zu 02.436 Parlamentarische Initiative Hofmann Hans Vereinfachung der Umweltverträglichkeitsprüfung sowie Verhinderung von Missbräuchen durch eine Präzisierung des Verbandsbeschwerderechtes Stellungnahme des Bundesrates zum Bericht vom 27. Juni 2005 der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 24. August 2005

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, zur Vorlage und zum Bericht vom 27. Juni 2005 der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats betreffend die parlamentarische Initiative 02.436 «Vereinfachung der Umweltverträglichkeitsprüfung sowie Verhinderung von Missbräuchen durch eine Präzisierung des Verbandsbeschwerderechtes» (Hofmann) nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes (ParlG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

24. August 2005

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Samuel Schmid Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2005-1861

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 19. Juni 2002 reichte Ständerat Hans Hofmann eine parlamentarische Initiative ein, welche die Vereinfachung der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) im Umweltschutzgesetz sowie die Verhinderung von Missbräuchen durch die Präzisierung des Verbandsbeschwerderechts verlangt.

Auf Antrag seiner Kommission für Rechtsfragen beschloss der Ständerat am 18. Juni 2003 ohne Gegenstimme, der Initiative Folge zu geben, und beauftragte die Kommission für Rechtsfragen mit der Ausarbeitung einer Vorlage.

Nach eingehender Beratung in insgesamt 10 Sitzungen und der Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens zum Vorentwurf verabschiedete die Kommission am 27. Juni 2005 den Bericht und den Gesetzesentwurf einstimmig (bei vier Enthaltungen) zu Handen ihres Rates.

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Stellungnahme des Bundesrats

2.1

Grundsätzliches

Der Bundesrat hält fest, dass sich die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und das Verbandsbeschwerderecht für den korrekten Vollzug des Umweltrechts grundsätzlich bewährt haben. Indes sieht er ­ in weitgehender Übereinstimmung mit der Kommission für Rechtsfragen ­ verschiedene Verbesserungsmöglichkeiten bei der Ausgestaltung dieser Instrumente.

Er unterstützt deshalb das Ziel der Vorlage, die Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen und mögliche Missbräuche im Zusammenhang mit der Ausübung des Verbandsbeschwerderechts zu verhindern.

Der Bundesrat begrüsst auch die im Rahmen der Beratungen zur parlamentarischen Initiative Hofmann von der Kommission eingereichte Motion (04.3664), mit der sichergestellt werden soll, dass geltendes Umweltrecht frühzeitig auf allen Planungsstufen berücksichtigt wird.

2.2

UVP

Wie der Bundesrat bereits in seinem Bericht vom 18. Februar 2004 in Erfüllung des Postulates 01.3266 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates feststellt hat (BBl 2004 1611), bewährt sich die UVP als Instrument zur Prüfung der Umweltrechtskonformität von umweltbelastenden Projekten. Der Bundesrat hat aber ­ gestützt auf die Ergebnisse einer externen Evaluation ­ bei der UVP Verbesserungspotenzial geortet. Er hat deshalb das UVEK (BUWAL) beaufragt, Massnahmen zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Umweltverträglichkeitsberichte und zur Beschleunigung der Verfahren vorzuschlagen.

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Der Bundesrat begrüsst die Vorschläge der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats, welche die gleiche Stossrichtung verfolgen und zu einer Vereinfachung des UVP-Verfahrens führen.

Zu den einzelnen Punkten der Vorlage äussert sich der Bundesrat wie folgt: Der Bundesrat begrüsst die neu eingeführte Verpflichtung, die Liste der UVP-pflichtigen Anlagetypen und die Schwellenwerte periodisch zu überprüfen und an die aktuellen umweltrechtlichen Anforderungen anzupassen. Gestützt auf die Ergebnisse der Evaluation der UVP hat er denn die Verwaltung auch bereits beauftragt, den Anhang der Verordnung vom 19. Oktober 1988 über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPV; SR 814.011) unter Einbezug der Kantone und weiterer interessierter Kreise zu überprüfen; die Revision der UVPV ist auf Ende 2006 geplant. Der Bundesrat sieht vor, den Anhang in Zukunft ca. alle 8­10 Jahre zu überprüfen.

