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Bericht des Bundesrates über die Aktivitäten der schweizerischen Migrationsaussenpolitik 2022 vom 19. April 2023

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen den Bericht über die Aktivitäten der schweizerischen Migrationsaussenpolitik 2022 und bitten Sie, davon Kenntnis zu nehmen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

19. April 2023

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2023-1253

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Bericht 1

Zusammenfassung der Schwerpunkte im Jahr 2022

Die Schweizer Migrationsaussenpolitik im Jahr 2022 war durch die grösste Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg geprägt. Seit der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine im Februar 2022 sind rund acht Millionen Menschen aus der Ukraine geflüchtet. Die Schweiz gewährte bis Ende 2022 72 611 Personen aus der Ukraine den Schutzstatus S. Damit lag die Schweiz in Europa, abgesehen von den Nachbarstaaten, an achter Stelle gemessenen an der Bevölkerungszahl. Während der Krieg in der Ukraine weiter andauert, sind rund 18 Millionen Menschen auf Nothilfe angewiesen. Die Schweiz unterstützt gemeinsam mit der Europäischen Union, anderen Geberstaaten und den Vereinten Nationen die betroffenen Menschen in der Ukraine und in den Nachbarländern.

Die Folgen des Krieges in der Ukraine gehen weit über Europa hinaus. Steigende Lebensmittel- und Energiepreise erhöhen die Armut und den Migrationsdruck weltweit.

In Nordafrika zum Beispiel verschärften die Auswirkungen des Krieges nach dem Einbruch des Tourismus durch die Covid-19-Pandemie zusätzlich die instabilen ökonomischen und politischen Verhältnisse. Dies trug 2022 zu einem erneuten Anstieg der irregulären Migration nach Europa bei.

Im Schatten des Krieges in der Ukraine stiegen so auch die Asylzahlen in der Schweiz stark an. Von zunehmender Bedeutung war, als wichtigstes Tor in den SchengenRaum, wie schon im Vorjahr die Migrationsroute über den Balkan. Die Schweiz wurde vermehrt auch als Transitland genutzt. Mit Österreich als noch deutlich stärker betroffenes Land vereinbarte die Schweiz einen gemeinsamen Aktionsplan zur Bekämpfung der Sekundärmigration und deren Ursachen.

Die Schweiz führte 2022 ihre aktive Migrationsaussenpolitik fort und schloss zwei weitere Migrationspartnerschaften ab; 2022 waren dies Partnerschaften mit Georgien und Nordmazedonien. Der Rückkehrbereich entwickelte sich 2022 positiv, wozu auch die Aufhebung vieler Einreisehürden im Zusammenhang mit Covid-19 beitrug. Ein weiteres wesentliches Merkmal des Berichtsjahrs waren die Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Rahmenkredit Migration, der Bestandteil des zweiten Schweizer Beitrags an die Europäische Union ist und ein neues Element der Schweizer Migrationsaussenpolitik darstellt. Mit dem Rahmenkredit Migration wurden Kooperationen mit Zypern, Griechenland und
Italien eingeleitet, ausserdem konnten Nachbarländer der Ukraine unterstützt werden.

Ein umfassender gesamtstaatlicher Ansatz in der internationalen Migrationszusammenarbeit gewann im Jahr 2022 aufgrund der vielseitigen migrationspolitischen Herausforderungen weiter an Bedeutung. Die Schweiz ist mit der interdepartementalen Struktur zur internationalen Migrationszusammenarbeit (IMZ-Struktur) gut positioniert, und sie stellte damit eine kohärente Migrationsaussenpolitik sicher. Die Schweiz arbeitete partnerschaftlich mit zahlreichen Herkunfts-, Transit- und Zielstaaten zusammen. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und das Departement für Wirtschaft, 2 / 16

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Bildung und Forschung (WBF) arbeiteten im Berichtsjahr im Rahmen ihrer Zusammenarbeitsvereinbarung für die Laufzeit 2021­2024 eng zusammen. Damit konnten die Synergien zwischen Migrations- und Aussenpolitik sowie der internationalen Zusammenarbeit (IZA) weiter ausgebaut und genutzt werden.

2

Migrationskontext im Jahr 2022

Die Asylmigration nach Europa und die Weiterwanderung innerhalb Europas haben 2022 deutlich zugenommen. Der Krieg in der Ukraine hatte keine direkten Auswirkungen auf die Asylmigration nach Europa, jedoch hat er zu einer Verschlechterung der Wirtschaftslage in vielen Herkunftsländern geführt und so zur Erhöhung des Abwanderungsdrucks beigetragen. Die Zahl der in Europa gestellten Asylgesuche sank über den Winter und das Frühjahr auf das Niveau der Monate Januar und Februar 2020 (rund 65 000 Gesuche); das heisst, sie lag wieder auf dem Vor-Pandemie-Niveau und damit deutlich höher als im Winter 2020/2021. Ab Mai 2022 stieg sie rasch an.

Nach einer kurzen Stabilisierungsphase erfolgte ab Mitte August 2022 ein weiterer Anstieg, der sich im Verlauf des Septembers 2022 noch verstärkte. Im Oktober und November 2022 wurde europaweit mit jeweils rund 115 000 Asylgesuchen der Höchstwert erreicht.

