BBl 2023 www.fedlex.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

23.057 Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (Massnahmen gegen Minderjährigenheiraten) vom 23. August 2023

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (Massnahmen gegen Minderjährigenheiraten).

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

23. August 2023

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2023-2464

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Übersicht Mit dem Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten wurden im Jahr 2013 auch Massnahmen eingeführt, um Minderjährigenheiraten so weit wie möglich zu verhindern und Betroffene wirksam zu schützen und zu unterstützen. Gestützt auf eine Evaluation ist der Bundesrat zum Schluss gekommen, dass bei den Regelungen der Ungültigkeit von Minderjährigenheiraten Verbesserungspotenzial besteht. Mit der vorliegenden Revision sollen die Massnahmen im Zivilgesetzbuch (ZGB) weiter verbessert und mit besonderen Regelungen zur Nichtanerkennung von Minderjährigenheiraten im internationalen Privatrecht verstärkt werden.

Ausgangslage Die Bekämpfung von Minderjährigenheiraten und der Schutz der Betroffenen ist ein wichtiges und anerkanntes Anliegen. So sind Heiraten mit einer minderjährigen Person in der Schweiz seit 2013 nicht mehr möglich. Die Massnahmen gegen Minderjährigenheiraten wurden zusammen mit denjenigen gegen Zwangsheiraten umgesetzt, wobei aber nicht alle Minderjährigenheiraten gleichzeitig als Zwangsheiraten zu qualifizieren sind.

Eine Evaluation hat gezeigt, dass die heutigen Massnahmen gegen Minderjährigenheiraten Verbesserungspotenzial aufweisen. Minderjährigenheiraten sind gerichtlich ungültig zu erklären. Dies ist aber nur möglich, bis die betroffene Person volljährig geworden ist. Die Heilung von Minderjährigenheiraten mit der Vollendung des 18. Altersjahrs greift zu kurz. Kritisiert und infrage gestellt wurde auch, dass eine solche Ehe nach geltendem Recht in Ausnahmefällen gültig sein kann, wenn die Weiterführung der Ehe im konkreten Fall den überwiegenden Interessen der betroffenen Ehegattin oder des betroffenen Ehegatten entspricht (Interessenabwägung).

In der Vernehmlassung wurde zudem mehrheitlich angeregt, Massnahmen gegen Minderjährigenheiraten auch im internationalen Privatrecht vorzusehen.

Inhalt der Vorlage Weil Minderjährigenheiraten in sehr unterschiedlichen Konstellationen auftreten, führt eine pauschale rechtliche Behandlung nicht zum Ziel.

Das geltende System der gerichtlichen Ungültigerklärung von Minderjährigenheiraten im ZGB schafft Rechtssicherheit. Zudem lassen sich eine Heilung, eine Berücksichtigung des Einzelfalls sowie die allfällige Regelung von Rechtsfolgen der Ehe nur im ZGB befriedigend umsetzen. Dieses System soll daher im Grundsatz beibehalten,
aber entsprechend den Erkenntnissen aus der Evaluation verbessert werden: So soll an der grundsätzlichen Heilungsmöglichkeit festgehalten werden. Nur so kann verhindert werden, dass Jahre später von Amtes wegen in gelebte Familienstrukturen eingegriffen wird. Die Heilung soll aber deutlich später, nämlich erst mit der Vollendung des 25. Altersjahres, eintreten. Das gibt primär der betroffenen Person, aber auch den Behörden nach Erreichen der Volljährigkeit genügend Zeit, gegen die Ehe vorzugehen. Was die Möglichkeit der ausnahmsweisen Aufrechterhaltung der Ehe im Einzelfall anbelangt, so ist der Bundesrat überzeugt, dass diese zum Schutz der Be-

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troffenen wie auch im Rahmen der Vereinbarkeit mit übergeordnetem Recht beizubehalten ist.

Neu sollen zwei spezifische Fallkonstellationen von Minderjährigenheiraten direkt im internationalen Privatrecht erfasst werden, da auch in der Vernehmlassung mehrheitlich gefordert wurde, durch eine Regelung im internationalen Privatrecht stärker gegen Minderjährigenheiraten vorzugehen. Zum Schutz der Betroffenen sollen Eheschliessungen mit Minderjährigen in bestimmten Fällen nicht anerkannt werden, womit ihnen in der Schweiz grundsätzlich keine Rechtswirkungen zukommen. Das betrifft zum einen Ehen, solange eine Ehegattin oder ein Ehegatte das 16. Altersjahr noch nicht vollendet hat. Ist eine betroffene Person unter 16 Jahre alt, wird die Ehe in keinem Fall anerkannt. Zum anderen werden Minderjährigenheiraten in der Schweiz nicht anerkannt, wenn eine Ehegattin oder ein Ehegatte im Zeitpunkt des Eheschlusses den Wohnsitz in der Schweiz hatte. Mit dieser Regelung sollen insbesondere die sogenannten «Sommerferienheiraten» verhindert werden, bei denen Minderjährige, die in der Schweiz leben, während den Ferien im Ausland verheiratet werden. In diesen beiden Fällen ist eine Nichtanerkennungsregelung gerechtfertigt. Diese Neuregelung soll auch dazu führen, dass der Anwendungsbereich der Eheungültigkeitsbestimmung im ZGB und damit auch deren Anwendung und Umsetzung für die zuständigen Behörden eingeschränkt wird.

Die Vorlage enthält daneben Anpassungen im Verlöbnisrecht in Bezug auf Minderjährige sowie entsprechende Anpassungen im Asyl- und Ausländerrecht. Auch werden die Verbesserungen im ZGB in gleicher Weise im Partnerschaftsgesetz umgesetzt.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

8 8 8 9

2

Ausgangslage 1.1 Handlungsbedarf und Ziele 1.1.1 Allgemeines 1.1.2 Geltendes Recht im ZGB 1.1.2.1 Eheungültigkeit bei Minderjährigkeit einer Ehegattin oder eines Ehegatten 1.1.2.2 Eheungültigkeit bei Zwang 1.1.2.3 Verhältnis der Eheungültigkeitsgründe zueinander 1.1.3 Geltendes Recht im IPRG 1.1.4 Vorgehen bei Minderjährigenheiraten 1.1.4.1 Anerkennungsprüfung im IPRG ­ Ungültigkeitsverfahren gemäss ZGB 1.1.4.2 Verfahren zur Geltendmachung des Ungültigkeitsgrundes bei Minderjährigkeit 1.1.4.3 Folgen einer Ungültigerklärung der Ehe 1.1.4.4 Ausländer- und asylrechtliche Folgen 1.1.5 Evaluation der zivilrechtlichen Bestimmungen und konkreter Handlungsbedarf 1.1.6 Verbreitung der Minderjährigenheiraten 1.2 Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung 1.2.1 Eheungültigkeitsgrund der Zwangsheirat 1.2.2 Sensibilisierungsmassnahmen 1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates 1.4 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

9 9 9 11 12 12 13 14 15 16 17 18 18 19 19 20

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren 2.1 Vernehmlassungsvorlage 2.2 Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens 2.3 Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

20 20

3

Rechtsvergleich 3.1 Grundlagen 3.2 Internationales Recht 3.3 Ehemündigkeit 3.4 Unterschiedliche Ansätze in den nationalen Rechtsordnungen 3.5 Ausführungen zu einzelnen ausländischen Rechtsordnungen 3.6 Würdigung

22 22 23 23 24 24 28

4

Grundzüge der Vorlage

28

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4.1

4.2

Herausforderungen einer Neuregelung 4.1.1 Unterschiedliche Konstellationen von Minderjährigenheiraten 4.1.2 Unterschiedliche Lösungsansätze 4.1.2.1 Allgemeines 4.1.2.2 Lösungsansatz gemäss geltendem Recht und Vorentwurf: Eheungültigkeitsverfahren 4.1.2.3 Lösungsansatz im internationalen Privatrecht: Nichtanerkennung 4.1.2.4 Bewertung der beiden Lösungsansätze 4.1.3 Prüfung einer umfassenden Regelung im internationalen Privatrecht Die beantragte Neuregelung 4.2.1 Neue Regelung von zwei besonderen Konstellationen im IPRG 4.2.1.1 Allgemeines 4.2.1.2 Nichtanerkennung von Minderjährigenheiraten mit Personen, die das 16. Altersjahr noch nicht vollendet haben 4.2.1.3 Nichtanerkennung von Minderjährigenheiraten bei schweizerischem Wohnsitz einer Ehegattin oder eines Ehegatten 4.2.2 Verbesserung der Ungültigkeitsregelungen zu Minderjährigenheiraten im ZGB für alle anderen Fälle 4.2.2.1 Allgemeines 4.2.2.2 Eigenständige Regelung des Ungültigkeitsgrundes der Minderjährigkeit (Art. 105a E-ZGB) 4.2.2.3 Heilung mit Vollendung des 25. Altersjahres 4.2.2.4 Alter im Zeitpunkt der Klageeinreichung entscheidend 4.2.2.5 Interessenabwägung und ausnahmsweise Aufrechterhaltung der Ehe bei minderjährigen Betroffenen 4.2.2.6 Prüfung des freien Willens und ausnahmsweise Aufrechterhaltung der Ehe bei volljährigen Betroffenen 4.2.2.7 Prozessuale Aspekte von Eheungültigkeitsverfahren bei Minderjährigkeit 4.2.3 Zusammenfassung der Fallkonstellationen 4.2.4 Ausländer- und Asylrecht 4.2.4.1 Ausländer und Integrationsrecht 4.2.4.2 Asylrecht 4.2.5 Parallele Anpassungen im Partnerschaftsgesetz 4.2.6 Keine Zustimmungsmöglichkeit zur Verlobung von Minderjährigen

28 28 30 30 31 32 33 33 35 35 35 35 37 38 38 39 39 40 41 44 45 46 47 47 48 49 49

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4.2.7 4.3

4.4

Verzicht auf eine Strafbestimmung bei Verletzung des Voraustrauungsverbots Übergangsrecht 4.3.1 Im ZGB 4.3.2 Im IPRG Umsetzungsfragen

50 52 52 52 53

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 5.1 Zivilgesetzbuch 5.2 Ausländer- und Integrationsgesetz 5.3 Asylgesetz 5.4 Partnerschaftsgesetz 5.5 Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht

53 53 60 60 61 61

6

Auswirkungen 6.1 Auswirkungen auf den Bund 6.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete 6.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 6.4 Auswirkungen auf die Gesellschaft 6.5 Auswirkungen auf die Umwelt

64 64

Rechtliche Aspekte 7.1 Verfassungsmässigkeit 7.2 Vereinbarkeit mit dem Freizügigkeitsabkommen 7.2.1 Ungültigerklärung von Ehen, die mit minderjährigen Personen geschlossen werden 7.2.2 Nichtanerkennung von Ehen, die im Ausland mit minderjährigen Personen geschlossen wurden 7.2.3 Sistierung des Verfahrens zur Bewilligung des Ehegattennachzugs 7.3 Erlassform 7.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 7.5 Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz 7.6 Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes 7.7 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 7.8 Datenschutz

65 65 65

Bibliografie 8.1 Materialien 8.2 Literatur

69 69 70

7

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64 64 65 65

65 67 67 68 68 69 69 69 69

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Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (Massnahmen gegen Minderjährigenheiraten) (Entwurf)

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

1.1.1

Allgemeines

Die Bekämpfung von Minderjährigenheiraten und der Schutz der Betroffenen sind seit mehreren Jahren eine politische Priorität. Die Erreichung dieser Ziele im Bereich der Minderjährigenheiraten geht einher mit den Bestrebungen, Zwangsheiraten so weit wie möglich zu verhindern und die Betroffenen wirksam zu unterstützen. So verfolgte der Bundesrat in den letzten Jahren eine Strategie gegen Zwangsheiraten und Minderjährigenheiraten, die auf verschiedenen Säulen basiert: Neben der Gesetzgebung kommt auch der Forschung, der Information und Sensibilisierung der Bevölkerung sowie der Beratung von Betroffenen eine sehr wichtige Rolle zu. In diesem Sinn hat der Bundesrat gestützt auf eine Studie zu Zwangsheiraten im Jahr 20121 das Bundesprogramm «Bekämpfung Zwangsheiraten» 2013­20172 lanciert.

Parallel trat am 1. Juli 2013 das Bundesgesetz vom 15. Juni 20123 über Massnahmen gegen Zwangsheiraten in Kraft. Mit diesem Mantelerlass wurden Bestimmungen in verschiedenen Rechtsgebieten eingeführt mit dem Ziel, Zwangsheiraten entgegenzuwirken und Betroffene wirksam zu schützen. Dieses Massnahmenpaket sah Anpassungen im Strafrecht, im internationalen Privatrecht, im Ausländer- und Asylbereich sowie im Zivilrecht vor. In diesem Kontext wurden explizit auch Bestimmungen geschaffen, die den Eheschluss von minderjährigen Personen, also die Minderjährigenheiraten, betreffen. Minderjährigenheiraten sollen in der Schweiz verhindert und Betroffene wirksam geschützt und unterstützt werden.

Der Bundesrat hat in Erfüllung eines Postulats4 die Bestimmungen, die mit dem Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten im Zivilgesetzbuch (ZGB)5 eingeführt wurden, einer Evaluation unterzogen.6 Im Zentrum standen die zwei im Jahr 2013 eingeführten Eheungültigkeitsgründe, derjenige der Zwangsheirat (Art. 105 Ziff. 5 ZGB) und derjenige der Minderjährigenheirat (Art. 105 Ziff. 6 ZGB). Dabei kam der Bundesrat in seinem Bericht zum Schluss, dass im Bereich des Eheungültigkeitsgrundes der Minderjährigkeit Verbesserungspotenzial und damit Handlungsbedarf besteht,7 weshalb die entsprechenden Regelungen im Zentrum dieser Revisionsvorlage stehen.

1 2 3 4 5 6 7

NEUBAUER/DAHINDEN, Studie Zwangsheiraten.

Vgl. betreffend Durchführung des Bundesprogramms, die Resultate und die vorgeschlagenen weiteren Massnahmen: Bericht Bundesprogramm.

AS 2013 1035 Po. 16.3897 Arslan «Evaluation der Revision des Zivilgesetzbuches vom 15. Juni 2012 (Zwangsheiraten)».

SR 210 Bericht des Bundesrates vom 29. Januar 2020, Evaluationsbericht.

Evaluationsbericht, Ziff. 4.3 und 4.5.6.

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1.1.2

Geltendes Recht im ZGB

1.1.2.1

Eheungültigkeit bei Minderjährigkeit einer Ehegattin oder eines Ehegatten

Als zentrale Massnahme gegen Minderjährigenheiraten trat am 1. Juli 2013 mit Artikel 105 Ziffer 6 ZGB ein neuer Eheungültigkeitsgrund in Kraft: Eine Ehe ist ungültig, wenn einer der Ehegatten minderjährig ist (Art. 105 Ziff. 6 ZGB). Allerdings ist ­ anders als beim Eheungültigkeitsgrund der Zwangsheirat (vgl. Ziff. 1.1.2.2) ­ eine nachträgliche Heilung der Ungültigkeit möglich: Die Ungültigkeit kann gemäss geltendem Recht nur so lange angerufen werden, als eine Person zur Zeit der Einreichung der Ungültigkeitsklage beziehungsweise im Urteilszeitpunkt8 noch minderjährig ist.

Der Ungültigkeitsgrund wird somit mit der Vollendung des 18. Altersjahres der betroffenen Person geheilt. Zudem ist in Artikel 105 Ziffer 6 ZGB die Möglichkeit einer Aufrechterhaltung der Ehe im Einzelfall vorgesehen: Ergibt eine Abwägung des Zivilgerichts, dass aufgrund besonderer Umstände die Interessen der betroffenen minderjährigen Person an der Aufrechterhaltung der Ehe gegenüber dem öffentlichen und dem individuellen Interesse, eine Verheiratung vor Erreichen der Volljährigkeit zu verhindern, überwiegen, so ist die Ehe ausnahmsweise als gültig anzusehen.

1.1.2.2

Eheungültigkeit bei Zwang

Daneben ist auch die Regelung gegen Zwangsheiraten relevant (zur Abgrenzung vgl.

Ziff. 1.1.2.3): Der gesetzliche Eheungültigkeitsgrund der Zwangsheirat liegt dann vor, wenn ein Ehegatte die Ehe nicht aus freiem Willen geschlossen hat (Art. 105 Ziff. 5 ZGB). Diese Bestimmung findet Anwendung auf jeglichen Eheschluss unter Zwang, unabhängig vom Alter der Eheleute zur Zeit der Eheschliessung. Liegt nachweislich Zwang vor,9 so ist die Ehe gerichtlich für ungültig zu erklären, und zwar ohne Berücksichtigung des Willens der betroffenen Eheleute zum Zeitpunkt der Ungültigerklärung. Die vom Bundesrat damals vorgeschlagene Möglichkeit, die Ehe unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall weiterzuführen,10 wurde im Rahmen der parlamentarischen Beratungen verworfen.11 Eine nachträgliche Heilung der Ungültigkeit ist somit nicht möglich.

1.1.2.3

Verhältnis der Eheungültigkeitsgründe zueinander

Beim Erlass des Bundesgesetzes über Massnahmen gegen Zwangsheiraten ging der Gesetzgeber nicht davon aus, dass jede Minderjährigenheirat gleichzeitig eine Zwangsheirat darstellen würde, wie teilweise geltend gemacht wird.12 Das Alter allein 8 9 10 11 12

Es bestehen hier unterschiedliche Lehrmeinungen sowie eine unterschiedliche Gerichtspraxis; Evaluationsbericht Ziff. 4.3.1.3 und 4.3.3.

Vgl. für die Definition von Zwang: Botschaft Zwangsheiraten, Ziff. 2.1, Art. 105.

Botschaft Zwangsheiraten, Ziff. 2.1, Art. 105.

AB 2012 S 448 ff.

PROGRIN-THEUERKAUF/OUSMANE, FamPra, S. 326. In diese Richtung geht auch die Europarats-Resolution 2233 vom 28. Juni 2018 «Forced marriage in Europe».

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sagt über das Urteilsvermögen, also die seelische und körperliche Reife für eine Eheschliessung, nur beschränkt etwas aus. Bei einer Zwangsheirat wird gegen den Willen einer oder beider der betroffenen Personen zur Ehe geschritten. Nur weil mindestens eine oder einer der Verlobten noch nicht 18 Jahre alt ist, liegt nicht automatisch eine erzwungene Ehe vor;13 eine Minderjährigenheirat muss mit anderen Worten nicht zwangsläufig in jedem Fall unfreiwillig erfolgt sein. Nicht alle Minderjährigenheiraten sind deshalb als Zwangsheiraten zu qualifizieren; ebenso gibt es auch Zwangsheiraten, die keine Minderjährigenheiraten sind.14 Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass einige Staaten, darunter gerade auch im europäischen Umfeld, nach wie vor davon ausgehen, dass eine Verheiratung bereits ab 16 Jahren (oder sogar noch früher) möglich ist (vgl. Ziff. 3.3).15 Mit dem Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten sollten zwar primär Massnahmen geschaffen werden, um Zwangsheiraten zu verhindern und den von einer Zwangsheirat betroffenen Personen in ihrer schwierigen Situation Unterstützung zu bieten. Allerdings ist auch seit Langem bekannt, dass der Nachweis einer Zwangsheirat im Einzelfall sehr schwierig sein kann. Insbesondere dann, wenn die Zwangssituation anhält, wird die betroffene Person die Behörden beim Erbringen des Beweises nicht unterstützen, was eine Beweisführung in der Regel verunmöglicht. Weil Zwangsheiraten oft von Familienmitgliedern initiiert werden, finden sich auch kaum je Familienmitglieder der betroffenen Person, die bereit sind, beim entsprechenden Nachweis mitzuwirken. Zusätzlich erschwert wird die Situation schliesslich häufig dadurch, dass die Trauung im Ausland stattgefunden hat.

In die damaligen Überlegungen einbezogen wurde deshalb, dass von Zwangsheirat sehr oft junge Menschen, zudem überwiegend Frauen mit Migrationshintergrund, betroffen sind16 und eine Zwangsheirat daher häufig gleichzeitig eine Minderjährigenheirat ist. Auch aus diesem Grund wurden ergänzend Massnahmen eingeführt, die sich spezifisch auf die Verheiratung minderjähriger Personen beziehen. Reicht es für eine Ungültigkeit aus, den Nachweis der Minderjährigkeit zu erbringen, so erleichtert dies gleichzeitig den unter Zwang verheirateten Betroffenen, ihre Ehe für ungültig erklären zu lassen. Weil der Nachweis
der Minderjährigkeit zur Zeit des Eheschlusses in der Regel weitaus leichter zu erbringen ist, kommt dem Eheungültigkeitsgrund der Minderjährigkeit deshalb in der Praxis eine grössere Bedeutung zu als dem Ungültigkeitsgrund des Zwangs. Die Ungültigkeit der Minderjährigenheirat befreit so in vielen Fällen die betroffene Person, die unter Zwang verheiratet wurde, vom schwierigen Nachweis der Zwangssituation. Entsprechendes gilt auch für die Behörden, die den Nachweis einer Zwangssituation zu erbringen haben. Es ist deshalb davon auszuge13 14

15

16

FOUNTOULAKIS/MÄSCH, FS Geiser, S. 244.

MAX-PLANCK-INSTITUT, Frühehe, S. 711. Die gleiche Haltung wird auch von der Fachstelle Zwangsheirat vertreten. Die Fachstelle ist eine NGO, die sich in der Beratung von Betroffenen im Bereich Zwangsheirat und Minderjährigenheirat spezialisiert hat und über eine langjährige Erfahrung auf diesem Gebiet verfügt; vgl. auch www.zwangsheirat.ch.

Vgl. Rechtsvergleich SIR und die Zusammenstellung auf https://fra.europa.eu > work on rights > Equalitiy, non-discrimination and racism > Children, youth and older people > mapping minimum age requirements > Downloads: Country data on Marriage and sexual consent; Gewisse europäische Staaten sehen sogar gar kein Mindestheiratsalter vor.

BÜCHLER, FamPra, S. 729; NEUBAUER/DAHINDEN, Studie Zwangsheiraten, Ausführungen zum Situationstyp A (Personen, die unter Zwang stehen, zu heiraten), S. 3 der Zusammenfassung.

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hen, dass eine gewisse Anzahl der unter dem Ungültigkeitsgrund der Minderjährigenheiraten abgehandelten Fälle gleichzeitig auch als Zwangsheiraten zu qualifizieren wären.

Die beiden Tatbestände überschneiden sich somit, sie haben aber gleichzeitig auch einen jeweils eigenen Anwendungsbereich. Dies hat der Gesetzgeber mit dem Erlass der zwei eigenständigen Eheungültigkeitsgründe zum Ausdruck gebracht: Er wollte nicht nur die Zwangsheirat als solche, sondern auch die Minderjährigenheirat ganz allgemein ­ sei es nun eine unentdeckte Zwangsheirat oder nicht ­ erfassen und Minderjährige vor einer Verheiratung schützen.17 Bei einer Überschneidung hängt es von der jeweils konkreten Situation ab, welcher Eheungültigkeitsgrund tatsächlich geltend gemacht wird. Ist Zwang nachgewiesen, so ist die Ehe aber stets gestützt auf Artikel 105 Ziffer 5 ZGB ungültig zu erklären.

Dass der bisherige Eheungültigkeitsgrund der Minderjährigkeit (Art. 105 Ziff. 6 ZGB) in der Praxis öfter Anwendung findet als der Eheungültigkeitsgrund der Zwangsheirat, wird auch durch folgende Beobachtung bestätigt: Die in der durchgeführten Evaluation ermittelten Zahlen zeigen, dass mehr Fälle von Minderjährigenheiraten von den Behörden erkannt werden als Zwangsheiraten (zur Verbreitung vgl. Ziff. 1.1.6).

1.1.3

Geltendes Recht im IPRG

Mit dem Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten wurde im Bundesgesetz vom 18. Dezember 198718 über das Internationale Privatrecht (IPRG) eine Änderung vorgenommen, die Eheschliessungen zwischen ausländischen Personen nach deren Heimatrecht in der Schweiz verunmöglicht. Eine Heirat in der Schweiz ist damit im Ergebnis nur noch zwischen zwei Personen möglich, die das 18. Altersjahr vollendet haben. Konkret wurde Artikel 44 IPRG angepasst, der die Eheschliessung in der Schweiz nun ausnahmslos (und damit auch in Bezug auf das erforderliche Mindestalter) dem schweizerischen Recht unterstellt. Der Gesetzgeber wollte die neuen Ungültigkeitsgründe nach Artikel 105 Ziffern 5 und 6 auch auf ausländische Zwangsheiraten und Minderjährigenheiraten zur Anwendung bringen. Deshalb wurde mit Artikel 45a IPRG eine klare Rechtsgrundlage geschaffen und gleichzeitig die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte erweitert. In der Schweiz erhobene Klagen auf Ungültigerklärung einer Ehe wurden ausnahmslos dem schweizerischen Recht unterstellt. Mit der Erweiterung wurde sichergestellt, dass die Eheungültigkeitsgründe des ZGB stets auch in internationalen Fällen in der Schweiz geltend gemacht werden können, wenn ein hinreichender Inlandbezug besteht.19

17 18 19

Vgl. zum Ganzen: Evaluationsbericht, Ziff. 4.3.1.2.

SR 291 Botschaft Zwangsheiraten, Ziff. 2.2.

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1.1.4

Vorgehen bei Minderjährigenheiraten

1.1.4.1

Anerkennungsprüfung im IPRG ­ Ungültigkeitsverfahren gemäss ZGB

Da Eheschliessungen von Minderjährigen in der Schweiz seit Mitte 2013 nicht mehr möglich sind, geht es bei einer Minderjährigenheirat de facto stets um internationale Sachverhalte. Der Eheschluss fand stets bereits im Ausland statt20 und es stellt sich zwangsläufig die Frage der Anerkennung dieser Ehen.

Sofern kein Staatsvertrag Anwendung findet (vgl. Art. 1 Abs. 2 IPRG), ist daher in Bezug auf die Anerkennung von im Ausland geschlossenen Ehen das IPRG massgebend. Artikel 45 Absatz 1 IPRG sieht vor, dass im Ausland gültig geschlossene Ehen in der Schweiz zu anerkennen sind. Als Grundsatz des schweizerischen internationalen Privatrechts gilt, dass diese im Ausland geschlossenen Ehen möglichst auch im Inland Bestand haben sollen, denn ein Statusakt wie die Ehe schafft ein soziales Faktum, das nicht ohne Not infrage gestellt werden sollte (favor matrimonii).21 Ebenso sollen hinkende Rechtsverhältnisse ­ die Ehe ist in einem Staat gültig, im anderen Staat nicht ­ soweit möglich verhindert werden. Die im Ausland gültig geschlossene Ehe wird in der Schweiz anerkannt, es sei denn, die Anerkennung verstösst gegen den Ordre public. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist dies dann der Fall, wenn das einheimische Rechtsgefühl durch die Anerkennung in unerträglicher Weise verletzt würde, weil dadurch grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung missachtet würden.22 Artikel 45 Absatz 2 IPRG sieht zudem vor, dass eine Anerkennung zu verweigern ist, wenn die Eheleute, die beide in der Schweiz wohnen oder von denen einer Schweizer Bürger ist, den Abschluss der Ehe in der offenbaren Absicht ins Ausland verlegt haben, um die Vorschriften des schweizerischen Rechts über die Eheungültigkeit zu umgehen.23 Die Anerkennung einer im Ausland geschlossenen Ehe steht zudem unter dem Vorbehalt von Artikel 45a IPRG. Dies bedeutet, dass bei einem hinreichenden Bezug der Ehe zur Schweiz diese vor den hiesigen Gerichten angefochten werden kann, wenn ein Ungültigkeitsgrund nach Artikel 105 oder 107 ZGB vorliegt. Dem schweizerischen Ordre public wird damit in der Regel hinreichend Rechnung getragen. Obwohl es bei den Minderjährigenheiraten de facto stets um im Ausland geschlossene Ehen geht, hat der Gesetzgeber von 2012 für diese in Artikel 105 Ziffer 6 ZGB einen neuen Ungültigkeitsgrund vorgesehen. Hauptgrund
für die Lösung war die in die neue Bestimmung aufgenommene Ausnahmeklausel, welche es erlaubt, bei der Gültigkeitsprüfung die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

Im Einzelfall kann es aber der Ordre public gebieten, der Ehe bereits vor ihrer Ungültigerklärung durch das zuständige Gericht die Anerkennung zu versagen, wenn die Ungültigkeit der Ehe offenkundig ist und fest davon ausgegangen werden kann, dass

20

21 22 23

Insoweit wird bei der Regelung der Eheungültigkeit von Minderjährigenheiraten (Art. 105 Ziff. 6 ZGB) von materiellem IPR gesprochen; WIDMER LÜCHINGER, Zürcher Kommentar, N 53 zu Art. 45.

