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23.047 Botschaft zur Teilrevision des Kartellgesetzes vom 24. Mai 2023

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Bundesgesetzes über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2018

M 16.4094

Verbesserung der Situation der KMU in Wettbewerbsverfahren (S 27.9.17, Fournier; N 5.3.18)

2021

M 18.4282

Die Kartellgesetzrevision muss sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien berücksichtigen, um die Unzulässigkeit einer Wettbewerbsabrede zu beurteilen (S 15.12.20, Français; N 1.6.21)

2022

M 21.4189

Untersuchungsgrundsatz wahren. Keine Beweislastumkehr im Kartellgesetz (S 15.12.21, Wicki; N 9.6.22)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

24. Mai 2023

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2023-1572

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Übersicht Mit der vorgeschlagenen Teilrevision des Kartellgesetzes wird dessen Wirksamkeit verbessert. Dazu wird die Zusammenschlusskontrolle modernisiert, das Kartellzivilrecht gestärkt und das Widerspruchsverfahren verbessert. Zudem werden mehrere überwiesene parlamentarische Vorstösse umgesetzt.

Ausgangslage Das Kartellgesetz (KG) schützt und fördert den wirksamen Wettbewerb. Materiell beruht das KG auf drei Pfeilern: Bekämpfung unzulässiger Wettbewerbsabreden (Art. 5 KG), Bekämpfung missbräuchlicher Verhaltensweisen marktbeherrschender und relativ marktmächtiger Unternehmen (Art. 7 KG) sowie Kontrolle potenziell wettbewerbsschädlicher Zusammenschlüsse (Art. 9 KG). Die am 1. April 2004 in Kraft getretene Teilrevision des KG bezweckte, die Durchsetzung des KG zu verbessern, namentlich durch die Einführung direkter Sanktionen, die Schaffung einer Bonusregelung und die Möglichkeit von Hausdurchsuchungen. Im Jahr 2012 schlug der Bundesrat eine Revision des KG auf Basis der vom Gesetzgeber nach Artikel 59a KG vorgesehenen Evaluation des Gesetzes vor. 2014 scheiterte diese Revision im Parlament.

Inhalt der Vorlage Bei den einzelnen Revisionsbestandteilen handelt es sich einerseits um weitgehend nicht bestrittene und technische Elemente der gescheiterten KG-Revision von 2012.

Diese sollen die Schweizer Gesetzgebung internationalen Standards angleichen und zielen auf effizientere Verwaltungsverfahren ab. Andererseits beinhaltet die Vorlage Umsetzungsvorschläge überwiesener parlamentarischer Vorstösse.

Kernelement der Vorlage ist die Modernisierung der schweizerischen Zusammenschlusskontrolle. Durch den Wechsel vom heutigen qualifizierten Marktbeherrschungstest zu dem in allen EU-Mitgliedstaaten verwendeten Significant Impediment to Effective Competition Test (SIEC-Test) wird der Prüfstandard der Wettbewerbskommission (WEKO) der internationalen Praxis angepasst. Der grundsätzliche Unterschied zwischen dem in der Schweiz bisher angewandten qualifizierten Marktbeherrschungstest und dem neu vorgesehenen SIEC-Test liegt in der Eingriffshürde. Mit dem SIEC-Test können Zusammenschlüsse bei signifikanter Behinderung des wirksamen Wettbewerbs gezielter untersagt oder mit Bedingungen und Auflagen zugelassen werden. Daneben enthält die Vorlage eine Vereinfachung der Meldepflicht für Zusammenschlüsse auf
europäischer Ebene sowie eine Regelung der Fristverlängerung bei der Einleitung des Prüfungsverfahrens.

Ein weiterer Teil der Vorlage besteht in der Stärkung des Kartellzivilrechts. Die Aktivlegitimation wird auf alle von einer unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung Betroffenen, insbesondere auf Konsumentinnen und Konsumenten sowie die öffentliche Hand, ausgeweitet. Weiter werden eine Verjährungshemmung von zivilrechtlichen Ansprüchen aus unzulässiger Wettbewerbsbeschränkung bis zu einem rechtskräftigen Entscheid der WEKO und ein Anspruch auf Feststellung einer unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung eingeführt. Schliesslich wird die Möglichkeit geschaffen, freiwil2 / 62

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lige Wiedergutmachungen gegenüber Geschädigten bei einer Verwaltungssanktion auch nachträglich belastungsmindernd zu berücksichtigen.

Weiter wird das Widerspruchsverfahren praxistauglicher gemacht. Erstens erlischt das direkte Sanktionsrisiko für Unternehmen hinsichtlich der gemeldeten Verhaltensweise endgültig, wenn die Wettbewerbsbehörden innert der Widerspruchsfrist keine Untersuchung eröffnen. Zweitens wird die Widerspruchsfrist von fünf auf zwei Monate verkürzt.

Entsprechend dem Beschluss des Parlaments vom 5. März 2018 werden zudem zwei Forderungen der Motion 16.4094 Fournier «Verbesserung der Situation der KMU in Wettbewerbsverfahren» in die Vorlage miteinbezogen. Beide Forderungen beziehen sich auf das kartellrechtliche Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Einerseits soll dieses durch die Einführung von Ordnungsfristen beschleunigt werden. Andererseits wird eine Parteienentschädigung für das erstinstanzliche Verwaltungsverfahren vor der WEKO eingeführt.

Überdies hat das Parlament im 1. Juni 2021 die Motion 18.4282 Français «Die Kartellgesetzrevision muss sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien berücksichtigen, um die Unzulässigkeit einer Wettbewerbsabrede zu beurteilen» angenommen.

Dieser Forderung wird mit drei Anpassungen Rechnung getragen: Erstens wird im Gesetz klargestellt, dass Vereinbarungen über Arbeitsgemeinschaften grundsätzlich nicht als Wettbewerbsabreden gelten. Zweitens wird präzisiert, dass bei der Erheblichkeit einer Wettbewerbsabrede sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien zu berücksichtigen sind. Drittens wird den Wettbewerbsbehörden die Möglichkeit eingeräumt, bei Anhaltspunkten für einen leichten Verstoss auf eine Untersuchung zu verzichten oder eine eröffnete Untersuchung einzustellen. Damit wird für leichte Verstösse das Opportunitätsprinzip ausdrücklich im Gesetz verankert.

Schliesslich werden Regeln zum Untersuchungsgrundsatz, zur Unschuldsvermutung und zur Beweislast in das KG aufgenommen, womit die am 9. Juni 2022 vom Parlament überwiesene Motion Wicki 21.4189 «Untersuchungsgrundsatz wahren. Keine Beweislastumkehr im Kartellgesetz» umgesetzt wird.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

2

1

6 6 6 7 7

2

Ausgangslage 1.1 Handlungsbedarf und Ziele 1.1.1 Evaluation des Kartellgesetzes und Revision von 2012 1.1.2 Entwicklungen seit 2012 1.1.2.1 Zunehmende Digitalisierung der Märkte 1.1.2.2 Kooperationsabkommen mit der EU und Deutschland 1.1.2.3 Fair-Preis-Initiative 1.1.3 Ziele dieser Revision 1.1.3.1 Vorschläge des Bundesrates 1.1.3.2 Umsetzung der Motion 16.4094 Fournier 1.1.3.3 Umsetzung der Motion 18.4282 Français 1.1.3.4 Umsetzung der Motion 21.4189 Wicki 1.1.4 Hängige parlamentarische Vorstösse 1.2 Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung 1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates 1.4 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

8 8 9 9 10 10 11 11 11 12 12

Vernehmlassungsverfahren 2.1 Vernehmlassungsvorlage 2.2 Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens 2.3 Anpassungen aufgrund der Vernehmlassung 2.4 Nicht berücksichtigte Anliegen aus der Vernehmlassung 2.5 Motion 21.4189 Wicki 2.6 Reform der Wettbewerbsbehörden (Institutionenreform)

12 12

3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

18

4

Grundzüge der Vorlage 4.1 Die beantragte Neuregelung 4.1.1 Modernisierung der Zusammenschlusskontrolle 4.1.2 Stärkung des Kartellzivilrechts 4.1.3 Verbesserung des Widerspruchsverfahrens 4.1.4 Einführung von Ordnungsfristen bei Verwaltungsverfahren (Umsetzung der Motion 16.4094 Fournier) 4.1.5 Einführung von Parteientschädigungen für die Kosten der Verwaltungsverfahren (Umsetzung der Motion 16.4094 Fournier) 4.1.6 Revision der Artikel 4, 5 und 27 KG (Umsetzung Motion 18.4282 Français)

20 20 20 22 24

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13 13 14 17 17

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4.1.7

4.2 4.3

Statuierung des Untersuchungsgrundsatzes, der Unschuldsvermutung und Regelung der Beweislast (Umsetzung der Motion 21.4189 Wicki) Abstimmung von Aufgaben und Finanzen Umsetzungsfragen

30 32 33

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

34

6

Auswirkungen 6.1 Auswirkungen auf den Bund 6.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete 6.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 6.3.1 Auswirkungen auf die einzelnen wirtschaftlichen Akteure 6.3.2 Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen 6.4 Auswirkungen auf die Gesellschaft 6.5 Auswirkungen auf die Umwelt 6.6 Andere Auswirkungen

54 54

Rechtliche Aspekte 7.1 Verfassungsmässigkeit 7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 7.3 Erlassform 7.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 7.5 Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz 7.6 Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes 7.7 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 7.8 Datenschutz

61 61 61 61 61

7

56 56 56 60 60 60 61

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Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz, KG) (Entwurf) BBl 2023 1464

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

1.1.1

Evaluation des Kartellgesetzes und Revision von 2012

Das Kartellgesetz vom 6. Oktober 19951 (KG) geht primär auf das Programm zur «marktwirtschaftlichen Erneuerung» zurück, welches der Bundesrat infolge der 1992 erfolgten Ablehnung des Beitritts der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) lanciert hat.2 Ziel war es, durch den Erlass eines verschärften KG die Rahmenbedingungen des Schweizer Wirtschaftsstandorts zu verbessern.3 Die Totalrevision des KG im Jahr 1995 führte zu einer grundlegenden Neuorientierung des schweizerischen Wettbewerbsrechts, die darauf abzielte, wirksamen Wettbewerb zu fördern.

Materiell beruht das KG von 1995 auf den folgenden drei Pfeilern: Bekämpfung unzulässiger Wettbewerbsabreden (Art. 5 KG), Bekämpfung missbräuchlicher Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen (Art. 7 KG) sowie Zusammenschlusskontrolle (Art. 10 KG).

Die am 1. April 2004 in Kraft getretene Teilrevision des KG bezweckte, den in der Revision von 1995 eingeleiteten Paradigmenwechsel zu vervollständigen, namentlich durch die Einführung direkter Sanktionen, die Schaffung einer Bonusregelung und die Möglichkeit von Hausdurchsuchungen.

Im Jahr 2012 schlug der Bundesrat eine Revision des KG auf Basis der vom Gesetzgeber nach Artikel 59a KG vorgesehenen Evaluation4 des Gesetzes vor.5 Die Evaluation ergab, dass sich die neuen, 2004 eingeführten Instrumente bewährt hatten, zeigte aber auch in verschiedener Hinsicht Revisionsbedarf auf. Daher unterbreitete der Bundesrat dem Parlament eine Gesetzesvorlage mit Anpassungsvorschlägen zu mehreren Bestimmungen. Diese betrafen insbesondere die Einführung eines grundsätzlichen gesetzlichen Verbots von fünf besonders schädlichen Abredearten mit Rechtfertigungsmöglichkeit in Artikel 5 KG (welches der Bundesrat als letztes Element der damaligen Revisionsvorlage hinzugefügt hat), die Modernisierung der Zusammenschlusskontrolle, den moderaten Ausbau des Kartellzivilrechts, die Verbesserung des Widerspruchsverfahrens und die Berücksichtigung der von Unternehmen eingerichteten

1 2 3 4

5

SR 251 Botschaft vom 24. Februar 1993 über das Folgeprogramm nach der Ablehnung des EWR-Abkommens, BBl 1993 I 805.

Botschaft vom 23. November 1994 zu einem Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen, BBl 1995 I 468 (nachfolgend: Botschaft KG 1995).

In diesem Sinne auch Bericht gestützt auf Art. 59a Kartellgesetz über die Evaluation des Kartellgesetzes und Vorschläge zum weiteren Vorgehen vom 25. März 2009, abrufbar unter: www.weko.admin.ch > Rechtliches/Dokumentation > Evaluation des Kartellgesetzes.

Botschaft vom 22. Februar 2012 zur Änderung des Kartellgesetzes und zum Bundesgesetz über die Organisation der Wettbewerbsbehörde, BBl 2012 3905.

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Compliance-Programme bei der Sanktionsbemessung.6 Die Vorlage enthielt als eines der zentralen Elemente einen Vorschlag zu einer institutionellen Reform der Wettbewerbsbehörden, mithin der Wettbewerbskommission (WEKO) und ihres Sekretariats (Institutionenreform). Nach dem vom Ständerat am 21. März 2013 bezüglich dieser Vorlage für die KG-Revision gefällten Eintretensbeschluss bestätigte der Nationalrat am 17. September 2014 seinen früheren Entscheid vom 6. März 2014, auf die Vorlage nicht einzutreten. Die Revision kam somit nicht zustande. Das Scheitern der Revision ist teilweise mit ihren ehrgeizigen Zielen zu erklären. Die Institutionenreform und die Revision von Artikel 5 KG waren besonders umstritten.

1.1.2

Entwicklungen seit 2012

1.1.2.1

Zunehmende Digitalisierung der Märkte

Die rasche Digitalisierung der Wirtschaft hat erhebliche potenzielle Auswirkungen auf den Wettbewerb und bringt neue Herausforderungen im Bereich der Regulierung bzw. deren Umsetzung mit sich. Verschiedene Faktoren wie starke Netzwerkeffekte, niedrige variable Kosten, hohe Fixkosten sowie die grosse Bedeutung von Nutzerdaten für die angebotenen Leistungen können eine hohe Marktkonzentration begünstigen.

Der Bundesrat hat sich in einem im Jahr 2017 veröffentlichten Bericht7 mit den damit einhergehenden Herausforderungen für die Wettbewerbspolitik befasst. Er kam darin zum Schluss, dass die wesentlichen Grundsätze des Wettbewerbsrechts in der Schweiz auch in einer zunehmend digitalen Welt gültig bleiben. Die Bestimmungen des KG seien relativ offen formuliert und damit voraussichtlich in der Lage, die Marktentwicklung aufzunehmen. Diese Einschätzung hat der Bundesrat kürzlich bestätigt.8 Gleichzeitig hat er im Jahr 2017 auf Diskussionsbedarf im Bereich der Zusammenschlusskontrolle hingewiesen. So sei in diesem Zusammenhang insbesondere zu prüfen, ob eine Anpassung der Aufgreifkriterien notwendig ist, damit die Wettbewerbsbehörden Zusammenschlüsse bzw. Akquisitionen von noch «jungen» OnlinePlattformen bzw. -unternehmen kontrollieren können. Sinnvoll sei zudem die Modernisierung des bei der Zusammenschlusskontrolle anzuwendenden Eingreifkriteriums.

Nach Prüfung dieser Fragen hält der Bundesrat die Einführung eines moderneren Tests in der Zusammenschlusskontrolle auch vor dem Hintergrund der Digitalisierung für sinnvoll. Dadurch könnten auch Zusammenschlüsse verboten oder mit Bedingungen und Auflagen genehmigt werden, die keine marktbeherrschenden Stellungen begründen oder verstärken, die den wirksamen Wettbewerb aber trotzdem signifikant 6

7

8

Dieser letzte Punkt war eine Forderung der vom Parlament am 21. September 2010 überwiesenen Motion 07.3856 Schweiger «Ausgewogeneres und wirksameres Sanktionssystem für das Schweizer Kartellrecht».

Bericht des Bundesrates vom 11. Januar 2017 über die zentralen Rahmenbedingungen für die digitale Wirtschaft, S. 159 ff., abrufbar unter www.seco.admin.ch > Wirtschaftslage & Wirtschaftspolitik > Wirtschaftspolitik > Digitalisierung.

Bericht des Bundesrates vom 9. Dezember 2022: «Digitalisierung ­ Handlungsfelder der Wirtschaftspolitik», abrufbar unter www.seco.admin.ch > Wirtschaftslage & Wirtschaftspolitik > Wirtschaftspolitik > Digitalisierung.

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behindern und bei denen keine Effizienzvorteile diese Behinderung ausgleichen können (vgl. Ziff. 4.1.1). Zudem böte ein modernerer Test die Möglichkeit, die Besonderheiten der digitalen Märkte besser zu berücksichtigen. Der Bundesrat hält es jedoch nicht für notwendig, die gesetzlichen Vorschriften spezifisch für OnlinePlattformen bzw. -unternehmen anzupassen.

1.1.2.2

Kooperationsabkommen mit der EU und Deutschland

Am 1. Dezember 2014 trat das Abkommen vom 17. Mai 20139 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts (nachfolgend: Kooperationsabkommen CH-EU) in Kraft. Mit dem Abkommen wurde eine engere Zusammenarbeit zwischen der WEKO und der Wettbewerbsbehörde der Europäischen Union ermöglicht. Sie bietet den Behörden die Möglichkeit, sich ihre Vollzugsmassnahmen gegenseitig mitzuteilen, diese zu koordinieren und Informationen auszutauschen. Unter strikten Bedingungen ist auch der Austausch vertraulicher Informationen möglich, welche für die Durchführung von Untersuchungen benötigt werden.10 Gleichzeitig mit Inkrafttreten des Abkommens wurde ein neuer Artikel 42b KG betreffend den Austausch von vertraulichen Informationen eingeführt.

Am 1. November 2022 haben die Schweiz und Deutschland ein Abkommen über die Zusammenarbeit der Wettbewerbsbehörden unterzeichnet.11 Analog zum Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) erlaubt das Abkommen der WEKO und ihrem Sekretariat sowie dem deutschen Bundeskartellamt künftig eine effiziente Durchsetzung des Wettbewerbsrechts in grenzüberschreitenden Sachverhalten. Dadurch trägt es zu einem besseren Schutz des Wettbewerbs in der Schweiz und Deutschland bei. Das Parlament hat das Abkommen am 17. März 2023 genehmigt.12 Die Referendumsfrist läuft bis zum 6. Juli 2023. Wird das Referendum nicht ergriffen, tritt das Abkommen am ersten Tag des zweiten Monats nach dem Datum der letzten Notifizierung in Kraft (vgl. Art. 16 Abs. 1), d. h. frühestens am 1. September 2023.

1.1.2.3

Fair-Preis-Initiative

Per 1. Januar 2022 wurde das KG infolge des indirekten Gegenvorschlags des Parlaments zu der am 12. Dezember 2017 eingereichten Volksinitiative «Stop der Hochpreisinsel ­ für faire Preise (Fair-Preis-Initiative)» angepasst. Das Ziel der Initiative 9 10

11

12

SR 0.251.268.1 Vgl. auch Botschaft vom 22. Mai 2013 zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Union über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts, BBl 2013 3959.

Vgl. Medienmitteilung des Bundesrates vom 1. November 2022, abrufbar unter: www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > «Die Schweiz und Deutschland wollen bei Wettbewerbsfragen enger zusammenarbeiten».

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bestand darin, die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in der Schweiz zu stärken und die «Hochpreisinsel Schweiz» zu bekämpfen. Dies wurde durch die Einführung des Konzepts der «relativen Marktmacht» im KG und insbesondere einer damit verbundenen Lieferpflicht für gewisse Unternehmen bewerkstelligt.13 Die Interventionsmöglichkeiten des zweiten Pfeilers des KG, der Missbrauchskontrolle, wurden entsprechend angepasst. Die Regelungen hinsichtlich des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gelten nun auch für Fälle relativer Markmacht. Der Wortlaut von Artikel 7 KG wurde entsprechend angepasst. Allerdings ist der Missbrauch relativer Marktmacht nicht direkt sanktionierbar.

Dem Bundesrat gingen die von der Initiative vorgeschlagenen Massnahmen zu weit, weshalb er einen indirekten Gegenvorschlag unterbreitete.14 Dieser sah eine Anpassung des KG durch die Einführung des von der Initiative vorgeschlagenen Konzepts der relativen Marktmacht vor, begrenzte dessen Anwendungsbereich jedoch auf Fälle der Abschottung des Schweizer Markts.

Das Parlament arbeitete ebenfalls einen indirekten Gegenvorschlag aus, in welchen die Forderungen der Initiative weitgehend einflossen. Er wurde am 19. März 2021 von beiden Räten angenommen.15 Nach dem bedingten Rückzug der Initiative am 25. März 202116 wurde die Referendumsfrist für den indirekten Gegenvorschlag nicht genutzt. Die Revision ist am 1. Januar 2022 in Kraft getreten.

1.1.3

Ziele dieser Revision

1.1.3.1

Vorschläge des Bundesrates

Nach dem Scheitern der KG-Revision von 2012 ist der Bundesrat weiterhin der Ansicht, dass die Revision einzelner Bereiche des KG notwendig ist, um eine bessere Wirksamkeit und Umsetzung der kartellrechtlichen Bestimmungen zu erreichen. Die Revision der Zusammenschlusskontrolle war bereits im Rahmen der Vorlage von 2012 zur Revision des KG vom Bundesrat vorgeschlagen und vom Ständerat sowie der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-N) unterstützt worden. An der Tatsache, dass das aktuelle Kontrollsystem den negativen und positiven Auswirkungen von Zusammenschlüssen zu wenig Rechnung trägt, hat sich seither nichts geändert. Eine Ablösung des aktuell verwendeten qualifizierten Marktbeherrschungstests durch den international etablierten Significant Impediment to Effective Competition Test (SIEC-Test) ist deshalb angezeigt. Durch die Verwendung des SIEC-Tests können den Wettbewerb signifikant behindernde Zusammenschlüsse, insbesondere falls sie zu einer Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung führen, gezielter untersagt oder mit Bedingungen und Auflagen zugelas13 14

15 16

Die Fair-Preis-Initiative zielt des Weiteren darauf ab, durch ein grundsätzliches Verbot des privaten Geoblockings den diskriminierungsfreie Online-Handel zu gewährleisten.

Botschaft vom 29. Mai 2019 zur Volksinitiative «Stop der Hochpreisinsel ­ für faire Preise (Fair-Preis-Initiative)» und zum indirekten Gegenvorschlag (Änderung des Kartellgesetzes), BBl 2019 4877.

Bundesbeschluss über die Volksinitiative «Stop der Hochpreisinsel ­ für faire Preise (Fair-Preis-Initiative)», BBl 2021 49 S. 663.

BBl 2021 55 S. 758

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sen werden. Es werden zudem gewünschte Effizienzsteigerungen besser berücksichtigt als unter den bestehenden Regelungen der Zusammenschlusskontrolle. Neben der Modernisierung der Zusammenschlusskontrolle beinhaltet die Vorlage zwei zusätzliche, wenig umstrittene Reformvorhaben aus der KG-Revision 2012, namentlich die Stärkung des Kartellzivilrechts und die Verbesserung des Widerspruchsverfahrens.

Mit der Stärkung des Kartellzivilrechts wird die Wirksamkeit und Umsetzung des KG verbessert. Die Änderungen beim Widerspruchsverfahren reduzieren das Risiko, dass nicht wettbewerbsschädigende Verhaltensweisen aufgrund der alleinigen Befürchtung von Kartellrechtsverfahren und Sanktionen nicht umgesetzt werden.

1.1.3.2

Umsetzung der Motion 16.4094 Fournier

Am 5. März 2018 hat das Parlament die Motion 16.4094 Fournier «Verbesserung der Situation der KMU in Wettbewerbsverfahren» teilweise angenommen. Diese enthält vier Forderungen: (1) die Vereinfachung und Beschleunigung von Gerichtsverfahren durch die Aufnahme von Fristen in die Gesetzgebung; (2) Informationen über laufende Verfahren und die Veröffentlichung von Entscheiden der WEKO erst nach deren Erwachsen in Rechtskraft; (3) die Sicherstellung von verhältnismässigen Sanktionen bei unzulässigen Abreden unter angemessener Berücksichtigung der Grösse des Unternehmens und der Tragbarkeit der Sanktion durch dieses; (4) die Entschädigung der Parteien in allen Phasen des Verwaltungsverfahrens. Während der Bundesrat die Ablehnung der Motion beantragte, nahm der Ständerat sie am 27. September 2017 an. Am 5. März 2018 stimmte der Nationalrat separat über die vier Forderungen der Motion ab. Die Punkte 1 und 4 ­ Aufnahme von Fristen in die Gesetzgebung und Entschädigung der Parteien für die Kosten der Verwaltungsverfahren ­ wurden angenommen. Die beiden anderen Punkte wurden abgelehnt. Ein entsprechender Umsetzungsvorschlag zur Erfüllung der überwiesenen Teile der Motion wurde in die aktuelle Vorlage zur Teilrevision des KG integriert.