Die vorgeschlagene Formulierung von Artikel 10a Absatz 2 könnte auch dahingehend interpretiert werden, dass Entscheide über die UVP-Pflicht von Anlagen einzelfallweise gefällt werden müssten und dazu Kenntnisse der voraussichtlichen Auswirkungen einer Anlage notwendig wären. Es ist festzuhalten, dass es sich bei Artikel 10a Absatz 2 um eine reine Anweisung an den Bundesrat als Verordnungsgeber handelt und dass der UVP-Pflicht nur Anlagetypen unterstellt sind, die durch den Bundesrat bezeichnet werden (Art. 10a Abs. 3). Um Missverständnissen vorzubeugen, ist eine klärende Erläuterung der Vorschrift zu Handen des Parlaments notwendig.

Der Bundesrat kann sich der vorgeschlagenen Vereinfachung der Umweltverträglichkeitsberichte grundsätzlich anschliessen, gibt dabei aber Folgendes zu bedenken: ­

Der Abschluss der Umweltberichterstattung mit der Voruntersuchung eignet sich voraussichtlich insbesondere für kleinere, einfache Vorhaben, deren Projektierung bereits weit fortgeschritten ist. Bei grösseren und vor allem bei komplexen Vorhaben kann die Berichterstattung in zwei Schritten (Voruntersuchung mit Pflichtenheft und nachfolgender Bericht über die Umweltverträglichkeit) für den Gesuchsteller den Vorteil mit sich bringen, dass die Umweltfragen frühzeitig und stufengerecht in die Projektierung einbezogen und durch die Behörden beurteilt werden, was zu berechenbaren, effizienten Bewilligungsverfahren führt.

­

Der Verzicht auf die Aufführung von weitergehenden Massnahmen (gemäss geltendem Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe d USG) im Umweltverträglichkeitsbericht darf nicht dazu führen, dass dem Vorsorgeprinzip gemäss Artikel 1 Absatz 2 USG und dem Verhältnismässigkeitsprinzip nicht mehr nachgelebt wird und die in diesem Zusammenhang nötigen Untersuchungen nicht mehr vorgenommen werden. Der Bundesrat geht daher davon aus, dass die geplanten Massnahmen gemäss neuem Artikel 10b Absatz 2 Buchstabe b auch vorsorgliche Umweltschutzmassnahmen beinhalten, die unter anderem auch garantieren, dass UVP-pflichtige Vorhaben jeweils dem aktuellen Stand der Technik entsprechen.

Zudem tangiert der geplante Verzicht auf die weitergehenden Massnahmen den Regelungsbereich der Richtlinie 2002/30/EG über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen (ABl. L 85 vom 28.3.2002, S. 40), deren Bestimmungen per 1. Dezember 2005 im Rahmen des am 21. Juni 1999 abgeschlossenen Abkommens zwischen der Schwei5393

zerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Luftverkehr (SR 0.748.127.192.68, Stand 15. Juni 2004) auch in der Schweiz in Kraft treten werden.

Gemäss Artikel 5 in Verbindung mit Anhang II der Richtlinie 2002/30/EG berücksichtigt die Behörde bei einer Entscheidung über Betriebsbeschränkungen von Flughäfen unter anderem zusätzlich mögliche Massnahmen und eine Abschätzung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses derselben. Nach einer ersatzlosen Streichung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe d USG bestünde in der Schweiz keine entsprechende nationale gesetzliche Regelung für die Umsetzung dieser Bestimmung mehr. Mit der Inkraftsetzung der Richtlinie 2002/30/EG ist die Schweiz verpflichtet, die Bestimmungen dieser Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.

Der Bundesrat geht davon aus, dass das Parlament dieser internationalen Verpflichtung Rechnung tragen wird.

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2.3

Der Verzicht auf die Begründung des Vorhabens bei öffentlichen und privaten konzessionierten Vorhaben im Rahmen des Umweltverträglichkeitsberichts kann nicht bedeuten, dass im Rahmen der Projektgenehmigung eine umfassende Interessenabwägung wegfällt, im Rahmen derer das öffentliche Interesse am Nutzen einer Anlage, die Auswirkungen auf die Umwelt sowie weitere öffentliche und private Interessen gegeneinander abgewogen werden. Ebenso wenig kann dies bedeuten, dass die Beurteilung von Alternativen oder Varianten wegfällt.