WIDMER LÜCHINGER, Zürcher Kommentar, N 1 zu Art. 45.

BGE 131 III 182 E. 4.1 und BODENSCHATZ, Basler Kommentar, N 21.

WIDMER LÜCHINGER, Zürcher Kommentar, N 38 zu Art. 45.

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das Gericht diese aufheben wird.24 Hier handelt es sich aber stets um Fälle einer vorfrageweisen Prüfung der Ehegültigkeit. Eine vorfrageweise Nichtanerkennung einer Minderjährigenheirat ist denkbar, wenn die minderjährige Ehegattin oder der minderjährige Ehegatte besonders jung ist. Die herrschende Auffassung scheint dahin zu gehen, eine offenkundige Ungültigkeit der Ehe bereits bei einem Alter unter 16 Jahren anzunehmen.25 Das Verfahren auf Ungültigerklärung, mit welchem die Ungültigkeit der Ehe in allgemeinverbindlicher Weise festgestellt werden soll, wird dadurch nicht tangiert und muss in jedem Fall durchgeführt werden.

Dies bedeutet im Ergebnis, dass eine Minderjährigenheirat nach geltendem Recht im Prinzip in einem ersten Schritt zu anerkennen ist, um dann in einem von Amtes wegen direkt einzuleitenden Verfahren vor Zivilgericht auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden muss (Anerkennung mit nachfolgendem Ungültigkeitsverfahren).26

1.1.4.2

Verfahren zur Geltendmachung des Ungültigkeitsgrundes bei Minderjährigkeit

Das Ungültigkeitsverfahren zufolge Minderjährigkeit mindestens einer Ehegattin oder eines Ehegatten bei Heirat richtet sich heute nach Artikel 105 ZGB (unbefristete Ungültigkeit); im Unterschied zur befristeten Ungültigkeit gemäss Artikel 107 ZGB ist die Klage einer Behörde vorgesehen, die von Amtes wegen klagen muss (Art. 106 ZGB). Dagegen ist in Fällen nach Artikel 107 ZGB nur die betroffene Ehegattin oder der betroffene Ehegatte zur Klageerhebung legitimiert.27 Die Geltendmachung der unbefristeten Eheungültigkeitsgründe nach Artikel 105 ZGB erfolgt daher in den allermeisten Fällen in drei Schritten:

24 25

26 27 28

­

Die Meldebehörden des Bundes oder der Kantone müssen einer sogenannt klageberechtigten Behörde Meldung erstatten, wenn sie Anlass zur Annahme haben, dass ein Eheungültigkeitsgrund vorliegt (Art. 106 Abs. 1 zweiter Satz ZGB).28

­

Die vom kantonalen Recht hierfür bezeichnete Behörde erhebt dann bei Vorliegen eines unbefristeten Eheungültigkeitsgrundes von Amtes wegen Klage beim zuständigen Zivilgericht (Art. 106 ZGB; in der Folge: klageberechtigte Behörde).

­

Das zuständige Zivilgericht entscheidet in einem Zivilverfahren über die Ungültigkeit der Ehe.

Vgl. Botschaft Zwangsheiraten, Ziff. 1.3.2.2.

Vgl. Weisung Nr. 10.13.07.01 vom 1. Juli 2013 des Eidgenössischen Amtes für Zivilstandswesen (EAZW); BODENSCHATZ, Basler Kommentar, N 25 zu Art. 45; WIDMER LÜCHINGER, Zürcher Kommentar, N 53 zu Art. 45; BUCHER, AJP 2013, S. 1159; DUTOIT/BONOMI, Commentaire LDIP, N 9 zu Art. 45.

BUCHER, mise à jour, N. 21 ff.; RANDIER, Jusletter, N 17; Erläuternder Bericht, Ziff. 2.4.2; Evaluationsbericht 4.5.4.

GEISER, Basler Kommentar, Art. 108 N 2.

Die Behörde hat eine Meldepflicht, soweit es mit ihren Aufgaben vereinbar ist; Art. 106 Abs. 1 ZGB.

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Zudem kann jedermann jederzeit Klage einreichen ­ natürlich auch die betroffenen Eheleute selber. Ergeben sich Hinweise auf das Vorliegen eines Ungültigkeitsgrundes, so müssen die Meldebehörden dies melden. Die klageberechtigte Behörde hat dann grundsätzlich Klage zu erheben. Eine Interessenabwägung soll ausschliesslich durch das zuständige Zivilgericht erfolgen, da ansonsten die Gefahr besteht, dass ein Entscheid vorweggenommen und damit die Rechte der betroffenen Person verletzt werden.29 Die Einordnung des Eheungültigkeitsgrundes Minderjährigkeit unter Artikel 105 ZGB will es den Betroffenen ersparen, selber klagen zu müssen: Da es unter Umständen zu stark negativen Reaktionen bis hin zu massiver Bedrohung der Betroffenen führen kann, wenn sie von sich aus Schritte gegen ihre Ehe einleiten, soll hier eine Behörde von Amtes wegen tätig werden, womit die Betroffenen entlastet werden und damit eine wichtige Schutzfunktion für Minderjährige sichergestellt werden kann.

1.1.4.3

Folgen einer Ungültigerklärung der Ehe

Liegt ein Ungültigkeitsgrund vor, kann die Ehe stets nur auf Klage hin vom zuständigen Gericht für ungültig erklärt werden. Die Ungültigkeit wird erst wirksam, nachdem das Gericht die Ungültigerklärung ausgesprochen hat. Wenn eine Ehe gerichtlich für ungültig erklärt wird, ist davon auszugehen, dass die Ehe bis zum Urteil trotzdem alle Wirkungen einer gültigen Ehe entfaltet. Allerdings ist betreffend die Erbberechtigung festzuhalten, dass der überlebende Ehegatte mit der Ungültigerklärung seine Ansprüche verliert (Art. 109 Abs. 1 ZGB).

Die Ungültigkeitsklage führt bei Gutheissung gemäss verschiedenen Lehrmeinungen zu einem Gestaltungsurteil.30 Das Bundesgericht hat dazu festgehalten, dass im Zusammenhang mit der Eheungültigkeit zwischen dem Statusakt als solchem (Feststellung der Ungültigkeit der Ehe) und den Nebenfolgen der Statusänderung zu unterscheiden sei: Das Eheungültigkeitsurteil besage, dass gar nie eine (gültige) Ehe bestanden habe; in diesem Sinne habe es Wirkung ex tunc. Hinsichtlich der Nebenfolgen eines solchen Urteils würden andere Regeln gelten und diesbezüglich wirke der Auflösung einer Ehe ex nunc.31 Die Ungültigerklärung der Ehe bringt es mit sich, dass Rechtsfolgen geregelt werden.

Diese Rechtsfolgen entsprechen sinngemäss denjenigen einer Scheidung (Art. 109 Abs. 2 ZGB). Es sind allfällige Kinderbelange und Unterhaltsfragen zu regeln. Weiter sind der Vorsorgeausgleich und die güterrechtliche Auseinandersetzung vorzunehmen. Da ein Eheschluss mit einer minderjährigen Person nur noch im Ausland stattfinden kann, sind im Rahmen des Ungültigkeitsverfahrens nach Artikel 105 Ziffer 6 ZGB stets internationale Sachverhalte zu beurteilen und es stellt sich für die Nebenfolgen jeweils die Frage nach dem anwendbaren Recht.32 29 30 31 32

Evaluationsbericht, Ziff. 4.4.3, Erläuternder Bericht, Ziff. 3.1., Art. 105a Abs. 2 Ziff. 1.; a.A. GEISER, Basler Kommentar, N 9b zu Art. 106.

GEISER, Basler Kommentar, Art. 105 N 1 und Art. 109 N 5f.; A MARCA, CR CC I, Art. 109 N 4 ff.; HEGNAUER/BREITSCHMID, Grundriss Familienrecht, Rz. 7.09.

BGE 145 III 36 E. 2.2 Dieses wird in Art. 45a Abs. 2 und 3 IPRG bezeichnet.

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1.1.4.4

Ausländer- und asylrechtliche Folgen

Ausländer und Integrationsrecht Minderjährigenheiraten treten oftmals im Rahmen des ausländerrechtlichen Familiennachzugs zutage und sind in diesem Zusammenhang zu prüfen (Art. 42­45 des Ausländer- und Integrationsgesetzes vom 16. Dezember 2005 [AIG]33). Die Zuständigkeit für die Prüfung und den Entscheid über Gesuche um Familiennachzug liegt bei den kantonalen Migrationsbehörden. Im AIG ist vorgesehen, dass die ausländerrechtlichen Verfahren über den Nachzug der ausländischen Ehegattin oder des ausländischen Ehegatten während der Dauer des Melde- und Ungültigkeitsverfahrens sistiert werden (Art. 45a und 85 AIG). Haben die kantonalen Migrationsbehörden bei der Prüfung des Ehegattennachzugs Anhaltspunkte dafür, dass eine Ehegattin oder ein Ehegatte minderjährig ist, so melden sie dies der zuständigen kantonalen Anfechtungsbehörde (Art. 45a AIG). Das Gleiche gilt beim Familiennachzug von vorläufig aufgenommenen Personen (Art. 85 Abs. 8 AIG). Hier ist jedoch das Staatssekretariat für Migration (SEM) für die Durchführung des Verfahrens zuständig. Das Gesuch um Ehegattennachzug wird bis zum Entscheid der Anfechtungsbehörde und, wenn es zu einem Gerichtsverfahren kommt, bis zum Vorliegen des rechtskräftigen Urteils sistiert, und der Entscheid ist im Ausland abzuwarten,34 sofern sich die ausländische Ehegattin oder der ausländische Ehegatte noch dort befindet.

Wird die Eheungültigkeitsklage abgewiesen, bleibt die Ehe gültig bestehen und das Verfahren auf Nachzug der ausländischen Ehegattin oder des ausländischen Ehegatten kann weitergeführt werden. Erklärt das Gericht die Ehe allerdings für ungültig, ist das Gesuch um Familiennachzug in allen Fällen abzulehnen, da die Voraussetzung einer durch die Schweiz anerkannten und gültigen Ehe (Art. 42­45, Art. 85 Abs. 7 AIG) nicht erfüllt ist.

Befinden sich bei Ungültigerklärung der Ehe bereits beide Eheleute in der Schweiz, so besteht die Möglichkeit einer Härtefallregelung nach Artikel 50 AIG. Unter bestimmten Voraussetzungen besteht nämlich weiterhin ein Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Demnach haben Ehegattinnen oder Ehegatten von Schweizerinnen und Schweizern oder von Personen mit einer Niederlassungsbewilligung (Ausweis C) nach der Auflösung der Familiengemeinschaft Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der
Aufenthaltsbewilligung, wenn die Familiengemeinschaft mindestens drei Jahre bestanden hat und die Integrationskriterien nach Artikel 58a AIG erfüllt sind (Art. 50 Abs. 1 Bst. a AIG; z. B. Sprachkompetenzen und Teilnahme am Wirtschaftsleben) oder wenn wichtige persönliche Gründe vorliegen, die einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen (Art. 50 Abs. 1 Bst. b AIG; Härtefallregelung). Auch eine Minderjährigenheirat kann im Einzelfall einen Härtefall darstellen.

Für Ehegattinnen und Ehegatten von Personen mit Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B) können die kantonalen Migrationsbehörden die Aufenthaltsbewilligung aus den gleichen Gründen erteilen oder verlängern. Es besteht jedoch kein Rechtsan33 34

SR 142.20 Vgl. betreffend Pflicht zur Meldung und Klageerhebung ohne Vorwegnahme der Einzelfallprüfung Ziff. 1.1.4.2.

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spruch, der Entscheid erfolgt im Ermessen der zuständigen Behörden (Art. 77 der Verordnung vom 24. Oktober 200735 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit).

Asylrecht Auch im Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)36 ist vorgesehen, dass das Verfahren auf Familienasyl während der Dauer des Melde- und Ungültigkeitsverfahrens sistiert wird (Art. 51 und 71 AsylG). Ebenso ist der Entscheid im Ausland abzuwarten, sofern sich die ausländische Ehegattin oder der ausländische Ehegatte noch dort befindet.

Zuständig für die Prüfung und die allfällige Meldung und Sistierung der Verfahren ist das SEM. Minderjährige verheiratete Personen werden im Asylverfahren generell als unbegleitete Minderjährige behandelt, unabhängig davon, ob die Ehe gültig ist.

Allerdings sind hinsichtlich der Sistierung des Verfahrens die Fälle, in denen beide Personen die originäre Flüchtlingseigenschaft erfüllen, von den Fällen zu unterscheiden, in denen sich überhaupt die Frage der Gewährung des Familienasyls stellt: Erfüllen beide Personen die originäre Flüchtlingseigenschaft, so ist eine Sistierung nicht notwendig, und die Gewährung von Familienasyl ist gar nicht zu prüfen. Kommt das SEM dagegen zum Schluss, dass eine Ehegattin oder ein Ehegatte die Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllt und sich demzufolge die Frage nach einem Einbezug im Sinne von Artikel 51 Absatz 1 AsylG stellt, wird das Verfahren beider Personen gemäss Artikel 51 Absatz 1bis AsylG bis zum Entscheid der zuständigen Behörde resp. bei Klageerhebung bis zum Vorliegen des rechtskräftigen Urteils sistiert.37 Falls die Ehe gültig ist, erfolgt die Gewährung des Familienasyls. Wird eine Ehe für ungültig erklärt, so scheiden ein Familiennachzug aus dem Ausland und ein Einbezug in die Flüchtlingseigenschaft sowie die Gewährung von Familienasyl für die ehemalige Ehegattin oder den ehemaligen Ehegatten gemäss Artikel 51 AsylG aus. Befindet sich die Ehegattin oder der Ehegatte dennoch bereits in der Schweiz, ist zu prüfen, ob ein Vollzug der Wegweisung zulässig, zumutbar und möglich ist.

1.1.5

Evaluation der zivilrechtlichen Bestimmungen und konkreter Handlungsbedarf

Der Bundesrat hat in Erfüllung eines Postulats38 die Bestimmungen, die mit dem Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten im ZGB eingeführt wurden, einer Evaluation unterzogen (vgl. Ziff. 1.1.1). Dabei kam er zum Schluss, dass im Bereich des Eheungültigkeitsgrundes der Minderjährigkeit (Art. 105 Ziff. 6 ZGB) in zweierlei Hinsicht Handlungsbedarf besteht: ­

35 36 37 38

Zum einen kann die Bestimmung gemäss geltendem Recht nicht mehr angerufen werden, sobald die betroffene Person volljährig geworden ist (automaSR 142.201 SR 142.31 Vgl. betreffend Pflicht zur Meldung und Klageerhebung ohne Vorwegnahme der Einzelfallprüfung Ziff. 1.1.4.2.

Po. 16.3897 Arslan «Evaluation der Revision des Zivilgesetzbuches vom 15. Juni 2012 (Zwangsheiraten)».

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tische Heilung). Die Ungültigkeit muss deshalb vor dem 18. Geburtstag durchgesetzt werden, wobei eine zusätzliche Unsicherheit darüber besteht, wann der massgebliche Zeitpunkt für die Geltendmachung anzusetzen ist (vgl.

Ziff. 1.1.2.1). Mit der geltenden Regelung werden die mit dem Gesetz angestrebten Ziele deshalb nicht erreicht, und es erscheint notwendig, den betroffenen Personen wie auch den klageberechtigten Behörden einen erweiterten zeitlichen Rahmen zu schaffen, in welchem die Ungültigkeit der Ehe durchgesetzt werden kann. So kann letztendlich auch dem Anliegen des Gesetzgebers, Minderjährigenheiraten so weit wie möglich zu verhindern und Betroffene wirksam zu schützen, besser Nachdruck verschafft werden.

­

Zum anderen ist die Ehe nach geltendem Recht dann ausnahmsweise nicht für ungültig zu erklären, wenn die Weiterführung der Ehe den überwiegenden Interessen der betroffenen Ehegattin oder des betroffenen Ehegatten entspricht.

Diese Interessenabwägung wird von verschiedener Seite immer wieder infrage gestellt, und es erscheint opportun, die Diskussion über diese Interessenabwägung erneut zu führen.

Mit der Verabschiedung des Berichts hat der Bundesrat das Eidgenössische Justizund Polizeidepartement (EJPD) beauftragt, eine Vorlage auszuarbeiten und dabei insbesondere den Eheungültigkeitsgrund der Minderjährigkeit (Art. 105 Ziff. 6 ZGB) zu revidieren.

1.1.6

Verbreitung der Minderjährigenheiraten

Was die Verbreitung der Minderjährigenheiraten betrifft, so wurden im Rahmen der externen Evaluation vom Evaluationsteam im geprüften Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 31. Dezember 2017 (4,5 Jahre) 145 Verdachtsfälle von Zwangsheirat und 226 Verdachtsfälle von Minderjährigenheiraten ermittelt. Letztlich wurden zwei Eheungültigkeitsklagen zufolge Zwang (Art. 105 Ziff. 5 ZGB) und zehn Klagen zufolge Minderjährigkeit (Art. 105 Ziff. 6 ZGB) eingereicht. Bei den Meldebehörden wurden für denselben Zeitraum 8 Fälle angegeben, bei denen die Betroffenen beim Erstkontakt mit den Behörden noch unter 16 Jahre alt waren, bei den Klageberechtigten waren es noch 4 Fälle. Bei den bekannten Gerichtsverfahren waren alle Personen beim Erstkontakt über 16 Jahre alt, wobei in einem Fall keine Altersangaben vorliegen.39 Festgehalten wurde weiter, dass es aus organisatorischen und methodischen Gründen schwierig sei, das tatsächliche Ausmass der Phänomene Zwangsheirat und Minderjährigenheirat zu ermitteln.40 Obwohl andere Definitionen gelten, können ergänzend die im Zusammenhang mit dem «Bundesprogramm Bekämpfung Zwangsheiraten 2013­2017» ermittelten Verdachtsfälle von Zwangsheiraten von rund 905 Fällen in zweieinhalb Jahren erwähnt werden. In gut einem Viertel dieser Fälle seien Minderjährige betroffen. Es wurde in diesem Zusammenhang jedoch eine weite Definition von Zwangsheiratsfällen gewählt, die über die gesetzlich mit dem Eheungültigkeitsgrund erfasste Definition hin39 40

RÜEFLI, Evaluationsbericht Vatter, S. 25, 55 und 67f.

RÜEFLI, Evaluationsbericht Vatter, S. III.

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ausgeht.41 Daten zu Zwangs- und Minderjährigenheiraten ermittelt auch die Fachstelle Zwangsheirat. Auch hier ist die Definition der Aufnahme der Fälle eine von den Eheungültigkeitsgründen abweichende, weil beispielsweise auch Beratungen zur Verhinderung drohender Heiraten angeboten werden, womit bereits die Eheschliessung verhindert werden soll. In Bezug auf Minderjährigenheiraten hat die Fachstelle Zwangsheirat ihre aktuellsten erhältlichen Zahlen für das Jahr 2021 wie folgt aufgeschlüsselt: Insgesamt seien 343 Beratungsfälle bearbeitet worden. Davon habe es sich in fast 40 Prozent, also in rund 138 Fällen, um Minderjährigenheiraten in einem weit verstandenen Sinn gehandelt. In rund 27 Prozent aller Fälle seien die Betroffenen zum Zeitpunkt der Beratung noch minderjährig gewesen, und in 12 Prozent der Fälle seien die Personen minderjährig verheiratet, aber mittlerweile volljährig gewesen.

Über die Anzahl Betroffener, die tatsächlich bereits verheiratet und im Zeitpunkt der Beratung immer noch minderjährig waren (Anwendungsbereich des geltenden Art. 105 Ziff. 6 ZGB), kann die Fachstelle Zwangsheirat keine Angaben machen.

1.2

Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung

1.2.1

Eheungültigkeitsgrund der Zwangsheirat

Der Bundesrat hat anlässlich der Evaluation auch geprüft, ob beim Eheungültigkeitsgrund der Zwangsheirat (Art. 105 Ziff. 5 ZGB) Verbesserungspotenzial besteht. Trotz der verschiedentlich geäusserten Kritik42 hat der Bundesrat in Würdigung der Umstände keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf festgestellt.

Kritisiert worden war insbesondere, dass es im geltenden Recht an der Möglichkeit fehle, im Einzelfall die Ehe aufrechterhalten zu können; dies namentlich dann, wenn die betroffene Person aus freiem Willen an der Ehe festhalten möchte. Diese Argumente wurden aber bereits bei der Ausarbeitung der geltenden Bestimmung erfolglos vorgebracht. Bei der Ablehnung durch das Parlament stand insbesondere die Befürchtung im Raum, mit einer Heilungsmöglichkeit eine zusätzliche Drucksituation für das Opfer zu schaffen.

Bei der Zwangsheirat wird der Zwang regelmässig von einem oder mehreren Akteuren des familiären Umfelds ausgeübt. Diese Konstellation führt dazu, dass betroffene Personen häufig mit einem Loyalitäts- und Ambivalenzkonflikt zu kämpfen haben.43 Will sich eine betroffene Person aus einer unter Zwang geschlossenen Ehe lösen, bedeutet dies in vielen Fällen auch einen Bruch mit der Familie und dem bisherigen Umfeld; dies kann unter Umständen zu massiven Bedrohungslagen für die betroffene Person führen. Es ist deshalb nachvollziehbar, wenn dieser Schritt für sie eine grosse, häufig unüberwindbare Hürde darstellt und sie daher die Zwangslage nicht geltend 41 42

43

Vgl. zum Ganzen: Bericht Bundesprogramm. Zu den Definitionen vgl. auch Evaluationsbericht, Ziff. 1.2 und 3.2.

GEISER, Basler Kommentar, Art. 105 N 20 und Art. 106 N 9a; BUCHER, AJP 2013, S. 1168; MONTISANO, Recht auf Ehe und Familie im Migrationsrecht, S. 55. Siehe auch: PAPAUX VAN DELDEN, FamPra, S. 610, die den Zusatz im Entwurf ausdrücklich begrüsst hat und MEIER, Zwangsheirat, S. 83, die ausdrücklich die Aufnahme der Heilbarkeit des Mangels in die Gesetzesnorm fordert.

NEUBAUER/DAHINDEN, Studie Zwangsheirat, S. 4 der Zusammenfassung.

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macht. Ohne eine Initiative oder zumindest eine aktive Mitwirkung der betroffenen Person ist es für die Behörden aber äusserst schwierig oder gar unmöglich, Zwang zu erkennen, zu belegen und die notwendigen Massnahmen zu ergreifen. Deshalb ist in vielen Fällen davon auszugehen, dass die Zwangssituation nur erkannt werden kann, wenn die betroffene Person darauf aufmerksam macht.44 Tritt ein solcher Fall ein und kommt es so weit, dass die betroffene Person die notwendigen Schritte einleitet und im anschliessenden Verfahren mitwirkt, kann daraus ohnehin geschlossen werden, dass sie nicht mehr an der Ehe festhalten will.45 Nach Ansicht des Bundesrates besteht keine Möglichkeit, mit einer erneuten Gesetzesrevision eine Verbesserung der Situation der von einer Zwangsheirat betroffenen Personen zu erwirken; er verzichtet deshalb darauf, eine Anpassung von Artikel 105 Ziffer 5 ZGB vorzuschlagen.

1.2.2

Sensibilisierungsmassnahmen

Wie der Bundesrat bereits gestützt auf die Evaluation festgestellt hat, sind Massnahmen zur Sensibilisierung, Information und Prävention im Bereich von Zwangsheiraten wie auch Minderjährigenheiraten für deren Bekämpfung von grosser Bedeutung.46 In diesem Sinn hat er im Rahmen seiner Kompetenzen auch Folgemassnahmen nach dem von 2013 bis 2017 durchgeführten «Bundesprogramm Zwangsheiraten» aufgegleist.47 Eine dieser Folgemassnahmen bestand in der finanziellen Unterstützung der Fachstelle Zwangsheirat bis Ende 2021. Der Bundesrat konnte diese Subventionierung vertraglich vorerst bis Ende 2024 verlängern. Von weiteren Sensibilisierungs-, Informations- oder Präventionsmassnahmen hat der Bundesrat jedoch auch mangels Kompetenz abgesehen.48 Dagegen sollen im Rahmen seiner Möglichkeiten vorliegend die gesetzlichen Bestimmungen und damit auch deren Signalwirkung gegen Minderjährigenheiraten verbessert werden.

1.3

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 29. Januar 202049 zur Legislaturplanung 2019­2023 noch im Bundesbeschluss vom 21. September 202050 über die Legislaturplanung 2019­2023 angekündigt.

44 45 46 47 48

49 50

Ausnahmen bestehen sicher bei sehr tiefem Alter der Betroffenen.

Evaluationsbericht, Ziff. 4.2; insb. Ziff. 4.2.4.

Evaluationsbericht, Ziff. 4.1.

Bericht Bundesprogramm, S. 17 f.

Vgl. dazu die Stellungnahme des Bundesrates vom 16. Februar 2022 zur Mo. 21.4541 von Falkenstein «Wirksame Massnahmen gegen Zwangsheiraten», Annahme im Nationalrat am 4. Mai 2023, der Bundesrat hat die Motion zur Ablehnung empfohlen, sowie die Stellungnahme des Bundesrates vom 14. Februar 2018 zur Mo. 17.4071 Eymann «Institutionalisierung der Zusammenarbeit mit den Kantonen zur Bekämpfung von Zwangsverheiratungen», abgeschrieben.

BBl 2020 1777 BBl 2020 8385

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1.4

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Mit der Vorlage werden keine überwiesenen parlamentarischen Vorstösse erledigt.

Gestützt auf die in Erfüllung des Postulats 16.3897 Arslan durchgeführte Evaluation hat der Bundesrat die Ausarbeitung einer Gesetzesvorlage direkt an die Hand genommen.

In diesem Zusammenhang ist jedoch auf zwei Vorstösse hinzuweisen, deren Anliegen mit dieser Vorlage im Zusammenhang stehen: Die parlamentarische Initiative 18.467 (Rickli) Rutz «Keine Anerkennung von Kinder- und Minderjährigenehen in der Schweiz» schlägt eine Anpassung von Artikel 105 Ziffer 6 ZGB vor (Streichung der Interessenabwägung); das Parlament hat ihr Folge gegeben. Hängig ist zudem die Motion 20.3011 der Rechtskommission des Nationalrates (RK-N) «Kinder- und Minderjährigenehen nicht tolerieren», die ebenfalls Artikel 105 Ziffer 6 ZGB anpassen will.

Der Nationalrat hat diese Motion am 18. Juni 2020 angenommen.51

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

2.1

Vernehmlassungsvorlage

Der Bundesrat gab am 30. Juni 2021 einen Vorentwurf in die Vernehmlassung.

In seinem Bericht zu der in Ziffer 1.1.5 erwähnten Evaluation war er zum Schluss gekommen, dass beim Eheungültigkeitsgrund «Minderjährigkeit» im ZGB Verbesserungspotenzial besteht. 52 Der im Bericht skizzierte Lösungsvorschlag wurde mit dem Vorentwurf umgesetzt.

Im Vorentwurf wurde vorgeschlagen, den Eintritt der Heilung auf den Zeitpunkt der Vollendung des 25. Altersjahres der betroffenen Person zu verschieben. Gleichzeitig sollte aber an der bereits im geltenden Recht vorgesehenen Möglichkeit, die Ehe in Ausnahmefällen aufrechterhalten zu können, festgehalten werden. Demzufolge sollte eine Ehe mit einer minderjährigen Person, die im Zeitpunkt der Beurteilung durch ein Gericht immer noch minderjährig ist, weiterhin ausnahmsweise aufrechterhalten werden können, wenn dies dem überwiegenden Interesse der betroffenen Person entspricht (Interessenabwägung). Ist die Person dagegen volljährig geworden, aber noch nicht 25 Jahre alt, sollte die Ehe dann aufrechterhalten werden, wenn die Person aus freiem Willen an ihr festhalten will.

