452

# S T #

Bericht des

Schweiz. Konsuls in Odessa (Hrn. Otto Trithen von.

St. Stephan) über das Jahr 1873.

(Vom 31. Dezember 1873.)

An den hohen Schweiz. Bundesrath.

Das soeben abgelaufene Jahr gehört zu jenen, welche glücklicherweise nur in sehr weiten Zeiträumen auf einander folgen und nur seltene Ausnahmen in den statistischen Verhältnissen von NeuRußland sind.

Das Jahr 1873 war nicht allein für Handel und Ackerbau, sondern auch für alle Gewerbe und Klassen der Bevölkerung verhängnißvoll, mit einem Worte, ein Jahr voll Krisen, Enttäuschungen und schlimmer Erfahrungen.

Der Hauptgrund, auf welchen dieser unglückselige Thatbestand zurückzuführen ist, liegt jedenfalls in der auf der ganzen Strecke des Küstengebietes am Schwarzen und am Azow'schen Meere mißrathenen Erndte; in einigen Distrikten ist nicht einmal die Aussaat gewonnen worden und die Bevölkerung wäre allen Gräueln einer Hungersnoth ausgesetzt gewesen, wenn nicht die von der Regierung und von dem öffentlichen Wohlthätigkeitssinn mächtig unterstützte Territorial ver waltung wirksame Maßregeln ergriffen hätte, um dea

453 unglücklichen Opfern des Nothjahres zu Hülfe zu kommen. Um das Unglück voll zu machen, brach auch noch eine Viehseuche in den durch den Erndte-Ausfall am meisten heimgesuchten Gegenden aus, welche den Landrnann seiner letzten Hülfe zur Bestellung seiner Felder beraubte. Daher sah sich ein großer Theil der ländlichen Bevölkerung gezwungen, die Städte aufzusuchen, um dort ihr Brod durch Arbeit zu verdienen.

. Zum großen Glück sind die Gouvernements Kiew und Podolien, sowie das nördliche Bess-Arabien, durch eine reiche Erndte begünstigt worden; sie konnten daher nicht allein den Bedürfnissen des Konsums entsprechen, sondern außerdem auch noch ziemlich bedeutende Quantitäten für die Ausfuhr liefern.

Demnach war der Handel der Mittel seiner gewohnten Thätigkeit nicht gänzlich beraubt; dagegen aber mußte er gegen die Finanzkrisis ankämpfen, welche, von Wien ausgehen'), so zu sagen die ganze Welt berührte. Diese Krisis zwang die Banken, vorsichtiger zu sein, und sie mußten die bei ihrer Gründung einst vielleicht zu freigebig gewährten Kredite einziehen, eine Maßregel, welche, mit nicht allzu großer Schonung ausgeführt, nur noch die Konsequenzen erschwerte. Die lediglich auf den Kredit basirten Spekulationen mußten schleunigst abgewickelt werden, was ungeheure Opfer verursachte; Staatspapiere und Industrieaktien erlitten einen starken Abfall, wodurch der Ruin manches Spekulanten herbeigeführt wurde; die Immobilien, namentlich Häuser, deren Werth in Folge eines Spekulationsüebers, welches jene Kreditinstitute durch den anfänglich zu leicht bewilligten Kredit heraufbeschworen hatten, sich verdoppelt, sogar verdreifacht hatte, sanken ebenso schnell im Preise, als sie vor einigen Monaten gestiegen waren.

Der Kredit der Banken selbst ist ziemlich erschüttert worden; doch sind sie alle, ohne Ausnahme, ihren Verpflichtungen nachgekommen und haben dadurch den Beweis geliefert, daß sie auf solider Basis begründet sind und von geeigneten Persönlichkeiten geleitet werden. Die unbehagliche Stimmung der Handelswelt ist jedoch noch nicht völlig geschwunden und kann ihr Ende erst zur Zeit der nächsten Erndte finden, die, wenn sie guten Ertrag liefern sollte, manche im Jahre 1873 geschlagene Wunde heilen würde.

Gewisse Industriezweige haben dennoch trotz der ungünstigen Umstände zu blühen fortgefahren; zu dieser
Kategorie sind die Dampfmühlen, die Brauereien und die Brennereien zu zählen; letztere werden für die Folge auf soliderer Basis bestehen können, da die Regierung Kontrol-Apparate eingeführt hat, durch welche Mißbräuche abgestellt werden, die eine gewisse Anzahl von

454

Brennereibesitzern, zum Nachtheil Jener, deren Betrieb auf ehrlichen und loyalen Grundsätzen beruhte, ausnutzte.