1.1.3.3

Umsetzung der Motion 18.4282 Français

Die Motion 18.4282 Français «Die Kartellgesetzrevision muss sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien berücksichtigen, um die Unzulässigkeit einer Wettbewerbsabrede zu beurteilen» fordert die «Präzisierung» von Artikel 5 KG, um bei der Prüfung der Unzulässigkeit von Abreden sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien zu berücksichtigen. Sie wurde eingereicht, nachdem das Bundesgericht am 28. Juni 2016 sein Urteil in Sachen Gaba17 gefällt hatte. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion, die indes vom Ständerat am 15. Dezember 2020 und vom Nationalrat am 1. Juni 2021 angenommen wurde. Ein Umsetzungsvorschlag wurde in die vorliegende Revisionsvorlage integriert.

17

BGE 143 II 297

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1.1.3.4

Umsetzung der Motion 21.4189 Wicki

Die Motion 21.4189 Wicki «Untersuchungsgrundsatz wahren. Keine Beweislastumkehr im Kartellgesetz» fordert, das KG so zu «präzisieren», dass die verfassungsmässige Unschuldsvermutung auch dort Anwendung findet, wobei dies insbesondere durch die Stärkung des Untersuchungsgrundsatzes zu erfolgen habe. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion, die vom Ständerat am 15. Dezember 2021 und vom Nationalrat am 9. Juni 2022 angenommen wurde. Ein Umsetzungsvorschlag ist in die vorliegende Revisionsvorlage nach Ende der Vernehmlassung integriert worden (siehe hierzu auch Ziff. 2.5).

1.1.4

Hängige parlamentarische Vorstösse

Im Parlament sind derzeit drei parlamentarische Vorstösse im Zusammenhang mit dem Kartellrecht hängig, die noch nicht behandelt worden sind. Diese könnten, je nach Entwicklung der parlamentarischen Beratungen, ebenfalls eine Revision des KG erfordern.

Am 17. Juni 2022 wurde die Motion 22.3838 Gugger «Schutz vor der einseitigen Einführung des Agenturmodells im KFZ-Markt» im Nationalrat eingereicht. Der Motionär fordert eine Änderung des KG, um die Kündigung von Händler- und Werkstattverträgen durch den Hersteller zu erschweren. Weiter fordert er Anpassungen bei der Anwendung der Bestimmungen des KG im Verhältnis Hersteller/Importeur zu Garagen im Agenturmodell und Direktvertrieb. Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion. Das Parlament hat den Vorstoss noch nicht behandelt.

Am 14. Dezember 2022 wurde die Motion 22.4404 Rechsteiner «Verfahren beschleunigen. Rechtssicherheit erhöhen» im Nationalrat eingereicht. Der Motionär fordert eine Änderung des KG, dass die «Untersuchungen» in kartellverfahren maximal ein Jahr dauern, mithin spätestens ein Jahr nach dem Datum des Beginns der Untersuchung durch das Sekretariat die «Entscheid-Phase» der WEKO beginnen müsse. Dabei solle eine Verlängerung dieser Frist auf Antrag des Sekretariats von der WEKO um maximal ein weiteres Jahr zulässig sein. Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion. Das Parlament hat den Vorstoss noch nicht behandelt.

Am 16. März 2023 wurde die Motion 23.3224 Français «Institutionelle Reform der Wettbewerbskommission» im Ständerat eingereicht. Der Motionär fordert eine Revision der Wettbewerbsbehörden. Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion, da er einen Tag nach Einreichung der Motion, am 17. März 2023, das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) beauftragt hat, ihm im ersten Quartal 2024 einen Vorschlag für eine entsprechende Reform zu unterbreiten (siehe Ziff. 2.6). Das Parlament hat den Vorstoss noch nicht behandelt.

1.2

Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung

Bei der Modernisierung der Zusammenschlusskontrolle, der Stärkung des Kartellzivilrechts und der Verbesserung des Widerspruchverfahrens handelt es sich um tech11 / 62

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nische Anpassungen bestehender Regelungen des KG. Eine alternative Umsetzung zur Erreichung dieser Ziele ist nicht ersichtlich.

Die überwiesenen Motionen wurden sehr nahe am Motionstext umgesetzt. Sowohl bei der Motion 18.4282 Français als auch bei der Motion 21.4189 Wicki wird dabei explizit eine Anpassung des KG gefordert. Die Motion 16.4094 Fournier spricht von einer Anpassung der wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen. Eine Umsetzung dieser drei Motionen im KG ist deshalb angezeigt.

1.3

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 29. Januar 202018 zur Legislaturplanung 2019­ 2023 angekündigt. Die vorgeschlagene Regelung tangiert weder die Finanzplanung noch die Strategien des Bundesrates.

1.4

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Die unterbreitete Vorlage erfüllt die Forderungen des überwiesenen Teils der Motion 16.4094 Fournier vollständig, indem einerseits Ordnungsfristen ins KG aufgenommen und andererseits eine Parteienentschädigung für das erstinstanzliche Verwaltungsverfahren vor der WEKO eingeführt werden. Die Forderung der Motion 18.4282 Français wird durch die Anpassung des Begriffs der Erheblichkeit und die neuen Regeln für Arbeitsgemeinschaften und leichte Verstösse vollständig erfüllt. Schliesslich wird auch die Forderung der Motion 21.4189 Wicki durch die ausdrückliche Statuierung geltender Verfahrensmaximen im KG vollständig erfüllt. Beantragt wird deshalb die Abschreibung dieser drei Motionen.

2

Vernehmlassungsverfahren

Der Bundesrat hat das WBF ermächtigt, vom 24. November 2021 bis zum 11. März 2022 die Vernehmlassung zur Teilrevision des KG durchzuführen. Neben den Regierungen der 26 Kantone wurden elf politische Parteien, drei Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete, acht Dachverbände der Wirtschaft und 17 weitere interessierte Kreise und Organisationen zur Vernehmlassung begrüsst.

2.1

Vernehmlassungsvorlage

Die Vernehmlassungsvorlage enthielt Vorschläge zur Modernisierung der Zusammenschlusskontrolle, zur Verbesserung des Widerspruchsverfahrens und zur Stärkung des Kartellzivilrechts. Weitere Elemente waren Umsetzungsvorschläge für die 18

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Motion 16.4094 Fournier und die Motion 18.4282 Français sowie kleinere Anpassungsvorschläge bei der Möglichkeit von Personendurchsuchungen und der künftigen Evaluation des KG.

2.2

Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Insgesamt gingen 79 Stellungnahmen ein.19 Zwar gab es nur wenige Stellungnahmen, welche die Vorlage explizit uneingeschränkt befürworteten. Eine Mehrheit befürwortete sie aber im Grundsatz oder verzichtete auf eine Gesamtbeurteilung. Explizit abgelehnt wurde die Vorlage von neun Teilnehmenden, seitens der Parteien von der FDP.Die Liberalen.

Wenig umstritten waren die Modernisierung der Zusammenschlusskontrolle und die Stärkung des Kartellzivilrechts. Die vorgeschlagenen Änderungen wurden nur vereinzelt abgelehnt, seitens der Parteien von der SVP. Unbestritten ist das Anliegen einer Verbesserung des Widerspruchsverfahrens. Unterschiedliche Teilnehmende lehnten die vorgeschlagenen Verbesserungen aber als unzureichend ab.

Umstritten war hingegen die vorgeschlagene Umsetzung der Motion 18.4282 Français. Einige Teilnehmende lehnten den Vorschlag ab, wonach bei der Beurteilung der Erheblichkeit qualitative und quantitative Kriterien zu berücksichtigen seien.

Stattdessen solle die Forderung der Motion durch eine Formulierung erfüllt werden, die präzisiere, dass Arbeitsgemeinschaften (ARGE), die zur Teilnahme am Wettbewerb nötig seien, keine Wettbewerbsabreden darstellten (sog. ARGE-Lösung). Einige Vernehmlassungsteilnehmende regten an, dass eine solche Regelung durch eine Präzisierung von Artikel 27 KG ergänzt werden könnte, wonach die WEKO bei leichten Verstössen von einer Untersuchung absehen könne. Zahlreiche Teilnehmende forderten hingegen eine Umsetzung, die sich näher am Motionstext orientiert.

Schliesslich forderten 21 Teilnehmende eine Institutionenreform und neun Teilnehmende die Aufnahme einer Grundlage für die sanktionsmindernde Berücksichtigung von Compliance-Massnahmen.

2.3

Anpassungen aufgrund der Vernehmlassung

Umsetzung Motion 18.4282 Français Um den Bedenken hinsichtlich der Bildung von ARGE sowie des Aufgreifens von leichten Verstössen durch die WEKO entgegenzuwirken, werden drei Anpassungen gegenüber der Vernehmlassungsvorlage vorgenommen: Erstens wird der Wortlaut von Artikel 5 Absatz 1bis VE-KG angepasst, in dem neu «sowohl ... als auch» anstatt von «und» Verwendung findet. Mit dieser Anpassung soll gemäss einzelnen Forderungen aus der Vernehmlassung (insb. des Schweizerischen Gewerbeverbandes) noch 19

Der Ergebnisbericht ist abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen 2021 > WBF.

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deutlicher klargestellt werden, dass bei der Prüfung der Erheblichkeit von Wettbewerbsabreden nicht nur qualitative, sondern auch quantitative Aspekte Berücksichtigung finden sollen. Eine materielle Änderung gegenüber der Vernehmlassungsvorlage geht mit dieser neuen Formulierung allerdings nicht einher. Zweitens wird eine ausdrückliche Regelung in Artikel 4 Absatz 1bis E-KG aufgenommen, um auf gesetzlicher Ebene klar zum Ausdruck zu bringen, dass ARGE, welche den wirksamen Wettbewerb ermöglichen oder stärken, keine Wettbewerbsabreden darstellen. Eine solche Klarstellung wurde in der Vernehmlassung von der Mitte, der SP, der Stiftung für Konsumentenschutz sowie der WEKO angeregt. Drittens wird durch die Schaffung eines neuen Artikels 27 Absatz 1bis E-KG ­ in Anlehnung an die Vorschläge von SP und WEKO ­ das Opportunitätsprinzip für leichte Verstösse im KG verankert, um zu verhindern, dass die Wettbewerbsbehörden unbedeutende Fälle (sowohl im Bereich von Art. 5 als auch Art. 7 KG) aufgreifen müssen.

Verbesserung des Widerspruchsverfahren Das Widerspruchsverfahren (Art. 49a Abs. 4 E-KG) wurde im Vergleich zur Vernehmlassungsvorlage innovationsfreundlicher ausgestaltet. Neu lebt das Sanktionsrisiko nach einer Meldung nur wieder auf, wenn die WEKO innert der (im Vergleich zur Vernehmlassungsvorlage gleichbleibenden) Widerspruchsfrist eine Untersuchung nach Artikel 27 KG eröffnet. In der Vernehmlassungsvorlage war noch vorgesehen, dass, nebst einer Untersuchungseröffnung innert der Widerspruchsfrist, auch die Eröffnung einer Vorabklärung nach Artikel 26 KG innert der Widerspruchsfrist zum Wiederaufleben des Sanktionsrisikos führen kann. Das Sanktionsrisiko wäre wiederaufgelebt, sobald die WEKO nach der Eröffnung einer Vorabklärung (innert der Widerspruchsfrist) eine Untersuchung (möglicherweise nach der Widerspruchsfrist) eröffnet hätte. Moniert wurde in verschiedenen Stellungnahmen, dass bereits das Risiko eines Wiederauflebens des Sanktionsrisikos Unternehmen von der Umsetzung einer gemeldeten Verhaltensweise abhält, wenn mit dieser Umsetzung Investitionen verbunden sind. Neu soll für das gemeldete Verhalten das direkte Sanktionsrisiko deshalb in allen Fällen, in denen die WEKO keine Untersuchung innert der Widerspruchsfrist eröffnet, definitiv entfallen.

2.4

Nicht berücksichtigte Anliegen aus der Vernehmlassung

Forderungen betreffend die Definition einer Wettbewerbsabrede Im Rahmen der Vernehmlassung forderten einzelne Teilnehmende eine wesentlich schärfere Umsetzung der Motion 18.4282 Français. So wird etwa eine Anpassung der Definition einer Wettbewerbsabrede gemäss Artikel 4 Absatz 1 KG gefordert, indem erstens nur tatsächlich umgesetzte Abreden vom Tatbestand einer Wettbewerbsabrede erfasst werden sollen und zweitens der Tatbestand einer Wettbewerbsabrede auf Abreden reduziert werden soll, die unter den gegebenen rechtlichen und faktischen Umständen effektiv eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken.

Zum ersten Änderungsvorschlag: Zum Nachweis des Vorliegens einer Wettbewerbsabrede ist deren Umsetzung nach geltendem Recht (sowie jenem der EU und ihrer 14 / 62

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Mitgliedstaaten) bereits dem Wortlaut nach nicht erforderlich. Es scheint nicht plausibel, dass Unternehmen eine Wettbewerbsabrede vereinbaren, ohne eine Intention, sie dann umzusetzen. Daher dürfte eine entsprechende Einschränkung des Tatbestands einer Wettbewerbsabrede für die Praxis keinerlei Mehrwert bieten. Vielmehr würde sie den betroffenen Unternehmen lediglich ein weiteres Argument für das Nicht-Eingreifen der Behörden bei wettbewerbsschädigenden Verhaltensweisen bieten. Damit könnte eine weitere Erhöhung des Verfahrensaufwandes sowie der Verfahrensdauer (sowohl auf Ebene der Wettbewerbsbehörden als auch vor Gericht) einhergehen. Namentlich könnten die beteiligten Unternehmen die Kausalität zwischen der Abrede und ihrem tatsächlichen Verhalten (Umsetzung) bestreiten. Auch angesichts der Tatsache, dass praktisch jedes Verhalten mehrere Ursachen hat, kann der Nachweis dieser Kausalität im Einzelfall schwierig sein, so dass gewisse schädliche Kartelle «durchschlüpfen» würden. Dies wäre schädlich für den Wettbewerb in der Schweiz und würde tendenziell zu höheren Preisen für die Konsumentinnen und Konsumenten führen.

Zum zweiten Änderungsvorschlag: Die vorgeschlagene umfangreiche Prüfung im Rahmen von Artikel 4 KG, die gemäss den begleitenden Ausführungen eine Vielzahl von Faktoren umfassen soll (z. B. Ziel der Abrede, rechtlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang der Abrede, Marktbedingungen, Marktstruktur) würde die Grenzen zwischen der Prüfung des Tatbestands einer Wettbewerbsabrede gemäss Artikel 4 Absatz 1 KG und der Prüfung der Erheblichkeit sowie der Rechtfertigung aus Gründen der wirtschaftlichen Effizienz gemäss Artikel 5 KG vermischen und damit die Rechtsunsicherheit deutlich erhöhen. So müsste etwa geklärt werden, ab welcher Intensität der Beschränkung einer Wettbewerbsvariable wie z. B. dem Preis von einer «faktischen» Wettbewerbsbeschränkung ausgegangen werden kann. Davon abzugrenzen wäre die Frage nach einer erheblichen Wettbewerbsbeschränkung, da dies ein Prüfpunkt betreffend die Unzulässigkeit einer Wettbewerbsabrede im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 KG ist. Schliesslich würde sich die Frage stellen, ob Gründe der wirtschaftlichen Effizienz schon in die Prüfung einer «faktischen» Wettbewerbsbeschränkung einfliessen sollten, und wenn ja, inwiefern. Eine klare Separierung zwischen
Zweck und Ausrichtung einer Wettbewerbsabrede, was Gegenstand von Artikel 4 Absatz 1 KG ist, und der Beurteilung deren (Un)Zulässigkeit, was Gegenstand von Artikel 5 KG ist, ist daher notwendig.

Forderungen zur Einführung der «doppelten Erheblichkeit» Im Rahmen der Vernehmlassung wurde teilweise eine Anpassung von Artikel 5 KG gefordert, wonach grundsätzlich sämtliche harten und andere Wettbewerbsabreden «gleich» zu behandeln seien und sie neu einer «doppelten Erheblichkeit» unterstellt werden sollten (vgl. insb. Ziff. 4.1.6 zu den Begriffen «qualitativ» und «quantitativ»).

Unter «harten» Wettbewerbsabreden werden die fünf Abreden verstanden, die in Artikel 5 Absätze 3 und 4 KG aufgeführt sind. Aufgrund ihrer grundsätzlichen Schädlichkeit beseitigen diese gemäss dem geltenden KG vermutungsweise den Wettbewerb.

Für andere Wettbewerbsabreden hiesse dies voraussichtlich, dass sie zukünftig ­ selbst etwa bei sehr hohen Marktanteilen ­ praktisch immer zulässig wären. Umgekehrt wären harte Kartelle bei tiefen Marktanteilen erlaubt. Die Wirksamkeit des KG 15 / 62

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und damit der Schutz des Wettbewerbs würden durch die Einführung der «doppelten Erheblichkeit» deutlich reduziert. Das bisherige System der Gesamtbeurteilung der qualitativen und quantitativen Kriterien hat sich bewährt. Es erlaubt eine sachgerechte und zielgenaue Beurteilung der Umstände des Einzelfalls im Gesamtkontext.

Forderung des Nachweises von tatsächlichen Auswirkungen Schliesslich forderten einzelne Teilnehmende im Rahmen der Vernehmlassung, dass die Erheblichkeit nach Artikel 5 Absatz 1 KG nur bejaht werden dürfe, wenn tatsächliche Auswirkungen nachgewiesen werden können. Die Einführung eines solchen Kriteriums würde eine Abkehr vom bewährten und international anerkannten Grundsatz bedeuten, dass die «Eignung», den Wettbewerb zu beeinträchtigen, ausreichend ist, und hätte eine gravierende Schwächung der Wirksamkeit des KG zur Folge, namentlich im Bereich der Bekämpfung von unzulässigen Wettbewerbsabreden.

Tatsächliche Auswirkungen sind in der Praxis sehr schwierig bzw. in gewissen Fällen unmöglich kausal nachzuweisen. Oft fehlt es in der Praxis bereits an den erforderlichen Daten für eine belastbare Wirkungsanalyse. Zudem wäre der Zustand, der mit der Abrede eingetreten ist, mit dem hypothetischen Zustand ohne Abrede zu vergleichen, wobei die hypothetischen Vergleichsdaten hierfür naturgemäss nicht vorhanden sind. Beim Beweis über den hypothetischen Sachverhalt, dass beispielsweise der Preis ohne Abrede tiefer gewesen wäre, würden die Wettbewerbsbehörden häufig scheitern.

Die Parteien könnten einfach behaupten, dass ohne Abrede der gleiche Preis bestanden hätte.

Im Ergebnis würden viele schädliche Abreden legalisiert, auch harte Wettbewerbsabreden (insb. Kartelle). Weiter ist darauf hinzuweisen, dass sich tatsächliche Auswirkungen ­ wenn überhaupt beweisbar ­ immer erst im Nachhinein und mit aufwändigen Analysen feststellen lassen. Die Unternehmen könnten daher zum Zeitpunkt, in dem sie sich für oder gegen ein bestimmtes Verhalten entscheiden, nicht antizipieren, ob dieses zulässig ist oder nicht. Dies ist der Rechtssicherheit abträglich. Überdies wären die Wettbewerbsbehörden bei einem Kartell, das seine Vereinbarungen noch nicht umgesetzt hat, zunächst zum blossen Zusehen verurteilt. Intervenieren dürften sie stets zu spät, nämlich erst nachdem Schäden für den Wettbewerb bereits
eingetreten sind. Zu Recht stellen daher das EU-Recht in Bezug auf harte vertikale und horizontale Abreden sowie die internationalen Standards in Bezug auf harte horizontale Abreden (OECD-Empfehlungen)20 auf die «Eignung» und nicht auf die tatsächlichen Auswirkungen ab.

Abgesehen davon finden sich bei solchen Vorschlägen Prüfkriterien, die vor dem Hintergrund der ebenfalls vorgeschlagenen und zuvor skizzierten Revision von Artikel 4 Absatz 1 KG zu gewissen Redundanzen und Unklarheiten bei der Prüfung führen würden (so soll sowohl bei der Prüfung nach Art. 4 Abs. 1 KG als auch bei jener gemäss Art. 5 Abs. 1bis E-KG eine Prüfung des Marktanteils der beteiligten Unternehmen von Relevanz sein). Schliesslich würde diese neue Konstruktion sowie die Ver20

Vgl. OECD, Recommendation concerning Effective Action against Hard Core Cartels vom 2. Juli 2019, abrufbar unter: www.oecd.org > Directorate for Financial and Enterprise Affairs > Competition > Recommendation > Recommendation concerning Effective Action against Hard Core Cartels.

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wendung einiger neuer unbestimmter Rechtsbegriffe zu einer deutlich höheren Rechtsunsicherheit führen.

Zusammenfassend sind die deutlich schärferen Umsetzungsvorschläge zur Motion 18.4282 Français wenig zielführend: Die generelle Verschärfung der Anforderungen an eine Wettbewerbsabrede nach Artikel 4 Absatz 1 KG und an die Erheblichkeit nach Artikel 5 Absatz 1bis E-KG ginge weit über die Forderung der Motion 18.4282 Français (Anpassung von Art. 5 KG) hinaus. Der sich ergebende «Swiss Finish» stünde im krassen Widerspruch zum EU-Recht sowie zu den Empfehlungen der OECD und würde eine wirksame Durchsetzung des KG in vielen Fällen verunmöglichen. Dies ginge zulasten des Wettbewerbs und auf Kosten von Konsumentinnen und Konsumenten, Steuerzahlerinnen und -zahlern sowie KMU.

2.5

Motion 21.4189 Wicki

Einen Umsetzungsvorschlag zur Motion 21.4189 Wicki enthielt die Vernehmlassungsvorlage nicht, da der Vorstoss durch das Parlament am 9. Juni 2022 und somit nach Durchführung der Vernehmlassung überwiesen wurde. Da die Umsetzung des Vorstosseses lediglich das Verfahren vor der WEKO als Bundesbehörde betrifft, kann gemäss Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe a des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 200521 auf eine Vernehmlassung zu einem entsprechenden Umsetzungsvorschlag verzichtet werden. Darüber hinaus wohnt den neuen Bestimmungen zur Umsetzung der Motion 21.4189 Wicki ein rein deklaratorischer (also klarstellenden) Charakter inne, sodass mit deren Umsetzung keine materiellen Änderungen für die betroffenen Unternehmen oder die WEKO einhergehen (vgl. Ziff. 4.1.7).

2.6

Reform der Wettbewerbsbehörden (Institutionenreform)

Im Rahmen der Vernehmlassung wurde verschiedentlich gefordert, eine Reform der Wettbewerbsbehörden (Institutionenreform) in die Vorlage aufzunehmen. Der Bundesrat schlug als eines der zentralen Elemente im Rahmen der gescheiterten KGRevision 2012 eine Institutionenreform vor. Allerdings war diese damals stark umstritten und einer der wesentlichen Gründe für das zweimalige Nichteintreten des Nationalrates auf die Vorlage.

Der Bundesrat nimmt diese breit abgestützte Forderung einer Institutionenreform ernst und hat das WBF deshalb beauftragt, ihm im ersten Quartal 2024 einen Vorschlag für eine entsprechende Reform zu unterbreiten.22 Das WBF wird verschiedene Reformmöglichkeiten vorab umfassend prüfen und hat dazu eine unabhängige Expertenkommission eingesetzt. Diese Kommission wird bis Ende 2023 verschiedene Optionen bewerten und dazu breite Kreise anhören.

21 22

SR 172.061 Vgl. Medienmitteilung des Bundesrates vom 17. März 2023, abrufbar unter: www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > «Kartellgesetz: Bundesrat leitet Arbeiten zu einer Reform der Wettbewerbsbehörden ein».

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3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Grundsätzliche Bemerkungen Die in die vorliegende Vorlage aufgenommenen Elemente führen zu einer Annäherung an das EU-Wettbewerbsrecht. Einzig durch die Umsetzung der Motion 18.4282 Français werden neue Differenzen zum EU-Recht geschaffen.

Zusammenschlusskontrolle Im Bereich der Zusammenschlusskontrolle haben sich Tests wie die SIEC-Prüfung zu einem internationalen Standard entwickelt. Seit der Revision der Verordnung (EU) Nr. 139/200423 (FKVO) im Jahr 2004 wendet die Europäische Kommission bei der Analyse von Unternehmenszusammenschlüssen ausdrücklich den SIEC-Test an. Als Reaktion auf diese Änderungen haben immer mehr EU-Mitgliedstaaten ihre Tests überarbeitet, um ihre Rechtsvorschriften an das EU-Recht anzugleichen. Seit August 2022 wird in allen EU-Mitgliedstaaten ein Test angewendet, der die signifikante Behinderung des Wettbewerbs als Massstab hat. Die Umstellung verlief in einigen Ländern schneller als in anderen. So wurden beispielsweise in Deutschland, wo der Marktbeherrschungstest als Prüfungsstandard galt, 2005 zunächst verschiedene Anpassungen der kartellrechtlichen Regelungen zu Zusammenschlüssen vorgenommen, bevor im Jahr 2013 der SIEC-Test eingeführt wurde. Unternehmenszusammenschlüsse in Märkten, welche neben der Schweiz zumindest auch den EWR umfassen, sollen in Zukunft in der Schweiz stark vereinfacht behandelt werden, da sie bereits von den EU-Instanzen beurteilt werden. Hier erfolgt eine Übernahme der europäischen Beurteilung für die Schweiz.

