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23.046 Botschaft zur Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Zürich, Bern, Appenzell Innerrhoden, Graubünden, Aargau, Tessin, Waadt und Neuenburg vom 2. Juni 2023

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem einfachen Bundesbeschluss über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Zürich, Bern, Appenzell Innerrhoden, Graubünden, Aargau, Tessin, Waadt und Neuenburg1.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

2. Juni 2023

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

1

BBl 2023 1496

2023-1667

BBl 2023 1495

BBl 2023 1495

Übersicht Der Bundesversammlung wird beantragt, mit einfachem Bundesbeschluss Änderungen in den Verfassungen der Kantone Zürich, Bern, Appenzell Innerrhoden, Graubünden, Aargau, Tessin, Waadt und Neuenburg zu gewährleisten. Alle Änderungen sind bundesrechtskonform. Die Gewährleistung ist somit zu erteilen.

Nach Artikel 51 Absatz 1 der Bundesverfassung gibt sich jeder Kanton eine demokratische Verfassung. Diese bedarf der Zustimmung des Volkes und muss revidiert werden können, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten es verlangt. Nach Absatz 2 des gleichen Artikels bedürfen die Kantonsverfassungen der Gewährleistung des Bundes.

Steht eine kantonale Verfassungsbestimmung im Einklang mit dem Bundesrecht, so ist die Gewährleistung zu erteilen; erfüllt sie diese Voraussetzung nicht, so ist die Gewährleistung zu verweigern.

Die vorliegenden Verfassungsänderungen haben zum Gegenstand: im Kanton Zürich: ­

den schonenden Umgang mit Stoffen und das Abfallmanagement;

im Kanton Bern: ­

die politischen Rechte;

im Kanton Appenzell Innerrhoden: ­

die politischen Rechte;

im Kanton Graubünden: ­

die Justizreform;

im Kanton Aargau: ­

die Amtsenthebung von Behördenmitgliedern;

­

die Vertretung von Mitgliedern des Grossen Rates;

im Kanton Tessin: ­

die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen;

­

die Reform der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden;

im Kanton Waadt: ­

den Justizrat;

im Kanton Neuenburg: ­

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die Aufsicht über die Geschäftsführung und die Finanzen.

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Botschaft 1

Die einzelnen Revisionen

1.1

Verfassung des Kantons Zürich

1.1.1

Volksabstimmung vom 25. September 2022

Die Stimmberechtigten des Kantons Zürich haben in der Volksabstimmung vom 25. September 2022 dem neuen Artikel 106a der Verfassung des Kantons Zürich vom 27. Februar 20052 (KV-ZH) betreffend den schonenden Umgang mit Stoffen und das Abfallmanagement mit 394 534 Ja gegen 47 413 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 30. November 2022 ersuchen der Regierungspräsident und die Staatsschreiberin im Namen des Regierungsrates um die eidgenössische Gewährleistung.

1.1.2 Bisheriger Text

Schonender Umgang mit Stoffen und Abfallmanagement Neuer Text Art. 106a Stoffkreisläufe [Marginalie] 1 Kanton und Gemeinden schaffen günstige Rahmenbedingungen für einen schonenden Umgang mit Rohstoffen, Materialien und Gütern sowie für die Schliessung von Stoffkreisläufen.

2 Sie treffen Massnahmen zur Vermeidung von Abfällen sowie zur Wiederverwendung und stofflichen Verwertung von Materialien und Gütern.

Nach Artikel 73 der Bundesverfassung (BV)3 streben Bund und Kantone ein auf Dauer ausgewogenes Verhältnis zwischen der Natur und ihrer Erneuerungsfähigkeit einerseits und ihrer Beanspruchung durch den Menschen anderseits an. Beim Nachhaltigkeitsprinzip handelt es sich um eine verfassungsrechtliche Zielvorgabe, die von Bund und Kantonen zu beachten ist.4 Nach Artikel 74 Absatz 1 BV erlässt der Bund Vorschriften über den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen. Der Bund verfügt dementsprechend über eine allgemeine, konkurrierende und nachträglich derogierende Rechtsetzungskompetenz.5 Gestützt darauf hat die Bundesversammlung z. B. in den Artikeln 30 ff. des Umweltschutzgesetzes vom 7. Oktober 1983 (USG)6 die Vermeidung und Verwer2 3 4 5 6

SR 131.211 SR 101 Vgl. Giovanni Biaggini, BV Komm., 2. Aufl., Zürich 2017, Art. 73 Rz. 4.

Vgl. Anne-Christine Favre in: Vincent Martenet / Jacques Dubey (Hrsg.), Constitution fédérale, Comm. romand, Basel 2021, Art. 74 Rz. 14.

SR 814.01

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tung von Abfällen geregelt. Nicht alle Aspekte von Stoffkreisläufen werden aber von diesen Bestimmungen erfasst, so insbesondere nicht die Schliessung der Kreisläufe.7 Die Kantone behalten ihre Rechtsetzungskompetenzen, soweit der Bund seine nicht vollständig ausgeschöpft hat, und überdies die Kompetenzen in ihren eigenen Zuständigkeitsbereichen, wobei die kantonale Rechtsetzung das Bundesumweltrecht unterstützen kann, indem es dieses ergänzt oder verstärkt.8 Der neue Artikel 106a KV-ZH sieht vor, dass Kanton und Gemeinden günstige Rahmenbedingungen für einen schonenden Umgang mit Rohstoffen, Materialien und Gütern sowie für die Schliessung von Stoffkreisläufen schaffen. Sie treffen Massnahmen zur Vermeidung von Abfällen sowie zur Wiederverwendung und stofflichen Verwertung von Materialien und Gütern. Die Ziele von Artikel 106a KV-ZH gehen in die gleiche Richtung wie diejenigen des Bundes. So sieht z. B. das USG ebenfalls die Vermeidung und Verwertung von Abfällen vor. Im Übrigen betrifft Artikel 106a KV-ZH Bereiche, in denen der Bund seine Rechtsetzungskompetenzen nicht vollständig ausgeschöpft hat. Die Änderung der KV-ZH ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten. Die kantonale Ausführungsgesetzgebung muss indessen mit dem höherrangigen Recht vereinbar sein, insbesondere mit dem USG.