Die Zuckerfabriken, welche bis heutigen Tags noch einen Schutzzoll genießen und die ein stetig zunehmender Konsum begünstigt, fahren fort, ihren Aktionären außergewöhnliche Dividenden einzubringen.

Obgleich der Eisenbahnbau eifrig betrieben wird, so leidet doch der Handelsverkehr mehr oder weniger durch Mangel an Rollmaterial; denn die Waaren lagern oft unendlich lange Zeit .längs der Eisenbahnstationen und lassen manchmal die gute, alte Zeit zurückwünschen, wo der Waarentransport auf Ochsenfuhrwerken stattfand. Hingegen wird die Personenbeförderung in fast untadelhafter Weise besorgt ; die Abfahrten finden regelmäßig statt, die Waggons sind bequem, die Kondukteure thun ihre Pflicht und Unglücksfälle kommen ziemlich selten vor.

· Die Reisenden, welche sich von Europa nach dem Orient begeben, benutzen gegenwärtig nicht ungern die Reiseroute über Wien-Wolotschysk-Odessa-Constantinopel, da diese Tour in 90 Stunden zu machen ist. Die Eisenbahnlinie Lozowo-Sebastopol, welche letztgenannten Hafen mit den Hauptstädten des Reiches durch Anschluß an die Karkow-Linie verbinden soll, flößt dem odessaer Handelsstande einige Besorgniß ein, da er einen großen Theil seines Transithandels nach dem Innern und auch einen Theil seines Exporthandels zu verlieren fürchtet.

Es mag nicht ohne Interesse sein, hier zu erwähnen, daß das Generalgouvernement Neu-Rußland jüngst aufgehoben worden ist; die vier Gouvernements Cherson, Ekaterinoslaw, Taurien und Bessarabien, aus welchen es bestand, werden in Zukunft wie die andern russischen Gouvernements nach den allgemeinen Grundsätzen verwaltet werden, .und z w a r m i t einem Civilgouverneur für jedes einzelne dieser Gouvernements.

Die Verwaltung von Neu-Rußland hat 100 Jahre bestanden und zählt zwölf Generalgouverneure, von welchen mehrere erwähnenswerth sind, nämlich: Fürst Potemkin, Herzog von Richelieu, Graf Langeron, Fürst Woronzoff und zuletzt General Kotzebue.

Als im Jahre 1774 die Kaiserin Katharina II. Neu-Rußland organisirte, besaß dieser weite Flächenraum nur 750,000 Einwohner, welche, über ungeheure öde und unbebaute Ebenen zerstreut, sich nur mit Viehzucht beschäftigten und von welchen ein Theil den Charakter nomadischer Völker beibehalten hatte. Gegenwärtig zählt dieser Landestheil über 4,600,000 Einwohner, mit 60 kleinen und großen Städten, 4500 Dörfern und Ansiedlungen, einem Viehstand

455

von 12,000,000 Hausthieren und einem internationalen Handelsverkehr, welcher mehr als 180 Millionen Rubel jährlich umsetzt.

Die Produktivkraft dieses großen Landes ist noch lange nicht erschöpft, es giebt im Gegentheil noch viel -für Industrie sowohl als Ackerbau zu thun und der Wohlstand von Neu-Rußland hat noch nicht seinen Höhepunkt erreicht.

Die Gesammteinfuhr betrug im Jahre 1873 Rubel 60,040,872. f>9, während die Ausfuhr nur Rubel 43,422,017. 62 erreichte; das Mehr der Einfuhr im Vergleich zur Ausfuhr, welches ungefähr 17 Millionen Rubel ausmacht, könnte zu der Annahme verleiten, daß das Einfuhrgeschäft ein sehr blühendes für Odessa geworden ist. Dem ist leider nicht so ; die enorme Zahl, welche die Einfuhr aufweist, rühi-t fast ausschließlich vom Transithandel her, welcher durchaus nichts mit dem eigentlichen Einfuhrgeschäft der Stadt Odessa gemein hat. Letzteres hat unter der allgemeinen Krisis bedeutend gelitten und liegt elend darnieder. Die Ablagemagazine der Douane sind mit Waaren vollgepfropft, welche in Folge der Geschäftsstille und des beim Verkauf dieser Waaren voraussichtlichen Schadens beim Zollamte nicht ausgelöst werden.

