordiniert werden können (Abs. 2). In Absatz 3 wird ausdrücklich festgehalten, dass die Koordinierung das Recht der Behörden nicht beeinträchtigt, Entscheide unabhängig voneinander zu treffen. So kann die Wettbewerbsbehörde einer Vertragspartei ­ vorbehaltlich der ordnungsgemässen Unterrichtung, die keiner Formvorschrift unterliegt ­ der Wettbewerbsbehörde der anderen Vertragspartei ihre Absicht mitteilen, die Koordinierung einzuschränken und bestimmte Durchsetzungsmassnahmen alleine durchzuführen.

Art. 6 und 7

Vermeidung von Konflikten (Negative Comity) und Positive Comity

In Artikel 6 wird der Grundsatz der Negative Comity festgehalten: Die Wettbewerbsbehörde einer Vertragspartei hat den wichtigen Interessen der anderen Vertragspartei bei der Durchsetzung ihres Wettbewerbsrechts Rechnung zu tragen. Artikel 7 enthält den Grundsatz der Positive Comity, der die Ersuchen betrifft, welche die Behörde einer Vertragspartei an jene der anderen Vertragspartei richtet, um sie zum Ergreifen gewisser Massnahmen aufzufordern. Diese beiden Grundsätze zählen zu den zentralen Konzepten der internationalen Zusammenarbeit im Wettbewerbsbereich und sind auch in den Empfehlungen der OECD vorgesehen. Diese Bestimmungen sind unver11 / 22

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bindlich formuliert. Die Wettbewerbsbehörden können somit weiterhin nach ihrem eigenen Ermessen über die zu ergreifenden Durchsetzungsmassnahmen bestimmen.

Insbesondere bringt die Positive Comity nach Artikel 7 keine Verpflichtung für eine Wettbewerbsbehörde mit sich, Durchsetzungsmassnahmen auf Ersuchen der anderen Behörde zu treffen. Ausserdem darf eine Wettbewerbsbehörde die andere nicht auffordern, ihre Ermittlungsbefugnisse einzusetzen, um Beweise für sie einzuholen, indem sie zum Beispiel eine Durchsuchung in ihrem Namen durchführt.

Die Artikel 6 und 7 erlauben den Wettbewerbsbehörden, über relevante Entwicklungen für die wichtigen Interessen ihres Hoheitsbereichs informiert zu werden, und geben ihnen die Gelegenheit, ihre Ansicht einzubringen. Die «wichtigen Interessen» einer Vertragspartei werden in diesem Zusammenhang nicht definiert und liegen im Ermessen der jeweiligen Wettbewerbsbehörden der Vertragsparteien. Die Liste von Beispielen im Bereich der Notifikationen in Artikel 4 des Abkommens kann als Anhaltspunkt dienen.

Im Bereich der Negative Comity entbinden die in diesem Zusammenhang vorgesehenen Notifikationen die Wettbewerbsbehörden laut Artikel 6 Absatz 2 in fine nicht von ihrer Notifikationspflicht zum Zeitpunkt der Eröffnung eines Verfahrens gemäss Artikel 4 Absätze 3 und 4.

Art. 8

Austausch, Erörterung und Übermittlung von Informationen

Absatz 1: Auffassungen und Informationen können unter den in den Artikeln 8­10 festgelegten Bedingungen zwischen den Wettbewerbsbehörden der Parteien ausgetauscht werden: Die Behörden sind dazu nicht verpflichtet, sie erhalten nur die Möglichkeit dafür. Der Austausch von nicht vertraulichen Informationen ist im Rahmen des Abkommens ohne weitere Einschränkungen möglich (Abs. 2). Vertrauliche Informationen gemäss den Absätzen 3 und 4 können hingegen nur in einem formellen Untersuchungsverfahren nach Artikel 27 KG ausgetauscht werden. Mit «vertraulichen Informationen» sind personenbezogene und andere Informationen gemeint, die in der Schweiz durch das Amtsgeheimnis oder das Geschäftsgeheimnis geschützt sind, beispielsweise Informationen, welche die Wettbewerbsbehörden im Rahmen von Einvernahmen oder Hausdurchsuchungen erlangt haben (z. B. Korrespondenz zwischen Kartellmitgliedern oder Informationen zu Umsatz, Konkurrenten oder Marktanteile bestimmter Unternehmen).