Um den Grundsatz der Ungültigkeit einer Ehe, bei der mindestens eine Ehegattin oder ein Ehegatte im Zeitpunkt des Eheschlusses minderjährig war, sowie den Ausnahmecharakter der Aufrechterhaltung der Ehe zu verdeutlichen, sollte die Eheungültigkeit neu in einer eigenen Bestimmung (Art. 105a VE-ZGB) geregelt werden.

51 52

Zur Mo. 21.4541 vgl. Ziff. 1.2.2.

Evaluationsbericht, Ziff. 4.3.5.

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Die Vernehmlassung dauerte bis zum 29. Oktober 2021. Insgesamt gingen 56 Stellungnahmen ein (26 Kantone, 6 politische Parteien sowie 24 Organisationen und weitere Teilnehmende).53

2.2

Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Der Handlungsbedarf wurde von einer grossen Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden bejaht. Die Stossrichtung des Vorentwurfs wurde von 19 Kantonen, 5 Parteien und 14 Organisationen begrüsst als Schritt in die richtige Richtung, sie führe jedoch zu wenig weit. Eine Partei hat die Vorlage vollumfänglich abgelehnt.54 Etwas mehr als die Hälfte der Teilnehmenden (17 Kantone, 12 Organisationen und teilweise eine weitere Organisation) haben angeregt, für eine Verstärkung und Verbesserung der Wirksamkeit der Massnahmen gegen Minderjährigenheiraten sollten in erster Linie Massnahmen im Bereich des internationalen Privatrechts vorgesehen werden. 14 Kantone und 3 Organisationen waren zudem der Ansicht, dass mit dem bestehenden System zur Geltendmachung der Eheungültigkeitsgründe und der Verlängerung der Anwendbarkeit der Bestimmung bis zur Vollendung des 25. Altersjahrs der Betroffenen viel unnötiger Verfahrensaufwand und unnötige Kosten bei gleichzeitig ungewissem Klageerfolg entstehen würden.

Die vorgeschlagene Verschiebung der Heilung von Minderjährigenheiraten auf die Vollendung des 25. Altersjahres wurde ganz überwiegend von 9 Kantonen, 20 Organisationen und 3 Parteien begrüsst, da es nicht verhältnismässig wäre, Ehen, die jahrzehntelang Bestand hätten, vom Staat aufzulösen. Ab einem gewissen Zeitpunkt seien das Selbstbestimmungsrecht und die Autonomie der betroffenen Personen höher zu gewichten als der absolute Schutz vor Minderjährigenheiraten. Daneben lehnten wenige Teilnehmende entweder die Möglichkeit einer Heilung gänzlich ab oder schlugen eine solche zu einem späteren oder früheren Zeitpunkt vor.

Bei der Möglichkeit, die Ehe einer minderjährigen Person ausnahmsweise aufrechterhalten zu können, wenn dies ihrem überwiegenden Interesse entspricht (Interessenabwägung), zeigt sich in der Vernehmlassung ein ähnliches Bild, wie es sich dem Bundesrat bereits bei der Ausarbeitung seines Berichts zur Evaluation im Rahmen des mit Fachpersonen durchgeführten Austausches gezeigt hatte:55 Es sind Argumente sowohl für die Erhaltung wie auch für die Streichung der Interessenabwägung vertreten, wobei sich eine leichte Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden für den Erhalt aussprachen (9 Kantone, 2 Parteien und 10 Organisationen). Gegen eine Interessenabwägung äusserten sich ein Kanton, 3 Parteien und ebenfalls 10 Organisationen.

53

54 55

Die Vernehmlassungsvorlage, der Erläuternde Bericht und der Ergebnisbericht sind einsehbar unter www.fedlex.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2021 > EJPD > Vernehmlassung 2021/31.

Ergebnisbericht, Ziff. 3.

Evaluationsbericht, Ziff. 4.3.4.

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Dass keine speziellen Massnahmen für Personen unter 16 Jahren getroffen worden seien, bedauerten ausdrücklich 2 Kantone und 8 Organisationen. Insbesondere dürfe eine Interessenabwägung unter dieser Altersschwelle nicht durchgeführt werden.

Der Prüfung des freien Willens bei volljährig gewordenen Betroffenen durch ein Zivilgericht standen einige Vernehmlassungsteilnehmende (14 Kantone und 3 Organisationen) zufolge des damit verbundenen und zumeist unnötigen Aufwands und der anfallenden Kosten kritisch gegenüber.

Zudem erfolgten noch weitere Anmerkungen und Vorschläge wie beispielsweise die Wiedereinführung einer Strafbestimmung bei Verletzung des Voraustrauungsverbots, die zentrale Bedeutung von Sensibilisierungsmassnahmen oder Anpassungen in Bezug auf Verlobungen von Minderjährigen.

2.3

Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Der Handlungsbedarf im Bereich der Minderjährigenheiraten wurde in der Vernehmlassung breit unterstützt. Umstritten war jedoch, ob Massnahmen im ZGB alleine zielführend sind. Der Bundesrat hat bei dieser Ausgangslage erneut und unter Beizug von Fachpersonen eine intensive Prüfung auch von Anpassungsmöglichkeiten im IPRG vorgenommen. Dabei hat er insbesondere entschieden, die Revision nicht auf die evaluierten Bestimmungen im ZGB zu beschränken, sondern zusätzlich Massnahmen im IPRG vorzuschlagen (siehe dazu Ziff. 4.2.1).

3

Rechtsvergleich

3.1

Grundlagen

Das schweizerische Institut für Rechtsvergleichung (SIR) hat am 31. August 2018 im Auftrag des Bundesamtes für Justiz ein Gutachten zur Thematik der Zwangsheiraten sowie auch speziell der Minderjährigenheiraten erstellt, das verschiedene europäische Länder umfasst.56 Dieser Rechtsvergleich wurde per 31. März 2022 mit Blick auf die Situation der im Ausland verheirateten Minderjährigen aktualisiert und erweitert.57 Im Folgenden wird der Rechtsvergleich in Bezug auf das internationale Recht, die Ehemündigkeit sowie den privatrechtlichen Umgang von im Ausland geschlossenen Minderjährigenheiraten in einzelnen untersuchten nationalen Rechtsordnungen zusammenfassend dargestellt. Für eine umfassende Darstellung wird auf die beiden Gutachten des SIR verwiesen.58

56 57 58

Gutachten SIR.

Aktualisiertes Gutachten SIR.

Gutachten SIR und aktualisiertes Gutachten SIR; vgl. auch MAX-PLANCK-INSTITUT, Frühehe.

22 / 72

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3.2

Internationales Recht

Von den internationalen Abkommen, die sich zur Verheiratung Minderjähriger äussern, sieht insbesondere weder das Übereinkommen vom 18. Dezember 197959 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) noch das Übereinkommen vom 20. November 198960 über die Rechte des Kindes (Uno-Kinderrechtskonvention, UNO-KRK) ein absolutes Ehefähigkeitsalter vor. Der Ausschuss CEDAW sowie der Kinderrechtsausschuss haben jedoch mehrfach empfohlen, ein Mindestalter von 18 Jahren für die Eheschliessung vorzusehen und die Kinderheirat als Form einer Zwangsheirat zu behandeln. Um aber die sich entwickelnden Fähigkeiten eines Kindes und seine Autonomie in Bezug auf Entscheidungen, die sein Leben beeinflussen, auch zu berücksichtigen, könne eine Ehe, die von einer unter 18-jährigen urteilsfähigen Person eingegangen worden sei, gutgeheissen werden, wenn die betroffene Person im Heiratszeitpunkt mindestens 16 Jahre alt gewesen sei und die Entscheidung von einem Gericht getroffen werde.61 Artikel 16 Absatz 2 CEDAW hält zudem fest, dass Verlobungen und Eheschliessungen von Kindern keine Rechtswirkungen haben dürften. Der CEDAW-Ausschuss hat in seinen abschliessenden Bemerkungen zum 6. periodischen Staatenbericht empfohlen, eine Änderung im ZGB vorzunehmen und alle Ausnahmen vom gesetzlichen Mindestheiratsalter von 18 Jahren aufzuheben.62 Der Europarat hat in der Resolution 1468 von 2005 zu Zwangs- und Minderjährigenheiraten festgehalten, eine Anerkennung von Minderjährigenheiraten nur zuzulassen, wenn dies im Interesse der Betroffenen ist, insbesondere im Hinblick auf die Sicherung bestimmter Rechte.63 In einer neueren Resolution 2233 von 2018 wurde empfohlen, die Verheiratung von Personen unter 18 Jahren als eine Form von Zwangsheirat zu behandeln. In beiden Resolutionen werden zudem die Staaten aufgefordert, das Ehemündigkeitsalter auf 18 Jahre anzuheben.64

3.3

Ehemündigkeit

Ausnahmen vom Ehefähigkeitsalter 18 sind in zahlreichen der untersuchten Rechtsordnungen, darunter beispielsweise in Österreich, Italien, Spanien, Frankreich oder Belgien, nach wie vor möglich. Bezogen auf alle europäischen Staaten sehen einige

59 60 61

62

63 64

SR 0.108 SR 0.107 Comité pour l'élimination de la discrimination à l'égard des femmes et Comité des droits de l'enfant, Recommandation générale conjointe n° 31, Comité des droits de l'enfant, Observation générale n° 20 (2016) sur la mise en oeuvre des droits de l'enfant pendant l'adolescence, N. 40; für weitere Hinweise: Aktualisiertes Gutachten SIR, S. 9 ff.

Comité pour l'élimination de la discrimination à l'égard des femmes, Observations finales sur le sixième rapport périodique de la Suisse, CEDAW/C/CHE/CO/6 vom 1. November 2022, Nr. 68.

Resolution 1468 (2005) Forced marriages and child marriages, Ziff. 7 und 14.2, insb. 14.2.4.

Resolution 2233 (2018) Forced marriage in Europe, Ziff. 3.

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gar kein Mindestalter vor oder lassen Ausnahmen auch unter 16 Jahren zu.65 Insbesondere die nordischen Staaten wie Schweden, Norwegen und Dänemark, aber zusätzlich auch etwa die Niederlande und Deutschland haben ein absolutes und ausnahmslos geltendes Ehefähigkeitsalter von 18 Jahren eingeführt. In England und Wales wurde das Ehefähigkeitsalter erst jüngst per Februar 2023 auf 18 Jahre erhöht.

3.4

Unterschiedliche Ansätze in den nationalen Rechtsordnungen

Bezüglich Regelung der Minderjährigenheiraten in den untersuchten nationalen Rechtsordnungen werden drei unterschiedliche Ansätze verfolgt: ­

Einige Staaten behandeln Eheschliessungen mit Minderjährigen grundsätzlich unter dem allgemeinen Ordre-public-Vorbehalt im internationalen Privatrecht, ohne eine ausdrückliche normative Erfassung (darunter bspw. Frankreich, Italien und Spanien).

­

Andere Staaten haben eine ausdrückliche Regelung im Bereich des internationalen Privatrechts getroffen. Im Grundsatz sollen Eheschliessungen mit minderjährigen Personen nicht mehr anerkannt werden (darunter bspw. Dänemark, Schweden, Norwegen und die Niederlande). Sämtliche dieser Rechtsordnungen sehen aber entweder eine Einzelfallprüfung vor, gestützt auf welche beispielsweise in Härtefällen von der Nichtanerkennung abgewichen werden kann, oder es wird eine Heilung mit Erreichen der Volljährigkeit vorgesehen oder beides.

­

Weitere Staaten haben sich für eine Regelung der Minderjährigenheiraten in ihrem Zivilrecht entschieden (darunter bspw. Deutschland).

3.5

Ausführungen zu einzelnen ausländischen Rechtsordnungen

Deutschland Am 22. Juli 2017 ist das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen in Kraft getreten.

Seither werden im Ausland geschlossene Minderjährigenheiraten dem deutschen Zivilrecht unterstellt. Ein Eheschluss zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr führt damit zu einer aufhebbaren Ehe. Der Aufhebungsantrag muss von der zuständigen Verwaltungsbehörde beim Familiengericht gestellt werden und dieses darf nur in Härtefällen von der Aufhebung absehen. Eine volljährig gewordene Person kann die Ehe zudem bestätigen und so die Aufhebung ausschliessen (direkt vor der zuständigen Verwaltungsbehörde, die die Aufhebungsklage einreichen müsste). Rechtlich bleibt die Ehe bis zur Aufhebung gültig.

65

Für eine Zusammenstellung aller EU-Staaten vgl. www.fra.europa.eu > publication > 2017 > mapping minimum age requirements.

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Hatte eine Person im Zeitpunkt der Heirat das 16. Altersjahr nicht vollendet, ist die Ehe unwirksam. Eine Ausnahme besteht dann, wenn die nach ausländischem Recht wirksame Ehe bis zur Volljährigkeit der minderjährigen Ehegattin oder des minderjährigen Ehegatten gelebt wurde und beide Eheleute während dieser Zeit den gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland hatten. Diese Regelung ist inzwischen vom Bundesverfassungsgericht wegen des Fehlens der Regelung von Rechtsfolgen für gelebte Ehen und fehlender Bestätigungsmöglichkeit für die Eheleute nach Erreichen der Volljährigkeit für verfassungswidrig erklärt worden und die einschlägigen Bestimmungen müssen nun revidiert werden. Die fehlende Einzelfallprüfung bei Personen unter 16 Jahren wurde vom Bundesverfassungsgericht demgegenüber nicht beanstandet.66 Das Kinderehengesetz ist seit seinem Erlass bereits ein erstes Mal evaluiert worden.

Dabei wurde festgestellt, dass der gerichtlichen Aufhebung und der Unwirksamkeit von Minderjährigenheiraten in Deutschland keine grosse praktische Bedeutung zukomme. Die mit dem Gesetz bezweckte Abschreckung entfalte ausserdem lediglich auf in Deutschland lebende Personen Wirkung. Die Aufhebbarkeit von Ehen nach deutschem Recht habe auf im Ausland wirksam geschlossene Ehen insgesamt wenig Einfluss. Allein das Verbot und die daraus resultierende Unwirksamkeit solcher Eheschliessungen könnten deren Zustandekommen im Ausland nicht verhindern. Eine effektive Bekämpfung von Kinderehen erfordere neben einem Verbot mit Unwirksamkeitsfolge vorrangig gesellschaftliche und rechtliche Veränderungen im Herkunftsland. Nur durch aktive, aufsuchende Aufklärungsarbeit bestehe die Möglichkeit, der massiven Beeinflussung durch die oftmals beherrschenden Familiensysteme entgegenzusteuern. Einige Gerichte äusserten zudem Bedenken im Hinblick auf die fehlende Angemessenheits- und Einzelfallprüfung. Der Schutz des Minderjährigen könne ohne eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung des Kindeswohls nicht angemessen verwirklicht werden. Zudem zeigte sich, dass Ehen verschiedentlich auch zufolge des Gebots der Personenfreizügigkeit aufrechterhalten werden mussten.67 Österreich Österreich kennt für den Umgang mit im Ausland geschlossenen Minderjährigenheiraten keine explizite kollisionsrechtliche Bestimmung. Dem Phänomen wird jedoch auf
Ebene des Ordre public im internationalen Privatrecht begegnet. Dabei widerspricht eine im Ausland geschlossene Ehe dem Ordre public, wenn das Ehemündigkeitsalter von 16 unterschritten wird.

Die Auslandsehen sollen jedoch wie Inlandsehen behandelt werden, woraus folgt, dass solche Ehen nur für nichtig erklärt oder aufgehoben werden können, aber nicht von Gesetzes wegen nichtig sind. Rechtstechnisch handelt es sich dabei um die Anwendung der österreichischen Bestimmungen über die Ehegültigkeit als Ersatzrecht, das im Falle eines Verstosses gegen den inländischen Ordre public zum Zuge kommt.

66 67

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Februar 2023, 1 BvL 7/18, (im Folgenden: Beschluss Bundesverfassungsgericht Deutschland).

Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, S. 8 ff., abrufbar unter: www.bmjv.de > Service > Aktuelle Gesetzgebungsverfahren > Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen.

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Frankreich In Frankreich gibt es keine spezifische Regelung zu im Ausland erfolgten Minderjährigenheiraten. Diese werden unter dem allgemeinen Ordre-public-Vorbehalt geprüft.

Die Altersgrenze für die Ordre-public-Widrigkeit wird beim Eintritt in die Pubertät verankert. Allerdings ist die Rechtsprechung mit Anhebung des Heiratsalters für Frauen auf 18 Jahre und damit auf dasselbe Heiratsalter wie für Männer als Massnahme zur Bekämpfung von Zwangsheiraten strenger geworden. Nicht anerkannt werden können Heiraten mit vorpubertären Personen. Eine inländische Ehe mit einer minderjährigen Person kann innerhalb einer Frist von 30 Jahren annulliert werden.

Italien und Spanien Auch hier wird vor der Anerkennung einer im Ausland erfolgten Minderjährigenheirat eine Ordre-public-Prüfung vorgenommen, wobei zumindest in Italien Ehen mit Personen unter 16 Jahren generell nicht anerkannt werden können.

Belgien Bei der Anerkennungsprüfung von im Ausland erfolgten Minderjährigenheiraten ist der Ordre public entscheidend. Hier zählt allerdings das Alter der Eheleute im Zeitpunkt der Anerkennungsprüfung. Seit 2019 liegt ein Gesetzesvorschlag vor, der für im Ausland geschlossene Ehen mit minderjährigen Personen eine Anpassung im internationalen Privatrecht vorsieht. Solange die betroffenen Personen das 18. Altersjahr noch nicht vollendet haben, soll das Familiengericht prüfen, ob die Ehe anerkannt werden kann oder nicht. Selbst wenn die Ehe nicht anerkannt werden kann, sollen ihr trotzdem im Einzelfall die nötigen Wirkungen zum Schutz der Betroffenen zukommen. Die Meldung an das Familiengericht soll vom zuständigen Registerführer oder von der zuständigen Registerführerin (Zivilstandsregister, Ausländerregister, Einwohnerregister usw.), der oder die Kenntnis der Ehe erhält, erstattet werden.

Dänemark Im Jahr 2017 ist eine neue Regelung in Kraft getreten, wonach eine mit einer minderjährigen Person im Ausland geschlossene Ehe nicht mehr anerkannt werden darf. Ausnahmemöglichkeiten bestehen jedoch, wenn zwingende Gründe vorliegen und die Parteien bei Nichtanerkennung der Ehe in eine unzumutbare Lage versetzt würden, beispielsweise, wenn das Paar schon lange zusammenlebt oder der Tod einer der Parteien es ohne die Anerkennung der Ehe unmöglich machen würde, gewisse rechtliche Fragen zu klären. Ausserdem wird ausdrücklich
festgehalten, dass die internationalen Verpflichtungen ­ insbesondere das Recht auf Familienleben nach Artikel 8 der Konvention vom 4. November 195068 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK) einzuhalten sind.

EU-Bürgerinnen und EU-Bürger und ihre Ehegattinnen und Ehegatten sind von der Altersgrenze ausgenommen, da ansonsten das Recht auf Freizügigkeit verletzt würde.

Bei der Nichtanerkennung handelt es sich um einen Entscheid der jeweils zuständigen Behörde, der andere Behörden nicht bindet. Die Unwirksamkeit der Ehe hat Wirkung ex tunc.

68

SR 0.101

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Norwegen Im Jahr 2021 wurde eine neue Regelung verabschiedet, die aber noch nicht in Kraft getreten ist. Auch diese sieht vor, dass eine Ehe, die mit einer minderjährigen Person geschlossen wurde, nicht anerkannt wird. Die Rechtsfolge dieser Nichtanerkennung ist die Nichtigkeit ex nunc. Sofern ein Bezug zu Norwegen (Wohnsitz, Staatsbürgerschaft) besteht, kann beim Provinzgouverneur eine Anerkennung aus wichtigen Gründen beantragt werden. Besteht kein Bezug zu Norwegen, so kann die Ehe anerkannt werden, wenn beide Eheleute über 18 Jahre alt sind und die oder der minderjährig Verheiratete oder ausnahmsweise der Provinzgouverneur dies beantragt. Der Provinzgouverneur entscheidet über die Anerkennung, jedoch kann eine andere Behörde zu einem anderen Zeitpunkt zu einem abweichenden Schluss kommen.

Niederlande Vor dem 18. Geburtstag geschlossene Ehen werden nicht anerkannt. Allerdings wird dieser Mangel nach geltendem Recht durch Vollendung des 18. Altersjahres geheilt.

Aktuell werden in den Niederlanden Reformvorschläge diskutiert, die eine absolute Nichtanerkennung ohne Heilungsmöglichkeit vorschlagen. Es liegt aber noch kein konkreter Gesetzesentwurf vor und der Regierungsausschuss für internationales Privatrecht (GCIPR) hat sich kritisch zu einer generellen Nichtanerkennung geäussert.

Der GCIPR äusserte insbesondere grosse Zweifel, ob eine Nichtanerkennung einer Ehe noch rechtmässig sei, sobald beide Eheleute das 18. Altersjahr erreicht haben. Er empfahl überdies, ein Gericht über die Frage der Anerkennung entscheiden zu lassen.

Nicht alle Kinderheiraten seien Zwangsheiraten, weshalb eine generelle Nichtanerkennung unverhältnismässig sei und im Widerspruch zu Artikel 8 EMRK stehen könnte. Schliesslich würde es damit unmöglich, in einem Gerichtsverfahren die Interessen der Beteiligten abzuwägen und im Einzelfall eine Anerkennung zuzulassen, beispielswiese bei abstammungs- oder familienvermögensrechtlichen Fragen.

Schweden Das internationale Privatrecht sieht vor, dass eine Ehe nicht anerkannt werden darf, wenn zum Zeitpunkt der Eheschliessung nach schwedischem Recht Hindernisse für den Abschluss bestanden hätten. Auch wenn nicht ausdrücklich erwähnt, so bedeutet dies, dass eine Ehe, die mit einer Person unter 18 Jahren geschlossen wurde, nicht anerkannt werden darf. Ausnahmsweise kann jedoch eine
Minderjährigenheirat anerkannt werden, wenn beide Eheleute 18 Jahre alt geworden sind und aussergewöhnliche Gründe für die Anerkennung sprechen, wobei hier restriktiv und von Fall zu Fall zu entscheiden sei. Insbesondere soll geprüft werden, ob die Nichtanerkennung schwerwiegende negative Folgen für das Paar hätte oder anderweitig unverhältnismässig wäre. Ebenso soll gegebenenfalls die Tatsache berücksichtigt werden können, dass seit der Eheschliessung eine lange Zeit vergangen ist und die Eheleute weiterhin zusammenleben wollen. Ausserdem sei die Bestimmung so anzuwenden, dass verbindliche internationale Bestimmungen respektiert würden. Insbesondere dürfe kein Verstoss gegen Artikel 8 EMRK vorliegen und für EU-Bürgerinnen und EU-Bürger dürfe die Freizügigkeit nicht tangiert werden. Bei einer Nichtanerkennung besteht kraft Gesetzes eine Unwirksamkeit der Ehe ex tunc. An dieser Regelung wurde auch dahingehend Kritik geübt, dass sie zu Situationen führen würde, wonach Personen mit Wohnsitz in Schweden nicht wissen würden, ob sie verheiratet seien oder nicht, und 27 / 72

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dass verschiedene Behörden zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen hinsichtlich der Anerkennung kommen könnten.

3.6

Würdigung

In vielen Staaten werden ganz ähnliche Diskussionen geführt wie aktuell in der Schweiz. Es zeigt sich, dass keines der Systeme ­ sei es nun eine Lösung im Rahmen des allgemeinen Ordre public ohne Konkretisierung, eine Lösung mit Konkretisierung desselben und Nichtanerkennung der betroffenen Ehen, oder eine Lösung im materiellen Recht mit der Möglichkeit der Ungültigerklärung der betroffenen Ehen ­ für alle Fallkonstellationen zu überzeugen vermag. Auch diejenigen Staaten, die ihr Recht in jüngerer Zeit revidiert haben, sind vielfach bereits wieder mit Revisionen befasst (z. B. Deutschland oder die Niederlande). Diskutiert werden dabei zum einen die Nachteile einer Nichtanerkennung der Ehe, wie insbesondere die Schaffung hinkender Rechtsverhältnisse, die fehlende Scheidungsmöglichkeit und fehlende Rechtswirkungen von gelebten Ehen wie insbesondere Unterhaltsansprüche. Weiter werden Probleme mit der Personenfreizügigkeit innerhalb der europäischen Staaten und die mögliche Verletzung von Artikel 8 EMRK thematisiert. In der Praxis geht man zudem davon aus, dass die Nichtanerkennung der Ehe den Zugang zu den Betroffenen erschwert und dass diese untertauchen und damit noch weniger geschützt würden. Zum anderen werden aber teilweise auch der Schutz betroffener Minderjähriger vor einer Ehe ziemlich absolut verfolgt und generalisierende Regelungen im Sinne einer konsequenten Nichtanerkennung favorisiert. Es besteht damit ein nicht auflösbares Spannungsverhältnis zwischen zwei Geboten: dem Gebot, nach Auslandsrecht wirksam geschlossene und gelebte Ehen zu anerkennen, unter Umständen auch im Interesse der minderjährigen Ehegattin oder des minderjährigen Ehegatten, und dem Gebot, gegen die Minderjährigenheiraten als solche vorzugehen.69 Ebenfalls mitzuberücksichtigen sind die jeweiligen migrationsrechtlichen Regelungen, die sich ebenfalls unterscheiden und teilweise auch unabhängig vom Bestand der Ehe Rechte gewähren.70

4

Grundzüge der Vorlage

4.1

Herausforderungen einer Neuregelung

4.1.1

Unterschiedliche Konstellationen von Minderjährigenheiraten

Minderjährige Personen heiraten aus ganz unterschiedlichen Gründen und in ganz unterschiedlichen Konstellationen. Diese Vielschichtigkeit verbietet eine pauschale Behandlung der Minderjährigenheiraten. Weil die Bandbreite der Fälle so gross ist, besteht die Herausforderung für eine gesetzliche Regelung darin, die konkreten Umstände bestmöglich zu berücksichtigen.

69 70

MAX-PLANCK-INSTITUT, Frühehe, S. 748 und 777 ff.

Vgl. zum Ganzen: Aktualisiertes Gutachten SIR.

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Die Gründe für Minderjährigenheiraten sind sehr unterschiedlich und entstehen oft in prekären Situationen: Sie stehen vielfach in einem Kontext von Armut, Bildungsferne oder allgemeiner Perspektivenlosigkeit für die Betroffenen. Die Verheiratung kann von den minderjährigen Betroffenen akzeptiert werden, weil es bedeutet, ein gesellschaftlich vorherrschendes Heiratsmuster zu akzeptieren, dieses verinnerlicht zu haben und nicht zu hinterfragen. Oft sind sich die Eheschliessenden über ihre persönliche Situation im Klaren und entscheiden sich innerhalb des vorhandenen Spielraums bewusst für die Heirat.71 Zu erinnern ist daran, dass das Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren in zahlreichen europäischen Staaten immer noch unterschritten werden kann (vgl. Ziff. 1.1.2.3 und 3.3). Es ist klarerweise aber auch davon auszugehen, dass eine gewisse Anzahl der Minderjährigenheiraten gleichzeitig als Zwangsheiraten im Sinne des Gesetzes (Art. 105 Ziff. 5 ZGB; Art. 181a des Strafgesetzbuches, StGB72) zu qualifizieren wären, die Zwangssituation aber nicht entdeckt respektive nicht nachgewiesen werden kann.

Eine besondere Herausforderung stellt sich, da die Behörden mit mehr oder weniger lange bestehenden Ehen und Familienverhältnissen konfrontiert sein können. In einigen Fällen mag die Ehe noch gar nicht gelebt worden sein, während diese in anderen Fällen bereits längere Zeit im Ausland gelebt worden ist und gegenseitige Dispositionen getroffen wurden. Neben der Situation im Zeitpunkt der Eheschliessung ist daher immer auch die Situation zu berücksichtigen, in der sich die Eheleute befinden, sobald sich eine schweizerische Behörde mit der Ehe zu befassen hat. In diesem Sinne gilt es, sowohl die Umstände zur Zeit der Eheschliessung (Eheschlusszeitpunkt) als auch diejenigen im Zeitpunkt, in dem sich die Prüfung der Ehe durch eine Schweizer Behörde stellt (Beurteilungszeitpunkt), zu berücksichtigen.

