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Tragweite der Informationsrechte der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte Erläuterungen der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte zu ihrer oberaufsichtsrechtlichen Feststellung vom 24. Juni 2020 vom 24. Januar 2023

2023-0341

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Erläuterungen 1

Ausgangslage

1.1

Sachverhalt

Im Herbst 2019 stellten die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) erhebliche Probleme zwischen einzelnen Richterinnen und Richtern am Bundesstrafgericht fest. Mit diesen Informationen gelangten die Kommissionen an den damaligen Präsidenten des Bundesgerichts (BGer), da diesem die Aufsicht über die erstinstanzlichen Bundesgerichte zukommt. Als im Dezember 2019 weitere Vorwürfe öffentlich bekannt wurden, luden die Kommissionen die Verwaltungskommission des BGer (VK BGer) ein, die Vorwürfe abzuklären, allenfalls notwenige Schritte zur Beruhigung der Situation einzuleiten und ihnen einen Aufsichtsbericht zukommen zu lassen. Die VK BGer eröffnete daraufhin ein aufsichtsrechtliches Verfahren, um diese Vorwürfe abzuklären. Die GPK wurden mit Bericht vom 5. April 2020 darüber informiert.1 Die VK BGer nahm in ihrem Bericht eine Auslegung der Informationsrechte der parlamentarischen Aufsichtskommissionen gemäss dem Bundesgesetz über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz)2 vor. Gestützt auf diese Auslegung erkannte die VK BGer bei der Weitergabe von Informationen bzgl. des Aufbaus der Berufungskammer am Bundesstrafgericht durch eine Bundesstrafrichterin an ein Mitglied der FK-N eine potentielle Amtsgeheimnisverletzung.

Da diese Auslegung der VK BGer der konstanten Auslegung und langjährigen Praxis der GPK widersprach, beschlossen die Kommissionen, eine sogenannte oberaufsichtsrechtliche Feststellung3 zu erarbeiten, worin sie die Rechtslage gemäss konstanter Praxis der GPK gegenüber dem Bundesgericht festhielten. Die Feststellung wurde am 24. Juni 2020 publiziert. Im Rahmen einer Anhörung der Präsidentin des BGer durch die Subkommissionen Gerichte/BA der GPK vom 21. Mai 2021 hielt diese an der Auslegung der VK BGer fest, weshalb die GPK die VK BGer um eine schriftliche Präzisierung bzw. Stellungnahme ersuchten. Die VK BGer kam diesem Anliegen nach und nahm mit Schreiben vom 20. Januar 2022 vertieft Stellung hierzu.

1 2 3

Bericht der VK des BGer vom 5.4.2020, Aufsichtsrechtliches Verfahren betreffend Vorkommnisse am Bundesstrafgericht (hiernach Bericht der VK BGer vom 5.4.2020).

Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG; SR 171.10).

Informationsrechte der Geschäftsprüfungskommissionen des Nationalrates und des Ständerates (GPK) vom 24.6.2020 mit Bezug auf den Aufsichtsbericht der Verwaltungskommission des Bundesgerichts vom 5. April 2020 (12T_2/2020) betreffend Vorkommnisse am Bundesstrafgericht, Oberaufsichtsrechtliche Feststellung der Geschäftsprüfungskommissionen (hiernach oberaufsichtsrechtliche Feststellung der GPK 2020; zu finden unter www.parlament.ch > Organe > Kommissionen > Aufsichtskommissionen > GPK > Grundlagenpapiere/Informationsrechte; zuletzt besucht am 26.10.2022).

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1.2

Auslegung der Informationsrechte der GPK durch die VK BGer

In erster Linie bestreitet das Bundesgericht, dass ein einzelnes Mitglied einer Aufsichtskommission berechtigt ist, Informationen gestützt auf die Informationsrechte von Artikel 153 ParlG zu erhalten.

Die VK BGer kommt in ihrem Bericht vom 5. April 2020 zum Schluss, dass einem einzelnen Mitglied einer Aufsichtskommission ohne explizites Mandat der jeweiligen Kommission die Informationsrechte gemäss Artikel 153 ParlG nicht zustehen können.4 Die Verwaltungskommission des BGer hält an dieser Sichtweise auch in ihrer Stellungnahme vom 20. Januar 2022 fest.5 Im konkreten Fall ging es um die Weitergabe von Informationen durch eine Richterin am Bundesstrafgericht an ein Mitglied der Finanzkommission des Nationalrates (FK-N) und der Finanzdelegation der Finanzkommissionen der eidgenössischen Räte (FinDel). Die VK BGer hält fest, dass es sich hierbei um eine Amtsgeheimnisverletzung handle.6 Bei den übermittelten Informationen handelte es sich um verschiedene Informationen im Zusammenhang mit dem Aufbau der Berufungskammer am Bundesstrafgericht.

Im Bericht der VK BGer vom 5. April 2020 wurde diese Ansicht nicht weiter begründet, was mittels einer ergänzenden Stellungnahme vom 20. Januar 2022 nachgeholt wurde. Bei dieser Gelegenheit nimmt die VK BGer eine Auslegung der Informationsrechte gemäss ParlG vor und gibt die kaskadenhafte Regelung der Informationsrechte des ParlG wieder: ­

Informationsrechte der einzelnen Mitglieder der beiden eidgenössischen Räte (Art. 7 ParlG);

­

Allgemeine Informationsrechte der Kommissionen der eidgenössischen Räte (Art. 150 ParlG);

­

Besondere Informationsrechte der Aufsichtskommissionen der eidgenössischen Räte (Art. 153 ParlG); und

­

Informationsrechte der Delegationen der Aufsichtskommissionen der eidgenössischen Räte (Art. 154 ParlG).

Die VK BGer hält fest, dass nur dann von einer Verletzung des Amtsgeheimnisses gesprochen werden könne, wenn das Geheimnis einer zum Erhalt nicht ermächtigten Person weitergegeben werde.7 Die Frage, wer ermächtigt ist und wer nicht, richte sich nach den Informationsrechten im Sinne des ParlG.

Artikel 7 ParlG sei im Verhältnis zu den Gerichten nicht anwendbar, da Artikel 162 ParlG diesbezüglich nicht zur Anwendung komme, weil dieser sich auf Artikel 150, 153 und 154 beschränken würde. Demzufolge komme einem einzelnen Ratsmitglied 4 5 6 7

Bericht der VK BGer vom 5.4.2020, Rn. 81.