Eine auffallende Abnahme hat in der Steinkohlen-Einfuhr stattgefunden: im Jahre 1873 sind davon nur 7,019,287 Pud gegen 12,610,704 im Jahre 1872 eingeführt worden; doch hat der Verbrauch nicht abgenommen, sondern muß im Gegentheil noch zugenommen haben. Diese Erscheinung erklärt r-ich durch die einfache Thatsache, daß die ausländische Kohle durch die russische Kohle, deren Ausbeutung von Jahr zu Jahr umfangreichere Proportionen annimmt, ersetzt worden ist.

Die Gesammtausfuhr betrug im Jahre 1873 Rubel 43,422,017. 62 gegen Rubel 51,564,990. 38 im Vorjahre, wonach die Abnahme Rubel 8,142,972. 76 ausmacht.

Diese Abnahme rührt hauptsächlich von der Getreide-Ausfuhr her, welche im Jahre 1873 nur 3,487,068 Tschelwert gegen 4,633,684 Tschetwert im Jahre 1872 betrug. Die Differenz in Rubeln ausgedrückt repräsentirt einen Werth von nahezu sechs Millionen. Sie muß auch zum Theil dem Umstände zugeschrieben werden, daß im Jahre 1873 die Preissteigerung in Deutschland direkte Kornsendungen (welche früher Odessa als einzigen Ausfuhrplatz hatten) nach dort und selbst bis in die Schweiz über die Landesgrenzen Wolotschisk-Radziwiloff und Nowoselitz veranlaßt«.

Diese Geschäfte sollen, wie behauptet wird, gute Resultate ergeben haben.

456

Im Jahre 1873 wurden in Odessa 349 Segelschiffe und 573 Dampfschiffe nach ausländischen Häfen befrachtet. Die Zahl der Segelschiffe nimmt ab, während jene der Dampfschiffe zunimmt.

Es hatte im Jahre 1872 ,, ,, 1873 ,, ,, 1872 ,, ,, 1873

541 Segelschiffe, 349 504 Dampfschiffe, 573 ,,

woraus ersichtlich ist, daß die Dampfschifffahrt unzweifelhafte Vortheile gewährt.

Der schweizerische Hülfsverein war im Jahre 1873 in der Lage, 30 Landsleute zu unterstützen, wofür Fr. 2122. 93 Rp. verausgabt wurden; er konnte trotzdem sein Kapital vermehren, welches gegenwärtig Fr. 5340. 63 Rp. beträgt.

Handelsverkehr in Odessa. 1873.

Ausfuhr.

Roggen Tschetwert 268,712 Rubel 1,612,274. 50 30,961,914. -- 2,476,916 Waizen Ï) 75 11,297 112,970. -- Zuckerschoten ··) T) 641,030. 25 183,151 Hafer . ' .

V) 7) 119,052 595,262. 50 Gerste .

.

7) ·n 2,567,642.

50 427,940 Mais (türkisch er Waizen) ,, 7) 532,770 958,986. -- Mehl .

Pud V) 868,985. -- 66,845 Leinsaamen .

Tschetwert ·n 857,106. -- 71,825 Oelsaamen .

·n V) 7,664 39,931. 90 Talg .

Pud T) 195,360. -- 130,240 Alkohol "n T) 19,460. -- 556 Rindvieh Stück 7) 3,167,135. 37 210,518 Wolle, fein u. ordin . Pud VJ 246,185. -- 20,857 Stricke und Taue 7) 7) 121,542. 50 Bauhölzer 7) 402,142. 60 Diverse Artikel ·n Gesammtwaarenausfuhr Rubel 43,367,928^ Ü2 54,089. 50 An Gold ausgeführt für T) Zusammen Rubel 43,422,017. 62 welche zum Kurse von 340 berechnet, Frs. 147,634,860. 90 Rp.

ausmachen.

457

E i n f u h r.

Thee Pfeffer Reis .

.

.

.

.

Kaffee Oel Wein in Flaschen und Gebinden Liqueure .

.

.

.

Früchte, frisch und getrocknet Tabak und Cigarren Felle u n d Leder .

.

.

Baumwolle und Baumwollengarn Gold, verarbeitet .

.

.