Kartellzivilrecht Die Stärkung des Kartellzivilrechts ist ein international verbreitetes Anliegen. Die EU sieht im Kartellzivilrecht eine wichtige Rolle und hat dieses in den letzten zwanzig Jahren nachhaltig gestärkt. Neben wichtigen Entscheiden des Europäischen Gerichtshofs (EuGH),24 war die Verabschiedung der Richtlinie 2014/104/EU25 im Jahr 2014 ein Meilenstein. Diese beinhaltet einen breiten Strauss von Massnahmen, um eine umfangreiche Mindestharmonisierung der nationalen Zivilrechtsordnungen im Bereich des Kartellrechts zu erreichen. Die EU-Mitgliedstaaten hatten bis Ende 2016 Zeit, deren Regelung in nationales Recht umzusetzen. Die Erfahrungen in der EU mit der Verstärkung des Kartellzivilrechts sind seitdem soweit ersichtlich positiv und auch die oft befürchtete Klageflut blieb aus. Schliesslich wird auch in den USA, wo eine 23 24

25

Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (FKVO), ABl. L 24 vom 29.1.2004, S. 1.

Vgl. insb. EuGH, Urteil vom 20. September 2001, Courage und Crehan, C 453/99, ECLI:EU:C:2001:465; EuGH, Urteil vom 13. Juli 2006, Manfredi, C 295/04, ECLI:EU:C:2006:461.

Richtlinie 2014/104/EU vom 26. November 2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. L 349 vom 5. Dezember 2014, S. 1 (nachfolgend: EUSchadensersatzrichtlinie).

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ausgeprägtere zivilrechtliche Klagekultur herrscht, das Kartellzivilrecht schon lange als wichtig für eine erfolgreiche Durchsetzung des Kartellrechts angesehen.

Mit der vorliegenden Revision werden die Möglichkeiten des kartellzivilrechtlichen Weges nun auch in der Schweiz gestärkt, wobei die vorgesehenen Revisionspunkte deutlich weniger weit gehen als das europäische Recht. Darüber hinaus wird, anders als im EU-Recht, die Möglichkeit der Reduktion von Verwaltungssanktionen bei Leistungen an die Geschädigten ausdrücklich gesetzlich verankert.

Umsetzung der Motion 18.4282 Français Mit der Umsetzung der Motion 18.4282 Français wird durch die Änderung von Artikel 5 KG eine Differenz zum EU-Recht geschaffen. Gemäss diesem sind harte horizontale und harte vertikale Wettbewerbsabreden stets erheblich (im EU-Recht spricht man von «spürbar») und damit nur zulässig, wenn sie aus Gründen der ökonomischen Effizienz gerechtfertigt werden können. Dabei kennt das EU-Recht einen deutlich weiteren Kreis an harten Wettbewerbsabreden als das Schweizer Recht (im EU-Recht spricht man von «Kernbeschränkungen»). Diese Konzeption besteht soweit ersichtlich grundsätzlich auch im nationalen Kartellrecht der EU-Mitgliedstaaten.26 Insofern geht das geltende Schweizer Kartellrechtrecht bereits heute weniger weit als das EU-Recht. Diese Differenz wird durch die von der Motion verlangte Anpassung von Artikel 5 KG nun noch weiter vergrössert.

Darüber hinaus widerspricht die Umsetzung der Motion auch den OECD-Empfehlungen. Gemäss diesen Empfehlungen stellen harte horizontale Abreden (im Sinne von Art. 5 Abs. 3 KG) die schwersten Verstösse gegen das Kartellrecht dar. Sie haben ein hohes Potenzial, den Wettbewerb unter direkten Konkurrenten zumindest erheblich zu beeinträchtigen. Deshalb ist es auch ökonomisch vertretbar, solchen Abreden eine grundsätzliche erheblich wettbewerbsbeschränkende Wirkung zuzuschreiben, die allenfalls durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz gerechtfertigt werden können.27 Die Aufdeckung, Untersuchung und Verfolgung von solchen Kartellen ist daher ein vorrangiges politisches Ziel der OECD und eine Durchsetzungspriorität für die Wettbewerbsbehörden im OECD-Raum und darüber hinaus. Letztlich droht mit der Umsetzung der Motion 18.4282 Français eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz
durch eine im internationalen Vergleich milde Beurteilung harter Wettbewerbsabreden.

Schliesslich besteht ein Risiko, dass sich die vorliegende Anpassung auf die internationale Zusammenarbeit im Rahmen des Kooperationsabkommens CH-EU auswirkt.

Dieses Abkommen beruht auf der Gleichwertigkeit der kartellrechtlichen Bestimmungen der beiden Vertragsparteien (vgl. Abs. 3 der Präambel des Kooperationsabkommens CH-EU). Durch eine im Vergleich zum EU-Recht deutlich permissivere Ausgestaltung der kartellrechtlichen Regelung von Wettbewerbsabreden in der Schweiz 26

27

Vgl. hierzu u. a. die weitgehende (faktische) «Vollharmonisierung» der kartellrechtlichen Regelungen betreffend Wettbewerbsabreden gemäss Art. 3 Abs. 1 und 2 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. L 1 vom 4. Januar 2003, S. 1.

Vgl. dazu auch Massimo Motta, 2004, Competition Policy ­ Theory and Practice, Cambridge, S. 191.

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ist nicht auszuschliessen, dass die Zusammenarbeit der WEKO mit der Europäische Kommission erschwert wird.

Die gesetzliche Klarstellung hinsichtlich der grundsätzlichen Unbedenklichkeit von ARGE (Art. 4 Abs. 1bis E-KG) sowie die neue Regel für leichte Verstösse (Art. 27 Abs. 1bis E-KG) stehen hingegen nicht im Widerspruch zum EU-Recht. Auch in der EU werden ARGE grundsätzlich nicht als Wettbewerbsabreden angesehen. Die neue Regel zum Aufgreifermessen bei leichten Verstössen kann mit dem auch im europäischen Recht bestehenden Opportunitätsprinzip verglichen werden.

4

Grundzüge der Vorlage

4.1

Die beantragte Neuregelung

4.1.1

Modernisierung der Zusammenschlusskontrolle

Wechsel zum SIEC-Test Die im KG vorgesehene Zusammenschlusskontrolle verfolgt einen präventiven Zweck und zielt darauf ab, künftige Wettbewerbsbeschränkungen zu vermeiden.

Heute kann die WEKO bei Zusammenschlüssen intervenieren, wenn durch den Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird, durch die der wirksame Wettbewerb beseitigt werden kann (Art. 10 Abs. 2 Bst. a KG).

Diese Schwelle wird als «qualifizierte» Marktbeherrschung bezeichnet. Zudem dürfen die Nachteile dieser marktbeherrschenden Stellung nicht durch eine Verbesserung der Wettbewerbsverhältnisse auf anderen Märkten überwogen werden (Art. 10 Abs. 2 Bst. b KG). Neu kann die WEKO intervenieren, wenn der Zusammenschluss den Wettbewerb signifikant behindert, insbesondere indem er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt und die Nachteile dieser Behinderung nicht durch Effizienzvorteile, die sich spezifisch aus dem Zusammenschluss ergeben, ausgeglichen werden (Art. 10 Abs. 2 E-KG). Die Zusammenschlusskontrolle orientiert sich damit stärker an ökonomischen Prinzipien und wird zielgerichteter, da sie den Verlust an Wettbewerb direkter adressiert.

Erstens können mit dem SIEC-Test neu auch Zusammenschlüsse untersagt oder mit Auflagen und Bedingungen zugelassen werden, die den Wettbewerb signifikant behindern, aber unterhalb der Marktbeherrschungsschwelle liegen. In oligopolistischen Märkten kann der fusionsbedingte Wegfall eines Konkurrenten beispielweise zu Preissteigerungen führen, auch wenn kein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung innehat (vgl. dazu Ziff. 5.3). International ist deshalb unbestritten, dass die Zusammenschlusskontrolle die erforderlichen Instrumente bereitstellen muss, um grundsätzlich bei jedem zu einer signifikanten Behinderung des Wettbewerbs führenden Zusammenschluss intervenieren zu können.28 Die Begründung oder Verstärkung 28

Vgl. etwa OECD, 2020, Merger Control in the Time of COVID-19; OECD, 2020, Merger Control in Dynamic Markets; International Competition Network (ICN), 2017, Recommended Practices for Merger Analysis; OECD, 2016, Executive Summary of the Roundtable on Jurisdictional Nexus in Merger Control Regimes; OECD, 2013, Report on Country Experiences with the 2005 OECD Recommendation on Merger Review.

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einer marktbeherrschenden Stellung ist nach wie vor als potenziell besonders problematisch zu qualifizieren. Eine solche Stellung erlaubt es dem fusionierten Unternehmen, sich von den anderen Marktteilnehmern unabhängig zu verhalten und dabei den Wettbewerb signifikant zu behindern. Die Vorlage hebt denn auch als Regelbeispiel hervor, dass der wirksame Wettbewerb, insbesondere durch die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung signifikant behindert werden kann.

Zweitens können mit dem SIEC-Test Effizienzvorteile eines Zusammenschlusses viel umfassender berücksichtigt werden. Zusammenschlüsse können zu erheblichen Effizienzgewinnen führen, beispielsweise durch die Realisierung von Grössen- und Verbundvorteilen. Mit dem SIEC-Test können neu sämtliche Effizienzvorteile eines Zusammenschlusses bei der Beurteilung berücksichtigt werden, sofern sie begründet und überprüfbar sind sowie spezifisch durch den Zusammenschluss bewirkt werden. Bis anhin konnten nur Verbesserungen der Wettbewerbsverhältnisse in einem anderen Markt, welche die Nachteile der marktbeherrschenden Stellung überwiegen, berücksichtigt werden.

Der SIEC-Test erlaubt somit, das Spannungsfeld zwischen unerwünschten Effekten auf den Wettbewerb und erwünschten Effizienzgewinnen in der Zusammenschlusskontrolle umfassend zu berücksichtigen. Zu diesem Schluss kommen auch zwei Studien, welche den Wechsel zum SIEC-Test für die Schweiz analysieren. Die erste Studie29 vermittelt einen Überblick über die in der Schweiz und in der EU geltenden Vorschriften zur Zusammenschlusskontrolle. Sie zeigt, dass der Wechsel zum SIECTest ökonomisch sinnvoll ist. Ausserdem kommt sie zu dem Schluss, dass die Einführung einer dem EU-Recht äquivalenten Zusammenschlusskontrolle die Tendenz zu konzentrierten Märkten, welche durch wenige und grosse Wettbewerber gekennzeichnet sind, in der Schweiz verringern könnte. Die zweite Studie30 analysiert hypothetisch anhand eines Vergleichs mit der EU-Praxis, inwiefern Schweizer Fälle anders hätten beurteilt werden können. In einigen Fällen wären auf der Basis des SIEC-Tests womöglich restriktivere Entscheide gefällt oder aufgrund des Schädigungspotenzials bestimmter Zusammenschlüsse vielleicht sogar entsprechende Verbote ausgesprochen worden.31 Gemäss der Studie sind Tests wie die SIEC-Prüfung auch mit
Blick auf die digitalisierte Wirtschaft geeigneter und zielführender, weil sie sich weniger auf Strukturdaten (wie Marktanteile) stützen als der qualifizierte Marktbeherrschungstest.

29

30

31

Swiss Economics, 2017, Einführung des SIEC-Tests: Auswirkungen auf die Schweizer Fusionskontrolle (nachfolgend: Studie Swiss Economics), abrufbar unter: www.seco.admin.ch > Wirtschaftslage & Wirtschaftspolitik > Wettbewerb > Kartellgesetz > Kartellgesetzrevision (2023).

Polynomics und Prager Dreifuss, 2020, Juristisch-ökonomisches Gutachten zum Einfluss des SIEC-Tests auf die Fusionspraxis der Wettbewerbsbehörden, (nachfolgend: Studie Polynomics und Prager Dreifuss), abrufbar unter: www.seco.admin.ch > Publikationen und Dienstleistungen > Wettbewerb und Service Public > Kartellgesetz.

Siehe Studie Polynomics und Prager Dreifuss, S. 11 ff. (Übernahme von Steffen-Ris Holding AG durch Fenaco) und S. 14 ff. (Übernahme von Denner durch Migros).

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Vermeidung von Doppelspurigkeiten bei internationalen Zusammenschlüssen und Erleichterung der Zusammenarbeit mit der EU und Deutschland Die heutige Zusammenschlusskontrolle bindet bezüglich international gemeldeter Zusammenschlüsse viele Ressourcen. So werden grenzüberschreitende Zusammenschlüsse von Unternehmen einer gewissen Grösse, die international tätig sind, heute oft parallel in mehreren Staaten gemeldet und geprüft. Dies verursacht insbesondere für die Unternehmen einen Mehraufwand, oftmals ohne dass es wegen des Verfahrens in der Schweiz zu zusätzlichen Implikationen für das Unternehmen kommt.32 Daher führt die vorliegende Revision eine Vereinfachung der Meldepflicht von grenzüberschreitenden Unternehmenszusammenschlüssen ein. Diese müssen der WEKO nicht mehr gemeldet werden, wenn sämtliche vom Zusammenschlussvorhaben betroffenen sachlichen Märkte nebst der Schweiz auch den EWR umfassen und das Zusammenschlussvorhaben von der Europäischen Kommission beurteilt wird. In der Vernehmlassung wurde mehrmals darauf hingewiesen, dass die Frage, ob alle sachlichen Märkte auch den EWR umfassen, im Einzelfall schwierig zu beantworten sein kann.

Ziel dieser Regelung ist aber gerade die Vermeidung von Doppelprüfungen bei eindeutigen Fällen.

Anpassung der Fristverlängerungen Eine Anpassung der Fristverlängerungen bei der Einleitung und der Durchführung des Prüfungsverfahrens an diejenigen der EU ist vorgesehen, um internationale Verfahren zu vereinfachen, wenn die Prüfung eines Zusammenschlusses aufgrund einer nationalen Marktabgrenzung auch in der Schweiz erforderlich ist.

4.1.2

Stärkung des Kartellzivilrechts

Im Sinne eines effektiven Wettbewerbsschutzes ist eine Stärkung des in der heutigen Praxis nur äusserst selten angewandten Kartellzivilrechts sinnvoll. Neben der Möglichkeit, dass alle von Wettbewerbsbeschränkungen Betroffenen Schadenersatz verlangen können, ist das Kartellzivilrecht auch wichtig für eine effektive Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Allgemeinen. Eine Stärkung des Kartellzivilrechts wird es der WEKO noch besser erlauben, sich auf Fälle zu konzentrieren, die besonders im öffentlichen Interesse liegen.

Zivilprozesse wegen Kartellrechtsverletzungen sind in der Schweiz selten. Die Betroffenen von unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen gehen oft lieber den grundsätzlich kostenlosen Weg über das Verwaltungsverfahren, auch wenn sie in diesem Rahmen keine Ansprüche auf Schadenersatz, Genugtuung und Gewinnherausgabe stellen können. Mit der vorliegenden Revision werden durch systemkonforme Änderungen bestehende Hindernisse zur zivilrechtlichen Klageerhebung abgeschafft. Der Bundesrat nimmt hierzu die Elemente aus dem gescheiterten Revisionsvorhaben 2012 wieder auf. Schliesslich ist das Kartellzivilrecht in der Schweiz im internationalen 32

Vgl. Evaluationsgruppe Kartellgesetz, 2008, Zusammenschlusskontrolle, Überprüfung der Notwendigkeit einer Revision, Projektbericht P17 der KG-Evaluation gemäss Art. 59a KG, Bern, S. 38 ff.

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Vergleich rudimentär ausgestaltet. Nicht zuletzt sind auch die bisherigen Erfahrungen aus der EU, wo das Kartellzivilrecht in den letzten Jahren insbesondere durch die Verabschiedung der EU-Schadensersatzrichtlinie nachhaltig gestärkt wurde, durchwegs positiv.33 Die Vorlage beinhaltet folgende Revisionselemente im Bereich des Kartellzivilrechts:

33

34

35 36

­

Die Aktivlegitimation (Klageberechtigung) wird auf alle von unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen Betroffenen ­ gerade auch auf die Konsumentinnen und Konsumenten sowie die öffentliche Hand (z. B. öffentliche Auftraggeber) ­ ausgedehnt. Gemäss dem Wortlaut von Artikel 12 Absatz 1 KG sind bisher lediglich Betroffene, die durch eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs behindert werden, zur Einreichung einer zivilrechtlichen Klage legitimiert. Erfasst werden zudem grundsätzlich auch indirekt Betroffene, womit insbesondere auch Kundinnen und Kunden der übernächsten Marktstufe gemeint sind. Die Ausdehnung der Aktivlegitimation steht nicht im Zusammenhang mit der bundesrätlichen Vorlage zum kollektiven Rechtsschutz, wie dies in der Vernehmlassung vereinzelt vermutet wurde.34

­

Eingeführt wird eine Verjährungshemmung von zivilrechtlichen Ansprüchen aus unzulässiger Wettbewerbsbeschränkung, und zwar vom Zeitpunkt der Untersuchungseröffnung der WEKO bis zum rechtskräftigen Entscheid. So können Betroffene Zivilansprüche länger geltend machen.

­

Die drei im geltenden Recht bestehenden Ansprüche bzw. Klagearten in Bezug auf unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen (Art. 12 Abs. 1 KG) werden in Anlehnung an Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe c des Bundesgesetzes vom 19. Dezember 198635 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) sowie an Artikel 28a Absatz 1 Ziffer 3 des Zivilgesetzbuches (ZGB)36 (und in Anknüpfung an das KG aus dem Jahr 1985) um einen Anspruch auf Feststellung der Widerrechtlichkeit einer Wettbewerbsbeschränkung ergänzt.

­

Freiwillig geleistete Schadenersatzzahlungen sollen neu auch nach dem Entscheid der WEKO bei einer allfälligen Verwaltungssanktion belastungsmindernd berücksichtigt werden können.

Vgl. etwa Medienmitteilung «Kartellrecht: Kommission veröffentlicht Bericht über Umsetzung der Schadensersatzrichtlinie» der EU-Kommission vom 14. Dezember 2020, abrufbar unter: www.ec.europa.eu > Deutsch > Nachrichten > Erweiterte Suche > Stichwörter > «Kartellrecht: Kommission veröffentlicht Bericht über Umsetzung der Schadensersatzrichtlinie» Vgl. Botschaft vom 10. Dezember 2021 zur Änderung der Schweizerischen Zivilprozessordnung (Verbandsklage und kollektiver Vergleich), BBl 2021 241 S. 3048. Die vorberatende Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates hat ihren Eintretensentscheid bis voraussichtlich Sommer 2023 sistiert und die Verwaltung um die Beantwortung einer Reihe weiterer Fragen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Vorlage sowie der Rechtslage in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten gebeten. Wesentliche Auswirkungen der vorliegenden Ausdehnung der Aktivlegitimation in kartellrechtlichen Zivilverfahren sind durch das Dossier «kollektiver Rechtsschutz» nicht zu erwarten.

SR 241 SR 210

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­

Schliesslich werden zwei formelle Anpassungen im Kartellzivilrecht (Streichung von Art. 12 Abs. 3 KG sowie Anpassung von Art. 13 Bst. a KG) vorgenommen.

Für das Kartellzivilrecht ist schliesslich auch die Regelung von Artikel 15 KG zu beachten: Steht in einem zivilrechtlichen Verfahren die Zulässigkeit einer Wettbewerbsbeschränkung nach Artikel 5 oder 7 KG in Frage, so wird die Sache gemäss Artikel 15 Absatz 1 KG der WEKO zur Begutachtung vorgelegt. Soll das Kartellzivilrecht gestärkt werden, stellt sich auch die Frage nach einer Anpassung dieser Bestimmung.

Mit der Stärkung des Kartellzivilrechts dürfte auch eine höhere Anzahl an entsprechenden Gutachten auf die WEKO zukommen. Diese Zahl könnte sich darüber hinaus mit den kürzlich in Kraft getretenen Regelungen zur relativen Marktmacht per 1. Januar 2022, die das Parlament im Rahmen seines indirekten Gegenvorschlags zur FairPreis-Initiative eingeführt hat,37 zusätzlich erhöhen. Diesen Entwicklungen wohnt die Gefahr einer Überlastung der WEKO inne, unter anderem auch deshalb, weil sie Anfragen der Zivilgerichte grundsätzlich nicht ablehnen kann. Gegenwärtig ist jedoch unklar, in welchem Ausmass kartellzivilrechtliche Verfahren zunehmen und die Zivilgerichte an die WEKO gelangen werden. Angesichts dieser Unsicherheiten sieht der Bundesrat derzeit von einer Anpassung von Artikel 15 KG ab. Abhängig von den Entwicklungen in der Praxis wird er diese Frage allenfalls in Zukunft erneut aufnehmen.

4.1.3

Verbesserung des Widerspruchsverfahrens

Das Widerspruchsverfahren (Art. 49a Abs. 3 Bst. a KG) sieht vor, dass ein Unternehmen den Wettbewerbsbehörden geplante Verhaltensweisen, welche allenfalls als unzulässige und direkt sanktionierbare Wettbewerbsbeschränkungen eingestuft werden könnten, vor deren Umsetzung melden kann. Falls die Wettbewerbsbehörden nicht innert der Widerspruchsfrist intervenieren, entfällt für das Unternehmen das Sanktionsrisiko für die gemeldete Verhaltensweise. Das Widerspruchsverfahren wurde nach dessen Einführung im Jahr 2004 bis im Jahr 2011 mit durchschnittlich gut 20 Fällen pro Jahr rege genutzt, seit 2012 mit höchstens zwei Verfahren pro Jahr allerdings kaum noch.

Das Bedürfnis nach einem praxistauglichen Widerspruchsverfahren ist allerdings weiterhin vorhanden und könnte in verschiedenen Bereichen zukünftig noch grösser werden. Denkbar ist dies etwa bei bestimmten Formen von Daten- oder Nachhaltigkeitskooperationen, wo heute in Einzelfällen Rechtsunsicherheit bestehen könnte. Der Bundesrat möchte das bestehende Widerspruchsverfahren durch zwei Änderungen deshalb innovationsfreundlicher und praxistauglicher gestalten.

Erstens bleibt das direkte Sanktionsrisiko nach einer Meldung nur dann bestehen, wenn eine Untersuchung nach Artikel 27 KG innert der Widerspruchsfrist eröffnet wird. Führt das WEKO-Sekretariat lediglich eine Vorabklärung gemäss Artikel 26 KG durch, ohne eine formelle Untersuchung innert der Widerspruchsfrist zu eröffnen, erlischt neu das direkte Sanktionsrisiko für das gemeldete Verhalten definitiv. Stellt 37

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sich das Verhalten im Nachhinein doch als kartellrechtswidrig heraus, so kann es einzig für die Zukunft untersagt werden ­ eine direkte Sanktion nach Artikel 49a Absatz 1 KG ist ausgeschlossen. In unklaren Fällen also, wo eine Wettbewerbsbeschränkung durch ein Verhalten nicht ausgeschlossen werden kann, gleichzeitig aber auch keine Anhaltspunkte zur Eröffnung einer Untersuchung bestehen, soll die entsprechende Verhaltensweise nicht durch das Risiko einer möglichen Sanktionsandrohung verhindert werden. Die vorgeschlagene Regelung ist somit innovationsfreundlich, da sie im Zweifelsfall eine direkte Sanktionierung ausschliesst.

Zweitens wird das Widerspruchsverfahren verkürzt. Die gesetzliche Frist für das Widerspruchsverfahren wird von fünf auf zwei Monate reduziert. Die Wettbewerbsbehörden müssen somit neu innert zwei Monaten entscheiden, ob eine Untersuchung eröffnet werden soll. Falls dies nicht geschieht, entfällt das Sanktionsrisiko für das gemeldete Verhalten definitiv. Damit steigt der Anreiz für die Unternehmen, vom Widerspruchsverfahren Gebrauch zu machen.

