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Bericht der

ständeräthlichen Commission über den Rekurs von A. Millot in Zürich gegen den Bundesrathsbeschluss vom 31.Dezember 1873, betreffend Vollziehung eines französischen Civilurtheiles.

(Vom 15. Juni 1874.)

Tit.!

Seit Jahren hatten die Herren Gaillard aine, Petit et Halbon in La Ferté sous Jouarre bei A. M i l l o t in Zürich eine Niederlage, von Mühlsteinen gehalten, welcher die Agentur des genannten Hauses in Zürich führte.

Herr A. Millot ist französischer Bürger, hinwieder seit circa 20 Jahren als N i e d e r g e l a s s e n e r in Zürich wohnhaft.

In Folge eingetretener Differenzen erhoben die Herren Gaillard aine, Petit et Haibon gegen denselben eine Forderungsklage vor dem Handelsgerichte in Meaux.

Der Art. 15 des französischen Code civil gestattet nämlich, daß ein Franzose wegen persönlicher Verbindlichkeiten, welche dieser im Auslande eingegangen hat, vor dem französischen Richter belangt werden könne.

496 Der Artikel 15 lautet: ,,Un Français pourra être traduit devant un tribunal de France ,,pour des obligations par lui contractées en pays étranger, môme ,,avec un étranger."1 Herr Millot erhob nun vor dem französischen Gerichte die Einrede der Incooipetenz und ließ sich zu deren Begründung vor dem Gerichte selbst vertreten, indem er seine Eigenschaft als schweizerischer Niedergelassener geltend machte, auf welchen das franzosische Gesez um so weniger anwendbar gemacht werden könne, als in dem zwischen Frankreich und der Schweiz abgeschlossenen Staatsvertrage betreffend den Gerichtsstand in Civilsachen ausdrücklich für persönliche Klagen der Richter des W o h n o r t e s Oals der allein zuständige vorgesehen sei.

Diese Einrede wurde jedoch von beiden Instanzen verworfen, und das Handelsgericht in Meaux verurtheilte hierauf den Rekurrenten, ungeachtet seiner Protestation, durch Contumaz - Urtheil vom 10. Mai 1872, zur Bezahlung einer Summe von Fr. 6345 -- nebst Zinsen -- an die Kläger.

Diese wollten das Urtheil in Zürich nun vollziehen lassen und erhoben gegen Millot den ßechtstrieb.

Der Bezirksgerichtspräsident von Zürich gestattete jedoch dem Angeforderten die Rechtsöffnung, indem er das Urtheil nicht als ein exekutorisches betrachtete, und die Civil-Abtheilung des zürcherischen Obergerichtes hielt diese Verfügung gegenüber einem dagegen ergriffenen Rekurse aufrecht --, wesentlich von folgender Anschauung geleitet : 1. Gemäß Art. 17, Ziff. l des französisch-schweizerischen Staatsvertrages vom 15. Mai 1869 könne die Vollziehung eines von französischen Gerichten gefällten Urtheils dann verweigert werden, wenn es von einer i n k o m p e t e n t e n B e h ö r d e gefällt worden sei.

2. Gemäß Art. l dieses Vertrages sei für alle persönlichen Ansprachen prinzipiell der Gerichtsstand des Wohnortes, als derjenige des natürlichen Richters, statuirt.

Allerdings sei in diesem Artikel, wörtlich genommen, nur die Rede von Streitigkeiten zwischen Franzosen und S c h w e i z e r n und umgekehrt. Diese Ausdrucksweise müsse nun aber mehr als eine etwas ungenaue aufgefaßt werden, als daß darin ausdrücklich eine Beschränkung auf die schweizerischen B ü r g e r erblickt werden könne. Es seien daher offenbar unter dem Ausdrucke ,,Schweizer"

497 überhaupt die Angehörigen der schweizerischen B e v ö l k e r u n g (also mit Inbegriff der in der Schweiz niedergelassenen Franzosen und allfällig anderer Fremden) verstanden.

3. Angenommen aber, es sei der citirte Art. l w ö r t l i c h aufzufassen und demnach anzunehmen, es habe Frankreich nur in Bezug auf solche persönliche Klagen, welche französische Bürger gegen S c h w e i z e r b ü r g e r anheben wollen, den Gerichtsstand des Wohnortes als den zuständigen vertraglich anerkannt, so habe sich die Schweiz hinwieder doch nirgends ausdrücklich verpflichtet, Urtheile französischer Gerichte, welche gegen in der Schweiz niedergelassene F r a n z o s e n erlassen würden, unbedingt zu v o l l z i e h e n .

In dieser Hinsicht sei ihre Souveränität daher eine vertraglich unbeschränkte und daher nach Art. 17, Ziff. l des Vertrages die Verweigerung des Vollzuges immerhin dann gerechtfertigt, wenn das Urtheil n a c h dem G e s e t z e der V o l l z i e h u n g s a k t e n als ein i n k o m p e t e n t erlassenes sieh darstelle. Dieses sei nun aber in concreto der Fall, da das zürcherische Civilprozeßgesez (§§ l und 292) für alle persönlichen Klagen den Gerichtsstand des Wohnortes als verbindlich aufstelle und. den Vollzug eines auswärtigen Urtheils nur dann gestatte, wenn dasselbe (Staatsverträge vorbehalten) nicht mit dem Inhalte der zürcherischen Gesezgebung in Widerspruch trete.

