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Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch das BAG in der Coronakrise Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates1 vom 24. August 2022

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Dieser Bericht bildet den Anhang zum Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 30. Juni 2023 Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch den Bundesrat und das BAG zur Bewältigung der Coronakrise (BBL 2023 2014 ­ publiziert am 4. September 2023).

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BBl 2023 2184

Schlüsselbegriffe

SARS-CoV-2 SARS-CoV-2, auch «neues Coronavirus» genannt, ist das Virus, das die Krankheit COVID-19 verursacht. Es ist der Auslöser der weltweiten Coronapandemie, die Ende 2019 in China ihre Anfänge nahm.

Der erste Fall in der Schweiz wurde am 25. Februar 2020 bestätigt.

Swiss National COVID-19 Science Task Force Die «Swiss National COVID-19 Science Task Force» (SN-STF) war ein Gremium, das Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Wissenschaftsbereiche am 30. März 2020 geschaffen haben. Es erhielt vom Bund den Auftrag, die Behörden in der Coronakrise zu beraten.

Taskforce BAG COVID-19 Die «Taskforce BAG COVID-19» ist die interne Krisenmanagementstruktur des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), die am 23. Januar 2020 eingesetzt wurde. Die Mitglieder der Taskforce hatten die Aufgabe, die Verbreitung des Virus zu überwachen und auszuwerten sowie dem Bundesrat Präventions- und Kontrollmassnahmen vorzuschlagen.

Peer Review Ende März 2021 waren bereits rund 140 000 wissenschaftliche Artikel über das neue Coronavirus erfasst, die eine Bewertung durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler desselben Fachgebiets (engl.: Peer Review) durchlaufen hatten. Hinzu kommt eine Vielzahl von Artikeln, die im Internet veröffentlicht wurden, noch bevor sie einer solchen Qualitätskontrolle unterzogen wurden.

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Das Wichtigste in Kürze Die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) war zu Beginn der Coronakrise nur teilweise angemessen, hat sich in der Folge aber verbessert. Das BAG verfügte über das benötigte Fachwissen, auch wenn es nicht proaktiv ein wissenschaftliches Netzwerk aufbaute. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse waren in den Entscheidungsgrundlagen nicht immer transparent dargelegt und wurden in der Kommunikation des BAG insgesamt nur wenig eingesetzt.

Im Rahmen ihrer Inspektion über den Umgang der Schweizer Behörden mit der Coronakrise beauftragten die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) im Januar 2021 mit einer Evaluation zur Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch das BAG in der Coronakrise.

Die zuständige Subkommission EDI/UVEK der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) beschloss im April 2021, dass im Mittelpunkt der Evaluation die rechtlichen und strategischen Grundlagen, die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über das neue Coronavirus sowie die Berücksichtigung dieser Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen des Bundesrates und in der öffentlichen Kommunikation stehen sollten. Die Evaluation hatte hingegen nicht zum Ziel, die Zweckmässigkeit der Behördenentscheide zu prüfen, die das Ergebnis einer Interessenabwägung sind, bei der neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen auch andere Erwägungen eine Rolle spielen.

Die PVK untersuchte fünf Massnahmen aus der Anfangszeit der Coronakrise (Anfang 2020 bis Ende März 2021), mit denen die Übertragung des Virus eingedämmt werden sollte (Maskenpflicht und verschiedene Beschränkungen), um herauszufinden, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigt wurden. Sie rekonstruierte mit der Unterstützung eines Epidemiologen, welche Erkenntnisse zu welchem Zeitpunkt verfügbar waren. Zudem prüfte sie Verwaltungsunterlagen und führte Interviews mit rund 30 Personen, namentlich aus dem BAG und der Wissenschaft. Die Inhaltsanalyse der öffentlichen Kommunikation gab die PVK extern in Auftrag. Die Evaluation kommt zu den nachfolgenden Hauptergebnissen: Die Art des Einbezugs der Wissenschaft war wenig vordefiniert und das Wissenschaftsnetzwerk hat sich selbst organisiert In den rechtlichen
Grundlagen zum Umgang mit Epidemien heisst es, dass sich dieser auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen muss, doch bleibt in den strategischen Grundlagen sehr vage, wie der Einbezug der Wissenschaftskreise zu erfolgen hat (Ziff. 3.1). Die Eidgenössische Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) war zu Krisenbeginn das einzige bereits vorhandene Gremium in diesem Themenbereich, doch wurde es ­ entgegen dem, was in seiner Einsetzungsverfügung steht ­ nicht einberufen (Ziff. 3.2). Das BAG baute sein Wissenschaftsnetzwerk nicht proaktiv auf, sondern die Kontakte entstanden auf Initiative von Personen aus der Wissenschaft wie der «Swiss National COVID-19 Science Task Force» (SN-STF) (Ziff. 3.3, 4.3). Die Tatsache, dass es keine vordefinierten Verfahren für die Zusam3 / 70