4.1.4

Einführung von Ordnungsfristen bei Verwaltungsverfahren (Umsetzung der Motion 16.4094 Fournier)

Im Rahmen der Umsetzung der Motion 16.4094 Fournier werden Ordnungsfristen für die Durchführung von Verwaltungsverfahren bei den Wettbewerbsbehörden und vor Gericht in das KG aufgenommen. Verwaltungsverfahren können mehrere Jahre dauern und hohe Kosten für die Unternehmen und Gerichte verursachen. Die langen Verfahren sind auch auf internationaler Ebene ein Hauptkritikpunkt am Wettbewerbsrecht, gerade auch mit Blick auf dynamische digitale Märkte. Daher ist die Einführung von Ordnungsfristen, die zu einer wirksamen Beschleunigung der Verfahren führen, sinnvoll. Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, dass mit der Einführung von Fristen die Gefahr einhergeht, dass die Qualität der Ermittlungen und Entscheidungen und damit auch die Rechtssicherheit beeinträchtigt werden. Zudem wirft eine solche Regelungen Fragen hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz sowie der Gleichbehandlung auf. Für eine Priorisierung kartellrechtlicher Verfahren zulasten der Verfahrensdauer anderer (verwaltungsrechtlicher) Verfahren gibt es keine sachlichen Gründe.

Die Motion 16.4094 Fournier enthält keine Angaben über die genaue Höchstdauer des kartellrechtlichen Verfahrens. Aktuell dauert ein Verfahren, das über alle Instanzen geht, von der Eröffnung der Untersuchung durch die Wettbewerbsbehörden bis zum letztinstanzlichen Entscheid des Bundesgerichts im Durchschnitt acht Jahre.38 Diese Dauer soll reduziert werden. Auf Grundlage des «comply or explain»-Prinzips (Vorschriften einhalten oder Abweichungen davon erklären) werden Ordnungsfristen für alle Instanzen eingeführt. Von der Gesamtfrist von 60 Monaten (ab Eröffnung einer formellen Untersuchung) entfallen 30 Monate auf die WEKO, 18 Monate auf das Bundesverwaltungsgericht und zwölf Monate auf das Bundesgericht. Der WEKO wird eine längere Frist eingeräumt, weil die Abklärung des Sachverhalts (z. B. Marktabgrenzung, Markt- und Wettbewerbsanalyse) einen grösseren Arbeitsaufwand mit 38

Eigene Berechnungen des Bundesrates.

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sich bringt. Bei einer Rückweisung an die Vorinstanz beläuft sich die Ordnungsfrist auf jeweils zwölf Monate, da ein Grossteil der erforderlichen Abklärungen bereits bei der ersten Beurteilung vorgenommen worden sein dürfte. Somit sind die Behörden und Gerichte verpflichtet, die Ordnungsfristen in allen Phasen des Verfahrens einzuhalten.

4.1.5

Einführung von Parteientschädigungen für die Kosten der Verwaltungsverfahren (Umsetzung der Motion 16.4094 Fournier)

Die zweite angenommene Forderung der Motion 16.4094 Fournier betrifft die Einführung einer Entschädigung der Parteien für die Kosten der Verwaltungsverfahren.

Die Verwaltungsverfahren im Kartellrecht sind oft komplex, lang und aufwendig. Daher wird den betroffenen Unternehmen neu ­ je nach Ausgang des Verfahrens ­ eine Parteienentschädigung zugesprochen.

Das KG enthält bisher keine spezielle Regelung über eine verwaltungsrechtliche Entschädigung. Laut Artikel 39 KG sind auf die kartellrechtlichen Verwaltungsverfahren die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 196839 (VwVG) anwendbar. Parteientschädigungen erwachsen nicht einem allgemeinen prozessualen Grundsatz und sind insbesondere im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren unüblich, wodurch sie einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedürfen.40 Das geltende Recht enthält die Grundlage für die Zusprechung einer Parteientschädigung lediglich im Beschwerdeverfahren. Auf Ebene des Bundesverwaltungsgerichtes ist dies in Artikel 64 VwVG i. V. m. Artikel 37 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 200541 und auf Ebene des Bundesgerichtes in Artikel 68 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 200542 (BGG) geregelt. Somit impliziert diese Forderung der Motion eine Änderung des KG, durch welche die Möglichkeit einer Parteientschädigung für die Unternehmen bereits im erstinstanzlichen Verfahren geregelt wird. Konkret wird mit der neuen Regelung betroffenen Unternehmen eine Parteienentschädigung zugestanden, sofern das Untersuchungsverfahren gemäss Artikel 27 KG durch die Wettbewerbsbehörden ohne Folgen ganz oder teilweise eingestellt wurde. Unternehmen erhalten künftig die Möglichkeit, je nach Ausgang der betreffenden Verwaltungsverfahren für ihre Aufwendungen entschädigt zu werden.

39 40 41 42

SR 172.021 BGE 132 II 47 E. 5.2 SR 173.32 SR 173.110

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4.1.6

Revision der Artikel 4, 5 und 27 KG (Umsetzung Motion 18.4282 Français)

Forderung der Motion 18.4282 Français Die überwiesene Motion 18.4282 Français beauftragt den Bundesrat, dem Parlament einen Vorschlag zur Präzisierung von Artikel 5 KG vorzulegen. Die beantragte Anpassung ist eine Reaktion auf den Entscheid des Bundesgerichts in Sachen Gaba.

Der Entscheid des Bundesgerichts in Sachen Gaba Das Bundesgericht hielt fest, dass die in Artikel 5 Absätze 3 und 4 KG aufgeführten fünf Typen von harten Wettbewerbsabreden (horizontale Preis-, Mengen- und Gebietsabreden, vertikale Preisbindungen und absoluter Gebietsschutz) in der Regel die Erheblichkeitsschwelle43 erreichen bzw. grundsätzlich das Kriterium der Erheblichkeit44 nach Artikel 5 Absatz 1 KG erfüllen. Der Gesetzgeber selbst ist sogar davon ausgegangen, dass diese fünf Abredearten den wirksamen Wettbewerb vermutungsweise beseitigen. Daher sind diese Abredearten, also Abreden von dieser bestimmten Qualität, besonders schädlich und bereits aufgrund ihres Gegenstandes grundsätzlich erheblich.45 Festzuhalten ist, dass mit dem Entscheid des Bundesgerichts in Sachen Gaba keine Änderung der Beweislast einhergeht. Die WEKO hat weiterhin das Vorliegen einer unzulässigen Wettbewerbsabrede gemäss Artikel 4 Absatz 1 und Artikel 5 KG zu beweisen.

Auch wenn diese fünf Typen harter Abreden grundsätzlich erheblich sind, bedeutet dies nicht, dass diese stets unzulässig sind. Vielmehr ist nach Feststellung der Erheblichkeit in einem nächsten Schritt die Frage der wirtschaftlichen Effizienz der jeweiligen Wettbewerbsabrede zu untersuchen. Nur wenn keine ökonomischen Rechtfertigungsgründe gemäss Artikel 5 Absatz 2 KG vorliegen, ist eine erhebliche Wettbewerbsabrede gemäss Artikel 5 KG unzulässig. Eine ökonomische Einzelfallbeurteilung ist somit erst im Rahmen der Effizienzprüfung vorzunehmen (so sieht auch Art. 6 KG nur die Konkretisierung von Fragen der wirtschaftlichen Effizienz und nicht von solchen bzgl. der Erheblichkeit vor46). Dort ist zu beurteilen, ob eine wettbewerbsbeschränkende Abrede im Ergebnis positive ökonomische Wirkungen hat oder nicht.47 Die Behandlung von ARGE unter dem KG Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen der Motion 18.4282 Français war die kartellrechtliche Behandlung von ARGE ­ vor allem in der Baubranche ­ der wesentliche Diskussionspunkt. So wurde befürchtet, ARGE seien durch die Rechtsprechung des
Bundesgerichts nun in der Praxis regelmässig nicht mehr zulässig bzw. es bestehe zumindest grosse Rechtsunsicherheit hinsichtlich deren rechtmässiger Bildung.

43 44

45 46 47

BGE 143 II 297 E. 5.2.5, Gaba BGE 143 II 297 E. 5.6, Gaba, siehe hierzu auch das Parallelverfahren BGer vom 4. April 2017, 2C_172/2014, Gebro Pharma GmbH gegen Wettbewerbskommission, E. 2.3.

BGE 143 II 297 E. 5.2.4 f., Gaba BGE 143 II 297 E. 5.1.4, Gaba BGE 143 II 297 E. 5.3.2, Gaba

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Bei einer ARGE ist die zentrale kartellrechtliche Frage, ob sie überhaupt eine «Wettbewerbsabrede» im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 KG darstellt. Eine ARGE beruht zwar typischerweise auf einem Vertrag (und damit auf einer Vereinbarung nach Art. 4 Abs. 1 KG), aber ist in aller Regel keine Wettbewerbsabrede im Sinne des KG. Eine solche liegt ausschliesslich dann vor, wenn «eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt» wird (Art. 4 Abs. 1 KG). Gerade dies ist bei ARGE regelmässig nicht der Fall. Im Gegenteil, in der Regel fördert die Kooperation im Rahmen von ARGE den Wettbewerb, indem sie Unternehmen (insb. KMU) überhaupt erst ermöglicht, für ein bestimmtes Projekt zu offerieren und dieses durchzuführen. Daher stellt sich bei ihnen die Frage nach der Erheblichkeit im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 KG nicht.

ARGE können kartellrechtlich unzulässig sein, wenn sie den Wettbewerb beschränken, indem sie etwa die Zahl konkurrierender Offerten begrenzen (wenn sich z. B. bei einem Einladungsverfahren die eingeladenen Bauunternehmen, die den Auftrag problemlos allein durchführen könnten, in einer ARGE zusammenschliessen, um den Wettbewerb zwischen sich auszuschalten). Solche ARGE können Wettbewerbsabreden im Sinne des KG darstellen. Es obliegt allerdings den Wettbewerbsbehörden zu beweisen, dass eine solche wettbewerbsbeschränkende Abrede vorliegt.

Die mit dem Gaba-Entscheid einhergehende Klärung betrifft die Frage der «Erheblichkeit» im Rahmen der Zu- oder Unzulässigkeit von Wettbewerbsabreden im Sinne von Artikel 5 KG. Gerade diese Frage spielte bei Submissionsabreden bereits vor dem Gaba-Entscheid praxisgemäss kaum eine Rolle, denn solche Abreden beeinträchtigen den Wettbewerb bereits nach früherer Praxis in der Regel erheblich, da sie typischerweise mit einem bedeutenden Marktanteil der Beteiligten am jeweiligen relevanten Markt einhergingen. Folglich führt der Gaba-Entscheid nicht zu einer schärferen Beurteilung von ARGE, wie die seither gelebte Praxis der Wettbewerbsbehörden zeigt.

Einführung von Artikel 4 Absatz 1bis E-KG (erstes Element zur Umsetzung der Motion 18.4282 Français) Vor dem Hintergrund der zuvor skizzierten parlamentarischen Diskussion sowie der Stellungnahmen verschiedener Teilnehmenden der Vernehmlassung betreffend die Motion 18.4282 Français wird mit der Einführung eines neuen
Artikel 4 Absatz 1bis E-KG dem Anliegen zur Schaffung von Rechtssicherheit betreffend die Bildung von ARGE Rechnung getragen. Das KG hält nun ausdrücklich fest, dass ARGE, welche den wirksamen Wettbewerb ermöglichen oder stärken, keine Wettbewerbsabrede darstellen.

Einführung von Artikel 5 Absatz 1bis E-KG (zweites Element zur Umsetzung der Motion 18.4282 Français) Die Motion spricht von der «Präzisierung» von Artikel 5 KG, um die Rechtssicherheit für die Unternehmen zu erhöhen. In der parlamentarischen Debatte wurde klar, dass sich die Befürchtungen einer ungenügenden Rechtssicherheit insbesondere auf die Bildung von ARGE beziehen.48 Auch wenn die Praxis zu Artikel 5 KG nicht mit der 48

Vgl. etwa die Voten von SR Feller und SR Noser in der Debatte vom 15. Dezember 2020, AB 2020 S 1374 ff.

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ARGE-Thematik in Zusammenhang steht, sieht die Vorlage ­ neben einem neuen Artikel 4 Absatz 1bis EKG sowie einem neuen Artikel 27 Absatz 1bis E-KG ­ gemäss dem ausdrücklichen Wunsch des Parlaments eine Revision von Artikel 5 Absatz 1 KG vor, wonach bei harten horizontalen und harten vertikalen Wettbewerbsabreden auch quantitative Kriterien (bspw. Markanteile, Umsätze, Markteintritte und -austritte etc.)

zu berücksichtigen sind. Insbesondere aufgrund der Vielfalt und Komplexität des Wirtschaftslebens sowie des mit dem Instrument der Marktabgrenzung einhergehenden grossen Interpretationsspielraums sind fixe Schwellenwerte für solche wettbewerbsökonomisch relevanten Faktoren allerdings abzulehnen. Daher bietet sich eine flexible Lösung im Sinne der Festlegung des erforderlichen Masses des quantitativen Elements der Erheblichkeit im Einzelfall an.

Durch den neuen Artikel 5 Absatz 1bis KG werden bei jeder harten horizontalen und vertikalen Wettbewerbsabrede, für die die Vermutung der Beseitigung wirksamen Wettbewerbs widerlegt werden kann, einzelfallweise ökonomische Aspekte geprüft, und zwar sowohl bei der Erheblichkeit als auch wie bisher bei der Effizienzrechtfertigung. Durch diese Änderung sowie durch die Schaffung eines neuen Artikel 4 Absatz 1bis E-KG und eines neuen Artikel 27 Absatz 1bis E-KG wird das Anliegen der Motion 18.4282 Français erfüllt.

Mit der Einfügung eines neuen Artikel 5 Absatz 1bis E-KG gehen allerdings wesentliche Nachteile für die Unternehmen und Behörden (Wettbewerbsbehörden und Gerichte) einher: Neben einem gesteigerten Mass an Rechtsunsicherheit sowie einer Mehrbelastung für die Wettbewerbsbehörden und Gerichte konterkariert eine solche Revision die Bemühungen des Parlaments hinsichtlich der Verkürzung der verwaltungsrechtlichen Kartellverfahren gemäss der Motion 16.4094 Fournier sowie die Bemühungen des Bundesrates betreffend das Kartellzivilrecht. Zudem entfernt die neue Bestimmung das Schweizer Kartellrecht in Bezug auf harte Wettbewerbsabreden von den internationalen Standards und steht den entsprechenden OECD-Empfehlungen entgegen.

Schliesslich geht hiermit auch ein gewisser Widerspruch zu den per 1. Januar 2022 eingeführten neuen Bestimmungen zur relativen Marktmacht (Art. 4 Abs. 2bis und Art. 7 KG) einher, mit welchen das Parlament die Hochpreisinsel Schweiz
bekämpfen will. Die aufgrund der Motion 18.4282 Français geplante quantitative Analyse von Wettbewerbsabreden gemäss Artikel 5 Absatz 4 KG kann in Einzelfällen dazu führen, dass der Schweizer Markt einfacher abgeschottet werden kann, da harten vertikalen Abreden zwischen in- und ausländischen Unternehmen nicht mehr eine grundsätzliche Erheblichkeit zugesprochen werden kann: Durch vertragliche Gestaltung könnten diese Unternehmen den Import in die Schweiz verhindern, während die neuen Bestimmungen zur relativen Marktmacht dies bei einseitigem Verhalten von Unternehmen mit relativer Marktmacht gerade unterbinden wollen. Das könnte den Wettbewerbsdruck in der Schweiz reduzieren. In der Folge könnten die betroffenen Preise in der Schweiz steigen.

Einführung von Artikel 27 Absatz 1bis E-KG (drittes Element zur Umsetzung der Motion 18.4282 Français) Ergänzend zu den Anpassungen von Artikel 4 und 5 KG wird für leichte Wettbewerbsverstösse ­ als Ausfluss des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes ­ ausdrücklich 29 / 62

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das Opportunitätsprinzip verankert, um zu verhindern, dass die WEKO solche Verstösse aufgreifen muss. Die Formulierung lehnt sich einerseits an entsprechende Forderungen aus der Vernehmlassung (vgl. Ziff. 2.3) und andererseits an die gescheiterte KG-Revision 2012 an. Im Rahmen der damaligen parlamentarischen Beratungen wurde im Ständerat die Einführung einer Regelung beschlossen, wonach die WEKO keine Untersuchung eröffnet, sofern eine Wettbewerbsbeschränkung (im Sinne von Art. 5 und 7 KG) einen «vernachlässigbaren Einfluss auf den Wettbewerb» hat. Insbesondere vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Einführung des Instruments der relativen Marktmacht, das primär bilaterale Streitigkeiten betrifft, bietet sich eine Kann-Formulierung an, die nicht auf einen «vernachlässigbaren Einfluss auf den Wettbewerb», sondern auf leichte Verstösse abstellt. Zudem erlaubt die neue Bestimmung bei leichten Verstössen sowohl das Nichtaufgreifen als auch die Einstellung laufender Verfahren.

4.1.7

Statuierung des Untersuchungsgrundsatzes, der Unschuldsvermutung und Regelung der Beweislast (Umsetzung der Motion 21.4189 Wicki)

Forderung der Motion 21.4189 Wicki Die Motion 21.4189 Wicki fordert, das KG so zu präzisieren, dass die verfassungsmässige Unschuldsvermutung auch dort Anwendung finde. Dies habe insbesondere durch die Stärkung des Untersuchungsgrundsatzes zu erfolgen. Der Motionär begründet seinen Vorstoss insbesondere damit, dass die Wettbewerbsbehörden neben belastenden Tatsachen nur ungenügend auch entlastende Tatsachen bei ihren Entscheidungen heranziehen würden. Damit werde der Untersuchungsgrundsatz unterlaufen.

Zudem würden die Wettbewerbsbehörden nicht beweisen, dass sich ein Unternehmen an einem kartellrechtlich unzulässigen Verhalten beteiligt habe, sondern würden vielmehr «Eindrücke» als ausreichend ansehen, wie sich dies etwa am Institut der Gesamtabrede zeige. Schliesslich würden die Wettbewerbsbehörden die Möglichkeit einer Effizienzrechtfertigung gemäss Artikel 5 Absatz 2 KG nicht von sich aus untersuchen.

Parlamentarische Beratungen Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen fasste der Motionär sein Anliegen durch Nennung der drei folgenden Punkte zusammen:49

49

1.

Fehlende institutionelle Trennung zwischen der WEKO und ihrem Sekretariat: Bei dieser fehlenden institutionellen Trennung könne die Balance zwischen belastendem und entlastendem Material nicht immer gleich gut gehalten werden.

2.

Anwendung einer «Per-se-Erheblichkeit» im Rahmen kartellrechtlicher Verfahren: Das bedeute, die WEKO nehme an, dass eine Abrede unter Unternehmen automatisch der Volkswirtschaft schade. Wegen dieser Annahme unter-

Vgl. das Votum von SR Wicki in der Debatte vom 15. Dezember 2021, AB 2021 S 1404 f.

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suche die WEKO dann auch gar nicht erst, ob das Verhalten eines Unternehmens tatsächlich schädlich sei. Entlastendes Material werde damit erst gar nicht berücksichtigt. Das könne nicht in Einklang mit der Unschuldsvermutung gebracht werden.

3.

Institut der Gesamtabrede: Durch die Einführung der Gesamtabrede müsse dem einzelnen Unternehmen nicht mehr zwingend die Beteiligung an den einzelnen Submissionsabreden und an deren Umsetzung nachgewiesen werden, um es zu sanktionieren. Es genügten «Anhaltspunkte», dass das Unternehmen möglicherweise zu einer Abrede gehört habe.

Diese Punkte würden in einigen Fällen zu einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes führen. Der Motionär ging darüber hinaus nicht weiter auf die Verletzung der Unschuldsvermutung ein.

Stellungnahme des Bundesrates Der Bundesrat beantragte dem Parlament die Ablehnung der Motion. Er begründete dies insbesondere damit, dass die vom Motionär genannten Defizite in der Praxis nicht bestehen. Das KG und das VwVG schreiben vor, dass jeder Sachverhalt von Amtes wegen zu untersuchen ist. Die Wettbewerbsbehörden sind verpflichtet, den Sachverhalt aus eigener Initiative richtig und vollständig abzuklären (Beweisführungslast).

Dies gilt für jede Form von Wettbewerbsbeschränkungen, also auch für sog. Gesamtabreden, ebenso wie für belastende und entlastende Umstände wie z. B. Rechtfertigungsgründe gemäss Artikel 5 Absatz 2 KG. Der Untersuchungsgrundsatz ist somit bereits im geltenden Recht verankert und unbestritten. Sollte ein Entscheid der WEKO im Einzelfall tatsächlich die zuvor skizzierten Regeln verletzen, würden die Gerichte die WEKO korrigieren. Alle Entscheide der Wettbewerbsbehörden unterstehen der Kontrolle durch das Bundesverwaltungs- und das Bundesgericht. Gerichtsurteile, welche eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der Unschuldsvermutung durch die Wettbewerbsbehörden feststellen würden, sind keine ersichtlich und werden vom Motionär auch nicht genannt. Im Gegenteil bestätigen die Gerichte regelmässig ausdrücklich, dass die Wettbewerbsbehörden die Verfahrensgrundsätze und die Regeln der Rechtsstaatlichkeit einhalten und die Parteirechte wahren.50 Die in der Motion behaupteten «krassen» Verletzungen der genannten Grundsätze durch die WEKO sind in der Rechtsprechung der Gerichte nicht ersichtlich. Auch der kürzlich durch den Bundesrat verabschiedete Bericht «Pekuniäre Verwaltungssanktionen»51 sieht weder im Aufbau noch in der Anwendung der geltenden kartellrechtlichen Bestimmungen einen Verstoss gegen die genannten Grundsätze.

Umsetzung der Motion 21.489 Wicki Die Motion 21.4189 Wicki bezweckt, verschiedene verfahrens- und materiell-rechtliche Grundsätze im KG zu stärken, die bereits im aktuellen Recht gelten, teils aufgrund 50

51

Vgl. für die Schweiz BGE 139 I 72, Publigroupe; EGMR, Urteil vom 27. Sept. 2011, Menarini Diagnostics S.R.L. gegen Italien, 43509/08; für die EU vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dez. 2011, Chalkor und KME, C-389/10 P; für den EWR vgl. EFTA-Gerichtshof, Urteil vom 18. April 2012, Posten Norge, E-15/10.

Bericht des Bundesrates vom 23. Februar 2022 in Erfüllung des Postulates 18.4100 SPK-N vom 1. November 2018, BBl 2022 65 S. 776.

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völker- und verfassungsrechtlicher Vorgaben, teils aufgrund gesetzlicher Bestimmungen, auf welche das KG verweist. Im Vordergrund stehen der Untersuchungsgrundsatz, die Unschuldsvermutung und die Beweislast zulasten des Staates. Diese drei Grundsätze werden in der Motion explizit angesprochen.

Der Motionstext spricht überdies das Beweismass an. Von dessen Kodifizierung im KG ist jedoch abzusehen: Die Schweizer Verfahrensgesetze definieren das Beweismass typischerweise nicht in allgemeiner, expliziter und exakter Form; vielmehr wird das für die jeweiligen Behörden und Verfahren relevante Beweismass durch das Bundesgericht in ständiger und sorgfältiger Rechtsprechung weiterentwickelt und auch für die Wettbewerbsbehörden verbindlich festgelegt. So lässt sich die Mehrheit der Sachverhaltsfragen im Kartellrecht nachweisen und ist deshalb von der Behörde strikt zu beweisen (so z. B. die Frage, ob ein beschuldigtes Unternehmen an einer Wettbewerbsabrede beteiligt war oder nicht, wie lange der Verstoss gedauert hat etc.). Ausnahmsweise ist im Kartellrecht, wie in anderen Rechtsbereichen, ein strikter Beweis der Natur der Sache nach nicht möglich oder nicht zumutbar. Es geht dabei um Konstellationen, in welchen zahlreiche Akteure und Faktoren relevant sowie (ökonomische) Prognosen erforderlich sind, mit anderen Worten sog. «multiple Wirkungszusammenhänge» zu beurteilen sind. In solchen spezifischen Fällen gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts das Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Die Formulierung einer allgemein gültigen, aber dennoch genügend konkreten Beweismassregel im Gesetz, welche diesen unterschiedlichen Umständen Rechnung trägt, ist deshalb nicht ohne weiteres möglich ­ und aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichts auch nicht nötig.

Die Umsetzung der Motion 21.4189 Wicki knüpft deshalb an den drei genannten Maximen Untersuchungsgrundsatz, Unschuldsvermutung und Beweislast an. Die neuen KG-Bestimmungen gelten für alle Wettbewerbsbeschränkungen, also insbesondere auch für die vom Motionär erwähnten Gesamtabreden, weshalb sich diesbezügliche spezifische Normen erübrigen. Wie zuvor bereits erwähnt (vgl. Ziff. 2.5), haben die neuen Bestimmungen zur Umsetzung der Motion Wicki lediglich deklaratorischen Charakter. Zwar empfiehlt sich aus
rechtspolitischen Gründen, auf die Statuierung allgemeingültiger Grundsätze in spezifischen Gesetzen zu verzichten. Aufgrund des klaren Auftrags des Parlaments hat der Bundesrat dennoch entsprechende gesetzliche Bestimmungen formuliert.

