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Bericht der

nationalräthlichen Kommission zum Vorschlage des Bundesrathes, betreffend die Rechtsverhältnisse der Verbindungsgeleise zwischen dem Schweiz. Eisenbahnneze und gewerblichen Anstalten.

(Vom 12. November 1874.)

Wie der Vorschlag thatsächlich eine Vermehrung der schweiz.

Eisenbahnen zur Voraussezung hat, so bezwekt er rechtlich eine E r w e i t e r u u g der E i s e n b a h n - G e s e z g e b u n g , resp.

die Ausdehnung derselben und Umformung auf ein bestehendes Verhältniß, welche Umformung aber jedenfalls eine Begünstigung und Vermehrung gewisser Schienenverbindungen zur Folge haben wird.

lieber die geschichtliche Entwiklung des Vorschlages nur wenig Worte, da die Botschaft des Bundesrathes vom 29. Sept. 1874 die erforderliehen Angaben enthält. Darnach ist der Ausgangspunkt die nachgesuchte Konzessionsertheilung für eine Eisenbahn Perlen-Gisikon, die aber nicht ausgesprochen worden ist. Dadurch ist die Sache aber nicht beseitigt, sondern in allgemeinerer Weise ist gefragt worden, ob für Verbindungsbahnen, welche Privatetablissemente erstellen wollen, um mit konzedirten öffentlichen Bahnen in Anschluß zu kommen, k e i n R e c h t bestehe, einerseits gegenüber von Eigenthümern von Land, das zur Herstellung der Verbindungs-

1022 bahn in Anspruch genommen werden muß, andererseits gegenüber den konzedirten Eisenbahnen, an die der Anschluß bewerkstelligt werden will. In lezterer Richtung ist wiederum eine ähnliehe Situation vorhanden, welche; den Anschluß und die Verbindung der konzedirten Eisenbahnunternehmungen, unter sich zum Gegenstände hatte und durch Bundesrathsbeschluß vom 11. August 1858 (N. O.S.

VI. 74) geordnet worden ist.

Leztere Rüksicht gewann in der Schlußnahme des Nationalrathes vom 25. Sept. 1873 die Oberhand, nachdem dieMotions-steller vom 24. Sept. den erstem Punkt, d. h. die Stellung der Privatbahnen zum Eigenthum desbenöthigtenu Landes, besonders betont hatten.

Die Frage liegt nun in ihrem ganzen Umfang zur Beurtheilung vor; diese ist die Schaffung eines R e c h t s v e r h ä l t n i s s e s für derartige Zustände auf dem Wege des Gesezes, während bisanhin ein Rechtszustand nur auf dem Wege, des Vertragsabschlusses zu O O Stande kam, der aber nach Dauer und Inhalt ganz von der Konvenienz einer der kontrahirenden Par teien abhängig war. Der andere Kontrahent war ganz auf die Konvenienz des Mitkontrahenten angewiesen. Ein solcher Zustand ist aber gewiß kein Rechtszustand zu nennen. Obschon die vom Raine angenommene Motion viel allgemeiner gehalten ist, so hat doch der Bundesrath dieses spezielle Verhältniß zum Gegenstand der Gesezgebung gemacht. Die Mehr heit der Kommission ist mit dieser Auffassung befriedigt, während eine Minderheit nicht nur den Anschluß, sondern die ganze Rechtsstellung berüksichtigen will. Da die Berichterstatter dieser Minderheit angeboren, d. i. dieselbe bilden, so sei es gestattet, die Frage allgemeiner zu beleuchten.

I.

Wir können zum Vortheil der bundesräthlichen AuffassungO sagen, daß sie eine un best rittene ist, indem die Ordnung der Anschlußverh ä l t n i s s e an konzedirte Bahnen jedenfalls Sache des öffentlichen Rechtes and zwar der Bundesgesezgebung ist. Der Umfang dieses neuen Gesezes wird nur von der Zwekmäßigkeit bedingt.

Bestritten ist dagegen die andere Auffassung, wornach auch das Verhältniß zu bestehendem P r i v a t r e c h t e einer gesezlichen Normirung durch den Bund ruft.

Die Botschaft des Bundesraths vom 12. Sept. 1873 hat die da herige Frage mehr umgangen, als gelöst, obschon seine Auffassung

1023 auch dem gegenwärtigen Gesezesentwurfe zu Grunde liegt. Wir wollen das Resultat nicht bekämpfen, sind aber der Ansicht, daß es ohne den großen Umweg hätte gewonnen werden können.

Der Ständerath hat sich in der Behandlung der Konzession Perlen-Gislikon auf den konstitutionellen Standpunkt gestellt und die Anwendung des Expropriationsgesezes vom 1. .Mai 1850 aus dem Grunde abgelehnt, weil ein Privatetablissement, resp. eine Eisenbahnverbindung mit demselben kein Werk sei, das als ö f f e n t l i c h e s zu bezeichnen und von Eidgenossenschafts wegen zu begünstigen sei. Wenn wir schon diesen Standpunkt nicht hinnehmen können, so wollen wir doch nicht lange mit ihm rechten, sondern vorzugsweise betonen, dass durch Art. 26 der B.-V. vom 29. Mai 1874 : Die Gesezgebung ü b e r den Bau und Betrieb von E i s e n b a h n e n i s t B u u d e s s a c h e" die Kompetenz des Bundes eine erweiterte geworden ist. Eine Aenderung des erwähnten Expropriationsgesezes ist zwar nicht erfolgt; sie ist aber nicht absolut nothwendig, indem bei jeder Konzessionsertheilung für eine Eisenbahn die Anwendbarkeit, des Expropriationsgesezes, wenn sie bestritten ist, beschlossen werden kann.