Sobald das Verfahren vor der WEKO abgeschlossen ist, können keine Informationen mehr ausgetauscht werden. Artikel 8 unterscheidet zwischen Erörterungen (Abs. 2), Informationsaustausch mit Zustimmung des betroffenen Unternehmens (Abs. 3) und Austausch von im Untersuchungsverfahren erlangten Informationen ohne Zustimmung des betroffenen Unternehmens (Abs. 4­8), wobei letzterer besonders strikten Bedingungen unterliegt.

Sobald die Behörden eine Zusammenarbeit beschliessen, ist der Informationsaustausch sowohl für Erörterungen als auch für die Übermittlung von Dokumenten und anderen Informationen durch Artikel 8 Absätze 2­8 in Verbindung mit den Artikeln 9­10 kaskadenartig geregelt. Je höher der Schutzbedarf der auszutauschenden Informationen, desto strenger sind die Voraussetzungen für die Übermittlung; dies geht bis hin zur Möglichkeit der Verweigerung der Übermittlung. Diese Kaskade ent12 / 22

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spricht jener im Wettbewerbsabkommen Schweiz­EU und besteht aus folgenden Elementen: ­

Die Wettbewerbsbehörden dürfen sich über alle nicht vertraulichen Informationen austauschen, die sie in einem Verfahren oder ausserhalb eines solchen erlangt haben (Abs. 2).

­

Die Wettbewerbsbehörden dürfen Dokumente und Informationen austauschen, wenn die Unternehmen, von denen sie stammen, dem ausdrücklich zugestimmt haben. Informationen, die personenbezogene Daten enthalten, dürfen nur ausgetauscht werden, wenn beide Behörden dieselben oder miteinander verbundene Verhaltensweisen oder Rechtsgeschäfte untersuchen und die Personendaten geschützt werden (Abs. 3).

­

Liegt keine Zustimmung der betroffenen Unternehmen vor, so können die Behörden die Informationen nur auf ein formelles Gesuch der Behörde der anderen Vertragspartei hin übermitteln. Beide Behörden müssen den gleichen Sachverhalt in einem formellen Untersuchungsverfahren ermitteln. Das Gesuch muss schriftlich erfolgen und das genaue Verfahren, den untersuchten Sachverhalt, die allenfalls verletzte Gesetzesbestimmung und die beteiligten Unternehmen nennen. Die angefragte Behörde entscheidet nach eigenem Ermessen, welche Informationen aus ihrem Verfahren relevant sind und die Voraussetzungen für die Übermittlung erfüllen (Abs. 4).

­

Informationen, die eine Behörde im Rahmen eines Kronzeugenverfahrens (sog. «Bonusmeldung») oder in einem Vergleichsverfahren (Verhandlungen über eine einvernehmliche Regelung) erhält, dürfen nicht übermittelt werden, es sei denn, das betreffende Unternehmen stimme dem ausdrücklich zu (Abs. 6).

­

Informationen dürfen nicht ausgetauscht werden, wenn die Verwendung der Informationen aus rechtsstaatlichen Gründen nicht zulässig ist, zum Beispiel, wenn das Verbot der erzwungenen Selbstbelastung oder das Anwaltsgeheimnis verletzt worden ist (Abs. 7).

­

Unabhängig von der Art der Information ist keine Behörde zur Übermittlung verpflichtet, insbesondere, wenn wichtige Interessen dagegen sprechen oder ihr bei der Aufbereitung oder Übermittlung der Informationen ein unverhältnismässiger Aufwand entstehen würde (Abs. 5).

Absatz 2: Die Dossierverantwortlichen der Wettbewerbsbehörden dürfen Fälle, die unter das Amtsgeheimnis fallen, mündlich erörtern. Es handelt sich in diesem Absatz um mündlich ausgetauschte Informationen, während der Austausch gemäss den Absätzen 3 und 4 in der Übermittlung von Dokumenten besteht. Absatz 2 erlaubt informelle Kontakte zwischen den Mitarbeitenden, auch in einer frühen Phase des Verfahrens vor der formellen Eröffnung einer Untersuchung. Solche Kontakte können insbesondere infolge einer Notifikation im Sinne von Artikel 4 oder eines Ersuchens im Rahmen der Positive Comity nach Artikel 7, im Hinblick auf die Koordinierung von Massnahmen im Sinne von Artikel 5 oder für einen Informationsaustausch gemäss Artikel 8 Absätze 4­8 erfolgen. Die Absätze 5 und 6 sowie die in Artikel 9 festgelegten Einschränkungen für die Verwendung der Informationen sowie die Vertraulichkeitspflichten gemäss Artikel 10 gelten auch für diese informellen Kontakte.

