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16.470 Parlamentarische Initiative Verzugszinssatz des Bundes. Anpassung an Marktzinsen Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 28. April 2023

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Obligationenrechts (Anpassung des Verzugszinssatzes). Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

28. April 2023

Im Namen der Kommission Die Präsidentin: Christa Markwalder

2023-1391

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Übersicht Mit der vorliegenden Revision wird die parlamentarische Initiative 16.470 umgesetzt.

Diese verlangt eine Anpassung des Verzugszinssatzes im Obligationenrecht an die allgemeine Entwicklung der Marktzinssätze sowie eine Vereinheitlichung der übrigen bundesrechtlichen Verzugszinsregelungen.

Die Vorlage sieht vor, vom bestehenden Konzept eines starren Verzugszinses abzurücken und neu einen flexiblen Verzugszins einzuführen. Dieser soll auf der Basis des SARON plus einem Zuschlag von zwei Prozentpunkten vom Bundesrat jeweils für ein Kalenderjahr festgesetzt werden.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Parlamentarische Initiative 16.470

Am 29. September 2016 reichte Nationalrat Fabio Regazzi eine parlamentarische Initiative mit folgendem Wortlaut ein: «Gestützt auf Artikel 160 Absatz 1 der Bundesverfassung und auf Artikel 107 des Parlamentsgesetzes reiche ich folgende parlamentarische Initiative ein: Artikel 104 des Obligationenrechts (OR) wird dahingehend angepasst, dass der aktuell geltende Verzugszinssatz (5 Prozent) durch eine Regelung ersetzt wird, die den Verzugszinssatz an die allgemeine Entwicklung der Marktzinssätze anbindet. Ebenfalls anzupassen sind die Verordnung über die Verzinsung ausstehender Verrechnungssteuern, die Verordnung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung und sämtliche anderen Gesetze, Verordnungen, Kreisschreiben und weiteren Bundestexte, die Verzugszinsen regeln.» Die Begründung der parlamentarischen Initiative lautete wie folgt: «Sowohl in der Schweiz als auch in Europa schwächelt die Konjunktur, der Schweizerfranken ist unverändert stark, und gewisse Bankeinlagen werden mit Negativzinsen belastet. Das hat zur Folge, dass die Schweizer Wirtschaft und speziell die kleinen und mittleren Unternehmen schwierige Zeiten durchlaufen. In diesem wirtschaftlichen Umfeld stellt ein Verzugszinssatz von 5 Prozent, der weit über den Marktzinsen liegt, für viele Unternehmen eine starke finanzielle Zusatzbelastung dar. Betroffen sind insbesondere Betriebe, die bereits in finanziellen Schwierigkeiten sind. Ausserdem kann man davon ausgehen, dass diese zusätzlichen Kosten letztlich auf die Konsumentinnen und Konsumenten überwälzt werden.

Gegenwärtig sieht die Nationalbank für den Dreimonats-Libor ein Zielband von -1,25 bis -0,25 Prozent vor. Andere Referenzzinssätze sind ebenfalls extrem tief oder gar negativ, liegen also weit unter den 5 Prozent, die der geltende Artikel 104 OR vorgibt.

Unter diesen Umständen scheint es sinnvoll, alle vom Bund erhobenen Verzugszinsen dem Marktniveau anzupassen.

Es darf im Übrigen bezweifelt werden, dass ein Beibehalten des Verzugszinssatzes auf einem so hohen Niveau die Zahlungsmoral tatsächlich verbessert. Wendet die Eidgenössische Steuerverwaltung einen Verzugszinssatz an, der im Vergleich zu den marktüblichen Zinssätzen übertrieben hoch ist, so kann dies letztlich als Ungleichbehandlung aufgefasst werden, vor allem wenn man den Zinssatz mit den von den Kantonsregierungen
beschlossenen Zinssätzen vergleicht.» Im Rahmen der Vorprüfung beschloss die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (nachfolgend: die Kommission) am 19. Oktober 2017 mit 20 zu 1 Stimmen bei 2 Enthaltungen, der Initiative gemäss Artikel 109 Absatz 2 des Parlamentsgeset-

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zes vom 13. Dezember 2002 (ParlG)1 Folge zu geben. Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates hat an ihrer Sitzung vom 26. April 2018 dem Beschluss ihrer Schwesterkommission zugestimmt. Am 19. Juni 2020 beschloss der Nationalrat, die Behandlungsfrist der parlamentarischen Initiative bis zur Frühjahrssession 2022 zu verlängern. Die Kommission beschloss an ihrer Sitzung vom 3. Februar 2022 mit 13 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung, dem Nationalrat die Abschreibung der parlamentarischen Initiative zu beantragen. Der Nationalrat lehnte diesen Antrag am 18. März 2022 ab und beschloss mit 98 zu 93 Stimmen, die Behandlungsfrist der parlamentarischen Initiative bis zur Frühjahrssession 2024 zu verlängern.

1.2

Arbeiten der Kommission

Am 21. Februar 2020 und am 5. Februar 2021 befasste sich die Kommission mit der Umsetzung der parlamentarischen Initiative. Nach Kenntnisnahme eines Arbeitspapiers der Verwaltung wurde seitens der Kommission beschlossen, die Verwaltung zu beauftragen, gestützt auf die Vorarbeiten einen Vorentwurf auszuarbeiten. An ihrer Sitzung vom 19. August 2021 beschloss die Kommission, ein zweites, alternatives Umsetzungskonzept in die Vernehmlassung zu schicken. Die Verwaltung wurde beauftragt, den Vorentwurf und den Bericht entsprechend anzupassen.