menarbeit zwischen Behörden und Wissenschaft gab, hatte zur Folge, dass diese stark von den einzelnen Personen auf beiden Seiten abhing (Ziff. 4.3).

Das BAG verbesserte die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Laufe der Krise Es ist bezeichnend für Krisen, dass sie die üblichen Strukturen auf die Probe stellen.

Die Verfügbarkeit und Flexibilität der Personen, sowohl innerhalb der Verwaltung wie auch aus der Wissenschaft, sowie deren Einsatz bei der Bewältigung der Pandemie wurden allseits anerkannt (Ziff. 4.3). Die PVK hält fest, dass sich die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Laufe der Krise in vielerlei Hinsicht verbessert hat, sowohl was die Zusammenarbeit zwischen dem BAG und der Wissenschaft (Ziff. 4.3) als auch die öffentliche Kommunikation angeht (Ziff. 6.3).

Die Wissenschaft wurde über verschiedene Kanäle einbezogen und teilweise kam es zu Doppelspurigkeiten Das BAG hatte über zahlreiche Kanäle Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, wobei es keine genauen Kriterien gab, nach welchen die relevanten Erkenntnisse ausgewählt wurden (Ziff. 4.1). Es kam ausserdem zu gewissen Doppelspurigkeiten bei den Anfragen, die das BAG an die wissenschaftlichen Akteure richtete (Ziff. 4.2). Die Rolle dieser Akteure hat das Amt erst nach und nach präzisiert (Ziff. 3.3). Indem die SN-STF je länger desto weniger Empfehlungen aussprach, sondern vermehrt lediglich eine Einschätzung der epidemiologischen Lage und Entwicklungen abgab, verschwamm deren Rolle zunehmend mit jener anderer wissenschaftlicher Akteure (Ziff. 4.3).

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse waren nicht immer transparent in den Entscheidungsgrundlagen dargelegt Die Dokumente zuhanden des Bundesrates wurden in enger Zusammenarbeit des BAG und des Generalsekretariats des Eidgenössischen Departements des Innern (GS-EDI) erstellt, die dabei unter grossem Zeitdruck standen. Die Dokumente enthielten zwar viele Fakten zur Entwicklung der epidemiologischen Lage in der Schweiz, die wissenschaftlichen Grundlagen an sich waren allerdings nicht immer transparent dargelegt (Ziff. 5.1). So wurden im Frühjahr 2020 die verschiedenen Ansichten zum Maskentragen nicht ausdrücklich aufgeführt (Ziff. 5.2) und die neuen Erkenntnisse zur Virusübertragung durch Aerosole kaum verwertet (Ziff. 5.3). Dies verdeutlicht das Spannungsfeld zwischen
der Notwendigkeit einer raschen politischen Reaktion und der Berücksichtigung von wissenschaftlichen Erkenntnissen, welche noch mit gewissen Unsicherheiten behaftet sind.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden in der öffentlichen Kommunikation, namentlich jener des BAG, nur wenig eingesetzt Die extern in Auftrag gegebene Analyse der Medienkonferenzen und -dossiers zeigt, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse in der öffentlichen Kommunikation nur wenig eingesetzt wurden. Dabei hat die Mehrheit der Personen, welche die PVK interviewt hat, betont, dass es wichtig sei, transparent zu informieren und die Grundlagen, auf welchen die Massnahmen beschlossen wurden, darzulegen. Die SN-STF verwies bei ihrer Kommunikation ­ entsprechend ihrem Auftrag als wissenschaftliches Bera4 / 70