Verbandsbeschwerde

Der Bundesrat hat sich bei der Beantwortung mehrerer Vorstösse zum Verbandsbeschwerderecht letztmals im Herbst 2004 zum Verbandsbeschwerderecht der Umweltorganisationen geäussert. Er hat dabei festgehalten, dass das Verbandsbeschwerderecht grundsätzlich in seiner bestehenden Form beibehalten werden soll, weil es dem korrekten Vollzug der Umweltschutzgesetzgebung dient und eine unabhängige Überprüfung behördlicher Entscheide durch die zuständigen Rechtsmittelinstanzen ermöglicht. Der Bundesrat hat allerdings in weitgehender Übereinstimmung mit der Rechtskommission des Ständerates diverse Verbesserungsmöglichkeiten bei der Ausgestaltung des Verbandsbeschwerderechts benannt.

Der Bundesrat begrüsst die Stossrichtung der vorgeschlagenen Optimierungen des Verbandsbeschwerderechts und äussert sich zu den einzelnen Punkten wie folgt: ­

Die Regelung, wonach Organisationen Rügen nur noch in Rechtsbereichen erheben dürfen, die seit mindestens 10 Jahren Gegenstand ihres statutarischen Zwecks bilden, stellt in zureichender Weise sicher, dass nur noch solche Organisationen Beschwerde erheben dürfen, die auch über das notwendige spezifische Fachwissen verfügen.

­

Der Vorschlag der Kommission vereinheitlicht die Formulierung für die Bezeichnung der beschwerdeberechtigten Organisationen in USG und NHG.

So wird auch im USG neu ausdrücklich verlangt, dass eine beschwerdeberechtigte Organisation rein ideelle Zwecke verfolgt, auch wenn dies in der Praxis bereits so gehandhabt wurde. Zu Recht schlägt die Kommission neu vor, dass allfällige wirtschaftliche Tätigkeiten der Erreichung ideeller

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Zwecke dienen müssen. Die den Organisationen eingeräumte Übergangsfrist von drei Jahren erscheint angemessen.

­

Die internen Kompetenzen der Organisationen zur Ausübung der Verbandsbeschwerde werden mit der Regelung, dass das oberste Exekutivorgan der beschwerdeführeden Organisation über die Beschwerdeerhebung entscheidet, zureichend und klar geregelt. Die Möglichkeit, die Erhebung von Einsprachen an rechtlich selbständige kantonale und überkantonale Unterorganisationen zu delegieren, entspricht dem Bedürfnis der Praxis, wonach sich zunächst die mit den lokalen Verhältnissen vertrauten Organisationseinheiten mit den möglicherweise strittigen Projekten befassen sollten. Demgegenüber geht es bei der eigentlichen Beschwerdetätigkeit eher um die Sicherstellung eines einheitlichen Bundesrechtsvollzugs.

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Der Bunderat begrüsst die Regelungen, die dazu beitragen, dass Umweltanliegen nicht erst auf Projektstufe, sondern ­ stufengerecht ­ bereits im Rahmen der Raumplanung berücksichtigt werden. Rügen von Verbänden, die in einem früheren Verfahren hätten eingebracht werden können, sollen in späteren Stadien des Verfahrens nicht mehr zulässig sein.

­

Der Bundesrat begrüsst, dass in der Vorlage der Kommission geregelt wird, welche Vereinbarungen zwischen den Organisationen und den Gesuchstellern geschlossen werden dürfen. Grundsätzlich soll der Vollzug des Umweltrechts durch die zuständigen Behörden erfolgen und nicht Gegenstand privatrechtlicher Regelungen werden. Verhandlungen zwischen Gesuchstellern und Organisationen können aber dazu beitragen, unnötige Rechtsstreite zu vermeiden und sachgerechte behördliche Verfügungen vorzubereiten. Festzuhalten ist jedoch, dass die Überführung von privat abgeschlossenen Vereinbarungen nur unter Vorbehalt von Artikel 49 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren (VwVG) erfolgen kann.