Die Kommission nahm am 23. Juni 2022 Kenntnis vom Vorentwurf und vom dazugehörigen erläuternden Bericht, beriet den Vorentwurf und verabschiedete diesen mit 15 zu 6 Stimmen. Die Minderheit (Flach, Addor, Bellaiche, Geissbühler, Hess Erich, Steinemann, Tuena) beantragte Nichteintreten. Der Vorentwurf enthielt zwei Varianten. Neben dem Konzept des flexiblen Verzugszinses wurde auch eine Variante eines reduzierten, aber weiterhin starren Zinssatzes von drei Prozent zur Diskussion gestellt.

Zu diesem Vorentwurf wurde zwischen dem 7. Juli 2022 und dem 28. Oktober 2022 eine Vernehmlassung durchgeführt nach dem Vernehmlassungsgesetz vom 18. März 2005 (VlG).2 An ihrer Sitzung vom 28. April 2023 hat die Kommission die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens zur Kenntnis genommen und den Vernehmlassungsbericht veröffentlicht.3 Mit 15 zu 7 Stimmen hat sie entschieden, die Vorlage nicht abzuschreiben und ihrem Rat einen Erlassentwurf zu unterbreiten. Dabei hat sie sich einstimmig für die Variante eines flexiblen Verzugszinses entschieden und an der Formulierung des Vorentwurfs nichts verändert. Mit 17 zu 5 Stimmen hat sie die Vorlage in der Gesamtabstimmung angenommen.

Die Kommission wurde bei ihrer Arbeit gemäss Artikel 112 Absatz 1 ParlG vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement unterstützt.

1 2 3

Bundesgesetz über die Bundesversammlung vom 13. Dezember 2002, SR 171.10.

Bundesgesetz über das Vernehmlassungsverfahren vom 18. März 2005, SR 172.061.

Nachfolgend Ziffer 3.1

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2

Ausgangslage

2.1

Geltendes Recht

Nach geltendem Recht verpflichtet Artikel 104 Absatz 1 des Schweizerischen Obligationenrechts (OR)4 Schuldnerinnen und Schuldner, die mit der Zahlung einer Geldschuld in Verzug sind, einen Verzugszins von 5 % pro Jahr zu bezahlen. Dabei ist der Verzugszins auch dann zu bezahlen, wenn der Verzug ohne Verschulden der Schuldnerin oder des Schuldners eingetreten ist. Die gesetzlichen Regeln über den Verzugszins sind dispositiver Natur. Den Parteien steht es frei, im Einzelfall und innerhalb der gesetzlichen Schranken einen höheren oder tieferen Verzugszins zu vereinbaren.5 Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts handelt es sich beim Verzugszins um die Vergütung, die die Gläubigerin oder der Gläubiger für die Entbehrung einer ihm geschuldeten Geldsumme fordern kann.6 Der gesetzliche Verzugszins stellt einen pauschalisierten Schadenersatz dar,7 indem der Gläubigerin oder dem Gläubiger der Schaden ausgeglichen wird, der ihm entsteht, weil er den Geldbetrag nicht zins- oder gewinnbringend nutzen kann.8 Zudem bildet der Verzugszins für die Schuldnerin oder den Schuldner einen Anreiz, die Geldschuld möglichst rasch zu bezahlen.9 Eine besondere Regelung gilt gemäss Artikel 104 Absatz 3 OR im Verhältnis zwischen Kaufleuten (vgl. dazu nachfolgend die Ausführungen unter Ziff. 3.8).

Das öffentliche Recht des Bundes sieht unterschiedliche Verzugszinssätze vor: Für Beitragsforderungen im Sozialversicherungsrecht gilt ein Verzugszinssatz von 5 %.10 Für die direkte Bundessteuer, die Mehrwertsteuer sowie die übrigen vom Bund erhobenen Steuern und Abgaben beträgt der Verzugszinssatz seit dem 1. Januar 2022 4 %.11 Mit dieser Harmonisierung wurde die am 12. März 2019 überwiesene Motion 16.305512 umgesetzt.

2.2

Europäisches Recht

In der Europäischen Union wird seit längerer Zeit eine Diskussion über das Problem des Zahlungsverzugs und den Verzugszins geführt. 2017 gaben 27 % der Unternehmen an, dass sie Zahlungsverzögerungen als eine Gefahr für ihre Existenz betrachten.

Zahlungsverzögerungen führen zu beachtlichen Mehrkosten für Unternehmen und verhindern die Schaffung von Arbeitsplätzen: Gemäss einer Studie hätten im Jahr 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911, SR 220.

BGE 117 V 349, 350.

BGE 130 III 591, 596.

BGE 130 III 591, 599.

BGE 123 III 241, 245.

Die gleichen Funktionen erfüllt der Schadenszins, der grundsätzlich bei 5 % pro Jahr festgelegt wird.

Verordnung vom 11. September 2002 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts, Art. 7 Abs. 1 (SR 830.11).

Verordnung des EFD vom 25. Juni 2021 über die Verzugs- und Vergütungszinssätze bei Steuer und Abgaben, Anhang (SR 631.014).

Motion Jauslin «Harmonisieren der Zinsen bei Bundessteuererlassen» vom 8. März 2016.