tungsgremium ­ stets auf die wissenschaftlichen Grundlagen. Das BAG tat dies bei seinen Äusserungen hingegen nur selten, obwohl es für die Kommunikation der fachlichen und wissenschaftlichen Aspekte zuständig ist (Ziff. 6.1, 6.3). So hat es beispielsweise den Kenntnisstand zum Maskentragen nicht proaktiv kommuniziert, obwohl das Amt seine diesbezügliche Position stark verändert hat (Ziff. 6.2). Die befragten Personen bezeichneten die Verteilung der Kommunikationsaufgaben innerhalb der Bundesverwaltung zwar als eindeutig, allerdings spiegelte sich dies nicht unbedingt in der Praxis wider. Die Koordination zwischen der Bundesverwaltung und der SN-STF war, namentlich was die Inhalte der öffentlichen Kommunikation betraf, schwierig (Ziff. 6.3).

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Inhaltsverzeichnis Schlüsselbegriffe

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Das Wichtigste in Kürze

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1

Einleitung 1.1 Ausgangslage und Fragestellungen der Evaluation 1.2 Vorgehen 1.3 Nutzen und Grenzen der Evaluation 1.4 Aufbau des Berichts

2

Coronakrise und Elemente der Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse 2.1 Rechtliche und strategische Grundlagen zum Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse 2.2 Organisation und Prozesse für die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse 2.3 Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen 2.4 Öffentliche Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse

3

4

5

Eignung der rechtlichen und strategischen Grundlagen für die Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse 3.1 Die strategischen Grundlagen konkretisieren die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse kaum 3.2 Die Pandemiekommission wurde nicht einberufen 3.3 Die Bundesverwaltung präzisierte im Laufe der Krise die Aufträge der wissenschaftlichen Akteure Zweckmässigkeit der Organisation und Prozesse für die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse 4.1 Sammlung und Auswahl der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch das BAG beruhten nicht auf expliziten Kriterien 4.2 Das BAG arbeitete erst spät und wenig systematisch mit der Wissenschaft zusammen 4.3 Die Zusammenarbeit zwischen dem BAG und der SN-STF verbesserte sich im Laufe der Pandemie Angemessenheit der Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen 5.1 Die Entscheidungsgrundlagen erläuterten zwar die epidemiologische Lage, selten aber den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse 5.2 Die vorhandenen Empfehlungen zum Maskentragen wurden in den Entscheidungsgrundlagen unvollständig wiedergegeben

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8 8 9 11 12 12 15 16 17 18 19 19 20 21 23 23 25 27 28

29 30

5.3 6

7

Neue Erkenntnisse zur Virusübertragung wurden in den Entscheidungsgrundlagen unterschiedlich klar ausgewiesen

Zweckmässigkeit der öffentlichen Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse 6.1 Die öffentliche Kommunikation war verständlich, stützte sich aber nur wenig auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse 6.2 Bestehende Unsicherheiten sowie die Weiterentwicklung von Erkenntnissen wurden nicht aktiv kommuniziert 6.3 Die Verteilung der Kommunikationsaufgaben war nicht immer klar Schlussfolgerungen 7.1 Die Art des Einbezugs der Wissenschaft war wenig vordefiniert und das Wissenschaftsnetzwerk hat sich selbst organisiert 7.2 Das BAG verbesserte die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Laufe der Krise 7.3 Die Wissenschaft wurde über verschiedene Kanäle einbezogen und teilweise kam es zu Doppelspurigkeiten 7.4 Die wissenschaftlichen Erkenntnisse waren nicht immer transparent in den Entscheidungsgrundlagen dargelegt 7.5 Die wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden in der öffentlichen Kommunikation, namentlich jener des BAG, nur wenig eingesetzt

32 34 34 37 38 40 41 42 42 43 44

Abkürzungen

46

Literatur und Dokumentenverzeichnis

48

Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner

51

Impressum

70

Anhänge 1 Herangehensweise der Evaluation 2 Evaluationskriterien 3 Chronologie Fallstudien

53 54 57

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Bericht 1

Einleitung

1.1

Ausgangslage und Fragestellungen der Evaluation

Um eine Krise zu managen und rechtzeitig die richtigen Beschlüsse zu fassen, ist es wichtig, über die relevanten Informationen zu verfügen und diese zu nutzen. Mit dem Auftreten des Virus Sars-CoV-2 (neues Coronavirus) und seiner raschen weltweiten Ausbreitung Anfang 20202 wurde vielen Regierungen klar, dass für die Bekämpfung dieses Virus und der Epidemie wissenschaftliche Erkenntnisse von zentraler Bedeutung sind.