Prägende Faktoren für die Gesuchsentwicklung in Europa waren die Weiterwanderung aus Griechenland und ab August 2022 die stark zunehmende Migration aus der Türkei auf dem Landweg nach Bulgarien. Die steigende Zahl von Anlandungen in Süditalien hat sich ebenfalls auf die Zahl der Asylgesuche in Europa ausgewirkt.

Ebenso einen Einfluss hatte die Visumspolitik Serbiens. Schliesslich stieg die Zahl der Asylgesuche von Staatsangehörigen lateinamerikanischer Staaten mit dem Wegfallen der Covid-bedingten Reisebeschränkungen deutlich an. Betroffen war hier insbesondere Spanien.

Wichtigste Migrationsrouten nach Europa Routen über das Mittelmeer

östliche (Türkei-Griechenland)

zentrale (primär Libyen-Italien)

westliche (primär Marokko-Spanien)

See

Land

See

See

2018

32 500

18 010

23 370

2019

59 730

14 890

11 470

26 170

6 350

2020

9 690

5 980

34 150

40 330

1 540

2021

4 110

4 690

67 480

41 980

1 220

2022

12 760

6 020

105 140

29 200

1 870

58 570

Land

6 810

Quelle: SEM

In Europa wurden rund 1 050 000 Asylgesuche gestellt, dies ist eine Zunahme um rund 55 Prozent. Die effektive Zahl der Personen, die in Europa ein Asylgesuch stellten, liegt jedoch tiefer. Weiterwanderungen (Dublin-Fälle) führen sehr oft zu Mehrfa3 / 16

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cherfassungen. In den meisten wichtigen europäischen Zielländern nahm die Zahl der Asylgesuche 2022 deutlich zu. Gründe für die Zunahme waren die verstärkte Migration über die Balkanroute und das Wegfallen der Covid-bedingten Reiseeinschränkungen. Die stärksten Zunahmen verzeichneten Österreich, Bulgarien und Spanien.

Deutschland blieb wichtigstes Zielland.

Asylgesuche in der Schweiz 1991 bis 2022

Quelle: SEM

In der Schweiz wurden 2022 24 511 Asylgesuche gestellt. Das sind 9583 Gesuche mehr als 2021 (+ 64 %). Der Anteil der Schweiz an allen in Europa gestellten Asylgesuchen lag im Jahr 2022 bei rund 2,4 Prozent und damit um 0,1 Prozent höher als 2021. Die Migration über die Balkanroute war 2022 der zentrale Faktor für die Entwicklung der Asylgesuche in der Schweiz. Dabei stand bis August die Weiterwanderung von Personen im Vordergrund, die sich schon länger in Griechenland oder auf dem Balkan aufgehalten hatten. Ab Juli kam die Weiterwanderung von burundischen Staatsangehörigen hinzu, die visumsfrei nach Serbien gereist waren. Ab August nahm die Migration von der Türkei über die Landgrenzen zu Bulgarien und Griechenland deutlich zu. Die Türkei wurde 2022 immer stärker zum bestimmenden Faktor der Migration in Richtung Europa. So verstärkte die Regierung den Druck auf syrische und afghanische Migrantinnen und Migranten, in ihr Heimatland zurückzukehren. Hintergrund sind die schlechte wirtschaftliche Lage in der Türkei sowie die für Juni 2023 anstehenden Wahlen. Die deutliche Zunahme der Anlandungen in Italien hat sich nur sekundär auf die Zahl der Asylgesuche in der Schweiz ausgewirkt. Für die wichtigsten Herkunftsländer auf dieser Route ist die Schweiz kein Zielland (Ägypten, Bangladesch) oder allenfalls ein sekundäres Zielland (Tunesien).

Die Schweiz ist als Zielland für viele Asylsuchende weiterhin von sekundärer Bedeutung. Die überwiegende Mehrheit der 2022 durch das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) festgestellten rechtswidrigen Einreisen in die Schweiz erfolgte über die Südgrenze im Kanton Tessin respektive über die Ostgrenze im Kanton St.

Gallen. Der Grossteil der kontrollierten Personen stellte in der Schweiz kein Asylge4 / 16

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such, sondern wollte die Schweiz lediglich transitieren, meist in Richtung Deutschland oder Frankreich.

Asylgesuche in der Schweiz ­ wichtigste Herkunftsstaaten 20221

Quelle: SEM

3

Fokus: Bewältigung der Folgen des Kriegs in der Ukraine

3.1

Fluchtbewegungen in die Schweiz

Der Krieg in der Ukraine hat seit 24. Februar 2022 über sieben Millionen Menschen innerhalb des Landes vertrieben und rund sieben Millionen Menschen gezwungen, das Land zu verlassen. Gemäss dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) verfügten Ende 2022 europaweit knapp fünf Millionen Menschen 1

Dargestellt sind Erstgesuche, keine Familiennachzüge und Geburten. SchutzstatusS-Anträge von aus der Ukraine geflüchteten Personen werden in dieser Statistik nicht berücksichtigt: Der Schutzstatus S soll dazu dienen, das Asylsystem nicht zu überlasten.

So wird gewährleistet, dass das Asylsystem weiter funktioniert, und die Geflüchteten aus der Ukraine trotzdem rasch, unbürokratisch und basierend auf einer soliden rechtlichen Grundlage jenen Schutz erhalten, den sie benötigen. Es handelt sich um die auf europäischer Ebene abgestimmte Vorgehensweise.