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2017 mit weniger Zahlungsverzügen 6.5 Millionen mehr Arbeitsplätze geschaffen werden können.13 Zur Verbesserung der Zahlungsdisziplin hat die EU im Jahr 2000 die Zahlungsverzugsrichtlinie 2000/35/EG erlassen.14 In Bezug auf den Verzugszinssatz legte die Richtlinie fest, dass der Mindestzinssatz dem Repo-Satz der Europäischen Zentralbank (EZB), dem sog. Basiszinssatz, plus mindestens sieben Prozentpunkten entsprechen muss. Mit der Neufassung der Richtlinie im Jahr 201115 wurde der gesetzliche Prozentzuschlag um einen Prozentpunkt auf mindestens acht Prozentpunkte erhöht.16 Zudem wurde der Gläubigerin oder dem Gläubiger im Fall des Verzugs eine generelle Pauschalentschädigung von mindestens 40 EUR gewährt.17 Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sich die Regelungen der EU ausschliesslich «auf die als Entgelt für Handelsgeschäfte geleisteten Zahlungen» beziehen.18 Verträge mit Beteiligung von Konsumentinnen und Konsumenten sind damit von der Richtlinie nicht betroffen. Alle EU-Mitglieder haben die für die Umsetzung der Richtlinie notwendigen Anpassungen ihrer Gesetzgebung vorgenommen.19 Einige Mitgliedsstaaten kennen sogar einen höheren Prozentzuschlag.20

13

14 15 16 17 18

19

20

Rzepecka Julia/Fiorentini Sara/Parziale Valentina/Lechardoy, Lucie, Business-to-business transactions: a comparative analysis of legal measures vs. soft law instruments for improving payment behavior, Juni 2018, (abrufbar unter: https://op.europa.eu/en/ publication-detail/-/publication/c8b7391b-9b80-11e8-a408-01aa75ed71a1), S. 22 ff.

Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr.

Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr.

Richtlinie 2011/7/EU, Art. 2(6).

Richtlinie 2011/7/EU, Art. 6.

Europäisches Parlament, Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, Bericht über die Durchführung der Richtlinie 2011/7/EU zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, (2018/2056(INI)) (abrufbar unter: https://www.europarl.europa.eu/ doceo/document/A-8-2018-0456_DE.html), Erw. 8.

Europäische Kommission, Ex-post evaluation of Late Payment Directive, November 2015 (abrufbar unter: https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/400ecc74-9a5411e5-b3b7-01aa75ed71a1), S. 13.

Europäische Kommission, Ex-post evaluation of Late Payment Directive, November 2015, S. 22.

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Land

Kaufmännischer Verkehr

Bürgerlicher Verkehr

Deutschland

9 % über dem Basiszinssatz der EZB

5 % über dem Basiszinssatz der EZB21

Frankreich

Grundsätzlich 10 % über dem Basis- intérêt légal zinssatz der EZB22 (zurzeit 3.15 %)23

Österreich

9,2 % über dem Basiszinssatz der EZB24

4 % (fix)25

Italien

8 % über dem Basiszinssatz der EZB26

In der Regel 5 %27

Die EU betrachtet die Richtlinie als einen erheblichen Mehrwert:28 Seit der Umsetzung der Richtlinie hat sich die Zahlungsdisziplin verbessert; die durchschnittliche Zahlungsfrist zwischen Unternehmen ist zwischen 2013 und 2016 um 10 Tage zurückgegangen. Gleichzeitig wird aber auch festgehalten, dass weitere Massnahmen erforderlich sind, um die gesteckten Ziele zu erreichen.29

2.3

Frühere Reformbestrebungen

Die am 20. März 2008 eingereichte und vom Parlament im gleichen Jahr angenommene Motion 08.3169 «Stopp dem Zahlungsschlendrian» verlangte, Artikel 104 OR in dem Sinne zu revidieren, «dass der gegenwärtig geltende Verzugszins von 5 Prozent angemessen erhöht wird und für die Gläubigerin oder den Gläubiger kostendeckend ist. Die entsprechenden Zinsvorschriften des Bundes (allgemeine Geschäftsbedingungen) sind ebenfalls anzupassen.»30

21 22

23 24 25 26

27 28 29 30

§ 288 Abs. 2 Deutsches Bürgerliches Gesetzbuch.

Art. L441-10 du code de Commerce: Sauf disposition contraire qui ne peut toutefois fixer un taux inférieur à trois fois le taux d'intérêt légal, ce taux est égal au taux d'intérêt appliqué par la Banque centrale européenne à son opération de refinancement la plus récente majoré de 10 points de pourcentage.

Art. L313-2 i.V.m. Art. D313-1-A Französisches Währungs- und Finanzgesetz, Arrêté du 23 décembre 2019 relatif à la fixation du taux de l'intérêt légal.

§ 456 Österreichische Unternehmensgesetzbuch.

§ 1333 Abs. 1 i.V.m. § 1000 Abs. 1 Österreichische Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch.

Decreto Legislativo 9 novembre 2012, n. 192, Modifiche al decreto legislativo 9 ottobre 2002, n. 231, per l'integrale recepimento della direttiva 2011/7/UE relativa alla lotta contro i ritardi di pagamento nelle transazioni commerciali, a norma dell'articolo 10, comma 1, della legge 11 novembre 2011, n. 180.

Art. 1224 Abs. 1 i.V.m. Art. 1284 Abs. 1 Codice civile.

Bericht über die Durchführung der Richtlinie 2011/7/EU zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, Erwägung 10.