In der Schweiz wurde die Art und Weise, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse ­ insbesondere zu Beginn der Krise ­ genutzt wurden, sowohl von der Wissenschaft selbst als auch von der Politik kritisiert. Dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) wurde vorgeworfen, sich nur an bestimmte Fachkreise gewendet und andere ignoriert zu haben sowie den Austausch mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erst sehr spät institutionalisiert zu haben. Zudem wurden die Verfahren zur Analyse der umfangreichen, teilweise mangelhaften, unsicheren oder widersprüchlichen Informationen infrage gestellt. Ferner wurde kritisiert, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das neue Coronavirus von den Behörden bei deren Massnahmen zur Pandemiebekämpfung berücksichtigt und der Öffentlichkeit kommuniziert wurden.

Vor diesem Hintergrund beauftragten die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) am 26. Januar 2021 die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) damit, zu evaluieren, wie das BAG in der Coronakrise die wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzte. Diese Evaluation ist Teil der Inspektion der GPK über den Umgang der Schweizer Behörden mit der Coronakrise.3 Die zuständige Subkommission EDI/UVEK der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) beschloss an ihrer Sitzung vom 1. April 2021 auf der Grundlage einer Projektskizze der PVK, dass die Evaluation für die ersten Phasen der Krise die folgenden Fragestellungen untersuchen soll, die im Bericht je in einem eigenen Kapitel beantwortet werden:

2 3

­

Begünstigten die rechtlichen und strategischen Vorgaben eine angemessene Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über das neue Coronavirus in der Krise? (Kap. 3)

­

Waren die Organisation und die Prozesse zweckmässig für die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über das neue Coronavirus? (Kap. 4)

­

Wurden die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das neue Coronavirus in den Entscheidungsgrundlagen angemessen berücksichtigt? (Kap. 5) Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte am 11.3.2020, dass die Verbreitung von COVID-19 als Pandemie betrachtet werden kann.

Mehr zu den entsprechenden Arbeiten unter: www.parlament.ch > Organe > Kommissionen > Aufsichtskommissionen > GPK > Inspektion COVID-19-Pandemie (Stand: 18.5.2022).

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­

War die öffentliche Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse ­ sowohl inhaltlich als auch im Hinblick auf die Aufgabenverteilung ­ zweckmässig? (Kap. 6)

Die Evaluation der PVK hatte nicht zum Ziel, die Zweckmässigkeit der Entscheide und der Interessenabwägung des Bundesrates oder die Validität der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu prüfen (siehe Ziff. 1.3).

1.2

Vorgehen

Die PVK analysierte die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch das BAG zu Beginn der Krise. Untersucht wurde der Zeitraum von Anfang 2020 bis Ende März 2021, d. h. von den ersten Warnungen vor dem neuen Coronavirus bis zur Phase, in der sie mit der Datenerhebung und -auswertung begonnen hat. Um die Fragestellungen der Evaluation zu beantworten, nutzte die PVK die Methoden zur Datenerhebung und -auswertung, die in Tabelle 1 dargestellt sind. Am Ende des Berichts wird in Anhang 1 die Herangehensweise der Evaluation beschrieben, während in Anhang 2 die von der PVK angewendeten Bewertungskriterien im Einzelnen aufgeführt sind.

Tabelle 1 Methodenübersicht Evaluationsfragen

Dokumentenanalyse

Interviews Fallstudien Literaturanalyse Analyse der (externe Medienkonferenzen Unterstützung) und -dossiers (externes Mandat)

Rechtliche und strategische Grundlagen



()

Organisation und Prozesse für die Verarbeitung







Berücksichtigung in den Entscheidungsgrundlagen Öffentliche Kommunikation

()









Legende: = Hauptbeitrag zur Analyse; () = sekundärer Beitrag zur Analyse.

Anhand einer Dokumentenanalyse untersuchte die PVK zum einen die rechtlichen und strategischen Grundlagen für das Krisenmanagement und den allfälligen Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie zum anderen die allgemeinen Unterlagen der Bundesverwaltung betreffend die Organisation des BAG und die Verarbeitung der verschiedenen wissenschaftlichen Erkenntnisse über das neue Coronavirus durch das BAG. Die Aufgabenverteilung zwischen den Akteuren der öffentlichen Kommunikation wurde ebenfalls auf diese Weise analysiert.

