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23.027 Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) (Anlage von Freizügigkeitsgeldern der Auffangeinrichtung) vom 1. Februar 2023

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

1. Februar 2023

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2023-0318

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Übersicht Die vorgeschlagene Änderung des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) soll es der Auffangeinrichtung BVG ermöglichen, die Vorsorgeguthaben aus dem Freizügigkeitsbereich bis zum Betrag von 10 Milliarden Franken für weitere vier Jahre zinslos und unentgeltlich bei der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV) im Rahmen der zentralen Tresorerie des Bundes (Bundestresorerie) anzulegen. Die Geltungsdauer von Artikel 60b BVG soll entsprechend verlängert werden.

Ausgangslage Die Auffangeinrichtung BVG ist eine von den Sozialpartnern getragene Stiftung mit gesetzlichem Auftrag im Bereich der beruflichen Vorsorge. Sie hat unter anderem die Aufgabe, die Freizügigkeitsguthaben entgegenzunehmen, die an sie überwiesen werden.

Es handelt sich um Freizügigkeitsguthaben von Personen, die nach der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ­ zum Beispiel infolge Kündigung ­ nicht sofort ein neues Arbeitsverhältnis antreten. Diese Personen haben grundsätzlich keine Möglichkeit, ihr Freizügigkeitsguthaben in einer Vorsorgeeinrichtung zu belassen. Sie müssen der bisherigen Vorsorgeeinrichtung mitteilen, auf welche Freizügigkeitseinrichtung diese ihre Freizügigkeitsleistung überweisen soll. Bleibt diese Mitteilung aus, so überweist die Vorsorgeeinrichtung die Freizügigkeitsleistung nach sechs Monaten an die Auffangeinrichtung. Im Gegensatz zu den Freizügigkeitseinrichtungen darf diese die Annahme von Guthaben nicht ablehnen. Freizügigkeitsguthaben dürfen nicht mit Negativzinsen belastet werden.

Die Auffangeinrichtung muss demnach den Nominalwert der Einlage gewährleisten.

Auch untersteht sie einem Kontrahierungszwang. Ist die Verzinsung an den Finanzmärkten tief, muss sie bei der Wiederanlage der Gelder Risiken eingehen. Negativzinsen respektive tiefe Zinsen stellen für die Auffangeinrichtung demnach ein Problem dar, da das Eingehen von Risiken eine Schwankungsreserve erfordert, welche nicht jederzeit oder nicht jederzeit in genügendem Ausmass vorhanden sein kann. Gerät sie bei den Freizügigkeitskonten in Unterdeckung, ist sie nicht sanierungsfähig.

Inhalt der Vorlage Die Auffangeinrichtung hat im September 2020 das Recht erhalten, Mittel aus dem Freizügigkeitsbereich zinslos und unentgeltlich bei der Bundestresorerie anzulegen.

Neu- oder Ersatzanlagen sind
dabei nur möglich, wenn der aktuelle Deckungsgrad in diesem Bereich unter 105 Prozent liegt. Zudem ist das Anlagevolumen auf maximal 10 Milliarden Franken beschränkt. Dieses Recht ist befristet und läuft im September 2023 aus. Die Geltungsdauer soll vorerst um weitere vier Jahre verlängert werden. In dieser Zeitspanne wird geprüft, ob weiterhin eine Lösung notwendig ist und, wenn ja, welche Lösung angemessen ist.

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

1.1.1

Freizügigkeit

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bei einem Arbeitgeber mehr als 21 510 Franken pro Jahr verdienen, sind für die berufliche Vorsorge obligatorisch in der Vorsorgeeinrichtung ihres Arbeitgebers versichert. Bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses, bevor ein Vorsorgefall (Alter, Tod oder Invalidität) eintritt, verlassen die Versicherten grundsätzlich die Vorsorgeeinrichtung; der Verbleib in der bisherigen Vorsorgeeinrichtung ist nur im Rahmen von Artikel 47 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 19821 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) sowie seit dem 1. Januar 2021 im Rahmen von Artikel 47a BVG zulässig. Die Vorsorgeeinrichtung muss den bisher bei ihr Versicherten die sogenannte Freizügigkeitsleistung mitgeben. Im Normalfall überweist sie die Freizügigkeitsleistung an die Vorsorgeeinrichtung des neuen Arbeitgebers. Versicherte, die kein neues Arbeitsverhältnis eingehen und deshalb nicht in eine neue Vorsorgeeinrichtung eintreten, müssen die Freizügigkeitsleistung auf ein Freizügigkeitskonto bei einer Freizügigkeitsstiftung oder auf eine Freizügigkeitspolice bei einer Versicherungsgesellschaft überweisen lassen. Die Freizügigkeitsstiftungen wurden vielfach von Banken gegründet und sind mit diesen weiterhin verbunden. Die versicherte Person teilt der bisherigen Vorsorgeeinrichtung mit, welche Freizügigkeitseinrichtung sie gewählt hat.

Für arbeitslos gewordene Personen bietet sich insbesondere ein Freizügigkeitskonto an. Auf diesem wird das Geld platziert, bis die Person wieder eine Stelle gefunden hat und das Geld in die neue Vorsorgeeinrichtung einbringen kann. Da der Zeitraum bis zum Eingehen eines neuen Arbeitsverhältnisses meist unklar ist, ziehen es die meisten betroffenen Personen vor, das Geld nicht in risikoträchtige Wertschriften zu investieren, da diese Risiken einen gewissen Anlagehorizont voraussetzen und von den Versicherten oft nicht getragen werden können.

Unterlässt es die versicherte Person, ihrer bisherigen Vorsorgeeinrichtung mitzuteilen, wohin diese die Freizügigkeitsleistung überweisen soll, so ist diese gesetzlich verpflichtet, die Leistung frühestens nach sechs Monaten und spätestens nach zwei Jahren an die Auffangeinrichtung BVG zu überweisen.

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SR 831.40

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1.1.2

Auffangeinrichtung BVG

Die Auffangeinrichtung BVG (Auffangeinrichtung) ist eine von den Sozialpartnern getragene Stiftung, die ihre Grundlage im BVG hat. Neben weiteren Aufgaben muss sie insbesondere Freizügigkeitskonten verwalten. Sie muss alle Freizügigkeitsguthaben entgegennehmen, die an sie überwiesen werden. Im Gegensatz zu den Freizügigkeitseinrichtungen darf sie die Annahme von Guthaben nicht ablehnen.