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über einen Schutzstatus oder einen ähnlichen Aufenthaltstitel. Am 11. März 2022 entschied der Bundesrat, erstmals den Schutzstatus S zu aktivieren. Dieser Status gewährt den Schutzsuchenden aus der Ukraine ein Aufenthaltsrecht, ohne dass sie ein ordentliches Asylverfahren durchlaufen müssen.

Die Schweiz gewährte bis Ende Jahr 2022 72 611 Menschen aus der Ukraine den Schutzstatus S. Bis Ende 2022 hatten knapp 10 000 der eingereisten Personen die Schweiz bereits wieder freiwillig verlassen. Der Bundesrat hat Anfang November 2022 entschieden, den Schutzstatus S bis zum 4. März 2024 nicht aufzuheben, sofern sich die Lage in der Ukraine nicht nachhaltig stabilisiert. Der Schutzstatus S gilt bis zur Aufhebung durch den Bundesrat.

Zudem setzte die Vorsteherin des EJPD die Evaluationsgruppe Schutzstatus S ein, um die bisherigen Erfahrungen zu analysieren. Die Gruppe soll bis Juni 2023 prüfen, inwiefern sich der rechtliche Rahmen des Status S beispielsweise in Bezug auf die Erfüllung seiner Schutzfunktion, die Entlastung des Asylsystems oder die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen bewährt hat.

Der Krieg in der Ukraine und die Fluchtbewegungen in die Schweiz hatten auch Auswirkungen auf die operationelle Umsetzung des Resettlement-Programms 2022/2023.

Die geplanten Auswahlmissionen und Einreisen mussten im Frühjahr 2022 temporär ausgesetzt werden und wurden erst im September wiederaufgenommen. Im Berichtsjahr reisten 641 Resettlement-Flüchtlinge in die Schweiz ein. Dies entspricht etwas mehr als einem Drittel des Gesamtkontingents (1820 Flüchtlinge) des Programms 2022/23.

Die Schweiz koordinierte ihre Aktivitäten zugunsten der Bewältigung der Folgen der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine auf politischer Ebene eng mit der Europäischen Union (EU). Die EU hatte am 4. März 2022 die erstmalige Anwendung der Temporary Protection Directive beschlossen, welche dem schweizerischen Schutzstatus S entspricht. Die EJPD-Vorsteherin nahm an den regelmässigen Diskussionen im Rat, dem die Ministerinnen und Minister für Justiz und Inneres der EU angehören, teil.

Die Europäische Kommission hat nach dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine eine sogenannte Solidarity Platform Ukraine geschaffen, im Rahmen deren sich die EUMitgliedstaaten regelmässig austauschen. Ziel dieser Plattform ist es, einen
Überblick über die Aufnahmekapazitäten der einzelnen Teilnehmerstaaten zu schaffen und gezielt Unterstützung bereitzustellen. Die Schweiz nimmt an diesen Sitzungen ebenfalls teil und ist somit in die operativen Koordinationsstrukturen der EU eingebunden.

3.2

Hilfe vor Ort durch die Schweiz

Der Bundesrat beschloss am 11. März 2022, die humanitäre Hilfe in der Ukraine und der Region auf 80 Millionen Franken aufzustocken. Rund drei Viertel der Mittel wurden zur Unterstützung der zurückgebliebenen Bevölkerung in der Ukraine eingesetzt, ein Viertel zugunsten der geflohenen Menschen in den Nachbarländern. Am 2. November 2022 stellte der Bundesrat weitere 100 Millionen Franken für die Winterhilfe in der Ukraine und in Moldawien zur Verfügung. Die Akteure der internatio6 / 16

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nalen Zusammenarbeit der Schweiz (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit [DEZA], Staatssekretariat für Wirtschaft [SECO] sowie die Abteilung Frieden und Menschenrechte des EDA [AFM]) sind seit vielen Jahren in beiden Ländern präsent und haben ihre laufenden Programme und Projekte auf die neuen Bedürfnisse ausgerichtet und teilweise aufgestockt.

Die migrationsaussenpolitischen Akteure der Schweiz sprechen sich ab, um sicherzustellen, dass ihre Unterstützungsmassnahmen geografisch und thematisch komplementär sind. Das EJPD fokussiert seine Unterstützung auf die EU-Nachbarländer der Ukraine und die Arbeit der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Die DEZA leistet Unterstützung in der Ukraine sowie in geringerem Masse in Moldawien, und sie unterstützt die Arbeit des UNHCR. Das SECO hat nebst den Projekten im Rahmen des Kooperationsprogramms für die Ukraine über die Weltbank und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung 20 Millionen Franken Finanzhilfe geleistet. Zudem unterstützt das SECO einen Weiterbildungsstudiengang zum Wiederaufbau, der sich vor allem an ukrainische Geflüchtete in der Schweiz richtet.

4

Schwerpunktregionen der schweizerischen Migrationsaussenpolitik

Die Migrationsaussenpolitik ist ein wichtiges Instrument, um die Gesamtinteressen der Schweiz im Migrationsbereich zu wahren. Auf politischer Ebene wird das Thema Migration in den politischen Konsultationen thematisiert, und die Schweiz strebt weitere Migrationsabkommen und Partnerschaften an. Ein Beispiel bieten die jährlichen Switzerland-Nigeria Days, eine Veranstaltung, in welche der Migrationsdialog im Rahmen der Migrationspartnerschaft zwischen der Schweiz und Nigeria eingebettet ist.