Stellungnahme der VK BGer vom 20.1.2022, Verletzung des Amtsgeheimnisses durch Information einzelner Mitglieder (hiernach Stellungnahme der VK BGer vom 20.1.2022).

Bericht der VK des BGer vom 5.4.2020, Rn. 81 und Stellungnahme der VK BGer vom 20.1.2022.

Stellungnahme der VK BGer vom 20.1.2022.

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gegenüber den eidgenössischen Gerichten gestützt auf Artikel 7 ParlG kein Auskunftsrecht zu.

Weiter vertieft die VK BGer die Frage, ob ein Kommissionsmitglied aus den der Kommission zustehenden Informationsrechten Informationsrechte für sich selber ableiten kann. Nach Auslegung der VK BGer kommen die in Artikel 153 ParlG geregelten Informationsrechte der Aufsichtskommissionen nur der jeweiligen Kommission ­ als verfassungsmässiges Organ ­ in corpore zu.8 Artikel 153 ParlG regle hingegen nicht das Informationsrecht eines einzelnen Kommissionsmitglieds, welches nicht Rechtsträger sei.

Die VK BGer argumentiert weiter, dass auch die Pflicht zur Information des Bundesrates im Sinne von Artikel 153 Absatz 5 ParlG, welche aufgrund der Verweisnorm in Artikel 162 ParlG sinngemäss auch auf das Verhältnis zwischen Kommissionen und Gerichte anwendbar sei, bedeute, dass einem einzelnen Mitglied der Kommissionen die Informationsrechte aus Artikel 153 ParlG nicht zustehen könnten.

Aus dem Vorgesagten schliesst die VK BGer, dass die aktive und passive Informationsbeschaffung nur dann durch ein einzelnes Mitglied der Kommission erfolgen darf, wenn dieses von der Kommission damit beauftragt worden ist. Dies gehe nicht zuletzt auch aus der rationae materiae der Informationsrechte hervor, da die Informationsrechte nur soweit gehen, als deren Ausübung zur Wahrnehmung der Oberaufsicht notwendig sei. Die Frage, ob eine Information zur Wahrnehmung der Oberaufsicht notwendig ist, falle in die alleinige Kompetenz der Kommission als Organ. Aus diesem Grund könne ein einzelnes Kommissionsmitglied diesen Entscheid nicht selber und ohne Mandat der Kommission fällen, weshalb ein Mitglied eines eidgenössischen Gerichts gegenüber einem Mitglied einer Aufsichtskommission auch nicht vom Amtsgeheimnis befreit sei.

1.3

Oberaufsichtsrechtliche Feststellung der GPK vom 24. Juni 2020

In der am 24. Juni 2020 publizierten oberaufsichtsrechtlichen Feststellung der GPK befassten sich die Kommissionen bereits mit der abweichenden Auslegung durch die VK BGer. Die GPK kamen dabei in Bezug auf die vorliegende Fragestellung zu folgenden Schlüssen: Einerseits verweisen die Kommissionen auf die erste oberaufsichtsrechtliche Feststellung der GPK-N vom 24. Juni 20089 und andererseits auf zwei, in diesem Rahmen

8 9

Stellungnahme der VK BGer vom 20.1.2022.

Oberaufsichtsrechtliche Feststellung zu den Informationsrechten der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) mit Bezug auf den Entscheid der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts vom 18. Dezember 2007 (AU.2007.1_A) vom 24.6.2008 (hiernach oberaufsichtsrechtliche Feststellung 2008; zu finden unter www.parlament.ch > Organe > Kommissionen > Aufsichtskommissionen > GPK > Grundlagenpapiere/ Informationsrechte; zuletzt besucht am 26.10.2022).

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eingeholte Rechtsgutachten von Prof. Giovanni Biaggini10 und alt Bundesrichter Niklaus Oberholzer11. Bereits in dieser ersten Feststellung kam die GPK-N zum Schluss, dass das Amtsgeheimnis den Auskunfts- und Einsichtsrechten der GPK nicht entgegensteht12, was in der aktuellen Feststellung bekräftigt wird.13 Die Kommissionen halten in der oberaufsichtsrechtlichen Feststellung vom 24. Juni 2020 fest, dass die Ansicht der VK BGer, wonach das direkte Angehen von Rats- oder Kommissionsmitgliedern durch die Übermittlung von Informationen und Dokumenten aus dem Gericht durch einzelne Richterpersonen das Amtsgeheimnis verletze, nicht gesetzeskonform sei.14 Die Kommissionen leiten diesen Schluss aus den Informationsrechten der Aufsichtskommissionen i.S.v. Artikel 153 ParlG und dem damit einhergehenden Recht auf direkten Verkehr mit allen Behörden, Amtsstellen und übrigen Trägern von Aufgaben des Bundes ab.

In der einverlangten Stellungnahme legt die VK BGer ihre Rechtsauslegung im Detail dar, was vorliegend eine vertiefte, rechtliche Prüfung durch die GPK ermöglicht.

2

Rechtliche Beurteilung

2.1

Die Informationsrechte der Aufsichtskommissionen

Unbestritten ist die Aussage der VK BGer, wonach Artikel 7 und Artikel 150 ParlG (Informationsrechte der einzelnen Mitglieder der eidgenössischen Räte und der Kommissionen) vorliegend nicht zur Anwendung kommen. Einerseits bezieht sich die Verweisnorm in Artikel 162 ParlG nicht auf Artikel 7 ParlG, weshalb diese Bestimmung beim Verkehr zwischen der Bundesversammlung und dem Bundesgericht nicht anwendbar ist. Andererseits räumt Artikel 150 ParlG den Aufsichtskommissionen keine Rechte ein, von anderen Behörden und Amtsstellen als vom Bundesrat bzw. aufgrund der Verweisnorm von Artikel 162 ParlG vom Bundesgericht Informationen und Dokumente zu erhalten. Aus diesen Gründen kann auf eine detaillierte Auseinandersetzung mit Artikel 7 und 150 ParlG verzichtet werden.