Gegen diese Verfügung des zürcherischen Obergerichtes (dessen Anschauung sich auch die Regierung des Kantons Zürich anschloß) rekurrirten die Herren Gaillard, Petit et Halbon an den Bundesrath, welcher dieselbe als mit dem mehrerwähnten Staats vertrag in Widerspruch stehend aufhob, und gegen diesen Beschluß rekurrirt nun wieder Herr A. Millot an die Bundesversammlung, wesentlich auf die eben berührte Anschauung gestützt.

Ihre Kommission kann dieselbe jedoch nicht als stichhaltig erachten.

Die Gründe, von welchen sie hiebei geleitet wird, lassen sich in Folgendem zusammenfassen : 1) Wenn vorab der Art. l des Staatsvertrages vom 15. Mai 1869 von Streitigkeiten zwischen Franzosen und ,,Schweiz er n" spricht, deren persönliche Ansprüche vor dem Richter des Wohnortes ausgetragen werden sollen, so ist diese auf die Nationalität des Angesprochenen bezügliche Beschränkung nicht etwa eine zufällige, auf einer Ungenauigkeit des Ausdruckes beruhende, sondern eine von den Kontrahenten absichtlich gewollte und ausdrücklich vereinbarte.

Bundesblatt. Jahrg. XXVI. Bd. U.

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Aus den dem Bundesrathe erstatteten Berichten des schweizerischen Gesandten in Paris, welcher diesen Vertrag unterhandelt hat, geht dieses auf das Unzweifelhafteste hervor.

Anknüpfend an einen gerade zu jener Zeit obschwebenden Konfliktfall (in Sachen des Franzosen Jos. Schwob in Chaux-de-Ponds, Bundesblatt 1869, Band I, Seite 959) wurde vom schweizerischen Gesandten zwar die Ausdehnung des persönlichen Gerichtsstandes auf die in der Schweiz niedergelassenen Angehörigen französischer Nation angestrebt, aber von den französischen Vertretern ausdrücklich und mit einer solchen Entschiedenheit abgelehnt, daß hievon sogar das Zustandekommen des Vertrages überhaupt abhängig gemacht wurde.

Man hielt bei diesen Unterhandlungen Seitens der französischen Regierung unbedingt daran fest, daß der Art. 15 des Code civil unter allen Umständen durch den Vertrag unberührt bleiben müsse, und daß es auch durchaus unstatthaft wäre, denselben durch einen Staatsvertrag außer Kraft zu setzen.

2) Dieses vorausgesetzt, kann es sich im Weitern nur noch fragen, ob die Schweiz sich durch den Staatsvertrag von 1809 auch v e r p f l i c h t e t habe, Urtheilen, welche gegen, in der Schweiz niedergelassene, Franzosen erlassen würden, unbedingt die V o l l z i e h u n g zu gewähren, oder ob sie, resp. die einzelnen Kantone in diesem Punkte noch freie Hand haben.

Man kann nun allerdings einwenden, daß dieses in Art. l des Vertrages nicht gerade a u s d r ü c k l i c h g e s a g t und darin gewissermaßen die Frage offen gelassen worden sei.

Der Art. l sagt mehr nicht als: ,,In Streitigkeiten zwischen Schweizern und Franzosen oder ,,zwischen Franzosen und Schweizern über bewegliche Sachen und ,,persönliche Ansprüche ist der Kläger verpflichtet, seine Klage bei ,,dem natürlichen Richter des Beklagten anhängig zu machen."

Er sagt im Weitern nicht, daß sich die kontrahirenden Staaten den Vollzug anderer Urtheile als derjenigen des natürlichen Richters des Beklagten, bei welchen dieser ein in der Schweiz niedergelassener Franzose sei, -- und vice versa, g e g e n s e i t i g z u s i c h e r n und daß sie hierin ihre Souveränetätsrechte ausdrücklich beschränken.

Nichtsdestoweniger muß aber dieses letztere sowohl nach dem Sinne und der M e i n u n g , welche bei Abschluß des Vertrages gewaltet haben, als nach der ganzen A n l a g e und dem weitem Inhalte der Art. 2, 15, 16 und 17 desselben zugegeben werden.

499 Was die Meinung der Kontrahenten anbetrifft, so spricht sich darüber die bezügliche bundesräthliche Botschaft vom 28. Mai 1869 (Bundesblatt 1860, II, Seite 485 und 486) so unzweideutig aus, daß ein vernünftiger Zweifel, wie die v o r b e r a t h e n d e Behörde den Vertrag verstanden, und daß die Schweiz nach ihrer Auffassung an Frankreich die heimatliche Gerichtsbarkeit über die in ihrem Gebiete wohnenden Franzosen zugestanden habe und vice versa zugestanden erhielt -- nicht bestehen kann.