Per Ende 2021 betreute die Auffangeinrichtung im Bereich Freizügigkeit 1,34 Millionen Kundinnen und Kunden, was rund 55 % aller Freizügigkeitskonten (inkl. Policen) entspricht. Allerdings handelt es sich dabei vielfach um Personen mit kleinen Guthaben. Die Höhe der von der Auffangeinrichtung verwalteten Freizügigkeitsguthaben betrug Ende 2021 rund 15,6 Milliarden Franken. Zum Vergleich befanden sich auf den Freizügigkeitskonten (Konten in Form der reinen Sparlösung) der Banken gemäss Bankenstatistik per Ende 2021 rund 35,3 Milliarden Franken.

Freizügigkeitsgelder bei Banken, Versicherungen und der Auffangeinrichtung, 2015­2021

Total in Mio. Fr.

2021 Veränderung Veränderung 19/20 20/21

2015

2019

2020

52 360

55 661

57 061

56 911

+2,5 %

­0,3 %

Freizügigkeitskonten bei Banken ­ Summe in Mio. Fr.

­ Anzahl

36 272 741 067

36 443 36 430 869 031 848 160.

35 321 836 118

0,0 % ­2,4 %

­3,0 % ­1,4 %

Freizügigkeitspolicen bei Versicherungen ­ Summe in Mio. Fr.

­ Anzahl

7 724 377 241

6 522 294 105

6 023 275 725

­3,2 % ­3,0 %

­4,6 % ­3,3 %

12 697 14 319 15 567 1 194 107 1 272 578 1 344 676

+12,8 % +6,6 %

+8,7 % +5,7 %

6 312 285 168

Freizügigkeitskonten bei Auffangeinrichtung ­ Anzahl

8 364 957 810

Quellen: Schweiz. Sozialversicherungsstatistik 2021 / Angaben der Auffangeinrichtung für 2021 und 2022 / Bankenstatistik der SNB / Angaben der FINMA.

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1.1.3

Auswirkung der Zinsentwicklung auf die Freizügigkeitseinrichtungen und die Auffangeinrichtung

1.1.3.1

Negativzinsen und ihre Folgen

Mit der Einführung von Negativzinsen durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) im Januar 2015 war es für Finanzintermediäre weniger attraktiv, Freizügigkeitsgelder entgegenzunehmen. Gemäss geltendem Recht ist der Nominalwert auf Freizügigkeitskonten garantiert. Wenn der Zinssatz bei einer risikolosen Anlage negativ ist, muss daher ein Kostenträger die Differenz zwischen dem Nominalwert und dem Wert aufgrund der Negativverzinsung übernehmen.

Im Bereich der kurzfristigen Zinsen lag der dreimonatige Saron-Satz Ende April 2022 bei ­0,706 %2. Die Banken konnten sich demnach in einem Negativzinsumfeld deutlich günstiger am Geldmarkt refinanzieren, als dies durch Spargelder, Freizügigkeitsgelder oder Säule-3a-Gelder möglich war.

Die von Januar 2015 bis Mitte 2022 sinkende Attraktivität des Freizügigkeitsbereiches spiegelt sich in der stagnierenden Summe von Freizügigkeitsguthaben bei Banken, während bei der Auffangeinrichtung die Höhe der entsprechenden Gelder stark gewachsen ist. Der Auffangeinrichtung sind 2020 per Saldo3 1,62 Milliarden und 2021 1,25 Milliarden Franken Freizügigkeitsgelder zugeflossen. Auch in den Vorjahren war der Zufluss bedeutend. Zwischen 2015 und 2021 hat die Summe der Freizügigkeitsgelder bei der Auffangeinrichtung von rund 8,4 auf rund 15,6 Milliarden Franken zugenommen, während sie bei den Freizügigkeitsstiftungen der Banken leicht zurückgegangen ist. Aufgrund der negativen Zinsen sank demnach das Interesse der Finanzdienstleister an Freizügigkeitsgeldern. Freizügigkeitseinrichtungen können Gelder ablehnen oder aber nur das sogenannte Wertschriftensparen anbieten. Beim Wertschriftensparen können die Anbieter vergleichsweise attraktive Gebühren erheben, und das Anlagerisiko trägt der Kunde oder die Kundin. Das Wachstum im Bereich der Freizügigkeitskonten (in Form der reinen Sparlösung) fand demnach fast ausschliesslich bei der Auffangeinrichtung statt. Die Freizügigkeitspolicen bei Versicherungen sind betragsmässig zwar weniger relevant, aber in der Tendenz noch deutlicher abnehmend. Auch hier manifestieren sich die langfristigen Folgen der Negativzinspolitik.

1.1.3.2

Situation der Auffangeinrichtung nach Ausbruch der Covidkrise

Nach dem Einbruch der Finanzmärkte im März 2020 sank der Deckungsgrad der Auffangeinrichtung im Freizügigkeitsbereich auf 101,6 %. Es drohte eine Unterdeckung.

Auch war unklar, ob mit weiteren Zuflüssen aufgrund steigender Arbeitslosigkeit zu rechnen war. Ein solcher Geldzufluss hätte den Deckungsgrad weiter gesenkt.

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Interest rates, yields and foreign exchange market (snb.ch). SARON = Swiss Average Rate Overnight.

Zuflüsse nach Abzug der Abflüsse.

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Die Auffangeinrichtung kann ­ anders als Banken ­ nicht einfach auf lukrativere Formen des Freizügigkeitsgeschäfts wie das Wertschriftensparen ausweichen und entsprechend das Anlagerisiko auf die Versicherten abwälzen. Sie unterliegt einem Kontrahierungszwang, d. h. sie kann die Freizügigkeitsgelder nicht ablehnen, sondern muss Konten in Form der reinen Sparlösung anbieten. Auf diesen kann sie den Versicherten keine Negativzinsen belasten. Sie muss den Nominalwert garantieren. Solange die Negativzinspolitik der SNB bestand, konnte sie die Gelder nicht kurzfristig und gleichzeitig risikofrei oder zumindest risikoarm anlegen. Sie musste Risiken eingehen.

Die Auffangeinrichtung kann im Freizügigkeitsbereich keine Sanierungsmassnahmen ergreifen. Die Versicherten können die Auffangeinrichtung jederzeit verlassen, es existiert kein Zwangsanschluss, und von den Versicherten können auch keine Sanierungsbeiträge erhoben werden. Eine Unterdeckung und die damit verbundene Unsicherheit können ­ wie bei einer Bank ­ zu einem Ansturm auf die Konten führen. Bei einer Unterdeckung würde jede austretende Person den Deckungsgrad der Auffangeinrichtung verschlechtern, da vom Freizügigkeitsguthaben dieser Person trotz Unterdeckung keine Abzüge gemacht werden können. Der Sicherheitsfonds BVG haftet nicht für Freizügigkeitsgelder. Allerdings kann die Auffangeinrichtung in einem positiven Zinsumfeld Erträge erwirtschaften. Damit ist eine bescheidene Unterdeckung bei positiven Zinsen verkraftbar, im Falle von Negativzinsen jedoch nicht mehr.

