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zu 20.456 Parlamentarische Initiative Unnötige und schädliche Beschränkungen des Zweitwohnungsgesetzes in Sachen Abbruch und Wiederaufbau von altrechtlichen Wohnungen aufheben Bericht der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates vom 24. April 2023 Stellungnahme des Bundesrates vom 16. August 2023

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates vom 24. April 20231 betreffend die parlamentarische Initiative «Unnötige und schädliche Beschränkungen des Zweitwohnungsgesetzes in Sachen Abbruch und Wiederaufbau von altrechtlichen Wohnungen aufheben» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

16. August 2023

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 19. Juni 2020 reichte Nationalrat Martin Candinas die parlamentarische Initiative 20.456 «Unnötige und schädliche Beschränkungen des Zweitwohnungsgesetzes in Sachen Abbruch und Wiederaufbau von altrechtlichen Wohnungen» ein. Er verlangte, dass das Zweitwohnungsgesetz vom 20. März 2015 (ZWG; SR 702) so anzupassen sei, dass bei einer auf 30 Prozent der Hauptnutzfläche beschränkten Erweiterung von altrechtlichen Wohnungen gleichzeitig die Schaffung von neuen Wohnungen zulässig sei. Auch sollten bei einem Abbruch und Wiederaufbau einer altrechtlichen Wohnung eine Erweiterung der Hauptnutzfläche um 30 Prozent, die Schaffung zusätzlicher Wohnungen und eine Standortverschiebung auf demselben Grundstück möglich sein.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die seit Inkrafttreten des Gesetzes gemachten Erfahrungen zeigten, dass das Zweitwohnungsgesetz und die dazugehörige Rechtsprechung die Nutzung altrechtlicher Wohnungen übermässig einschränkten. Dies führe dazu, dass dringend notwendige Investitionen in Altliegenschaften nicht getätigt würden.

Am 20. Mai 2021 gab die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrats (UREK-N) der parlamentarischen Initiative von Nationalrat Candinas Folge. Am 12. August 2021 stimmte auch die UREK-S der Initiative zu. Die UREK-N erarbeitete in der Folge eine Vorlage zur Anpassung des ZWG und schickte den Vorentwurf vom 3. November 2022 bis 17. Februar 2023 in die Vernehmlassung. Nach einer Würdigung der Stellungnahmen aus der Vernehmlassung bestätigte die Kommissionsmehrheit ihre Anträge gemäss Vorentwurf. Zwei Minderheitsanträge übernahmen Vorschläge von Vernehmlassungsteilnehmenden. Die Kommission verabschiedete den Entwurf zur Änderung des ZWG an der Sitzung vom 24. April 2023 mit 14 zu 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen.

Am 31. Mai 2023 unterbreitete die UREK-N ihren Bericht vom 24. April 2023 dem Bundesrat zur Stellungnahme.

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Stellungnahme des Bundesrates

Gemäss dem von der UREK-N dem Bundesrat vorgelegten Gesetzesentwurf ist vorgesehen, dass die Hauptnutzfläche einer altrechtlichen Wohnung im Sinne von Artikel 10 ZWG im Rahmen eines Umbaus wie auch eines Abbruchs und Neuaufbaus um maximal 30 Prozent der am 11. März 2012 vorbestehenden Hauptnutzfläche erweitert werden darf. In diesem Rahmen sollen zudem auch zusätzliche Wohnungen und neue Gebäude geschaffen werden können. Der Entwurf der UREK-N sieht demnach vor, dass von den beiden Möglichkeiten (Wohnungserweiterung und Schaffung zusätzlicher Wohnungen) neu kumulativ Gebrauch gemacht werden kann. Dies soll sowohl dann gelten, wenn eine altrechtliche Wohnung im Rahmen eines Umbaus erweitert wird als auch dann, wenn eine altrechtliche Wohnung abgebrochen und neu aufgebaut wird. Nach geltendem Recht darf eine altrechtliche Wohnung nur dann um maximal 2/6

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30 Prozent erweitert werden, wenn dabei nicht noch eine zusätzliche Wohnung geschaffen wird (Art. 11 Abs. 3 Satz 1 ZWG). Wird eine altrechtliche Wohnung abgebrochen und neu aufgebaut, darf der Wiederaufbau nur im Rahmen der vorbestandenen Hauptnutzfläche erfolgen (vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 1 ZWG).