1.2

Verfassung des Kantons Bern

1.2.1

Volksabstimmung vom 15. Mai 2022

Die Stimmberechtigten des Kantons Bern haben in der Volksabstimmung vom 15. Mai 2022 den Änderungen von Artikel 63 der Verfassung des Kantons Bern vom 6. Juni 19939 (KV-BE) betreffend die politischen Rechte mit 212 524 Ja gegen 36 374 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 17. August 2022 ersuchen die Regierungspräsidentin und der Staatsschreiber im Namen des Regierungsrates um die eidgenössische Gewährleistung.

7 8 9

Vgl. Hans W. Stutz, Spielräume für das kantonale Umweltrecht, URP 2020, S. 245­284, insb. S. 263.

Vgl. Anne-Christine Favre in: Vincent Martenet / Jacques Dubey (Hrsg.), Constitution fédérale, Comm. romand, Basel 2021, Art. 74 Rz. 15.

SR 131.212

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1.2.2

Politische Rechte

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 63 Verfahren [Marginalie] 2 Der Grosse Rat kann in einer Vorlage, die der Volksabstimmung untersteht, einen Eventualantrag stellen. Findet die Volksabstimmung statt, so ist neben der Hauptvorlage auch der Eventualantrag den Stimmberechtigten zu unterbreiten. Findet keine Volksabstimmung statt, so fällt der Eventualantrag dahin.

3 Stellt der Grosse Rat keinen Eventualantrag, können 10 000 Stimmberechtigte innert drei Monaten seit Publikation eines Gesetzes oder eines Grundsatzbeschlusses einen Volksvorschlag einreichen. Dieser gilt als Referendum.

Art. 63 Abs. 2 und 3 2 Der Grosse Rat kann in einer Vorlage, die der Volksabstimmung untersteht, einen Eventualantrag stellen. Findet die Volksabstimmung statt und wird kein Volksvorschlag nach Absatz 3 eingereicht, so ist neben der Hauptvorlage auch der Eventualantrag den Stimmberechtigten zu unterbreiten. Findet keine Volksabstimmung statt oder wird ein Volksvorschlag eingereicht, so fällt der Eventualantrag dahin.

3 10 000 Stimmberechtigte können innert drei Monaten seit Publikation eines Gesetzes oder eines Grundsatzbeschlusses einen Volksvorschlag einreichen. Dieser gilt als Referendum.

Nach Artikel 39 Absatz 1 BV regeln die Kantone die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt auch deren Organisationsautonomie. Der Bund beachtet diese (Art. 47 Abs. 2 BV). Nach dem vorliegend unveränderten Artikel 63 Absatz 2 erster Satz KV-BE kann der Grosse Rat in einer Vorlage, die der Volksabstimmung untersteht, einen Eventualantrag stellen. Nach dem bisherigen Artikel 63 Absatz 3 erster Satz KV-BE konnten 10 000 Stimmberechtigte zu einem Gesetz oder einem Grundsatzbeschluss einen Volksvorschlag einreichen, dies jedoch nur, wenn der Grosse Rat keinen Eventualantrag gestellt hat. In der Vergangenheit hatte das Kantonsparlament den Eventualantrag wiederholt als taktisches Mittel eingesetzt, um Volksvorschläge auszuschliessen.10 Mit der Änderung von Artikel 63 KV-BE soll dies künftig nicht mehr möglich sein.11 Danach fällt der Eventualantrag dahin, wenn ein Volksvorschlag eingereicht wird. Die vorliegende Änderung betrifft die kantonalen politischen Rechte und die kantonale Organisationsautonomie. Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

1.3

Verfassung des Kantons Appenzell Innerrhoden

1.3.1

Landsgemeinde vom 24. April 2022

An der Landsgemeinde vom 24. April 2022 haben die Stimmberechtigten den Änderungen der Artikel 15 und 22 der Verfassung für den Eidgenössischen Stand Appenzell I. Rh. vom 24. Wintermonat 187212 (KV-AI) und dem neuen Artikel 4 der Übergangsbestimmungen der KV-AI betreffend die politischen Rechte zugestimmt. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2022 ersucht der Ratschreiber im Auftrag von Landammann und Standeskommission um die eidgenössische Gewährleistung.

10 11 12

Vgl. S. 3 des kantonalen Abstimmungsbüchleins zur Abstimmung vom 15. Mai 2022.

Vgl. ebd.

SR 131.224.2

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1.3.2

Politische Rechte

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 15 1 Der eidgenössische Stand Appenzell Innerrhoden teilt sich in sechs Bezirke: Appenzell, Schlatt-Haslen, Schwende, Gonten, Rüte, Oberegg.

Art. 15 Abs. 1 1 Der eidgenössische Stand Appenzell Innerrhoden teilt sich in fünf Bezirke: Appenzell, Schwende-Rüte, Schlatt-Haslen, Gonten, Oberegg.

Art. 22 2 Jedem der sechs Bezirke werden zunächst vier Sitze zugewiesen, unter jeweiliger Anrechnung von 4/50 der Gesamteinwohnerzahl.

Die restlichen 26 Sitze werden proportional zu den Restbevölkerungszahlen zugewiesen, unter Abrundung von Bruchteilen. Restmandate werden den Bezirken der Grösse der abgerundeten Bruchteile nach zugewiesen, bei Gleichheit entscheidet das Los.

Art. 22 Abs. 2 2 Jedem Bezirk werden zunächst vier Sitze zugewiesen, unter jeweiliger Anrechnung von 4/50 der Gesamteinwohnerzahl. Die restlichen 30 Sitze werden proportional zu den Restbevölkerungszahlen zugewiesen, unter Abrundung von Bruchteilen. Restmandate werden den Bezirken der Grösse der abgerundeten Bruchteile nach zugewiesen, bei Gleichheit entscheidet das Los.

Übergangsbestimmungen

Einfügen bei den Übergangsbestimmungen Art. 4 1 Die Neuregelung der Sitzverteilung für den Grossen Rat nach Artikel 22 Absatz 2 gilt erst ab den Neuwahlen im Jahr 2023.