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Absatz 3: Absatz 3 regelt den Informationsaustausch gestützt auf die ausdrückliche schriftliche Zustimmung des betroffenen Unternehmens, das die Informationen zur Verfügung gestellt hat (waiver). Dieser Absatz betrifft die Situation, in der ein Unternehmen ­ zum Beispiel wenn es einen Zusammenschluss meldet oder der Wettbewerbsbehörde andere Informationen liefert ­ auf die Vertraulichkeit verzichtet und die Behörde ermächtigt, Informationen mit einer oder mehreren ausländischen Behörden auszutauschen. Die Präzisierung, dass personenbezogene Daten nur übermittelt werden dürfen, wenn die Wettbewerbsbehörden dieselben oder miteinander verbundene Verhaltensweisen oder Rechtsgeschäfte untersuchen, widerspiegelt die Anforderungen der Verhältnismässigkeit und der Zweckmässigkeit der Übermittlung von Informationen gemäss Datenschutzgesetzgebung (Art. 4 Abs. 2 und 3 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 199218 über den Datenschutz, DSG). Ein solcher Informationsaustausch muss ausserdem die Bestimmungen des DSG einhalten, wie durch den Verweis auf Artikel 10 Absatz 3 des Abkommens unterstrichen wird. Eine miteinander verbundene Verhaltensweise liegt zum Beispiel vor, wenn die von einem Kartell betroffenen Märkte der Schweiz und Deutschlands nicht genau identisch sind, ebenso wenn in der Schweiz und in Deutschland nicht genau dieselben Unternehmen am Kartell beteiligt sind.

Absatz 4: Falls das Unternehmen, das die Informationen geliefert hat, nicht auf deren Vertraulichkeit verzichtet, legt Absatz 4 die Voraussetzungen fest, unter denen die Wettbewerbsbehörde einer Vertragspartei im Untersuchungsverfahren erlangte Informationen als Beweismittel an die Wettbewerbsbehörde der anderen Vertragspartei übermitteln kann. Die betreffenden Anforderungen sollen insbesondere das Risiko von fishing expeditions ausschliessen. Ausserdem können nur Informationen, die der Behörde bereits vorliegen, Gegenstand eines solchen Austausches sein. Das Einholen von Informationen bei Unternehmen im Namen der Behörde der anderen Vertragspartei wird damit ausgeschlossen. Laut Ziffer 1 ist für den Informationsaustausch ein formelles (schriftliches) Ersuchen erforderlich, das gewisse Mindestangaben enthalten muss. Da zum Zeitpunkt des Ersuchens die Identität aller Unternehmen nicht immer bekannt ist, die Gegenstand der Untersuchung oder des
Verfahrens sind, genügt es, dass die ersuchende Behörde diejenigen Unternehmen mitteilt, gegen die sich die Untersuchung oder das Verfahren zum Zeitpunkt des Ersuchens richtet. In Ziffer 2 wird präzisiert, dass die Informationen nur übermittelt werden dürfen, wenn sie Verhaltensweisen (z. B. eine unrechtmässige Abrede oder einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung) oder Rechtsgeschäfte (z. B. einen Zusammenschluss) betreffen, die die Wettbewerbsbehörden beider Länder untersuchen. Ziffer 3 erlaubt in der Praxis, den Informationsaustausch auf jene Informationen zu beschränken, die für die ersuchende Behörde von Belang sind. Diese Einschränkung trägt dazu bei, dass die Zusammenarbeit für die Wettbewerbsbehörden nicht zu einer zu grossen Belastung wird.