Bericht über die Durchführung der Richtlinie 2011/7/EU zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, Schlussfolgerungen/Empfehlungen.

Vgl. auch die Motion 08.3168 der SVP-Fraktion «Stopp dem Zahlungsschlendrian» vom 20. März 2008, welche eine Erhöhung des Verzugszinses von 5 % auf 10 % verlangte.

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Der Bundesrat führte im Jahr 2010 eine Vernehmlassung über einen Vorentwurf durch, in dem vorgeschlagen wurde, den Verzugszinssatz zumindest für den kaufmännischen Verkehr auf 10 Prozent zu erhöhen; für alle anderen Verträge sollte es dagegen beim bestehenden Zinssatz von 5 Prozent bleiben. Aufgrund der teilweise sehr kritischen Stellungnahmen hat der Bundesrat in der Folge beschlossen, die Revision nicht weiterzuverfolgen und dem Parlament die Abschreibung der Motion 08.3169 zu beantragen. Dies wurde mit folgenden Argumenten begründet:31 -

Aufgrund der damals ungünstigen Konjunkturaussichten würde eine Erhöhung des Verzugszinses eine unerwünschte zusätzliche finanzielle Belastung für viele Unternehmen darstellen. Durch die voraussehbare Überwälzung der zusätzlichen Kosten würden zudem auch die Konsumentinnen und Konsumenten belastet.

-

Eine Erhöhung des Verzugszinssatzes stehe in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zu den aktuellen Zinssätzen auf dem Kapitalmarkt (3-Monats-Libor). Auch der Hypothekarzins und weitere massgebliche Zinssätze befänden sich weit unter den im geltenden Artikel 104 OR vorgesehenen 5 Prozent.

-

Zudem sei fraglich, ob die Erhöhung des Verzugszinses tatsächlich zur beabsichtigten Verbesserung der Zahlungsmoral führen würde.

-

Schliesslich wäre mit der vorgeschlagenen Verdoppelung des Verzugszinses faktisch ein dem schweizerischen Recht fremder Strafschadenersatz eingeführt worden.

Das Parlament folgte dem Antrag des Bundesrates und schrieb die Motion 08.3169 am 3. Dezember 2012 (Nationalrat) bzw. am 14. März 2013 (Ständerat) ab.32

3

Grundzüge der Vorlage

3.1

Vorentwurf und Vernehmlassung

Das Vernehmlassungsverfahren zur Anpassung des Verzugszinssatzes fand vom 7. Juli bis zum 28. Oktober 2022 statt.33 Die Kommission hat im Vorentwurf zwei Varianten zur Diskussion gestellt: Die erste schlug vor, das derzeitige System eines festen Zinssatzes durch einen variablen Zinssatz zu ersetzten, der auf der Basis des SARON plus einem Zuschlag von zwei Prozentpunkten beruhen würde. Die zweite Variante schlug vor, einen auf 3% gesenkten festen Zinssatz beizubehalten. Es antworteten 25 Kantone, 5 politische Parteien und 8 Organisationen und andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Eine Mehrheit der Teilnehmenden sprach sich für den Status Quo aus (15 Kantone, eine politische Partei und 6 Organisationen). Von denjenigen, die sich grundsätzlich für eine Änderung aussprachen (9 Kantone, 4 politi31 32 33

Bericht des Bundesrates vom 4. April 2012 zur Abschreibung der Motion der freisinnigdemokratischen Fraktion 08.3169 «Stopp dem Zahlungsschlendrian», BBl 2012 4651 ff.

AB 2012 N 1978; AB 2013 S 183.

Die Vernehmlassungsunterlagen (insbes. Vorentwurf und erläuternder Bericht) sowie der Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens sind zu finden unter www.fedlex.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2022 > Parl.

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sche Parteien und 2 Organisationen) unterstützten fast alle die Variante 1 mit der Einführung eines variablen Zinssatzes.

3.2

Handlungsbedarf: Die beantragte Neuregelung im Allgemeinen

Ausgangspunkt für die Umsetzung der Initiative 16.470 ist deren Auftrag, den obligationenrechtlichen Verzugszins an die allgemeine Entwicklung der Marktzinssätze anzubinden. Nach Kenntnisnahme der Vernehmlassungsergebnisse hat die Kommission entschieden, vom bestehenden System des gesetzlich nominierten fixierten Zinssatzes abzurücken und neu einen variablen Zinssatz einzuführen (nachfolgend Ziff. 3.4).

Die Kommission ist der Ansicht, dass ein variabler Zinssatz dem primären Zweck des Verzugszinses am besten entspricht, nämlich die Gläubigerin und den Gläubiger in die Lage zu versetzen, in die sie sich befunden hätten, wenn sie über den Betrag, der ihnen ungerechtfertigterweise vorenthalten wurde, hätte verfügen können. Bei dem derzeitigen festen Zinssatz von 5% könnte die Gläubigerin oder der Gläubiger nämlich versucht sein, die Eintreibung der ausstehenden Forderung zu verzögern, um eine erhöhte Rendite zu erzielen, als dies bei einer Anlage des Geldes auf den traditionellen Märkten möglich wäre.

Entsprechend sind ein massgeblicher Referenzzinssatz, ein Zuschlag, ein Mindestund Höchstzinssatz sowie die Modalitäten der Anpassung festzulegen (nachfolgend Ziff. 3.5). Schliesslich ist klarzustellen, ob die neue Bestimmung weiterhin dispositives Recht darstellen soll (nachfolgend Ziff. 3.6) und wie weit ihr Anwendungsbereich zu ziehen ist (nachfolgend Ziff. 3.7).