2 Bis zu den Neuwahlen 2023 behalten alle Bezirke ihre bisherigen Grossratssitze, der Bezirk Schwende-Rüte übernimmt die Sitze der Bezirke Schwende und Rüte.

3 Die Grossratsmandate für die Amtsperiode 2019 bis 2023 gelten bis zu den Neuwahlen im Jahr 2023.

Nach Artikel 39 Absatz 1 BV regeln die Kantone die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt auch deren Organisationsautonomie. Der Bund beachtet diese (Art. 47 Abs. 2 BV). Die Änderung der KV-AI sieht den Zusammenschluss der Bezirke Schwende und Rüte vor. Sie regelt insbesondere die neue Sitzverteilung im Grossen Rat. Die Änderung betrifft die kantonalen politischen Rechte und die kantonale Organisationsautonomie. Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

1.4

Verfassung des Kantons Graubünden

1.4.1

Volksabstimmung vom 27. November 2022

Die Stimmberechtigten des Kantons Graubünden haben in der Volksabstimmung vom 27. November 2022 mehreren Änderungen der Verfassung des Kantons Graubünden 6 / 20

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vom 18. Mai 2003 / 14. September 200313 (KV-GR) betreffend die Justizreform mit 27 014 Ja gegen 5312 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2022 ersucht die Kanzleidirektor-Stellvertreterin im Namen der Standeskanzlei Graubünden um die eidgenössische Gewährleistung.

1.4.2

Justizreform

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 14 Ungültigkeit [Marginalie] 3 Über die Ungültigkeit entscheidet der Grosse Rat. Dieser Entscheid ist an das Verwaltungsgericht weiterziehbar.

Art. 14 Abs. 3 3 Über die Ungültigkeit entscheidet der Grosse Rat. Dieser Entscheid ist an das Obergericht weiterziehbar.

IV. Behörden und Gerichte 1. Allgemeines

Gliederungstitel vor Art. 21 IV. Kantonale Behörden 1. Allgemeines

Art. 21 Wählbarkeit [Marginalie] 1 In die kantonalen Behörden und Gerichte sowie in den Ständerat sind die Stimmberechtigten des Kantons wählbar. Das Gesetz kann vorsehen, dass die Wählbarkeitsvoraussetzung erst bei Amtsantritt erfüllt sein muss.

2 Weitere Wählbarkeitsvoraussetzungen für die kantonalen Behörden und Gerichte sowie die Anstellungsvoraussetzungen für das Staatspersonal werden durch Gesetz geregelt.

3 Das Gesetz regelt die Einstellung im Amt und die Amtsenthebung von Mitgliedern von Behörden und Gerichten.

Art. 21 Abs. 1, 1bis, 2 und 3 1 In die kantonalen Behörden sowie in den Ständerat sind die Stimmberechtigten des Kantons wählbar. Das Gesetz kann vorsehen, dass die Wählbarkeitsvoraussetzung erst bei Amtsantritt erfüllt sein muss.

1bis Für die Mitglieder der richterlichen Behörden kann im Gesetz vom Wohnsitzerfordernis als Wählbarkeitsvoraussetzung abgesehen werden.

2 Weitere Wählbarkeitsvoraussetzungen für die Mitglieder von kantonalen Behörden sowie die Anstellungsvoraussetzungen für das Staatspersonal werden durch Gesetz geregelt.

3 Das Gesetz regelt die Einstellung im Amt und die Amtsenthebung von Mitgliedern von kantonalen Behörden.

Art. 22 Unvereinbarkeiten [Marginalie] 1 Niemand darf seiner unmittelbaren Aufsichtsbehörde angehören.

3 Richterinnen und Richter dürfen nicht gleichzeitig der Regierung oder einer anderen richterlichen Behörde im Kanton angehören.

4 Mitglieder der Regierung und die vollamtlichen Mitglieder einer richterlichen Behörde dürfen nicht der Bundesversammlung oder dem Bundesgericht angehören.

Art. 22 Abs. 1, 3 und 4 1 Niemand darf seiner kantonalen Rechtsmittelbehörde oder seiner unmittelbaren Aufsichtsbehörde angehören. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen.

3 Richterinnen und Richter dürfen nicht der Regierung angehören.

4 Mitglieder der Regierung und Mitglieder der richterlichen Behörden, die im Vollpensum tätig sind, dürfen nicht der Bundesversammlung oder dem Bundesgericht angehören.

13

SR 131.226

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Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 23 Amtsdauer [Marginalie] Die Amtsdauer des Grossen Rates, der Regierung, der Gerichte sowie der Mitglieder des Ständerates beträgt vier Jahre.

Art. 23 einziger Absatz Die Amtsdauer des Grossen Rates, der Regierung, der ordentlichen Mitglieder der richterlichen Behörden sowie der Mitglieder des Ständerates beträgt vier Jahre.

Art. 31 Gesetzgebung [Marginalie] 2 Wichtige Bestimmungen sind insbesondere jene, für welche die Verfassung das Gesetz vorsieht, sowie solche betreffend: 5. Grundsätze von Organisation und Aufgaben der Behörden und Gerichte;

Art. 31 Abs. 2 Ziff. 5 2 Wichtige Bestimmungen sind insbesondere jene, für welche die Verfassung das Gesetz vorsieht, sowie solche betreffend: 5. Grundsätze von Organisation und Aufgaben der kantonalen Behörden;

Art. 33

Aufsicht und Oberaufsicht [Marginalie] 1 Der Grosse Rat übt die Aufsicht über die Regierung sowie das Kantonsgericht und das Verwaltungsgericht aus.

Art. 33 Abs. 1 1 Der Grosse Rat übt die Aufsicht über die Regierung sowie das Obergericht und das Justizgericht aus.

Art. 36 Wahlen [Marginalie] Der Grosse Rat wählt: 3. die Mitglieder des Kantonsgerichtes und des Verwaltungsgerichtes;

Art. 36 Ziff. 3 Der Grosse Rat wählt: 3. die Mitglieder des Obergerichts und des Justizgerichts;

Art. 50

Andere Träger öffentlicher Aufgaben [Marginalie] 2 Die Aufsicht durch die Regierung, eine angemessene Mitwirkung des Grossen Rates und der Rechtsschutz müssen sichergestellt sein.