10

11

12

13 14

Biaggini Giovanni, Informationsrechte der Geschäftsprüfungskommissionen der Eidgenössischen Räte im Bereich der Strafverfolgung aus verfassungsmässiger Sicht, Gutachten im Auftrag der Schweizerischen Eidgenossenschaft, vertreten durch die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) vom 5.6.2008 (hiernach Rechtsgutachten Biaggini 2008; zu finden unter www.parlament.ch > Organe > Kommissionen > Aufsichtskommissionen > GPK > Grundlagenpapiere/Informationsrechte; zuletzt besucht am 26.10.2022).

Niklaus Oberholzer, Informationsrechte der Geschäftsprüfungskommissionen der Eidgenössischen Räte im Bereich der Strafverfolgung aus strafprozessualer Sicht, Gutachten im Auftrag Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) vom 5.6.2008 (hiernach Rechtsgutachten Oberholzer 2008; zu finden unter www.parlament.ch > Organe > Kommissionen > Aufsichtskommissionen > GPK > Grundlagenpapiere/Informationsrechte; zuletzt besucht am 26.10.2022).

Oberaufsichtsrechtliche Feststellung 2008, S. 4; Reto Häggi / Michael Merker, Kommentierung von Artikel 169 in: Waldmann/Belser/Epiney, BSK Bundesverfassung, 2015, Rn. 46.

Oberaufsichtsrechtliche Feststellung 2020, Rn. 9.

Oberaufsichtsrechtliche Feststellung 2020, Rn. 20.

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Die Informationsrechte der Aufsichtskommissionen sind in Artikel 153 ParlG geregelt. Dieser ist aufgrund von Artikel 162 ParlG auch auf den Geschäftsverkehr zwischen den GPK und den eidgenössischen Gerichten sinngemäss anwendbar. Mit Blick auf die Stellungnahme der VK BGer sind vorliegend insbesondere die Absätze 1, 5, 6 und 7 relevant.

Art. 153

Informationsrechte der Aufsichtskommissionen

Die Aufsichtskommissionen haben neben den Informationsrechten nach Artikel 150 das Recht, mit allen Behörden, Amtsstellen und übrigen Trägern von Aufgaben des Bundes direkt zu verkehren und von ihnen in Anwendung von Artikel 156 zweckdienliche Auskünfte und Unterlagen zu erhalten. Sie können einzelne Sachverhaltsabklärungen ihrem Sekretariat übertragen.

1

[...]

Bevor die Aufsichtskommissionen ein Mitglied des Bundesrates befragen, informieren sie es über den Gegenstand der Befragung. Bevor sie Personen befragen, die dem Bundesrat unterstellt sind oder unterstellt waren, orientieren sie den Bundesrat. Auf dessen Verlangen hören sie den Bundesrat vor der Auskunftserteilung von Personen oder der Herausgabe von Unterlagen an.

5

Sie entscheiden endgültig über die Ausübung ihrer Informationsrechte. Sie haben keinen Anspruch auf Einsichtnahme in: 6

a.

Protokolle der Bundesratssitzungen;

b.

Unterlagen, die im Interesse des Staatsschutzes oder der Nachrichtendienste als geheim klassifiziert sind oder deren Kenntnisnahme durch Unberechtigte den Landesinteressen einen schweren Schaden zufügen kann.

Sie treffen geeignete Vorkehrungen für den Geheimnisschutz nach Artikel 150 Absatz 3. Zu diesem Zweck sowie für den Fall, dass ihre Informationsrechte zur Wahrnehmung der Oberaufsicht nicht ausreichen, können sie ihre Delegationen mit der Abklärung einer konkreten Frage beauftragen. Sie erlassen für ihren Zuständigkeitsbereich Weisungen zum Geheimnisschutz. Darin beschränken sie insbesondere den Zugang zu Mitberichten.

7

Verfassungsrechtlich kommen den Aufsichtskommissionen jene Auskunfts-, Einsichtsrechte und Untersuchungsbefugnisse zu, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe benötigen.15 Die Informationsrechte gelten für die Aufsichtskommissionen, deren Subkommissionen und die weiteren Organe der Kommissionen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sekretariates, welche im Auftrag der Aufsichtskommissionen tätig sind, können sich ebenfalls auf diese Rechte berufen.16

15 16

Graf/Moser, Kommentar zu Art. 153 ParlG, Rn. 18; Rechtsgutachten Biaggini 2008, S. 12.

Graf/Moser, Kommentar zu Art. 153 ParlG, Rn. 19.

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2.2

Die Verweisnorm in Art. 162 ParlG

Die Frage der Anwendung der Informationsrechte kann im vorliegenden Fall nur bejaht werden, falls Artikel 162 ParlG anwendbar ist, weshalb zuerst auf diese Bestimmung eingegangen wird.

Die Informationsrechte im Sinne von Artikel 153 ParlG stehen systematisch unter dem Titel «Verkehr der Kommissionen mit dem Bundesrat» (Art. 150­158 ParlG), womit der Anwendungsbereich der Informationsrechte nicht umfassend ist.17 Er geht jedoch über die Bezeichnung des Titels hinaus, was direkt aus Artikel 153 Absatz 1 ParlG hervorgeht: Die Informationsrechte sind auch auf hierarchisch dem Bundesrat unterstellte Verwaltungseinheiten anwendbar.18 Eine weitere Ausdehnung erfährt der Anwendungsbereich der Informationsrechte in Artikel 162 ParlG, der besagt, dass die Bestimmungen über den Verkehr der Kommissionen mit dem Bundesrat (7. Titel, 2. Kapitel) sinngemäss auch auf den Geschäftsverkehr zwischen der Bundesversammlung und den eidgenössischen Gerichten Anwendung finden.

Daraus geht hervor, dass der Gesetzgeber die Anwendbarkeit der Informationsrechte aus Artikel 153 ParlG auch auf das Verhältnis zwischen den Kommissionen und dem Bundesgericht ausgedehnt hat. Die Tragweite der sinngemässen Anwendung von Artikel 153 ParlG auf die eidgenössische Gerichte ist jedoch «sehr viel weniger klar».19 Immerhin geht daraus aber die Grundaussage hervor, wonach die Informationsrechte auch im Verhältnis zu den eidgenössischen Gerichten zur Anwendung kommen sollen, um damit den Aufsichtskommissionen zu ermöglichen, zweckdienliche20 Auskünfte und Unterlagen zu erhalten.21 Mit anderen Worten müssen die Informationsrechte soweit gehen, dass die Aufsichtskommissionen die verfassungsmässige und gesetzliche Aufgabe der Ausübung der Oberaufsicht ­ auch gegenüber den eidgenössischen Gerichten ­ wahrnehmen können.