4.2

Abstimmung von Aufgaben und Finanzen

Die Vorlage dürfte ­ mit Ausnahme der Einführung der Parteienentschädigung ­ kaum zu wesentlichen Mehrausgaben führen. Der Aufwand bei den Wettbewerbsbehörden dürfte sich durch die Modernisierung der Zusammenschlusskontrolle leicht erhöhen, insbesondere in der Einführungsphase. Die Stärkung des Kartellzivilrechts könnte bei den kantonalen Gerichten zu einer Mehrbelastung führen. Dies aber nur, wenn es tatsächlich zu mehr kartellrechtlichen Zivilverfahren kommt, was ja gerade das Ziel der Anpassungen ist. Das Widerspruchsverfahren könnte zu einer Mehrbelastung beim WEKO-Sekretariat führen, wenn die Unternehmen im Zuge der beschriebenen Verbesserungen davon wieder häufiger Gebrauch machen. Ein Mehrauf32 / 62

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wand für die Wettbewerbsbehörden und die Gerichte wird auch durch die Umsetzung der Motion 18.4282 Français entstehen. Von der Einführung von Ordnungsfristen und der Umsetzung der Motion 21.4189 Wicki sind hingegen keine finanziellen Belastungen für den Bund zu erwarten. Insgesamt ist die finanzielle Tragweite der vorgeschlagenen Anpassungen nicht bedeutend.

Die Einführung einer Parteientschädigung im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren dürfte demgegenüber zu einer finanziellen Mehrbelastung des Bundes im einstelligen Millionenbereich führen (vgl. Ziff. 6.1). Die damit verbundene Entlastung der Unternehmen bei einem für sie positivem Verfahrensausgang dürfte indes insbesondere für kleinere KMU von grossem Nutzen sein.

4.3

Umsetzungsfragen

Die revidierten materiell-rechtlichen Bestimmungen ergeben soweit absehbar keine grundsätzlichen Vollzugsfragen. Es geht im Wesentlichen um Rechtsbestimmungen, die in einer Reihe von europäischen Staaten inhaltlich in vergleichbarer Weise ausgestaltet sind (mit Ausnahme der Motion 18.4282 Français), ohne dass wegen des materiellrechtlichen Gehalts der Bestimmungen Vollzugsprobleme bekannt wären. Mit der Einführung des SIEC-Tests für Unternehmenszusammenschlüsse, die sich als problematisch erweisen und vertieft geprüft werden müssen (durchschnittlich 1,2 von rund 30 gemeldeten Zusammenschlüssen pro Jahr52), ist in erster Linie mit einem teilweise gesteigerten Arbeitsaufwand zu rechnen. Die Modernisierung der Zusammenschlusskontrolle macht eine Anpassung der Verordnung vom 17. Juni 199653 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen erforderlich. Die Berücksichtigung von Schadenersatzzahlungen bei der Sanktionsbemessung und die Änderung des Widerspruchsverfahrens machen zudem eine Anpassung der KG-Sanktionsverordnung vom 12. März 200454 (SVKG) erforderlich.

Mit der Umsetzung der beiden angenommenen Forderungen der Motion 16.4094 Fournier dürften ebenfalls keine Umsetzungsprobleme einhergehen. Sie führen lediglich zu einem gewissen Zeitdruck für die Wettbewerbsbehörden und Gerichte (Einführung von Ordnungsfristen) einerseits sowie zu einer gewissen Mehrbelastung des Bundeshaushaltes (Einführung von Parteienentschädigung für das erstinstanzliche Verwaltungsverfahren) andererseits. Die Einführung von Parteienentschädigungen für das erstinstanzliche Verwaltungsverfahren macht eine Revision der Gebührenverordnung KG vom 25. Februar 199855 (GebV-KG) erforderlich.

Die Umsetzung der Motion 18.4282 Français wird zu einem höheren Arbeitsaufwand für die Wettbewerbsbehörden und Gerichte und somit zu längeren Verfahren (auf allen Verfahrensstufen) führen. Zudem geht mit den einzelfallweise in ihrem Ausmass zu bestimmenden quantitativen Kriterien der Erheblichkeit gemäss Artikel 5 Absatz 1 KG naturgemäss eine gesteigerte Rechtsunsicherheit einher.

52 53 54 55

Vgl. Statistik in den Jahresberichten der WEKO von 2010 bis 2021.

SR 251.4 SR 251.5 SR 251.2

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5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Art. 4 Abs. 1bis Das erste Element zur Umsetzung der Motion 18.4282 Français (zum zweiten Element siehe den neuen Art. 5 Abs. 1bis E-KG und zum dritten Element den neuen Art. 27 Abs. 1bis E-KG) betrifft die kartellrechtliche Behandlung von ARGE. Der Begriff der ARGE bezeichnet im Allgemeinen die Kooperation zwischen zwei oder mehr unabhängigen Unternehmen für die gemeinsame Ausführung eines Projekts (z. B. ein Bauprojekt). Die in einer ARGE kooperierenden Unternehmen können auf derselben Marktstufe tätig sein oder auf unterschiedlichen. Dem Anliegen der Motion 18.4282 Français wird diesbezüglich mit einer gesetzlichen Klarstellung hinsichtlich der grundsätzlichen Unbedenklichkeit von ARGE, welche wirksamen Wettbewerb ermöglichen oder diesen stärken, in einem neuen Artikel 4 Absatz 1bis E-KG entsprochen. Somit wird auf gesetzlicher Ebene klargestellt, dass ARGE typischerweise wettbewerbsfördernd sind. Diese Klarstellung entspricht der bisherigen Praxis der Wettbewerbsbehörden. Bis heute hat die WEKO noch nie eine klassische (also nicht «missbräuchliche») ARGE aufgegriffen, geschweige denn verboten oder gar sanktioniert.

ARGE werden aus vielfältigen Gründen gebildet: Zum Beispiel kann ein Beschaffungsprojekt Spezialitäten erfordern, die ein Unternehmen nicht alleine, aber dank einer ARGE aufweist; ein Unternehmen könnte nicht über genügend Ressourcen (wie Personal, Maschinen) verfügen, um ein Projekt alleine auszuführen; erst die ARGE könnte die Erfüllung finanzieller Garantien erlauben; die mit einem Projekt verbundenen Risiken könnten für ein einzelnes Unternehmen nicht tragbar sein; die ARGE kann der Erfüllung der Eignungskriterien dienen; die ARGE kann ein vorteilhafteres Angebot erlauben etc. Solche ARGE werden aufgrund der konkreten Umstände gebildet und sie sind wirtschaftlich zweckmässig und kaufmännisch vernünftig. Sie erlauben die Teilnahme an öffentlichen und privaten Beschaffungsverfahren oder verbessern das Angebot, womit sie den Wettbewerb ermöglichen oder stärken. Nur ausnahmsweise beschränken ARGE den Wettbewerb und sind als Wettbewerbsabreden nach Artikel 4 Absatz 1 KG zu qualifizieren. Dies etwa dann, wenn eine ARGE bloss deshalb gebildet wird, um den Wettbewerbsdruck zu beseitigen, der ansonsten vom ARGE-Partner ausginge.

Art. 5 Abs. 1bis Das zweite Element zur Umsetzung der
Motion 18.4282 Français (zum ersten Element siehe den neuen Art. 4 Abs. 1bis E-KG und zum dritten Element den neuen Art. 27 Abs. 1bis E-KG) betrifft die Frage der Erheblichkeit von Wettbewerbsabreden.

Durch die vorgeschlagene Regelung zur Umsetzung der Motion 18.4282 Français wird auf gesetzlicher Ebene klargestellt, dass die Erheblichkeit bei allen Wettbewerbsabreden ­ d. h. auch bei harten Wettbewerbsabreden (Art. 5 Abs. 3 und 4 KG) stets sowohl anhand qualitativer als auch quantitativer Kriterien geprüft werden muss, sofern die Vermutung der Beseitigung wirksamen Wettbewerbs widerlegt wird. Die Abwägung dieser beiden Kriterien und ihrer Ausmasse erfolgt einzelfallweise in einer Gesamtbeurteilung. Dabei kann eine qualitativ schwerwiegende Beeinträchtigung 34 / 62

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trotz quantitativ geringfügiger Bedeutung erheblich sein. Umgekehrt kann eine Beeinträchtigung von quantitativ beträchtlichem Ausmass den Wettbewerb erheblich beeinträchtigen, auch wenn sie qualitativ nicht schwerwiegend ist. Vorliegend wird in Anlehnung an den Motionstext bewusst eine offene Formulierung gewählt, insbesondere da die Vielfalt und Komplexität des Wirtschaftslebens gegen ein enges Korsett fester Grenzwerte wie bspw. Markanteilsschwellen spricht. Mit der Revision von Artikel 5 KG soll in Bezug auf die quantitativen Kriterien die faktische Rechtslage vor dem Entscheid des Bundesgerichts in Sachen Gaba wiederhergestellt werden.

Art. 9 Abs. 1bis, 1ter und 5 Abs. 1bis Zusammenschlüsse von international tätigen Unternehmen müssen heute parallel von Wettbewerbsbehörden verschiedener Staaten beurteilt werden. Hieraus ergeben sich für die betroffenen Unternehmen und Behörden Doppelspurigkeiten. Der neue Artikel 9 Absatz 1bis E-KG führt zu einer Verminderung dieser Mehrfachbelastung.

Zusammenschlüsse von unionsweiter Bedeutung werden sowohl in der EU56 als auch im EWR57 von der Europäische Kommission als einziger Behörde geprüft. Eine Prüfung durch die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten der EU bzw. des EWR erfolgt in diesen Fällen nicht. Wenn alle für die Schweiz relevanten vom Zusammenschlussvorhaben betroffenen sachlichen Märkte räumlich die Schweiz und mindestens den gesamten EWR umfassen, kann neu auch auf eine Beurteilung durch die WEKO verzichtet werden. Vor dem Hintergrund des gemeinsamen Beurteilungskriteriums in Form des SIEC-Tests ist in diesem Fall nämlich von einer gleich ausfallenden Beurteilung von Zusammenschlüssen auszugehen. Daher kann sich die Schweiz hinsichtlich der Prüfung eines Unternehmenszusammenschlusses autonom in die Position eines Mitgliedsstaates des EWR versetzen und auf eine eigenständige kartellrechtliche Prüfung des Zusammenschlusses verzichten. Schliesslich ist die mit der vorgeschlagenen Regelung einhergehende Erleichterung auch im Sinne der Unternehmen. Die Prüfung, ob die Voraussetzungen für den Verzicht auf eine Meldung erfüllt sind, obliegt den betroffenen Unternehmen.

Abs. 1ter Die Meldepflicht für Zusammenschlüsse von Unternehmen, deren Produkte und Dienstleistungen kartellrechtlich gesehen zu Märkten gehören, die die Schweiz und mindestens den
EWR umfassen, soll in Zukunft vereinfacht werden. Denn soweit die EU-Instanzen in solchen Märkten Zusammenschlüsse untersagen oder mit Auflagen und Bedingungen zulassen, hat der Entscheid länderunabhängig auf die EU bzw. den EWR Wirkung. Eine Beurteilung durch die Schweizer Behörden ist in solchen Fällen nicht nötig. Das theoretisch denkbare Risiko, dass ein Unternehmen sich im EWR zu einem Verhalten verpflichtet, sich in der Schweiz jedoch nicht daran hält, scheint vertretbar, zumal den Schweizer Wettbewerbsbehörden stets auch Artikel 5 und 7 KG als Instrumente zur nachträglichen Intervention gegen Wettbewerbsbeschränkungen zur Verfügung stehen. Es genügt, dass die WEKO durch die Unternehmen vom laufenden 56 57

Vgl. hier die FKVO.

Vgl. Art. 57 Abs. 2 Bst. a EWR-Abkommen.

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Zusammenschlussverfahren und dem EU-Entscheid in Kenntnis gesetzt wird. Artikel 9 Absatz 1ter E-KG sieht die Verpflichtung vor, der WEKO innert zehn Kalendertagen eine vollständige Kopie von jedem der Europäischen Kommission gemeldeten Zusammenschlussvorhaben zuzustellen. Damit wird den Wettbewerbsbehörden eine einfache und rasche Plausibilitätskontrolle hinsichtlich der Befreiung von der Meldepflicht in der Schweiz ermöglicht. Erachten die Behörden die Meldepflicht in der Schweiz dennoch als gegeben, ist von ihnen gestützt auf das Vertrauensprinzip eine rasche Reaktion gegenüber den Zusammenschlussparteien zu erwarten. Für den Fall, dass die Unternehmen zum Zeitpunkt der Meldung bei der Europäischen Kommission irrtümlicherweise davon ausgegangen sind, die in Artikel 9 Absatz 1bis E-KG enthaltenen Bedingungen seien erfüllt, sich aber im Verlaufe der Beurteilung des Zusammenschlusses durch die Europäische Kommission das Gegenteil zeigt (z. B. weil sich einige Märkte geographisch als auf die Schweiz beschränkt erweisen), haben die Unternehmen den Zusammenschluss nachträglich auch in der Schweiz unverzüglich zu melden.

Abs. 5 Der geltende Artikel 9 Absatz 5 KG sieht vor, dass die Bundesversammlung mit allgemeinverbindlichem, nicht referendumspflichtigem Bundesbeschluss die Grenzbeträge in Artikel 9 Absätze 1­3 den veränderten Verhältnissen anpassen sowie für die Meldepflicht von Unternehmenszusammenschlüssen in einzelnen Wirtschaftszweigen besondere Voraussetzungen schaffen kann. Der Gesetzgeber begründete die Schaffung dieser Regelung insbesondere mit der Möglichkeit eines raschen Handelns.

Seit Inkrafttreten dieser Bestimmung wurde sie seitens der Bundesversammlung noch nie genutzt. Ihr wesentlicher Vorteil besteht darin, dass keine Gesetzesänderung für die Anpassung der Grenzbeträge notwendig ist und somit nicht das ordentliche Gesetzgebungsverfahren durchlaufen werden muss. Vor dem Hintergrund ihrer mangelnden praktischen Bedeutung sowie der Möglichkeit der Bundesversammlung sämtliche kartellrechtliche Regelungen, einschliesslich der Schwellenwerte von Artikel 9 KG, jederzeit anpassen zu können, kann aus Sicht des Bundesrates auf diese Regelung verzichtet werden.

Art. 10 Abs. 1 und 2 Zusammenschlüsse können infolge des Wegfalls von Wettbewerbsdruck, etwa durch die Fusion zweier Wettbewerber,
zu einer signifikanten Behinderung des wirksamen Wettbewerbs führen. Die geltende Zusammenschlusskontrolle berücksichtigt wettbewerbshemmende Auswirkungen von Unternehmenszusammenschlüssen nur ungenügend. Demgegenüber erlaubt die Änderung von Artikel 10 Absätze 1 und 2 E-KG eine vollumfängliche Prüfung der negativen, aber auch der positiven Effekte eines Zusammenschlusses.

Die Formulierung von Artikel 10 Absätze 1 und 2 E-KG und insbesondere die Verwendung des Begriffs «behindern» stützt sich auf die seitens der EU verwendete Formulierung und nicht auf Artikel 7 KG. Dies gilt ebenfalls für den Begriff «signifikant», der mit dem im europäischen Zusammenschlusskontrollrecht in der deutschen Sprachfassung verwendeten Begriff «erheblich» gleichzusetzen ist. In der französischen sowie in der italienischen Fassung besteht keine Differenz zwischen den Be36 / 62

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grifflichkeiten in der europäischen FKVO und dem vorliegenden Entwurf. In der EU wird in der französischen Sprachfassung der Begriff «significative» und in der italienischen Sprachfassung der Begriff «significativo» verwendet. Diese beiden Begriffe sollen auch Eingang in das schweizerische KG finden. In der deutschen Sprachfassung wird hingegen eine sprachliche Differenz geschaffen, da im EU-Recht in der deutschen Sprachfassung der Begriff «erheblich» Verwendung findet. Die Motivation für diese sprachliche Differenz liegt darin, eine Abgrenzung zu dem Begriff der «Erheblichkeit» gemäss Artikel 5 Absatz 1 KG vorzunehmen (wobei im europäischen Recht das inhaltliche Pendant im Rahmen der Prüfung von Wettbewerbsabreden gemäss Artikel 101 AEUV58 «spürbar» ist). Während die Rechtsprechung des Bundesgerichts das Verständnis des schweizerischen Begriffs der «Erheblichkeit» gemäss Artikel 5 Absatz 1 KG geklärt hat, soll bei der Beurteilung der «signifikanten» Behinderung im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle die europäische Praxis mitberücksichtigt werden, die hierzu über einen Zeitraum von mittlerweile knapp zwanzig Jahren eine reichhaltige Rechtsprechung hervorgebracht hat.

Eine Untersagung oder Zulassung unter Auflagen und Bedingungen ist beim SIECTest in Einzelfällen auch dann möglich, wenn eine signifikante Behinderung des Wettbewerbs vorliegt, ohne dass eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird. Der Wettbewerbsverlust und der damit verbundene Preiserhöhungsdruck infolge eines Zusammenschlusses kann im Einzelfall sogar höher ausfallen, als wenn eine marktbeherrschende Stellung durch den Zusammenschluss begründet oder verstärkt wird. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn sich die fusionierenden Unternehmen vor dem Zusammenschluss intensiv konkurrieren, aber mangels ausreichender Grösse keine marktbeherrschende Stellung der fusionierten Einheit begründet oder verstärkt wird. Solche Fälle würden aber unter der derzeit geltenden Zusammenschlusskontrolle nicht vertieft geprüft werden (sog. «Gap-Cases»). Zu berücksichtigen ist aber, dass die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung durch den Zusammenschluss nach wie vor als potenziell besonders problematisch zu qualifizieren ist, da sie für die Zusammenschlussparteien eine besonders hohe Marktmacht impliziert,
welche ihnen die Möglichkeit verschafft, Preise oder andere Wettbewerbsvariablen (bspw. die Qualität der Waren oder Dienstleistungen oder die Innovationstätigkeit) unabhängig von ihren Konkurrenten und massgeblich zu ihrem Vorteil zu beeinflussen. Die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung wird in der Vorlage denn auch als Regelbeispiel hervorgehoben.

Volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Zusammenschlüssen können in Einzelfällen durch positive Wirkungen ­ unter Umständen sogar auf der Ebene des Wettbewerbs ­ kompensiert oder überkompensiert werden. So kann ein Zusammenschluss eines Produzenten und eines Händlers zu einer kostengünstigeren und effizienteren Vertriebskette führen. Ob positive Wirkungen mit einer bestimmten Wettbewerbsbeeinträchtigung verbunden sind, ist anhand des Massstabs der wirtschaftlichen Effizienz zu beurteilen.59 Bei Wettbewerbsabreden sieht das Schweizer Kartellrecht mit Artikel 5 Absatz 2 KG bereits die Rechtfertigung aus Gründen wirtschaftlicher Effizienz vor, solange der wirksame Wettbewerb, also ein Wettbewerb, 58 59

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (konsolidierte Fassung), ABl. C 326 vom 26. Oktober 2012, S. 47.

Botschaft KG 1995, hier 557.

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der seine statischen und dynamischen Funktionen ausreichend erfüllt,60 nicht beseitigt wird.

Mit dem Wechsel zum SIEC-Test geht nun auch in der Zusammenschlusskontrolle ­ in Anlehnung zur bewährten Regelung in der EU ­ die Berücksichtigung der Effizienzvorteile eines Zusammenschlusses einher (Art. 10 Abs. 2 Bst. b E-KG). Dadurch wird eine erhebliche Schwäche des heutigen Regimes beseitigt. Soweit die Effizienzvorteile die negativen Effekte des Zusammenschlusses ausgleichen oder überwiegen, haben die Wettbewerbsbehörden den Zusammenschluss zu genehmigen.

Effizienzvorteile aus Zusammenschlüssen können Nachfragerinnen und Nachfragern (oft Konsumentinnen und Konsumenten) oder den Produzierenden zugutekommen.

Dies kann auch erst nach einer gewissen Zeit nach dem Zusammenschluss erfolgen.

So können bspw. die Produktionskosten zusammenschlussbedingt reduziert werden, was zunächst den Produzierenden zugutekommt. Diese Kostenvorteile könnten aber bspw. in Investitionen in Forschung und Entwicklung und damit neue und bessere Produkte fliessen. Davon würden letztlich, in einem dynamischen Sinne, auch die Nachfragerinnen oder Nachfragern, welche den Zusammenschlussparteien als Handelspartner gegenüberstehen, profitieren.

Eine angemessene Beteiligung der Nachfragerinnen und Nachfrager, auch in einem dynamischen Sinne, ist für die Berücksichtigung der Effizienzvorteile in der europäischen Zusammenschlusskontrolle notwendig. Das Gleiche soll für die Schweiz gelten.

Im stark integrierten Wirtschaftsraum der Schweiz und der EU sind einheitliche Regeln für derart gewichtige und in die Zukunft ausgerichtete unternehmerische Entscheide, wie es Zusammenschlüsse sind, für die Unternehmen von hoher Bedeutung.

In der Vorlage wird deshalb festgehalten, dass durch den Zusammenschluss Effizienzvorteile für die Nachfragerinnen und Nachfrager bewirkt werden müssen, damit diese berücksichtigt werden können. Den Nachfragerinnen und Nachfragern sollen diese Vorteile angemessen zugutekommen.

Es stellt sich sodann die Frage, welche konkreten Effizienzvorteile bei einem Zusammenschluss berücksichtigt werden können. Eine abschliessende Liste dazu kann angesichts der hohen Einzelfallspezifität von Zusammenschlüssen nicht gegeben werden. So können Zusammenschlüsse, wie skizziert, verschiedene Arten von Effizienzvorteilen erbringen:
Die Vorteile können z. B. aus Kosteneinsparungen bei der Produktion oder dem Vertrieb der fusionierten Einheit resultieren und zu tieferen Preisen führen. Einsparungen, die sich allein aus wettbewerbsbehindernden Einschränkungen der Produktion ergeben, können dabei allerdings nicht als Effizienzvorteile angesehen werden. Effizienzvorteile können weiter z. B. durch bessere Produktionsverfahren oder Innovation hervorgerufen werden. Die dazu notwendigen Synergien, Kostenreduktionen und Innovationspotenziale könnten die Zusammenschlussparteien durch die Zusammenlegung ihrer Anlagen erzielen.

Die Kenntnis über Effizienzvorteile liegt vor allem bei den Zusammenschlussparteien. Diesen kommen eine gesteigerte Mitwirkungspflicht und Substantiierungspflicht zu. Die Effizienzvorteile müssen von den meldenden Unternehmen begründet werden und überprüfbar sein. Das bedeutet erstens, dass sie möglichst präzise, umfas60

Botschaft KG 1995, hier 512.

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send und überzeugend dargelegt werden müssen. Zweitens heisst dies, dass die vorgebrachten Effizienzvorteile nicht vage und spekulativ sein und zudem mit angemessenem Mittelaufwand überprüfbar sein sollen. Eine entsprechende Kooperation der Zusammenschlussparteien mit den Wettbewerbsbehörden ist dazu erforderlich.

Die Effizienzvorteile müssen zudem durch den Zusammenschluss bewirkt werden und sich spezifisch aus diesem ergeben. Das heisst, sie müssen auf den angemeldeten Zusammenschluss zurückzuführen sein und sie dürfen nicht in ähnlichem Umfang durch Alternativen, die den Wettbewerb weniger behindern, erzielt werden können.

Die Effizienzvorteile müssen schliesslich von einem Ausmass sein, dass sie die Nachteile signifikanten Behinderung des Wettbewerbs ausgleichen.

Art. 12 Der gegenwärtige Wortlaut von Artikel 12 Absatz 1 KG erlaubt nur Personen, die in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs behindert werden, eine kartellrechtliche Klage bei einem Zivilgericht einzureichen. Dies ist stossend, da der Schaden aufgrund einer unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung regelmässig in Form von höheren Preisen auf die nachgelagerten Marktstufen und somit schlussendlich auf die ­ gemäss dem Wortlaut von Artikel 12 Absatz 1 KG ­ regelmässig nicht klageberechtigten Endkundinnen und -kunden abgewälzt wird. Die ausdrückliche Ausdehnung der Aktivlegitimation auf alle von unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen Betroffenen, insbesondere auch auf Konsumentinnen und Konsumenten sowie die öffentliche Hand (z. B. öffentliche Auftraggeber), ist daher sinnvoll. Konsumentenorganisationen können nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen dann klagen, wenn sie sich die Forderungen von den Konsumentinnen und Konsumenten abtreten lassen, soweit sie nicht selbst unmittelbar geschädigt sind. Vorbehalten sind die Bestimmungen über die Verbandsklage, soweit die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind.61 Neu wird an die Bedrohung oder Verletzung wirtschaftlicher Interessen der Betroffenen und nicht mehr an die Behinderung im Wettbewerb angeknüpft. Dies macht eine Änderung der Marginalie von Artikel 12 KG und der Formulierung von Artikel 12 Buchstabe a KG sowie eine Streichung des nunmehr überflüssigen Absatzes 2 notwendig. Das Tatbestandsmerkmal des «wirtschaftlichen Interesses» dient der Eingrenzung der
Anspruchsberechtigten auf persönlich von der in Frage stehenden Wettbewerbsbeschränkung konkret oder potenziell Betroffene. Diese Tatbestandsvoraussetzung findet sich ebenfalls in Artikel 9 Absatz 1 UWG, wonach jedermann, der durch unlauteren Wettbewerb in seiner Kundschaft, seinem Kredit oder beruflichen Ansehen, in seinem Geschäftsbetrieb oder sonst in seinen wirtschaftlichen Interessen bedroht oder verletzt wird, gewisse zivilrechtliche Ansprüche geltend machen kann.