Absatz 5: Auch wenn alle Bedingungen erfüllt sind, kann die Wettbewerbsbehörde einer Vertragspartei frei entscheiden, ob sie im Untersuchungsverfahren erlangte Informationen erörtern oder übermitteln will. Dabei hat die WEKO insbesondere Artikel 42b Absätze 2 und 3 KG zu beachten. Diese Bestimmungen entsprechen inhaltlich 18

SR 235.1

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den oben erläuterten Ziffern 1­3 von Absatz 4 (zu Art. 42b Abs. 2 Bst. b KG) sowie den nachfolgend erläuterten Absätzen 6 (zu Art. 42b Abs. 2 Bst. f KG) und 7 (zu Art. 42b Abs. 2 Bst. e und 3 KG) und Artikel 9 (zu Art. 42b Abs. 2 Bst. a­d KG).

Ausserdem kann sie die Zusammenarbeit verweigern, wenn sie nicht über die erforderlichen Ressourcen für den Informationsaustausch verfügt.

Absatz 6: Der Informationsaustausch darf nicht dazu führen, dass die Effizienz von Bonusmeldungen, mit denen die Unternehmen für ihre Kooperation belohnt werden, gefährdet wird. Wenn im Rahmen solcher Verfahren gelieferte Informationen durch die Wettbewerbsbehörde einer Vertragspartei frei erörtert oder übermittelt werden könnten, könnte das Unternehmen, das die Informationen geliefert hat, im anderen Hoheitsgebiet in eine nachteilige Lage geraten, insbesondere, falls es dort keine Kronzeugenregelung beantragt hat. Die Wettbewerbsbehörden der Schweiz und Deutschlands messen dem Schutz des Instituts der Bonusmeldung einen sehr hohen Stellenwert bei. Jegliche Übermittlung von Informationen aus einer solchen Meldung ohne Zustimmung der betroffenen Parteien würde die Institution in Frage stellen und das Vertrauen der meldenden Unternehmen in die sorgfältige und vertrauliche Behandlung der Informationen durch die Behörden untergraben. Die Bonusmeldung hätte nicht mehr die Wirkung, die sie aufgrund der besonderen Behandlung der gelieferten Informationen durch die Wettbewerbsbehörde im Normalfall hat. Ähnlich ist die Situation beim Vergleichsverfahren, das ebenfalls eine kooperative Beziehung zwischen der Wettbewerbsbehörde und dem Unternehmen, das gegen die Wettbewerbsregeln verstossen hat, voraussetzt.

Absatz 7: Absatz 7 konkretisiert den Grundsatz der «doppelten Schranke» (double barrier). Danach darf eine Behörde nur Informationen übermitteln, die sie selbst in ihren Verfahren verwenden dürfte. Sie muss auch die von ihrer Rechtsordnung vorgesehenen Rechte und Schutzbestimmungen einhalten, wenn sie von der anderen Behörde erhaltene Informationen verwendet. So dürfte die WEKO dem BKartA die Korrespondenz zwischen einem Anwalt und seinem Klienten nicht übermitteln, und Deutschland dürfte eine solche Korrespondenz nicht verwenden, da diese nach dem Recht der Schweiz und Deutschlands geschützt ist. Wenn die Rechtsordnungen der
die Informationen übermittelnden Behörde und jene der sie erhaltenden Behörde ähnliche Garantien vorsehen, wie dies bei der Schweiz und Deutschland der Fall ist, sind die mit dem Informationsaustausch verbundenen Risiken für die Rechte der Beteiligten gering. Die Übermittlung von der WEKO bereits vorliegenden Informationen an Deutschland oder umgekehrt stellt keine Verfügung dar. Daher besteht dagegen keine Beschwerdemöglichkeit. Die betroffenen Unternehmen werden über die Übermittlung der Informationen aber gemäss Artikel 42b Absatz 3 KG informiert und zur Stellungnahme eingeladen, bevor die WEKO die Daten dem BKartA übermittelt. Betroffene können gegen eine End- oder Zwischenverfügung der WEKO Beschwerde erheben und eine Verletzung ihrer Rechte bei der Erhebung der Informationen geltend machen.

Absatz 8: Absatz 8 ist von einem allgemeinen Grundsatz abgeleitet, wonach jeder, der personenbezogene Daten bearbeitet, zu gewährleisten hat, dass diese korrekt sind und dass betroffene Dritte die Möglichkeit haben, die Berichtigung unrichtiger Daten zu verlangen.