Die Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) sowohl des National- wie auch des Ständerates haben dem Bundesrat am 29. April beziehungsweise am 1. Mai 2020 geschrieben, dass sie zugunsten der Auffangeinrichtung die Prüfung eines Nullzinskontos bei der SNB oder der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV) empfehlen. Der Bundesrat hat in seiner mündlichen Antwort eine entsprechende Prüfung des Anliegens zugesagt. Anschliessend hat das Parlament im Herbst 2020 Artikel 60b BVG mittels dringlichem Verfahren beschlossen. Dieser ermöglicht es der Auffangeinrichtung, bei einem Deckungsgrad von unter 105 % maximal 10 Milliarden Franken bei der Bundestresorerie anzulegen.

Artikel 60b BVG ist seit dem 26. September 2020 in Kraft und bis zum 25. September 2023 befristet. Lange
Zeit musste die Auffangeinrichtung die Regelung nicht in Anspruch nehmen. Aufgrund der allgemeinen Stabilisierung der Finanzmärkte erholte sich ihr Deckungsgrad bis Ende Dezember 2021 auf 108 %.

1.1.3.3

Inflations- und Zinsentwicklung ab 2021

Im Bereich der Inflations- und Zinsentwicklung fand ab 2021 eine deutliche Richtungsänderung statt. Nach langen Jahren mit einer tiefen und teilweise sogar negativen Inflationsentwicklung ist die Teuerung deutlich angestiegen, auch wenn die Schweiz aktuell noch tiefere Zahlen aufweist als andere Wirtschaftsräume, zum Beispiel die USA oder der EU-Raum. Die Inflation in der Schweiz ist seit Februar 2022 angestiegen. Im November 2022 betrug die Teuerung gegenüber dem Vorjahresmonat gemäss dem Landesindex der Konsumentenpreise 3,0 %. Am 16. Juni 2022 hat die SNB ihren Leitzins deshalb um 0,5 % auf -0,25 % erhöht. Am 22. September folgte eine weitere Zinserhöhung um 0,75 % auf 0,5 %. Aufgrund der anhaltenden 6 / 18

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Inflationsdynamik sind weitere Zinserhöhungen der SNB zudem nicht ausgeschlossen. Der 7-jährige Zinssatz der Bundesobligationen lag Ende Oktober 2022 bei 0,97 % und damit deutlich im positiven Bereich. Ende 2020 hatte der Wert noch -0,63 %, und Ende 2021­0,27 % betragen. Deutlich höher als die risikoarmen Bundesobligationen sind die Swapsätze (mit welchen sich auch Banken refinanzieren). Der 3-jährige Swapsatz lag Ende Oktober 2022 beispielsweise bei ca. 1,53 %. Damit sind Freizügigkeitskonten mit einer Nullverzinsung oder einer geringen Verzinsung für die Banken wieder eine attraktive Quelle der Refinanzierung, dies auch deshalb, weil diese Gelder oft vergleichsweise lange auf den Konten bleiben.

1.1.3.4

Aktuelle Lage der Auffangeinrichtung

Ansteigende Inflation und Zinsen, eine restriktivere Geldpolitik der Notenbanken und geopolitische Spannungen erhöhen aber auch die Wahrscheinlichkeit grösserer Schwankungen und von Rückschlägen an den Finanzmärkten. Auch das Coronavirus kann sich jederzeit mit neuen unangenehmen Überraschungen bemerkbar machen.

Sollte sich die Konjunktur abschwächen, was gegenwärtig nicht ausgeschlossen ist, besteht auch wieder die Möglichkeit von höheren Geldzuflüssen bei der Auffangeinrichtung, welche ihren Deckungsgrad senken.

Die Auffangeinrichtung muss die ihr zufliessenden Gelder anlegen. In der Vergangenheit konnte sie die Negativzinsen auf ihren liquiden Mitteln durch die Renditen auf den übrigen Anlageklassen kompensieren und ihren Deckungsgrad im Freizügigkeitsbereich insgesamt halten (2014: 108,0 %, 2019: 108,7 %, 2020: 107,8 %, 2021: 108,0 %). Die schwachen Finanzmärkte im Aktien- und Obligationenbereich führten jedoch 2022 dazu, dass sich der Deckungsgrad per Ende April 2022 auf 104,6 % abschwächte (Mitte 2022 betrug der Deckungsgrad 102,6 % und Ende November 2022 102,3 %).

Nachdem der Deckungsgrad der Auffangeinrichtung unter 105 % gefallen war, hat sie ab dem 10. Mai 2022 Gelder im Umfang von mehreren Milliarden Franken bei der Bundestresorerie platziert (3 Mrd. Fr. im Mai, ca. 1,25 Mrd. Fr. im Juni). Mit den Leitzinserhöhungen der SNB im Juni und September 2022 konnte die Auffangeinrichtung jedoch am Markt eine Verzinsung von mehr als 0 % erzielen, weshalb sie beschloss, bis auf Weiteres keine Gelder mehr bei der Bundestresorerie anzulegen, und am 19. September ankündigte, die dort platzierten Gelder in wöchentlichen Tranchen von 200 Millionen Franken gestaffelt abzuziehen. Diese Vorgehensweise ermöglicht der EFV eine geregelte Refinanzierung der abfliessenden Beträge.

Die Auffangeinrichtung investiert einen bedeutenden Teil ihrer Anlagen liquiditätsnah. Ende 2021 waren es knapp 61 %. Weitere 25 % waren in Obligationen investiert.