Allerdings ist den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen (richterliche Unabhängigkeit, Selbstverwaltungsgarantie und Funktionsfähigkeit der Justiz) bei der Anwendung der Informationsrechte Rechnung zu tragen. Gemäss Biaggini ist für den Verkehr zwischen den Aufsichtskommissionen und dem Bundesgericht eine verfassungskonforme Auslegung der Informationsrechte notwendig und geboten, wofür jedoch Raum bestehe.22 In Bezug auf die vorliegende Problematik kann daher festgehalten werden, dass die Frage einer Amtsgeheimnisverletzung
durch die Weitergabe von Informationen aus einem Gericht nicht anders zu beurteilen ist als beim Verkehr zwischen Aufsichtskommissionen und dem Bundesrat. Dies gilt insoweit, als dass die Informationen keine verfassungsmässigen, gerichtsspezifischen Grundsätze tangieren. Die Informa17 18 19

20 21 22

Rechtsgutachten Biaggini 2008, S. 29.

Rechtsgutachten Biaggini 2008, S. 29.

Rechtsgutachten Biaggini 2008, S. 29: Biaggini nennt dabei insbesondere die unmittelbare Entscheidfindung des Bundesrates (gemäss altem Recht) und das Gegenstück der Geheimhaltungsinteressen als Beispiele für die Schwierigkeit bei einer sinngemässen Anwendung.

Zur Frage der Definition der Zweckdienlichkeit siehe unten Ziff. 2.3.

Rechtsgutachten Biaggini 2008, S. 29.

Rechtsgutachten Biaggini 2008, S. 30.

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tionsrechte der Aufsichtskommissionen kommen vorliegend zur Anwendung, was die VK BGer in ihrer Stellungnahme nicht bestreitet.

2.3

Art. 153 Abs. 1 ParlG ­ Anwendungsbereich

Aus Absatz 1 geht insbesondere explizit hervor, dass die Aufsichtskommissionen mit sämtlichen Behörden, Amtsstellen und übrigen Trägern von Aufgaben des Bundes direkt verkehren können, was einen zentralen Unterschied zu den allgemeinen Informationsrechten der Kommissionen gemäss Artikel 150 ParlG darstellt. Weiter wird darin festgehalten, dass die Aufsichtskommissionen berechtigt sind, von diesen Akteuren zweckdienliche Auskünfte und Informationen zu erhalten. Auch können die Kommissionen ihr Sekretariat mit einzelnen Sachverhaltsabklärungen beauftragen.

Der Wortlaut von Artikel 153 Absatz 1 ParlG sieht vor, dass den Aufsichtskommissionen das Recht eingeräumt wird, sämtliche zweckdienlichen Auskünfte und Informationen zu erhalten. Damit wird klar, dass die Kommissionen nicht nur ein aktives, sondern auch ein passives Informationsrecht haben.23 Dies bedeutet, dass die Aufsichtskommissionen auch Informationen entgegen nehmen dürfen, wenn sie diese nicht selber verlangt haben.24 Dieses passive Informationsrecht ergibt sich auch aus einer teleologischen und systematischen Auslegung, da die Aufsichtskommissionen ihre Aufsichtsfunktion in gewissen Fällen nur dann ausüben können, wenn sie Unterlagen erhalten dürfen, die sie nicht einverlangt haben, und so erst Kenntnis von einem für die Oberaufsicht relevanten Sachverhalt erlangen. Es stützt sich auch auf Artikel 156 Absatz 1 ParlG, dass Personen im Dienst des Bundes verpflichtet sind, gegenüber den Aufsichtskommissionen sämtliche zweckdienlichen Unterlagen zu nennen, was die Geltung des passiven Informationsrechtes unterstreicht.

Zudem ist diese Auslegung auch kohärent mit Artikel 129 ParlG, welcher das Recht beinhaltet, zur Geschäftsführung und zum Finanzgebaren des Bundesrates, der Bundesverwaltung, der eidgenössischen Gerichte und anderer Träger von Aufgaben des Bundes Eingaben an die GPK und FK zu tätigen25. Diese Eingaben können von natürlichen oder juristischen Personen eingereicht werden.26 Eine weitergehende Regelung dieses Eingaberechts besteht nicht. Es fällt jedoch unter das Grundrecht in Artikel 33 BV (Petitionsrecht).27 Das in Artikel 129 ParlG enthaltene Eingaberecht zeigt auf, dass die GPK in verschiedener Hinsicht auch Informationen zur Geschäftsführung erhalten, welche diese nicht explizit nachgefragt haben. Es wäre sinnwidrig und
systematisch nicht mit der Konzeption des ParlG vereinbar, wenn die Aufsichtskommissionen zwar Informationen von privaten Akteuren, nicht jedoch von Behörden 23 24 25

26

27

Graf/Moser, Kommentar zu Art. 153 ParlG, Rn. 23.

Graf/Moser, Kommentar zu Art. 153 ParlG, Rn. 23.

Auch wenn Artikel 162 ParlG keinen Verweis auf Artikel 129 ParlG enthält, kann dieser bei der Auslegung von Artikel 153 ParlG in Bezug auf den Verkehr mit den eidgenössischen Gerichten herangezogen werden.

Albrecht Christoph / Noser Elisabeth, Artikel 129 ParlG, in: Graf/Theler/von Wyss, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis der Schweizerischen Bundesversammlung, Bern/Zürich 2014, S. 873 ff., hier Rn. 4 und 6 (hiernach Albrecht/Noser, Kommentar zu Artikel 129 ParlG).

Albrecht/Noser, Kommentar zu Art. 129 ParlG, Rn. 7.

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oder einzelnen Mitgliedern im Dienst des Bundes bzw. der Gerichte entgegennehmen dürften.