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Art. 9

Verwendung von Informationen

Hinsichtlich der Verwendung der Informationen, die eine Wettbewerbsbehörde der anderen erörtert oder übermittelt, legt Artikel 9 Absatz 1 den Grundsatz der Zweckbestimmung fest: Nur die Behörde, welche die Informationen erhält, darf diese verwenden, und zwar ausschliesslich für die Durchsetzung ihres Wettbewerbsrechts. Die erhaltenen Informationen dürfen also keinen anderen Behörden wie Strafbehörden oder Steuerbehörden weitergegeben werden.

Laut Absatz 2 darf die empfangende Wettbewerbsbehörde die im Untersuchungsverfahren erlangten Informationen nur in einem Verfahren verwenden, das dieselben oder miteinander verbundene Verhaltensweisen oder Rechtsgeschäfte betrifft.

Gemäss Absatz 3 dürfen ohne die Zustimmung des betroffenen Unternehmens übermittelte Informationen nur für den in dem Ersuchen festgelegten Zweck verwendet werden. Die empfangende Behörde darf somit diese Informationen nicht in einem anderen Verfahren gegen dasselbe Unternehmen verwenden.

Zudem dürfen laut Absatz 4 nach dem Abkommen ausgetauschte Informationen nicht für die Verhängung von Sanktionen gegen natürliche Personen verwendet oder für die Verwendung in Straf- oder Zivilverfahren offengelegt werden. Diese Bestimmung entspricht den Anforderungen von Artikel 42b Absatz 3 Buchstabe d KG.

Absatz 5 erlaubt der ersuchenden Behörde, zusätzliche Bedingungen für die Verwendung der Informationen aufzuerlegen.

Art. 10

Schutz und Vertraulichkeit der Informationen

Absatz 1: Die Wettbewerbsbehörden der Vertragsparteien haben die gestellten oder eingegangenen Informationsanfragen vertraulich zu behandeln und die Vertraulichkeit der nach diesem Abkommen erlangten Informationen nach ihren jeweiligen Rechtsvorschriften zu wahren. Die WEKO und das BKartA unterliegen bei ihren Tätigkeiten beide dem Amtsgeheimnis.

Die Fälle, in denen Informationen offengelegt werden dürfen, sind unter den Ziffern 1­4 definiert. Die in Ziffer 1 erwähnten gerichtlichen Entscheidungen müssen denselben Fall betreffen, für den die Informationen bei der WEKO erfragt worden sind. Ziffer 2 bezieht sich auf das den Parteien in einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren zustehende Recht auf Akteneinsicht. Die Offenlegung vor Gericht in Rechtshilfeverfahren (bzw. für Deutschland in sog. Rechtsbehelfsverfahren) ist laut Ziffer 3 eine weitere Ausnahme von der Pflicht, die Vertraulichkeit zu wahren. Diese Gerichte unterliegen sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland ähnlichen Geheimhaltungsverpflichtungen wie die Wettbewerbsbehörden. In der Schweiz betrifft diese Bestimmung die Beschwerdeverfahren gegen Verfügungen der WEKO vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesgericht. Nach Ziffer 4 ist die Offenlegung schliesslich möglich, sofern und soweit dies für die Ausübung des Rechts auf Zugang zu amtlichen Dokumenten nach den Rechtsvorschriften einer Vertragspartei unerlässlich ist. Im Schweizer Recht geht es um Fälle nach dem Öffentlichkeitsgesetz vom

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17. Dezember 200419 (BGÖ). Der Zugang zu den Dokumenten unterliegt den in den Artikeln 7 ff. BGÖ vorgesehenen Ausnahmen.

Ausserdem darf die WEKO dem Preisüberwacher gemäss Artikel 25 Absätze 2 und 3 KG mit der Zustimmung des BKartA Informationen übermitteln, die dieser für die Erfüllung seiner Aufgaben benötigt.

In allen Fällen, in denen eine Offenlegung im Sinne von Absatz 1 vorgesehen ist, hat die Informationen empfangende Wettbewerbsbehörde den Schutz der Geschäftsgeheimnisse zu wahren. Geschäftsgeheimnisse werden nach den Vorschriften der Vertragsparteien definiert. Das Abkommen lässt den Zeitpunkt offen, zu dem Geschäftsgeheimnisse identifiziert werden müssen. Bei der Übermittlung von Informationen kann die ersuchte Behörde entweder bereits die enthaltenen Geschäftsgeheimnisse bezeichnen oder die Dokumente mit dem Hinweis übermitteln, dass sie Geschäftsgeheimnisse enthalten können, womit die empfangende Behörde zuständig ist, diese in Absprache mit dem betroffenen Unternehmen zu identifizieren. In der Schweiz werden die Geschäftsgeheimnisse gemeinsam von der WEKO und vom betroffenen Unternehmen identifiziert und bereits bei der Übermittlung der Informationen als solche vermerkt.