Migration ist in den Kooperationsprogrammen der Schwerpunktregionen und ­Länder der Schweizer IZA integriert. Verschiedene Programme in Regionen von hohem Schweizer Migrationsinteresse ­ beispielsweise dem Mittleren Osten, Nordafrika oder dem Horn von Afrika ­ legen einen besonderen Fokus auf Flucht- und Migrationsaspekte. Je nach Bedürfnissen setzt die IZA der Schweiz unterschiedlich an. Die Schweiz leistet humanitäre Hilfe vor Ort und in Erstaufnahmeländern. So arbeitet die Humanitäre Hilfe der DEZA beispielsweise nicht nur in Syrien und der Ukraine, sondern sie unterstützt auch deren Nachbarländer, die einen Grossteil der Geflüchteten aufgenommen haben. Die IZA der Schweiz fördert auch die Integration von Vertriebenen und von Migrantinnen und Migranten in die lokalen Arbeitsmärkte, zum Beispiel im Horn von Afrika. Mit ihren langfristigen Aktivitäten für Frieden, Menschenrechte, verbesserte Grundversorgung, Erwerbsperspektiven und Klimaschutz arbeiten DEZA, AFM und SECO daran, die tieferliegenden Ursachen von Flucht und irregulärer Migration zu reduzieren.

Damit die Schweiz auch ausserhalb der Schwerpunktländer flexibel auf migrationspolitische Herausforderungen reagieren kann, sind im Rahmen der IZA-Strategie 2021­2024 60 Millionen Franken für diesen Zweck vorgesehen. Diese flexiblen Mittel sind im Budget der DEZA eingestellt und werden von der DEZA verwaltet; die Vorschläge des SEM werden bei der Wahl der begünstigten Länder berücksichtigt.

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Bis Ende Dezember 2022 waren 39,4 Millionen Franken für Projekte in neun Ländern freigegeben worden: Gambia, Elfenbeinküste, Sudan, Marokko, Guinea, Eritrea, Nigeria, Pakistan und Ukraine. Inhaltlich decken die Projekte Bereiche wie Berufsbildung, Schutz von Flüchtlingen und vulnerablen Migrantinnen und Migranten, langfristige Perspektiven (Durable Solutions), Diaspora-Engagement und Reform des Sicherheitssektors ab. Die flexiblen Mittel haben sich bereits in der laufenden ersten Umsetzungsperiode als wertvolles migrationsaussenpolitisches Instrument erwiesen.

Das SECO berücksichtigt bei der Umsetzung von Komplementärmassnahmen ausserhalb der SECO-Prioritätsländer die Ländervorschläge des SEM. Durch die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen oder die Förderung des Unternehmertums werden die Perspektiven der Menschen vor Ort verbessert. Beispielsweise fördert das SECO den nachhaltigen Tourismus in Marokko.

4.1

Europa

Im Laufe des Jahres nahm der Migrationsdruck nach Europa zu, insbesondere auf der östlichen Mittelmeer- sowie der Balkanroute. Treiber dazu gab es mehrere, so etwa die erhöhte Mobilität aufgrund der Pandemie-Entwicklung, oder das Visa-Regime Serbiens. Österreich verzeichnete im Asylbereich mit 109 000 Gesuchen (exklusive temporärer Schutz für Geflüchtete aus der Ukraine) Rekordwerte. Diese Entwicklungen führten zu hohen Aufgriffszahlen der Schweizer Grenzschutzbehörden an der Grenze zu Österreich. Am 28. September 2022 verständigten sich Bundesrätin Karin Keller-Sutter und der österreichische Innenminister Gerhard Karner auf einen gemeinsamen Aktionsplan, der sowohl grenzpolizeiliche als auch migrationspolitische Massnahmen enthält. Ein vergleichbarer Aktionsplan wurde auch mit Deutschland vereinbart und am 13. Dezember 2022 vorgestellt. Zusätzlich intervenierte die Schweiz zusammen mit anderen Staaten bei der Europäischen Kommission mit dem Ziel, eine Anpassung der Visumspolitik der Westbalkanstaaten zu erreichen. Die Visumsbefreiung für bestimmte Drittstaaten hatte eindeutig zu einer weiteren Zunahme der irregulären Migration auf der Westbalkanroute geführt. Die entsprechenden Interventionen führten zum angestrebten Ziel: Serbien hob die Visumsbefreiung im letzten Quartal des Berichtsjahres gegenüber mehreren Drittstaaten auf. Die EU-Kommission hat weitere Massnahmen, um die Zusammenarbeit mit den Staaten im Westbalkan in den Bereichen Migration und Grenzmanagement zu stärken, in einem Aktionsplan Westbalkan zusammengefasst, der am 5. Dezember 2022 vorgestellt wurde.

Die Europäische Union führte 2022 unter der französischen und tschechischen Ratspräsidentschaft die Reform des Migrationsmanagements im Rahmen eines neuen EUMigrations- und Asylpakets fort. Angesichts der Schwierigkeiten, die die verschiedenen EU-Ratspräsidentschaften bei der Verabschiedung von Reformen im Migrationsund Asylbereich haben, wurde unter der französischen EU-Ratspräsidentschaft ein schrittweiser Ansatz entwickelt. Dieser zielte darauf ab, mit jenen Reformen voranzukommen, bei welchen bereits ein Konsens unter den Mitgliedstaaten herrschte. In diesem Zusammenhang wurde eine Solidaritätserklärung zur Unterstützung der Erstankunftsstaaten an der Schengen-Aussengrenze von einem Grossteil der Schengen8 / 16

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Staaten, darunter auch der Schweiz, angenommen. Der Rat der EU hat im Gegenzug den Verhandlungsmandaten für die Eurodac- und die Screening-Verordnung an den Aussengrenzen zugestimmt. Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft setzte diesen Ansatz fort. Die Schweiz hat ein Interesse daran, dass die Eurodac- und die ScreeningVerordnung rasch verabschiedet werden. Entsprechend unterstützte die Schweiz diese Reformbemühung.