Ergänzt wurden diese Arbeiten durch Interviews mit Mitarbeitenden des BAG und des Generalsekretariats des Eidgenössischen Departement des Innern (GS-EDI) sowie mit

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Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Insgesamt wurden 31 Interviews geführt (siehe Liste der befragten Personen am Ende des Berichts).

Ferner vertiefte die PVK die Analyse der Nutzung und Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Rahmen von fünf Fallstudien, in denen sie das Entscheidverfahren für konkrete Massnahmen nachvollzog. Zu diesem Zwecke wurden gezielte Dokumentenanalysen vorgenommen und spezifische Fragen in den Interviews gestellt. Die PVK hatte zunächst die Aspekte aus dem Zuständigkeitsbereich des BAG ermittelt, die im Zusammenhang mit den Massnahmen zur Bekämpfung des neuen Coronavirus immer wieder ein Thema waren, und der zuständigen Subkommission mögliche Fälle unterbreitet. Diese entschied an ihrer Sitzung vom 28. Juni 2021, sich auf die Nutzung der Erkenntnisse über die Virusübertragung zu konzentrieren, und legte folgende Fallstudien4 fest: ­

Maskenpflicht,

­

Beschränkung für private Treffen,

­

Beschränkung für Grossanlässe,

­

Beschränkung des Restaurant- und Barbetriebs und

­

Beschränkung des Schul- und Universitätsbetriebs.

Zu jedem dieser Themen nahm die PVK eine Literaturanalyse vor. Diese hatte nicht zum Ziel, alle Veröffentlichungen über das neue Coronavirus zu erfassen, sondern sollte die wichtigsten Erkenntnisse über das Thema abdecken, um die Entwicklung der Erkenntnisse nachvollziehen zu können und um zu verstehen, inwieweit diese Entwicklung in den Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates Niederschlag fand, d. h., ob die Anträge mit wissenschaftlichen Erläuterungen (mit oder ohne Quellenangabe) versehen wurden. In Anhang 3 findet sich zu jeder Fallstudie eine kurze Chronologie, aus der die Entwicklung der Erkenntnisse und die Entscheide des Bundesrates hervorgehen. Um die Korrektheit ihrer Analyse der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu gewährleisten, erteilte die PVK Professor Arnaud Chiolero, Experte für Hausarztmedizin und Epidemiologie sowie Leiter des Labors für öffentliche Gesundheit (#PopHealthLab) der Universität Freiburg, ein externes Begleitmandat.

Professor Chiolero kommentierte und ergänzte die von der PVK erstellte Liste der Publikationen und las die Analysen und den Bericht der PVK gegen.

Für zwei Fallstudien wurde die Kommunikation in Medienkonferenzen und Pressedossiers analysiert: zum einen für die Fallstudie zur Maskenpflicht, zum anderen für jene zur Beschränkung für private Treffen. Diese beiden Fallstudien wurden ausgewählt, da die Massnahmen hier immer wieder angepasst wurden und sich die Verhaltensempfehlungen direkt an die Bürgerinnen und Bürger richteten. Nach einer Ausschreibung wurde Jörg Schneider (Experte für Medienkommunikation, js_studien+analysen), Franziska Oehmer-Pedrazzi (Expertin für Kommunikationswissenschaft, Fachhochschule Graubünden und Universität Zürich) und Stefano Pedrazzi (Forscher in Kommunikations- und Medienwissenschaft, Universität Freiburg) ein externes Mandat erteilt. Die drei Fachleute nahmen eine quantitative Inhaltsanalyse von 36 Medienkonferenzen oder Points de Presse, an denen die ausgewählten Themen 4

Detaillierte Informationen zu den Fallstudien finden sich in Anhang 3.