Absatz 2: Die Parteien nehmen umgehend Konsultationen auf, wenn Informationen in einer den Bestimmungen von Artikel 10 zuwiderlaufenden Weise verwendet oder offengelegt wurden. Dieses Vorgehen ermöglicht den Vertragsparteien, eventuelle Schäden möglichst gering zu halten und die Wiederholung einer solchen Situation zu vermeiden.

Absatz 3: Die Datenschutzgesetzgebungen der Schweiz und Deutschlands wie auch der EU enthalten Anforderungen, die bei der Übermittlung von Personendaten ins Ausland eingehalten werden müssen. Das Abkommen präzisiert, dass jede Vertragspartei den Schutz personenbezogener Daten nach ihren jeweiligen Rechtsvorschriften gewährleistet. Das Abkommen bildet eine Rechtsgrundlage im Sinne von Artikel 17 DSG für die Bearbeitung von Personendaten. Es definiert den Zweck der Bearbeitung, beschreibt die Informationen, die übermittelt werden dürfen, sowie die betroffenen Personen (Art. 8­9). Der Erhalt und die Übermittlung von Personendaten stellen eine Bearbeitung im Sinne des DSG dar. Beim Erhalt von Informationen nach Artikel 18a Absatz 3 DSG in Fällen, in denen die Daten nicht bei der betroffenen
Person beschafft werden, sondern bei Dritten (wie dem BKartA), muss die betroffene Person spätestens bei der Speicherung der Daten oder, wenn die Daten nicht gespeichert werden, bei der ersten Bekanntgabe an Dritte informiert werden. Laut den Artikeln 18b Absatz 1 und 9 Absatz 2 DSG kann ein Bundesorgan jedoch die Information verweigern, einschränken oder aufschieben, soweit die Auskunft den Zweck einer Strafuntersuchung oder eines anderen Untersuchungsverfahrens in Frage stellt. Die WEKO kann also die Information der betroffenen Person verweigern, einschränken oder aufschieben, wenn diese Auskunft ihre Untersuchung gefährden könnte. Was die Übermittlung der Informationen angeht, dürfen laut Artikel 6 DSG Personendaten nicht ins Ausland bekannt gegeben werden, wenn dadurch die Persönlichkeit der betroffenen Personen schwerwiegend gefährdet würde, namentlich weil eine Gesetzgebung fehlt, die einen angemessenen Schutz gewährleistet. Für natürliche Personen bietet die Verordnung (EU) 19

SR 152.3

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Nr. 2018/172520 einen angemessenen Schutz. In Bezug auf juristische Personen, die von dieser Verordnung im Gegensatz zum geltenden DSG nicht abgedeckt werden, werden die allgemeinen Grundsätze des vom DSG gebotenen Schutzes, insbesondere Rechtmässigkeit, Verhältnismässigkeit, Zweckmässigkeit, Korrektheit und Sicherheit der Daten sowie das Zugangsrecht in den durch das BKartA durchgeführten Verfahren respektiert. Das Abkommen hält somit die Anforderungen des DSG ein. Vom revidierten DSG, das am 1. September 202321 in Kraft tritt, werden die juristischen Personen nicht mehr erfasst. Hingegen sind die revidierten Bestimmungen des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199722 (RVOG), die Artikel 57r und 57s, für die Bearbeitung und die Bekanntgabe von Daten juristischer Personen durch Bundesorgane zu beachten.23 Demnach ist für die Bekanntgabe solcher Daten weiterhin eine explizite gesetzliche Grundlage erforderlich. Bei besonders schützenswerten Daten, d. h. für Daten über verwaltungs- und strafrechtliche Verfolgungen und Sanktionen bzw. über Berufs-, Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnisse, muss die Bekanntgabe in einem formellen Gesetz vorgesehen sein. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt, da das Abkommen die Bekanntgabe von besonders schützenswerten Daten der betroffenen Unternehmen explizit regelt.