Gegen den Bundesbeschluss zur Übernahme und Umsetzung der neuen EUVerordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache (Frontex) wurde 2021 in der Schweiz erfolgreich das Referendum ergriffen. Anlässlich der Volksabstimmung vom 15. Mai 2022 haben sich 71,5 Prozent der Stimmberechtigten für die Beteiligung am Ausbau von Frontex ausgesprochen. Mit diesem Entscheid wird unter anderem gewährleistet, dass sich die Schweiz auch weiterhin an Frontex beteiligen kann, etwa durch die Entsendung von Grenzschutzexpertinnen und-experten für operative Frontex-Einsätze sowie von zwei Grundrechtsexpertinnen in das Büro des Grundrechtsbeauftragten von Frontex. Neben der Harmonisierung und Professionalisierung der Grenzkontrollen an den Schengen-Aussengrenzen setzt sich die Schweiz für die Einhaltung der Grundrechte bei allen Frontex-Tätigkeiten ein.

Die bilaterale Zusammenarbeit mit ausgewählten EU-Mitgliedstaaten im Rahmen des zweiten Schweizer Beitrags ­ Rahmenkredite Kohäsion und Migration ­ entwickelte sich im Berichtsjahr weiter. Der Bundesrat genehmigte am 31. August 2022 die bilateralen Umsetzungsabkommen im Bereich Kohäsion mit acht EU-Staaten. Diese sehen u.a. Programme zur Integration von Flüchtlingen und von Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten in Bulgarien und in Estland vor. Bulgarien, Rumänien und Ungarn werden im Kampf gegen den Menschenhandel unterstützt. Im Bereich Migration wurden die Abkommen mit Griechenland und Zypern vom Bundesrat am 23. September 2022 genehmigt. Die Abkommen wurden dann am 14. beziehungsweise am 31. Oktober 2022 unterzeichnet. Mit Italien laufen die Verhandlungen noch; sie sollen Anfang 2023 abgeschlossen werden.

4.2

Mittlerer Osten

Die politische, wirtschaftliche und humanitäre Lage im Mittleren Osten ­ insbesondere in Syrien, Libanon und im Irak­ verschlechterte sich und führte zu sozialen Spannungen und Perspektivenlosigkeit sowohl für die einheimische Bevölkerung als auch für die dort lebenden Flüchtlingsgruppen. Diese Entwicklung erhöhte den Migrationsdruck Richtung Europa.

In Syrien ist eine Aussicht auf freiwillige, sichere, nachhaltige und menschenwürdige Rückkehr der syrischen Flüchtlinge weiterhin nicht möglich, und es gibt kaum Perspektiven auf Veränderung.

Im Libanon waren die sozioökonomischen Auswirkungen auf alle Bevölkerungsgruppen, auch Migrantinnen und Migranten und Flüchtlinge, verheerend. Wie bereits 2021 war der Migrationsdruck auf die einheimische Bevölkerung auch 2022 stark; dies führte zu zahlreichen Abwanderungen von Libanesinnen und Libanesen. Die AntiFlüchtlings-Rhetorik gegen syrische Flüchtlinge und die Diskussion zum Thema Rückkehr nach Syrien nahmen zu. Die Schweiz unterstützt die libanesischen Grenz9 / 16

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und Sicherheitsbehörden seit 2017 im Bereich Integrierte Grenzverwaltung; dabei werden die internationalen Standards und Menschenrechtsgrundsätze berücksichtigt.

Umfassende Aktivitäten in Libanon und Jordanien haben den Schutz und die Sicherstellung der Grundversorgung der vulnerabelsten Personen sowie den Zugang zu menschenwürdiger Arbeit zum Ziel.

Im Irak wurde 2022 die bilaterale Migrationszusammenarbeit intensiviert. Es fanden Treffen auf hohem Niveau und Expertenaustausche statt. Die Schweiz unterstützte den Kapazitätsaufbau der Migrationsbehörden, und die entsprechende Zusammenarbeit soll nach Möglichkeit weiter ausgebaut werden.

In der Türkei war die Migrationsthematik aufgrund der schlechten Wirtschaftslage und im Hinblick auf die Wahlen 2023 stark politisiert. Die Asylgesuche türkischer Staatsangehöriger stiegen stark an, und die Türkei steht in der Schweiz seit Anfang 2022 an zweiter Stelle der wichtigsten Herkunftsländer. Gleichzeitig ist die Türkei das Land, das mit rund 4 Millionen Flüchtlingen (darunter 3,7 Millionen Syrer/innen), so viele Flüchtlinge aufgenommen hat wie kein anderes. Die Schweiz unterstützt in der Türkei Gemeinden bei der Grundversorgung der Geflüchteten. 2022 fanden zahlreiche hochrangige Treffen zwischen der Schweiz und der Türkei statt. Bundesrätin Karin Keller-Sutter traf den türkischen Innenminister am 20. September 2022 im Rahmen einer regionalen Migrationskonferenz in Sarajewo.