Der Aktienanteil lag bei 9,3 % und der Immobilienanteil bei rund 4,2 %. Die Auffangeinrichtung kann einen Teil ihrer Anlagen längerfristig investieren, da es praktisch ausgeschlossen ist, dass sie für den Gesamtbetrag liquide sein muss. Sie ist vorsichtig investiert, der risikoreichere Anteil unterliegt aber Kursschwankungen. Dies gilt für Obligationen, Aktien und
Immobilien. Fallen die Kurse und damit der Deckungsgrad, so ist der Stiftungsrat gemäss der aktuellen Anlagestrategie gezwungen, umgehend risikoreduzierende Massnahmen zu ergreifen. Diese umfassen eine 7 / 18

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prozyklische Veräusserung risikobehafteter Anlagen und die Erhöhung von sicheren liquiden Mitteln. Die Auffangeinrichtung muss demnach, wenn ihr Deckungsgrad fällt, Risikoanlagen verkaufen und liquiditätsnahe Anlagen kaufen. In einem Umfeld mit positiven Zinsen kann sie das problemlos tun. Bei Negativzinsen verschlechtert sich ihre finanzielle Situation dadurch jedoch weiter. Sind die Negativzinsen auf kürzere Laufzeiten beschränkt, kann sie immerhin einen gewissen Anteil von Obligationen mit längerer Laufzeit und positiver Verzinsung trotz fallender Deckungsgrade bis zum Verfall halten, selbst wenn sie in Unterdeckung gerät. Sie muss nicht für ihre gesamten Passiven jederzeit liquide sein.

Ende August 2022 verwaltete die Auffangeinrichtung Vermögensanlagen im Bereich Freizügigkeit von 16 652 Millionen Franken. Nur 10 Milliarden Franken kann sie gemäss dieser Vorlage beim Bund anlegen, denn die Bundestresorerie muss allfällige Zu- und Abflüsse bewältigen können. Wäre dieser Höchstbetrag zu hoch festgelegt, dann wäre dies gefährdet. Dieser Betrag ermöglicht der Auffangeinrichtung aber eine deutliche Risikoreduktion, zudem wurden bisher selten alle Laufzeiten von Obligationen guter Qualität negativ verzinst. Eine Limitierung des Betrags ist demnach möglich. Sollte der Zufluss aber weitergehen und sollten die Zinsen wieder fallen, müsste allenfalls über eine Anpassung des Betrages diskutiert werden. In diesem Fall würde wahrscheinlich die Bundestresorerie nicht den ganzen Betrag übernehmen können.

Aktuell haben die höheren Zinsen einerseits aufgrund tieferer Kurse an den Finanzmärkten zu einem tieferen Deckungsgrad der Auffangeinrichtung geführt, was ihre finanzielle Lage verschlechtert. Andererseits führen sie bei der Neuanlage von festverzinslichen Werten zu einer Entspannung der Situation.

Die Anhebung der Zinsen durch die SNB hat die Attraktivität der Anlagemöglichkeit bei der Bundestresorerie für die Auffangeinrichtung reduziert. Es ist demnach für die Auffangeinrichtung zwecks Risikoreduktion wichtig, dass sie einen Teil ihrer Anlagen jederzeit risikoarm und liquide anlegen kann, ohne Verluste zu machen. Dazu dient das Konto bei der Bundestresorerie. Steigen die Zinsen im kurzfristigen Bereich aufgrund einer Änderung der SNB-Politik, so wird das Konto bei der Bundestresorerie unattraktiv und
gegebenenfalls auch überflüssig. Die Möglichkeit einer Anlage bei der Bundestresorerie kann demnach weiterhin befristet sein. Aktuell ist die Inflation hoch. Durchaus realistische Szenarien gehen auch künftig von (etwas) höheren Werten von Inflation und Zinsen aus. Begründet wird dies beispielsweise mit der höheren (staatlichen oder privaten) Verschuldung, der abnehmenden Globalisierung, der Energiewende und der Knappheit in gewissen Rohstoffbereichen. Letztlich aber legt die aussergewöhnlich unsichere Entwicklung die vorläufige Fortführung einer befristeten Lösung nahe. Ein konjunktureller Abschwung könnte zu wieder fallender Inflation und fallenden Zinsen führen.

Mit dieser Vorlage schlägt der Bundesrat deshalb vor, die befristete Lösung für die Auffangeinrichtung um weitere vier Jahre verlängern. Dies schafft Sicherheit in einem sehr unsicheren Umfeld. Die Zinsentwicklung ist aktuell kaum prognostizierbar. Zum Zweck der Risikoreduktion ist ein Nullzinskonto demnach weiterhin sinnvoll. Am 25. September 2023 läuft die bestehende Lösung der zinslosen Anlagemöglichkeit der Auffangeinrichtung bei der Bundestresorerie aus. Im Freizügigkeitsbereich ist das reibungslose Funktionieren der Auffangeinrichtung von hoher Relevanz. Es braucht daher eine Anschlusslösung.

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1.1.4

Übrige Freizügigkeitseinrichtungen

Freizügigkeitseinrichtungen müssen ihre Kontoguthaben an eine Bank weiterleiten.

Traditionellerweise verwenden die Banken die entsprechenden Freizügigkeitsgelder für ihr klassisches Zinsdifferenzgeschäft. Im Vordergrund steht dabei nach wie vor das Hypothekargeschäft. Gemäss SNB sind die Zinssätze in den letzten Monaten deutlich angestiegen. Lagen die Zinssätze für eine 5-jährige Festhypothek im September 2021 noch bei 1,09 %, sind sie per Ende September 2022 auf 2,92 %4 angestiegen.

Die Zinssätze für 10-jährige Festhypotheken stiegen im selben Zeitraum von 1,37 % auf 3,29 %.

Das Zinsdifferenzgeschäft ist ein zentrales Element der Ertragsgenerierung einer Bank. Die Banken behandeln dieses Thema als Geschäftsgeheimnis und erteilen darüber keine Auskunft. Es existieren daher keine Angaben darüber, ob und wieviel Gewinn die Banken mit Freizügigkeitsgeldern in der Vergangenheit gemacht haben, und auch keine zur gegenwärtigen Situation. Aufgrund der global ansteigenden Inflation sind die Kapitalmarktsätze am Steigen. Diese steigenden Zinsen haben auch die Freizügigkeitsgelder als Refinanzierungsquelle wieder attraktiv gemacht, insbesondere weil mehr als 50 % der Konten eine Haltefrist von länger als fünf Jahren aufweisen und damit recht langfristig ausleihbare Gelder sind. Der Festhypothekensatz von September 2021 spricht dafür, dass damals eine ausreichende Marge generiert wurde. Aktuell ist die Verzinsung der Freizügigkeitskonten aber trotz Zinsanstieg weiterhin sehr tief. Eine Übersicht der Website vorsorgeexperten.ch vom 2. November 2022 nennt Verzinsungen zwischen 0,00 % und 0,05 %. Von 34 Einrichtungen bot nur eine Stiftung 0,1 %, eine 0,25 % und eine 0,4 % Zins. Werden diese Zinsen mit den aktuell offerierten Hypothekensätzen verglichen, dürfte die bei Neugeschäften (resp. Hypothekarverlängerungen) erzielte Marge deutlich angestiegen sein.