Art. 11

Zustellung

Absatz 1 regelt die Zustellung von hoheitlichen Akten, d. h. Verfügungen im Sinne von Artikel 3 Ziffer 10 des Abkommens, an Unternehmen oder natürliche Personen im Hoheitsgebiet der jeweils anderen Vertragspartei. Solche Akte können über die Wettbewerbsbehörde der jeweils anderen Vertragspartei zugestellt werden.

Absatz 2 regelt die Zustellung von nicht hoheitlichen Akten, wie z. B. von Schreiben über die Eröffnung einer Untersuchung oder von nicht verpflichtenden Auskunftsbegehren. Solche Schreiben können entweder ebenfalls über die Wettbewerbsbehörde der jeweils anderen Vertragspartei oder direkt an das Unternehmen oder die natürliche Person im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei übermittelt werden. Im Fall der direkten Übermittlung informiert die übermittelnde Wettbewerbsbehörde die Wettbewerbsbehörde der anderen Vertragspartei darüber.

Art. 12

Unterrichtung der Europäischen Kommission

Auf der Grundlage des Wettbewerbsrechts der EU und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben die Wettbewerbsbehörden der EU-Mitgliedstaaten gewisse Informationspflichten gegenüber der Europäischen Kommission. Angesichts dessen, dass bereits ein Wettbewerbsabkommen Schweiz­EU besteht, enthält Absatz 2 eine Regelung, wonach Deutschland im Rahmen des ECN unter dem Abkommen übermittelte Informationen zur Erfüllung ihrer Pflichten an die Europäische 20

21 22 23

Verordnung (EU) 2018/1725 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2018 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 und des Beschlusses Nr. 1247/2002/EG, ABl. L 295 vom 21.11.2018, S. 39.

AS 2022 491 SR 172.010 AS 2022 491 S. 44 und 45

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Kommission weiterleiten darf. Dies allerdings nur, wenn die Interessen der EU einschliesslich ihrer Mitgliedstaaten berührt sind (Abs. 1) und die WEKO darüber informiert wird (Abs. 2). Übermittelte Informationen dürfen ausschliesslich für die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts der Europäischen Union durch die Europäische Kommission verwendet werden (Abs. 4). Demgegenüber ist eine Übermittlung solcher Informationen an andere EU-Mitgliedstaaten direkt oder via die Europäische Kommission nur ausnahmsweise mit der ausdrücklichen Zustimmung der WEKO erlaubt (Abs. 3 und 4).

Art. 13

Konsultationen

Das Abkommen sieht Konsultationen zwischen den Vertragsparteien vor. Diese Konsultationen erfolgen auf Ersuchen einer Vertragspartei. Das Abkommen schafft keinen gemischten Ausschuss oder eine sonstige ständige Institution. Die Vertragsparteien können unter anderem eine Überprüfung des Funktionierens dieses Abkommens erwägen und die Möglichkeit einer Weiterentwicklung ihrer Zusammenarbeit im Rahmen ihres jeweiligen Wettbewerbsrechts prüfen. Die Vertragsparteien unterrichten einander so bald wie möglich über jede Änderung ihres Wettbewerbsrechts sowie über jede Änderung anderer Gesetze und sonstiger Rechtsvorschriften und über jede Änderung der Durchsetzungspraxis ihrer Wettbewerbsbehörden, die das Funktionieren dieses Abkommens berühren können (Abs. 2).

Art. 14

Mitteilungen

Sofern zwischen den Vertragsparteien oder ihren Wettbewerbsbehörden nichts anderes vereinbart wird, sind Notifikationen, Ersuchen um Übermittlung von Informationen und andere Mitteilungen zwischen den Vertragsparteien nach diesem Abkommen in deutscher Sprache abzufassen. Die Kontaktstellen der Vertragsparteien werden nach Inkrafttreten des Abkommens benannt.

Art. 15

Geltendes Recht

Das Abkommen bezweckt keine materielle Harmonisierung des Wettbewerbsrechts der Vertragsparteien. Letztere behalten somit ihre Unabhängigkeit sowohl bei der Formulierung als auch bei der Durchsetzung ihres Wettbewerbsrechts.