Art. 50 Abs. 2 2 Eine hinreichende Aufsicht, eine angemessene Mitwirkung des Grossen Rates und der Rechtsschutz müssen sichergestellt sein.

4. Gerichte

Gliederungstitel vor Art. 51 4. Richterliche Behörden

Art. 51

Art. 51 Abs. 1­4 1 Die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit der richterlichen Behörden sind gewährleistet. Die richterlichen Behörden sind in ihrer Rechtsprechung nur dem Recht verpflichtet.

2 Die Justizverwaltung ist unter Vorbehalt der Befugnisse des Grossen Rates Sache der richterlichen Behörden.

3 und 4 Aufgehoben

Unabhängigkeit und Unparteilichkeit [Marginalie] 1 Die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit der Gerichte sind gewährleistet. Die Gerichte sind in ihrer Rechtsprechung nur dem Recht verpflichtet.

2 Die Justizverwaltung ist unter Vorbehalt der Befugnisse des Grossen Rates Sache der Gerichte.

3 Richterinnen und Richter dürfen Parteien nicht in streitigen Verfahren vor der eigenen Instanz vertreten.

4 Vollamtlichen Mitgliedern einer richterlichen Behörde ist jede Nebenbeschäftigung untersagt. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen.

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Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 51a Finanzen, Mitwirkung im Grossen Rat und Rechtsetzung [Marginalie] 1 Das Kantons- und das Verwaltungsgericht unterbreiten dem Grossen Rat den Entwurf für ihr Budget sowie die Rechnung und den Jahresbericht zur Genehmigung.

2 Die Präsidentinnen und Präsidenten nehmen an den Sitzungen des Grossen Rates zum Budget, zur Rechnung und zu den Jahresberichten der Gerichte teil. Sie haben beratende Stimme und können Anträge stellen.

3 Soweit nicht die Form des Gesetzes vorgeschrieben ist, können das Kantons- und das Verwaltungsgericht auf dem Gebiet der Justizverwaltung und -aufsicht Verordnungen erlassen, wenn sie durch Gesetz ausdrücklich dazu ermächtigt werden.

Art. 51a Abs. 1, 1bis, 2 und 3 1 Das Obergericht unterbreitet dem Grossen Rat den Entwurf für das Budget sowie die Rechnung und den Geschäftsbericht zur Genehmigung.

1bis Es kann an den Grossen Rat gelangen, um die Justizverwaltung betreffende Verfassungsund Gesetzesänderungen anzuregen.

2 Die Präsidentin oder der Präsident des Obergerichts nimmt an den Sitzungen des Grossen Rates zum Budget, zur Rechnung und zum Geschäftsbericht sowie zu den vom Obergericht angeregten Rechtsetzungsvorhaben teil.

Sie oder er hat beratende Stimme und kann Anträge stellen.

3 Soweit nicht die Form des Gesetzes vorgeschrieben ist, können die Gerichte auf dem Gebiet der Justizverwaltung Verordnungen erlassen, wenn sie durch Gesetz ausdrücklich dazu ermächtigt werden.

Art. 52 Justizaufsicht [Marginalie] 1 Das Kantonsgericht übt die Aufsicht über alle Bereiche der Zivil- und Strafrechtspflege aus.

2 Der Grosse Rat übt die Aufsicht über das Kantonsgericht und das Verwaltungsgericht sowie die Oberaufsicht über die anderen Zweige der Rechtspflege aus.

3 Aufsicht und Oberaufsicht beschränken sich auf die Geschäftsführung und die Justizverwaltung.

Art. 52 Abs. 1­3 1 Das Obergericht übt die Aufsicht über die Zivil-, die Straf- und die Verwaltungsrechtspflege aus, soweit diese den richterlichen Behörden obliegen. Dem Obergericht können weitere Aufsichtsaufgaben durch Gesetz zugewiesen werden.

2 Der Grosse Rat übt die Aufsicht über das Obergericht und das Justizgericht sowie die Oberaufsicht über die vom Obergericht beaufsichtigten Behörden aus.

3 Aufsicht und Oberaufsicht gegenüber den richterlichen Behörden beschränken sich auf die Justizverwaltung.

Art. 54

Art. 54 Ziff. 1, 2 Satzzeichen, 4 und 5 Die Zivil- und die Strafgerichtsbarkeit werden ausgeübt durch: 1. das Obergericht; 2. die Regionalgerichte als untere kantonale Gerichte; 4. das kantonale Zwangsmassnahmengericht; 5. die Schlichtungsbehörden.

Zivil- und Strafgerichtsbarkeit [Marginalie] Die Zivil- und die Strafgerichtsbarkeit werden ausgeübt durch: 1. das Kantonsgericht; 2. die Regionalgerichte als untere kantonale Gerichte.

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Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 55

Art. 55 Abs. 1 und 2 Einleitungssatz 1 Die Verwaltungsgerichtsbarkeit wird ausgeübt durch: 1. das Obergericht; 2. das Justizgericht; 3. weitere Spezialverwaltungsgerichte.

2 Das Obergericht beurteilt als Verfassungsgericht:

Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit [Marginalie] 1 Die letztinstanzliche Beurteilung von öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten obliegt dem Verwaltungsgericht, sofern nicht ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

2 Das Verwaltungsgericht beurteilt als Verfassungsgericht:

Nach Artikel 39 Absatz 1 BV regeln die Kantone die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. Nach den Artikeln 122 Absatz 2 und 123 Absatz 2 BV sind für die Organisation der Gerichte und die Rechtsprechung in Zivil- und Strafsachen die Kantone zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht. In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt schliesslich deren Organisationsautonomie. Der Bund beachtet diese (Art. 47 Abs. 2 BV). Bei den Änderungen der KV-GR geht es um eine Reform der Organisation der richterlichen Behörden. Diese sieht insbesondere vor, dass das Kantonsgericht und das Verwaltungsgericht in einem Gericht vereinigt werden, nämlich dem Obergericht. Das Obergericht kann an den Grossen Rat gelangen, um die Justizverwaltung betreffende Erlassänderungen anzuregen. Die Unvereinbarkeiten werden für alle kantonalen Behörden in Artikel 22 KV-GR geregelt, weshalb die Absätze 3 und 4 von Artikel 51 KV-GR aufgehoben werden können.14 Schliesslich gibt die Reform dem Gesetzgeber die Kompetenz, gewisse Erleichterungen für die richterlichen Behörden in Bezug auf die Wohnsitzpflicht vorzusehen. Die Änderung der KV-GR betrifft die kantonalen politischen Rechte und die kantonale Organisationsautonomie. Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