Die Schweiz hat zwischen 2011 und 2022 über 600 Millionen Franken für die betroffene Bevölkerung in der Region bereitgestellt. Dies ist das bisher grösste humanitäre Engagement in der Geschichte der Schweiz. Im Rahmen des Resettlement-Programms 2022­2023 unterstützte die Schweiz den Libanon und die Türkei mit der Umsiedlung von besonders vulnerablen Flüchtlingen vorwiegend aus Syrien und aus Afghanistan.

4.3

Nordafrika

Der Migrationsdruck aus Nordafrika nahm infolge der Lockerungen der Covid-19Massnahmen wieder zu. Die verschärften wirtschaftlichen Herausforderungen in der Region verstärkten die Forderung nach legalen Migrationsmöglichkeiten.

Die Länder der Region sind in Bezug auf Migration allesamt Herkunfts-, Transit- und Zielland zugleich. Dies gilt auch für Marokko. Am 29. September 2022 fanden politische Konsultationen zwischen der Schweiz und Marokko in Thun statt. Dabei wurde auch die bilaterale Zusammenarbeit im Migrationsbereich erörtert. In der Folge konnte am 26. Oktober 2022 in Rabat ein Migrationsdialog durchgeführt werden. Dabei wurde beschlossen, fortan die bilaterale Migrationsthematik jährlich in einer interministeriellen Struktur mit einem breiten thematischen Ansatz zu diskutieren. 2023 soll die bereits sehr gute Zusammenarbeit mit Marokko somit weiter intensiviert werden.

Die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Tunesien beruht auf der 2012 abgeschlossenen Migrationspartnerschaft, die regelmässige Migrationsdialoge vorsieht.

Ein solcher Dialog wurde am 25. März 2022 durchgeführt, wobei neben der im enge-

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ren Sinne migrationsbezogenen Kooperation insbesondere auch das Engagement der DEZA und des SECO diskutiert wurden.

Mit Algerien führte die Schweiz im Mai sowie im Dezember in Bern sektorielle Dialoge zu den Themen Justiz, Migration und Polizei. Dieser Dialog folgte auf den Besuch von Bundesrätin Karin Keller-Sutter in Algier 2021, wo der Grundstein für eine verstärkte Zusammenarbeit in diesen Bereichen gelegt wurde. Die Zusammenarbeit mit Algerien hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert.

In allen Ländern Nordafrikas unterstützt die Schweiz die Stärkung der Migrationsgouvernanz. Projekte beinhalteten u.a. die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen an Migrantinnen und Migranten oder Massnahmen für die Geburtenregistrierung von Kindern von Migrantinnen und Migrantinnen, welche zur Prävention des Menschenhandels beiträgt. Zudem leistete die Schweiz durch die Aufnahme von vulnerablen Flüchtlingen aus Libyen (humanitäre Visa) und aus Ägypten (Resettlement) einen Beitrag zur Entlastung wichtiger Aufnahmeländer in der Region. Die Zusammenarbeit im Rückkehrbereich konnte mit Algerien und Marokko weiter intensiviert werden.

4.4

Zentral- und Westafrika

Migration und interne Vertreibung in Zentral- und Westafrika werden durch Faktoren wie interne Konflikte, instabile politische Situationen, die Auswirkungen des Klimawandels sowie Hunger, Armut und einen fehlenden Zugang zu Lebensgrundlagen und wirtschaftlichen Perspektiven verursacht. Unter diesen Umständen nahmen die humanitären Bedürfnisse der aufnehmenden Gesellschaften stark zu. Die durch die Ukraine-Krise steigenden Nahrungsmittelpreise akzentuierten diese Probleme. Die Asylgesuchzahlen aus der Region in die Schweiz sind 2022 weiterhin relativ tief, aber leicht steigend.

Die Schweiz reagiert auf diese Situation mit migrationsrelevanten Aktivitäten in Burkina Faso, Mali, Benin, Senegal, Nigeria, Gambia, Guinea, Elfenbeinküste, GuineaBissau, Ghana, Kamerun. Inhaltlich fördert sie unter anderem Projekte im Bereich regionaler Arbeitsmigration, die Ausarbeitung eines Nationalen Aktionsplans gegen Menschenhandel in Nigeria oder ein Projekt zum besseren Schutz von MigrationsKindern und -Jugendlichen in West- und Nordafrika. Nebst Nigeria, Gambia und Guinea werden die flexiblen Mittel der DEZA neu auch in der Elfenbeinküste für migrations- und entwicklungspolitische Projekte eingesetzt.

Insgesamt konnten die bilateralen Beziehungen im Migrationsbereich weiter gestärkt werden. Mit Guinea-Bissau konnten die Verhandlungen über ein Migrationsabkommen abgeschlossen werden, das vom Bundesrat am 12. Oktober 2022 ratifiziert wurde. Am 9. Februar 2022 besuchte der Bundespräsident Ignazio Cassis im Rahmen seiner Reise nach Niger ein Migrationszentrum in Agadez, eine Durchgangsstadt für zehntausende Migrantinnen und Migranten jährlich. Der Bundespräsident machte sich vor Ort zusammen mit dem Präsidenten des Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ein Bild der Migrationslage und von der Zusammenarbeit der Schweiz mit dem IKRK.