Oft treten Minderjährigenheiraten ­ da ihr Abschluss nur noch im Ausland möglich ist ­ im Kontext eines migrationsrechtlichen Verfahrens zutage. Dabei kann es sich um ein Verfahren um Familienasyl oder um Familiennachzug im AIG oder schlussendlich auch im Bereich des Freizügigkeitsabkommens (FZA)73 oder des EFTAÜbereinkommens74 handeln, da zahlreiche europäische Staaten Ausnahmen vom Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren
vorsehen. Die Frage des Umgangs mit einer Minderjährigenheirat kann sich für die Behörden aber auch ausserhalb des ausländer- oder asylrechtlichen Kontextes stellen. Haben beide Eheleute ein voneinander unabhängiges Aufenthaltsrecht oder ist eine oder einer von ihnen oder sind sogar beide schweizerische Staatsangehörige (die jedoch im Ausland geheiratet haben), so ist kein Verfahren auf Nachzug einer ausländischen Ehegattin oder eines ausländischen Ehegatten hängig. Die Prüfung einer Minderjährigenheirat kann zudem dann erfolgen, wenn ein Eintrag in das informatisierte Personenstandsregister (Infostar) notwendig ist. Es werden aber nicht alle Ehen zwangsläufig von den Aufsichtsbehörden im Zivilstandswesen zwecks Eintrags in Infostar beurteilt. Eine Eintragung in Infostar wird nur bei Ehen zwischen oder mit schweizerischen Staatsangehörigen vorgenommen. Ehen, die 71 72 73

74

MAX-PLANCK-INSTITUT, Frühehe, S. 711 und 779.

SR 311.0 Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA); SR 0.142.112.681.

Übereinkommen vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA-Übereinkommen); SR 0.632.31.

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zwischen ausländischen Staatsangehörigen geschlossen wurden, werden einzig dann in Infostar erfasst, wenn in der Schweiz ein Zivilstandereignis zu beurkunden ist.75 Es ist auch denkbar, dass sich die Frage des Umgangs mit einer Minderjährigenheirat für die Behörden in einem komplett anderen Zusammenhang stellt, beispielsweise vor einer Steuer- oder Sozialhilfebehörde. Auch der rechtliche Kontext und die zuständige Behörde sind damit je nach Fallkonstellation unterschiedlich.

Beispielhaft ausgedrückt kann es sich damit also um die Ehe eines syrischen Paares handeln, das heiratet, wenn die Ehefrau 14 und der Ehemann 19 ist, um gemeinsam aus dem Herkunftsstaat flüchten zu können, und das kurz nach der Heirat in die Schweiz kommt. Es kann sich aber auch um Eheleute handeln, die in Italien ohne Druck durch äussere Umstände heiraten, während die Ehefrau 17 und der Ehemann 20 ist, und die in die Schweiz kommen, nachdem die Ehe in Italien bereits zehn Jahre gelebt wurde. Oder es kann sich um eine arrangierte Ehe eines indischen Paares handeln, wobei die Ehefrau 16 und der Ehemann 21 Jahre alt ist. Das Paar ist den Traditionen verhaftet und fügt sich dem Entscheid der Familie. Die Ehe ist von schweizerischen Behörden zu prüfen, kurz bevor die Ehefrau volljährig wird. Schliesslich kann es sich auch um die unentdeckte Zwangsverheiratung einer jungen Frau handeln, die zwar in der Schweiz aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, kurz vor Volljährigkeit jedoch im Herkunftsstaat der Familie zur Heirat gezwungen wird und dann ihren Ehemann in die Schweiz nachziehen soll («Sommerferienheirat»).

4.1.2

Unterschiedliche Lösungsansätze

4.1.2.1

Allgemeines

Den unterschiedlichen Konstellationen ist der Gesetzgeber mit einer Regelung im ZGB in Form des Eheungültigkeitsgrundes der Minderjährigkeit mit einer Ausnahmeklausel zur Berücksichtigung besonderer Fälle und einem Verfahren vor dem zuständigen Zivilgericht begegnet (Art. 105 Ziff. 6 ZGB; vgl. Ziff. 1.1.2.1). Während die Evaluation einzig Handlungsbedarf zur Verbesserung der Regelung im ZGB festgestellt hatte,76 wurde in der Vernehmlassung von zahlreichen Teilnehmenden eine Regelung (auch) im internationalen Privatrecht und damit die primäre Nichtanerkennung der Minderjährigenheiraten gefordert.77 Vor diesem Hintergrund sind nachfolgend die beiden Lösungsansätze, also eine Regelung im ZGB und eine Regelung im IPRG, und ihre unterschiedlichen Folgen kurz darzustellen und gegeneinander abzugrenzen.

75 76 77

Dabei kann es sich bspw. um die Geburt eines Kindes oder den Tod einer Ehegattin oder eines Ehegatten handeln.

Evaluationsbericht, Ziff. 4.5.4.

Ergebnisbericht, Ziff. 3.3.2.

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4.1.2.2

Lösungsansatz gemäss geltendem Recht und Vorentwurf: Eheungültigkeitsverfahren

Der bisherige Lösungsansatz im ZGB geht bei Vorliegen einer Minderjährigenheirat grundsätzlich ­ unabhängig von der Konstellation im Einzelfall ­ in einem ersten Schritt von einer Anerkennung der Ehe aus,78 die dann einem Eheungültigkeitsverfahren nach den Artikeln 105­109 ZGB zugeführt werden muss (vgl. Ziff. 1.1.4.1 und 1.1.4.2). Dieser Ansatz hat folgende Auswirkungen:

78 79 80 81

­

Eine wichtige Statusfrage, die für verschiedene Rechte und Pflichten massgebend ist, wird klar und mit materieller Rechtskraft entschieden. Bis zu einer allfälligen Ungültigerklärung hat die Ehe Bestand (vgl. Ziff. 1.1.4.3). Das dient der Rechtssicherheit und verhindert insbesondere widersprechende Entscheidungen bezüglich des Vorliegens einer Ehe.79

­

Zuständig ist immer ein Zivilgericht, das in einem ordentlichen Verfahren entscheidet (Art. 294 Zivilprozessordnung, ZPO80). Mit der vorgesehenen Melde- und Klagepflicht von Amtes wegen (Art. 106 ZGB) soll jede Minderjährigenheirat einer gerichtlichen Prüfung zugeführt werden.

­

Wird die Aufrechterhaltung der Ehe in Ausnahmefällen vorgesehen, so wird mit dieser Lösung garantiert, dass ein Gericht diese mitunter anspruchsvolle Prüfung vornimmt. Gerade weil die Betroffenen unter Druck seitens der Familienangehörigen stehen können, ist eine Beurteilung durch eine Richterin oder einen Richter sinnvoll und angezeigt. In diesem Verfahren erfolgt eine Einzelfallbeurteilung durch eine dafür geeignete Behörde.

­

Weil die Ungültigerklärung die Wirkungen einer Scheidung hat und sinngemäss die Scheidungsfolgen eintreten (Art. 109 Abs. 2 ZGB), können gewisse notwendige Rechte aus der unter Umständen bereits eine gewisse Zeit gelebten Ehe geltend gemacht werden (Regelung von Rechtsfolgen). Die Rechte der gemeinsamen Kinder sind direkt gewahrt und es können insbesondere Unterhaltsbeiträge zwischen den Eheleuten und an die Kinder festgelegt und vorsorge- und güterrechtliche Ansprüche geregelt werden.81 Gelebten Beziehungen kann damit Rechnung getragen werden.

­

Die Durchführung eines Gerichtsverfahrens ist in jedem Fall unvermeidbar.

Dies führt zu entsprechendem Aufwand und Kostenanfall, insbesondere weil die Prozesse zum Teil rechtshilfeweise zu führen sind, da sich eine Ehegattin oder ein Ehegatte im Ausland befinden kann. Das Verfahren kann zudem für die Betroffenen belastend und mit Druckausübung seitens der Familie verbunden sein.

Vorbehalten bleibt dennoch eine vorfrageweise Nichtanerkennung in klaren Fällen, vgl. Ziff. 1.1.4.1 mit den entsprechenden Hinweisen.

Botschaft Zwangsheiraten, Ziff. 1.3.2.1.

SR 272 Es stellt sich allerdings zufolge internationaler Sachverhalte stets die Frage nach dem anwendbaren Recht. Dieses wird in Art. 45a Abs. 2 und 3 IPRG bezeichnet.

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­

Im geltenden Recht wie auch im Vorentwurf ist eine Heilung der Ungültigkeit vorgesehen. Im Rahmen eines Systems mit Ungültigerklärung ist eine Regelung der Heilung problemlos möglich.

­

Bei einem gerichtlichen Eheungültigkeitsentscheid besteht zumindest die Möglichkeit, dass dieser in einem anderen Staat anerkannt wird.82 Damit verringert sich das Entstehen sogenannt hinkender Rechtsverhältnisse (Die Ehe ist in einem Staat gültig, im anderen nicht).

4.1.2.3

Lösungsansatz im internationalen Privatrecht: Nichtanerkennung

Eine Lösung im Rahmen des internationalen Privatrechts beruht auf der Nichtanerkennung der Ehe, allenfalls mit anschliessender Möglichkeit der Eheleute zur Antragstellung auf Anerkennung ihrer Ehe (vgl. Ziff. 4.1.3). Die Auswirkungen einer Nichtanerkennung der Ehe können im Vergleich zu einem Ungültigkeitsverfahren wie folgt dargestellt werden:

82 83 84

­

Die Anerkennungsfähigkeit einer im Ausland geschlossenen Ehe bildet regelmässig eine Vorfrage in einem anderen Verfahren, das an das Bestehen der Ehe bestimmte Rechtsfolgen knüpft.83 Darüber wird nicht verbindlich und somit ohne materielle Rechtskraft entschieden. Eine andere Behörde kann anders entscheiden, womit keine Rechtssicherheit in Bezug auf den Status Ehe gegeben ist. Selbst dem Eintrag einer im Ausland geschlossenen Ehe in Infostar kommt nur erhöhte Beweiskraft (Art. 9 ZGB), aber keine materielle Rechtskraft zu. Dies macht es schwierig, die Anerkennung der Ehe von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig zu machen, weil das Risiko unterschiedlicher Beurteilungen und folglich auch die Rechtsunsicherheit damit erhöht würden.

­

Welche Behörde über die Anerkennung der Ehe entscheidet, ist einzelfallabhängig. Es kann sich beispielsweise um eine Migrationsbehörde, eine Aufsichtsbehörde im Zivilstandswesen, eine Sozialversicherungsbehörde, eine Steuerbehörde oder auch um ein Gericht handeln. Auch dies erschwert eine Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls. Nicht jede dieser Behörden verfügt dabei über die Möglichkeiten und die Erfahrung, um eine differenzierte Einzelfallprüfung bei Minderjährigenheiraten vorzunehmen.

­

Eine Nichtanerkennung hat zur Folge, dass die Ehe vor den Schweizer Behörden inexistent ist. Aus ihr können in der Regel keine Rechte abgeleitet werden.84 Dem Umstand, dass möglicherweise Rechtsbeziehungen gelebt worden

GEISER, FS Häfeli, S. 262.

WIDMER LÜCHINGER, Zürcher Kommentar, N 6 zu Art. 45. BODENSCHATZ, Basler Kommentar, N 21 ff. zu Art. 45.

Zu den möglichen aber nicht ausdrücklich geregelten Ausnahmen im Rahmen eines Scheidungsverfahrens bei polygamen Ehen vgl. BUCHER, le couple, N 150 ff.; WIDMER LÜCHINGER, FamPra, S. 797.

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sind, kann nicht Rechnung getragen werden (z. B. für Unterhaltsansprüche oder bei gemeinsamen Kindern).

­

Eine Überprüfung von Amtes wegen dieser Ehen in einem Gerichtsverfahren entfällt. Damit entfallen unter Umständen belastende Prozesse für die Betroffenen. Gleichzeitig entfallen administrativer Aufwand und Kosten für diese Verfahren.

­

Die Umsetzung einer Heilung im IPRG scheint anders als bei der aktuellen Lösung mit einem Eheungültigkeitsverfahren problematisch, da die Ehe zufolge Nichtanerkennung zuerst keine Auswirkungen hat, diese aber im Nachhinein oder ab einem gewissen Zeitpunkt dennoch haben soll (vgl. Ziff. 4.1.3).

­

Eine Nichtanerkennung entfaltet einzig Binnenwirkung. Bei einer Nichtanerkennungs-Lösung entstehen damit sogenannte hinkende Rechtsverhältnisse (Die Ehe ist in einem Staat gültig, im anderen nicht).

4.1.2.4

Bewertung der beiden Lösungsansätze

Beide Lösungsansätze haben Vor- und Nachteile. Das geltende System eines Eheungültigkeitsverfahrens im ZGB stellt in vielen Konstellationen von Minderjährigenheiraten eine adäquate Lösung dar. Aufgrund des Verlustes an Rechtssicherheit und der unterschiedlichen zuständigen Behörden eignet sich demgegenüber ein System der Nichtanerkennung im IPRG im Bereich der Minderjährigenheiraten grundsätzlich nur zur Regelung klarer Fälle, die keiner differenzierten Einzelfallabwägung (in Ausnahmefällen) bedürfen. Andernfalls besteht das Risiko divergierender Entscheide unterschiedlicher befasster Behörden. Dies wäre mit Blick auf die damit verbundene Rechtsunsicherheit bezüglich des Status der Ehe nach Ansicht des Bundesrates nicht vertretbar. Auch eine Heilungsmöglichkeit lässt sich bei einer Nichtanerkennung nicht befriedigend umsetzen (vgl. Ziff. 4.1.3). Eine Nichtanerkennungslösung eignet sich überdies nur für Ehen, die noch nicht oder nur kurzzeitig gelebt wurden, womit das Fehlen von Regelungen allfälliger Rechtsfolgen (sinngemäss Scheidungsfolgen) nicht ins Gewicht fällt. Mit einer Nichtanerkennung werden zudem praktisch immer hinkende Rechtsverhältnisse geschaffen. Umgekehrt entfallen bei diesem Ansatz zahlreiche Gerichtsverfahren und die damit verbundenen Kosten.85 Auch das vorgängige Meldeverfahren kann eingespart werden.

4.1.3

Prüfung einer umfassenden Regelung im internationalen Privatrecht

Angesichts der Vernehmlassungsergebnisse stellt sich die Frage, inwieweit eine vollständige Umsetzung im IPRG, unter Beachtung insbesondere einer Heilungsmöglichkeit sowie einer Regelung von Rechtsfolgen, möglich und sinnvoll wäre. Beispielsweise wurde in der Vernehmlassung vorgeschlagen, dass eine grundsätzliche Nichtanerkennung von Minderjährigenheiraten vorgesehen werden könnte und die Ehe85

Vgl. zu diesem Spannungsverhältnis auch die Ergebnisse des Rechtsvergleichs, Ziff. 3.6.

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leute dann selber die Möglichkeit bekommen sollten, die Anerkennung ihrer Ehe unter bestimmten Voraussetzungen zu beantragen oder der Ehe nachträglich nach Erreichen der Volljährigkeit zustimmen zu können.86 Diese Lösung wurde bereits im Zusammenhang mit dem Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten angesprochen, jedoch vom Bundesrat damals bewusst nicht weiterverfolgt.87 Die damaligen Überlegungen gelten auch heute: Mit Blick auf die unterschiedlichen Konstellationen und die verschiedenen Rechte und Interessen, die es zu berücksichtigen gilt, müssen mit einer gesetzlichen Regelung verschiedene Eckpunkte gewahrt werden, die auch in der Vernehmlassung begrüsst wurden.88 Darunter fällt insbesondere die Möglichkeit der Heilung. Ohne Heilungsmöglichkeit müsste selbst eine Ehe, die bereits Jahrzehnte gelebt wurde, infrage gestellt werden.

Dies erscheint unverhältnismässig und die Möglichkeit einer Heilung nach Zeitablauf ist somit unverzichtbares Element einer Regelung (zur Heilung vgl. Ziff. 4.2.2.3).

Ein System der Nichtanerkennung mit Heilung durch behördliche Genehmigung auf Antrag hin oder automatisch nach einem gewissen Zeitablauf wäre mit diversen Unsicherheiten verbunden: Bis zu einem allfälligen Antrag und Entscheid auf Anerkennung oder bis zu einer Heilung befindet sich die Ehe in einem «Schwebezustand» (aufschiebend bedingte Ehe): Aufgrund der Nichtanerkennung entfaltet die Ehe grundsätzlich keine Rechtswirkungen in der Schweiz. Erst mit einem Entscheid auf Anerkennung oder dem Eintritt der Heilung könnten solche Wirkungen abgeleitet werden. Dieser Schwebezustand hätte verschiedene Folgen, die je nachdem ebenfalls einer zusätzlichen Regelung bedürften: Wie wäre beispielsweise damit umzugehen, wenn eine Ehegattin oder ein Ehegatte während des Schwebezustandes eine andere Person heiraten möchte oder verstirbt? Welche Auswirkungen hätte der Schwebezustand auf die steuerrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Situation der Betroffenen? Ebenso bestünde die Gefahr, dass die Situation in Bezug auf gemeinsame Kinder nicht geregelt wird. Es müsste wohl in Bezug auf die Rechtswirkungen der Ehe differenziert werden und für gewisse eine rückwirkende Geltung ab Eheschluss, für andere aber eine erst ab der Anerkennung geltende Wirkung vorgesehen werden.

Damit ginge die Rechtssicherheit in
Bezug auf den Status verloren.

Weil nach Ansicht des Bundesrates der im geltenden Recht bestehende Schutz für die Betroffenen durch staatliche Intervention von Amtes wegen aufrechterhalten werden muss, bräuchte es eine behördliche Klagemöglichkeit, um die spätere Heilung einer nicht schutzwürdigen Minderjährigenheirat zu verhindern. Gleichzeitig müsste die Verweigerung einer behördlichen Anerkennung die Regelung von Rechtsfolgen nach sich ziehen. Teilweise handelt es sich um im Ausland gelebte Beziehungen, denen Rechnung zu tragen wäre.

Vor diesem Hintergrund erscheint nach Ansicht des Bundesrates eine umfassende und ausschliessliche Regelung zu den Minderjährigenheiraten im internationalen Privatrecht weder sinnvoll noch zielführend, weil sie der Rechtssicherheit abträglich wäre und den Schutz der betroffenen Personen nicht hinreichend gewährleisten würde. Die

86 87 88

Ergebnisbericht, Ziff. 3.3.2.

Botschaft Zwangsheiraten, Ziff. 1.3.2.2.

Ergebnisbericht, Ziff. 4.3.

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aktuelle ZGB-Lösung erscheint hier klar sachgerechter, besonders mit den im vorliegenden Entwurf vorgeschlagenen Verbesserungen.

4.2

Die beantragte Neuregelung

4.2.1

Neue Regelung von zwei besonderen Konstellationen im IPRG

4.2.1.1

Allgemeines

Unter Einbezug der Bewertung der Lösungsansätze (vgl. Ziff. 4.1.2.4) soll mit der Revisionsvorlage das bisherige System einer Ungültigerklärung gestützt auf das ZGB (Anerkennung von Minderjährigenheiraten aus dem Ausland und anschliessende Ungültigkeitsprüfung) im Grundsatz beibehalten, aber in Bezug auf zwei bestimmte Fallkonstellationen durch ein Nichtanerkennungsregime im internationalen Privatrecht ohne Einzelfallprüfung, Regelung der Rechtsfolgen und Heilungsmöglichkeit aufgebrochen werden: Dabei handelt es sich zum einen um diejenigen Fälle, in denen eine Person sehr jung verheiratet wurde und im Zeitpunkt der Überprüfung der Ehe in der Schweiz das 16. Altersjahr noch nicht vollendet hat (Art. 45 Abs. 3 Bst. a E-IPRG; vgl. Ziff. 4.2.1.2). Zum anderen geht es um Minderjährigenheiraten, bei denen mindestens eine Person im Zeitpunkt des Eheschlusses ihren Wohnsitz in der Schweiz hatte (Art. 45 Abs. 3 Bst. b E-IPRG; vgl. Ziff. 4.2.1.3).

Für die restlichen Fallkonstellationen besteht kein Raum für eine Regelung im IPRG, weil diese nach Ansicht des Bundesrates insbesondere einer differenzierten Einzelfallprüfung durch ein Gericht sowie einer Heilung und einer Regelung der Rechtsfolgen bedürfen. Mit der im Vorentwurf vorgeschlagenen Lösung (wie bisher Eheungültigkeitsgrund im ZGB) lassen sich diese Erfordernisse wesentlich besser erfüllen.

4.2.1.2

Nichtanerkennung von Minderjährigenheiraten mit Personen, die das 16. Altersjahr noch nicht vollendet haben

Die Vernehmlassung hat gezeigt, dass in Bezug auf Fälle, in denen die Betroffenen das 16. Altersjahr noch nicht vollendet haben, grosse Besorgnis besteht und die aktuelle Rechtslage von einer Mehrheit als ungenügend oder unbefriedigend erachtet wird.

Es wird beanstandet, dass die im geltenden Recht vorgesehene Interessenabwägung selbst in diesen Fällen zur Aufrechterhaltung der Ehe führen kann.

Unter dem alten Recht vor 2013, das bei Minderjährigenheiraten lediglich die Möglichkeit einer Nichtanerkennung vorsah, wurde die Meinung vertreten, Ehen mit Personen unter 16 Jahren sei wegen eines Verstosses gegen den Ordre public die Anerkennung zu verweigern, sofern die betroffene Person nicht inzwischen das erforderliche Mindestalter erreicht habe.89 Diese Altersgrenze wird in der Lehre auch

89

Botschaft Zwangsheiraten, Ziff. 1.1.4.2.

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unter dem geltenden Recht als Ordre-public-Grenze bezeichnet.90 Mit Blick auf das strafrechtlich vorgegebene sexuelle Schutzalter, das (zwar mit Ausnahmen91) innerschweizerisch ebenfalls bei 16 Jahren liegt, wird bereits heute davon ausgegangen, dass eine Person unter 16 Jahren nicht als verheiratete Person in der Schweiz leben soll und dass die gerichtliche Interessenabwägung in diesen konkreten Fällen stets zuungunsten des Fortbestands der Ehe ausfallen muss.92 So gesehen kann bereits das geltende Recht dahin ausgelegt werden, dass Minderjährigenheiraten, bei denen eine Person das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, vorfrageweise die Anerkennung verweigert werden kann (vgl. Ziff. 1.1.4.1).

Angesichts des vorerwähnten Vernehmlassungsresultats schlägt der Bundesrat nun vor, in diesem Punkt noch einen Schritt weiter zu gehen und solche Ehen ganz generell nicht zu anerkennen und damit für unwirksam zu betrachten, solange die betroffenen Personen das 16. Altersjahr nicht vollendet haben (vgl. Art. 45 Abs. 3 Bst. a E-IPRG).

Damit wird das gewünschte, noch deutlichere Signal ausgesandt, dass Ehen von sehr jungen Personen mit dem schweizerischen Ordre public in jedem Fall unvereinbar sind. Zudem hat die vorgeschlagene Lösung für die betroffenen Personen den Vorteil, dass sie nicht schon in einem jungen Alter den emotionalen Belastungen eines Gerichtsverfahrens ausgesetzt sind.

In diesen klar definierten Fällen lässt sich eine Nichtanerkennung der Ehe ohne Einzelfallprüfung rechtfertigen. Angesichts der oftmals erst sehr kurzen Ehedauer kann auch auf eine Regelung von Rechtsfolgen verzichtet werden. Wichtig ist aber die Unterscheidung zwischen dem Alter zur Zeit der Eheschliessung (Eheschlusszeitpunkt) und dem Alter im Zeitpunkt, in dem die Prüfung einer Ehe durch eine Schweizer Behörden stattfindet (Beurteilungszeitpunkt): Hat eine betroffene Person im Beurteilungszeitpunkt das 16. Altersjahr bereits vollendet, kann und soll die Anerkennung nicht pauschal verweigert werden. In diesen Fällen ist die Möglichkeit der ausnahmsweisen Aufrechterhaltung der Ehe, der Regelung von Rechtsfolgen und einer allfälligen Heilung zu gewährleisten und ein pauschaler Verzicht darauf mit Blick auf die mögliche Ehedauer und das Alter der Betroffenen nicht vertretbar.93 In den Fällen, in denen die Betroffenen zwar
im Eheschlusszeitpunkt noch unter 16 Jahre alt waren, im Beurteilungszeitpunkt aber das 16. Altersjahr vollendet haben, ist ­ vorbehältlich der weiteren Ausnahme bei Wohnsitz einer Ehegattin oder eines Ehegatten in der Schweiz (vgl. Ziff. 4.2.1.3) ­ Artikel 105a E-ZGB und damit das Eheungültigkeitsverfahren anwendbar (vgl. Ziff. 4.2.2). Dass damit für eine relativ kurze Zeit eine aufschiebend bedingte Ehe vorliegt (vgl. Ziff. 4.1.3) und den Eheleuten in dieser Periode keine Ansprüche aus der Ehe zustehen, ist aufgrund der geringen Zeitdauer vernachlässigbar und verhältnismässig.

90 91 92 93

WIDMER LÜCHINGER, Zürcher Kommentar, N 53 zu Art. 45; BODENSCHATZ, Basler Kommentar, N 25 zu Art. 45; DUTOIT/BONOMI, Commentaire LDIP, N 9 zu Art. 45.

Vgl. die obligatorische Straflosigkeit nach Art. 187 Ziff. 2 StGB und die fakultativen Strafbefreiungsgründe nach Art. 187 Ziff. 3 StGB.

Erläuternder Bericht, Ziff. 2.4.2.

In Bezug auf die Regelung von Rechtsfolgen wie auf die Heilungsmöglichkeit gleicher Ansicht ist auch das deutsche Bundesverfassungsgericht; vgl. Beschluss Bundesverfassungsgericht Deutschland.

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Im Ergebnis sollen also zukünftig Minderjährigenheiraten, bei denen eine der Personen im Beurteilungszeitpunkt das 16. Altersjahr noch nicht vollendet hat, in der Schweiz nicht anerkannt werden (Art. 45 Abs. 3 Bst. a E-IPRG). Nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Nähe zu Zwang umso grösser ist, je jünger eine Person bei der Heirat ist.94 Mit der klaren Nichtanerkennung erübrigt sich für die Betroffenen (wie auch für die Behörden) vorerst ein Ungültigkeitsverfahren zufolge Zwangsheirat (Art. 105 Ziff. 5 ZGB). Die Nichtanerkennung geht in diesen Fällen vor. Für die Fälle, die unter das FZA oder das EFTA-Übereinkommen fallen, gelten die Ausführungen unter Ziffer 7.2.2.

4.2.1.3

Nichtanerkennung von Minderjährigenheiraten bei schweizerischem Wohnsitz einer Ehegattin oder eines Ehegatten

Neu soll auch in einem zweiten Fall von Minderjährigenheirat der Grundsatz der Nichtanerkennung gelten, wie das in der Vernehmlassung verbreitet gefordert wurde95 und es auch einem starken Bedürfnis aus der Praxis entspricht: Wenn eine Ehegattin oder ein Ehegatte im Zeitpunkt der Eheschliessung Wohnsitz in der Schweiz hatte, soll eine Minderjährigenheirat generell nicht anerkannt werden (vgl.

Art. 45 Abs. 3 Bst. b E-IPRG). In den genannten Fällen ist das öffentliche Interesse an der Unwirksamkeit einer Minderjährigenheirat aufgrund der grösseren Nähe zur schweizerischen Rechtsordnung höher zu gewichten. Die vorgeschlagene neue Regelung entspricht Sinn und Geist des geltenden Artikels 45 Absatz 2 IPRG, mit welchem der damalige Gesetzgeber die Umgehung der schweizerischen Ehevoraussetzungen verhindern wollte.