1.5

Verfassung des Kantons Aargau

1.5.1

Volksabstimmung vom 15. Mai 2022

Die Stimmberechtigten des Kantons Aargau haben in der Volksabstimmung vom 15. Mai 2022 dem neuen § 69 Absatz 6 der Verfassung des Kantons Aargau vom 25. Juni 198015 (KV-AG) betreffend die Amtsenthebung von Behördenmitgliedern mit 131 696 Ja gegen 24 494 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2022 ersucht der Generalsekretär der Staatskanzlei im Auftrag des Regierungsrats um die eidgenössische Gewährleistung.

14 15

Vgl. Botschaft der Regierung des Kantons Graubünden an den Grossen Rat des Kantons Graubünden, Heft Nr. 14 / 2021­2022, S. 867­1507, insb. S. 959.

SR 131.227

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1.5.2

Amtsenthebung von Behördenmitgliedern

Bisheriger Text

Neuer Text

§ 69

§ 69 Sachüberschrift und Abs. 6 Wählbarkeit, Unvereinbarkeit, Ausstand und Amtsenthebung 6 Das Gesetz regelt die Einstellung im Amt und die Amtsenthebung von Mitgliedern von Behörden.

Wählbarkeit, Unvereinbarkeit und Ausstand

Nach Artikel 39 Absatz 1 BV regeln die Kantone die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt auch deren Organisationsautonomie. Der Bund beachtet diese (Art. 47 Abs. 2 BV). Der neue § 69 Absatz 6 KV-AG sieht vor, dass das Gesetz die Einstellung im Amt und die Amtsenthebung von Mitgliedern von Behörden regelt.

Die vorliegende Änderung betrifft die kantonalen politischen Rechte und die kantonale Organisationsautonomie. Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.16

1.5.3

Volksabstimmung vom 25. September 2022

Die Stimmberechtigten des Kantons Aargau haben in der Volksabstimmung vom 25. September 2022 dem neuen § 76 Absatz 3 KV-AG betreffend die Vertretung von Mitgliedern des Grossen Rates mit 121 361 Ja gegen 66 969 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2022 ersucht der Generalsekretär der Staatskanzlei im Auftrag des Regierungsrats um die eidgenössische Gewährleistung.

1.5.4

Vertretung von Mitgliedern des Grossen Rates

Bisheriger Text

Neuer Text

§ 76

§ 76 Sachüberschrift und Abs. 3 1. Stellung, Zusammensetzung und Vertretung 3 Das Gesetz regelt die Vertretung längerfristig verhinderter Mitglieder.

1. Stellung und Zusammensetzung

Nach Artikel 39 Absatz 1 BV regeln die Kantone die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt auch deren Organisationsautonomie. Der Bund beachtet diese (Art. 47 Abs. 2 BV). Der neue § 76 Absatz 3 KV-AG sieht vor, dass das Gesetz die Vertretung längerfristig verhinderter Mitglieder regelt. Die vorliegende Änderung be16

Vgl. eine ähnliche Bestimmung in Art. 50a der Verfassung vom 24. September 2000 von Republik und Kanton Neuenburg (SR 131.233), der von der Bundesversammlung am 16. März 2022 die Gewährleistung erteilt wurde (BBl 2022 780).

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trifft die kantonalen politischen Rechte und die kantonale Organisationsautonomie.

Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

1.6

Verfassung des Kantons Tessin

1.6.1

Volksabstimmung vom 30. Oktober 2022

Die Stimmberechtigten des Kantons Tessins haben in der Volksabstimmung vom 30. Oktober 2022 dem neuen Artikel 13a der Verfassung von Republik und Kanton Tessin vom 14. Dezember 199717 (KV-TI) betreffend die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen mit 65 565 Ja gegen 10 476 Nein zugestimmt. Sie haben im Weiteren den Änderungen der Artikel 36, 75 und 76 KV-TI betreffend die Reform der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden mit 57 202 Ja gegen 16 567 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2022 ersuchen der Präsident des Staatsrates und der Kanzler im Namen des Staatsrates um die eidgenössische Gewährleistung.

1.6.2 Bisheriger Text

Eingliederung von Menschen mit Behinderungen Neuer Text Art. 13a

Eingliederung von Menschen mit Behinderungen und Anerkennung der italienischen Gebärdensprache [Marginalie] 1 Der Kanton und die Gemeinden tragen den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen und von ihren Familien Rechnung.

2 Sie treffen die erforderlichen Massnahmen, um ihre Selbstständigkeit sicherzustellen und ihre soziale, bildungsmässige, berufliche, politische, sportliche und kulturelle Eingliederung wie auch ihre Entwicklung im Schosse der Familien zu fördern.

3 Im Verkehr mit dem Kanton, den Gemeinden und anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Institutionen haben Menschen mit Behinderungen das Recht, Informationen zu erhalten und in einer Form, die ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten angepasst ist, zu kommunizieren.

17

SR 131.229

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Bisheriger Text

Neuer Text 4

Schwerhörige, Taubblinde oder Menschen mit Sprachstörungen haben das Recht, im Verkehr mit dem Kanton, den Gemeinden und anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Institutionen die italienische Gebärdensprache zu verwenden.