Dadurch werden wir der Beantwortung der Frage, ob ein industrielles Privatunternehmen ein öffentliches Werk sei, überhoben, betonen aber dennoch, daß die I n d u s t r i e unseres Landes, was ihre Werkthätigkeit betrifft, die Berüksichtigung des Gesezgebers in vollem Maße verdient. Die Zwekmäßigkeit der Abänderung des Expropriationsgesezes bleibt daher fortwährend eine offene Frage.

Ein zweites Moment, das zur Lösung der Frage, von Bundes wegen hindrängt, ist die V e r s c h i e d e n h e i t der k a n t o n a l e n G e s e z g e b u n g e n in Expropriationssachen. In einigen Kantonen ist die Expropriation zu Gunsten von Privatunternehmungen ganz.

ausgeschlossen, während sie in andern gestattet ist, aber unter verschiedenen Voraussezungen und in verschiedenen Anwendungen.

Diese, Verschiedenartigkeit ist anstößig an und für sieh; sie ist es aber noch in Berüksichtigung des Umstandes, dato die Industrie nicht von Kantonsgrenzen abhängig ist, sondern ihre Voraussezungen, wie neu»; Wasser- und Arbeitskräfte da suchen muß, wo sie dieselben findet. Wir kommen daher zur Ansicht, daß die Kompetenz des Bundes nach jeder Richtung da begründet ist. wo Eisenbahnen gebaut werden.

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Schen wir mi?, nachdem,wir s u b i über die r e c h t l i c h e S t e l l u n g des Bundes zur Regelung dieser Angelegenheit gesprochen haben, den U m f a n g des vorliegenden Gesezes an.

· n Dasselbe ist zum THeil ein vollständiger Codex über die sog.

Privatbahnen mit theilweiser Beruksichtigung der Haftbarkeit ; der Sache nach,nassen, folgende Verhältnisse geordnet werden: 1. Die Stellung der H ä u p t l i n g e , ihre Verpflichtung, den Anschluß zu gestatten, sowie ihre Leitungen.

2. Die Stellung der P r i v a t b a h n , Bau und Betrieb derselben, ihre Rechte, und Leistungen gegenüber der Hauptbahn.

8. Die Rechnungsverhaltnisse der beiden Bahnen zu einander.

Ueber die Einordnung der verschiedenen Paragraphen des Gesezes unter diese drei Kategorien haben wir" nicht sonderlich viel zu sagen ; eine Betrachtung derselben an der Hand der Botschaft des Bundesrathes, sowie in Beachtung der Eingaben der verschiedenen Gesellschaften, der vorliegenden Vertrage und Reklamationen genügt zu deren Verstandniss. Der Hauptzwek des Gesezesistt die allgemeine Pflicht derHauptlinien,, denAnschlussß zugestatten,, und dem bon plaisir,resp.. der einseitigen Konvenienz der Hauptbahnen entzogen werder. Neben diesem Hauptzwek ist der zweite Gesichtspunkt desGesezess die Normirung der gegenseitigen Leistungen undVerbindlichkeiten..

nr.

Die am Vorschlage des Bundesrathes angebrachten M o d i f i c a t i o n e n können mit wenigen Worten beleuchtet werden.

1. Ein Theil betrifft blos R é d a c t i o n s Veränderungen, hauptsächlich zu dem Zweke, um gleichförmige Ausdruke für die gleichen Sachen in der Gesezgebung zu wählen. Die meisten diesfalligen Modificationen sind übrigens in Uebereinstimmung mit dem Eisenbahndepartement des Bundesrathes angebracht worden.

'2. Ait. 9 bis betrifft eine L e i s t u n g der Hauptbahnen. Er ist iUebereinstimmungng mit deEisenbahndepartementnt des Bundesraths angebracht worden und entsprechend den bestehenden Bestimmungen über die Lieferungsfrist von Gütern unWagen.n.

O O O

1025 3. Art. 8 betrifft ein anderes System der V e r r e c h n u n g als das vom Bundesrath. Er dehnt ein bereits bestehendes Verhältnis auf die Privatbahnen aus und übergibt die Beurthciluug ausnahmswt'iser Verhältnisse dem Bundesrath.

4. Der besondere Antrag der Minderheit zu Art. 3 ist durch die Auseinandersezung sub l begründet. Die Redaktion hätte kategorischer und präciser sein können ; die Minderheit beschränkte sich auf die Andeutung der offenen Frage und die mögliche Intervention des Bundes.

B e r n , den 12. November 1874.

Der Berichterstatter : Dr S. Kaiser, Nationalrath.

Mitglieder der Kommission: Herren: Stämpfli, Präsident.

Bavier.

Challet-Venel.

Dr. Heer.

Jaquet.

Dr. Kaiser, Berichterstatter.

Dr. Römer.

Bundesblatt. Jahrg. XXVI. Bd. III.

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26.12.1874

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