Es stellt sich auch die Frage nach dem Gehalt von zweckdienlichen Auskünften und Unterlagen bzw. einer Definition hiervon. Zweckdienlich sind Informationen und Unterlagen dann, wenn sie ­ wie der Begriff bereits vermuten lässt ­ einem Zweck dienen. Der Zweck ist darin zu sehen, dass die Kommissionen auf der Grundlage der Informationen und Unterlagen die Oberaufsicht ausüben können. Der Begriff bezieht sich dabei auf die Wahrnehmung der Oberaufsicht.28 Die Informationsrechte gehen damit nur so weit, als diese für die Ausübung der Oberaufsicht tatsächlich notwendig sind.29

2.4

Art. 153 Abs. 5 ParlG ­ Einbezug des Bundesrates bzw. des Bundesgerichts

Absatz 5 sieht unter anderem vor ­ und dies wird in der Argumentation der VK BGer vorgebracht ­, dass die Aufsichtskommissionen den Bundesrat auf dessen Verlangen hin vor der Auskunftserteilung von ihm unterstellten Personen oder der Herausgabe von Unterlagen anhören.

Mit dieser Bestimmung kommt dem Bundesrat bzw. dem jeweiligen Departementsvorsteher, der jeweiligen Departementsvorsteherin ein vorgängiges Anhörungsrecht zu. Wenn der Bundesrat dies verlangt, wird er angehört. Allerdings kann der Bundesrat die Herausgabe von Unterlagen oder die Auskunftserteilung nicht verhindern.30 Das Anhörungsrecht ist darauf zurückzuführen, dass den Oberaufsichtskommissionen gemäss Artikel 153 Absatz 1 ParlG das Recht zukommt, mit allen Behörden, Amtsstellen und übrigen Trägern von Aufgaben des Bundes direkt zu verkehren.31 In der Praxis wird der jeweilige Departementsvorsteher bzw. die jeweilige Departementsvorsteherin über eine Anhörung einer ihm bzw. ihr unterstellten Person mittels Zusendung der entsprechenden Einladung informiert. Wünscht der Bundesrat von seinem Recht auf eine vorgängige Anhörung Gebrauch zu machen, muss er dies gegenüber den Aufsichtskommissionen kundtun.

Zweck von Artikel 153 Absatz 5 ParlG ist es, dass der Bundesrat bei Bedarf Informationen aus der Verwaltung in den aus seiner Sicht relevanten Kontext setzen und/oder diese mit zusätzlichen Informationen ergänzen oder die Kommission auf allfällige Geheimnisvorbehalte hinweisen kann. Er erhält also die Gelegenheit aus seiner Sicht relevante Informationen im konkreten Fall einzubringen, so dass diese bei den weiteren Abklärungen und der Beurteilung des Sachverhalts durch die GPK berücksichtigt werden können.

28 29 30 31

Graf/Moser, Kommentar zu Art. 153 ParlG, Rn. 26.

Parlamentarische Initiative Parlamentsgesetz (PG), Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 1.3.2001, BBl 2001 3467, hier 3608 f.

Graf/Moser, Kommentar zu Art. 153 ParlG, Rn. 33.

Parlamentarische Initiative Parlamentsgesetz (PG), Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 1.3.2001, BBl 2001 3467, hier 3605.

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Auf den ersten Blick scheint Absatz 5 von Artikel 153 ParlG nicht in Einklang mit dem Recht der Aufsichtskommissionen zu stehen, auch passiv gemäss Artikel 153 Absatz 1 ParlG Informationen zu erhalten.

Wie oben beschrieben, müssen die Aufsichtskommissionen Informationen erhalten können, um die Ausübung der Oberaufsicht vollständig wahrnehmen zu können (Ziff. 2.3). Wenn die Aufsichtskommissionen Informationen und Unterlagen erhalten, ohne diese einverlangt zu haben, erlangt der Bundesrat zu jenem Zeitpunkt Kenntnis hierüber, an dem die jeweilige Kommission etwa eine Anhörung durchführt, ergänzende Auskünfte bei der Departementsvorsteherin oder -vorsteher einholt oder eine Weiterverwertung der Informationen im Rahmen einer Veröffentlichung plant. In diesem Moment steht es dem Bundesrat auch frei, von seinem Recht, angehört zu werden, Gebrauch zu machen. Alleine die Tatsache, dass verschiedene Dokumente oder Informationen im Besitz der Aufsichtskommissionen sind, kann nicht entscheidend sein, dass sich der Bundesrat dazu äussern kann. Zentral hierbei ist somit nicht der Besitz, sondern die Verwendung und allfällige Veröffentlichung von Informationen.

Diesbezüglich ist einerseits auf das vorgängige Anhörungsrecht des Bundesrates im Sinne von Artikel 153 Absatz 5 ParlG und andererseits auf das Recht des Bundesrates, vor der Veröffentlichung von Informationen Stellung zuhanden der jeweiligen Kommission zu nehmen (Art. 157 ParlG), hinzuweisen. Diese Grundsätze ­ insbesondere auch letzterer ­ gelten aufgrund der Verweisnorm in Artikel 162 ParlG auch für das Bundesgericht.32

2.5

Art. 153 Abs. 6 ParlG ­ Entscheid über die Ausübung der Informationsrechte

Artikel 153 Absatz 6 ParlG enthält unter anderem die Kompetenz der Aufsichtskommissionen, über die Ausübung der Informationsrechte endgültig zu entscheiden.

Das Recht der Aufsichtskommissionen, selber über die Ausübung der Informationsrechte zu entscheiden, unterscheidet sich von den allgemeinen Informationsrechten nach Artikel 150 ParlG. Bei Letzteren kommt ein Vermittlungsversuch durch das Ratspräsidium des jeweiligen Rates zur Anwendung, falls die Ausübung der Informationsrechte strittig ist (Art. 150 Abs. 4 ParlG). In diesem Fall kommt je nach Grund hierfür ein anderes Verfahren zum Zuge (Art. 150 Abs. 5 und 6 ParlG).