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4.5

Horn von Afrika

Die politischen Spannungen im Horn von Afrika (Konflikt in Äthiopien) und insbesondere im Sudan (politische Krise sowie schwierige wirtschaftliche und humanitäre Lage) halten den Migrationsdruck hoch. Die Dürre in der Region hat insbesondere in Somalia und Äthiopien über 1,5 Millionen Menschen vertrieben. Der Klimawandel bleibt eine der Hauptursachen für die Vertreibung am Horn von Afrika. Die 2022 lancierten Schweizer Kooperationsprogramme für Sudan und das Horn von Afrika haben deshalb Migration als eigenständige Domäne aufgenommen.

Äthiopien und Sudan sind als Herkunfts-, Transit- und Zielländer von Migrantinnen und Migranten und Flüchtlingen von erheblicher strategischer Bedeutung für Europa und damit auch die Schweiz. Äthiopien ist nach dem Krieg in der Tigrayregion und aufgrund anderer interner Konflikte zusätzlich in einer schwierigen politischen und ökonomischen Lage. Im Rahmen der fünften Runde der politischen Konsultationen zwischen der Schweiz und Äthiopien am 5. und 6. September 2022 wurden u.a. die Migrationszusammenarbeit und die langfristigen Aktiväten der Schweiz im Bereich nachhaltige Perspektiven vor Ort thematisiert. Im Sudan investierte die Schweiz flexible Mittel der DEZA für die Initiierung von langfristigen Perspektiven für vertriebene Gemeinschaften.

Mit Eritrea wurde die Zusammenarbeit im Migrationsbereich, namentlich im Bereich der Identifizierung von abgewiesenen Asylsuchenden, weitergeführt. Eritrea akzeptierte nach wie vor keine zwangsweise Rückkehr. Die Umsetzung von Projekten zur Schaffung beruflicher Perspektiven erweist sich als schwierig. Eine von der DEZA mitunterstützte Berufsschule wurde im September 2022 verstaatlicht. Die Partnerorganisation vor Ort, die Ordensgemeinschaft Don Bosco, wird künftig im Schulbetrieb der Berufsschule keine Funktion mehr haben. Don Bosco wird jedoch mit Fokus auf die Ausbildung von jungen Menschen in Eritrea tätig bleiben.

Mit der Ernennung eines neuen Sondergesandten für die Region Grosses Horn von Afrika wurde eine Massnahme der Subsahara-Afrika-Strategie 2021­2024 des Bundesrats umgesetzt. Im Bereich Migration wird der Sonderbotschafter unter anderem für die Identifizierung neuer regionaler Bereiche, in denen die Schweiz einen Beitrag leisten kann, zuständig sein.

4.6

Weitere prioritäre Länder und Regionen

Afghanistan und Nachbarstaaten Die Zirkularmigration beziehungsweise Fluchtbewegungen von Afghanistan nach Pakistan und Iran sowie Rückkehrbewegungen beziehungsweise Deportationen nach Afghanistan haben 2022 stark zugenommen. In der Schweiz stellten 2022 7054 afghanische Staatsangehörige ein Asylgesuch. Dies bedeutet einen Anstieg von rund 130 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im gleichen Zeitraum wurden insgesamt 149 humanitäre Visa für afghanische Staatsangehörige ausgestellt, und 2226 humanitäre Visa wurden aufgrund fehlender Voraussetzungen verweigert. Der Vollzug von Wegweisungen beziehungsweise Rückführungen nach Afghanistan wurde im Zusammen12 / 16

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hang mit der Machtübernahme der Taliban bis auf weiteres ausgesetzt. Für die Schweiz stand 2022 weiterhin die Hilfe vor Ort im Vordergrund, namentlich der Schutz und die Versorgung von intern Vertriebenen in Afghanistan sowie von afghanischen Staatsangehörigen, die in den Nachbarstaaten Schutz suchen. So konnte mit flexiblen Mitteln der DEZA ein vierjähriges Projekt mit dem UNHCR zur Stärkung der Bildungsinfrastruktur, der Berufsbildung und des Lebensunterhalts für afghanische Flüchtlinge und Aufnahmegemeinden in Pakistan aufgegleist werden. Der Schwerpunkt des Schweizer Resettlement-Programms 2022/2023 aus der Türkei liegt auf der Aufnahme von gefährdeten Flüchtlingen aus Afghanistan. 2022 sind 95 afghanische Flüchtlinge aus der Türkei im Rahmen des Resettlement-Programms in die Schweiz eingereist.

Georgien Die Schweiz und Georgien unterzeichneten am 11. Mai 2022 in Tiflis ein Memorandum of Understanding zum Aufbau einer Migrationspartnerschaft. Georgien ist das siebte Land, mit dem die Schweiz eine Migrationspartnerschaft eingeht. Ein erstes bilaterales Expertentreffen zur Umsetzung der Partnerschaft fand am 2. Juni 2022 in Bern statt. Geplant ist ein regelmässiger Dialog über alle Aspekte der Migrationszusammenarbeit. Mit der Befreiung von der Visumpflicht für den Schengenraum 2017 stieg die Zahl der Asylgesuche stark an. Die Rückkehrkooperation zwischen der Schweiz und Georgien funktioniert sehr gut.