5 Die italienische Gebärdensprache wird anerkannt.

Nach Artikel 8 Absatz 4 BV sieht das Gesetz Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten vor. Dieser Gesetzgebungsauftrag alleine überträgt dem Bund keine Kompetenzen.18 Es liegt an Bund, Kantonen und Gemeinden, diesen Auftrag im Rahmen ihrer Zuständigkeiten umzusetzen.19 Auf Gesetzesstufe wird Artikel 8 Absatz 4 BV hauptsächlich durch das Behindertengleichstellungsgesetz vom 13. Dezember 2002 (BehiG)20 umgesetzt.21 Sobald die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen Bereiche betrifft, in denen die Kantone zuständig sind, hängt diese davon ab, dass die Kantone und die Gemeinden ebenfalls Massnahmen ergreifen.22 Der neue Artikel 13a KV-TI sieht vor, dass der Kanton und die Gemeinden den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen und von ihren Familien Rechnung tragen. Sie treffen die erforderlichen Massnahmen, um ihre Selbstständigkeit sicherzustellen und ihre soziale, bildungsmässige, berufliche, politische, sportliche und kulturelle Eingliederung wie auch ihre Entwicklung im Schosse der Familien zu fördern. Im Verkehr mit dem Kanton, den Gemeinden und anderen öffentlichrechtlichen Körperschaften und Institutionen haben Menschen mit Behinderungen das Recht, Informationen zu erhalten und in einer Form, die ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten angepasst ist, zu kommunizieren. Schwerhörige, Taubblinde oder Menschen mit Sprachstörungen haben das Recht, im Verkehr mit dem Kanton, den Gemeinden und anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Institutionen die italienische Gebärdensprache zu verwenden. Die italienische Gebärdensprache wird anerkannt.

Artikel 13a KV-TI, der in den Titel III (Sozialrechte und -ziele) eingefügt wird, betrifft die Rechte von Menschen mit Behinderungen und die Aufgaben des Kantons und der Gemeinden in Bezug auf diese Menschen. Die Änderung sieht insbesondere kantonale und kommunale Massnahmen in Bereichen vor, wo die Kantone zuständig sind, wie z. B. im Bereich des Schulwesens oder der kantonalen Verwaltung.23 Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten. Die kantonale Ausführungsgesetzgebung muss indessen mit dem höherrangigen Recht vereinbar sein, insbesondere mit dem BehiG.

18 19 20 21 22 23

Vgl. Vincent Martenet in: Vincent Martenet / Jacques Dubey (Hrsg.), Constitution fédérale, Comm. romand, Basel 2021, Art. 8 Rz. 134.

Vgl. ebd.

SR 151.3 Vgl. ebd., Art. 8 Rz. 136.

Vgl. ebd., Art. 8 Rz. 137.

Vgl. Art. 62 Abs. 1 und 47 Abs. 2 BV.

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1.6.3

Reform der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden

Bisheriger Text

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Art. 36

Wahlen durch den Grossen Rat [Marginalie] 1 Vom Grossen Rat werden gewählt: b) der Präsident der Untersuchungs- und Haftrichter sowie die Untersuchungsund Haftrichter; d) die Amtsrichter; e) die Präsidenten und Mitglieder der Enteignungsgerichte; f) der Jugendrichter;

Art. 36 Abs. 1 Bst. b, d, e und f 1 Vom Grossen Rat werden gewählt: b) der Präsident des Zwangsmassnahmenrichteramts und die Zwangsmassnahmenrichter; d) die Amtsrichter und die Amtsrichterstellvertreter; die Kinder- und Erwachsenenschutzrichter, die Kinderund Erwachsenenschutzrichterstellvertreter und die fachkundigen Mitglieder; e) der Präsident, die Ersatzmitglieder und die Sachverständigen des Enteignungsgerichts; f) der Jugendrichter und der Jugendrichterstellvertreter;

Art. 75 Zivilgerichte [Marginalie] 1 Die Zivilgerichtsbarkeit wird ausgeübt durch: a) die Friedensrichter; b) die Amtsrichter;

Art. 75 Abs. 1 Bst. a und b 1 Die Zivilgerichtsbarkeit wird ausgeübt durch: a) die Friedensrichterämter; b) die Amtsgerichte und die Kinder- und Erwachsenenschutzgerichte;

Art. 76 Strafgerichte [Marginalie] 1 Die Strafgerichtsbarkeit wird ausgeübt durch: c) den Jugendrichter.

Art. 76 Abs. 1 Bst. c 1 Die Strafgerichtsbarkeit durch: c) das Jugendgericht.

wird

ausgeübt

Nach Artikel 39 Absatz 1 BV regeln die Kantone die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. Nach den Artikeln 122 Absatz 2 und 123 Absatz 2 BV sind für die Organisation der Gerichte und die Rechtsprechung in Zivil- und Strafsachen die Kantone zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht. In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt schliesslich deren Organisationsautonomie. Der Bund beachtet diese (Art. 47 Abs. 2 BV). Die Änderung der KV-TI sieht insbesondere vor, dass die regionalen Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden durch kantonale Gerichte ersetzt werden, nämlich die Kinder- und Erwachsenenschutzgerichte.24 Die Änderung betrifft die kantonalen und kommunalen politischen Rechte und die kantonale Organisationsautonomie. Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

24

Vgl. S. 9 des kantonalen Abstimmungsbüchleins zur Abstimmung vom 30. Oktober 2022.

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1.7

Verfassung des Kantons Waadt

1.7.1

Volksabstimmung vom 25. September 2022

Die Stimmberechtigten des Kantons Waadt haben in der Volksabstimmung vom 25. September 2022 verschiedenen Änderungen der Verfassung des Kantons Waadt vom 14. April 200325 (KV-VD) betreffend den Justizrat mit 148 225 Ja gegen 60 215 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 16. November 2022 ersuchen die Präsidentin des Staatsrates und der Kanzler im Namen des Staatsrates um die eidgenössische Gewährleistung.

1.7.2

Justizrat

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Art. 90 Unvereinbarkeiten [Marginalie] 1 Das Amt als Mitglied des Grossen Rates, des Staatsrates, einer Gerichtsbehörde und des Rechnungshofes sowie das Amt der Ombudsperson sind unvereinbar. Das Gesetz kann für nichtständige Mitglieder einer Gerichtsbehörde Ausnahmen vorsehen.

Art. 90 Abs. 1 1 Das Amt als Mitglied des Grossen Rates, des Staatsrates, einer Gerichtsbehörde, der Staatsanwaltschaft und des Rechnungshofes sowie das Amt der Ombudsperson sind unvereinbar.