Im Unterschied zur Auffangeinrichtung haben die Freizügigkeitsstiftungen (der Banken) keinen Kontrahierungszwang. Sie können Neukundinnen und -kunden ablehnen.

Ausserdem besteht die Möglichkeit, ein Wertschriftensparen anzubieten, welches für die Finanzdienstleister profitabel ist. Aufgrund der anderen Ausgangslage von Freizügigkeitsstiftungen und Auffangeinrichtung stellt die Gewährung eines Nullzinskontos für die Auffangeinrichtung demnach keine
Wettbewerbsverzerrung dar.

Eine Änderung der bisherigen Rahmenbedingungen drängt sich für die übrigen Finanzdienstleister gegenwärtig nicht auf. Die vorgeschlagene befristete Verlängerung der bisherigen Lösung bleibt deshalb auf die Auffangeinrichtung beschränkt.

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Interest rates, yields and foreign exchange market (snb.ch).

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1.2

Geprüfte und verworfene Alternativen

1.2.1

Arbeitsgruppe des Bundes

Nach der Inkraftsetzung von Artikel 60b BVG hat der Bundesrat eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) eingesetzt, in welcher alle wichtigen Akteure (Sozialpartner, Fachverbände, Anlageexperten, Finanzintermediäre) vertreten waren.

Die Arbeitsgruppe des Bundes hat keine Empfehlung formuliert. Die geäusserten Positionen wichen je nach Ausgangs- und Interessenlange stark voneinander ab. Es konnte keine Einigung darüber erzielt werden, ob die Freizügigkeitsguthaben ganz oder teilweise garantiert werden sollten, wer allfällige Kosten tragen soll ­ der Bund, die SNB oder das «System der beruflichen Vorsorge» (Vorsorgeeinrichtungen, Arbeitgeber und Versicherte) ­ und ob nur die Auffangeinrichtung oder alle Freizügigkeitseinrichtungen von einer Lösung profitieren sollten.

Der Bericht der Arbeitsgruppe wurde im letzten Quartal 2020 und in der ersten Hälfte 2021 erstellt, d. h. vor dem aktuellen Zins- und Inflationsanstieg.

Die folgenden Ausführungen stellen die von der Arbeitsgruppe skizzierten grundsätzlichen Lösungsmöglichkeiten (insb. unter den Ziff. 1.2.2 bis 1.2.5) im Bereich der Auffangeinrichtung dar und gehen auf die Vor- und Nachteile der entsprechenden Lösungen ein.

1.2.2

Negativverzinsung

Eine Negativverzinsung (zum Beispiel als Sanierungsmassnahme) für Freizügigkeitsguthaben würde bedeuten, dass die im Vorsorgesystem zwangsgesparten Gelder im Laufe der Zeit reduziert würden. Ein Freizügigkeitskonto haben unter anderem Personen, die arbeitslos geworden sind, sich demnach in einer persönlich schwierigen Lage befinden. Im Falle der Auffangeinrichtung kommt erschwerend hinzu, dass sie für viele Konten über keine Kontaktdaten verfügt. Die Auffangeinrichtung könnte also viele Versicherte nicht einmal darüber informieren, dass sich deren Ersparnisse vermindern, und diese könnten demnach nicht darauf reagieren. Die Anwendung von Negativzinsen in einem System des Zwangssparens würde auch zu einem erheblichen Verlust des Vertrauens in die berufliche Vorsorge und ins Finanzsystem insgesamt führen. Obwohl in den letzten Jahren auf höheren Beträgen im Sparbereich teilweise Negativzinsen eingeführt wurden, sind sie auf Sparkonten ohne hohe Saldi nicht die Regel und auf Säule-3a-Sparkonten weitgehend unbekannt. Nach der Anhebung der Zinsen durch die SNB im September 2022 hoben viele Finanzinstitute die Negativverzinsung auf Sparkonten auch für höhere Beträge auf. Im gegenwärtigen Umfeld mit vergleichsweise hoher Inflation und deutlich gestiegenen Zinsen wäre eine Negativverzinsung nur schwer begründbar. Eine Negativverzinsung wäre aber auch in einem ungünstigeren Zinsumfeld für die Auffangeinrichtung nur schwer umsetzbar.

Eine Negativverzinsung zwecks Sanierung der Auffangeinrichtung bei einer Unterdeckung könnte zudem kontraproduktiv sein, da dies zu einem Abfluss der Gelder führen könnte, was die Situation verschärfen würde. Die Negativverzinsung scheidet deshalb als mögliche Lösung aus.

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1.2.3

Gewährung einer Garantie durch eine Drittpartei

Bei dieser Lösungsmöglichkeit gibt eine Drittpartei (z. B. Bund oder «System der beruflichen Vorsorge») gegenüber der Auffangeinrichtung eine Garantie ab, einen Fehlbetrag aufgrund einer Unterdeckung notfalls zu finanzieren.

Der Vorteil dieses Vorgehens ist, dass bis zu einer allfälligen Unterdeckung keine Gelder fliessen müssen. Die Auffangeinrichtung würde eine höhere Risikofähigkeit aufweisen und könnte entsprechend ihre Anlagestrategie anpassen. Auf eine systematische Risikoreduktion in Krisensituationen könnte sie verzichten. In der Folge könnte sie auch im Fall einer Unterdeckung von einem allenfalls folgenden Anstieg der Börsenkurse profitieren und ihren Deckungsgrad aus eigener Kraft wieder erhöhen. Sie kann demnach eine langfristig positive (erwartete) Rendite anstreben. Der Nachteil ist, dass die Risiken letztlich im Voraus nicht mit Sicherheit bestimmbar sind und angesichts der hohen und weiter wachsenden Bilanzsumme der Auffangeinrichtung im Freizügigkeitsbereich rasch hohe Ausmasse (auch im Milliardenbereich) annehmen können. Das wäre für alle potenziellen Risikoträger ein erhebliches Problem.

Eine Garantie der SNB wäre kaum mit dem Mandat der SNB vereinbar. Im Falle des Bundes stellt eine Garantie eine Subvention dar und bedürfte daher einer Gesetzesgrundlage sowie eines Verpflichtungskredits. Allerdings wäre die Höhe der Garantie letztlich nach oben offen, was für den Bundeshaushalt ein erhebliches Problem darstellen könnte. Zudem kann eine Erholung der Börsenkurse durchaus längere Zeit auf sich warten lassen, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt. Die finanziellen Folgen einer solchen Garantie wären demnach schwer abschätzbar und könnten sehr hoch sein.