Die ständeräthliche Kommission, welche den Vertrag begutachtete, hatte gegen diese Auffassung nichts zu erinnern, und es wurde der Vertrag von der Bundesversammlung ohne weitem Vorbehalt ratifizirt. Die vom Bundesrathe explicite mitgetheilte Auffassung muß also auch als diejenige der ratifizirenden Behörde betrachtet werden.

Aber auch der C h a r a k t e r und die ganze Anlage des Staatsvertrages sprechen für diese Auffassung.

In seinem ersten Abschnitte werden die einzelnen Gerichtsstände bei persönlichen, dinglichen, Erbs-, Konkurs-Klagen gegenseitig festgestellt und circumscribirt.

Sodann geben sich die Kontrahenten in dem folgenden, die ,,Vollziehung der Urtheile" betitelten Abschnitte in Art. 15 die formelle Zusicherung, die von den Gerichten der kontrahirenden Staaten ausgefällten Urtheile zu vollziehen, u n t e r dem einzigen V o r b e h a l t e der im f o l g e n d e n Art. 16 e n t h a l t e n e n Voraussetzungen.

Die Voraussetzungen dieses Art. 16 beziehen sich aber lediglich auf die formelle Ausstattung, resp. Beglaubigung u. s. w. der Urtheile, und keineswegs auf die formale K o m p e t e n z des urtheilenden Gerichtes im gegebeneu Falle.

Allerdings gestattet dann noch ein nachfolgender Artikel (17, Ziffer 1) die Verweigerung des Vollzuges in dem Falle;, ,,wenn der ,,Entscheid von einer inkompetenten Behörde gefallt worden" sei.

Darunter kann aber vernünftiger Weise nur der Fall verstanden sein, wenn ein Urtheil im W i d e r s p r u c h mit den, d u r c h den Staatsvertrag selbst f e s t g e s e t z t e n Grenzen der K o m p e t e n z g e f ä l l t w o r d e n wäre. Sind dagegen diese Bes c h r ä n k u n g e n i h r e r J u r i s d i k t i o n , welche sieh die Kontrahenten gegenseitig vertragsmäßig a u f e r l e g t , haben, innegeh a l t e n , so kann es nicht die Meinung des Vertrages sein, in jedem einzelnen Falle, in der Schweiz speziell durch jede Kantonsregierung,

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wieder untersuchen zu lassen, ob diese B e s c h r ä n k u n g e n im Vertrage selbst auch richtig gezogen worden seien und ob der eine und andere der kontrahirenden Staaten v o n der i h m a u ß e r h a l b d i e s e r G r e n z e n verbliebenen Freiheit einen, mit den A n s c h a u u n g e n des um den V o l l z u g angesprochenen Landes in U e b e r e i n s t i m m u n g stehenden, G e b r a u c h g e m a c h t habe.

Auf diese Anschauungen gestützt, stellt Ihre Kommission daher einstimmig den Antrag,*) den Rekurs als unbegründet zu erklären.

B e r n , den 15. Juni 1874, Namens der ständeräthlichen Kommission, Der Berichterstatter:

Hoffmann.

*) Vom Ständerath angenommen am 17. Juni ; der Nationalrath stimmte am 24. gl. Mts. zu.

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Bericht des

Schweiz. Konsuls in Havre (Hrn. Emil Wanner von Nidau), über das Jahr 1873.

(Vom 16. Mai 1874.)

An den hohen Schweiz. Bundesrath.

Das verflossene Jahr ist in Bezug auf die Geschäfte noch ziemlich kläglich gewesen. Unzureichende Ernten, welche Frankreich zur Korneinfuhr veranlaßten (für Fr. 205,635,000 Getreide und Mehl und für nahezu 16 Millionen Franken Reis), sowie die Ungewißheit über die Zukunft des Handels, dem immerfort noch neue Steuern und veränderte Abgaben auferlegt werden, der beständige Streit unter den Parteien, welche sich die Herrschaft streitig machen, die ungeheure Theuerung der Lebensmittel und besonders einiger Artikel, wie Kaffee -- das sind nach meinem Dafürhalten die Hauptursachen des allgemein verbreiteten Unbehagens; denn Dank dem für die Banknoten eingeführten Zvvangskurse ist der Werth des Geldes nicht so gestiegen, wie wir es in andern Ländern, z. B. England, erlebt haben.

Der Disconto der französischen Bank hat zwischen 5 und 7% geschwankt, hat aber letztgenannten Kurs nur vom 8. bis zum 20. November behauptet, um alsdann auf 6% und vom 28. November an auf 5 °/o zurückzugehen, bei welchem er ungefähr 91/2 Monate stehen geblieben ist. Da die französische Bank ihre

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Bericht der ständeräthlichen Commission über den Rekurs von A. Millot in Zürich gegen den Bundesrathsbeschluss vom 31.Dezember 1873, betreffend Vollziehung eines französischen Civilurtheiles. (Vom 15. Juni 1874.)

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11.07.1874

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