Was die Bezeichnung des unzulässigen Inhalts von Vereinbarungen über finanzielle oder andere Leistungen in den vorgeschlagenen Artikeln 55c Absatz 2 USG und 12d NHG angeht, so gibt der Bundesrat zu bedenken, dass die gegenwärtige Formulierung der Buchstaben a und b möglicherweise zu einschränkend gefasst ist. Bei einer strengen Interpretation dieser Vorschriften dürften weder umweltrechtliche Verpflichtungen, die sich aus dem öffentlichen Recht ergeben, noch solche, die nicht im öffentlichen Recht geregelt sind, vereinbart werden. Dies entspricht aber vermutlich nicht der Absicht der Kommission. Hier sollte eine Formulierung geprüft werden, die klarstellt, dass zwar keine Konventionalstrafen für die Nichteinhaltung behördlicher Verfügungen mehr zulässig sein dürfen, dass aber die Vereinbarung von Umweltschutzmassnahmen im rechtlich vorgegebenen Rahmen weiterhin zulässig bleibt.

­

Die Bestimmung, wonach die Rechtsmittelbehörde auf eine Beschwerde nicht eintritt, wenn sie rechtsmissbräuchlich ist oder wenn der Gesuchsteller nachweist, dass die beschwerdeführende Organisation unzulässige Leistungen im Sinne des revidierten Gesetzes gefordert hat, vermag Bauherren vor Projektverzögerungen durch unrechtmässige Forderungen zu schützen und ist durch die Rechtsmittelinstanzen einfach zu vollziehen. Allerdings ist nicht auszuschliessen, dass diese Bestimmung die Bereitschaft der Organi-

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sationen schmälern könnte, Differenzen möglichst frühzeitig auf dem Verhandlungsweg zu bereinigen.

­

Die vorgeschlagene Bestimmung über den vorzeitigen Baubeginn vermag den Bauherrn vor unerwünschtem Druck seitens der Umweltverbände zu schützen und ermöglicht die schnelle Realisierung unbestrittener Anlageteile. Die Bestimmung müsste allerdings klar zum Ausdruck bringen, dass ein vorzeitiger Baubeginn erst nach einer erstinstanzlichen Baubewilligung in Frage kommen kann.

­

Dass Umweltverbände, wie andere Beschwerdeführer auch, im Falle des Unterliegens die Verfahrenskosten vor Bundesbehörden zu tragen haben, erscheint gerechtfertigt und wird die Verbände anhalten, in Zukunft noch vermehrt auf ihre Prozessaussichten zu achten, wenn sie über die Erhebung einer Beschwerde entscheiden.

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Der Bundesrat weist darauf hin, dass die gewählte Formulierung von Artikel 12c Absatz 1 NHG noch nicht genügend deutlich macht, unter welchen Voraussetzungen die Gemeinden einerseits und die Organisationen andererseits nachträglich wieder in ein Verfahren eintreten können. Eine Differenzierung zwischen Gemeinden und Organisationen erscheint hier wegen der unterschiedlich gelagerten Interessen erforderlich.

Der Bundesrat nimmt zustimmend davon Kenntnis, dass die Kommission Regelungen verlangt, die die Organisationen verpflichten, die Öffentlichkeit über ihre Einsprache- und Beschwerdetätigkeit transparent zu informieren. Der Bundesrat sieht vor, entsprechende Regelungen in das Verordnungsrecht aufzunehmen (vgl. Antwort des Bundesrates auf die Interpellation FDP-Fraktion, Massnahmen gegen Auswüchse des Verbandsbeschwerderechts, 04.3270).

2.4

Schlussfolgerung

Der Bundesrat unterstützt die Stossrichtung des Berichts der Kommission für Rechtsfragen vom 27. Juni 2005 und stimmt auch den darin vorgeschlagenen Rechtsänderungen zu.

Er beantragt Ihnen, den Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe d USG in Bezug auf die Flughäfen nicht ersatzlos zu streichen, sondern mit einer spezialgesetzlichen Bestimmung (im Luftfahrtsgesetz) dafür zu sorgen, dass die Schweiz bei diesen Anlagen auch weiterhin sämtliche Verpflichtungen erfüllen kann, die sie mit der Unterzeichnung des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Luftverkehr (SR 0.748.127.192.68) übernommen hat. Das UVEK wird dem Parlament einen Vorschlag für eine entsprechende spezialrechliche Regelung unterbreiten.

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