Mit dieser Neuregelung wird die immer wieder auftretende und als sehr stossend qualifizierte Problematik der «Sommerferienheiraten» adressiert. Dabei werden minderjährige Personen, die in der Schweiz leben und aufwachsen, in den Sommerferien beispielsweise im Herkunftsstaat ihrer Familien verheiratet. Nach der Heirat soll dann die Ehegattin oder der Ehegatte in die Schweiz nachgezogen werden. Die betroffenen Minderjährigen sind in der Schweiz zumeist gut integriert, sind hier aufgewachsen und haben die hiesigen Schulen besucht. Das individuelle Schutzinteresse der Betroffenen ist in diesen Fällen besonders hoch und ihr Interesse an einer Aufrechterhaltung der Ehe tendenziell gering. Oftmals dürften gar die Voraussetzungen einer Zwangsheirat im Sinne des Gesetzes (Art. 105 Ziff. 5 ZGB und Art. 181a StGB) erfüllt sein. Wie bereits ausgeführt (vgl. Ziff. 1.1.2.3) werden Zwangsheiraten aufgrund 94

95

Die Bundesversammlung hat aber davon abgesehen, bei jeder Eheschliessung vor Vollendung des 16. Altersjahres einer Ehegattin oder eines Ehegatten eine Zwangsheirat im Sinne von Art. 181a StGB zu vermuten. Die Mo. 19.4261 «Kinderehen müssen konsequent bekämpft werden» wurde am 30. September 2021 abgelehnt. Auch der Bundesrat hat die Motion in seiner Stellungnahme vom 20. November 2019 zur Ablehnung empfohlen.

Ergebnisbericht, Ziff. 3.3.2. Ein entsprechender Vorschlag (ergänzt um die Staatsangehörigkeit) wurde insbesondere von der Konferenz der kantonalen Aufsichtsbehörden im Zivilstandsdienst (KAZ) eingebracht. Diesem haben sich zahlreiche Teilnehmende angeschlossen.

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der bestehenden Beweisschwierigkeiten bei fehlendem Aktivwerden der Betroffenen in der Regel nicht erkannt.

Erfasst wird aber auch die umgekehrte Konstellation, wenn die volljährige Person bei Heirat ihren Wohnsitz in der Schweiz hat. Die Nähe zur schweizerischen Rechtsordnung gebietet, dass auch in diesen Fällen die Ehe mit einer minderjährigen Person im Ausland in der Schweiz nicht anerkannt werden kann. In der Vernehmlassung kam im Ergebnis klar zum Ausdruck, dass auch diese Fälle als Umgehung der schweizerischen Rechtsordnung wahrgenommen werden und damit ein Bedürfnis besteht, solchen Ehen die Anerkennung zu versagen.

Hat eine Ehegattin oder ein Ehegatte im Zeitpunkt der Eheschliessung Wohnsitz in der Schweiz, so ist in der ganz überwiegenden Anzahl der Fälle davon auszugehen, dass diese Fälle nach nur kurzer Dauer, und bevor die Ehe wirklich gelebt wurde, zutage treten. Das Fehlen einer Einzelfallprüfung oder der Möglichkeit der Heilung fällt entsprechend wenig ins Gewicht. Aufgrund der regelmässig fehlenden Dispositionen im Hinblick auf die Ehe mangels bereits erfolgten Zusammenlebens ist auch das Fehlen von Regelungen analog den Scheidungsfolgen im Unterschied zu einem Ungültigkeitsverfahren vertretbar.96 Mit der klaren Nichtanerkennung erübrigt sich für die Betroffenen (wie auch für die Behörden) auch hier ein Ungültigkeitsverfahren für den Fall einer Zwangsheirat (Art. 105 Ziff. 5 ZGB), da die Nichtanerkennung vorgeht. Für die Fälle, die unter das FZA oder das EFTA-Übereinkommen fallen, gelten die Ausführungen unter Ziffer 7.2.2.

4.2.2

Verbesserung der Ungültigkeitsregelungen zu Minderjährigenheiraten im ZGB für alle anderen Fälle

4.2.2.1

Allgemeines

In allen übrigen Fallkonstellationen von Minderjährigenheiraten, d. h. insbesondere bei reinen Auslandsehen von minderjährigen Personen, die im Beurteilungszeitpunkt das 16. Altersjahr vollendet haben, ist nach Ansicht des Bundesrates am gerichtlichen Ungültigkeitsverfahren von Amtes wegen festzuhalten. Die ablehnende Haltung der Schweiz gegen Minderjährigenheiraten wird in diesen Fällen durch die Eheungültigkeitslösung im ZGB (vgl. Ziff. 4.1.2.2) ausgedrückt und verwirklicht. Nur mit dieser Lösung kann die notwendige Rechtssicherheit gewährleistet werden: Eine Ehe hat bis zu ihrer allfälligen Ungültigkeit Bestand. Gelebten Beziehungen wird mit der Regelung von Rechtsfolgen (sinngemäss die Scheidungsfolgen, Art. 109 ZGB) Rechnung getragen. Es bleibt die Möglichkeit einer durch das Gericht durchzuführenden Einzelfallprüfung und damit die Möglichkeit, die Ehe im Ausnahmefall dennoch aufrechterhalten zu können, und eine Heilung ist problemlos umsetzbar. Dies wurde im Übri-

96

Das deutsche Bundesverfassungsgericht ist zum Schluss gekommen, dass das Fehlen von Folgeregelungen insbesondere dann problematisch ist, wenn die Eheleute die Ehe im Ausland gutgläubig gelebt haben; Beschluss Bundesverfassungsgericht Deutschland, Ziff. 161.

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gen auch in der Vernehmlassung unterstützt.97 Gleichzeitig sollen diese Eheungültigkeitsregeln und -verfahren in verschiedenen Punkten verbessert werden, wie das bereits im Vorentwurf vorgeschlagen wurde (vgl. Ziff. 2.1).

4.2.2.2

Eigenständige Regelung des Ungültigkeitsgrundes der Minderjährigkeit (Art. 105a E-ZGB)

Um die Ziele, die mit dem Eheungültigkeitsgrund der Minderjährigkeit angestrebt werden, zu verdeutlichen, soll der Ungültigkeitsgrund in einer eigenen Bestimmung geregelt werden. Die Überführung in eine separate Norm erlaubt es, die notwendigen Differenzierungen in der erforderlichen Ausführlichkeit vorzunehmen und den Grundsatz der Ungültigkeit solcher Ehen zu verstärken. Die Art der Geltendmachung bleibt dieselbe und folgt Artikel 106 ZGB, womit bei Vorliegen eines Ungültigkeitsgrundes Meldung zu erstatten und von Amtes wegen Klage einzureichen ist (zum Verfahren der Geltendmachung des Ungültigkeitsgrundes vgl. Ziff. 1.1.4.2).

4.2.2.3

Heilung mit Vollendung des 25. Altersjahres

An der bisherigen Möglichkeit der Heilung des Ungültigkeitsgrundes soll nach Ansicht des Bundesrates in den entsprechenden Konstellationen festgehalten werden.

Eine unter Umständen jahrzehntelang gelebte Ehe mit einer bei Eheschliessung minderjährigen Person, die von den Betroffenen auch im Erwachsenenalter bewusst aufrechterhalten wird, gerichtlich auf ihre Gültigkeit zu prüfen, erscheint unverhältnismässig. Derartige gelebte Familienstrukturen sollen nicht ohne Not infrage gestellt werden (vgl. Ziff. 4.1.3). Problematisch wäre bei einer zeitlich unbeschränkten Ungültigkeit zudem, dass sich in der Praxis auch allfällige Erbinnen und Erben einer verstorbenen Ehegattin oder eines verstorbenen Ehegatten oder Drittpersonen auf die Eheungültigkeit berufen könnten, in der Absicht, einen grösseren Erbteil zu erhalten.98 Die Heilungsmöglichkeit wurde denn auch von einer grossen Mehrheit in der Vernehmlassung begrüsst.99 Angepasst und gesetzlich klar geregelt werden soll hingegen der Zeitpunkt, in dem diese Heilung erfolgt. Nach geltendem Recht tritt sie mit der Volljährigkeit ein. Die Evaluation hat gezeigt, dass diese Regelung nicht zielführend ist (vgl. Ziff. 1.1.5).

Wie im Vorentwurf vorgeschlagen und in der Vernehmlassung breit unterstützt ­ wenn auch vereinzelt Vorschläge für eine Heilung zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt gemacht wurden100 ­, soll die Heilung zukünftig erst mit Vollendung des 25. Altersjahres eintreten (vgl. Art. 105a Abs. 1 E-ZGB).

97 98

Vgl. Ergebnisbericht.

Auch wenn dann keine Verfolgung der Eheungültigkeit von Amtes wegen mehr erfolgt, ist die Geltendmachung der Ungültigkeit nach wie vor möglich; Art. 106 Abs. 2 und 3 ZGB.

99 Ergebnisbericht, Ziff. 4.3; Vgl. dazu aber die abweichende Mo. 20.3011 der RK-N «Kinder- und Minderjährigenehen nicht tolerieren».

100 Ergebnisbericht, Ziff. 4.3.

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Sinn und Zweck der Eheungültigkeitsbestimmung bestehen in erster Linie darin, Minderjährigenheiraten zu verhindern und die Betroffenen in ihrer jeweiligen Situation zu schützen und zu unterstützen. Erst mit der Zeit ­ damit auch erst nach Erreichen der Volljährigkeit ­ wächst unter Umständen das Bewusstsein, sich aus einer bis dahin zumindest teilweise akzeptierten Situation lösen zu wollen. Mit zunehmendem Alter, zunehmender Unabhängigkeit und Reife wird den Betroffenen unter Umständen überhaupt erst bewusst, dass die eingegangene Ehe so nicht gewünscht wird. Es ist daher wichtig, dass die betroffene Person nach dem Erreichen der Volljährigkeit und damit der zivilrechtlichen Handlungsfähigkeit ausreichend Zeit erhält, um über die eigene Situation nachzudenken, die Möglichkeiten abzuklären und in Ruhe die für eine Ungültigerklärung erforderlichen Schritte einzuleiten. Die Verschiebung der Heilung soll auch für die betroffenen Behörden gelten: Das vorgesehene Vorgehen von Amtes wegen entlastet die Betroffenen. Die Heilungsmöglichkeit soll zudem bei allen unter die Bestimmung von Artikel 105a E-ZGB fallenden Minderjährigenheiraten ­ unabhängig vom Alter im Zeitpunkt der Eheschliessung ­ zum Tragen kommen.101 Einzig in Fällen, in denen eine Person im Zeitpunkt der Eheschliessung ihren Wohnsitz in der Schweiz hat, findet keine Heilung statt (Art. 45 Abs. 3 Bst. b E-IPRG; vgl.

Ziff. 4.2.1.3).

Will eine betroffene Person die Ehe auflösen, hat sie aber bereits das 25. Altersjahr vollendet, so steht ihr der Weg über die Scheidung offen, wobei sie hier selber die Initiative ergreifen muss. Ergänzend ist festzuhalten, dass eine Eheungültigkeit zufolge eines anderen Ungültigkeitsgrundes gestützt auf Artikel 105 ZGB ­ zu denken ist in diesem Zusammenhang insbesondere an eine Zwangsheirat (Art. 105 Ziff. 5 ZGB) ­ zeitlich unbeschränkt möglich ist.

4.2.2.4

Alter im Zeitpunkt der Klageeinreichung entscheidend

Die Evaluation hat ausserdem gezeigt, dass die uneinheitliche Gerichtspraxis in Bezug auf den Zeitpunkt des Erreichens der Volljährigkeit und der Anwendung der Eheungültigkeitsbestimmung die Durchsetzung erheblich erschwert. Auch in der Lehre besteht keine Einigkeit über den massgeblichen Zeitpunkt.102 Stellt man auf das Alter im Urteilszeitpunkt ab, so besteht die Gefahr, dass im Laufe des Verfahrens eine Heilung eintritt. Die Dauer eines solchen Verfahrens kann von den Parteien oft nicht kontrolliert werden und hängt von externen Faktoren wie Auslandszustellungen ab. Dies schafft einen generellen Anreiz, das Verfahren zu verzögern. Beide Faktoren verschärfen diese Problematik weiter.103

101

Die Ansicht, dass auch bei Personen, die unter 16 Jahren verheiratet wurden, eine Möglichkeit bestehen muss, die Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit bestätigen zu können, teilt auch das deutsche Bundesverfassungsgericht; Beschluss Bundesverfassungsgericht Deutschland, Ziff. 159 und 173.

102 Für Alter im Zeitpunkt der Klageeinreichung: BUCHER, AJP 2013, S. 1169; demgegenüber für Alter im Urteilszeitpunkt: GEISER, Basler Kommentar, Art. 105 N 22.

103 Vgl. Evaluationsbericht, Ziff. 4.3.1.3.

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Mit dieser Revision soll deshalb klargestellt werden, dass für die Heilung allein massgebend ist, ob die minderjährig verheiratete Person das 25. Altersjahr im Zeitpunkt der Klageeinleitung noch nicht vollendet hat. Es kann mit anderen Worten nur geklagt werden, bevor die betroffene Person das 25. Altersjahr vollendet hat. Die Dauer eines Eheungültigkeitsverfahrens hat so keine Auswirkungen mehr auf den Eintritt der Heilung. Damit können die im geltenden Recht bestehende Unsicherheit und die damit verbundenen negativen Anreize für eine Klageeinleitung behoben werden.

4.2.2.5

Interessenabwägung und ausnahmsweise Aufrechterhaltung der Ehe bei minderjährigen Betroffenen

Die nach geltendem Recht bestehende Interessenabwägung hat zum Ziel, dem Gericht zu ermöglichen, die im Einzelfall auf dem Spiel stehenden Interessen abzuwägen und von einer Ungültigerklärung der Ehe ausnahmsweise abzusehen, wenn das Interesse der immer noch minderjährigen Person an einer Aufrechterhaltung der Ehe höher wiegt als das der Eheungültigkeitsbestimmung zugrunde liegende Schutzinteresse.104 Dabei ist vom Grundsatz auszugehen, dass eine Verheiratung im Regelfall nicht den Interessen einer minderjährigen Person entspricht. Im Zweifelsfall ist die Ehe daher für ungültig zu erklären.105 Auch wenn die Interessenabwägung und die Möglichkeit der ausnahmsweisen Aufrechterhaltung einer Minderjährigenheirat verschiedentlich kritisiert wurden, insbesondere weil damit ein klares Signal gegen Minderjährigenheiraten verloren gehe und die Betroffenen damit aufgrund der potenziell belastenden Interessenabwägung nicht genügend geschützt seien, ist der Bundesrat nach wie vor der Ansicht, dass die Interessenabwägung und ausnahmsweise Aufrechterhaltung der Ehe bei minderjährigen Betroffenen beibehalten werden muss, um einen adäquaten Umgang mit im Ausland bereits gelebten ehelichen Beziehungen zu finden. Auch in der Vernehmlassung hat sich eine Mehrheit der Teilnehmenden für die Beibehaltung der Interessenabwägung ausgesprochen.106 Minderjährige Betroffene sind noch Kinder im Sinne der UNO-KRK. Dem Kindeswohl kommt nach Artikel 11 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)107 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 UNO-KRK bei Massnahmen, die Kinder betreffen, eine vorrangige Rolle zu. Danach sind Behörden bei ernsthaften Gefährdungen von Minderjährigen in erhöhtem Mass verpflichtet, von Amtes wegen Abklärungen zu treffen und unter besonderen Umständen die Reife des Kindes und seine Autonomie zu berücksichtigen.108 104

105 106 107 108

Begründet wurde die Einführung der Interessenabwägung 2013 vor allem auch mit der Europarats-Resolution 1468. Im Nationalrat lag ein Antrag auf Streichung der Interessenabwägung vor; dieser wurde aber nach einer intensiven Diskussion abgelehnt. Auch im Rahmen der vorliegenden Arbeiten wurde die Interessenabwägung mehrmals intensiv diskutiert.

Botschaft Zwangsheiraten, Ziff. 2.1, Art. 105.

Ergebnisbericht, Ziff. 4.4.1.

SR 101 KIENER/KÄLIN/WYTTENBACH, Grundrechte, § 37, Art. 11 BV N 9.

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Zwar hat das deutsche Bundesverfassungsgericht diese Prinzipien kürzlich in Bezug auf Personen, die im Eheschlusszeitpunkt das 16. Altersjahr noch nicht vollendet haben, infrage gestellt. Der Minderjährigenschutz stehe im Vordergrund und lasse typisierende Regeln zu, sodass eine Einzelfallprüfung nicht zwingend notwendig sei.

Ausserdem würde mit einer Interessenabwägung zum Ausdruck gebracht, dass solche Eheschliessungen nicht durchgängig für kindeswohlschädlich gehalten würden.109 Nach Ansicht des Bundesrates gebietet jedoch auch der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismässigkeit, dem bei Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen ­ wozu auch die Ehefreiheit gehört ­ besonderes Gewicht zukommt, ein Festhalten an der Interessenabwägung. Die Interessenabwägung wird in der Regel gerade nicht zur Aufrechterhaltung der Ehe führen. Die Streichung der Interessenabwägung würde aber der Verpflichtung, das individuelle Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen, zumindest in einzelnen Fällen zuwiderlaufen.110 Die Interessenabwägung kann und soll aber künftig nur in einem sehr beschränkten Bereich überhaupt zur Anwendung kommen: Nur bei betroffenen Personen, die im Beurteilungszeitpunkt zwar noch minderjährig sind, aber gleichzeitig das 16. Altersjahr vollendet haben, und sofern keine der beiden Personen im Eheschlusszeitpunkt Wohnsitz in der Schweiz hatte, soll zukünftig eine solche Interessenabwägung im Rahmen eines Eheungültigkeitsverfahrens überhaupt noch möglich sein (vgl.

Ziff. 4.2). Der Besorgnis in Bezug auf die Vornahme einer Interessenabwägung bei sehr jungen Betroffenen wird mit der vorgeschlagenen Regelung im IPRG Rechnung getragen. Auf diese Weise wird der Anwendungsbereich der Interessenabwägung mit dieser Vorlage wesentlich eingeschränkt und auf einen aus Sicht des Bundesrates aber zwingend notwendigen Bereich reduziert.

Was die Ehefähigkeit von unter 16-jährigen Personen betrifft, so herrscht zwar in der Schweiz wie zunehmend auch im europäischen Umfeld die Meinung vor, dass diese nicht gegeben ist.111 Bei Minderjährigenheiraten von Betroffenen, die im Zeitpunkt des Eheschlusses unter 16 Jahre alt waren, im Beurteilungszeitpunkt das 16. Altersjahr jedoch vollendet haben, auf eine Einzelfallprüfung und damit auf eine Prüfung der konkreten Situation, in der sich die
Betroffenen im Beurteilungszeitpunkt befinden, sowie auf eine Prüfung der Auswirkungen einer zwingenden Aufhebung der Ehe zu verzichten, wäre ebenfalls unverhältnismässig.112 Im Übrigen wird eine Verhältnismässigkeitsprüfung auch im Rahmen weiterer internationaler Übereinkommen wie des FZA und des EFTA-Übereinkommens verlangt. Würde die Interessenabwägung 109

Vgl. Beschluss Bundesverfassungsgericht Deutschland. Es gibt jedoch auch zahlreiche Befürworter der Einzelfallprüfung, insbesondere der Bundesgerichtshof, das Deutsche Institut für Menschenrechte, das Deutsche Komitee für UNICEF und das Deutsche Kinderhilfswerk. Ergänzend zu erwähnen ist, dass in Deutschland ­ im Unterschied zur Schweiz ­ das Familienasyl auch bei unwirksamer Ehe von Minderjährigen gewährt werden kann. Ebenso ist bei Personen, die im Eheschlusszeitpunkt 16 oder 17 Jahre alt sind, eine Einzelfallprüfung vorgesehen; vgl. Ziff. 3.5.

110 Hier kann auf die im Rahmen der durchgeführten Evaluation geprüften Urteile verwiesen werden, in denen die Interessenabwägung zur Aufrechterhaltung der Ehe geführt hat.

Die Durchsicht der Urteile macht deutlich, dass die Gerichte die jeweilige Situation eingehend geprüft und das jeweilige Ergebnis gut begründet dargelegt haben.

111 BREITENMOSER, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Art. 12 N 107 ff. vgl. zu dieser Frage auch Gutachten SIR, S. 34 m.w.H.

112 Vgl. auch WIDMER LÜCHINGER, FamPra, S. 798.

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gestrichen, könnten aufgrund der Tatsache, dass der Eheschluss unter 18 in zahlreichen EU- und EFTA-Staaten noch möglich ist, in Einzelfällen Rechte aus diesen Abkommen verletzt werden (vgl. Ziff. 7.2).

Anzufügen ist, dass zwar verschiedentlich vorgebracht wird, das Eheungültigkeitsverfahren und die Vornahme der Interessenabwägung durch das Gericht würden eine unzumutbare Belastung für die Betroffenen darstellen, insbesondere auch aufgrund von Druckversuchen seitens der Familien. Zu Belastungen eines gerichtlichen Verfahrens liegen wenige und auch uneinheitliche Erkenntnisse vor.113 Fest steht, dass es unter Umständen schwierig ist, die tatsächlichen Verhältnisse und den tatsächlichen Willen der Betroffenen zu eruieren, insbesondere dann, wenn sie sich im Ausland befinden und das Verfahren rechtshilfeweise zu führen ist (vgl. Ziff. 4.2.4).114 Es darf aber dennoch davon ausgegangen werden, dass die Gerichte über die nötige Erfahrung verfügen, diese notwendige Prüfung entsprechend vorzunehmen, wie dies der Gesetzgeber bereits anlässlich des Erlasses der Bestimmung (Art. 105 Ziff. 6 ZGB) erwogen hat.115 Von Bedeutung ist sicher auch, dass die notwendige Sensibilisierung bei den Zivilgerichten erfolgt. Wie erwähnt, darf der Verzicht auf die Ungültigerklärung der Ehe gestützt auf die Interessenabwägung nicht zum Regelfall werden, sondern muss stets eine Ausnahme bilden, die sorgfältig zu begründen ist. Auszugehen ist dabei von der Vermutung, dass die Aufrechterhaltung der Ehe nicht den Interessen der minderjährigen Person entspricht.116 In Zweifelsfällen ist die Ehe immer für ungültig zu erklären.

Auch das teilweise vorgebrachte Argument gegen die Interessenabwägung, dass die Eheleute nach Erreichen der Volljährigkeit einfach wieder heiraten könnten, ist in diesen Fällen nicht überzeugend, da die Ehe hier im Unterschied zu den im IPRG geregelten Situationen (Art. 45 Abs. 3 Bst. b E-IPRG; vgl. die Erläuterungen dazu) häufig bereits gelebt wurde. Eine Wiederverheiratung kann in den Bereichen, in denen Rechte an die Ehedauer geknüpft werden, mit Rechtsverlusten verbunden sein.

113

So der Beschluss Bundesverfassungsgericht Deutschland, Ziff. 145: Gelegentlich werde berichtet, Minderjährige könnten sich in einer vergleichbaren Druck- oder Beeinflussungssituation wie bei der Eheschliessung befinden. Sie müssten ihre Ehe verteidigen.

Im Herkunftsstaat sähen sie sich mit Schuldvorwürfen konfrontiert. Allerdings wird vom Landesjugendamt Bremen auch vorgebracht, es sei Wunsch der Betroffenen, ihre Sicht der Dinge in einem Verfahren einzubringen.

114 Wobei sich in Bezug auf die Beurteilung von Ehen im Asylbereich mit der neuen Regelung in den Art. 51 Abs. 1bis und 71 Abs. 1bis E-AsylG die Situation entschärfen wird, da das Verfahren erst durchgeführt wird, wenn beide Eheleute in der Schweiz anwesend sind.

115 Bereits bei der Verabschiedung der Bestimmung wurde in der parlamentarischen Diskussion festgehalten, dass ein Gericht in der Lage sei, diese mitunter anspruchsvolle Prüfung vorzunehmen; AB 2012 N 35 ff. und AB 2012 S 448 ff.

116 Stellungnahme des Bundesrates vom 1. Februar 2017 zur Motion Rickli 16.3916 «Verbot von Kinderehen»; Botschaft Zwangsheiraten, Ziff. 2.1., Art. 105.

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4.2.2.6

Prüfung des freien Willens und ausnahmsweise Aufrechterhaltung der Ehe bei volljährigen Betroffenen

Die Möglichkeit der Beibehaltung einer Einzelfalllösung ist umso wichtiger, wenn die betroffenen Personen im Zeitpunkt der gerichtlichen Beurteilung bereits volljährig sind. Sofern die betroffene Person im Rahmen des zivilgerichtlichen Verfahrens erklärt, an der Ehe festhalten zu wollen, und diese Erklärung aus der Sicht des Gerichts zweifelsfrei auf ihrem freien Willen beruht, erscheint eine Ungültigerklärung der Ehe äusserst problematisch, weil damit die verfassungsmässigen Rechte, namentlich die Ehefreiheit, verletzt würden. Eine Abwägung der Interessen im Einzelfall kommt nicht infrage, da die betroffene Person inzwischen volljährig und somit auch nach unserer Rechtsordnung ehemündig ist.117 Mit dieser Revision schlägt der Bundesrat daher vor, dass im Rahmen eines Eheungültigkeitsverfahren eine Ehe ausnahmsweise nicht für ungültig erklärt, sondern aufrechterhalten werden kann, wenn volljährige Betroffene erklären, aus freiem Willen an der Ehe festhalten zu wollen (vgl. Art. 105a Abs. 2 Ziff. 2 E-ZGB). Selbstverständlich ist dabei mit äusserster Sorgfalt abzuklären, ob die Erklärung tatsächlich auf dem freien Willen beruht. Insbesondere dann, wenn davon auszugehen ist, dass die betroffene Person nach einer Ungültigerklärung die Ehe sofort freiwillig wieder neu eingehen würde, erscheint eine Ungültigerklärung als unverhältnismässig und würde lediglich einen unnötigen administrativen Aufwand sowohl für die Betroffenen als auch für die damit befassten Behörden verursachen. Fehlt es dagegen an einer entsprechenden Erklärung der betroffenen Person, so hat das Gericht die Ehe für ungültig zu erklären. Diese Regelung trägt somit dem freien Willen inzwischen volljähriger Personen sowie praktischen Gesichtspunkten gleichermassen Rechnung.

In der Vernehmlassung wurde dazu von zahlreichen Teilnehmenden geltend gemacht, dass die betroffene Ehegattin oder der betroffene Ehegatte in diesen Fällen so gut wie immer an der Ehe festhalten möchte. Daher führe das vorgesehene gerichtliche Verfahren nur zu unnötigem administrativen Aufwand und Kosten.118 Vor diesem Hintergrund wäre denkbar, die Prüfung des freien Willens einer dem Gerichtsverfahren vorgelagerten Behörde ­ konkret der Meldebehörde oder der klageberechtigen Behörde im Kanton im Sinne von Artikel 106 ZGB ­ zu übertragen (vgl. zum System der Geltendmachung
Ziff. 1.1.4.2). Allerdings können mit einer im Ausland geschlossenen Ehe vorfrageweise ganz unterschiedliche Behörden befasst und damit Meldebehörden sein (vgl. Ziff. 4.1.1). Oftmals werden es Migrationsbehörden oder Aufsichtsbehörden im Zivilstandswesen sein. Es können jedoch auch ganz andere Behörden wie beispielsweise Sozialversicherungs- oder Steuerbehörden sein. Ob die Ehe auch im Erwachsenenalter aufrechterhalten werden soll, erfordert eine sorgfältige, umfassende Prüfung. Deshalb ist es wichtig, durch Ausgestaltung des Prüfverfahrens eine selbstbestimmte Entscheidung zur Fortführung der Ehe sicherzustellen,

117 118

BUCHER, AJP 2013, S. 1169.

Ergebnisbericht, Ziff. 3.3.1 f. und 4.4.2; vgl. zum Gegenvorschlag im IPRG Ziff. 4.1.3.

sowie die Ausführungen in Ziff. 4.2.2.3.

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sodass wirklich der freie Wille der Betroffenen eruiert werden kann.119 Es wäre daher problematisch, diese Prüfung jeder potenziell mit der Ehe befassten Behörde und damit den Meldebehörden zu überlassen (zu denselben Bedenken in Bezug auf eine umfassende Regelung im IPRG vgl. Ziff. 4.1.2.3). Auch mit der Aufgabe der klageberechtigten Behörde haben die Kantone unterschiedliche Behörden betraut. Es kann sich um Stellen in der kantonalen Verwaltung wie teilweise die Aufsichtsbehörden im Zivilstandswesen, um Staatsanwaltschaften oder sogar um eine Aufgabe der Gemeinde handeln.120 Der Bundesrat hat auch bereits in seinem Evaluationsbericht ausgeführt, dass die Prüfung des freien Willens (wie auch die Interessenabwägung) ausschliesslich durch das Gericht erfolgen soll, da ansonsten die Gefahr besteht, dass Entscheide vorweggenommen und die Rechte der Betroffenen verletzt werden. Aus diesem Grund sieht der Bundesrat davon ab, hier eine Anpassung vorzuschlagen.