Dagegen kann die mit der Initiative verlangte Anpassung von Verordnungen des Bundesrates oder der Departemente nicht auf diesem Weg umgesetzt werden, da der Gegenstand der parlamentarischen Initiative auf die Ausarbeitung eines Entwurfs «für einen Erlass der Bundesversammlung» beschränkt ist (Art. 107 Abs. 1 ParlG). Es ist Aufgabe des zuständigen Verordnungsgebers, hier die notwendigen Anpassungen zu veranlassen.

3.3

Nichteintreten: Die Position der Minderheit

Eine Minderheit der Kommission (Flach, Bellaiche, Buffat, Estermann, Geissbühler, Reimann Lukas, Steinemann, Tuena) lehnt die vorgeschlagene Regelung ab. Sie beantragt, auf die Vorlage nicht einzutreten und die parlamentarische Initiative abzuschreiben. Sie unterstreicht, dass die Vorlage in der Vernehmlassung auf grosse Vorbehalte gestossen ist und sogar von einer Mehrheit der Kantone und der Wirtschaft abgelehnt wurde.34 Die Minderheit betont, dass es sich beim System des starren Zinssatzes um ein fest verankertes Element der schweizerischen Rechtstradition handelt, das sich nicht zuletzt durch seine Einfachheit und Verständlichkeit bestens bewährt 34

Vgl. Ergebnisbericht der Vernehmlassung, S. 3.

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hat. Ein Anpassungsbedarf ist deshalb nicht gegeben, auch im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung der Marktzinsen und die Tatsache, dass der Verzugszinssatz angesichts seines sehr wohl gegenüber unerwünschten Zahlungsverzögerungen disziplinierenden Elements nicht zu tief angesetzt sein darf.

3.4

Einführung eines variablen Zinssatzes

Das geltende Obligationenrecht sieht einen allgemeinen Verzugszinssatz mit einem starren Zinssatz vor, welcher auf die Schwankungen der Marktzinsen keine Rücksicht nimmt. Für einen solchen starren Zinssatz spricht dessen einfach Handhabbarkeit auch für Laien sowie dessen Verankerung in der schweizerischen Rechtstradition.

Ein variabler Zinssatz hat vor allem den Vorteil, dass er die Entwicklungen auf dem Zinsmarkt widerspiegelt und damit eine gewisse Exaktheit in Bezug auf die Refinanzierungskosten beinhaltet. Beim gesetzlichen Verzugszins handelt es sich zumindest im Ansatzpunkt um einen pauschalierten Schadenersatz,35 indem der Schaden ausgeglichen werden soll, der der Gläubigerin oder dem Gläubiger entsteht, weil er den Geldbetrag selbst nicht zins- oder gewinnbringend nutzen kann.36 Teilweise wird der Zinsanspruch auch darauf abgestützt, dass die säumige Schuldnerin oder der säumige Schuldner den Vorteil hat, über die fragliche Summe verfügen zu können bzw. Kreditkosten zu sparen.37 Der Gesetzgeber hat bisher mit einem starren Zinssatz in Kauf genommen, dass der geschuldete Verzugszins höher oder tiefer liegen kann als der während des Verzugs allgemein anwendbare oder für die konkrete Gläubigerin oder den konkreten Gläubiger geltende Marktzins und damit als ihr oder sein durch den Verzug verursachter Aufwand. Liegt der betreffende Zins höher als der gesetzliche Verzugszins, erleidet die Gläubigerin oder der Gläubiger einen Verlust. Liegt er dagegen tiefer, profitiert die Gläubigerin oder der Gläubiger, denn sie oder er erzielt auf Kosten der Schuldnerin oder des Schuldners einen Gewinn.38 Letzteres wurde bisher mit dem pönalen Element des Verzugszinses gerechtfertigt,39 wovon sich die Kommission ausdrücklich distanziert. Aus ihrer Sicht handelt es sich beim Verzugszins dogmatisch um einen Nachteilsausgleich, den der Gesetzgeber der Gläubigerin und dem Gläubiger zulasten der säumigen Schuldnerin oder des säumigen Schuldners gewährt.

Ein Nachteil einer auf einem variablen Zinssatz aufbauenden Lösung könnte darin bestehen, dass ein variabler Zinssatz regelmässig angepasst werden muss. Wer nicht gewohnheitsmässig mit dem betreffenden Zinssatz arbeitet, wird diesen unter Umständen nicht kennen. Ausserdem ist zu bedenken, dass Zinsen in vielen Fällen rück35 36

37 38 39

BGE 130 III 591, 599, vgl. auch Urteil des Bundesgerichts vom 17. Januar 2006, Nr. 4C.277/2005, Erw. 5.

BGE 123 III 241, 245; der gesetzliche Verzugszins gilt allerdings auch dann, wenn der Schuldner nachweisen könnte, dass die Gläubigerin oder der Gläubiger während der Zeit des Verzugs keinen oder nur einen geringeren Nutzen aus dem Kapital gezogen hätte, vgl. BGE 129 III 535, 540.

BGE 123 III 241, 245.

Weber Rolf H., Neukonzeption der Verzugszinsregelung, Festschrift Eugen Bucher, Bern 2009, S. 781 ff., 789.

BGE 130 III 312, 319 f.