Wenn neu bei altrechtlichen Wohnungen kumulativ sowohl eine Erweiterung als auch die Schaffung neuer Wohnungen zulässig sein soll, ergibt sich in zweifacher Hinsicht ein gewisser Konflikt mit Artikel 75b Absatz 1 BV. Nach dieser Verfassungsbestimmung ist der Anteil der Zweitwohnungen am Gesamtbestand der Wohnungen und an der für Wohnzwecke genutzten Bruttogeschossfläche einer Gemeinde auf höchstens 20 Prozent beschränkt. Wenn es nun zulässig wäre, mit einem Bauvorhaben für eine altrechtliche Wohnung in einer Gemeinde mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 Prozent sowohl den Anteil der Zweitwohnungen am Gesamtbestand der Wohneinheiten zu erhöhen als auch die für Zweitwohnungen genutzte Bruttogeschossfläche, würde eine Entwicklung ermöglicht, die sich sowohl in Bezug auf die Anzahl der Zweitwohnungen als auch in Bezug auf die für Zweitwohnungen genutzte Fläche vom 20-Prozent-Ziel entfernt. Die von der UREK-N vorgeschlagene Bestimmung lässt sich daher nach Auffassung des Bundesrats mit der genannten Verfassungsbestimmung nicht in Einklang bringen.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Lage auf dem Wohnungsmarkt in gewissen touristischen Regionen derzeit angespannt ist. Im Mai 2023 erschien der neuste Bericht zu Monitoring und Analyse des Vollzugs und der Wirkungen des Zweitwohnungsgesetzes. Dieser Bericht zeigt, dass die Nachfrage nach altrechtlichen Wohnungen in beliebten Tourismusorten hoch ist. Für Eigentümerinnen und Eigentümer ist es finanziell äusserst attraktiv, altrechtliche Wohnungen als Zweitwohnungen zu verkaufen oder zu vermieten. Für die einheimische Wohnbevölkerung sind solche Wohnungen aufgrund der hohen Preise häufig unerschwinglich geworden. Dies führt zu Verdrängungen und Abwanderung. Der Bundesrat befürchtet, dass der vorgelegte Gesetzesentwurf diese Problematik noch verschärft. Werden die Bestimmungen für die Erweiterung und die Schaffung neuer Wohnungen gelockert, wird es attraktiver, altrechtliche Wohnungen zu sanieren oder abzubrechen und neu aufzubauen. Die Erfahrung zeigt, dass solche
Erstwohnungen häufig im Rahmen einer Erneuerung zu einer Zweitwohnung umgenutzt werden. Dies gilt es im Interesse der lokalen Bevölkerung zu verhindern.

Der Bundesrat unterbreitet daher einen eigenen Gesetzesvorschlag, der sowohl auf die verfassungsmässigen Bedenken eingeht als auch der Wohnungsknappheit Rechnung trägt. Er schlägt vor, dass eine Wohnraumerweiterung sowohl beim Umbau als auch beim Abbruch und Neuaufbau einer altrechtlichen Wohnung möglich sein soll, sofern dabei keine neuen Zweitwohnungen geschaffen werden. Die Schaffung von zusätzlichen Erstwohnungen im Rahmen einer Erweiterung soll hingegen zulässig sein.