Das Bundesgericht versteht diese Voraussetzung im Rahmen des UWG im Sinne einer selbstständigen Teilnahme am wirtschaftlichen Wettbewerb, wobei ein unmittelbares Interesse erforderlich ist, die eigene Stellung im Wettbewerb mit dem Erfolg der Klage abzusichern oder zu verbessern.62 Ein Wettbewerbsverhältnis wird hingegen 61

62

Im Rahmen einer Untersuchung durch die WEKO können Konsumentenorganisationen zudem gemäss Art. 43 Abs. 1 Bst. c KG ihre Beteiligung an einer Untersuchung anmelden.

BGE 126 III 239 E. 1a

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nicht vorausgesetzt.63 Eine unternehmerische Tätigkeit ist ebenfalls nicht erforderlich, sodass auch Konsumentinnen und Konsumenten entsprechende Ansprüche zustehen.

Hingegen reichen bspw. ideelle Interessen nicht für eine Aktivlegitimation aus. Gleiches gilt für indirekt Betroffene wie etwa Aktionärinnen und Aktionäre.64 Weiter werden die drei im geltenden Recht bestehenden zivilrechtlichen Ansprüche in Bezug auf eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung in Anlehnung an Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe c UWG und an Artikel 28a Absatz 1 Ziffer 3 ZGB sowie in Anknüpfung an das KG von 1985 um einen Feststellungsanspruch ergänzt. Dieser wird in Artikel 12 Buchstabe b E-KG eingeführt.

Der bisherige Absatz 3 wird ersatzlos gestrichen. Diese Bestimmung, die noch aus dem KG von 1985 stammt, ist aus heutiger Sicht geradezu systemwidrig, insoweit sie eine zivilrechtliche Haftung für eine kartellverwaltungsrechtlich zulässige Verhaltensweise begründet.

Art. 12a Unterlassungs-, Beseitigungs- und Feststellungsansprüche gemäss Artikel 12 Buchstaben a und b E-KG verjähren nicht. Auf (ausservertragliche) Forderungen aus unzulässiger Wettbewerbsbeschränkung gemäss Artikel 12 Buchstaben c und d E-KG ist hingegen nach überwiegender Auffassung die relative Verjährungsfrist nach Artikel 60 des Obligationenrechts (OR)65 anwendbar. Mit der am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen Revision des Verjährungsrechts66 wurde die relative Verjährungsfrist von deliktsrechtlichen (zivilrechtlichen) Ansprüchen gemäss Artikel 60 OR von einem auf drei Jahre verlängert. Allerdings ist auch die Verjährungsfrist von drei Jahren regelmässig nicht ausreichend, um sicherzustellen, dass kartellrechtliche Folgeklagen (zivilrechtliche Klagen, die nach einem Entscheid der Wettbewerbsbehörden eingereicht werden) auch tatsächlich erhoben werden können. Denn verwaltungsrechtliche Verfahren dauern häufig länger als drei Jahre. Auch wenn durch die Einführung von Ordnungsfristen die Verfahren beschleunigt werden sollen, ist nicht mit einer Verkürzung des gesamten Rechtswegs auf unter drei Jahre zu rechnen. Daher ist es sinnvoll, eine Hemmung der Verjährung von zivilrechtlichen Schadenersatzforderungen während des verwaltungsrechtlichen Untersuchungsverfahrens einzuführen. Konkret steht die Verjährung still oder beginnt erst gar nicht im Zeitraum zwischen
der Eröffnung der verwaltungsrechtlichen Untersuchung gemäss Artikel 27 KG durch die Wettbewerbsbehörden (wobei es sich nach Massgabe des Luftverkehrsabkommens auch um die Europäische Kommission handeln kann) und dem rechtskräftigen Entscheid. Dies gilt sowohl für die relative als auch für die absolute Verjährungsfrist. Ob eine Untersuchung mit einer Verurteilung oder Einstellung abgeschlossen wird, ist unerheblich.

Gemäss Artikel 134 Absatz 2 OR nimmt die Verjährung anschliessend ihren Anfang oder ihren Fortgang. Die gewählte Formulierung deckt sowohl Forderungen der direkt geschädigten als auch jene der indirekt geschädigten Personen ab. Sie umfasst auch 63 64 65 66

BGE 121 III 168 E. 3b BGE 90 IV 39 in Bezug auf die Berechtigung zur Stellung eines Strafantrags gemäss des heutigen Art. 23 UWG.

SR 220 Weiterführende Informationen zur Revisionsvorlage sind abrufbar unter: www.parlament.ch > Ratsbetrieb > Curia Vista > Suche > 13.100.

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Forderungen, die eine Geschädigte bzw. ein Geschädigter gegenüber einer an einem Verstoss gegen das KG beteiligten Person erhebt, die nicht Partei der Untersuchung ist. Analog dazu sind auch allfällige Forderungen der Geschädigten gegenüber einer anderen Konzerngesellschaft als der von der Untersuchung direkt betroffenen abgedeckt, wenn davon ausgegangen wird, dass diese andere Gesellschaft auch dem «Unternehmen» im Sinne von Artikel 2 Absatz 1bis KG angehört, das den Verstoss gegen das Kartellrecht begangen hat. Die neu geschaffene Möglichkeit, das kartellbehördliche Verfahren abwarten zu können, bewahrt einerseits die in einem Kartellverwaltungsverfahren involvierten Unternehmen vor überstürzten Zivilklagen und erleichtert andererseits den Geschädigten im Einzelfall die Durchsetzung ihrer zivilrechtlichen Forderungen, womit das Kartellzivilrecht insgesamt gestärkt wird.

Schliesslich wird hiermit auch der Anreiz für den Kartelldelinquenten vermieden, den Entscheid der WEKO an die Gerichte weiter zu ziehen, nur um zivilrechtlichen Schadenersatzforderungen zu entgehen.

Art. 13 In Anlehnung an die gescheiterte KG-Revision von 2012 wird Artikel 13 KG angepasst. Das Bundesgericht geht spätestens seit der Einführung der direkten Sanktionen von einer Nichtigkeit kartellrechtlicher Verhaltensweisen ex tunc (also von Anfang an) aus.67 Entsprechend muss in Artikel 13 Buchstabe a E-KG nicht von der Anordnung der Ungültigkeit von Verträgen (ex nunc, also ab Zeitpunkt der Anordnung), sondern von der Feststellung (ex tunc) die Rede sein. Die sprachlichen Änderungen in Buchstabe b ergeben sich aufgrund der neuen Ausgestaltung der Klagelegitimation in Artikel 12 E-KG. Sie haben keine materiellen Änderungen zur Folge.

Art. 22 In Artikel 22 E-KG wird eine redaktionelle Anpassung vorgenommen. Indem die Abkürzung des VwVG in das Gesetz aufgenommen wird, kann in den folgenden Artikeln auf die jeweilige vollständige Nennung des Gesetzes verzichtet und stattdessen dessen offizielle Abkürzung verwendet werden.

Art. 27 Abs. 1 zweiter Satz und 1bis Abs. 1 zweiter Satz Durch die Anpassung in Absatz 1 zweiter Satz wird klargestellt, dass das WBF und die WEKO das Sekretariat der WEKO mit der Eröffnung einer Untersuchung nur dann beauftragen können, wenn Anhaltspunkte für eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung vorliegen. Der
gegenwärtige Wortlaut von Artikel 27 Absatz 1 zweiter Satz KG («Eine Untersuchung wird in jedem Fall eröffnet [...]») impliziert, dass diese Voraussetzung nur bei Verfahrenseröffnungen durch das Sekretariat der WEKO im Einvernehmen mit einem Mitglied des Präsidiums gemäss Absatz 1 erster Satz gelten würde.

Untersuchungen dürfen jedoch generell nicht ohne Anhaltspunkte eröffnet werden,

67

BGE 134 III 438 E. 2.1 f.

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denn dies liefe auf eine verpönte Beweisausforschung (sog. «fishing expedition») hinaus.

Abs. 1bis Das dritte Element zur Umsetzung der Motion 18.4282 Français (zum ersten Element siehe den neuen Art. 4 Abs. 1bis E-KG und zum zweiten Element den neuen Art. 5 Abs. 1bis E-KG) betrifft die Frage des Aufgreifens von leichten Verstössen durch die WEKO.

Durch die ausdrückliche Statuierung des Opportunitätsprinzips wird verhindert, dass die Wettbewerbsbehörden leichte Wettbewerbsverstösse aufgreifen müssen. Zwar hielten sich die Wettbewerbsbehörden bei leichten Verstössen schon bisher zurück, aufgrund der Formulierung von Artikel 27 Absatz 1 («...so eröffnet das Sekretariat») und des im Verwaltungs(sanktions)verfahren grundsätzlich geltenden Verfolgungszwangs musste sie sich hierbei allerdings auf das allgemeingültige Verhältnismässigkeitsprinzip stützen. Mit der Einführung einer ausdrücklichen Regelung hierzu im Gesetz wird das Aufgreifermessen der Behörden geklärt.

Ob ein leichter Verstoss im Sinne der neuen Bestimmung vorliegt, bemisst sich primär nach dem Schädigungspotenzial der Wettbewerbsbeschränkung. Auch dem Umfang und der Dauer der Wettbewerbsbeschränkung ist dabei Rechnung zu tragen. Im Allgemeinen dürfte etwa bei Verstössen nach Artikel 5 Absatz 1 KG eher ein leichter Wettbewerbsverstoss anzunehmen sein als bei harten Abreden nach Artikel 5 Absätze 3 und 4 KG. Allerdings kann im Einzelfall unter Umständen auch Abreden nach Artikel 5 Absatz 1 KG ein beträchtliches Schädigungspotenzial immanent sein, sodass nicht mehr von einem leichten Verstoss ausgegangen werden kann. Umgekehrt ist nicht auszuschliessen, dass auch gewisse harte Abreden als leichte Wettbewerbsverstösse im Sinne von Artikel 27 Absatz 1bis E-KG zu qualifizieren sind.

Im Rahmen ihres Aufgreif- und Einstellungsermessen bei leichten Verstössen können die Wettbewerbsbehörden unter anderem die Bedeutung der sich stellenden Sachverhalts- und Rechtsfragen, die Eignung des Falls für einen Leitentscheid, den voraussichtlichen Verfahrensaufwand, die Praktikabilität und Komplexität des Verfahrens, die Verfügbarkeit von Beweismitteln, die Entscheidprognose, die Kooperation der betroffenen Unternehmen, die Bereitschaft der Unternehmen, das unzulässige Verhalten aufzugeben, allfällige Wiedergutmachungsleistungen an die Geschädigten, aber
auch die Ressourcenlage und strategische Schwerpunktsetzungen der Wettbewerbsbehörden berücksichtigen. Eine Nichteröffnung einer Untersuchung aufgrund eines Auftrags des WBF oder der WEKO gemäss Artikel 27 Absatz 1 E-KG gestützt auf Artikel 27 Absatz 1bis E-KG ist allerdings ausgeschlossen.

Die Einführung des Opportunitätsprinzips bei leichten Verstössen hat nicht zur Folge, dass bei Anhaltspunkten für mittelschwere und schwere Verstösse in jedem Fall eine Untersuchung durchzuführen ist. Vielmehr kann das Verhältnismässigkeitsprinzip ­ wie bis anhin ­ auch der Verfolgung solcher Verstösse entgegenstehen. Ebenso wenig weitet die neue Bestimmung den Rechtsschutz gegen die Untersuchungseröffnung aus. Wie bisher ist der Entscheid über die Untersuchungseröffnung nach Massgabe des VwVG nicht selbständig mit Beschwerde anfechtbar.

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Art. 32 Abs. 3 Die unterschiedlichen Verfahrensregeln der Schweiz und der EU stellen bei transnationalen Unternehmenszusammenschlüssen sowohl die Unternehmen als auch die Wettbewerbsbehörden vor gewisse Koordinationsprobleme, die administrative Kosten verursachen. Zum einen sind die Fristen der EU länger (mehr Tage und Berücksichtigung von Feiertagen), zum anderen besteht in der EU die Möglichkeit, die Fristen zu verlängern (z. B. bei Prüfung von Auflagen und Bedingungen oder auf Antrag der Unternehmen). Mit den Änderungen wird an der Hauptfrist festgehalten, aber die Möglichkeit geschaffen, die Fristenunterschiede zwischen der Schweiz und der EU durch Fristverlängerungen abzumildern, um widersprüchliche Entscheide zu vermeiden. Damit die WEKO nicht von sich aus die Frist verlängern kann, bildet die Zustimmung der meldenden Unternehmen eine Voraussetzung zur Fristerstreckung.

Die vom Gesetz geforderten «wichtigen» Gründe für die Fristerstreckung (insbesondere Prüfung von Bedingungen und Auflagen, Abstimmung auf EUZusammenschlussverfahren) sind im Nachgang zu dieser Teilrevision in der Verordnung vom 17. Juni 199668 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen zu präzisieren. Zuständig für die Fristverlängerung ist die WEKO bzw. deren Kammer für Unternehmenszusammenschlüsse. Vor dem Hintergrund der in der EU geltenden längeren Fristen soll eine Fristerstreckung von höchstens einem Monat gewährt werden können.

Art. 33 Abs. 2 und 4 Abs. 2 Der Zusatz «auf Antrag der meldenden Unternehmen» stellt in Analogie zum geltenden Artikel 32 Absatz 2 KG sicher, dass der Anstoss für einen vorzeitigen Vollzug (vor dem Entscheid der WEKO) von Seiten der Unternehmen zu kommen hat. Dies entspricht auch der heutigen Praxis. Die übrigen Anpassungen sind sprachlicher Art und führen zu keinen inhaltlichen Änderungen.

Abs. 4 Für die Prüfung von Unternehmenszusammenschlüssen nach Artikel 33 E-KG wird analog zu Artikel 32 E-KG und aus den gleichen Gründen die Möglichkeit zur Fristerstreckung vorgesehen. Demnach soll die Fristerstreckungsmöglichkeit in der Schweiz in der zweiten Phase höchstens zwei Monate betragen. Zuständig für die Fristverlängerung ist die WEKO bzw. deren Kammer für Unternehmenszusammenschlüsse.

Art. 34 Aufgrund der beschriebenen Möglichkeiten zur Fristerstreckung (Art. 32 Abs. 3 und Art. 33 Abs. 4 E-KG) erfolgt in Artikel 34 E-KG eine Ergänzung der bestehenden Verweise auf diese beiden neuen Bestimmungen.

68

SR 251.4

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Art. 35 In Artikel 39 werden sprachliche Anpassungen vorgenommen, die nur den französischen Gesetzestext betreffen. Der Ausdruck «l'autorité de concurrence est» wird ersetzt durch «les autorités en matière de concurrence sont».

Art. 39 Abs. 1 und 2 Abs. 1 In Artikel 39 Absatz 1 E-KG wird eine redaktionelle Anpassung vorgenommen. Anstatt das VwVG mit vollständigem Titel zu nennen, wird neu nur dessen Abkürzung verwendet.

Abs. 2 Der neue Absatz 2 überträgt die Legitimation zur Beschwerde gegen Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts ans Bundesgericht vom Departement neu an die WEKO (vgl. auch Art. 42 Abs. 3 E-KG). Die vorliegende Regelung trägt sowohl dem Erfordernis einer Rechtsgrundlage dieser Beschwerdelegitimation auf formell-gesetzlicher Stufe als auch dem Willen des Bundesrats auf Wahrung der Unabhängigkeit der WEKO in bundesgerichtlichen Rechtsmittelverfahren Rechnung.

Art. 39a Das erste Element zur Umsetzung der Motion 21.4189 Wicki (zum zweiten und dritten Element siehe die neuen Art. 53 Abs. 3 und 4 E-KG) betrifft den Untersuchungsgrundsatz. Der Vorstoss fordert zunächst die Stärkung des Untersuchungsgrundsatzes im Kartellrecht. Die Untersuchungsmaxime besagt, dass die Behörden den Sachverhalt von Amtes wegen abzuklären haben. Artikel 39 KG verweist für das kartellrechtliche Verwaltungsverfahren auf die Bestimmungen des VwVG. Gemäss Artikel 12 VwVG ist die Behörde verpflichtet, den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen.

Der Untersuchungsgrundsatz gilt somit bereits nach geltendem Recht. Folglich tragen die Wettbewerbsbehörden für alle belastenden und entlastenden Umstände die Beweisführungslast. Im Einzelfall kann ein Unternehmen eine Mitwirkungsobliegenheit treffen. Um das Anliegen der Motion 21.4189 Wicki aufzunehmen, wird der Untersuchungsgrundsatz neu ausdrücklich im KG verankert. So wird klargestellt, dass die Wettbewerbsbehörden auch entlastenden Umständen nachzugehen haben und zwar mit gleicher Sorgfalt wie bei belastenden Umständen. Systematisch ist diese neue Bestimmung im 4. Abschnitt «Verfahren und Rechtsschutz» des KG aufzunehmen, unmittelbar nach dem Verweis auf die Vorschriften des VwVG (Art. 39 KG). Bei der Formulierung der Bestimmung soll auf Artikel 6 der Strafprozessordnung (StPO)69 abgestellt werden, welcher den Untersuchungsgrundsatz im Strafrecht zum Gegenstand
hat. Bei kartellrechtlichen Sanktionsverfahren handelt es sich um Verfahren, die als strafrechtliche Anklagen im Sinne von Artikel 6 der Konvention vom 4. November 195070 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) gelten. Aus diesem Grund haben die Wettbewerbsbehörden in Sanktionsverfahren grundsätzlich 69 70

SR 312.0 SR 0.101

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diverse strafrechtliche Verfahrensgarantien, wie etwa das Nemo-tenetur-Prinzip, zu beachten (gemäss diesem Prinzip ist niemand verpflichtet, sich selbst zu belasten). Da es sich jedoch hier nicht um Kernstrafrecht handelt, sind qualitative Abstufungen zulässig.71 Das Unternehmen trifft etwa dann eine Mitwirkungsobliegenheit, wenn es sich auf Umstände beruft, die in seinem Herrschaftsbereich liegen, beispielsweise wenn es das Vorliegen von Gründen der wirtschaftlichen Effizienz geltend macht.

Art. 40 zweiter Satz In Artikel 40 E-KG wird eine redaktionelle Anpassung vorgenommen. Anstatt das VwVG mit vollständigem Titel zu nennen, wird neu nur dessen Abkürzung verwendet.

Art. 42 Abs. 2 und 3 Abs. 2 Die vorgesehene massvolle Erweiterung der Untersuchungsmassnahmen auf die Anordnung von Personendurchsuchungen ist notwendig, weil sich in der Praxis zeigte, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines von einer Hausdurchsuchung betroffenen Unternehmens versucht sein können, mögliche Beweismittel an sich zu nehmen und auf der eigenen Person zu verstecken. Ohne Rechtsgrundlage für die Vornahme einer Personendurchsuchung, welche in aller Regel von Vertreterinnen oder Vertretern der Kantonspolizei vorgenommen wird, könnten solche Gegenstände (und auch weitere mögliche Beweismittel, die die betreffenden Personen im Normalfall auf sich tragen, wie z. B. Mobiltelefone) nicht gesucht und beschlagnahmt werden. Zudem wird explizit festgelegt, dass auch Gegenstände, die nicht klar den Räumlichkeiten zugeordnet werden können, wie z. B. Fahrzeuge, von den Wettbewerbsbehörden durchsucht werden können. Diese Instrumente stehen auch allen anderen Ermittlungsbehörden zur Verfügung, die Hausdurchsuchungen nach den Artikeln 45­50 des Bundesgesetzes vom 22. März 197472 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) durchführen. Die Durchsuchung von Personen und Gegenständen ist wie bei Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen durch ein Mitglied des Präsidiums auf Antrag des Sekretariats anzuordnen. Gestützt auf die Ermächtigung eines Mitglieds des Präsidiums kann das Sekretariat alsdann vor Ort die zu durchsuchenden Personen und Gegenstände festlegen.

Abs. 3 Anders als nach dem Grundsatz in Artikel 39 KG sind Beschwerden gegen Verfügungen über Zwangsmassnahmen nach Artikel 42 Absatz 2 E-KG (Haus-, Sach- und Personendurchsuchungen
sowie Beschlagnahmungen) an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zu richten, welche auch in anderen Rechtsgebieten über solche Beschwerden zu befinden hat. Da das Bundesverwaltungsgericht nicht bereits im Un71

72

Zur Anwendbarkeit der strafrechtlichen Verfahrensgarantien sowie den qualitativen Abstufungen in Randbereichen des Strafrechts vgl. den Bericht des Bundesrates vom 23. Februar 2022 in Erfüllung des Postulates 18.4100 SPK-N vom 1. November 2018, BBl 2022 67 S. 776, Ziff. 3.1 ff.

SR 313.0

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tersuchungsstadium an der Überprüfung der Zulässigkeit bestimmter Zwangsmassnahmen (insb. betreffend die Prüfung der Voraussetzung des hinreichenden Tatverdachts) beteiligt ist, können Probleme einer allenfalls rechtsstaatlich problematischen Vorbefassung sowie allfällige Doppelspurigkeiten beim Rechtsweg (Bundesstrafgericht/Bundesverwaltungsgericht) vermieden werden. Auf das Verfahren der Beschwerde vor dem Bundesstrafgericht finden die Bestimmungen des VStrR Anwendung. Die Beschwerdeentscheide des Bundesstrafgerichts können von der WEKO ebenso wie diejenigen des Bundesverwaltungsgerichts ans Bundesgericht weitergezogen werden. Die vorliegende Regelung schafft eine klare Rechtsgrundlage für diese Beschwerdelegitimation und wahrt dabei die Unabhängigkeit der WEKO in Rechtsmittelverfahren.

Art. 42a In Artikel 42a E-KG wird eine redaktionelle Anpassung vorgenommen. Mit dem am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon73 wurde die offizielle Bezeichnung der «Europäischen Gemeinschaft» in «Europäische Union» geändert.

Art. 43, Abs. 2 In Artikel 43 Absatz 2 E-KG wird eine redaktionelle Anpassung vorgenommen. Anstatt das VwVG mit vollständigem Titel zu nennen, wird neu nur dessen Abkürzung verwendet.

Art. 44a Die Motion 16.4094 Fournier verlangt, dass Fristen im Verwaltungsverfahren für die Gerichte eingeführt werden. Im Sinne einer kohärenten Lösung erfasst die Vorlage des Bundesrates Fristen für sämtliche Verfahrensetappen, mithin auch auf Stufe der Wettbewerbsbehörden. Mit dem Vorschlag könnte für die Wettbewerbsbehörden und Gerichte ein gewisser zusätzlicher Zeitdruck entstehen. Damit die Rechtssicherheit weiterhin gewährleistet wird, müssen die Verfahrensrechte der Parteien sowie die Qualität der Entscheide trotz des neuen Zeitdrucks unverändert bleiben. Aus diesem Grund sind Ordnungsfristen starren Fristen vorzuziehen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass bei den Gerichten eine Priorisierung kartellrechtlicher Verfahren zulasten der Verfahrensdauer anderer (verwaltungsrechtlicher) Verfahren erfolgt. Sachliche Gründe für eine solche Ungleichbehandlung sind nicht ersichtlich.

Abs. 1 Zur konkreten Dauer der Ordnungsfristen äussert sich die Motion nicht. Der Bundesrat schlägt vor, dass die Obergrenze für die gesamte Verfahrensdauer über alle Instanzen in der Regel nicht mehr als fünf
Jahre betragen sollte. Deshalb wird gemäss Artikel 44a Absatz 1 E-KG eine Ordnungsfrist auf einer «Comply-or-Explain»-Basis von insgesamt 60 Monaten von der Eröffnung einer Untersuchung bis zum rechtskräf73

Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. C 306 vom 17. Dezember 2007.