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wirkend berechnet werden müssen, was bei einem variablen Zinssatz zur gleichzeitigen Anwendung mehrerer Zinssätze führen kann und schnell komplizierte Berechnungen notwendig macht. Die Kommission ist allerdings der Ansicht, dass im Geschäftsverkehr, beispielsweise im Hypothekargeschäft, bereits heute regelmässig mit flexiblen Zinssätzen gearbeitet wird und die Wirtschaft bereits ausreichend Erfahrung mit automatisierter Unterstützung bei der Zinsberechnung hat. Eine gewisse Vereinfachung kann zudem dadurch erreicht werden, dass der gewählte Referenzzinssatz gemäss den kaufmännischen Rundungsregeln auf die nächstliegende ganze Zahl aufoder abgerundet wird und dem Bundesrat gleichzeitig die Kompetenz übertragen wird, den massgeblichen Zinssatz auf dem Verordnungsweg jährlich festzulegen.

3.5

Umsetzung

Um den Auftrag der parlamentarischen Initiative zu erfüllen, den Verzugszins künftig an die Entwicklungen der Marktzinssätze anzubinden, soll der gesetzliche Verzugszins neu variabel ausgestaltet und bezogen auf einen Referenzzinssatz festgesetzt werden; dies wird es nach Ansicht der Kommission erlauben, die jeweils aktuellen Marktzinssätze abzubilden.

3.5.1

SARON als massgeblicher Referenzzinssatz

Bis vor Kurzen war in der Schweiz der LIBOR als allgemeiner Referenzzinssatz verbreitet. Als Folge des Manipulationsskandals rund um den LIBOR im Jahr 2011 wurde vom zuständigen Administrator entschieden, diesen Zinssatz nicht mehr weiterzuführen. Der LIBOR wurde in der Praxis abgelöst durch den aufgezinsten Swiss Average Rate Overnight (SARON) über 3 Monate (kurz SAR3MC). Dieser Zinssatz beruht auf abgeschlossenen Transaktionen und handelbaren Preisstellungen (Quotes) am Interbanken-Repomarkt. Der SARON hat in der Schweiz als Referenzzinssatz für Finanzprodukte mittlerweile eine grosse Bedeutung erlangt und ist heute der aussagekräftigste Zins unter den kurzfristigen Geldmarktsätzen.

3.5.2

Zuschlag von zwei Prozentpunkten und Höchstzinssatz

Der SARON bildet die Bewegungen am Geldmarkt ab. Allerdings erschiene es nicht angemessen, für den gesetzlichen Verzugszins einfach den jeweils geltenden SARON für massgeblich zu erklären, da ansonsten bei einem sehr tiefen oder sogar negativen SARON gar kein Verzugszins mehr geschuldet wäre. Aus diesem Grund wird vorgeschlagen, auf den jeweils geltenden SARON einen Zuschlag von zwei Prozentpunkten zu erheben. Der so ermittelte Wert ist dann auf die nächstliegende ganze Zahl zu runden; damit kann auch vermieden werden, dass die Zinsberechnungen zu kompliziert werden. Seit dem Jahr 2000 schwankte der SAR3MC zwischen -0,7557 bis 3.3574, so dass der auf diesem Referenzzinssatz berechnete Verzugszinssatz zwischen 1 % und 5 % schwanken würde. Ein Zinssatz von 1% scheint jedoch zu niedrig zu sein, 11 / 16

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um eine säumige Person zur Erfüllung ihrer Schuldpflichten zu bewegen. Daher ist es gerechtfertigt, einen Mindestzinssatz von 2 % vorzusehen. Die Festlegung eines Höchstzinssatzes von 15 % erscheint ebenfalls angemessen, um Missbräuche zu verhindern. Dieser orientiert sich an den im Bundesgesetz über den Konsumkredit (KKG)40 vorgesehenen Zinssätzen.

3.5.3

Festsetzung und Anpassung des Verzugszinssatzes durch den Bundesrat

Um die Rechtssicherheit zu gewährleisten, erscheint es angebracht, dass sich der massgebliche dynamisch berechnete Verzugszinssatz nicht direkt aus dem Gesetzeswortlaut ergibt, sondern vom Bundesrat jährlich gestützt auf die gesetzlichen Vorgaben in einer Verordnung festgelegt wird. Auf diese Weise ist jederzeit klar ersichtlich, welcher Zinssatz gilt und in der Vergangenheit gegolten hat.

3.6

Dispositive Natur der gesetzlichen Regelung

Das Obligationenrecht geht vom Grundsatz der Vertragsfreiheit aus; den Parteien soll es deshalb wie nach geltendem Recht41 auch in Zukunft freigestellt sein, auf vertraglicher Basis eine vom Gesetz abweichende Lösung zu treffen, sei dies, indem ein höherer oder tieferer variabler Verzugszins vereinbart wird, sei dies, indem ein starrer Zins als geschuldet erklärt wird.

3.7

Keine Einschränkung des Anwendungsbereichs

Die umzusetzende Initiative will gemäss ihrer Begründung explizit die Unternehmen von den hohen Verzugszinsen entlasten. Im internationalen Vergleich ist der von den Konsumentinnen und Konsumenten zu bezahlende Verzugszins allerdings regelmässig tiefer als derjenige für die Unternehmen (vgl. dazu die Tabelle unter 2.2; in die gleiche Richtung geht auch der geltende Artikel 104 OR). Unter diesen Umständen erschiene weder eine Reduktion ausschliesslich für Konsumentinnen und Konsumenten noch eine Reduktion beschränkt auf den Handelsverkehr angemessen; vielmehr ist der Zinssatz für sämtliche Schuldnerinnen und Schuldner in gleicher Weise zu reduzieren.