Der Bund ist mit der Tilgung der Coronaschulden und den angedachten Erhöhungen im Verteidigungsbereich bereits stark belastet. Eine Garantieleistung des «Systems der beruflichen Vorsorge» ist ebenfalls schwer umsetzbar. Für diese Garantieleistung müssten die Beitragszahlerinnen und -zahler der beruflichen Vorsorge aufkommen, das heisst die Arbeitgeber sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Eine Solidarität der Arbeitgeber sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Personen, welche häufig nicht mehr im Arbeitsprozess stehen, ist wenig realistisch. Ausserdem ist das «System der beruflichen Vorsorge» durch bestehende
Probleme und aktuelle Entwicklungen bereits stark belastet. Steigende Zinsen führen zu Schwankungen der Vermögenswerte, die Inflation führt zur Entwertung der Renten. Weitere bestens bekannte negative Faktoren sind die Altersentwicklung oder der hohe gesetzliche Umwandlungssatz im obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge. Die entsprechende Belastung ist demnach bereits hoch, zusätzliche Zahlungen des Systems der beruflichen Vorsorge zwecks Gewährleistung einer Garantie von Freizügigkeitsgeldern wären entsprechend stark umstritten. Die Gewährung einer Garantie durch eine Drittpartei scheidet deshalb als mögliche Lösung aus.

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1.2.4

Regelmässige Zahlungen der Negativzinsen durch eine Drittpartei

Möglich wären auch regelmässige Zahlungen an die Auffangeinrichtung, um allfällige Negativzinsen im Bereich der kurzfristigen Liquidität oder je nach Marktsituation auch negative Obligationenrenditen ganz oder teilweise zu kompensieren. So könnte die Auffangeinrichtung auch in einem Negativzinsumfeld weiterhin in risikoarme Anlagen investieren. Wenn die übrigen Finanzmärkte (insb. im Aktienbereich) nicht längerfristig krisenträchtig sind, würde dadurch ihre finanzielle Situation zwar etwas stabilisiert. Doch wie bei der Garantie stellt sich auch hier die Frage, wer diese Zahlungen leisten sollte. Und trotz solchen Zahlungen wäre bei scharfen Korrekturen an den Finanzmärkten eine Unterdeckung nicht ausgeschlossen. Solche regelmässigen Zahlungen weisen im Vergleich zur gewählten Lösung keine Vorteile auf.

1.2.5

Zinsloses Konto bei der SNB

Eine Alternative zur bisherigen Lösung wäre ein zinsloses Girokonto bei der SNB.

Anders als Ausgleichszahlungen oder eine Garantie wäre dies im Falle der SNB weniger sachfremd, da zinslose Girokonten bereits existieren. Die Möglichkeit eines Girokontos besteht für die Auffangeinrichtung aber gegenwärtig nicht und die Schaffung einer solchen Möglichkeit würde eine weitergehende Gesetzesanpassung erfordern.

In Anbetracht der besonderen Stellung der SNB, ihrer verfassungsmässigen Unabhängigkeit und ihrer spezifischen Aufgaben sollte der Kreis der Berechtigten, die von ihr Leistungen beanspruchen können, nur schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht erweitert werden. Für die SNB ist zudem die Zinspolitik ein zentraler Pfeiler ihrer geldpolitischen Strategie. Würde der Auffangeinrichtung der Zugang zu einem Girokonto bei der SNB eröffnet, so könnte deren Strategie vor allem dann untergraben werden, wenn weitere Marktteilnehmer eine ähnliche Lösung für sich beanspruchen würden. Der Bundesrat hat daher diese Lösung nicht weiterverfolgt.

1.2.6

Tolerierung einer vorübergehenden Unterdeckung

Bei einer Tolerierung einer vorübergehenden Unterdeckung der Auffangeinrichtung im Freizügigkeitsbereich bestünde die Gefahr, dass die erhoffte kurzfristige Erholung ausbliebe. Die Versicherten würden in diesem Fall an der Solvenz der Auffangeinrichtung zu zweifeln beginnen, wodurch die Situation eskalieren könnte. Deshalb hat der Bundesrat diese Lösung verworfen.

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1.2.7

Finanzierung der Unterdeckung durch den Sicherheitsfonds BVG

Der Sicherheitsfonds kommt heute für die Verwaltungskosten der Auffangeinrichtung in bestimmten Teilbereichen auf. Eine Finanzierung einer Unterdeckung im Freizügigkeitsbereich der Auffangeinrichtung durch den Sicherheitsfonds würde entsprechende Risikobeiträge der Auffangeinrichtung erfordern. Dies macht keinen Sinn.

Denn wenn diese Beiträge risikodeckend wären, würde die Auffangeinrichtung die Risiken wieder selber tragen. Müssten diese Beiträge vom «System der beruflichen Vorsorge» aufgebracht werden, würde dies letztlich einer entsprechenden Garantie des «Systems der beruflichen Vorsorge» entsprechen, das heisst faktisch von Arbeitgebern sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, was kaum umsetzbar ist (siehe Ziff. 1.2.3). Der Sicherheitsfonds benötigt seine Mittel für die Gewährleistung der von ihm versicherten und finanzierten Leistungen. Deshalb scheidet auch diese Alternative zur gewählten Lösung aus.

1.3

Die gewählte Lösung

Angesichts der gestiegenen Zinsen und nach Abwägung der Vor- und Nachteile erachtet der Bundesrat eine befristete Weiterführung der bisherigen Lösung im aktuellen Umfeld als die beste Wahl. Die Auffangeinrichtung soll mit der Weiterführung der bisherigen Lösung für weitere vier Jahre das Recht haben, bei der Bundestresorerie Gelder aus dem Freizügigkeitsbereich unverzinslich und unentgeltlich anzulegen.

Im Bereich der Freizügigkeitskonten der reinen Sparlösung weist einzig die Auffangeinrichtung ein deutliches Wachstum auf (vgl. Tabelle unter Ziff. 1.1.2). Die hohe Volatilität an den Finanzmärkten und die unklare Zinsentwicklung legen nahe, diese Lösung vorläufig weiterzuführen. Der Kontrahierungszwang der Auffangeinrichtung unterscheidet sie zudem von den übrigen Akteuren im Freizügigkeitsbereich.