Das Gesetz kann für nichtständige Mitglieder einer Gerichtsbehörde Ausnahmen vorsehen.

Art. 106 Wahlen [Marginalie] 1 Der Grosse Rat wählt: e. den Generalstaatsanwalt.

Art. 106 Abs. 1 Bst. e und f 1 Der Grosse Rat wählt: e. den Generalstaatsanwalt und die Generalstaatsanwaltstellvertreter; f. die Mitglieder des Justizrats.

Art. 107 Oberaufsicht [Marginalie] 1 Der Grosse Rat übt die Oberaufsicht über die Tätigkeit des Staatsrates sowie über die Geschäftsführung des Kantonsgerichts aus. Die Unabhängigkeit der richterlichen Tätigkeit bleibt vorbehalten.

Art. 107 Abs. 1 1 Der Grosse Rat übt die Oberaufsicht über die Tätigkeit des Staatsrates, über diejenige des Justizrats sowie, mittels des Letzteren, über die Geschäftsführung des Kantonsgerichts und der Staatsanwaltschaft aus. Die Unabhängigkeit der Rechtsprechung bleibt vorbehalten.

V. Abschnitt: Staatsanwaltschaft

Gliederungstitel vor Art. 125a Aufgehoben

Art. 125a Staatsanwaltschaft [Marginalie] 1 Die Staatsanwaltschaft führt die Strafuntersuchung und erhebt Anklage.

2 In der Ausübung ihrer gesetzlichen Pflichten ist sie unabhängig.

3 Sie ist administrativ dem Staatsrat unterstellt.

4 Das Gesetz regelt ihre Organisation, ihre Funktionen und ihre Zuständigkeiten.

Art. 125a Aufgehoben

25

SR 131.231

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IV. Kapitel: Gerichte I. Abschnitt: Allgemeine Grundsätze

Gliederungstitel vor Art. 126 IV. Kapitel: Gerichte und Staatsanwaltschaft I. Abschnitt: Allgemeine Grundsätze

Art. 126 Unabhängigkeit und Unparteilichkeit [Marginalie] 1 Die Unabhängigkeit der Gerichte ist gewährleistet.

2 Die Richter üben ihr richterliches Amt auf unabhängige und unparteiliche Weise aus.

Art. 126 Abs. 1 und 2 1 Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Staatsanwaltschaft ist gewährleistet.

2 Die Richter und die Amtsträger der Staatsanwaltschaft üben ihre rechtlichen Funktionen auf unabhängige und unparteiliche Weise aus.

Art. 127 Organisation des Gerichtswesens, Verbot von Ausnahmegerichten [Marginalie] 1 Das Gesetz legt Anzahl, Organisation und Zuständigkeit der Gerichte fest.

2 Es dürfen keine Ausnahmegerichte eingesetzt werden, auch nicht unter anderer Bezeichnung.

Art. 127

Art. 128 Rasches Handeln und hohe Qualität der Justiz [Marginalie] Der Grosse Rat gewährt den Gerichtsbehörden ausreichende Mittel, damit rasches Handeln und hohe Qualität der Justiz gewährleistet sind.

Art. 128 einziger Absatz Der Grosse Rat gewährt den Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft ausreichende Mittel, damit rasches Handeln und hohe Qualität der Justiz gewährleistet sind.

Organisation des Gerichtswesens, Verbot der Ausnahmegerichtsbarkeit [Marginalie] 1 Das Gesetz legt Anzahl, Organisation und Zuständigkeit der Gerichte und der Staatsanwaltschaft fest.

2 Es darf keine Ausnahmegerichtsbarkeit eingeführt werden, unter welcher Bezeichnung auch immer.

Einfügen vor dem Gliederungstitel des II. Abschnitts (Kantonsgericht) Art. 129a Oberaufsicht [Marginalie] 1 Unter Vorbehalt ihrer justiziellen Unabhängigkeit unterstehen das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft der Oberaufsicht des Grossen Rates.

2 Die Oberaufsicht wird mittels des Justizrats ausgeübt.

Art. 131 Zusammensetzung, Wahl der Richter [Marginalie] 1 Die Richter und die Ersatzrichter des Kantonsgerichts werden vom Grossen Rat gestützt auf eine Stellungnahme der Wahlvorbereitungskommission für die Dauer von fünf Jahren ab 1. Januar des Jahres, das auf die Gesamterneuerung des Grossen Rates folgt, gewählt.

2 Die Kommission wird vom Grossen Rat ernannt. Sie setzt sich aus Abgeordneten und aus unabhängigen Experten zusammen.

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Art. 131 Abs. 1, 2 und 5 1 Die Richter und die Ersatzrichter des Kantonsgerichts werden vom Grossen Rat gestützt auf die Stellungnahme des Justizrats und einer Wahlvorbereitungskommission gewählt.

2 Die Kommission wird vom Grossen Rat ernannt. Sie setzt sich aus Abgeordneten zusammen.

5 Die Richter und die Ersatzrichter des Kantonsgerichts werden für die Dauer von fünf Jahren ab 1. Januar des dritten Jahrs, das auf die Gesamterneuerung des Grossen Rates folgt, gewählt.

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Art. 132 Organisation und Autonomie [Marginalie] 2 Es unterbreitet dem Grossen Rat, durch Vermittlung des Staatsrates, jedes Jahr den Voranschlag, den Geschäftsbericht und die Rechnung.

Art. 132 Abs. 2 2 Es unterbreitet dem Grossen Rat, durch Vermittlung des Staatsrates, jedes Jahr den Voranschlag und die Rechnung.

Art. 135 Oberaufsicht [Marginalie] Abgesehen von der Unabhängigkeit der Rechtsprechung untersteht das Kantonsgericht der Oberaufsicht des Grossen Rates.

Art. 135 Aufgehoben

Gliederungstitel vor Art. 136a IV. Abschnitt: Staatsanwaltschaft Einfügen vor dem VI. Titel Art. 136a Befugnisse [Marginalie] 1 Die Staatsanwaltschaft führt die Strafuntersuchung und erhebt Anklage.