Anzufügen ist, dass die Belastung der Gerichte mit solchen Fällen vermutlich nicht so gross sein wird, wie dies in der Vernehmlassung zum Teil befürchtet wurde. Unter Einbezug der vorgeschlagenen Neuregelung in Artikel 45 Absatz 3 Buchstabe b E-IPRG ist davon auszugehen, dass einige dieser Fälle bereits über eine Nichtanerkennung der Ehe abgehandelt werden wird («Sommerferienheiraten»; siehe dazu Ziff. 4.2.1.3). Weiter zeigt eine Analyse der vorliegenden Zahlen, dass sich die Zahl solcher Fälle in einem überblickbaren Bereich bewegen dürfte.121

4.2.2.7

Prozessuale Aspekte von Eheungültigkeitsverfahren bei Minderjährigkeit

Auch wenn namentlich mit der vorgesehenen Verschiebung der Heilung bis zur Vollendung des 25. Altersjahres (vgl. dazu Ziff. 4.2.2.3) künftig von einer leichten Zunahme der gerichtlichen Ungültigkeitsverfahren auszugehen ist, sieht der Bundesrat in prozessualer Hinsicht auch unter Einbezug des Vernehmlassungsergebnisses122 keinen Anpassungsbedarf: ­

119 120 121

122 123

Ein Eheungültigkeitsverfahren richtet sich sinngemäss nach den Vorschriften über die Scheidungsklage (Art. 294 ZPO). Eine Anerkennung der Ungültigkeitsklage ist nicht möglich.123 Bei der verschiedentlich bereits angesprochenen Herausforderung, die sich für die Gerichte im Rahmen der Vornahme der Interessenabwägung oder der Prüfung des freien Willens ergibt, ist sicher von So auch Beschluss Bundesverfassungsgericht Deutschland, Ziff. 181. Vgl. die Ausführungen bei der Interessenabwägung, Ziff. 4.2.2.5.

Evaluationsbericht, Ziff. 4.4.2.; RÜEFLI, Evaluationsbericht Vatter, S. 53.

Gemäss den Zahlen in Infostar wäre in Kantonen wie Zürich oder Genf, die zahlenmässig am meisten mit Fällen von Minderjährigenheiraten konfrontiert sind, mit durchschnittlich ungefähr 20 zusätzlichen Fällen pro Jahr zu rechnen. Über die nicht in Infostar registrierten Ehen kann keine Aussage erfolgen. Im zentralen Migrationsinformationssystem (ZEMIS) gibt es keine systematische Erfassung von Daten, die einen Rückschluss auf das Alter im Zeitpunkt der Eheschliessung zulassen. Beigezogen werden können auch die Angaben der Fachstelle Zwangsheirat, die für das Jahr 2021 in der ganzen Schweiz in rund 40 Fällen minderjährig verheiratete, aber mittlerweile volljährige Betroffene beraten hat (ob noch unter oder bereits über 25 Jahre, ist nicht bekannt).

Ergebnisbericht, Ziff. 5.2 und 5.6.

GEISER, Basler Kommentar, Art. 106 N 13.

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Bedeutung, dass die Eheleute getrennt befragt werden. Unter diesen Umständen macht die Durchführung einer Einigungsverhandlung in den Fällen von Minderjährigenheiraten keinen Sinn. Da die Bestimmungen zum Scheidungsverfahren nur sinngemäss anzuwenden sind (Art. 294 ZPO), ist ein Verzicht auf die Einigungsverhandlung nach ZPO bereits unter geltendem Recht möglich. Eine gesetzliche Anpassung ist nicht erforderlich.

­

Ein besonderes Augenmerk ist auf die Kostenverteilung im Verfahren zu richten. Zu beachten ist, dass aufgrund einer völkerrechtlichen Vorgabe einer betroffenen Person soweit immer möglich keine Kosten aufzuerlegen sind.124 Darüber hinaus lässt Artikel 107 ZPO, wonach das Gericht die Kosten in bestimmten Fällen nach Ermessen verteilen kann, bereits ausreichend Raum, um den unterschiedlichen Situationen gerecht zu werden.

­

In der Vernehmlassung wurde zudem vereinzelt gefordert, dass den minderjährigen Betroffenen zwingend eine Rechtsvertretung nach Artikel 299 ZPO zugeordnet werden müsse, und deren Bedeutung in diesen Fällen wurde betont.125 Die Eheungültigkeit kann zwar als höchstpersönliches Recht nur von der noch minderjährigen Person selber geltend gemacht werden,126 hinsichtlich allfälliger vermögensrechtlicher Folgen müssten aber die gesetzlichen Vertreter oder ein von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) ernannter Beistand oder eine ernannte Beiständin tätig werden. Die Eltern werden wohl zufolge der besonderen familiären Situation und eines möglichen Interessenkonflikts die Vertretung nicht wahrnehmen können, weshalb davon auszugehen ist, dass die Gerichte regelmässig eine Vertretung anordnen werden. Die Möglichkeit ist im geltenden Recht mit Artikel 299 ZPO gegeben, weshalb auch hier auf gesetzliche Anpassungen verzichtet wird.

4.2.3

Zusammenfassung der Fallkonstellationen

Minderjährigenheiraten werden je nach Fallkonstellation unterschiedlich geregelt. Für zwei bestimmte Konstellation soll neu eine Regelung im IPRG zur Anwendung kommen, womit einem zentralen Anliegen der Vernehmlassung Rechnung getragen wird.

Kern ist die allgemeine Nichtanerkennung der betroffenen Minderjährigenheiraten, womit diese keinerlei Wirkungen entfalten können, auch nicht ausnahmsweise (vgl.

Ziff. 4.2.1). Damit können in diesen klar erkennbaren Fällen unnötiger Aufwand und Kosten sowie belastende Situationen für die Betroffenen vermieden werden. Die restlichen Fallkonstellationen bedürfen aber zum Schutz der Betroffenen und zugunsten der Rechtssicherheit der Wirkungen, die mit der Regelung zur Ungültigkeit im ZGB vorgesehen sind. Diese sollen jedoch vorliegend angepasst und verbessert werden.

124

Artikel 32 der Istanbul-Konvention (SR 0.311.35) verbietet in Fällen von Zwangsheiraten, dass in zivilrechtlichen Verfahren eine unangemessene finanzielle Belastung der Betroffenen erfolgt.

125 Ergebnisbericht, Ziff. 5.2.

126 Botschaft Zwangsheiraten, Ziff. 1.3.2.3.

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Im Zusammenspiel von IPRG und ZGB ergibt sich für die einzelnen Fälle damit folgendes Vorgehen: ­

Hat eine Ehegattin oder ein Ehegatte im Zeitpunkt der Eheschliessung Wohnsitz in der Schweiz und hat eine der Personen in diesem Zeitpunkt das 18. Altersjahr noch nicht vollendet, so wird die Ehe nicht anerkannt (vgl. Art. 45 Abs. 3 Bst. b E-IPRG). Solche Ehen entfalten in der Schweiz keine Rechtswirkungen. Auf diese Weise soll insbesondere der Schutz der Betroffenen vor «Sommerferienheiraten» verbessert werden.

Für alle anderen Konstellationen von Minderjährigenheiraten (sog. «reine Auslandsehen») ergibt sich folgendes Vorgehen: ­

Hat mindestens eine Person im Beurteilungszeitpunkt das 16. Altersjahr noch nicht vollendet, so wird die Ehe ebenfalls nicht anerkannt. Betroffene, die das 16. Altersjahr noch nicht vollendet haben, sollen durch eine Nichtanerkennung besser geschützt werden. Ein Ungültigkeitsverfahren für die sehr jungen Betroffenen entfällt (vgl. Art. 45 Abs. 3 Bst. a E-IPRG).

­

Haben beide Eheleute im Beurteilungszeitpunkt das 16. Altersjahr vollendet, und ist mindestens eine der Personen immer noch minderjährig, so soll wie bisher von Amtes wegen ein Eheungültigkeitsverfahren durchgeführt werden. Die Ehe wird im Regelfall für ungültig erklärt. Das Gericht kann die Ehe aber ausnahmsweise aufrechterhalten, wenn dies den überwiegenden Interessen der noch minderjährigen Person entspricht (Interessenabwägung; vgl. Art. 105a Abs. 2 Ziff. 1 E-ZGB).

­

Sind beide Eheleute bereits volljährig und hat diejenige Person, die minderjährig verheiratet wurde, das 25. Altersjahr im Beurteilungszeitpunkt (und bis zum Zeitpunkt der Klageeinreichung; Art. 106 Abs. 3 E-ZGB) noch nicht vollendet, so findet von Amtes wegen ein Eheungültigkeitsverfahren statt. Die Ehe wird im Regelfall für ungültig erklärt. Das Gericht kann die Ehe ausnahmsweise aufrechterhalten, wenn dies dem freien Willen der minderjährig verheirateten Person entspricht (vgl. Art. 105a Abs. 2 Ziff. 2 E-ZGB).

­

Haben beide Eheleute das 25. Altersjahr vollendet, so ist die Eheungültigkeit geheilt. Die Einreichung einer Ungültigkeitsklage ist ab jenem Zeitpunkt nicht mehr möglich (vgl. Art. 105a Abs. 1 und Art. 106 Abs. 3 E-ZGB).

4.2.4

Ausländer- und Asylrecht

4.2.4.1

Ausländer und Integrationsrecht

Mit der Vorlage entstehen neu vermehrt Fälle von nicht anerkannten Ehen (Art. 45 Abs. 3 E-IPRG). Zudem werden mit der Verschiebung der Heilung die Ungültigkeitsverfahren nach Artikel 105a E-ZGB voraussichtlich zunehmen. Damit erhöht sich auch die Zahl der Fälle, in denen eine Meldung und Sistierung vorzunehmen ist (vgl.

Ziff. 1.1.4.4). Die mit dem Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten

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eingeführte Sistierung soll beibehalten werden.127 Dennoch sollte bei der Durchführung der zivilprozessualen Verfahren darauf geachtet werden, dass diese einer so weit wie möglich zügigen Behandlung zugeführt werden können.

Grundsätzlich sind die ausländerrechtlichen Folgen bei einer Nichtanerkennung der Ehe sowie bei deren Ungültigkeit gleich. In allen Fällen muss das Gesuch um Familiennachzug abgelehnt werden, da die Voraussetzungen einer durch die Schweiz anerkannten Ehe nicht erfüllt sind (Art. 42­45 und 85 Abs. 7 AIG). Die Einreise in die Schweiz wird nicht bewilligt. Zu den Folgen, wenn sich die Betroffenen bereits in der Schweiz befinden, kann auf die Ausführungen zum geltenden Recht verwiesen werden (vgl. Ziff. 1.1.4.4).

Aufgrund der Neuregelung der Ungültigkeitsgründe im ZGB sind im AIG einzig die Verweise entsprechend anzupassen.

4.2.4.2

Asylrecht

Mit den vorgeschlagenen Neuregelungen im IPRG und im ZGB sollen auch die Regeln in den Verfahren um Familiennachzug aus dem Ausland im Asylrecht (Art. 51 Abs. 4 AsylG) geändert werden. Neu sollen die Meldung gemäss Artikel 106 ZGB und die Sistierung des Verfahrens erst erfolgen, nachdem die nachzuziehende Ehegattin oder der nachzuziehende Ehegatte in die Schweiz eingereist ist.128 Durch die Verschiebung des Zeitpunkts der Heilung einer Minderjährigenheirat von der Volljährigkeit auf die Vollendung des 25. Altersjahres ist mit einem Anstieg der Meldungen von Minderjährigenheiraten durch das SEM zu rechnen. Durch die in Artikel 51 Absatz 1bis vierter Satz E-AsylG vorgesehene Änderung soll sowohl dem Schutzgedanken, der Artikel 51 AsylG unter anderem zugrunde liegt, nämlich dass die Angehörigen vor etwaiger Reflexverfolgung zu bewahren sind, als auch dem Kindeswohl Rechnung getragen werden. Da sich eine Sistierung des Verfahrens bezüglich der Ehegattin oder des Ehegatten grundsätzlich nicht auf das Verfahren bezüglich allfälliger Kinder erstreckt, wäre andernfalls eine gesonderte Einreise der Kinder zu prüfen, was wiederum Fragen im Hinblick auf das Kindeswohl aufwirft. Der Verzicht auf die Meldung einer Minderjährigenheirat und auf die Sistierung des Verfahrens, solange sich eine der Personen noch im Ausland befindet, soll analog in Verfahren über die vorübergehende Schutzgewährung gelten (Art. 71 Abs. 1bis Satz 4 E-AsylG).

Befinden sich beide Eheleute in der Schweiz, so erfolgen eine Meldung gemäss Artikel 106 ZGB an die zuständige Behörde und die Sistierung des Verfahrens auf Familienasyl.

Auch im Bereich des Asylrechts sind grundsätzlich die Folgen einer Nichtanerkennung und einer Ungültigerklärung der Ehe gleich. In allen Fällen wird das Gesuch um Familienasyl abgelehnt. Im Falle der Nichtanerkennung (Art. 45 Abs. 3 E-IPRG) erfolgt ein direkter Entscheid des SEM, es schliessen sich keine Meldung und kein Ungültigkeitsverfahren an, womit auch die Sistierung nicht zum Tragen kommt. Be127 128

Botschaft Zwangsheiraten, Ziff. 1.3.4.

Dieses Anliegen wurde in der Vernehmlassung geltend gemacht; Ergebnisbericht, Ziff. 5.5.

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findet sich diesfalls die Ehegattin oder der Ehegatte bereits in der Schweiz oder wurde die Ehe für ungültig erklärt, so ist stets zu prüfen, ob ein Vollzug der Wegweisung zulässig, zumutbar und möglich ist. Dies gilt bei noch minderjährigen Personen genau gleich wie bei bereits volljährig gewordenen Betroffenen. Den noch minderjährigen Ehegattinnen und Ehegatten kommt aber generell die Behandlung als unbegleitete Minderjährige zu (vgl. dazu Ziff. 1.1.4.4).

Aufgrund der Neustrukturierung der Ungültigkeitsgründe im ZGB sind zusätzlich die Verweise im AsylG entsprechend anzupassen.

4.2.5

Parallele Anpassungen im Partnerschaftsgesetz

Da der Eheungültigkeitsgrund nicht nur im ZGB, sondern auch im Partnerschaftsgesetz vom 18. Juni 2004 (PartG)129 vorgesehen ist, sind ­ obwohl keine entsprechenden Fälle bekannt sind130 ­ die vorliegend vorgeschlagenen Anpassungen auch im Partnerschaftsgesetz nachzuvollziehen.131 Dies betrifft einzig die Bestimmungen zur Ungültigkeit einer eingetragenen Partnerschaft zufolge Minderjährigkeit sowie das Übergangsrecht. Daneben gelten die Bestimmungen über die Anerkennung und Ungültigerklärung einer Ehe im internationalen Privatrecht (Art. 45 und 45a IPRG) sinngemäss auch für die eingetragene Partnerschaft. Gleiches gilt für die Regelungen im Asyl- und Ausländerrecht, die auch auf eingetragene Partnerschaften Anwendung finden (Art. 52 i. V. m. Art. 50 AIG und Art. 79a AsylG), weshalb hier keine weiteren Anpassungen erforderlich sind.

4.2.6

Keine Zustimmungsmöglichkeit zur Verlobung von Minderjährigen

In der Vernehmlassung wurde verschiedentlich geltend gemacht, dass die gesetzlich ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit der Verlobung Minderjähriger mit Zustimmung der Eltern (Art. 90 Abs. 2 ZGB) ein Problem darstelle. Es würden viele Minderjährige in eheähnlichen Zeremonien nach Brauch verlobt. Dieser Schritt werde in einigen Gemeinschaften als verbindlich und nur sehr schwer wieder auflösbar betrachtet. Damit sei die Verlobung faktisch eine Umgehungsmöglichkeit des Ehemündigkeitsalters von 18 Jahren.132 Im Rahmen der Beratung der Revision des ZGB «Ehe für alle» hatte die RK-N eine parlamentarische Initiative eingereicht, mit welcher die Aufhebung des Verlöbnisrechts im ZGB verlangt worden war.133 Die Artikel 90­93 ZGB sollten ersatzlos 129 130 131

SR 211.231 Evaluationsbericht, Ziff. 3.1.

Zwar können künftig in der Schweiz keine neuen Partnerschaften mehr begründet werden (vgl. Revision ZGB «Ehe für alle»; BBl 2020 9913; die neuen Bestimmungen sind am 1. Juli 2022 in Kraft getreten), aber das PartG gilt noch für eine gewisse Zeit weiter und ist entsprechend zu revidieren.

132 Ergebnisbericht, Ziff. 5.3.

133 Pa.Iv. 19.496 der RK-N «Aufhebung des Verlöbnisrechts», zurückgezogen am 19. November 2021.

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gestrichen werden. Die Initiative wurde damit begründet, dass die gesetzlichen Bestimmungen zum Verlöbnis in der Praxis nicht mehr relevant, gesellschaftlich überholt sowie in Bezug auf das Problem der Minderjährigenheiraten (Art. 90 Abs. 2 ZGB) sogar kontraproduktiv seien. Die Rechtskommission des Ständerates (RK-S) hatte wegen der nach wie vor bestehenden gesellschaftlichen Bedeutung der Verlobung die Streichung der Bestimmungen aber abgelehnt.134 Das Eingehen eines Verlöbnisses ist höchstpersönlicher Natur, löst aber nach geltendem Recht nur Verpflichtungen für die Minderjährigen aus, wenn die gesetzliche Vertretung dem Eingehen zustimmt (Art. 90 Abs. 2 ZGB). Wenn eine urteilsfähige minderjährige Person dieses eingegangen ist, wird aber die eigentliche Gültigkeit des Verlöbnisses dadurch nicht tangiert. Eine Auflösung des Verlöbnisses kann damit ebenfalls nur von der urteilsfähigen minderjährigen Person selbst ohne Mitwirkung der gesetzlichen Vertretung vorgenommen werden.135 Mit einer Streichung des Zustimmungserfordernisses finden künftig die allgemeinen Regelungen über die Ausübung von Rechten von Minderjährigen (Art. 17­19c ZGB) Anwendung.136 Festzuhalten ist, dass die vom Gesetzgeber mit der vorgesehenen Zustimmung der Eltern bezweckte Schutzfunktion im Bereich der Minderjährigenheiraten offensichtlich ins Leere geht. Dagegen kommt der Streichung von Artikel 90 Absatz 2 ZGB aber eine sehr wichtige symbolische Bedeutung zu. Mit einer Streichung können der Schutz der Betroffenen und die Signalwirkung, dass eine minderjährige Person nicht verlobt werden soll, verstärkt werden. Damit kann auch Zwangsverlobungen entgegengewirkt werden.

4.2.7

Verzicht auf eine Strafbestimmung bei Verletzung des Voraustrauungsverbots

Im Zusammenhang mit Minderjährigenheiraten und vor allem mit Zwangsheiraten werden auch religiöse Eheschliessungen vor der Ziviltrauung immer wieder thematisiert.137 Solche religiösen Heiraten können für die Betroffenen je nach Situation ebenfalls bindender und wichtiger erscheinen als die Ziviltrauung.

Artikel 97 Absatz 3 ZGB verankert ausdrücklich das Primat der Ziviltrauung. Religiöse Eheschliessungen vor der Ziviltrauung dürfen in der Schweiz nicht durchgeführt werden und entfalten als solche auch keine Rechtswirkungen. Die Frage nach der Legitimation dieses Voraustrauungsverbots wurde vor mehr als 20 Jahren im Rahmen der parlamentarischen Beratung zur Scheidungsrechtsrevision intensiv diskutiert, wobei dessen Streichung erwogen, aber schlussendlich verworfen wurde. Gestrichen wurde jedoch die zugehörige Strafnorm, welche vorsah, dass diejenigen Personen, die 134 135 136 137

Medienmitteilung der RK-S vom 23. Februar 2021.

FANKHAUSER, Basler Kommentar, N 20 zu Art. 19.

Vgl. zum Ganzen auch: HUWILER/ EGGEL, Basler Kommentar, N 15 ff. zur Art. 90.

Jüngst Anlass zu Diskussionen gaben insbesondere die Vorfälle im Haus der Religionen in Bern, wo es in der dortigen Moschee zu religiösen Zwangstrauungen unter Verletzung des Primats der Ziviltrauung (Art. 97 Abs. 3 ZGB) gekommen ist, abrufbar unter: www.srf.ch > news > Zwangsheiraten - verbotene Trauungen im Haus der Religionen vom 16. November 2022.

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eine solche religiöse Voraustrauung vor der Ziviltrauung vornehmen, mit Busse bestraft werden. In der Folge haben sich sowohl die RK-N wie auch der Bundesrat zufolge zweier Vorstösse aus dem Jahr 2017 erneut zum Voraustrauungsverbot geäussert und dessen Notwendigkeit aufgrund seiner Schutzfunktion insbesondere vor Zwangsheiraten deutlich bejaht.138 Die gestrichene Strafnorm stand nicht zur Debatte.

In der Vernehmlassung wurde von einigen Teilnehmenden die Problematik der religiösen Voraustrauung auch und gerade bei Minderjährigen angesprochen und die Frage aufgeworfen, ob hier nicht wiederum eine Strafbestimmung geschaffen werden sollte. Es sei hier weitere Sensibilisierung notwendig. Das entsprechende Wissen sei bei vielen religiösen Würdenträgern und auch bei Beratungsstellen nicht immer vorhanden. Es werde daher angeregt, zu prüfen, inwiefern dem Primat der Ziviltrauung in der Umsetzung Nachachtung durch Überprüfung, Kontrollmechanismen, Sensibilisierung und Information verschafft werden könne.139 Der Bundesrat hat geprüft, ob die Verletzung des Voraustrauungsverbots erneut mit Strafe belegt werden sollte. Er ist jedoch zum Schluss gekommen, dass darauf zu verzichten ist. Strafrechtliche Normen sind im Zusammenhang mit Minderjährigen- und Zwangsheiraten problematisch und eine Kriminalisierung kann sogar unerwünschte bzw. gegenteilige Effekte haben.140 Ausserdem wäre die Schaffung einer Strafbestimmung mit verschiedenen Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden. Unklar ist zum einen der Begriff der Trauung, womit die Schärfe des Tatbestandes nicht gegeben wäre.

Weiter wäre eine Durchsetzung der Strafbestimmung für die zuständigen Behörden aufwendig und nicht einfach, da solche religiösen Zeremonien oder Trauungen regelmässig auch ausserhalb von einschlägigen Institutionen wie beispielsweise Kirchen, Versammlungsräumlichkeiten, Moscheen usw. stattfinden. Aus diesen Gründen erachtet der Bundesrat eine Strafbestimmung auch heute nicht als zielführend, weil mutmasslich vorab symbolisch. Der Weg über die Sensibilisierung und Aufklärung der Verantwortlichen religiöser Gemeinschaften erscheint sinnvoller und zielführender.

Das Eidgenössische Amt für Zivilstandswesen (EAZW) stellt diesbezüglich bereits Informationen zur Verfügung.141

138

Mo. 17.3693 Page «Aufhebung des Verbots, eine religiöse Eheschliessung vor der Ziviltrauung durchzuführen» mit zugehöriger Stellungnahme des Bundesrates vom 8. November 2017 und pa.Iv. 17.470 Zanetti «Keine Diskriminierung religiöser Eheschliessungen»; Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) vom 5. Juli 2018.

139 Ergebnisbericht, Ziff. 5.4.

140 So auch die Fachstelle Zwangsheirat.

141 Merkblatt EAZW «Religiöse Eheschliessung durch Verantwortliche religiöser Gemeinschaften in der Schweiz (Stand: 1. Februar 2012), abrufbar unter: www.bj.admin.ch > Gesellschaft > Zivilstandswesen > Merkblätter > Ehe.

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4.3

Übergangsrecht

4.3.1

Im ZGB

Artikel 2 Schlusstitel ZGB sieht übergangsrechtlich allgemein vor, dass zwingende Rechtssätze des neuen Rechts wegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses oder einer neuen Bewertung einer rechtsethisch, sozial- oder ordnungspolitisch wichtigen Frage unbedingt auch auf altrechtliche Sachverhalte Anwendung finden sollen.

Die Revision der bestehenden Eheungültigkeitsbestimmung der Minderjährigkeit verfolgt auch die Verwirklichung öffentlicher Interessen.

Im Rahmen dieser Revision soll ­ obwohl der Sachverhalt nicht abgeschlossen ist respektive die Ehe noch andauert ­ ausdrücklich vorgesehen werden, dass alle Ehen, die mit bei der Heirat minderjährigen Personen geschlossen wurden, unabhängig davon, ob diese Heirat vor oder nach Inkrafttreten der neuen Bestimmungen stattfand, unter dem neuen Recht beurteilt werden, sodass vor Erreichen des 25. Altersjahres der betroffenen Personen von Amtes wegen Klage einzuleiten ist (vgl. Art. 7a Abs. 1 Schlusstitel E-ZGB).

Eine Ausnahme von der Einleitung des Verfahrens von Amtes wegen soll vorgesehen werden für diejenigen Ehepaare, bei denen beide Eheleute im Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Bestimmungen das 18. Altersjahr bereits vollendet haben (vgl.

Art. 7a Abs. 2 Schlusstitel E-ZGB). Da in diesen Fällen die Behörden nach geltendem Recht nicht mehr gehalten sind, zu melden und eine Klage einzureichen, soll es vermieden werden, dass mit dem Inkrafttreten des neuen Rechts die Behörden zwingend aktiv nach solchen Fällen suchen müssen. In diesen Fällen soll im Unterschied zum Vorentwurf zwar kein Vorgehen von Amtes wegen mehr erfolgen, zumindest soll aber der betroffenen Person, die das 18., aber noch nicht das 25. Altersjahr erreicht hat, die Möglichkeit gegeben werden, die Klage vor Vollendung des 25. Altersjahrs einzureichen. Zwar wird dadurch das System durchbrochen, die Klage primär von Amtes wegen einzuleiten, das ja auch zum Schutz und zur Entlastung der betroffenen Personen gelten soll. Im Sinne eines Kompromisses zwischen Vertrauensschutz und Schutz der Betroffenen erscheint dies aber sachgerecht.

4.3.2

Im IPRG

Die Anerkennung einer im Ausland geschlossenen Ehe im Sinne von Artikel 45 Absatz 1 IPRG erfordert keinen Anerkennungsakt. Die Ehe ist automatisch als gültig anzusehen, wenn die Anerkennungsvoraussetzungen erfüllt sind, eine Ungültigkeitsklage nach den Artikeln 105­109 ZGB vorbehalten (Art. 45a IPRG; vgl. Ziff. 1.1.3).

Die Gültigkeit tritt somit im Ergebnis mit der vollzogenen Eheschliessung ein. Eine derart gültig entstandene Ehe muss aus Gründen der Rechtsicherheit Bestand haben und soll nicht durch eine nachträgliche Gesetzesänderung wieder aufgehoben werden können. Der neue Artikel 45 Absatz 3 Buchstabe b E-IPRG soll daher nur für Ehen gelten, die nach seinem Inkrafttreten geschlossen wurden.

Bei Artikel 45 Absatz 3 Buchstabe a E-IPRG erscheint es hingegen gut vertretbar, die Regelung auch auf Ehen anzuwenden, die vor ihrem Inkrafttreten geschlossen wurden. Wie bereits ausgeführt, kann bereits das geltende Recht dahin ausgelegt werden, 52 / 72

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dass Ehen, bei denen eine Person noch unter 16 Jahre alt ist, weitgehend die Anerkennung zu versagen ist (vgl. Ziff. 1.1.4.1). Die Rückwirkung der Regelung auf zuvor geschlossene Ehen beschränkt sich damit im Wesentlichen auf die vorübergehend entfallende Möglichkeit eines Eheungültigkeitsverfahrens.