Wohl hat der Bundesrat in der Botschaft vom 19. Februar 2014 zum Bundesgesetz über Zweitwohnungen darauf hingewiesen, dass bei altrechtlichen Wohnungen auch eine blosse Erweiterung der Hauptnutzungsfläche verfassungswidrig sei (BBl 2014 2287, 2309 f.). Das Parlament hat dann aber mit Artikel 11 Absatz 3 ZWG bei Umbauten altrechtlicher Wohnungen eine Erweiterung um maximal 30 Prozent der am 11. März 2012 vorbestehenden Hauptnutzfläche als zulässig erklärt, sofern keine zusätzlichen Wohnungen geschaffen werden. Der Bundesrat schlägt vor diesem 3/6

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Hintergrund nun vor, solche Erweiterungen nicht nur im Rahmen eines Umbaus, sondern auch bei einem Abbruch und Wiederaufbau einer altrechtlichen Wohnung zuzulassen. Er trägt damit dem Umstand Rechnung, dass in der Praxis oftmals nicht eindeutig zwischen einem Umbau und dem Abbruch und Wiederaufbau einer Baute unterschieden werden kann. Gleichzeitig ist darauf hinzuweisen, dass die vom Bundesrat vorgeschlagene Lösung aus verfassungsrechtlicher Sicht kritisch beurteilt werden kann. Sie ermöglicht es nämlich, eine altrechtliche Wohnung auch bei einem Abbruch und Wiederaufbau zu vergrössern.

Die Regelung, wonach bei der Erweiterung altrechtlicher Wohnungen keine zusätzlichen Wohnungen geschaffen werden dürfen, wird im Vorschlag des Bundesrats im Vergleich zum geltenden Recht präzisiert. Der Bundesrat will damit klarstellen, dass die Erstellung von Erstwohnungen oder den Erstwohnungen gleichgestellten Wohnungen (d. h. von Erstwohnungen im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Bst. a ZWG) zulässig bleibt. In vielen Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 Prozent sind solche Wohnungen für die lokale Bevölkerung dringend erforderlich.

Wird beim Umbau oder beim Abbruch und Neuaufbau einer altrechtlichen Wohnung die zulässige Wohnraumerweiterung von maximal 30 Prozent der Hauptnutzfläche überschritten, so kommt der neue Artikel 11 Absatz 3 ZWG zur Anwendung, der dem bisherigen Artikel 11 Absatz 4 entspricht. Demzufolge ist eine solche Erweiterung nur zulässig, wenn die betreffende Wohnung mit den in diesem Absatz erwähnten zweitwohnungsrechtlichen Nutzungsbeschränkungen belegt wird und die entsprechenden Bewilligungsvoraussetzungen erfüllt sind.

Die Anpassungen in den Absätzen 2, 3, 3bis und 4 dienen der besseren Lesbarkeit des Artikels. Die Verfahrensvorschriften betreffend Anordnung der Nutzungsbestimmungen sollen in Absatz 3bis und der Vorbehalt des übrigen Bundesrechts und des kantonalen Rechts, der sich sowohl auf Absatz 2, 2bis und 3 bezieht, in Absatz 4 zusammengefasst werden. Im Vergleich zum geltenden Recht ist bei diesem Verweis eine Präzisierung vorgesehen. Die übrigen Voraussetzungen des Bundesrechts und des kantonalen Rechts bleiben generell vorbehalten. Der Vorbehalt beschränkt sich mithin nicht auf die im geltenden Absatz 3 exemplarisch genannten Vorschriften über das Bauen ausserhalb der
Bauzonen.

Unabhängig von der vorliegenden Revision des ZWG haben die Gemeinden heute weitere Möglichkeiten, um preisgünstigen Wohnraum zu erhalten. Will eine Gemeinde mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 Prozent die für altrechtliche Wohnungen vorgesehenen baulichen Möglichkeiten nicht oder nur teilweise zulassen, kann sie gestützt auf Artikel 3 Absatz 2 ZWG entsprechende Massnahmen ergreifen.