Sri Lanka Sri Lanka erlebte 2022 eine schwere Wirtschafts- und Politikkrise. In der Schweiz stellten 2022 471 Staatsangehörige aus Sri Lanka ein Asylgesuch. Der Schwerpunkt der Schweizer Aktivitäten bleibt darauf ausgerichtet, die Lebensperspektiven von vulnerablen Personen zu verbessern und potenziellen Arbeitsmigrantinnen und -migranten eine Alternative zur irregulären Migration zu bieten. In diesem Sinne wurden die Projekte im Berufsbildungsbereich sowie im Bereich der regionalen Arbeitsmigration auch 2022 fortgeführt. Die Schweiz unterstützt in Sri Lanka Reform- und Versöhnungsprozesse und die Förderung der Menschenrechte. Es wird versucht, auch in der aktuellen Krise Dialogplattformen zwischen verschiedenen Akteuren zu ermöglichen und so Lösungen für die mehrdimensionale Krise und zur Gewaltprävention beizutragen. Rückführungen nach Sri Lanka waren auch 2022 möglich.

Westbalkan Die irreguläre
Sekundärmigration über die Westbalkan-Route hat im Vergleich zum Vorjahr deutlich zugenommen. Dies wurde auch an der Schweizer Ostgrenze anhand einer zunehmenden Anzahl von Migrantinnen und Migranten und Asylsuchenden bemerkbar. Die wichtigsten Herkunftsländer aus dieser Route sind Afghanistan, Syrien, Bangladesch, Pakistan und Indien. Zu den steigenden Migrationsbewegungen trug auch die Visumspolitik Serbiens bei; so können respektive konnten Staatsbürgerinnen und -bürger einzelner Drittstaaten ohne Visum einreisen. Nach Intervention mehrerer europäischer Staaten passte Serbien seine Visumspolitik gegenüber mehreren Ländern an. Die Westbalkan-Staaten ­ insbesondere Bosnien und Herzegowina ­ haben Anstrengungen unternommen, um mehr Verantwortung in der Migrationssteuerung zu übernehmen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter nahm im September 2022 an der 13 / 16

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vom Sicherheitsministerium von Bosnien und Herzegowina organisierten Migrationskonferenz teil. Zu den bestehenden drei Migrationspartnerschaften (Bosnien und Herzegowina, Serbien und Kosovo) wurde am 7. November 2022 mit Nordmazedonien die vierte Migrationspartnerschaft in der Region abgeschlossen.

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Multilaterale Migrationsaussenpolitik der Schweiz

5.1

Globale Prozesse

Neben den zahlreichen bilateralen Dialogen, die die Schweiz im Migrations- und Fluchtbereich mit anderen Staaten führt, nimmt sie auch aktiv an Dialogen auf der multilateralen Ebene teil. Die multilateralen Aktivitäten der Schweiz wurden innerhalb der IMZ-Struktur koordiniert und beinhalteten folgende Interventionsbereiche: Arbeitsmigration, Binnenvertreibung/-Flüchtlinge, Migration und Entwicklung, Menschenhandel, vermisste Migrantinnen und Migranten, Resettlement-Programm, sowie finanzielle und personelle Unterstützung an die IOM und UNHCR.

Im Mai 2022 fand das erste International Migration Review Forum (IMRF) statt. Ziel des Forums war, die Fortschritte bei der Umsetzung des UNO-Migrationspaktes zu überprüfen. Die Schweiz hat ausschliesslich als Beobachterin teilgenommen, da die definitive Position der Schweiz zum UNO-Migrationspakt noch aussteht.

Das SEM hat 2022 im Rahmen eines Studienprojekts analysiert, welche Instrumente im Bereich komplementäre Zugangswege2 ergänzend zum Resettlement-Programm zur Verfügung stehen würden. Dazu hat das SEM einen Ländervergleich in Auftrag gegeben und geprüft, inwieweit die im Ausland existierenden Zugangswege mit dem schweizerischen Recht vereinbar wären. Die Ergebnisse zeigen, dass die Schweiz im internationalen Vergleich ein etablierter Resettlement-Staat ist und bereits die meisten der im Ausland eingesetzten Instrumente anwendet. Eine Begleitgruppe bestehend aus Bund, Kantone, Städte, Gemeinden, UNHCR und Schweizerischen Flüchtlingshilfe wurde beim Studienprojekt einbezogen.

5.2

Regionale Prozesse

Im Jahr 2022 engagierte sich die Schweiz hauptsächlich in drei regionalen Migrationsdialogen: dem Budapest-, dem Rabat-, sowie dem Khartum-Prozess. Diese drei Prozesse ermöglichen es der Schweiz, Brücken zwischen den Ziel-, Herkunfts- und Transitstaaten zu schlagen, und sie ermöglichen das Entwickeln von Massanahmen, die den spezifischen Bedürfnissen einer bestimmten Region entsprechen. Die Schweiz hat das Thema vermisste Migrantinnen und Migranten im Rabat-Prozess verankern

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Instrumente und Initiativen, welche Schutzsuchenden eine Lösung für ihre Fluchtsituation ermöglichen und ergänzend zum Resettlement umgesetzt werden, fasst das UNHCR unter dem Konzept der komplementären Zugangswege zusammen. Das Studienprojekt ist auf der Webseite des SEM einsehbar: https://www.sem.admin.ch/ > Publikationen & Service > Service > Forschung und Evaluation > Abgeschlossene Projekte.

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können. Auf Einladung des spanischen Vorsitzes wird die Schweiz im Steuerungsgremium des Rabat-Prozesses Einsitz nehmen.

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