4.4

Umsetzungsfragen

Die vorgeschlagenen Änderungen bestehender Bundesgesetze bedürfen keiner weiteren Umsetzung auf Verordnungsstufe. Notwendig werden aber punktuelle Anpassungen in den Weisungen zum AIG und zum AsylG142 und allenfalls der Weisungen des EAZW143 sowie möglicherweise weiterer Wegleitungen oder Informationen der verschiedenen Behörden.

Die Anwendung der neuen Bestimmungen in den Kantonen wird über die bestehenden Behörden und insbesondere die Gerichte erfolgen. Diesen kommt beim Vollzug des neuen Rechts eine zentrale Rolle zu. Die Revision bedingt als solche keine zwingenden Anpassungen in der kantonalen Gesetzgebung. Ob durch die Umsetzung des neuen Rechts Anpassungen in den Kantonen notwendig werden, ist kantonal unterschiedlich.

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

5.1

Zivilgesetzbuch

Art. 90 Abs. 2 Die bisherige Regelung zum Verlöbnis von Minderjährigen, wonach das Eingehen eines Verlöbnisses für die Minderjährigen nur Verpflichtungen auslöst, wenn die gesetzliche Vertretung dem Eingehen zustimmt, soll aufgehoben werden. Damit finden in Zukunft die allgemeinen Regeln in Bezug auf die Ausübung von Rechten von Minderjährigen (Art. 17­19c ZGB) Anwendung. Mit der Streichung sollen der Schutz der Betroffenen und die Signalwirkung, dass eine minderjährige Person nicht verlobt werden soll, verstärkt werden; damit soll auch Zwangsverlobungen entgegengewirkt werden (vgl. dazu Ziff. 4.2.6).

Art. 105 Randtitel, Einleitungssatz und Ziff. 6 Der Eheungültigkeitsgrund der Minderjährigkeit war bis anhin unter den sogenannt unbefristeten Eheungültigkeitsgründen eingeordnet (Art. 105 Ziff. 6 ZGB; im französischen Text «causes absolues», im italienischen «nullità assoluta»).

Die Bezeichnung als Ungültigkeit anstelle von Nichtigkeit machte deutlich, dass eine Ehe bei Vorliegen eines Ungültigkeitsgrundes in allen Fällen auf Klage hin vom zuständigen Gericht für ungültig erklärt werden kann (für den französischen und italie142 143

www.sem.admin.ch > Publikationen und Service > Weisungen und Kreisschreiben.

www.bj.admin.ch > Gesellschaft > Zivilstandswesen > Weisungen.

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nischen Text siehe sogleich).144 Diese Eheungültigkeitsgründe können grundsätzlich jederzeit geltend gemacht werden, und es hat die klageberechtigte Behörde am Wohnsitz der Eheleute von Amtes wegen zu klagen.

Da der Eheungültigkeitsgrund der Minderjährigkeit sowohl bis anhin (Erreichen der Volljährigkeit; Art. 105 Ziff. 6 ZGB) als auch inskünftig (Vollendung des 25. Altersjahres; Art. 105a Abs. 1 E-ZGB) aber eine Befristung bezüglich Geltendmachung beinhaltet, passt die Bezeichnung als unbefristete Ungültigkeit nicht. Entgegen der im Vorentwurf vertretenen Auffassung, wonach von einer «Ungültigkeit von Amtes wegen» gesprochen werden sollte, soll künftig die Bezeichnung der Ungültigkeitsgründe derjenigen im französischen («causes absolues») und italienischen («nullità assoluta») Gesetzestext angeglichen werden. Wie bis anhin wird damit lediglich im Sinne einer rein redaktionellen Änderung die Bezeichnung angepasst. Demzufolge wird neu der Begriff «absolute Ungültigkeitsgründe» verwendet. Die Ungültigkeitsgründe nach Artikel 105 ZGB (und künftig auch Art. 105a E-ZGB) unterscheiden sich von denjenigen nach Artikel 107 ZGB nach wie vor insbesondere dahingehend, dass sie von Amtes wegen geltend gemacht werden müssen. Das schliesst selbstverständlich nicht aus, dass auch jedermann ­ auch eine Ehegattin oder ein Ehegatte ­ Klage einreichen kann (Art. 106 Abs. 1 ZGB). Am bisherigen System der Geltendmachung soll nichts geändert werden. Diese Bezeichnung wird im geltenden Recht derjenigen der befristeten Ungültigkeit von Artikel 107 ZGB gegenübergestellt, die nur von der betroffenen Ehegattin oder vom betroffenen Ehegatten selbst geltend gemacht werden kann. Diese Ungültigkeit soll neu ebenfalls in Angleichung an den französischen und italienischen Gesetzestext mit «relative Ungültigkeitsgründe» bezeichnet werden. Die französische und die italienische Fassung erfahren gegenüber dem geltenden Recht entgegen dem Vorentwurf diesbezüglich keine Anpassung. Weiter bedingt die Einführung des neuen Artikels 105a E-ZGB, dass die bisherigen in Artikel 105 ZGB verbleibenden Ungültigkeitsgründe als «allgemeine Gründe» bezeichnet werden.

Ebenso wird der Einleitungssatz angepasst, um eine Parallelität zwischen den Bestimmungen von Artikel 104 und 105 ZGB sowie 105a E-ZGB zu erreichen.

Im französischen Text soll bei
den anzupassenden Gesetzesbestimmungen grundsätzlich von «annulation», «cause d'annulation» und «action en annulation» gesprochen werden. Damit wird bezogen auf alle Eheungültigkeitsgründe verdeutlicht, dass nicht eine Ungültigkeit von Gesetzes wegen besteht, sondern diese gerichtlich festgestellt werden muss (vgl. Ziff. 1.1.4.2). Der Begriff der «nullité», der nach wie vor vereinzelt verwendet wird, ist jedoch nicht als falsch zu werten. Die bestehenden Bestimmungen, die in diesem Zusammenhang «nullité» verwenden, jedoch mit der vorliegenden Revision nicht angepasst werden, können demnach belassen werden. Im italienischen Text wird weiterhin von «nullità» gesprochen.

Zu Ziff. 6: Mit der Schaffung einer eigenständigen Regelung des Ungültigkeitsgrundes der Minderjährigkeit in einem neuen Artikel 105a E-ZGB kann die bisherige Regelung aufgehoben werden.

144

GEISER, Basler Kommentar, Art. 105 N 1.

54 / 72

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Art. 105a Abs. 1 Mit der neuen Bestimmung wird in Absatz 1 der Grundsatz ausgedrückt, dass eine Ehe ungültig ist, wenn eine Ehegattin oder ein Ehegatte zur Zeit der Eheschliessung minderjährig war und im Zeitpunkt der Klageeinreichung (so auch Art. 106 Abs. 3 E-ZGB) das 25. Altersjahr noch nicht vollendet hat. Der Begriff der Minderjährigkeit knüpft an die Artikel 14 und 94 ZGB an und meint damit Personen, die das 18. Altersjahr noch nicht vollendet haben.145 Dies gilt auch im internationalen Kontext entsprechend. Für die Anwendung der Bestimmung ist damit sowohl das Alter im Zeitpunkt der Eheschliessung wie das Alter bei Klageeinreichung zu berücksichtigen.

Wird die minderjährig verheiratete Person 25 Jahre alt, so heilt die Ungültigkeit, und eine Berufung darauf ist nicht mehr möglich. Sofern die Klage damit vor Vollendung des 25. Altersjahres der betroffenen Person eingeleitet wurde (Art. 106 Abs. 3 E-ZGB), tritt die Heilung während des Verfahrens nicht ein.

Die neue Altersgrenze von 25 Jahren entspricht beispielsweise der Altersgrenze, die in Artikel 97 Absatz 2 StGB (Verfolgungsverjährung bei sexuellen Handlungen mit Kindern) oder auch im Sozialhilferecht146 und im Krankenversicherungsrecht vorgesehen ist.147 Diese gebräuchliche Altersgrenze entspricht dem Sinn und Zweck der Bestimmung, nämlich den Betroffenen genügend Zeit zu geben, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Die Evaluation hat ausserdem gezeigt, dass minderjährig verheiratete Personen heute oftmals mit einer Einreise in die Schweiz zuwarten, bis sie knapp 18 Jahre alt sind, damit der Ungültigkeitsgrund nicht mehr angerufen werden kann.148 Mit einer Verschiebung des Zeitpunkts der Heilung um sieben Jahre in die Zukunft kann auch mit solchen Konstellationen besser umgegangen werden: Die Zeitspanne von sieben Jahren ist ausreichend lange, um zu verhindern, dass mit der Einreise «gerade noch» zugewartet wird.

Schliesslich ist daran zu erinnern, dass die Berufung auf die übrigen Ungültigkeitsgründe ­ zu denken ist insbesondere an die Zwangsheirat nach Artikel 105 Ziffer 5 ZGB ­ unter allen Umständen möglich bleibt. Dies gilt, wenn die betroffene Person das 25. Altersjahr noch nicht erreicht hat, aber auch danach. Insbesondere dann, wenn die minderjährig verheiratete Person tatsächlich zwangsverheiratet wurde und auch bewusst
eine strafrechtliche Verfolgung der Täter und Täterinnen angestrebt wird,149 ist eine Klage gestützt auf Artikel 105 Ziffer 5 ZGB einzureichen.

Art. 105a Abs. 2 Ziff. 1 Eine Ehe, bei der mindestens eine Person zur Zeit der Eheschliessung minderjährig war, ist nach dem Grundsatz ungültig und daher für ungültig zu erklären. Ausnahmsweise kann das Gericht aber in zwei Konstellationen zum Schluss kommen, dass an

145 146

GEISER, Basler Kommentar, N 21 zu Art. 105.

Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS), Grundlagenpapier «Junge Erwachsene in der Sozialhilfe», 2021.

147 Art. 16a des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (SR 832.10), wobei eine Person dort aber bis und mit 25 Jahren als junge Erwachsene gilt.

148 Evaluationsbericht, Ziff. 4.3.2.

149 Vgl. Art. 181a StGB. In Art. 66a Abs. 1 Bst. g StGB ist zudem eine obligatorische Landesverweisung vorgesehen.

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der Ehe festzuhalten ist, was im Ergebnis zu einer Abweisung der Ungültigkeitsklage führt.

Sofern die minderjährig verheiratete Ehegattin oder der minderjährig verheiratete Ehegatte im Zeitpunkt der Klageeinreichung und bis zum Urteilszeitpunkt immer noch minderjährig ist, kann die Ehe nur für gültig erklärt werden, wenn deren Weiterführung den überwiegenden Interessen der minderjährigen Ehegattin oder des minderjährigen Ehegatten entspricht (Interessenabwägung). Wird die betroffene Person dagegen vor dem Urteilszeitpunkt volljährig, so liegt ein Anwendungsfall von Ziffer 2 vor.

Das Gericht muss im Rahmen dieser Interessenabwägung wie bisher die im konkreten Einzelfall auf dem Spiel stehenden Interessen abwägen. Neben dem öffentlichen Interesse (allgemeines Interesse des Schutzes der Minderjährigen vor einer Verheiratung sowie auch der Bekämpfung unentdeckter Zwangsheiraten) ist auch das individuelle Schutzinteresse der betroffenen Person zu berücksichtigen. Dieses hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, so etwa vom Grad der Minderjährigkeit und der individuellen Reife der betroffenen Person sowie vom Altersunterschied zwischen den Eheleuten. In die Abwägung einzubeziehen sind zudem besondere Umstände, die aus der Sicht der betroffenen Person für eine Aufrechterhaltung der Ehe sprechen.150 In die Gesamtbeurteilung einzufliessen haben auch Umstände wie eine Schwangerschaft oder das Vorhandensein gemeinsamer Kinder. Solche Umstände alleine können jedoch nicht für die Aufrechterhaltung der Ehe sprechen.151 Damit in einer Gesamtbeurteilung aber überhaupt die Gültigkeit der Ehe resultieren kann, muss die betroffene Person selber aus freiem Willen an der Ehe festhalten wollen. Dieser freie Wille ist sorgfältig zu ermitteln und muss zweifelsfrei feststehen, da die Gefahr besteht, dass die minderjährige Ehegattin oder der minderjährige Ehegatte unter Druck gesetzt wird. Gerade wenn Betroffene im Eheschlusszeitpunkt sehr jung und damit unter 16 Jahre alt waren (im Beurteilungszeitpunkt aber das 16. Altersjahr vollendet haben, ansonsten Art. 45 Abs. 3 Bst. a E-IPRG Anwendung findet), ist sehr sorgfältig zu prüfen, ob nicht eine Zwangssituation vorlag. Im Zweifelsfall ist die Ehe auch hier stets für ungültig zu erklären.

In der Vernehmlassung wurde ganz vereinzelt auch gefordert, dass die Ausnahmegründe
im Gesetz aufzunehmen und Kriterien aufzulisten seien.152 Mit den neu zusätzlich vorgesehenen Anpassungen in Artikel 45 Absatz 3 E-IPRG werden bereits konkrete Konstellationen von der Interessenabwägung ausgenommen, nämlich zum einen die noch sehr jungen Betroffenen. Zum anderen können damit insbesondere die sehr stossenden «Sommerferienheiraten» klar ausgeschieden werden. Für die übrigen Minderjährigenheiraten, die im Ausland geschlossen wurden, muss die Interessenabwägung anwendbar bleiben. In diesem Sinne wird darauf verzichtet, im Gesetz konkrete Kriterien aufzunehmen. Entscheidend ist ganz generell, dass bei der Interessenabwägung stets alle relevanten Umstände einbezogen werden.

150 151

Botschaft Zwangsheiraten, S. 2217.

Vgl. auch Europarats-Resolution 2233 vom 28. Juni 2018 «Forced marriage in Europe», Ziff. 31, wonach eine Schwangerschaft nicht für die generelle Aufrechterhaltung der Ehe sprechen dürfe.

152 Ergebnisbericht, Ziff. 4.4.1.

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Zu berücksichtigen ist im Rahmen der Interessenabwägung die teilweise äusserst spezielle Situation von Flüchtlingen: Erfahrungen im Ausland zeigen, dass es offenbar Fälle gibt, in denen die minderjährige Ehefrau von ihrem Ehemann getrennt wurde, obwohl es keine Anzeichen dafür gab, dass die Ehe den Interessen der Ehefrau zuwiderlaufen würde und auch hinsichtlich eines gemeinsamen Kindes keine Bedenken betreffend die Erziehungsfähigkeit beider Eheleute bestanden hatte. Bei der Trennung solcher Paare im Flüchtlingskontext wurde beobachtet, dass die Trennung vom Eheleuten und der damit einhergehende alleinige Verbleib der Ehefrau in einem Flüchtlingslager bei den Betroffenen Depressionen und negative psychosoziale Auswirkungen bis hin zu Suizidversuchen ausgelöst haben.153 Auch in diesen Fällen ist stets der Einzelfall zu beurteilen und genau zu prüfen, ob ein Aufrechterhalten der Ehe oder deren Ungültigkeit den Interessen und dem Schutz der Betroffenen im konkreten Fall am meisten entspricht. Mit den Anpassungen im Asylgesetz und der Sistierung der Verfahren auf Familienasyl erst, wenn beide Personen in der Schweiz anwesend sind (vgl. Ziff. 4.2.4), wird den Gerichten diese Prüfung noch besser ermöglicht. Wie der Bundesrat bereits im Evaluationsbericht ausgeführt hat,154 ist ebenfalls wichtig, dass die Interessenabwägung ausschliesslich durch das zuständige Zivilgericht vorgenommen wird. Zufolge des gesetzlich vorgesehenen Systems der Geltendmachung der Eheungültigkeit (vgl. Ziff. 1.1.4.2 und 4.2.2.5) ist die jeweils klageberechtige Behörde verpflichtet, Klage einzureichen, ohne das mögliche Resultat der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Diese darf von ihr nicht vorweggenommen werden.

Weiter kann beispielsweise folgende Konstellation für eine Aufrechterhaltung der Ehe sprechen: Zwei Personen heiraten in Italien, die Ehefrau ist bei der Heirat 17, der Ehemann 20 Jahre alt. Er findet eine Anstellung in der Schweiz und will seine Ehefrau unter Bezugnahme auf das FZA nachziehen. Im Rahmen des von Amtes wegen eingeleiteten Ungültigkeitsverfahrens vor dem Zivilgericht führen beide aus, dass sie die Ehe aus Liebe und vollkommen freiwillig eingegangen sind, und diese Ausführungen sind für das Gericht glaubwürdig. In einem solchen Fall wäre es nicht zielführend, die Ehe für ungültig zu erklären und je
nach Situation aufwendige Scheidungsfolgen (Art. 109 Abs. 2 ZGB) zu regeln, wenn davon auszugehen ist, dass das gleiche Paar mit der Volljährigkeit der Ehefrau die Ehe sofort wieder schliessen würde.

Betrifft nur den französischen Text: Bei der Interessenabwägung wird nicht mehr von «intérêt supérieur», sondern im Sinne einer Angleichung an die Terminologie des ZGB von «intérêt prépondérant» gesprochen. Dabei handelt es sich um eine rein redaktionelle Anpassung.

Art. 105a Abs. 2 Ziff. 2 Sind die Betroffenen bei Klageeinreichung bereits volljährig oder werden sie im Laufe des gerichtlichen Verfahrens volljährig, so ist im Hinblick auf die Möglichkeit, die Ehe aufrechtzuerhalten, die Erklärung ihres freien Willens im Rahmen des Verfahrens 153

MAX-PLANCK-INSTITUT, Frühehe, S. 771 f.; Auch Terre des Femmes weist darauf hin, dass das Zusammenleben mit einem dem Mädchen oder der Frau vertrauten Mann für deren Wohl wichtig sein könne, Beschluss Bundesverfassungsgericht Deutschland, Ziff. 94.

154 Evaluationsbericht, Ziff. 4.4.3.

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vor Zivilgericht ausschlaggebend. Die Personen sind volljährig und könnten sich auch in der Schweiz jederzeit verheiraten. Eine Interessenabwägung durch die Behörde kommt deshalb für bereits ehemündige Personen nicht infrage; vielmehr ist in diesen Fällen das Recht auf Selbstbestimmung in Bezug auf die Eheschliessung und damit der freie Wille der betroffenen Personen zu beachten. Massgebend ist dabei der Wille der als minderjährig verheirateten Person, an der Ehe festzuhalten. Waren bei der Heirat beide Personen minderjährig und sind sie nun beide volljährig geworden, aber noch nicht 25 Jahre alt, so kann die Ehe nur aufrechterhalten werden, wenn beide vor Gericht erklären, aus freiem Willen an der Ehe festhalten zu wollen.

Wiederum von Bedeutung ist, dass ein Gericht prüft, ob die im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens geäusserte Erklärung auch dem tatsächlichen freien Willen der betroffenen Ehegattin oder des betroffenen Ehegatten entspricht (vgl. Ziff. 1.1.4.2 und 4.2.2.5).155 Aufgrund der Tatsache, dass die Betroffenen unter dem Einfluss naher Familienangehöriger stehen können und unter Umständen Druck und Bedrohungen ausgesetzt sind, ist es wichtig, dass ein Gericht die Parteieinvernahmen durchführt und die Betroffenen getrennt anhört.

Art. 106 Randtitel, Abs. 1 erster Satz und zweiter Satz (betrifft nur den französischen Text) sowie Abs. 3 zweiter Satz Der erste Satz dieser Bestimmung, die die Ungültigkeitsklage regelt, wird redaktionell angepasst, damit die Bestimmung auch für sich alleine betrachtet verständlicher ist.

Ebenso wird die Marginalie neu nummeriert.

Betrifft nur den französischen Text: Im französischen Text erfolgt im zweiten Satz eine Umformulierung, damit der Begriff «nullité» ersetzt werden kann.

Absatz 3 wird um einen Satz ergänzt: Die Anwendung der Eheungültigkeit nach Artikel 105a E-ZGB ist nur möglich, solange die betroffene, als minderjährig verheiratete Person, im Zeitpunkt der Klageeinreichung das 25. Altersjahr noch nicht vollendet hat. Massgebend ist hier die Rechtshängigkeit (Art. 62 ZPO). Es kann also nur geklagt werden, bevor die betroffene Person das 25. Altersjahr vollendet hat.

Art. 107 Randtitel Die bis anhin befristeten Ungültigkeitsgründe («causes relatives» oder «nullità relativa») von Artikel 107 ZGB sollen, in Ergänzung zur einleitend ausgeführten
Umbenennung der Ungültigkeitsgründe in Artikel 105 E-ZGB (Randtitel), neu als «relative Ungültigkeitsgründe» bezeichnet werden und damit dem französischen und italienischen Text angeglichen werden. Es handelt sich um eine redaktionelle Anpassung.

Sowohl die französische wie die italienische Fassung müssen nicht revidiert werden.

Betrifft nur den französischen Text: Der Randtitel unter I. wird im Sinne einer redaktionellen Anpassung von «cas» auf «causes» geändert.

155

Evaluationsbericht, Ziff. 4.4.3.

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Art. 108 Abs. 1 Die Bestimmung betrifft die Klagemöglichkeit bei den Ungültigkeitsgründen, die in Artikel 107 ZGB geregelt sind, also neu die relativen Ungültigkeitsgründe. Die Anpassung besteht einzig darin, dass der Satzteil «oder seit dem Wegfall der Drohung» gestrichen wird. Vor dem Erlass des Bundesgesetzes über Massnahmen gegen Zwangsheiraten wurden Zwangsheiraten über einen befristeten Eheungültigkeitsgrund in Artikel 107 Ziffer 4 aZGB erfasst. Mit der Streichung dieser Bestimmung per 1. Juli 2013 wurde der Satzteil in Artikel 108 Absatz 1 ZGB überflüssig und hätte bereits damals gestrichen werden sollen; dies soll mit dieser Revision nachgeholt werden. Damit ist keine Rechtsänderung verbunden.

Schlusstitel Art. 7a Im Grundsatz sollen alle Minderjährigenheiraten, denen nicht gestützt auf die Neuregelung im IPRG die Anerkennung versagt wird (vgl. Art. 45 Abs. 3 E-IPRG) und bei denen die Betroffenen im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Revision das 25. Altersjahr noch nicht erreicht haben, unter das neue Recht und damit unter den Eheungültigkeitsgrund von Artikel 105a E-ZGB fallen ­ unabhängig davon, ob die Ehe vor oder nach Inkrafttreten der Revision geschlossen wurde.

Vorgesehen ist jedoch eine abweichende Lösung bei Ehen, bei denen die betroffenen Personen im Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits das 18., aber noch nicht das 25. Altersjahr vollendet haben. Diesfalls müssten die Behörden nach geltendem Recht zufolge Heilung nicht mehr tätig werden. Auch gemäss der übergangsrechtlichen Regelung sollen sie daher nicht aktiv nach entsprechenden Fällen suchen müssen. Dennoch soll aber den Betroffenen eine Möglichkeit zur Verfügung gestellt werden, sich auf die Ungültigkeit der Ehe gemäss dem neuen Eheungültigkeitsgrund der Minderjährigkeit zu berufen. Vorgesehen wird daher, dass einzig der minderjährig verheirateten Person bis zum Erreichen des 25. Altersjahrs ein Klagerecht zukommt.

Wurde allerdings ein gerichtliches Eheungültigkeitsverfahren gestützt auf Artikel 105 Ziffer 6 ZGB durchgeführt und kam das Gericht in einem nunmehr rechtskräftigen Entscheid zum Schluss, die Ehe sei aufrechtzuerhalten, so ist unabhängig von der Begründung auf die Einmaligkeit und die Beständigkeit des Rechtsschutzes hinzuweisen. Nur in den engen Schranken der Revision (Art. 328­333 ZPO) kann auf den Entscheid
zurückgekommen werden. Ansonsten steht hier für die Betroffenen insbesondere der Weg über die Scheidung offen. Dabei dürfte es sich in der Praxis um sehr seltene Fälle handeln, da bis anhin kaum Urteile vorliegen.

Auf hängige Verfahren in der ersten oder der zweiten Instanz soll der neue Eheungültigkeitsgrund Anwendung finden.

Schlusstitel Art. 7abis Der bisherige Artikel 7a Schlusstitel wird zufolge der Umnummerierung zum Artikel 7abis Schlusstitel.

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Schlusstitel Art. 7abis Randtitel Zufolge der neu geschaffenen Übergangsbestimmung von Artikel 7a Schlusstitel ist der bisherige Artikel 7a neu Artikel 7abis und damit muss auch der Randtitel neu bezeichnet werden.

5.2

Ausländer- und Integrationsgesetz

Art. 45a erster Satz und Art. 85 Abs. 8 erster Satz In diesen Bestimmungen wird der bisherige Verweis auf Artikel 105 Ziffer 6 ZGB angepasst. Zu beachten ist, dass bei dieser Bestimmung allfälliger Koordinationsbedarf mit der hängigen Gesetzesvorlage 20.063156 besteht, die ihrerseits unter anderem eine Anpassung von Artikel 85 AIG vorschlägt.

5.3

Asylgesetz

Art. 51 Abs. 1bis erster und vierter Satz und Art. 71 Abs. 1bis erster und vierter Satz In diesen Bestimmungen wird der bisherige Verweis auf Artikel 105 Ziffer 6 ZGB angepasst. Zudem wird vorgesehen, dass die Meldung und damit die Sistierung der Verfahren auf Familienasyl erst erfolgen darf, wenn beide Eheleute in der Schweiz anwesend sind.

Die Gewährung von Familienasyl setzt voraus, dass eine der beiden Personen die Flüchtlingseigenschaft in der Schweiz erlangt hat und folglich in der Schweiz anwesend ist. Als Gesuchsteller in asylrechtlichen Familiennachzugsverfahren gilt die Ehegattin oder der Ehegatte im Ausland. Die in der Schweiz wohnhafte Person reicht das Gesuch in Vertretung ein. Ist die in der Schweiz wohnhafte Ehegattin oder der in der Schweiz wohnhafte Ehegatte minderjährig, so erfolgt dies über die gesetzliche Vertreterin oder den gesetzlichen Vertreter, im Fall unbegleiteter Minderjähriger über die eingesetzte Beistand- oder Vormundschaft (vgl. Art. 7 Abs. 2quater AsylV 1157). Die Sistierung und Meldung sollen aufgeschoben werden, unabhängig davon, ob die minderjährig verheiratete Person oder die allenfalls bereits volljährige Person sich in der Schweiz befindet. Der Zweck der Meldung und Sistierung erst nach der Einreise ­ also der Schutz vor Reflexverfolgung und das Vermeiden von Verfahrensverzögerungen ­ greift in beiden Konstellationen. Befinden sich dann beide Eheleute in der Schweiz, erfolgt eine Meldung gemäss Artikel 106 ZGB an die zuständigen Behörden. Das gleiche Vorgehen gilt neu ebenso für Zwangsheiraten im Sinne von Artikel 105 Absatz 5 ZGB.

Mit Ausnahme der Gültigkeit der Ehe prüft das SEM aber bei der Frage, ob überhaupt eine Einreisebewilligung gewährt wird, vorweg so weit wie möglich, ob die Familienzusammenführung in der Schweiz aus anderen Gründen allenfalls zu verweigern 156

Ausländer- und Integrationsgesetz. Änderung, abrufbar unter: www.parlament.ch > Ratsbetrieb > Curia Vista > 20.063.

157 Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 über Verfahrensfragen, SR 142.311.

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ist. Ein asylrechtlicher Familiennachzug aus dem Ausland kommt ohnehin nur dann in Betracht, wenn die Familie durch die Flucht getrennt wurde (Art. 51 Abs. 4 AsylG).

Eine Einreisebewilligung wird daher nur erteilt, wenn die Beziehung bereits zum Zeitpunkt der Flucht bestand und gelebt wurde. Bei nachträglich eingegangenen Beziehungen ist ein Einbezug in die Flüchtlingseigenschaft und die Gewährung von Familienasyl gemäss Artikel 51 Absatz 1 AsylG nur möglich, wenn sich beide Eheleute bereits in der Schweiz aufhalten. Heiratet ein in der Schweiz anerkannter Flüchtling eine minderjährige Person im Ausland, kommt zudem Artikel 45 Absatz 3 Buchstabe b E-IPRG zum Tragen.

Betrifft nur den französischen Text: Der Wortlaut dieser Bestimmungen wird jeweils im ersten Satz redaktionell der deutschen Fassung «während des Asylverfahrens» bzw. während des «Verfahrens zur vorübergehenden Schutzgewährung» angeglichen.