Der Grund, weshalb bei der Streitschlichtung nach Artikel 150 ParlG und Artikel 153 ParlG ein Unterschied gemacht wird, ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die jeweilige Aufsichtskommission selber entscheiden können muss, ob die betreffenden Auskünfte oder Unterlagen zweckdienlich sind und ein Anspruch auf deren Herausgabe besteht.33 Es sind damit die Aufsichtskommissionen alleine, welche über die Ausübung der Informationsrechte abschliessend entscheiden, da das ParlG ihnen 32

33

Moser Irene, Artikel 157 ParlG, in: Graf/Theler/von Wyss, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis der Schweizerischen Bundesversammlung, Bern/Zürich 2014, S. 1081 ff., hier Rn. 2 (hiernach Moser, Kommentar zu Art. 157 ParlG).

Parlamentarische Initiative Parlamentsgesetz (PG), Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 1.3.2001, BBl 2001 3467, hier 3488; Graf/Moser, Kommentar zu Artikel 153 ParlG, Rn. 34.

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diese Kompetenz ausdrücklich einräumt. Gemeinsam ist beiden Verfahren, dass der abschliessende Beschluss über die Ausübung der Informationsrechte bei einem parlamentarischen Organ liegt. Die Ausübung der Informationsrechte untersteht keiner gerichtlichen Kontrolle, was die Geschäftsprüfungskommissionen bereits in ihrer oberaufsichtsrechtlichen Feststellung festgehalten haben.34 Biaggini kommt in seinem Gutachten aus dem Jahr 2008 ebenfalls zum Schluss, dass es durchaus zweckmässig sei, dass dieser Entscheid den GPK zukommt.35 Dies widerspiegelt auch den Willen des Gesetzgebers, hielt die Staatspolitische Kommission des Nationalrates doch in ihrem Bericht zur Revision des ParlG fest: «Insbesondere wird für die Oberaufsicht festgeschrieben, dass neu der Kontrolleur und nicht wie bisher der Kontrollierte darüber entscheidet, welche Informationen für eine wirksame Kontrolle benötigt werden».36 Der Gesetzgeber hat sich bei der Einführung des ParlG bewusst für diesen Paradigmenwechsel entschieden, welcher für die Aufgabenerfüllung der Organe der Oberaufsicht von zentraler Bedeutung ist.37 Für eine funktionierende Oberaufsicht muss der Entscheid über die Ausübung der Informationsrechte bei den Akteuren der Oberaufsicht liegen, ansonsten eine wirksame Oberaufsicht nicht ausgeübt werden kann.

Gleichzeitig kommt den Oberaufsichtsorganen mit dieser Kompetenz auch die Verpflichtung zu einem verantwortungsvollen Umgang bei der Ausübung der Informationsrechte zu.38 Diese abschliessende Zuweisung der Entscheidkompetenz kommt im Sinne von Artikel 162 i.V.m. Artikel 153 Absatz 6 ParlG auch beim Umgang mit den eidgenössischen Gerichten zur Anwendung. Der Wille des Gesetzgebers ist diesbezüglich klar: Es sind die Kommissionen selber, welche über die Ausübung der Informationsrechte entscheiden. Allerdings ist hier der verfassungsrechtlich geschützten, richterlichen Unabhängigkeit speziell Rechnung zu tragen.39

34

35 36 37 38 39

Oberaufsichtsrechtliche Feststellung 2020, Rn. 10: An dieser Stelle halten die GPK fest, dass mit diesem Grundsatz auch die verfassungsmässige Ordnung konkretisiert werde, wonach die Bundesversammlung die oberste Gewalt im Bund darstellt (Art. 148 BV) und der Bundesversammlung auch die Oberaufsicht über die eidgenössischen Gerichte zuweist (Art. 169 Abs. 1 BV). Der Grundsatz wonach der Bundesversammlung die oberste Gewalt im Bund zukomme, habe nur eine sehr begrenzte normative Kraft, schreibt Biaggini (Rechtsgutachten Biaggini 2008, S. 14).

Rechtsgutachten Biaggini 2008, S. 35.

Parlamentarische Initiative Parlamentsgesetz (PG), Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 1.3.2001, BBl 2001 3467, hier 3469.

Rechtsgutachten Biaggini 2008, S. 35.

Rechtsgutachten Biaggini 2008, S. 35.

Rechtsgutachten Biaggini 2008, S. 36: Biaggini hält aus verfassungsrechtlicher Sicht dafür, dass der einseitig ausgestaltete Streitbeilegungsmechanismus nicht unproblematisch sei. Allerdings muss auch hier dem Kontrolleur die Entscheidkompetenz zukommen.

Wie Biaggini richtigerweise darauf hinweist, kann die Entscheidung über die endgültige Ausübung der Informationsrechte, aufgrund von Geheimhaltungsinteressen nicht an ein anderes Organ übertragen werden.

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2.6

Schranken der Informationsrechte im Sinne von Art. 153 ParlG

Obwohl die Informationsrechte der Aufsichtskommissionen sehr weit reichen und die Kommissionen endgültig über deren Ausübung entscheiden, sind verschiedene Schranken zu beachten. Einerseits handelt es sich um die in Artikel 153 Absatz 6 ParlG vorgesehenen Schranken, auf die ­ mangels Relevanz zum vorliegend in Frage stehenden Sachverhalt ­ nicht weiter einzugehen ist. Weitere zu beachtende Schranken sind: die bundesstaatliche Kompetenzordnung, die richterliche Unabhängigkeit und die Selbstverwaltungsgarantie (Art. 188 Abs. 3 BV), die verfassungsmässigen Zuständigkeiten und Befugnisse anderer Bundesbehörden, sowie die Funktionsfähigkeit derselben.40 Die wichtigste Schranke in Zusammenhang mit der Ausübung der Informationsrechte dürfte indes aber die Zweckdienlichkeit der einverlangten bzw. erhaltenen Informationen sein. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Kommissionen häufig erst über die Zweckdienlichkeit einer Information urteilen können, wenn ihnen die Existenz bzw. der Inhalt der Information oder des Dokumentes bekannt ist. Das passive Informationsrecht ist für die Ausübung der Oberaufsicht zentral. Falls die Aufsichtskommissionen Informationen oder Unterlagen erhalten, bei denen sie nach Kenntnisnahme des Inhaltes zum Schluss kommen, dass diese nicht zweckdienlich für die Ausübung der Oberaufsicht sind, dürfen die Kommissionen diese Informationen weder verwenden noch veröffentlichen. Dies ergibt sich sowohl aus dem Verfassungsund Gesetzesauftrag als auch aus der ratio legis von Artikel 153 ParlG. Würde man die Aufsichtskommissionen dieses passiven Informationsrechts berauben, führte dies dazu, dass sie die Oberaufsicht nicht umfassend ausüben können. Gleichzeitig widerspräche dies auch der Systematik der gesetzlichen Vorgaben, insbesondere im Hinblick auf Artikel 129 ParlG und den diesbezüglichen Aufgaben der Aufsichtskommissionen. Die Aufsichtskommissionen sind in Anwendung von Artikel 129 ParlG per se berechtigt, Informationen zu erhalten, die sie nicht einverlangt haben. Es gilt in diesem Zusammenhang auch daran zu erinnern, dass der Gesetzgeber den GPK eine ständige Oberaufsichtsaufgabe zugewiesen hat, auf die sich ebenfalls Informantinnen und Informanten berufen können.