3.8

Streichung der Bestimmung für den Handelsverkehr (Art. 104 Abs. 3 OR)

Das geltende Obligationenrecht enthält eine besondere Regelung für den Handelsverkehr: Gemäss Artikel 104 Absatz 3 OR können im Verhältnis zwischen Kaufleuten 40 41

SR 221.214.1 BGE 117 V 349, 350.

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dann, wenn der übliche Bankdiskonto am Zahlungsort höher als 5 % ist, die Verzugszinse zu diesem höheren Zinsfuss berechnet werden. Allerdings ist unter geltendem Recht nicht abschliessend geklärt, wer unter den Anwendungsbereich der Bestimmung fällt. So reicht es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht aus, dass eine Person als Kaufmann tätig ist, um diese in den Genuss der Vorzüge von Artikel 104 Absatz 3 OR kommen zu lassen. Vielmehr hat das Bundesgericht den Anwendungsbereich der Bestimmung beschränkt auf den objektiven kaufmännischen Verkehr, d.h. es ist erforderlich, dass das vom Verzug betroffene Geschäft auch objektiv unter den Begriff des kaufmännischen Verkehrs, insbesondere des Handelsverkehrs fällt; das fragliche Geschäft muss mit anderen Worten in unmittelbarem Zusammenhang mit der umsatzbezogenen Tätigkeit beider Parteien stehen.42 Ausserdem hat die Formulierung des Gesetzes, wonach «der übliche Bankdiskonto» den massgeblichen Verzugszins bestimmen soll, dazu geführt, dass Artikel 104 Absatz 3 OR in der Praxis kaum je zur Anwendung gelangt: Beim üblichen Bankdiskonto handelt es sich gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts nämlich nicht um den Zinssatz der Nationalbank für Kontokorrentkredite, sondern um den Privatdiskontsatz, d.h. den Satz, zu dem die Banken Bankakzepte und erstklassige Handelswechsel diskontieren.43 Die Höhe dieses Diskontsatzes bestimmt sich aber individuell und richtet sich nach der Liquidität der Finanzmärkte, der Laufzeit und Währung, aber auch nach der Bonität der Wechselverpflichteten. Der Umstand, dass dieser Zinssatz von den einzelnen Banken individuell bestimmt wird, führt dazu, dass es sich dabei nicht um eine objektiv feststellbare Bezugsgrösse handelt; jede Bank wendet einen anderen Zinssatz an,44 teilweise wird bei der gleichen Bank sogar zwischen verschiedenen Kunden differenziert. Die sich daraus ergebenden Beweisschwierigkeiten führen im Ergebnis dazu, dass es in der Praxis einer Gläubigerin oder einem Gläubiger nur mit grossem Aufwand möglich ist, einen höheren als den gesetzlichen Zins von 5 % nachzuweisen.45 Artikel 104 Absatz 3 OR ist deshalb in der Praxis toter Buchstabe geblieben.46 Es wird aus diesen Gründen vorgeschlagen, Artikel 104 Absatz 3 OR ersatzlos zu streichen. Soweit die Parteien eine besondere Regelung wünschen, können sie diese nach wie vor mit einer vertraglichen Regelung vorsehen.

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Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 73 Abs. 1 E-OR Artikel 73 Absatz 1 OR sieht vor, dass immer dann, wenn ein Zins geschuldet ist, und sich die Zinshöhe weder aus Vertrag noch aus Gesetz oder Übung ergibt, der Zinssatz fünf Prozent beträgt. Der Anwendungsbereich dieser Bestimmung betrifft damit nicht den Verzugszins, sondern ganz allgemein die Zinshöhe im Vertragsrecht. Das Bundesgericht hat gestützt darauf auch den Schadenszins auf deliktisch entstandene For42 43 44 45 46

BGE 122 III 53, 55 f.

BGE 116 II 140, 140 f.

Kuster Matthias, Der Verzugszinssatz unter Kaufleuten nach Art. 104 Abs. 3 OR, AJP 2008, S. 275 ff., 278.

Kuster, a.a.O., S. 278.

Weber, a.a.O., S. 790.

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derungen aus Artikel 41 ff. OR sowie auf aktienrechtliche und öffentlich-rechtliche Forderungen analog zu Artikel 73 Absatz 1 OR auf fünf Prozent festgelegt. Im Sinne des Anliegens der vorliegenden parlamentarischen Initiative erscheint es konsequent, auch für diese Fälle einen reduzierten Zinssatz zur Anwendung zu bringen. Dieser sollte ­ auch das im Sinne der von der Initiative angestrebten Einheitlichkeit der Zinssätze ­ möglichst dem neuen Verzugszins gemäss Artikel 104 Absatz 1 E-OR entsprechen. Es ist deshalb naheliegend, in Artikel 73 Absatz 1 OR nicht mehr einen konkreten Zinssatz festzulegen, sondern darin direkt auf Artikel 104 Absatz 1 OR zu verweisen.