Eisen und Eisenwaaren Porzellan, Fayence und Glas Zündhölzchen .

.

.

Baumwollen-Waaren Seiden ,, , Wollen ,, .

Leinen ,, .

Steinkohlen .

.

.

.

Maschinen und Modelle Diverse Artikel .

.

.

An Goldmünzen .

,, Silbermünzen .

,, Kreditscheinen

.

Puds.

60,106 31,565 248,437 61,831 241,515

.

.

.

.

.

.

.

1,053,744 79,818 . 16.220 282',290 14. 8 2,633,443 192,721 20,987 12,596 874 13,941 155,803 7,019,287 469,123

Rubel.

2,452,323. 05 315,645. 77 622,573. 59 684,664. 83 1,643,829. 47 1,763,516. 21 77,958. 17 3,331,521. 22 3,255,971. 22 2,322,973. 77 7,319,437. 77 165,335. 95 5,658,902. 55 1,370,209. 02 181,758. 17 2,520,160. (52 697,421. 99 3,345,995. 27 7,877,347. 95 1,403,865. 27 1,239,832. 69 7,077,478. 76

Gesammtwaareneinfuhr Rubel 55,328,723. 32 Rubel 1,388,908. 48 ,, 82,450. 89 ,, 3,240,790. 4,712.149. 37 ,,

Zusammen Rubel 60,040,872. (59 Die im Jahre 1873 erhobenen Steuern betrugen Rubel 7,300,250. -- welche zum Kurse von 340 berechnet, Frs. 24,820,850. -- ausmachen.

458

Terkehr im Hafen von Odessa. 1873.

Befrachtet nach dem Auslande ausgelaufene Schiffe: Segelschiffe.

Italienische Oesterreichische .

Griechische Englische .

Deutsche Norwegische Russische .

Türkische .

128 11(3 37 18 17 14 11 8

Im Jahre 1873 zusammen 349 ,, ,,

,, ,,

1872

1871

,, ,,

541 797

Dampfschiffe.

Englische .

Russische Oesterreichische .

Italienische Belgische Holländische Dänische Deutsche

259 178 88 18 16 10 2 2

Im Jahre 1873 zusammen 573 ,, ,,

,, ,,

1872 1871

,, ,,

504 425

Bestand der Getreide- und Saamen-Lager am 31. D e z e m b e r 1873.

Walzen, ,, , ,, , Roggen Mais Gerste

weicher Ghirka harter .

Hafer Leinsaamen Oelsaamen Zuckerschoten .

Tschetwert 441,000 350,000 ·n 6,000 ·n 40,000 t> 11,000 ·n 13,000 ti 11,000 ·n 11,000 20,000 1,400 Zusammen Tschetwert 904,400.

459

# S T #

Bundesrathsbeschluss betreffend

Quarantainemassregeln für die Einfuhr von Schafen und Schweinen aus Süddeutschland.

(Vom 13. März 1874.)

Der schweizerische B u n d e s r a t h , auf den Antrag seines Departements des Innern, beschließt: Unter Aufrechterhaltung der Bestimmungen über den Grenzverkehr §§ 11--17 der Verordnung vom 3. Weinmonat 1873 (XI, 365) wird verfügt: 1) Die Einfuhr von Schafen und Schweinen aus dem Großherzogthum B a d e n , aus W ü r t t e m b e r g und B a y e r n wird bis auf Weiteres an die Bedingung geknüpft, daß die einzuführenden Thiere au der Grenze eine achttägige Quarantäne zu bestehen haben.

Der Eigenthümer des betreffenden Vieh's hat auf seine Kosten für dazu geeignete Lokalitäten, sowie für Wartung und Pflege der Thiere selbst zu sorgen. An der Zollstätte, wo die Abfertigung stattfindet, sind die Thiere durch einen schweizerischen Thierarzt zu untersuchen. Derselbe überwacht gleichzeitig die Quarantäne-Anstalt und hat nach Ablauf der Quarantäne die Thiere neuerdings einer Untersuchung zu unterwerfen. Gesunde Thiere werden alsdann mit einem Passirschein versehen.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des schweiz. Konsuls in Odessa (Hrn. Otto Trithen von. St. Stephan) über das Jahr 1873. (Vom 31. Dezember 1873.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1874

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

12

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

14.03.1874

Date Data Seite

452-459

Page Pagina Ref. No

10 008 094

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.