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tigen Entscheid über alle Instanzen empfohlen. Diese soll 30 Monate für die WEKO (Abs. 1 Bst. b), 18 Monate für das Bundesverwaltungsgericht (Abs. 1 Bst. c) und zwölf Monate für das Bundesgericht (Abs. 1 Bst. e) betragen. Für Vorabklärungen sieht der Entwurf eine Frist von zwölf Monaten vor (Abs. 1 Bst. a); für die Beurteilung von Beschwerden gegen verfahrensleitende Verfügungen durch das Bundesverwaltungs- und Bundesgericht jeweils vier Monate (Abs. 1 Bst. c und e). So werden in allen Etappen der Verfahren Ordnungsfristen eingeführt, was zur Beschleunigung und Vorhersehbarkeit der Verfahrensdauer beiträgt. Unabhängig von der Forderung der Motion 16.4094 Fournier schlägt der Bundesrat für den Bereich der Zusammenschlusskontrolle vor, eine Behandlungsfrist für Beschwerden vor dem Bundesverwaltungsgericht einzuführen (Abs. 1 Bst. d). Zusammenschlüsse erfolgen unter hohem Zeitdruck. Im Wettbewerb stehende Unternehmen benötigen innert kurzer Zeit erfolgende Entscheide. Aus diesem Grunde ist die Prüfung von Zusammenschlüssen durch die WEKO an Fristen geknüpft. Sind die Unternehmen mit einer Untersagung oder Zulassung des Zusammenschlusses unter Auflagen und Bedingungen durch die WEKO nicht einverstanden, sind sie auf eine rasche gerichtliche Überprüfung angewiesen. Droht ein langes Beschwerdeverfahren, sehen die Unternehmen unter Umständen von einem Rechtsmittel ab. Aus diesem Grunde wird für die Beurteilung einer Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht neu eine dreimonatige Frist eingeführt, die ab Eingang der Beschwerde zu laufen beginnt. Aus Artikel 34 E-KG folgt e contrario, dass es sich hierbei um eine Ordnungsfrist handelt (und nicht um eine Verwirkungsfrist wie für die WEKO), und zwar im Sinne eines Appells an die Beschwerdeinstanz, rasch zu entscheiden. Für das Verfahren vor Bundesgericht ist auch in Fällen der Zusammenschlusskontrolle Artikel 44a Absatz 1 Buchstabe e E-KG einschlägig.

Abs. 2 Bei einer Rückweisung an die Vorinstanz werden gemäss Artikel 44a Absatz 2 E-KG die Ordnungsfristen für alle Instanzen auf jeweils zwölf Monate festgelegt, da regelmässig ein grosser Teil der erforderlichen Abklärungen bereits im Rahmen der jeweiligen ersten Beurteilung vorgenommen wurde.

Abs. 3 Gemäss Artikel 44a Absatz 3 E-KG erhöhen die von Adressaten der Untersuchung veranlasste Verfahrensverlängerungen,
insbesondere Fristerstreckungen, Ausstandsgesuche, von einer Partei zu einem späten Zeitpunkt initiierte Verhandlungen über eine einvernehmliche Regelung, Beschwerdeverfahren gegen verfahrensleitende Verfügungen und Siegelungen nach Artikel 50 Absatz 3 VStrR, die in Artikel 44a Absatz 1 und 2 E-KG genannten Fristen entsprechend.

Abs. 4 Falls eine Untersuchung im Einzelfall sehr komplex ist und dafür mehr Zeit benötigt wird oder andere Umstände zu einer Überschreitung der Fristen führen, sind die Wettbewerbsbehörden und Gerichte verpflichtet, den Verfahrensbeteiligten die Gründe der Nichteinhaltung der jeweiligen Frist unmittelbar nach deren jeweiligen Ablauf mitzuteilen.

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Art. 49a Abs. 3, 4 und 5 Abs. 3 und 4 Mit der vorliegenden Revision wird an der 2003 vom Gesetzgeber verabschiedeten Grundkonzeption des Widerspruchsverfahrens ­ Meldung geplanter Wettbewerbsbeschränkungen befreit von Sanktionsrisiko, sofern kein Verfahren eröffnet wird ­ festgehalten. Neu wird das Widerspruchsverfahren nicht mehr in Artikel 49a Absatz 3 KG, sondern in einem separaten Artikel 49a Absatz 4 E-KG geregelt. Deshalb wird Artikel 49a Absatz 3 Buchstabe a KG gestrichen. Zudem werden zwei Änderungen vorgenommen, welche die Funktionsweise des Widerspruchsverfahrens in der Praxis für die Unternehmen verbessern.

Erstens entfällt das Sanktionsrisiko für das gemeldete Verhalten definitiv, wenn die Wettbewerbsbehörden innert der Widerspruchsfrist keine Untersuchung nach Artikel 27 KG eröffnen. Die Eröffnung einer Vorabklärung gemäss Artikel 26 KG genügt nicht mehr. In Fällen, in denen trotz umfassender Meldung keine Anhaltspunkte für eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung zu einer Untersuchungseröffnung führen, besteht für die Unternehmen für das gemeldete Verhalten kein Sanktionsrisiko mehr. Bestehen hingegen Anhaltspunkte für eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung durch das gemeldete, aber möglicherweise noch nicht umgesetzte Verhalten, eröffnet das WEKO-Sekretariat im Einvernehmen mit einem Mitglied des Präsidiums der WEKO eine Untersuchung. Tut es dies innert der entsprechenden Frist (dazu sogleich), bleibt das Sanktionsrisiko bestehen. Erweist sich das gemeldete Verhalten als unzulässig, ist wie folgt zu unterscheiden: Ist das Verhalten erst beabsichtigt, werden die Behörden ein entsprechendes Verbot anordnen. Ist es bereits erfolgt, werden sie zusätzlich eine Sanktion aussprechen.

Zweitens wird die Frist, innert welcher die Wettbewerbsbehörden tätig werden müssen, von fünf auf zwei Monate herabgesetzt. Die Sanktionierbarkeit für das gemeldete Vorhaben entfällt somit definitiv, sofern die zuständigen Behörden nicht innert zwei Monaten nach der Meldung eine Untersuchung eröffnen. Stellt sich das Verhalten im Nachhinein doch als kartellrechtswidrig heraus, so kann es einzig für die Zukunft untersagt werden: Eine direkte Sanktion nach Artikel 49a Absatz 1 KG ist ausgeschlossen.

Abs. 5 Nach geltendem Recht kann die WEKO nur solche Schadenersatzzahlungen sanktionsmindernd berücksichtigen,
die vor ihrem Entscheid geleistet werden. Grundlage bilden im geltenden Recht die Sanktionsbemessungskriterien nach Artikel 49a Absatz 1 KG und insbesondere Artikel 6 SVKG. Auch im Beschwerdeverfahren vor Gericht soll das im Verwaltungsverfahren mit einer Sanktion belastete Unternehmen geltend machen können, es habe nach dem angefochtenen Entscheid freiwillig ­ d. h.

ohne hierzu von einem Zivilgericht verpflichtet worden zu sein ­ Schadenersatz bezahlt und das Gericht solle dies sanktionsmindernd berücksichtigen.

Richtet ein belastetes Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt, also nach einem rechtskräftigen Entscheid der WEKO, des Bundesverwaltungs- oder des Bundesgerichts freiwillig Schadenersatzzahlungen aus, so kann das Unternehmen mit einem Gesuch nach Artikel 30 Absatz 3 KG an die WEKO eine Sanktionsreduktion beantra48 / 62

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gen. Die WEKO kann in diesem Fall die bereits rechtskräftige Verwaltungssanktion in angemessenem Umfang reduzieren oder, falls das Unternehmen die Sanktion zwischenzeitlich bereits beglichen hat, die Rückerstattung eines angemessenen Teils anordnen. Gegen den Entscheid der WEKO steht wiederum der Rechtsmittelweg offen.

Bei der Höhe der Sanktionsreduktion oder der Rückerstattung sind die Umstände des Einzelfalls zu beachten, so vor allem das Ausmass (Entschädigung aller oder nur eines Teils der Geschädigten, volle oder nur teilweise Entschädigung) und der Zeitpunkt (z. B. vor dem Entscheid der WEKO; im Beschwerdeverfahren oder erst nach einem Gerichtsentscheid) der Schadenersatzleistungen: Je breiter, je umfassender und je früher im Verfahren freiwillig Entschädigungen geleistet werden, desto stärker werden sie an die Sanktion angerechnet. Zum Beispiel reduzierte die WEKO im Verfahren «Strassenbau Graubünden», welches Submissionsabreden zwischen zwölf Strassenbauunternehmen in Nord- und Südbünden von 2004 bis 2010 betraf, die Sanktionen in einer Gesamthöhe von rund 14 Millionen Franken auf rund elf Millionen Franken, da neun der zwölf Strassenbauunternehmen noch vor dem WEKO-Entscheid mit Kartellopfern Vergleichsvereinbarungen abgeschlossen hatten. Sie verpflichteten sich darin, den Kanton und die betreffenden Bündner Gemeinden mit insgesamt rund sechs Millionen Franken zu entschädigen.74 Sanktionen haben im Kartellrecht sowohl einen strafenden (pönalen) als auch einen abschöpfenden Charakter. Wenn ein Unternehmen, welches gegen das Kartellrecht verstossen hat, seine Opfer ganz oder teilweise entschädigt, ist der gewinnabschöpfende Teil der Sanktion entsprechend zu reduzieren. Der Strafanspruch des Staates wird durch die Schadenersatzleistung hingegen nicht reduziert. Die Anrechnung erfolgt daher nur, aber immerhin, in «angemessenem» Umfang, also nicht komplett («eins-zu-eins»). Diese Regelung setzt einen Anreiz für Unternehmen, die gegen kartellrechtliche Bestimmungen verstossen haben, bereits möglichst früh im Verfahren und umfassend eine gütliche Einigung mit möglichst allen Geschädigten einer unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung zu erzielen. In der Praxis bestehen auch nach Aufdeckung und Sanktionierung einer unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung häufig weiterhin geschäftliche Beziehungen zwischen
den Kartelltätern und -opfern.

Diese Regelung dient somit auch dem Rechtsfrieden. Im Gegensatz zur gescheiterten KG-Revision von 2012 schlägt der Bundesrat nun vor, dass eine Anrechnung nur erfolgen soll, wenn das Unternehmen «freiwillig» Schadensersatzzahlungen leistet. Damit soll einerseits ein Anreiz zur aussergerichtlichen oder vergleichsweisen Einigung gesetzt werden. Andererseits soll vermieden werden, dass bei einer aussergerichtlichen Einigung der Parteien diese zusätzlich noch einen formellen Entscheid eines Zivilgerichts erwirken müssen, wie dies in der damaligen Revisionsvorlage vorgesehen war.

74

Vgl. Jahresbericht 2019 der WEKO an den Bundesrat, S. 6, abrufbar unter: www.weko.admin.ch > Praxis > Jahresberichte.

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Art. 53 Abs. 3 und 4 Abs. 3 Das zweite Element zur Umsetzung der Motion 21.4189 Wicki (zum ersten Element siehe den neuen Art. 39a E-KG und zum dritten Element den neuen Art. 53 Abs. 4 E-KG) betrifft die Unschuldsvermutung. Gemäss dem Wortlaut der Motion 21.4189 Wicki ist das «Kartellgesetz so zu präzisieren, dass die verfassungsmässige Unschuldsvermutung auch dort Anwendung findet». Die Unschuldsvermutung ist eine Verfahrensmaxime, welche im Strafverfahren gilt, nicht aber in gewöhnlichen Verwaltungs- und Zivilverfahren. Das heisst, dass die Unschuldsvermutung in kartellrechtlichen Verfahren, in welchen den betroffenen Unternehmen Sanktionen drohen und die folglich als strafrechtliche Anklagen im Sinn von Artikel 6 EMRK gelten, bereits durch die Vorgaben in Artikel 6 Ziffer 2 EMRK, Artikel 14 Absatz 2 des Internationalen Pakts vom 16. Dezember 196675 über bürgerliche und politische Rechte (sog. UNO-Pakt II) und Artikel 32 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)76 gewährleistet ist. Auch in der Rechtsprechung der WEKO und der Gerichte sowie in der Lehre ist unbestritten, dass in diesen Verfahren die Unschuldsvermutung gilt.77 Um den Grundsatz noch stärker ins Bewusstsein der Verfahrensadressaten und der rechtsanwenden Behörden zu rücken und allfällige Unklarheiten über dessen Geltung zu beseitigen, kann eine explizite, wenn auch bloss deklaratorische Kodifizierung im KG sinnvoll sein. In Anlehnung an Artikel 10 StPO wird der Begriff «unschuldig» verwendet, der zwar im Verwaltungssanktionsrecht ungebräuchlich ist, weil es andres als im Kernstrafrecht keine klassische «Schuld» gibt. Die Formulierung soll aber verdeutlichen, dass es vorliegend um die ausdrückliche Verankerung des Gehalts der «Unschuldsvermutung» im KG geht. Damit wird das diesbezügliche Anliegen der Motion 21.4189 Wicki vollumfänglich berücksichtigt.

Abs. 4 Das dritte Element zur Umsetzung der Motion 21.4189 Wicki (zum ersten Element siehe den neuen Art. 39a E-KG und zum zweiten Element den neuen Art. 53 Abs. 3 E-KG) betrifft die Beweislast. Gemäss dem Vorstoss dürfe es im Kartellrecht keine Beweislastumkehr geben. Die (materielle) Beweislast legt fest, wer die Folgen der Beweislosigkeit trägt. Die Frage ist mit dem Untersuchungsgrundsatz und der Unschuldsvermutung verknüpft. Typischerweise ergibt sich die Beweislast aus dem materiellen
Recht. Allgemeine Beweislastregeln sind in den Verfahrensgesetzen nicht verbreitet; auch in der StPO ist keine solche enthalten. Hingegen regelt Artikel 8 ZGB für das Zivilrecht den Grundsatz: «Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet». Die Norm hat eine grundlegende Tragweite in der Schweizer Rechtsordnung und wird insbesondere oft auch in der Rechtsanwendung im Verwaltungsrecht sinngemäss herangezogen. Gemäss Lehre und Rechtsprechung liegt die Beweislast in kartellrechtlichen Verfahren, in welchen dem betroffenen Unternehmen Sanktionen drohen, allerdings bereits nach geltendem Recht ­ wie im Strafrecht ­ grundsätzlich 75 76 77

SR 0.103.2 SR 101 Vgl. den Bericht des Bundesrates vom 23. Febr. 2022 in Erfüllung des Postulates 18.4100 SPK-N vom 1. November 2018, BBl 2022 67 S. 776, Ziff. 3.3.

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bei den Wettbewerbsbehörden. Dies gilt seit der Einführung von Sanktionen im Jahre 2003 de facto auch für die gesetzlichen Vermutungen in Artikel 5 Absätze 3 und 4 KG ­ und zwar entgegen deren Wortlaut. Deshalb wird ­ im Sinne der Motion 21.4189 Wicki ­ die Beweislastverteilung im KG im Rahmen einer neuen und spezifischen Norm (Art. 53 Abs. 4 E-KG) ausdrücklich festgehalten: In sanktionierbaren Fällen tragen die Behörden die Beweislast für das Vorhandensein der tatsächlichen Voraussetzungen einer vorgeworfenen Verhaltensweise. Dies gilt grundsätzlich auch für die heute nicht restlos geklärte Frage der Beweislast für das (Nicht-)Vorliegen von Rechtfertigungsgründen gemäss Artikel 5 Absatz 2 KG. Zwar tragen die Behörden auch für das Nicht-Vorliegen einer Rechtfertigung die Beweislast; dies bedingt allerdings eine Mitwirkung der Unternehmen, indem diese mögliche Effizienzgründe geltend machen und in ihrem Herrschaftsbereich liegende Beweise beibringen.

Soweit es nicht um Sanktionen geht, ist hingegen keine Abweichung von der üblichen Beweislastverteilung im Verwaltungsrecht angezeigt, zumal es sich diesfalls um klassische Verwaltungsverfahren handelt und nicht um Verfahren, die als strafrechtliche Anklagen im Sinn von Artikel 6 EMRK gelten. Orientierungspunkt bildet hier der allgemeine Rechtsgrundsatz zur Beweislastverteilung, wie er in Artikel 8 ZGB zum Ausdruck kommt. Dasselbe gilt für das Kartellzivilrecht; auch dort ist ein Abweichen von der üblichen Beweislastverteilung nicht angezeigt. Diesen Prämissen folgend wird eine Bestimmung zur Beweislast im 6. Abschnitt des KG («Verwaltungssanktionen») in die vorliegende Revision aufgenommen. Eine Änderung der bestehenden Regelungen von Artikel 5 und 7 KG geht hiermit nicht einher.

Sachüberschrift des 7. Abschnitts Durch die Einführung eines neuen Artikel 53b E-KG betreffend Parteienentschädigung in den 7. Abschnitt ist auch dessen Überschrift entsprechend zu ergänzen.

Art. 53a Sachüberschrift, Abs. 1, 1bis, 1ter und 3 Aufgrund des neuen Artikels 53b E-KG ist Artikel 53a E-KG künftig nicht mehr der einzige Artikel des 7. Abschnitts. Er muss deshalb mit einer Sachüberschrift ergänzt werden. Diese lautet «Gebühren».

Abs. 1 In Artikel 53a Absatz 1 Buchstabe a KG wird der Satzteil «Verfügungen über die Untersuchung von Wettbewerbsbeschränkungen» durch
«Verfahren» ersetzt. Damit wird klargestellt, dass Gebühren auch für Vorabklärungen nach Artikel 26 KG ­ solche Verfahren werden nicht mittels Verfügungen abgeschlossen ­ erhoben werden können (insb. bei Verfahrenseinstellung aufgrund von Verhaltensanpassungen der Unternehmen; e contrario Art. 53a Abs. 1bis Bst. b E-KG). Eine materielle Änderung ist hiermit nicht verbunden. Zudem wird auch im Sinne einer Klarstellung eine explizite gesetzliche Grundlage für die Gebührenerhebung in Sanktionsfällen nach den Artikeln 49a­53 KG durch die ausdrückliche Nennung von Artikel 53 KG in Artikel 53a Absatz 1 Buchstabe a E-KG geschaffen. Gleichzeitig wird mit den Ergänzungen von Artikel 53a Absatz 1 Buchstabe c E-KG die diesbezüglich unbestrittene Praxis der Wettbewerbsbehörden betreffend die Gebührenerhebung für Beratungen sowie Wi51 / 62

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derspruchsverfahren in einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage festgehalten. Für Strafverfahren nach den Artikeln 54­57 KG gelten wie bisher die Gebührenregeln nach den Artikeln 54 ff. VStrR.

Abs. 1bis und Absatz 1ter Durch die Einfügung eines neuen Artikels 53a Absatz 1bis sowie eines neuen Artikels 53a Absatz 1ter E-KG wird die bisher durch die Artikel 2 und 3 Absatz 2 GebV-KG konkretisierte Rechtslage auf Gesetzesstufe verankert. Im KG findet sich damit neu eine klare Regelung sowohl bezüglich der vom Verursacherprinzip geprägten Gebührenpflicht (Art. 53a Abs. 1bis E-KG) als auch bezüglich derjenigen Fälle, in denen insbesondere ausgehend vom Unterliegerprinzip keine Gebühren erhoben werden (Art. 53a Abs. 1ter E-KG).

Abs. 3 Durch die ausdrückliche Statuierung der Bestimmung von Artikel 3 GebV-KG hinsichtlich der Regelung der Gebührenfreiheit in Artikel 53a Absatz 1ter E-KG erübrigt sich die entsprechende Delegationsnorm in Artikel 53a Absatz 3 Satz 2 KG.

Art. 53b Die Motion 16.4094 Fournier fordert die Einführung von Parteienentschädigungen auf allen Verfahrensstufen. Eine Parteienentschädigung im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren existiert im Schweizer Recht grundsätzlich nicht. Eine Ausnahme bildet lediglich Artikel 115 Absatz 1 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 193078 über die Enteignung. Aus Sicht der Motion 16.4094 Fournier seien kartellrechtliche Verwaltungsverfahren besonders komplex, lang und aufwendig und würden insbesondere KMU erheblich belasten. Dies rechtfertige vorliegend eine besondere Regelung. Allerdings ist festzuhalten, dass auch andere Verwaltungs(sanktions)verfahren (z. B. im Geldspiel-, Fernmelde- oder Finanzmarktbereich) lang, komplex und kostspielig sein können. Sachliche Gründe für eine Privilegierung von Unternehmen, die von kartellrechtlichen Verwaltungsverfahren betroffen sind, sind nicht ersichtlich. Aktuell existiert keine Vorschrift zur spezifischen Regelung von Parteienentschädigungen in kartellrechtlichen Verfahren. Artikel 39 KG verweist auf das VwVG, das in seinem Artikel 64 für Beschwerdeverfahren Entschädigungen vorsieht.

Der neue, auf Artikel 64 VwVG beruhende Artikel 53b E-KG sieht künftig eine neue Rechtsgrundlage für Parteientschädigungen im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren vor.

Wenn ein Untersuchungsverfahren nach Artikel 27 KG ohne
Folgen ganz oder teilweise eingestellt wird, kann den Beteiligten von Amtes wegen oder auf Begehren eine Entschädigung zugesprochen werden. Um eine Spaltung des Beschwerdeverfahrens und somit auch widersprüchliche Entscheide zu vermeiden, ist über die Parteienentschädigung gemeinsam mit dem Endentscheid zu befinden, wie dies auch in anderen Verfahrensordnungen üblich ist (vgl. etwa Art. 421 StPO). Dabei sollen sich die Anspruchsvoraussetzungen an den nachfolgenden Eckpunkten orientieren, die sich aus 78

SR 711

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der geltenden Praxis zur Parteienentschädigung im Beschwerdeverfahren (insb.

Art. 64 VwVG) ableiten.

Der Wortlaut von Artikel 53b Absatz 1 E-KG orientiert sich an Artikel 64 Absatz 1 VwVG. Demnach spricht die WEKO den Adressaten einer Untersuchung nach Artikel 27 KG von Amtes wegen oder auf Begehren eine Entschädigung für Aufwendungen ab Eröffnung der Untersuchung zu, sofern das Verfahren gegen sie ganz oder teilweise eingestellt wird. Die Entschädigung soll in Anlehnung an Artikel 99 VStrR ganz oder teilweise verweigert werden können, wenn das Verfahren schuldhaft verursacht oder mutwillig erschwert oder verlängert wurde.

In der Praxis stellt die WEKO zuweilen nur in den Erwägungen fest, dass ein nichtsanktionierbarer KG-Verstoss gegeben ist, und verzichtet auf die Anordnung von Verhaltensmassnahmen, z. B. weil keine Wiederholungsgefahr besteht. Diesfalls werden die Verfahrenskosten aber dennoch der Partei auferlegt, da sie einen KG-Verstoss begangen und das Verfahren verursacht hat. Mit dem Kriterium «ohne Folgen» wird klargestellt, dass die betreffende Partei in diesem Fall keinen Anspruch auf Parteientschädigung hat. Bei teilweiser Einstellung, z. B. wenn sich nur einer von mehreren Verdachtspunkten erhärtet hat, ist eine reduzierte Parteientschädigung denkbar.

Hinsichtlich der Einzelheiten der Parteientschädigung sind Artikel 64 Absätze 1, 2 und 5 VwVG sinngemäss anwendbar.

Parteientschädigungen im Beschwerdeverfahren vor Bundesverwaltungsgericht und Bundesgericht richten sich weiterhin nach den Vorschriften der entsprechenden Beschwerdeverfahren, namentlich Artikel 64 VwVG und Artikel 68 BGG.

Art. 57 Abs. 1 In Artikel 57 KG wird eine redaktionelle Anpassung vorgenommen, indem das VStrR gemäss der geltenden Praxis zitiert wird. Mit der Umstellung dieses Satzes geht keinerlei materielle Änderung einher.

Art. 59a Nach der am 25. März 2009 erfolgten Publikation des Berichts des Bundesrates zur Evaluation des KG und zum weiteren Vorgehen ist der heutige Evaluationsartikel erfüllt. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass sich das bisherige Vorgehen bewährt hat, und schlägt vor, in periodischen Abständen eine Evaluation der Wirksamkeit und der Massnahmen des KG zuhanden des Parlaments vorzusehen. Durch die periodische Evaluation erhalten Bundesrat und Parlament die Gelegenheit, die Ausrichtung
der Kartellgesetzgebung zu überprüfen und gegebenenfalls neu festzulegen. Zur Durchführung der Evaluation kann der Bundesrat auch die Wettbewerbsbehörden einbeziehen.

Art. 62 Abs. 1, 2, 3 und 4 Abs. 1 Absatz 1 bestimmt, dass für im Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Bestimmungen bereits hängige Verfahren betreffend die Prüfung von Unternehmenszusammen53 / 62

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schlüssen das bisherige Recht anwendbar bleibt, und zwar sowohl die materiell- als auch die verfahrensrechtlichen Bestimmungen.

Abs. 2 Absatz 2 bestimmt, dass die Regelungen betreffend Ordnungsfristen gemäss Artikel 44a E-KG und Parteienentschädigungen gemäss Artikel 53b E-KG nur für Verfahren gelten, die nach Inkrafttreten dieser beiden Bestimmungen durch die WEKO eröffnet werden.