Unbestritten ­ auch von Seiten der VK BGer ­ ist, dass das Amtsgeheimnis gerade keine Schranke der Informationsrechte
der Aufsichtskommissionen darstellt. Um dieses Geheimnis zu schützen und dem Umstand der weitreichenden Informationsrechte Rechnung zu tragen, sind die Kommissionen verpflichtet, gemäss Artikel 153 Absatz 7 i.V.m. Artikel 150 Absatz 3 und Artikel 8 ParlG geeignete Massnahmen zum Geheimnisschutz zu ergreifen. In der Praxis haben sich diesbezüglich verschiedene Massnahmen bewährt (persönlich nummerierte Dokumente, zeitlich begrenzte Einsichtnahme in Unterlagen, etc.).

«Dem Parlamentsgesetz liegt die Konzeption zu Grunde, dass den Kommissionen der Zugang zu Informationen nicht allein aus Gründen des Amtsgeheimnisses eingeschränkt werden kann. Informationen können nur dann verweigert werden, wenn sie 40

Rechtsgutachten Biaggini 2008, S. 11 ff.: siehe an dieser Stelle auch für eine ausführliche Schilderung dieser Schranken.

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nicht der Aufgabenerfüllung der Kommissionen dienen oder einen durch das Parlamentsgesetz ausgeschlossenen Sachbereich betreffen.»41 Weiter ist daran zu erinnern, dass die einzelnen Mitglieder der eidgenössischen Räte ihrerseits an das Amtsgeheimnis gebunden sind (Art. 8 ParlG).

Die Auslegung der VK BGer vermag zudem vor dem Hintergrund der neueren Rechtsetzung im Bereich der allgemeinen Anzeigepflichten aus systematischer Sicht nicht zu überzeugen.42

2.7

Beurteilung der Argumente des Bundesgerichts

Die VK BGer hält einleitend fest, dass nur dann von einer strafrechtlich relevanten Verletzung des Amtsgeheimnisses gesprochen werden kann, wenn das Geheimnis einer dazu nicht ermächtigten Person mitgeteilt worden sei. Wenn kein Recht bestehe, eine Information zu verlangen, bestehe auch kein Recht eine Information zu erhalten.

Die VK BGer bestätigt damit richtigerweise den Grundsatz, dass in Konstellationen, in welchen eine Oberaufsichtskommission berechtigt ist, eine Information aktiv zu verlangen, sie auch das Recht haben muss, diese Information passiv zu erhalten.

Wie bereits weiter oben dargelegt wurde, stimmen die GPK der Ansicht der VK BGer zu, wonach sich das Informationsrecht nach Artikel 7 ParlG nicht auf den vorliegenden Sachverhalt erstreckt und daher nicht zur Anwendung kommen kann. Auch Artikel 150 ParlG gelangt nicht zur Anwendung, da es vorliegend um eine Information geht, welche von einer Richterin am Bundesstrafgericht erteilt worden ist und damit nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 150 ParlG fällt.

Indem die VK BGer zum Schluss gelangt, dass das Informationsrecht der Aufsichtskommissionen nicht von einem einzelnen Mitglied der Kommission ohne ein entsprechendes Mandat der Kommission ausgeübt werden darf, verkennt sie, dass es sich hierbei um das passive Informationsrecht der Kommission handelt. Die Frage, die sich nämlich stellen muss, ist, ob die Kommission von ihrem Informationsrecht aktiv Gebrauch gemacht hätte, wenn sie von der Existenz des Dokumentes bzw. der Information gewusst hätte. Hierbei gilt es den oben erwähnten gesetzlichen und verfassungsmässigen Schranken Rechnung zu tragen. Wenn eine im Dienst des Bundes stehende Person und, aufgrund der Verweisnorm von Artikel 162 ParlG eine den eidgenössischen Gerichten angehörende Person eine Information an ein Mitglied einer Kommission der parlamentarischen Oberaufsicht mit der Intention weitergibt, dass diese Information an die Kommission übermittelt und dort behandelt wird, kann keine Amtsgeheimnisverletzung vorliegen, da das Amtsgeheimnis den Aufsichtskommissionen nicht entgegengehalten werden darf. Es ist sodann an den Kommissionen zu entscheiden, ob die erhaltene Information für die Ausübung der Oberaufsicht zweckdienlich ist.

41

42

Parlamentarische Initiative, Präzisierung der Informationsrechte der Aufsichtskommissionen, Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 3.12.2010, BBl 2011 1817, hier 1821.

So sehen Artikel 94 Bundespersonalverordnung (BPV), Artikel 22a Bundespersonalgesetz (BPG) zum Beispiel vor, dass jenen Personen, für die das BPG anwendbar ist, Anzeigepflichten aus anderen Bundesgesetzen vorbehalten werden.

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Es würde dem Willen des Gesetzgebers, der Systematik und dem Sinn und Zweck der Informationsrechte widersprechen, wenn darauf abgestellt wird, ob eine Person im Dienst des Bundes bzw. der eidgenössischen Gerichte eine Information einem Mitglied einer Aufsichtskommission oder der Gesamtkommission als solches zukommen lässt. Das Mitglied ist in diesen Fällen allerdings verpflichtet, die erhaltenen Informationen an die Kommission weiterzugeben, wie dies im vorliegenden Fall geschehen ist.