Art. 104 E-OR Absatz 1 hält neu nur noch fest, dass die säumige Schuldnerin oder der säumige Schuldner Verzugszinsen zu bezahlen hat. Wie bei den übrigen Bestimmungen des Vertragsrechts ist dieser Grundsatz dispositiv, d.h. es steht den Parteien frei, auf dem Weg einer vertraglichen Regelung die Pflicht zur Bezahlung von Verzugszinsen wegzubedingen. Dies muss im Gesetz nicht ausdrücklich festgehalten werden.

Absatz 2 regelt die Höhe des gesetzlichen Verzugszinses. Dieser wird vom Bundesrat in einer Verordnung jährlich festgelegt, wobei der Bundesrat hier keinen Spielraum hat, sondern an die gesetzlichen Vorgaben gebunden ist: Auf den über drei Monate aufgezinsten Saron soll ein Zuschlag von zwei Prozentpunkten gemacht und der so ermittelte Wert auf die nächstliegende ganze Zahl auf- oder abgerundet werden. Auf diese Weise soll die im Vergleich zum geltende Recht kompliziertere Regelung weiterhin auch für Laien nachvollziehbar und anwendbar bleiben, indem für ein ganzes Kalenderjahr jeweils ein einziger ganzzahliger Zinssatz gilt.

Um zu vermeiden, dass der massgebliche Zinssatz unverhältnismässig tief oder gar negativ wird, hält das Gesetz ausserdem fest, dass der Zinssatz in jedem Fall mindestens zwei Prozent betragen muss. Andernfalls hätte eine säumige Schuldnerin oder ein säumiger Schuldner bei einem negativen Saron kaum mehr einen Anreiz, seinen Verpflichtungen innert Frist nachzukommen.

In Anlehnung an Artikel 14 KKG47 wird der gesetzliche Verzugszinssatz auf höchstens 15 Prozent pro Jahr festgelegt. Diese Vorgabe bindet nur den Bundesrat bei der Festsetzung des gesetzlichen Verzugszinses. Die Parteien können aufgrund der weiterhin
dispositiven Natur von Artikel 104 E-OR auch einen höheren Zins vereinbaren, solange die verbindlichen Vorgaben des Gesetzes (z.B. Art. 14 KKG, Art. 21 und 163 Abs. 3 OR) eingehalten sind.

Absatz 3 hält schliesslich den bislang in Absatz 1 festgehaltenen Grundsatz fest, wonach der gesetzliche Verzugszins auch dann zu bezahlen ist, wenn der Vertrag tiefere Zinsen vorsieht. Übernommen wird auch die bislang in Absatz 2 festgehaltene Regel für den Fall, dass im Vertrag ein höherer Zinssatz vereinbart wurde. Diese wird voraussichtlich durch die vorliegend angestrebte Senkung des Verzugszinssatzes eine grössere Bedeutung erlangen.

Artikel 104 Absatz 3 OR wird ersatzlos gestrichen (vgl. dazu Ziff. 3.8).

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SR 221.214.1

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Übergangsrecht

Für das Übergangsrecht gilt Artikel 1 des Schlusstitels zum Zivilgesetzbuch (ZGB)48.

Dies hat zur Folge, dass für die Zeit des Verzugs vor dem Inkrafttreten der vorgeschlagenen Erhöhung des Verzugszinses das bisherige Recht gilt (Artikel 104 OR), während sich der Verzugszins für die Zeit nach dem Inkrafttreten der Bestimmung nach dem neuen Zinssatz bemisst (Artikel 104 E-OR), und zwar auch dann, wenn der Verzug bereits unter altem Recht eingetreten ist.

Entsprechend gilt nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts derjenige Verzugszins, der während des Verzugs gegolten hat. Dies kann bei einem variablem Zinssatz dazu führen, dass dann, wenn während eines Verzugs der Verzugszins gestützt auf die neue Bestimmung vom Bundesrat angepasst wird, auf eine Forderung mehr als ein Verzugszinssatz zur Anwendung gelangt.

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Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund

Aufgrund des Verweises in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bundes wird der Bund, wenn er Leistungen Dritter in Anspruch nimmt und damit zum Geldschuldner wird, im Fall des Verzugs verpflichtet, den neuen Verzugszins zu bezahlen. Die Kosten für den Bund werden somit von der jeweiligen Marktlage abhängig sein.

6.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Die Kantone und Gemeinden sind insoweit von der Vorlage betroffen, als sie in ihren Gesetzen und Verordnungen sowie in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf die Regelung des Obligationenrechts verweisen. Die Kantone haben es allerdings in der Hand, durch eine Anpassung der rechtlichen Grundlagen bzw. ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine eigenständige Regelung für ihren Tätigkeitsbereich zu schaffen.

6.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Säumige Schuldnerinnen oder Schuldner werden durch die vorgeschlagene Regelung in Abhängigkeit von den aktuellen Marktzinsen weniger stark belastet, während die Gläubigerinnen und Gläubiger in Zukunft einen geringeren Ausgleich für den Verzug erhalten werden.

Da der neue Verzugszinssatz voraussichtlich in vielen Fällen unter den aktuellen Marktzinsen für ungesicherte Darlehen liegt, könnte ein Anreiz für die Schuldnerinnen und Schuldner entstehen, ihre Rechnungen künftig später zu bezahlen und es 48

SR 210

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könnte zu einer allgemeinen Verschlechterung der Zahlungsdisziplin kommen. Dies könnte für die betroffenen Gläubigerinnen und Gläubiger und unter Umständen auch für die Volkswirtschaft als Ganzes negative Auswirkungen haben, deren Umfang sich allerdings nicht beziffern lassen.

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