Um einem allfälligen Umnutzungsdruck von als Erstwohnungen genutzten altrechtlichen Wohnungen zu einer Zweitwohnnutzung zu begegnen, kann sie beispielsweise für ihr Gemeindegebiet oder einen Teil davon eine minimale Erstwohnungsquote festlegen. Weiter kann sie z. B. im Rahmen der Nutzungsplanung Vorgaben für die Weiterentwicklung eines Ferienhausquartiers machen, um wichtige Freiräume zu erhalten und Qualitätsverbesserungen, z. B. gestalterischer Art, erreichen zu können. Der Bundesrat hält diese Möglichkeiten für ausreichend, um Fehlentwicklungen vorbeugen zu können. Die gemäss den beiden Minderheitsanträgen zu Artikel 11 Absatz 3bis E-ZWG vorgesehenen Einschränkungen der Anwendbarkeit der neuen Möglichkeiten für altrechtliche Wohnungen (Minderheit Clivaz Christophe, Bäumle, Egger Kurt, 4/6

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Flach, Girod, Jauslin, Klopfenstein Broggini, Masshardt, Munz, Nordmann, Schneider Schüttel, Suter und Minderheit Munz, Masshardt, Nordmann, Schneider Schüttel, Suter) erachtet der Bundesrat vor diesem Hintergrund als nicht nötig und empfiehlt sie zur Ablehnung.

Weiter kann darauf hingewiesen werden, dass die Möglichkeit, beim Abbruch und Neuaufbau einer altrechtlichen Wohnung eine geringfügige Standortverschiebung vorzunehmen, bereits nach geltendem Recht besteht, ohne dass dies im Gesetzestext ausdrücklich festgehalten ist (vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom 31. August 2022 zur Interpellation 22.3761 von Nationalrat Thomas Rechsteiner vom 16. Juni 2022 «Altrechtliche Wohnungen innerhalb der Bauzone im Lichte des Zweitwohnungsgesetzes»). Entsprechende Bauvorhaben haben die massgeblichen Bauvorschriften des Kantons und der Standortgemeinde zu berücksichtigen. Weitere normative Vorgaben des Bundes betreffend Siedlungsqualität und Denkmalschutz erachtet der Bundesrat nicht als erforderlich. Der Minderheitsantrag zu Artikel 11 Absatz 2 E-ZWG (Clivaz Christophe, Bäumle, Egger Kurt, Flach, Klopfenstein Broggini, Masshardt, Munz, Nordmann, Schneider Schüttel, Suter) wird daher zur Ablehnung empfohlen.

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Anträge des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt für den Fall des Eintretens auf die Vorlage, den Entwurf der Mehrheit der UREK-N wie folgt zu ändern: Art. 11 Abs. 2­4 zweiter Satz Solche Wohnungen dürfen im Rahmen der am 11. März 2012 vorbestandenen Hauptnutzfläche erneuert, umgebaut sowie abgebrochen und neu aufgebaut werden.

Werden dabei zusätzliche Wohnungen geschaffen, so können diese bewilligt werden, ohne dass eine Nutzungsbeschränkung nach Artikel 7 Absatz 1 auferlegt werden muss.

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Bei einem Umbau oder Abbruch und Neuaufbau einer altrechtlichen Wohnung darf die am 11. März 2012 vorbestandene Hauptnutzfläche um höchstens 30 Prozent erweitert werden. Sollen dabei zusätzliche Wohnungen geschaffen werden, so sind diese zulässig, wenn sie als Erstwohnungen im Sinne von Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a deklariert werden und die entsprechenden Bewilligungsvoraussetzungen erfüllt sind.

2bis

Erweiterungen, welche die Höchstfläche nach Absatz 2bis erster Satz übersteigen, sind zulässig, wenn die Wohnung als Erstwohnung im Sinne von Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a oder als touristisch bewirtschaftete Wohnung im Sinne von Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b in Verbindung mit Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe a oder b deklariert wird und die entsprechenden Bewilligungsvoraussetzungen erfüllt sind. Zweiten Satz streichen (vgl. Abs. 3bis).

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Sind bei Erweiterungen nach den Absätzen 2bis und 3 Nutzungsbeschränkungen aufzuerlegen, so werden diese von der Baubewilligungsbehörde in der Baubewilligung angeordnet. Die Behörde weist unmittelbar nach Rechtskraft der Baubewilligung das Grundbuchamt an, die Nutzungsbeschränkung zum betreffenden Grundstück im Grundbuch anzumerken.

3bis

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... Zweiten Satz streichen.

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