5.4

Partnerschaftsgesetz

Art. 9, 9a, 9b, 10 und 37b Die vorgeschlagenen Änderungen des Partnerschaftsgesetzes sind das Pendant zu den vorgeschlagenen Änderungen in den Artikeln 105, 105a, 106 Absätze 1 und 3, 107 und Schlusstitel Artikel 7a E-ZGB. Dementsprechend kann auf die vorstehenden Erläuterungen verwiesen werden. Partnerschaften mit Minderjährigen sind zwar bisher keine bekannt. Trotzdem ist es aus Kohärenzgründen erforderlich, die entsprechenden Bestimmungen im Partnerschaftsgesetz anzupassen. In Artikel 9 wird die Reihenfolge der Buchstaben im Sinne der Parallelität dem ZGB angepasst.

Betrifft nur den französischen Text: In Artikel 9 werden zudem redaktionelle Anpassung gegenüber dem geltenden Recht vorgenommen.

5.5

Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht

Art. 45 Abs. 1 Der bestehende Artikel 45 Absatz 1 IPRG soll um einen neuen Satz ergänzt werden, wonach Artikel 45a IPRG vorbehalten bleibt. Damit soll lediglich klargestellt werden, was bereits heute gilt: Die Anerkennung einer im Ausland geschlossenen Ehe schliesst eine Ungültigkeitsklage in Bezug auf diese nicht aus. Diese Tatsache wird in der Diskussion zur Anerkennung von Ehen des Öfteren übersehen.

Artikel 45a IPRG wurde in seiner heutigen Form mit der Revision im Jahr 2013 eingefügt und soll sicherstellen, dass die schweizerischen Bestimmungen über die Ungültigerklärung einer Ehe auch im internationalen Verhältnis greifen, sofern ein genügender Bezug zur Schweiz gegeben ist.158 Der neue Artikel 105a E-ZGB wird von dieser Bestimmung miterfasst.

158

Botschaft Zwangsheiraten, Ziff. 1.3.2.2.

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Art. 45 Abs. 3 Bst. a Diese Bestimmung enthält die Neuregelung des internationalen Privatrechts (vgl.

Ziff. 4.2.1.2), wonach Ehen, bei denen mindestens eine Person noch unter 16 ist, nicht anerkannt werden. Massgebend ist wie dargelegt das Alter im Beurteilungszeitpunkt.

Die Nichtanerkennung bedeutet im Ergebnis, dass die Ehe aus schweizerischer Sicht keine Rechtswirkungen entfaltet und sich eine Ungültigerklärung im Sinne von Artikel 45a IPRG erübrigt. Mit Vollendung des 16. Altersjahres wird die Ehe dann nachträglich gültig und es kommt der Eheungültigkeitsgrund nach Artikel 105a E-ZGB zum Tragen. Eine Ungültigerklärung pro futuro vor Vollendung des 16. Lebensjahres ist nicht vorgesehen. Ist vor Inkrafttreten der neuen Nichtanerkennungsbestimmung bereits ein Verfahren auf Ungültigerklärung hängig, kann dieses jedoch zu Ende geführt werden (Art. 199b zweiter Satz E-IPRG).

Das oben Ausgeführte gilt auch für den Fall des Vorliegens einer Zwangsheirat. Mit der klaren Nichtanerkennung der Ehe ist die betroffene Ehegattin oder der betroffene Ehegatte ausreichend geschützt. Ein Eheungültigkeitsverfahren zufolge Zwangs (Art. 105 Ziff. 5 ZGB) könnte sich dann nach Vollendung des 16. Altersjahres anschliessen. Strafrechtliche Sanktionen bleiben selbstverständlich vorbehalten.

Wie alle Bestimmungen des IPRG steht auch Artikel 45 Absatz 3 Buchstabe a E-IPRG unter dem Vorbehalt (abweichender) staatsvertraglicher Bestimmungen (Art. 1 Abs. 2 IPRG).159 Art. 45 Abs. 3 Bst. b Diese Bestimmung enthält die Regelung (vgl. Ziff. 4.2.1.3), wonach Ehen, die mit einer unter 18-jährigen Person geschlossen wurden und bei denen gleichzeitig mindestens eine Person Wohnsitz in der Schweiz hatte, ebenfalls nicht anerkannt werden.

Auch hier gelangen Artikel 45a IPRG und damit auch die Artikel 105­109 ZGB nicht zur Anwendung, selbst bei Vorliegen einer Zwangsverheiratung, was wie gesagt eine einschlägige Strafanzeige nicht ausschliesst.

Anders als bei Artikel 105a E-ZGB wird vorliegend von der Verwendung des Begriffs «minderjährig» abgesehen, da die Volljährigkeitsgrenze im Staat der Eheschliessung eine andere sein kann als in der Schweiz. Stattdessen wird klar das 18. Altersjahr als massgebend bezeichnet.

Artikel 45 Absatz 3 Buchstabe b E-IPRG stellt eine Ergänzung zum bestehenden Artikel 45 Absatz 2 IPRG dar, der für
gewisse Konstellationen ebenfalls die Nichtanerkennung einer im Ausland geschlossenen Ehe vorsieht. Anders als bei jener Bestimmung wird aber keine Absicht zur Umgehung der schweizerischen Bestimmungen über die Ehegültigkeit vorausgesetzt. Ebenso wenig ist Voraussetzung, dass beide Eheleute ihren Wohnsitz in der Schweiz hatten.

In Artikel 45 Absatz 3 Buchstabe b E-IPRG sollen nur bestimmte Konstellationen von Eheschliessungen im Ausland wie beispielsweise die erwähnten «Sommerferienheiraten» erfasst werden. Der massgebende Anknüpfungspunkt ist hier der Wohnsitz.

159

Für die Prüfung der Fälle, die unter das FZA oder das EFTA-Übereinkommen fallen: Vgl. Ziff. 7.2.2.

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Die Staatsangehörigkeit ist anders als in Absatz 2 ohne Belang. Es gilt hier der Wohnsitzbegriff von Artikel 20 IPRG, welcher im Grundsatz auf den Wohnsitzbegriff von Artikel 23 ZGB zurückgreift. Somit können beispielsweise auch Asylsuchende, die ein Asylbegehren eingereicht haben und nicht sofort weggewiesen wurden, sich mit der Absicht dauernden Verbleibens in der Schweiz aufhalten und hier ihren Lebensmittelpunkt haben, und dadurch einen schweizerischen Wohnsitz erwerben.160 Kann einer Person aufgrund ihres jungen Alters kein Wohnsitz zugeschrieben werden, ist auf ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe b abzustellen (Art. 20 Abs. 2 IPRG).161 Den Eheleuten muss es freistehen, nach Erreichen der Volljährigkeit wieder zu heiraten. Die Wiederverheiratung bewirkt keine Heilung der nicht anerkannten ersten Ehe, sodass dieser weiterhin keine Rechtsfolgen zukommen. Die Frage der möglichen Wiederverheiratung der betroffenen Eheleute in der Schweiz bei einem hinkenden Rechtsverhältnis stellt sich bereits nach geltendem Recht, womit auf die bestehende Praxis verwiesen werden kann.

Wie alle Bestimmungen des IPRG steht auch Artikel 45 Absatz 3 Buchstabe b E-IPRG unter dem Vorbehalt (abweichender) staatsvertraglicher Bestimmungen (Art. 1 Abs. 2 IPRG).162 Art. 199a Die Artikel 196­199 IPRG regeln übergangsrechtliche Fragen in Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des IPRG am 1. Januar 1989. Nach der Auffassung im Schrifttum gelten sie sinngemäss auch für jede Änderung des IPRG.163 Gemäss dem Bundesgericht164 können sie zumindest als Ausdruck der Regeln in den Artikeln 1­4 Schlusstitel ZGB herangezogen werden, welche als allgemeine Rechtsgrundsätze gelten.

Artikel 199a E-IPRG soll diese sinngemässe Geltung nun ausdrücklich festhalten und damit die logisch notwendige Basis für den nachfolgenden Artikel 199b E-IPRG schaffen. Die Bestimmung wurde aus der im Parlament hängigen Gesetzesvorlage 20.034165 übernommen und es besteht Koordinationsbedarf.

Art. 199b Diese Bestimmung enthält die Übergangsbestimmung zu Artikel 45 Absatz 3 Buchstabe a E-IPRG. Die Regel, wonach Ehen, bei denen mindestens eine Person noch unter 16 ist, in der Schweiz nicht zu anerkennen sind, soll auch für vor ihrem Inkrafttreten geschlossene Ehen gelten. Damit können auch diese Ehen nach Inkrafttreten der
Revision nicht mehr angefochten werden. Eine Klage auf Ungültigerklärung nach Artikel 105a ZGB ist erst zulässig, wenn die betreffende Person das 16. Lebensjahr 160 161 162

STAEHELIN, Basler Kommentar, N 19 zu Art. 25.

Vgl. WIDMER LÜCHINGER, Zürcher Kommentar, N 30 zu Art. 20.

Für die Prüfung der Fälle, die unter das FZA oder das EFTA-Übereinkommen fallen: Vgl. Ziff. 7.2.2.

163 TRÜTEN, Zürcher Kommentar, N 2 zu Vorbem. zu 196­199.

164 BGE 145 III 109, E. 5.4.

165 Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht. Änderung, abrufbar unter: www.parlament.ch > Ratsbetrieb > Curia Vista > 20.034.

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vollendet hat. Der zweite Satz von Artikel 199b E-IPRG sieht allerdings eine Ausnahme für bereits hängige Verfahren auf Ungültigerklärung vor. Diese können ungeachtet der Rechtsänderung zu Ende geführt werden. Es erscheint wenig sinnvoll, ein Verfahren einzustellen, das kurze Zeit später (nach Vollendung des 16. Lebensjahres) wieder neu eingeleitet werden müsste.

Artikel 45 Absatz 3 Buchstabe b ist hier bewusst ausgenommen (vgl. Ziff. 4.3.2).

Diese Bestimmung soll erst für Ehen gelten, die nach ihrem Inkrafttreten geschlossen wurden. Auf entsprechende Ehen, die vorher geschlossen wurden, gelangt dafür aber der neue Artikel 105a ZGB zur Anwendung (Art. 7a E-SchlT ZGB).

6

Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund

Die Vorlage hat keine finanziellen und personellen Auswirkungen auf den Bund.

6.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

In den Kantonen dürften die Anpassungen beim Eheungültigkeitsgrund der Minderjährigkeit zu einer Zunahme der Eheungültigkeitsverfahren führen, da der Anwendungsbereich der Bestimmung der Eheungültigkeitsregeln erweitert wird (Heilung erst mit Vollendung des 25. Altersjahrs). Im Ergebnis ist gerade gewünscht, dass mehr Minderjährigenheiraten für ungültig erklärt werden können. Damit wird sich der Administrativaufwand für die Meldebehörden (insb. die Migrationsbehörden und Zivilstandsämter) und für die klageberechtigte Behörde wie letztlich für die Zivilgerichte zwar erhöhen. Die Auswirkungen der Revision auf den Arbeitsaufwand dieser Behörden lässt sich jedoch nicht beziffern. Schwierig abzuschätzen ist insbesondere, in welchem Ausmass die Revision die Gerichte zusätzlich belasten wird. Mit den beigezogenen Zahlen aus Infostar sowie denjenigen der Fachstelle Zwangsheirat ist davon auszugehen, dass sich die Zunahme der Fälle in einem überschaubaren Bereich halten wird (vgl. Ziff. 4.2.2.6). Weil mit den neuen Regelungen gewisse Minderjährigenheiraten generell (insb. «Sommerferienheiraten») oder zumindest zeitlich begrenzt (vor dem 16. Altersjahr) nicht mehr anerkannt werden, wird sich die Zunahme weiter reduzieren.

6.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Der Vorentwurf hat keine direkten Auswirkungen auf die Volkswirtschaft.

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6.4

Auswirkungen auf die Gesellschaft

Die Verhinderung, die vermehrte Nichtanerkennung und die verbesserte Auflösungsmöglichkeit von Ehen, die mit minderjährigen Personen geschlossen werden, sowie der stärkere Schutz der Betroffenen haben einen positiven Effekt auf die Gesellschaft.

So steigen beispielsweise dadurch die Bildungschancen der Betroffenen.

Da in der Mehrheit Mädchen und Frauen als Minderjährige verheiratet werden (vgl. Ziff. 1.1.2.3 m.w.H.) und damit von der vorliegend angestrebten Revision am stärksten betroffen sein dürften, kommen die vermehrten Nichtanerkennungen von Ehen und die verbesserte Möglichkeit, sich mittels Eheungültigkeit aus einer ungewollten Ehe zu lösen, und damit die genannten positiven Effekte insbesondere diesen Frauen und Mädchen zu. Die Massnahmen gegen Minderjährigenheiraten stärken damit in einem weiteren Sinne auch die Gleichstellung zwischen Frau und Mann.

6.5

Auswirkungen auf die Umwelt

Die Vorlage hat keine Auswirkungen auf die Umwelt.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 122 Absatz 1 BV, wonach die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts Sache des Bundes ist. Weiter stützt sie sich auf die Artikel 54 und 121 BV, wonach auch die Gesetzgebung im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten sowie im Ausländer- und Asylbereich Sache des Bundes ist.

Die Verfassungsmässigkeit wird mit den vorgeschlagenen Anpassungen im IPRG und der dortigen Nichtanerkennungstatbestände von Ehen zufolge Ordre-public-Widrigkeit oder Verstosses gegen die öffentliche Ordnung gewährleistet (vgl. Ziff. 4.2). Bei den Regelungen im ZGB wird sie insbesondere durch die vorgeschlagene Heilungsmöglichkeit und die vorgesehene Möglichkeit, die Ehe im Einzelfall aufrechterhalten zu können, gewährleistet (vgl. Ziff. 4.2.2).

7.2

Vereinbarkeit mit dem Freizügigkeitsabkommen

7.2.1

Ungültigerklärung von Ehen, die mit minderjährigen Personen geschlossen werden

Wie der Bundesrat bereits im Jahr 2011166 erläutert hat, regeln das FZA und das EFTA-Übereinkommen nicht direkt privatrechtliche Aspekte, doch können privatrechtliche Regelungen die Freizügigkeitsrechte des FZA und des EFTA-Übereinkommens beeinträchtigen. Dies trifft namentlich zu, wenn eine in einem EU- oder 166

Botschaft Zwangsheiraten, Ziff. 5.3.

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EFTA-Staat geschlossene oder anerkannte Ehe in der Schweiz für ungültig erklärt wird. Die Ungültigerklärung nimmt der Ehegattin oder dem Ehegatten die Möglichkeit, das Recht auf Freizügigkeit auszuüben, welches ihr oder ihm gemäss dem FZA oder dem EFTA-Übereinkommen zusteht (Art. 7 Bst. d FZA und Art. 3 Anhang I FZA bzw. Art. 7 Bst. d Anhang K und Art. 3 Anhang K, Anlage 1 EFTA-Über-einkommen). Die Einschränkung dieses Rechts und die Ungültigerklärung einer Ehe mit einer minderjährigen Person kann jedoch gestützt auf ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt sein unter dem Vorbehalt, dass die Ungültigerklärung solcher Ehen nicht eine unverhältnismässige Massnahme darstellt (Art. 5 Anhang I FZA bzw.

Art. 5 Anhang K Anlage 1 EFTA-Übereinkommen). Es ist folglich in jedem Fall eine Interessenabwägung vorzunehmen, wobei bei dieser mitzuberücksichtigen ist, ob «nur [ein] geringes individuelles Schutzinteresse, etwa aufgrund einer baldigen Volljährigkeit oder eines hohen Reifegrades der minderjährigen Person» besteht. Zu berücksichtigen sind auch «besondere Umstände, [...] die für die Aufrechterhaltung der Ehe sprechen». Unter diesen Bedingungen wurde Artikel 105 Ziffer 6 ZGB, selbst wenn er bestimmte Beschränkungen der Freizügigkeit zur Folge hat, im Jahr 2011 als mit dem FZA und dem EFTA-Übereinkommen vereinbar angesehen, da er den Behörden genügend Spielraum für diese Interessenabwägung lässt.

Artikel 105 Ziffer 6 ZGB wird nun durch Artikel 105a E-ZGB ersetzt. Die neue Bestimmung ermöglicht die Ungültigerklärung einer Ehe, die mit einer minderjährigen Person geschlossen wurde, auch dann, wenn die Eheleute bei der Einreise in die Schweiz und der Unterstellung unter das Schweizer Recht die Volljährigkeit erreicht haben (bis zum 25. Altersjahr). Da der neue Artikel 105a E-ZGB nicht mehr nur für minderjährige, sondern auch für mittlerweile volljährige Betroffene gilt, schränkt er die Rechte der EU- oder EFTA-Angehörigen stärker ein als das geltende Recht.

Die neue Regelung kann jedoch als vereinbar mit dem FZA und dem EFTA-Übereinkommen qualifiziert werden, da ein öffentliches Interesse ­ ein mit der neuen Regelung verstärkter Schutz der Betroffenen vor Minderjährigenheiraten bzw. die weitestmögliche Verhinderung solcher Heiraten ­ verfolgt wird und auch die Verhältnismässigkeit gewahrt
wird. Wie weiter oben festgehalten (vgl. Ziff. 1.1.5), vermag eine Beibehaltung der geltenden Bestimmungen ­ dies als weniger restriktive Massnahme ­ die Minderjährigen nicht ausreichend zu schützen.

Die Ungültigerklärung einer Ehe von Eheleuten, die bereits volljährig sind oder während des Zivilverfahrens volljährig werden, ist bei Personen, die in den Anwendungsbereich des FZA und des EFTA-Übereinkommens fallen, aber ebenfalls wie in allen übrigen Fällen nur möglich, wenn nicht ein Anwendungsfall von Artikel 105a Absatz 2 Ziffer 2 E-ZGB vorliegt: Sind die betroffenen Personen bereits beide volljährig geworden, so erklärt das Gericht die Ehe nur für ungültig, wenn die volljährig gewordene betroffene Ehegattin oder der volljährig gewordene betroffene Ehegatte (bis zum Alter von 25 Jahren) erklärt, nicht mehr an der Ehe festhalten zu wollen oder allenfalls eine Zwangsheirat im Sinne von Artikel 105 Ziffer 5 ZGB vorliegt.

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7.2.2

Nichtanerkennung von Ehen, die im Ausland mit minderjährigen Personen geschlossen wurden

Artikel 45 Absatz 3 E-IPRG sieht vor, dass eine im Ausland geschlossene Ehe nicht anerkannt wird, solange nicht beide Eheleute das 16. Altersjahr vollendet haben (Bst. a), oder wenn ein Ehegatte im Zeitpunkt der Eheschliessung das 18. Altersjahr nicht vollendet hatte und wenigstens ein Ehegatte Wohnsitz in der Schweiz hatte (Bst. b). Völkerrechtliche Verträge bleiben dabei vorbehalten (Art. 1 Abs. 2 IPRG).

Die neue Bestimmung schränkt die Rechte der EU- oder EFTA-Angehörigen stärker ein als das geltende Recht, indem die Nichtanerkennung einer Ehe den Verlust des Aufenthaltsrechts gemäss FZA oder EFTA-Übereinkommen (Art. 7 Bst. d FZA und Art. 3 Anhang I FZA, bzw. Art. 7 Bst. d Anhang K und Art. 3 Anhang K Anlage 1 EFTA-Übereinkommen) der Ehegattin oder des Ehegatten nach sich zieht.

Die durch das FZA oder das EFTA-Übereinkommen gewährten Rechte können nur eingeschränkt werden, wenn dies aus Gründen der öffentlichen Ordnung im Sinne von Artikel 5 Anhang I FZA bzw. Artikel 5 Anhang K Anlage 1 EFTA-Übereinkommen gerechtfertigt ist, oder wenn andere zwingende Gründe des Allgemeininteresses vorliegen. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit muss dabei gewahrt bleiben. Eine automatische Einschränkung der Personenfreizügigkeit stünde im Widerspruch zum FZA und zum EFTA-Übereinkommen. Aufgrund von Artikel 1 Absatz 2 IPRG muss für die gemäss FZA und EFTA-Übereinkommen berechtigten Personen, deren Ehe in einem EU- oder EFTA-Staat geschlossen oder anerkannt wurde, eine einzelfallabhängige Interessenabwägung stattfinden, und zwar unter Berücksichtigung der Annahmen sowohl nach dem Buchstaben a als auch nach dem Buchstaben b. Die Interessenabwägung berücksichtigt das allgemeine wie auch das individuelle Schutzinteresse (vgl. Ziff. 4.2.2.5). Damit entspricht das Vorgehen in diesen Fällen weiterhin dem geltenden Recht, womit im Ergebnis eine Minderjährigenheirat in einem ersten Schritt zu anerkennen ist, und dann dem Eheungültigkeitsverfahren neu nach Artikel 105a EZGB zuzuführen ist. Das Eheungültigkeitsverfahren gestützt auf Artikel 105a E-ZGB schliesst sich damit vorliegend in allen Fällen an (vgl. Ziff. 1.1.4.1).

7.2.3

Sistierung des Verfahrens zur Bewilligung des Ehegattennachzugs

Nach Artikel 45a AIG wird das Verfahren zur Prüfung des Ehegattennachzugs bis zur Entscheidung des Zivilgerichts sistiert, wenn sich bei der Prüfung Anhaltspunkte dafür ergeben, dass für die Ehe ein Ungültigkeitsgrund nach Artikel 105 Ziffer 5 oder 6 ZGB vorliegt. Im neuen Artikel 45a E-AIG wird auf Artikel 105a E-ZGB verwiesen; er gilt auch für den Nachzug einer ausländischen Ehegattin oder eines ausländischen Ehegatten, die oder der zum Zeitpunkt des Familiennachzugsverfahrens volljährig ist, zum Zeitpunkt der Eheschliessung jedoch minderjährig war Der Familiennachzug von EU-/EFTA-Staatsangehörigen richtet sich grundsätzlich nach dem FZA oder dem EFTA-Übereinkommen. Für EU/EFTA-Staatsangehörige gilt das AIG nur so weit, als das FZA beziehungsweise das EFTA-Übereinkommen keine abweichenden Bestimmungen enthält (Art. 2 Abs. 2 und 3 AIG).

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Die Anwendung von Artikel 45a AIG auf Familienangehörige von EU- oder EFTA-Staatsangehörigen auf Grundlage von Artikel 2 Absätze 2 und 3 AIG ist umstritten. Sie ist aber nicht unvereinbar mit dem FZA oder dem EFTA-Übereinkommen, da eine mit den Abkommen vereinbare Anwendung möglich bleibt: Artikel 45a AIG kann in Verbindung mit Artikel 17 Absatz 2 AIG angewendet werden.

Gemäss dieser Bestimmung kann die zuständige kantonale Behörde Ausländerinnen und Ausländern den Aufenthalt in der Schweiz während eines Verfahrens zur Bewilligung des Aufenthalts gestatten, d. h. auch während des Zivilverfahrens nach Artikel 105a E-ZGB, wenn die Zulassungsvoraussetzungen offensichtlich erfüllt sind.

Ausserdem kann gegebenenfalls gestützt auf das Verhältnismässigkeitsprinzip von einer Sistierung des Familiennachzugsgesuches bis zum Vorliegen eines die Gültigkeit der Ehe bestätigenden Urteils abgesehen werden.

Für eine Anwendung gemäss FZA/EFTA-Übereinkommen ist derzeit davon auszugehen, dass die kantonale Behörde den Ehegattinnen oder den Ehegatten der gemäss FZA/EFTA-Übereinkommen berechtigten Personen folglich während des Verfahrens nach Artikel 105a E-ZGB den vorübergehenden Aufenthalt in der Schweiz zu gestatten hat, bis die Ehegültigkeit durch das Gericht geprüft werden kann. Dadurch wird sichergestellt, dass die aufgrund der öffentlichen Ordnung notwendige Einschränkung der Rechte aus dem FZA/EFTA-Übereinkommen verhältnismässig bleibt (Art. 5 Anhang I FZA bzw. Art. 5 Anhang K Anlage 1 EFTA-Übereinkommen). Obwohl dieses Aufenthaltsrecht nur vorübergehend gilt, müssen den Ehegattinnen und Ehegatten während des Verfahrens die weiteren Rechte gemäss FZA/EFTA-Übereinkommen garantiert werden, namentlich das Recht auf Ausübung einer Erwerbstätigkeit in der Schweiz (Art. 3 Abs. 5 Anhang I FZA bzw. Art. 3 Abs. 5 Anlage 1 Anhang K EFTA-Übereinkommen) sowie das Recht auf Gleichbehandlung in Bezug auf die sozialen Vergünstigungen (Art. 9 Abs. 2 Anhang I FZA bzw. Art. 9 Abs. 2 Anlage 1 Anhang K EFTA-Übereinkommen).

7.3

Erlassform

Die vorgeschlagenen Änderungen betreffen grundlegende Bestimmungen über die Rechte und Pflichten von Personen und sind daher in Form eines Bundesgesetzes zu erlassen (Art. 164 Abs. 1 Bst. c BV).

7.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen geschaffen noch neue Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen.

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7.5

Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz

Die vorgeschlagenen Änderungen zielen auf eine Verbesserung der Massnahmen Minderjährigenheiraten ab. Der Bund stützt sich dabei auf die Kompetenz nach Artikel 54 (auswärtige Angelegenheiten), Artikel 121 (Ausländer- und Asylbereich) und Artikel 122 Absatz 1 BV (Zivilrecht).

7.6

Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes

Die Vorlage sieht keine Subventionen vor.

7.7

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Mit der Vorlage werden keine neuen Rechtsetzungsbefugnisse an den Bundesrat delegiert.

7.8

Datenschutz

Die Vorlage betrifft keine Fragen im Zusammenhang mit dem Datenschutz.

8

Bibliografie

8.1

Materialien

Bericht des Bundesrates vom 25. Oktober 2017 «Bundesprogramm Bekämpfung Zwangsheiraten 2013­2017», abrufbar unter: www.sem.admin.ch > Themen > Integration > Zwangsheirat (zit. Bericht Bundesprogramm).

Bericht des Bundesrates vom 29. Januar 2020 «Evaluation der Bestimmungen im Zivilgesetzbuch zu Zwangsheiraten und Minderjährigenheiraten», abrufbar unter: www.bj.admin.ch > Gesellschaft > Minderjährigenheiraten (zit. Evaluationsbericht).

Bericht des Bundesrates vom Dezember 2022 «Revision des Zivilgesetzbuchs (Massnahmen gegen Minderjährigenheiraten)», Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, abrufbar unter: www.bj.admin.ch > Gesellschaft > Minderjährigenheiraten (zit. Ergebnisbericht).

Botschaft vom 23. Februar 2011 zum Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten, BBl 2011, S. 2185 ff. (zit. Botschaft Zwangsheiraten).

Erläuternder Bericht des Bundesrates zum Vorentwurf, Revision des Zivilgesetzbuchs (Massnahmen gegen Minderjährigenheiraten) vom 30. Juni 2021, abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2021 > EJPD Vernehmlassung 2021/31 oder unter: www.bj.admin.ch > Gesellschaft > Minderjährigenheiraten (zit. Erläuternder Bericht).

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SCHWEIZERISCHES INSTITUT FÜR RECHTSVERGLEICHUNG (SIR), Mariage forcé, Stand am 31. August 2018, abrufbar unter: www.isdc.ch/de > Dienstleistungen > Informationen zum ausländischen Recht online > mariage forcé (zit. Gutachten SIR).

SCHWEIZERISCHES INSTITUT FÜR RECHTSVERGLEICHUNG (SIR), Mariage forcé, Stand am 31. März 2022 abrufbar unter: www.isdc.ch/de > Dienstleistungen > Informationen zum ausländischen Recht online > mariage forcé (zit. Aktualisiertes Gutachten SIR).

Vorentwurf zur Revision des Zivilgesetzbuchs (Massnahmen gegen Minderjährigenheiraten) vom 30. Juni 2021; abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2021 > EJPD Vernehmlassung 2021/31 oder unter: www.bj.admin.ch > Gesellschaft > Minderjährigenheiraten (zit. Vorentwurf).

8.2

Literatur

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BREITENMOSER STEPHAN, in: Golsong/Karl/Miehsler/Petzold/Riedel/Rogge/Vogler/Wildhaber/Breitenmoser (Hrsg.), Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Loseblattsammlung, November 2020 (zit. BREITENMOSER, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention).

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