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(Masken, private Treffen) behandelt wurden, und eine vertiefte qualitative Analyse von 5 Medienkonferenzen oder Points de Presse (inkl. Mediendossiers) vor. Sie konzentrierten sich dabei darauf, ob und inwieweit die Kommunikation zu diesen Themen wissenschaftliche Erläuterungen (mit oder ohne Quellenangabe) umfasste. Ihre vollständigen Ergebnisse sind in einem separaten Bericht dargelegt.5 Die Datenerhebung und -analyse fand von April 2021 bis März 2022 statt. Zum Abschluss der Evaluation tauschte sich die PVK über die wichtigsten Aspekte der Evaluation mit dem BAG aus. Zudem hatten die betroffenen Verwaltungseinheiten im Juni 2022 die Möglichkeit, zum Berichtsentwurf Stellung zu nehmen.

1.3

Nutzen und Grenzen der Evaluation

Die Coronakrise ist Gegenstand mehrerer Berichte, von denen einige auch Berührungspunkte mit den Themen dieser Evaluation aufweisen.6 Die PVK hat die Verfasserinnen und Verfasser dieser Studien kontaktiert und verweist ­ dort, wo es sinnvoll ist ­ auf deren Ergebnisse. Sie hat zudem die Ergebnisse zur Rolle und zu den Leistungen der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und ­bewältigung (EKP) aus ihrer parallel laufenden Evaluation über die ausserparlamentarischen Verwaltungskommissionen7 berücksichtigt.

Anders als die bestehenden Studien stützt sich die vorliegende Evaluation auf Fallstudien über bestimmte Massnahmen zur Bekämpfung des neuen Coronavirus. Dies hat den Vorteil, dass die Unterlagen der Bundesverwaltung und die Verfahren der Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu diesen Fällen geprüft werden konnten und ein Vergleich mit den zu verschiedenen Zeitpunkten verfügbaren Erkenntnissen möglich war. Somit konnte untersucht werden, wie die jeweiligen Erkenntnisse vom BAG verarbeitet wurden und inwieweit sich diese in den politischen Entscheiden niederschlugen.

5

6

7

Oehmer-Pedrazzi, Franziska / Pedrazzi, Stefano / Schneider, Jörg (2022): Analyse der öffentlichen Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum neuen Coronavirus. Bericht im Auftrag der PVK.

Namentlich BK (2020): Bericht zur Auswertung des Krisenmanagements in der COVID19-Pandemie (1. Phase); BK (2022): Bericht zur Auswertung des Krisenmanagements in der COVID-19-Pandemie (2. Phase); Hofmänner, Alexandra (2021): The Role of Science in the Swiss Policy Response to the COVID-19 Pandemic, Universität Basel; Interface (2022): Evaluation der Krisenbewältigung COVID-19 bis Sommer 2021, Schlussbericht zuhanden des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), Luzern; SN-STF (2022): Abschlussbericht der Swiss National COVID-19 Science Task Force; Wenger, Andreas / Hauri, Andrin / Kohler, Kevin / Scharte, Benjamin / Thiel, Jan (2020): Schweizer Krisenmanagement: Die Coronavirus-Pandemie als fachliche und politische Lernchance, ETH Zürich; Hirschi, Caspar / Hornung, Johanna / Jalton, Dylan / Mavrot, Céline / Sager, Fritz / Schlaufer, Caroline (2022): Wissenschaftliche Politikberatung in Krisenzeiten in der Schweiz: eine Analyse der Finanzkrise, des Fukushima-Unfalls und der COVID-19Pandemie, Schlussbericht zuhanden des Schweizerischen Wissenschaftsrates (SWR), St. Gallen, Lausanne, Bern; SWR (2022): Akzeptanz von Krisenmassnahmen durch die Bevölkerung. Die Lehren aus COVID-19, SWR-Dokument 1/2022.

Ausserparlamentarische Verwaltungskommissionen, Bericht der PVK vom 20.6.2022 zuhanden der GPK-S.

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Die Evaluation hatte hingegen nicht zum Ziel, die Massnahmenentscheide der Behörden und namentlich des Bundesrates zu bewerten. Diese Entscheide sind das Ergebnis einer Interessenabwägung, bei der nebst den wissenschaftlichen Erkenntnissen auch andere Erwägungen eine Rolle spielen. Desgleichen lag der Fokus der Analyse der öffentlichen Kommunikation ausschliesslich auf die Art und Weise, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse kommuniziert wurden. Ferner macht die keine Aussage zur Validität der wissenschaftlichen Erkenntnisse, doch weist sie auf die Unsicherheiten, mit welchen diese behaftet waren, hin.