2 In der Ausübung ihrer gesetzlichen Pflichten ist sie unabhängig.

Einfügen vor dem VI. Titel Art. 136b Organisation und Autonomie [Marginalie] 1 Die Staatsanwaltschaft ist organisatorisch, administrativ und finanziell im Rahmen des vom Grossen Rat verabschiedeten Voranschlags selbstständig.

2 Sie unterbreitet dem Grossen Rat, durch Vermittlung des Staatsrates, jedes Jahr den Voranschlag und die Rechnung.

Einfügen vor dem VI. Titel Art. 136c Wahl des Generalstaatsanwalts und der Generalstaatsanwaltstellvertreter [Marginalie] Auf die Wahl des Generalstaatsanwalts und der Generalstaatsanwaltstellvertreter ist Artikel 131 sinngemäss anwendbar.

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Neuer Text Gliederungstitel vor Art. 136d V. Abschnitt: Justizrat Einfügen vor dem VI. Titel Art. 136d Justizrat [Marginalie] 1 Der Justizrat nimmt die Aufsicht über das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft sowie über ihre Amtsträger wahr, unter Beachtung ihrer justiziellen Unabhängigkeit und ihrer Selbstständigkeit.

2 Er erstattet dem Grossen Rat Bericht über seine Tätigkeit.

3 Im Übrigen legt das Gesetz dessen Zusammensetzung, Organisation und Befugnisse fest.

4 Das Gesetz kann Funktionen des Justizrats auf eine interkantonale Instanz übertragen.

Art. 179a Übergangsbestimmung zur Teilrevision vom 25. September 2022 [Marginalie] Die Amtszeit der Kantonsrichter sowie diejenige des Generalstaatsanwalts wird bis zum 31. Dezember 2024 verlängert.

Nach Artikel 39 Absatz 1 BV regeln die Kantone die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. Nach den Artikeln 122 Absatz 2 und 123 Absatz 2 BV sind für die Organisation der Gerichte und die Rechtsprechung in Zivil- und Strafsachen die Kantone zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht. In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt schliesslich deren Organisationsautonomie. Der Bund beachtet diese (Art. 47 Abs. 2 BV). Die Änderungen der KV-VD sehen insbesondere die Schaffung eines Justizrats vor. Seine Hauptaufgaben sind die Ausübung der Verwaltungsaufsicht über das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft und die Disziplinaraufsicht über die Gesamtheit der Amtsträger.26 Er erarbeitet die Stellungnahmen zuhanden des Grossen Rates, nachdem er die Kandidatinnen und Kandidaten für die Kantonsrichter-, Generalstaatsanwalt- und Generalstaatsanwaltstellvertreterstellen angehört hat.27 Die Schaffung des Justizrats hat insbesondere zum Ziel, die Beachtung der Gewaltenteilung und der justiziellen Unabhängigkeit zu verbessern und durch die Vorprüfung der Kandidaturen durch den Justizrat den politischen Einfluss auf die Wahl der Amtsträger abzuschwächen.28 Die Änderung der KV-VD betrifft die kantonalen politischen Rechte und die kantonale Organisationsautonomie. Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

26 27 28

Vgl. S. 4 des kantonalen Abstimmungsbüchleins zur Abstimmung vom 25. September 2022.

Vgl. ebd.

Vgl. ebd., S. 6.

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1.8

Verfassung des Kantons Neuenburg

1.8.1

Volksabstimmung vom 15. Mai 2022

Die Stimmberechtigten des Kantons Neuenburg haben in der Volksabstimmung vom 15. Mai 2022 dem neuen Artikel 6a der Verfassung von Republik und Kanton Neuenburg vom 24. September 200029 (KV-NE) betreffend die Aufsicht über die Geschäftsführung und die Finanzen mit 25 999 Ja gegen 12 105 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 30. September 2022 ersucht der Staatsrat des Departements für Finanzen und Gesundheit des Kantons Neuenburg um die eidgenössische Gewährleistung.

1.8.2 Bisheriger Text

Aufsicht über die Geschäftsführung und die Finanzen Neuer Text Art. 6a

Aufsicht über die Geschäftsführung und die Finanzen [Marginalie] 1 Ein unabhängiges Organ wird beauftragt, die Geschäftsführung der Behörden und der Verwaltung sowie die Haushaltsführung zu beaufsichtigen.

2 Das Gesetz umschreibt dessen Form, Befugnisse und Betrieb. Es kann die Befugnisse dieses Organs auf die Kontrolle anderer Einheiten, die vom Staat geschaffen werden oder mit denen dieser zusammenarbeitet, sowie auf die Gemeinden ausdehnen.

Nach Artikel 50 Absatz 1 BV ist die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt auch deren Organisationsautonomie. Der Bund beachtet diese (Art. 47 Abs. 2 BV).

Der neue Artikel 6a KV-NE sieht vor, dass ein unabhängiges Organ damit beauftragt wird, die Geschäftsführung der Behörden und der Verwaltung sowie die Haushaltsführung zu beaufsichtigen. Das Gesetz umschreibt dessen Form, Befugnisse und Betrieb. Es kann dessen Befugnisse auf die Kontrolle anderer Einheiten, die vom Staat geschaffen werden oder mit denen dieser zusammenarbeitet, sowie auf die Gemeinden ausdehnen. Die Änderung der KV-NE betrifft die kantonale Organisationsautonomie und die Gemeindeautonomie. Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

29

SR 131.233

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2

Rechtliche Aspekte

2.1

Bundesrechtskonformität

Die Prüfung hat ergeben, dass die Änderungen der Verfassungen der Kantone Zürich, Bern, Appenzell Innerrhoden, Graubünden, Aargau, Tessin, Waadt und Neuenburg die Anforderungen von Artikel 51 BV erfüllen. Somit ist ihnen die Gewährleistung zu erteilen.

2.2

Zuständigkeit der Bundesversammlung

Die Bundesversammlung ist nach den Artikeln 51 Absatz 2 und 172 Absatz 2 BV für die Gewährleistung zuständig.

2.3

Erlassform

Die Gewährleistung erfolgt mit einfachem Bundesbeschluss, da weder die BV noch ein Gesetz das Referendum vorsehen (vgl. Art. 141 Abs. 1 Bst. c i. V. m. Art. 163 Abs. 2 BV).

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