Abs. 3 In Absatz 3 wird vorgesehen, dass bei Widerspruchsverfahren (Art. 49a Abs. 4 E-KG) die im bisherigen Recht vorgesehene Frist von fünf Monaten weiterhin gilt, wenn die Meldung noch vor Inkrafttreten der neuen Bestimmungen erfolgte. Damit wird verhindert, dass die Verkürzung der bisherigen Frist (von fünf Monaten auf künftig zwei) zu einem Fristablauf einer nach bisherigem Recht noch laufenden Frist durch Inkrafttreten der neuen Bestimmungen führen kann. Abgesehen von der Frist finden auf solche Verfahren aber mit ihrem Inkrafttreten bereits die neuen Bestimmungen Anwendung. Dies hat zur Folge, dass das Sanktionsrisiko erst ab Eröffnung einer formellen Untersuchung nach Artikel 27 KG innert der zum Zeitpunkt der Meldung geltenden Widerspruchsfrist besteht.

Abs. 4 Hinderung oder Stillstand der Verjährung nach Artikel 12a E-KG beginnen für Ansprüche aufgrund einer Wettbewerbsbeschränkung gemäss Artikel 5 oder 7 KG, welche Gegenstand eines Verfahrens gemäss Artikel 27 KG ist, mit dem Inkrafttreten dieser neuen Bestimmung. Gemäss Absatz 4 bleiben einmal verjährte Forderungen verjährt.79 Es wäre mit der Rechtssicherheit kaum zu vereinbaren, würde eine bereits verjährte Forderung nachträglich aufgrund des Inkrafttretens von Artikel 12a E-KG wieder unverjährt. Ist die Verjährung einer Forderung im Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Bestimmungen aber noch nicht eingetreten, so findet in Bezug auf die verbleibende Verjährungsdauer Artikel 12a E-KG Anwendung.

6

Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund

Mit der Umsetzung der Motion 16.4094 Fournier hinsichtlich der Einführung von Parteienentschädigungen auch im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren gehen einzig finanzielle Auswirkungen für den Bund einher. Sofern das Untersuchungsverfahren durch die Wettbewerbsbehörden ohne Folgen ganz oder teilweise eingestellt wird, soll neu den betroffenen Unternehmen zu Lasten des Bundeshaushalts eine Parteienentschädigung auch für das erstinstanzliche Verfahren gezahlt werden.

79

Analog zu BGE 124 III 266.

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In den letzten 15 Jahren hat die WEKO ca. gegen 350 Unternehmen eine Untersuchung geführt. In ca. 60 abgeschlossenen Fällen wäre die Bestimmung der Motion 16.4094 Fournier anwendbar gewesen. Derzeit sind zudem zahlreiche Verfahren (ca. 100) noch vor Gerichten hängig, so dass es sein kann, dass sich die Zahl der Verfahren, in welchen eine Parteientschädigung aufgrund der Verfahrenseinstellung in Frage käme, noch erhöht. Aufgrund der fehlenden Präzedenz sind derzeit keine verlässlichen Angaben zu den durchschnittlichen Kosten der Entschädigungen pro Fall möglich. Die Parteien müssen derzeit auch keine Kostennote bei der WEKO einreichen. Der Bundesrat schätzt, dass die Spannweite der Kostenfolgen von Fall zu Fall gross sein dürfte. Zudem sind kartellrechtliche Verfahren häufig aufwändig und richten sich gegen viele Parteien, was zu hohen Parteientschädigungen führen kann.

Bekannt sind lediglich die Kosten, die bei den Wettbewerbsbehörden im Rahmen von Sanktionsverfahren angefallen sind und die den betroffenen Unternehmen in Rechnung gestellt wurden. Die Aufwendungen der WEKO und ihres Sekretariats belaufen sich durchschnittlich auf 117 320 Franken80 pro Unternehmen pro Untersuchungsverfahren. Allerdings ist davon auszugehen, dass der finanzielle Aufwand der Parteien für die Verteidigung im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren regelmässig höher ist als jener der Wettbewerbsbehörden, insbesondere da erstere nicht in den Genuss von Synergieeffekten gelangen. Wie weiter oben bereits erwähnt wäre in den vergangenen 15 Jahren mindestens in ca. 60 Fällen die von der Motion 16.4094 Fournier geforderte Bestimmung zum Ersatz erstinstanzlicher Verwaltungsverfahren anwendbar gewesen. Vor diesem Hintergrund kann durchschnittlich mit mindestens vier Fällen pro Jahr gerechnet werden. Zur Festlegung des entsprechenden Budgetpostens des WBF bzw. der WEKO sollte eine Sicherheitsmarge für zwei weitere Fälle jährlich vorgesehen werden. Vorliegend sind lediglich die Kosten der WEKO und ihres Sekretariats in Höhe von durchschnittlich 117 320 Franken pro Unternehmen pro Untersuchungsverfahren bekannt. Daher wird zum Zwecke der Budgetschätzung von einem vierfachen Faktor für die in der Regel maximale Parteienentschädigung, mithin von 500 000 Franken je obsiegendes Unternehmen, ausgegangen. Im Ergebnis entspräche dies
einem jährlichen Budget für die Entschädigung erstinstanzlicher Verwaltungsverfahren in Höhe von 3 000 000 Franken. Die Umsetzung dieser Forderung der Motion 16.4094 Fournier bedingt eine Anpassung der GebV-KG.

Personelle Auswirkungen auf den Bund sind mit der vorliegenden Teilrevision des KG nicht zu erwarten. Der durch einzelne Gesetzesanpassungen (z. B. Zusammenschlusskontrolle, Widerspruchsverfahren, Berücksichtigung von Schadenersatzleistungen) entstehende Mehraufwand kann im Rahmen der bestehenden Ressourcen aufgefangen werden. Insbesondere wäre nicht mit zusätzlichen Ausgaben und Personalaufwendungen für die Wettbewerbsbehörden und die Eidgenössischen Gerichte (Bundesgericht und Bundesverwaltungsgericht) zu rechnen. Wegen der Einführung des SIEC-Tests bei Unternehmenszusammenschlüssen müssen sich die WEKO und ihr Sekretariat jedoch während der Umsetzungsphase und auch später bei der Rechtsanwendung auf zusätzlichen Arbeitsaufwand einstellen.81 Die materiellrechtlichen Anpassungen im Bereich der Zusammenschlusskontrolle lösen jedoch keinen personellen und finanziellen Mehrbedarf aus, der nicht mit dem Budget der WEKO gedeckt 80 81

Berechnungen basieren auf Daten der WEKO.

Vgl. Studie Swiss Economics, S. 47.

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ist. Zudem könnten auch die Neuerungen zum Widerspruchsverfahren zu Mehraufwänden bei den Wettbewerbsbehörden führen. Voraussichtlich ist mit einer höheren Zahl von Meldungen und dadurch verursachten Widerspruchsverfahren zu rechnen.

Auch die Umsetzung der Motion 18.4282 Français kann den Arbeitsaufwand der Wettbewerbsbehörden und Gerichte erhöhen, weil sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien zu berücksichtigen sind. Alles in allem soll der geschilderte voraussichtliche Mehraufwand jedoch im Rahmen der bestehenden Ressourcen aufgefangen werden, allenfalls zu Lasten von gewissen anderen Arbeiten.

Die Stärkung des Kartellzivilrechts hat insbesondere Auswirkungen auf die Kantone, beziehungsweise die kantonalen Zivilgerichte (siehe dazu nachfolgend Ziff. 6.2).

Grundsätzlich ist es möglich, dass das Bundesgericht vermehrt kartellzivilrechtliche Fälle beurteilen muss. Die Zunahme dürfte aber beschränkt sein.

6.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Die Durchsetzung des Kartellrechts erfolgt heute weitgehend auf dem öffentlichrechtlichen Weg, wobei hierfür weiterhin Organe des Bundes zuständig sind. Die Stärkung des Kartellzivilrechts könnte indes zu einer vermehrten Beanspruchung der kantonalen Zivilgerichte führen. Hinsichtlich Folgeklagen ist allerdings zu erwarten, dass zivilrechtliche Klagen entsprechend dem Ergebnis des verwaltungsrechtlichen Verfahrens durch Vergleich geregelt werden und nur gelegentlich zu einem Zivilprozess führen. Die Unterbindung regionaler Wettbewerbsbeschränkungen, welche die Wettbewerbsbehörden nicht aufgreifen, dafür aber geschädigte Endkundinnen und -kunden auf dem Zivilweg, liegt im Interesse der Kantone. Schliesslich würden Kantone und Gemeinden neu ebenfalls zur Einreichung einer Klage legitimiert. Dies wäre insbesondere in Bezug auf Submissionsabreden in ihrem Interesse.

6.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

6.3.1

Auswirkungen auf die einzelnen wirtschaftlichen Akteure

Revision Artikel 5 KG Mit der Umsetzung der Revision von Artikel 5 KG aufgrund der Motion 18.4282 Français gilt für die gesetzlichen fünf Typen harter horizontale und harter vertikaler Wettbewerbsabreden, dass sie nicht mehr grundsätzlich als den Wettbewerb erheblich beeinträchtigend eingestuft werden. Die Einführung der Berücksichtigung des quantitativen Elements der Erheblichkeit bei harten Wettbewerbsabreden wird sich auf die Verfahrensdauer auswirken, da hiermit sowohl für die Wettbewerbsbehörden und Gerichte als auch für die betroffenen Unternehmen ein beträchtlicher Mehraufwand sowie höhere Verfahrens- und Verteidigungskosten einhergehen dürften. Dies läuft dem Anliegen der Motion 16.4094 Fournier zuwider, die gerade auf eine Verkürzung der verwaltungsrechtlichen Kartellverfahren abzielt. Darüber hinaus geht mit der Einzel56 / 62

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fallanalyse harter horizontaler und harter vertikaler Abreden für die Unternehmen grundsätzlich, und zumindest bis zu rechtskräftigen Leitentscheiden, ein höheres Mass an Rechtsunsicherheit einher. Dies könnte wiederum zu höheren Kosten für Rechtsberatung und Compliance-Programme führen.

Für Unternehmen (insb. KMU), Konsumentinnen und Konsumenten sowie für die öffentliche Hand (z. B. öffentliche Auftraggeber) kann infolge gewisser harter Wettbewerbsabreden (z. B. vertraglicher Importbeschränkungen in die Schweiz) und der damit einhergehenden Abnahme des Wettbewerbsdrucks eine Erhöhung des Preisniveaus für die betroffenen Waren und Dienstleistungen einhergehen. Zudem ist es für die Geschädigten deutlich schwieriger, allfällige Ansprüche gegen mutmassliche Kartelldelinquenten zivilrechtlich durchzusetzen, da sie in einem Zivilprozess neben dem Vorliegen einer harten Wettbewerbsabrede neu auch hinsichtlich des quantitativen Elements der Erheblichkeit Beweis führen müssen. Damit werden die Bemühungen betreffend die Verbesserungen des Kartellzivilrecht unterlaufen.

Zusammenschlusskontrolle Das Ziel des Kartellrechts besteht insbesondere darin, den wirksamen Wettbewerb zu schützen. Die Zusammenschlusskontrolle nimmt dabei eine wichtige Rolle ein. Dank ihr können die Wettbewerbsbehörden Marktkonzentrationen, die durch einen Zusammenschluss entstehen würden und die sich wettbewerbsbeschränkend auswirken können, vor seinem Vollzug untersuchen, und allenfalls verbieten oder nur unter Auflagen oder Bedingungen zulassen. Die angestrebte präventive Wirkung der Zusammenschlusskontrolle zur Verhinderung von zukünftigen Wettbewerbsbeschränkungen wird mit dem in der Schweiz bestehenden qualifizierten Marktbeherrschungstest nur ungenügend erreicht. Verantwortlich dafür ist insbesondere, dass wettbewerbsschädigende Effekte durch den Zusammenschluss für das Ergebnis der Zusammenschlussprüfung nicht relevant sind, solange die qualifizierte Marktbeherrschungsschwelle nicht erreicht wird. Mit dem SIEC-Test können solche Effekte (bspw. Preiserhöhungen, Qualitätsverminderungen und Verdrängung von Wettbewerbern) für das Prüfergebnis auch unterhalb der Marktbeherrschungsschwelle relevant sein. Der wirksame Wettbewerb muss dabei signifikant behindert werden und Effizienzvorteile durch den Zusammenschluss vermögen diese
Wettbewerbsbehinderung nicht auszugleichen.

Mit der Einführung des SIEC-Tests können solche negativen und positiven Effekte eines Zusammenschlusses ganzheitlich und besser berücksichtigt werden.

Die konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen der Einführung des SIEC-Tests in der Schweiz einzuschätzen, ist schwierig. Die internationalen Erfahrungen mit der Einführung des SIEC-Tests sind grundsätzlich positiv.

So ist bezüglich Veränderung der Interventionsrate Folgendes zu beachten: Die Interventionsschwelle wird mit dem SIEC-Test einerseits nach unten gesetzt, andererseits mit der Berücksichtigung von Effizienzvorteilen auch wieder angehoben. International blieb die Interventionsrate bei Wechseln vom Marktbeherrschungstest zum SIEC-

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Test grundsätzlich unverändert.82 Diese Beobachtungen können für die Schweiz jedoch nur bedingt als Prognose herangezogen werden. Die Schweiz startet mit der qualifizierten Marktbeherrschung jedoch von einer höheren Interventionsschwelle aus, weshalb die Einführung des SIEC-Tests zu einem leichten Anstieg der Interventionsrate führen könnte. Da die Schwellenwerte, welche eine Meldepflicht auslösen, nicht herabgesetzt werden, bleibt die erwartete Anzahl der zu meldenden Zusammenschlüsse stabil. Hingegen wird mit der Einführung des SIEC-Tests eine zielgenauere und effektivere Zusammenschlusskontrolle ermöglicht.

Eine Verringerung der Rechtssicherheit ist durch den Wechsel zum SIEC-Test nicht zu erwarten.83 Die Beurteilungsschritte der Wettbewerbsbehörden bleiben bis auf die Berücksichtigung der Effizienzvorteile konzeptionell grundsätzlich gleich. Zudem wird sich die WEKO auch an der bestehenden, breiten Rechtspraxis der EU (und insbesondere auf die Leitlinien der Europäischen Kommission84) orientieren können.

Im Zusammenhang mit der Meldung des Zusammenschlusses dürfte sich der Aufwand für die Unternehmen im heutigen Rahmen bewegen, haben sie doch abgesehen von der Begründung von allfälligen Effizienzvorteilen grundsätzlich die gleichen Informationen wie in der geltenden Zusammenschlusskontrolle einzureichen. Zu einem gesteigerten Aufwand an sich wird die erhöhte Anzahl vertiefter Prüfungen führen.

Dies wird deshalb der Fall sein, weil die Schwelle für eine solche Prüfung reduziert wird. Für solche Zusammenschlüsse (in der Vergangenheit durchschnittlich 1,2 von 30 gemeldeten Zusammenschlüssen pro Jahr85) wird der Aufwand für die Unternehmen und die Wettbewerbsbehörden wegen des veränderten Beurteilungsmasses methodisch höher ausfallen. Die zusätzlichen Kosten sollten sich aber in Grenzen halten, sobald sich die Prüfstandards in der Praxis etabliert haben. Zusammenschlüsse, die nicht problematisch sind, werden dagegen kaum mit einem höheren Aufwand verbunden sein.

Insbesondere für KMU sind kaum negative Auswirkungen der Modernisierung der Zusammenschlusskontrolle auszumachen. Im Gegenteil, es dürften gerade die KMU sein, die vom SIEC-Test profitieren, da schädliche Konzentrationstendenzen auf Zu82

83 84

85

OECD, 2009, Roundtable on the Standard for Merger Review, with a Particular Emphasis on Country Experience with the Change of Merger Review Standard from the Dominance Test to the SLC/SIEC Test, S. 8; Röller L.H. und de la Mano M., 2006, «The Impact of the New Substantive Test in European Merger Control», European Competition Journal, S. 9­28; Kuhn, T., 2020, «The 15th Anniversary of the SIEC Test Under the EU Merger Regulation ­ Where Do We Stand? Part 1», Zeitschrift für Wettbewerbsrecht (ZWeR) 2020, 1, S. 1­51; «The 15th Anniversary of the SIEC Test Under the EU Merger Regulation ­ Where Do We Stand? Part 2», Zeitschrift für Wettbewerbsrecht (ZWeR) 2020, 153, S. 153­214); Botteron, V., 2021, Le contrôle des concentrations d'entreprises. Analyse comparée du test de dominance suisse, du test SIEC européen et du test SLC américain, Dissertation an der Juristischen Fakultät der Universität Neuenburg, S. 326; Studie Swiss Economics, S. 35, 64.

Studie Swiss Economics, S. 40.

Europäische Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäss der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. C 31 vom 5.2.2004, S. 5, und Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse gemäss der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. C 265, 18. Oktober 2008, S. 6.

Berechnungen auf Grundlage der Daten in den Jahresberichten der WEKO von 2010 bis 2021, abrufbar unter: www.weko.admin.ch > Praxis > Jahresberichte.

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liefer- und Absatzmärkten von KMU mit diesem Prüfstand besser berücksichtigt werden können.

Zudem hat die Einführung des SIEC-Tests durch die vermehrte Berücksichtigung unilateraler Effekte auch unterhalb der (qualifizierten) Marktbeherrschungsschwelle, wie etwa allfällige zukünftige Preiserhöhungen in Folge eines Zusammenschlusses, auch positive Auswirkungen auf die Konsumentinnen und Konsumenten.

Schliesslich bedeutet der Verzicht auf die eigenständige Beurteilung internationaler Zusammenschlüsse, d. h. Zusammenschlüsse, die EWR-weite oder grössere Märkte betreffen und die Schweiz einschliessen, eine administrative Erleichterung für die Unternehmen.

Kartellzivilrecht Der moderate Ausbau des Kartellzivilrechts erlaubt es denjenigen, die von Wettbewerbsbeschränkungen betroffen sind, leichter selbst ihr Recht geltend zu machen, losgelöst von der behördlichen Prioritätenordnung, und sich den entstandenen Schaden kompensieren zu lassen. Dies könnte einerseits zu mehr Wettbewerb führen, was den Unternehmen (insbesondere den KMU) sowie den Konsumentinnen und Konsumenten zugutekäme. Des Weiteren könnte die Änderung des Kartellzivilrechts zur Abwendung einer Preisdiskriminierung der hiesigen Kundschaft gegenüber der Kundschaft in Nachbarländern eingesetzt werden, etwa wenn betroffene Unternehmen selbst gegen die Unterdrückung von Querlieferungen in Händlernetzen vorgehen.

Widerspruchsverfahren Mit der Verbesserung des Widerspruchsverfahrens wird sichergestellt, dass das Widerspruchsverfahren die ihm vom Gesetzgeber zugedachte Rolle besser erfüllen kann.

Die Verkürzung der Frist führt ­ was insbesondere auf dynamischen Märkten wichtig sein kann ­ unmittelbar zu einer Vergrösserung der Rechtssicherheit für die Unternehmen. Bei von den Wettbewerbsbehörden als unbedenklich eingestuften Vorhaben oder solchen, die keinen direkt sanktionierbaren Tatbestand betreffen, erhalten (hinsichtlich der Zulässigkeit ihres Vorhabens unsichere) Unternehmen schon innert zwei Monaten die Gewissheit, dass sie bei der Umsetzung des Vorhabens keine Gefahr laufen, sanktioniert zu werden. Mit der zweiten Änderung kann für die Unternehmen insbesondere die investitionshemmende Wirkung der Sanktionsdrohung verringert werden. Da künftig das Sanktionsrisiko nur bei der Eröffnung einer Untersuchung innert der Widerspruchsfrist
besteht, vergrössert sich der Anreiz für Unternehmen, langfristige Investitionen einzugehen, namentlich nachdem innert der kürzeren Widerspruchsfrist keine Untersuchung eröffnet wurde.

Ordnungsfristen Die Einführung von Ordnungsfristen auf Gesetzesstufe soll die kartellrechtlichen Verfahren beschleunigen, damit vor allem die betroffenen Unternehmen rascher über rechtskräftige Entscheide verfügen. Damit geht auch eine Zunahme der Rechtssicherheit einher.

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Parteienentschädigungen Die Verfahrensbeteiligten sollen durch Parteientschädigungen in verwaltungsrechtlichen Verfahren finanziell entlastet werden, wenn sie nicht für eine Untersuchungseröffnung verantwortlich sind. Dies entlastet Unternehmen und insbesondere KMU in Fällen eines für sie positiven Verfahrensausgangs. Nach geltendem Recht haben die Parteien in Verfahren vor der WEKO und ihrem Sekretariat keinerlei Anspruch auf Entschädigung, sondern erst im gerichtlichen Beschwerdeverfahren. Allerdings sind die Verfahren in der Regel sehr komplex, lang und aufwendig und vor allem für KMU belastend. Dass sichergestellt wird, den Parteien je nach Ausgang der Untersuchung eine Entschädigung zuzusprechen, um diese finanziell zu entlasten, kann vor allem für kleinere Unternehmen von grossem Nutzen sein.

6.3.2

Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen

Die materiell-rechtlichen Anpassungen ­ mit Ausnahme der durch die Motion 18.4282 Français erfolgten Erschwerung der Bekämpfung harter (Kartell-)Abreden ­ führen zu einer höheren präventiven Wirkung des KG und verbessern die Rechtssicherheit und Effizienz in der Durchsetzung des KG (Verbesserung des Vollzugs). Die Motion 18.4282 Français dürfte in den nächsten Jahren (zumindest bis neue Entscheide des Bundesgerichts vorliegen) zu Rechtsunsicherheit, einer Verlängerung der Verfahren, zu abnehmendem Wettbewerbsdruck und somit zu höheren Preisen führen.

Die Anpassungen tragen ­ abgesehen von der durch die Motion 18.4282 Français geforderten Revision von Artikel 5 KG ­ gemeinsam zur Förderung des Wettbewerbs bei. Ein wirksamer Wettbewerb trägt zu einer hohen Produktivität und Innovationstätigkeit bei. Die Standortattraktivität der Schweiz könnte ebenfalls mit diesen Veränderungen gestärkt werden. Daraus ergeben sich tendenziell positive Effekte auf das BIP-Wachstum der Schweiz. Von Bedeutung ist ebenfalls der Einfluss eines verstärkten Wettbewerbs auf das schweizerische Preisniveau. Ein verstärkter Wettbewerb dürfte in der längeren Frist zu tieferen Preisen in konzentrierten Märkten in der Schweiz führen. Schliesslich nähert sich das Schweizer Kartellrecht den internationalen Standards (EU, USA etc.) an, womit ebenfalls der international ausgerichtete Standort Schweiz gestärkt wird.

6.4

Auswirkungen auf die Gesellschaft

Auswirkungen auf die Gesellschaft sind mit der vorliegenden Revisionsvorlage nicht zu erwarten.

6.5

Auswirkungen auf die Umwelt

Es ist nicht von Auswirkungen auf die Umwelt auszugehen, da die vorgeschlagenen Anpassungen am KG die unternehmerischen Praktiken im Umweltbereich voraussichtlich nicht beeinflussen werden.

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6.6

Andere Auswirkungen

Die Einführung von Ordnungsfristen für kartellrechtliche Verwaltungsverfahren bei den Wettbewerbsbehörden und vor Gericht kann bei den Gerichten zu einer Priorisierung der kartellrechtlichen Verwaltungsverfahren gegenüber anderen (verwaltungsrechtlichen) Verfahren führen. Zu beachten ist aber, dass die Ordnungsfristen für die Gerichte nicht bindend sind.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

Die vorgeschlagenen Bestimmungen stützen sich auf Artikel 96 Absatz 1 BV. Danach erlässt der Bund Vorschriften gegen volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen.

7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Alle vorgeschlagenen Änderungen und Ergänzungen sind grundsätzlich mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar. Allerdings könnte die Umsetzung der Motion 18.4282 Français die Zusammenarbeit der WEKO mit der Europäische Kommissionerschweren (vgl. Ziff. 3). Zudem steht die Anpassung von Artikel 5 KG im Widerspruch zu den OECD-Empfehlungen hinsichtlich der Beurteilung harter horizontaler Wettbewerbsabreden.

7.3

Erlassform

Die Vorlage enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen, die nach Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen sind. Der Erlass untersteht dem fakultativen Referendum.

7.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen noch neue Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.

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7.5

Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz

Die Vorlage betrifft nicht die Aufgabenteilung durch Bund und Kantone. Entsprechend werden weder das Subsidiaritätsprinzip noch das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz tangiert

7.6

Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes

Das Subventionsgesetz vom 5. Oktober 199086 wird vorliegend nicht tangiert.

7.7

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Mit der Vorlage werden keine neue Rechtsetzungsbefugnisse geschaffen.

7.8

Datenschutz

Die Vorlage betrifft keine Fragen in Verbindung mit dem Datenschutz.

86

SR 616.1

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