Für die Auffangeinrichtung ist es eine wesentliche Erleichterung, wenn sie ihre Gelder aus dem Freizügigkeitsbereich im Bedarfsfall zinsfrei anlegen kann. Damit kann sie ihre Risiken reduzieren, ohne gleichzeitig Negativzinsen oder Bonitätsrisiken in Kauf nehmen zu müssen. In ungünstigen Marktsituationen können die Risiken so reduziert werden. Die Auffangeinrichtung kann mit dieser Lösung auch die Schwierigkeiten bewältigen, die ihr durch die krisenbedingt zufliessenden Gelder entstehen. Sie soll dank der Existenz eines Nullzinskontos weiterhin bei einer Baisse der Finanzmärkte eine risikoreduzierende Strategie verfolgen können, bei der sie die risikoträchtigen Anlagen systematisch und gegebenenfalls deutlich reduziert. Durch die Möglichkeit einer unverzinslichen Anlage bei der Bundestresorerie kann sie diesen Prozess einfacher und weniger risikobehaftet vornehmen. Sind die Leitzinsen der SNB positiv, wird die Auffangeinrichtung von dieser Möglichkeit voraussichtlich keinen Gebrauch machen. Tut sie es trotzdem, so kann sich die Bundestresorerie vorteilhaft refinanzieren.

Dieser Automatismus ist ein Vorteil dieser Lösung im Umfeld steigender Zinsen.

Die vorgeschlagene Gesetzesänderung sieht vor, dass die Anlagemöglichkeit bei der Bundestresorerie wie bisher nur dann zum Tragen kommen soll, wenn der aktuelle Deckungsgrad der Auffangeinrichtung im Freizügigkeitsbereich unter 105 % fällt.

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Unter dieser Voraussetzung getätigte Anlagen bei der Bundestresorerie sollen aber, auch wenn der Deckungsgrad wieder über 105 % steigt, nicht angetastet werden, bis sie auslaufen oder unter Berücksichtigung eines vereinbarten Termins gekündigt werden. Hingegen ist auch die Wiederanlage am Ende der Laufzeit nur möglich, wenn der Deckungsgrad der Auffangeinrichtung im Freizügigkeitsbereich zu diesem Zeitpunkt unter 105 % liegt. Ist die finanzielle Lage der Auffangeinrichtung im Freizügigkeitsbereich gut, so kann sie tiefe Zinsen eher verkraften. Der aktuelle Deckungsgrad wird aufgrund von Schätzungen der Auffangeinrichtung regelmässig bestimmt. Ein kleinerer Schätzungsfehler muss dabei in Kauf genommen werden; er beträgt gemäss Angaben der Auffangeinrichtung ungefähr ± 0,2 %. Damit die Bundestresorerie den Zufluss von Geldern verkraften kann, wird das Anlagevolumen begrenzt.

Diese besondere Lösung für die Auffangeinrichtung rechtfertigt sich durch deren gesetzlichen Zwang zur Annahme von Freizügigkeitsguthaben, wodurch sie sich von allen anderen Freizügigkeitseinrichtungen unterscheidet. Da die übrigen geprüften Lösungen (vgl. Ziff. 1.2) mit teils erheblichen Nachteilen verbunden sind, bleibt als Lösung einzig die Gewährung einer Anlagemöglichkeit bei der Bundestresorerie. Gemäss Artikel 61 Absatz 1 des Finanzhaushaltgesetzes vom 7. Oktober 20055 (FHG) kann die EFV Verwaltungseinheiten der dezentralen Bundesverwaltung, die eine eigene Rechnung führen, für die Verwaltung ihrer liquiden Mittel der zentralen Tresorerie (d. h. der Bundestresorerie) anschliessen, soweit andere Bundesgesetze nichts Abweichendes vorsehen. Die Auffangeinrichtung gehört nicht zu diesen Einheiten; sie ist eine als privatrechtliche Stiftung organisierte Vorsorgeeinrichtung (Art. 54 und 60 BVG). Artikel 61 FHG behält jedoch die Anwendung anderer Bundesgesetze vor, sodass im BVG eine gesetzliche Grundlage im formellen Sinne geschaffen resp.

aufrechterhalten werden kann, die es der Auffangeinrichtung erlaubt, Freizügigkeitsguthaben der zentralen Tresorerie anzuschliessen.

Diese Lösung ist weiterhin befristet. Bei höheren Zinsen benötigt die Auffangeinrichtung in vier Jahren keine Verlängerung mehr. Sollten aber erneut sehr tiefe Zinsen aktuell werden, dann wird eine erneute Diskussion der Sachlage unumgänglich und sinnvoll sein.

1.4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu nationalen Strategien des Bundesrates

Die hier beantragte Änderung des BVG ist weder in der Botschaft vom 29. Januar 20206 zur Legislaturplanung 2019­2023 noch im Bundesbeschluss vom 21. September 20207 über die Legislaturplanung 2019­2023 angekündigt. Die entsprechende Dringlichkeit einer Gesetzesanpassung ergab sich erst mit der krisenhaften Entwicklung seit 2020.

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SR 611.0 BBl 2020 1777 BBl 2020 8385

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Die Vorlage hat auch keine direkten finanziellen Auswirkungen auf den Bundeshaushalt, die im Voranschlag mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan aufgeführt werden müssten.

2

Vernehmlassungsverfahren

Das Vernehmlassungsverfahren wurde am 7. September 2022 eröffnet und endete am 7. November 2022.8 Es gingen insgesamt vierzig Rückmeldungen ein, davon fünf unter Verzicht auf eine Stellungnahme. Dreissig Vernehmlassungsteilnehmer sprachen sich für die Vorlage aus. Darunter sind 21 Kantone, die Sozialdemokratische Partei, die FDP und die SVP sowie der Schweizerische Gewerkschaftsbund und der Schweizerische Arbeitgeberverband. Auch der Pensionskassenverband ASIP, das PK-Netz 2. Säule, der Sicherheitsfonds und die Auffangeinrichtung waren dafür. Gegen eine Verlängerung der heutigen Bestimmung sprachen sich ein Kanton (Appenzell Innerrhoden), der Schweizerische Gewerbeverband und drei interessierte Kreise aus (Verein Vorsorge Schweiz, Interpension, Verband Schweizerischer Kantonalbanken).