Auch dem Argument der vorgängigen Information bzw. allfälligen Anhörung des Bundesrates bzw. der Vertreterinnen und Vertreter des Bundesgerichts kann, wie weiter oben bereits festgestellt wurde, nicht gefolgt werden. Konkret wird ­ bei der passiven Ausübung der Informationsrechte ­ die VK BGer bei einer allfälligen Verwendung bzw. Anhörung informiert und auf deren Verlangen hin angehört. Dies steht im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben, da die ratio legis einer allfälligen Anhörung darin zu sehen ist, dass die betroffene Behörde Stellung nehmen und auf allfällige Vorbehalte unter anderem in Bezug auf den Geheimnisschutz hinweisen kann. Jedoch können die Kommissionen an der Ausübung des Informationsrechts nicht gehindert werden. Sie sind aber im Gegenzug verpflichtet, geeignete Massnahmen zum Geheimnisschutz zu treffen, was nicht zu einer Beschränkung der Informationsrechte führt, sondern die Art und Weise der Bearbeitung vorgibt. Massnahmen zum Geheimnisschutz werden von den Organen GPK standardmässig ergriffen, wenn dies erforderlich ist.43 Diese Verpflichtung ist auf die weitreichenden Informationsrechte der Oberaufsichtskommissionen zurückzuführen.44 Der Auffassung der VK BGer, wonach es eines offiziellen Kommissionsmandates bedarf, damit ein einzelnes Kommissionsmitglied die Informationsrechte ausüben kann, ist zuzustimmen. Dies trifft jedoch nur zu, wenn es sich um die aktive Ausübung der Informationsrechte handelt. Auf der passiven Seite müsste ­ nach der Argumentation der VK BGer ­ ein einzelnes Kommissionsmitglied, wenn dieses von einer im Dienst des Bundes oder der eidgenössischen Gerichte stehenden Person Informationen entgegennehmen will, die Kommission zuerst formell um einen offiziellen Auftrag zur Entgegennahme ersuchen. In solch einem Fall würde die Kommission zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht
darüber befinden können, ob die Information tatsächlich zweckdienlich ist, weil sie den Inhalt der Information gar nicht kennt.

Mit anderen Worten muss ein Mitglied einer Aufsichtskommission Informationen zuhanden der Kommission entgegennehmen dürfen.45 Selbstverständlich ist es dann in der Kompetenz der Kommission zu entscheiden, ob die Information tatsächlich 43

44 45

Siehe hierzu die Weisungen vom 27.1.2012 der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte über ihre Massnahmen zum Geheimnisschutz, zu finden unter www.parlament.ch > Organe > Kommissionen > Aufsichtskommissionen > GPK > Grundlagenpapiere/Informationsrechte (zuletzt besucht am 6.1.2023).

Parlamentarische Initiative Parlamentsgesetz (PG), Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 1.3.2001, BBl 2001 3467, hier 3601.

Auch die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates erkannte in einem früheren, ähnlich gelagerten Fall keine Rechtsverletzung darin, dass ein Mitglied des Nationalrates, extern erhaltene Informationen zu einem mutmasslichen Missstand an das zuständige Aufsichtsorgan weitergeleitet hatte (siehe hierzu 12.190 Immunität von Nationalrat Christoph Blocher. Gesuch um Aufhebung, Entscheid der Kommission für Rechtsfragen vom 31.5.2012, S. 5). Die Rechtskommission hielt explizit fest, dass es ebenso legitim gewesen wäre, die zuständigen Kommissionen der Bundesversammlung zu orientieren.

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zweckdienlich für die Ausübung der Oberaufsicht ist. Diese Abwägung kann die Kommission erst dann vornehmen, wenn ihr die Informationen hinreichend bekannt sind.

Angesichts des Artikel 153 Absatz 6 ParlG steht es dem Bundesgericht schon aus formellen Gründen nicht zu, die Informationsrechte der Aufsichtskommissionen gegenüber den GPK auszulegen. Die abschliessende Auslegung obliegt ausschliesslich den Aufsichtskommissionen.

3

Schlussfolgerungen

Die GPK kommen im Sinne der oben dargelegten Überlegungen zum Schluss, dass die Informationsrechte der Oberaufsichtskommissionen anwendbar sind, wenn ein Mitglied einer Kommission eine Information entgegennimmt und diese an die Kommission zur Behandlung weiterleitet. Dazu bedarf es keines expliziten Mandats an das Kommissionsmitglied. Dies ist ein direkter Ausfluss aus der passiven Wahrnehmung der Informationsrechte und der Wahrnehmung der ständigen Oberaufsichtsverantwortung in Ausübung des verfassungsmässigen und gesetzlichen Auftrags durch die GPK.

Die Frage, ob ein Mitglied der Kommission eine Information zuhanden dieser entgegennimmt, darf keine Rolle spielen, sofern die Information zur weiteren Bearbeitung an die Kommission weitergeleitet wird. Der Forderung nach einem konkreten Mandat zur Ausübung der Informationsrechte kann bei der passiven Ausübung der Informationsrechte nicht entsprochen werden, da die Kommission von der Information keine Kenntnis hat. Dies ist das Wesen der passiven Ausübung der Informationsrechte.

Zentral hierbei ist, dass die Organe der Oberaufsicht abschliessend über die Ausübung der Informationsrechte entscheiden. Die Ausübung der Informationsrechte unterliegt weder einer Überprüfung noch einer Auslegung durch die eidgenössische Gerichte.

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Das Amtsgeheimnis kann den Organen der Oberaufsicht nicht entgegengehalten werden; bei der passiven Wahrnehmung der Informationsrechte auch nicht gegenüber deren Mitglieder. Die gegenteilige Auslegung durch die VK BGer würde schliesslich dazu führen, dass die Kommissionen die Ausübung der Oberaufsicht nicht vollständig wahrnehmen können.

24. Januar 2023

Im Namen der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte Der Präsident der GPK-S: Matthias Michel Die Präsidentin der GPK-N: Prisca Birrer-Heimo Die Sekretärin: Ursina Jud Huwiler Der Präsident der Subkommission Gerichte/BA der GPK-S: Hans Stöckli Die Präsidentin der Subkommission Gerichte/BA der GPK-N: Manuela Weichelt Der Sekretär der Subkommissionen Gerichte/BA der GPK: Stefan Diezig

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