Art. 16

Inkrafttreten, Änderung und Kündigung

Das Abkommen tritt am ersten Tag des zweiten Monats nach dem Datum der letzten Genehmigungsnotifikation in Kraft. Die Vertragsparteien können das Abkommen schriftlich ändern, und jede Vertragspartei kann es jederzeit mit einer Frist von sechs Monaten kündigen. Die in den Artikeln 8­10 festgelegten Beschränkungen bezüglich der Verwendung der im Rahmen dieses Abkommens übermittelten Informationen gelten auch nach einer Kündigung fort: bereits übermittelte Informationen würden weiterhin geschützt.

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5

Auswirkungen

5.1

Finanzielle Auswirkungen und Auswirkungen auf den Personalbestand des Bundes, der Kantone und der Gemeinden

Das Abkommen hat keine Auswirkungen auf die Finanzen des Bundes, der Kantone und der Gemeinden. Durch die Kooperationstätigkeiten hervorgerufene zusätzliche Aufwände werden im Rahmen der bestehenden personellen Ressourcen bewältigt.

5.2

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Das Abkommen soll dazu beitragen, dass die Wettbewerbsgesetzgebungen beider Länder auch bei grenzüberschreitenden Verhaltensweisen wirksam umgesetzt werden kann.

Die nachteiligen Auswirkungen wettbewerbsbeschränkender Abreden oder Verhaltensweisen von marktbeherrschenden oder relativ marktmächtigen Unternehmen treffen in erster Linie die davon betroffenen Konkurrenten und Marktgegenseiten (z. B.

Konsumentinnen und Konsumenten, den Staat oder Zulieferer). Diese können entweder in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs behindert oder benachteiligt werden, z. B. durch unangemessene Preise oder Geschäftsbedingungen. Es entstehen damit einerseits gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtseinbussen durch einen verminderten Wettbewerb und andererseits auch Wohlfahrtseinbussen auf Seiten der Nachfragerinnen und Nachfrager, womit auch der Staat und damit letztlich die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler erfasst werden, wenn der Staat im Rahmen von öffentlichen Beschaffungen agiert. Monopolähnliche Renten und Kartellrenten, etwa in Folge von abgesprochenen Preisen, fördern zudem den Fortbestand von wenig effizienten Unternehmensstrukturen und erhöhen die volkswirtschaftlichen Kosten zusätzlich.

Indem das Abkommen zu effizienteren und kohärenteren Verfahren in beiden Ländern beiträgt, soll es dort zu einem besseren Schutz des Wettbewerbs und damit zur Vermeidung dieser Nachteile beitragen. Gestärkt werden damit die Volkswirtschaften und die Innovationskräfte beider Länder sowie der Handel zwischen ihnen.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die auswärtigen Angelegenheiten sind Sache des Bundes (Art. 54 Abs. 1 BV). Nach Artikel 166 Absatz 2 BV genehmigt die Bundesversammlung die völkerrechtlichen Verträge. Ausgenommen sind Verträge, für deren Abschluss aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (vgl. Art. 24 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes und Art. 7a Abs. 1 RVOG). Das KG sieht keine solche Abschlusskompetenz des Bundesrates vor, und das Abkommen stellt auch keinen Vertrag von beschränkter Tragweite im Sinne von Artikel 7a Absatz 2 RVOG dar.

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Deshalb ist das Abkommen der Bundesversammlung zur Genehmigung zu unterbreiten.

Gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen völkerrechtliche Verträge, die unbefristet und unkündbar sind, die den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen, die wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert, dem fakultativen Referendum.

Dieses Abkommen ist unbefristet, kann jedoch jederzeit mit einer Vorankündigung von sechs Monaten gekündigt werden. Es bringt keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation mit sich. Das Abkommen enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen, insbesondere hinsichtlich des Austausches und der Verwendung vertraulicher Informationen im Bereich des Wettbewerbsrechts. Daher untersteht der Genehmigungsbeschluss dem fakultativen Referendum im Sinne von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV.

6.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen

Das Abkommen ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

Namentlich haben das vorliegende Abkommen und die darin vorgesehene formelle Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden keine Auswirkungen auf das Wettbewerbsabkommen Schweiz­EU, das Abkommen vom 22. Juli 197224 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Freihandelsabkommen) und das Abkommen vom 21. Juni 199925 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Luftverkehr.

6.3

Datenschutz

Das Abkommen ist mit der Datenschutzgesetzgebung vereinbar (vgl. Ziff. 4).

24 25

SR 0.632.401 SR 0.748.127.192.68

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