Die Befürworter betonten die hohe Wichtigkeit des Freizügigkeitsbereiches der Auffangeinrichtung für die Vorsorge und die unsichere Zinsentwicklung, während die Gegner angesichts der gestiegenen Zinsen keine Notwendigkeit für eine Verlängerung sahen. Ausserdem befürchteten vor allem die unter den Gegnern vertretenen Fachverbände eine Wettbewerbsverzerrung, sollte die Auffangeinrichtung hier ein entsprechendes Recht erhalten. Angesichts des Kontrahierungszwangs und der Unmöglichkeit des Wertschriftensparens im Falle der Auffangeinrichtung muss diese Wettbewerbsverzerrung aber relativiert werden. Insgesamt ergab die Vernehmlassung eine sehr deutliche Mehrheit für die Weiterführung der bisherigen Lösung.

3

Grundzüge der Vorlage

Die Geltungsdauer der Gesetzesbestimmung soll nach Auslaufen der bisherigen Lösung am 25. September 2023 um vier Jahre verlängert werden. Mit Blick auf die Möglichkeit, dass zu diesem Zeitpunkt die Verlängerung noch nicht beschlossen ist oder die Referendumsfrist noch läuft, soll im Gesetz das Datum des Inkrafttretens festgelegt werden.

4

Erläuterungen zum Artikel

Die Geltungsdauer von Artikel 60b BVG endet am 25. September 2023, weshalb er durch einen gleich lautenden, neu auf vier Jahre befristeten Artikel 60b ersetzt werden soll. Die Anlagen, die die Auffangeinrichtung gestützt auf diesen Artikel bei der 8

Der Ergebnisbericht ist einsehbar unter www.fedlex.admin.ch > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2022 > EDI.

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Bundestresorerie tätigen kann, werden von der EFV unentgeltlich verwaltet und nicht verzinst. Die Einzelheiten der Anlage und der Verwaltung regeln die EFV (Bundestresorerie) und die Auffangeinrichtung in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag. Darin müssen sie sich gegenseitig Planungssicherheit bezüglich der Einlagen und Rückzüge durch die Auffangeinrichtung gewährleisten.

Die Auffangeinrichtung soll nach Ablauf der Laufzeit keine neuen Anlagen oder Wiederanlagen bei der Bundestresorerie mehr tätigen dürfen, solange ihr Deckungsgrad im Freizügigkeitsbereich 105 % oder mehr beträgt. Bestehende Anlagen bei der Bundestresorerie, deren Laufzeit nicht abgelaufen ist oder die keine feste Laufzeit aufweisen, dürfen jedoch weiterhin bestehen bleiben, falls der Deckungsgrad auf 105 % oder mehr steigt. Das Anlagevolumen bei der Bundestresorerie wird jedoch auf höchstens 10 Milliarden Franken begrenzt.

5

Auswirkungen

5.1

Auswirkungen auf den Bund

Die Vorlage hat aus heutiger Sicht keine wesentlichen finanziellen und keine personellen Auswirkungen auf den Bund. Die Anlage von Geldern aus den bei der Auffangeinrichtung deponierten Freizügigkeitsguthaben erfolgt bei der Bundestresorerie zinsfrei und unentgeltlich und kann im Rahmen der bestehenden Organisation und der personellen Ressourcen der Bundestresorerie abgewickelt werden.

5.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Eine stabile Auffangeinrichtung ist im Interesse der Kantone und letztlich auch der Gemeinden. Sie sichert die Freizügigkeitsguthaben von Personen, die aus dem Arbeitsprozess herausgefallen sind. Würden deren Vorsorgeguthaben durch Negativzinsen oder eine instabile Auffangeinrichtung geschmälert, so könnte dies beispielsweise in den Kantonen zu höheren Aufwendungen für Ergänzungsleistungen oder Krankenkassenzuschüssen führen.

5.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, die soziale Sicherheit und die versicherten Personen

Generell ist es für von Arbeitslosigkeit Betroffene wichtig, dass sie ihr Vorsorgeguthaben der 2. Säule auf einem Freizügigkeitskonto in Form der reinen Sparlösung deponieren können, damit sie dieses bei Wiederaufnahme einer Tätigkeit wieder in eine Vorsorgeeinrichtung einbringen können. Einer stabilen Auffangeinrichtung kommt somit erhebliche Bedeutung für die geregelte Fortführung der Altersvorsorge zu.

Solvenzprobleme der Auffangeinrichtung könnten zu einem Vertrauensverlust im Vorsorge- und Finanzbereich führen und im ungünstigen Fall auch eine allenfalls 16 / 18

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vorhandene Krisenstimmung verstärken. Die vorgeschlagene Lösung sorgt dagegen für Stabilität.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 113 der Bundesverfassung (BV)9. Diese Bestimmung verleiht dem Bund die Kompetenz, Vorschriften zur beruflichen Vorsorge zu erlassen.

6.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die internationalen Verpflichtungen der Schweiz werden durch diese Vorlage nicht berührt.

6.3

Erlassform

Es handelt sich um eine Überführung eines dringlichen Bundesgesetzes in ein gewöhnliches Bundesgesetz. Die Änderung des BVG erfolgt demzufolge im normalen Gesetzgebungsverfahren.

6.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Die Vorlage hat aus heutiger Sicht für den Bund keine wesentlichen finanziellen Auswirkungen. Daher muss Artikel 60b BVG nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt werden.

6.5

Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes

Eine Nullverzinsung stellt für die Auffangeinrichtung während der Negativzinsphase gegenüber der Anlage der liquiden Mittel am Markt einen finanziellen Vorteil dar, selbst wenn beim Bund kein Mittelabfluss erfolgt. Diese Form der Subventionierung rechtfertigt sich dadurch, dass die Auffangeinrichtung im Unterschied zu den anderen Freizügigkeitseinrichtungen einem gesetzlichen Kontrahierungszwang untersteht. Die Subvention ist weiterhin als Übergangslösung konzipiert und deshalb befristet. Sie bezweckt, bei der Auffangeinrichtung eine Unterdeckung im Freizügigkeitsbereich zu verhindern. Eine stabile Auffangeinrichtung liegt im Interesse von Bund, Kantonen und Gemeinden sowie von Gesellschaft und Wirtschaft. Dabei stellt die Gewährung 9

SR 101

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einer zinsfreien und unentgeltlichen Anlagemöglichkeit bei der EFV (Bundestresorerie) die vorteilhafteste Problemlösung dar (vgl. Ziff. 1.2). Die Einzelheiten der Anlagemöglichkeit sind bereits im Rahmen der Vorgaben aus der neuen Gesetzesbestimmung nach bewährtem Verfahren in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen der EFV und der Auffangeinrichtung geregelt. Dies gewährleistet ein effizientes Vorgehen. Mit der beantragten Gesetzesänderung werden die Grundsätze des Subventionsgesetzes vom 5. Oktober 199010 respektiert.

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SR 616.1

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