Untersucht wurden im Übrigen nur die ersten Phasen der Coronakrise, d. h. der Zeitraum von Anfang 2020 bis Ende März 2021, was der Periode entspricht, in welcher am meisten Kritik geäussert wurde (siehe Ziff. 1.1). Beschlüsse oder wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Zeit danach wurden folglich nicht berücksichtigt.

Schliesslich konzentriert sich die Evaluation auf das BAG als die Bundesbehörde, die für Gesundheitsfragen zuständig ist.8 Entsprechend steht die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Bezug auf die gesundheitlichen Aspekte des neuen Coronavirus im Mittelpunkt. Andere Aspekte wie die wirtschaftlichen Auswirkungen der Epidemie sind nicht Gegenstand der Evaluation.

1.4

Aufbau des Berichts

Bevor auf die Evaluationsfragen eingegangen wird, präsentiert Kapitel 2 kurz das Konzept des BAG für die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse präsentiert.

Kapitel 3 ist der Analyse der rechtlichen und strategischen Grundlagen gewidmet. Die Organisation und Prozesse für die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse sind Gegenstand von Kapitel 4, während sich Kapitel 5 mit der Berücksichtigung der Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen befasst. In Kapitel 6 wird die öffentliche Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse und die diesbezügliche Aufgabenverteilung thematisiert. Die Schlussfolgerungen finden sich in Kapitel 7.

2

Coronakrise und Elemente der Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse

Im Zentrum einer evidenzbasierten Politik steht die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse.9 Diese Evaluation befasst sich mit der Evidenzbasierung in Krisenzeiten und untersucht, wie das BAG in den ersten Phasen der Pandemie die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das neue Coronavirus bei der Ausarbeitung von Entscheidungsgrundlagen für Massnahmen zur Virusbekämpfung nutzte. Bevor die einzelnen Elemente der Nutzung der Erkenntnisse behandelt werden, wird in den nachfolgenden Abschnitten der Ablauf der Krise nachgezeichnet.

8 9

Art. 9 Abs. 1 der Organisationsverordnung vom 28.6.2000 für das Eidgenössische Departement des Innern (OV-EDI; SR 172.212.1).

Frey, Kathrin / Ledermann, Simone (2010): Introduction: Evidence-Based Policy: A Concept in Geographical and Substantive Expansion. In: German Policy Studies 6 (2), 1­15.

12 / 70

Der Zeitraum der Coronakrise, der in dieser Evaluation untersucht wird, war von den ersten zwei COVID-19-Wellen geprägt. Das Epidemiengesetz (EpG)10 bildet die Hauptgrundlage für das Handeln des Bundes. Es bestimmt somit den Handlungs- und Zuständigkeitsbereich des Bundes in den verschiedenen Phasen einer Epidemie. In der besonderen Lage im Sinne von Artikel 6 EpG kann der Bundesrat nach Anhörung der Kantone Massnahmen anordnen, die ansonsten in der Zuständigkeit der Kantone liegen. Wenn es eine ausserordentliche Lage erfordert, kann er für das ganze Land oder für einzelne Landesteile die notwendigen Massnahmen anordnen (Art. 7 EpG).11 Der Bundesrat erklärte am 28. Februar 2020 die besondere Lage und dann am 16. März 2020 die ausserordentliche Lage. Am 19. Juni 2020 erfolgte die Rückkehr zur besonderen Lage, die schliesslich über das Ende des Untersuchungszeitraums hinaus andauerte. Die nachfolgende Grafik (Abbildung 1) zeigt die chronologische Entwicklung der durchschnittlichen Anzahl von COVID-19-Fällen in der Schweiz sowie einige wichtige Ereignisse, wie die Einsetzung oder Auflösung bestimmter Gremien oder den Start der Impfkampagne in der Schweiz, die allerdings zum Grossteil nach den in diesem Bericht untersuchten Ereignissen stattfand.

10 11

Bundesgesetz vom 28.9.2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG; SR 818.101).

Büro Vatter AG (2018): Analyse besondere Lage gemäss EpG: Aufgaben, Zuständigkeiten und Kompetenzen des Bundes, III.

13 / 70

Abbildung 1 Entwicklung der COVID-19-Fälle in der Schweiz und wichtige Ereignisse im Untersuchungszeitraum 9000

8000

7000

1. Fall in der Schweiz

6000

Gründung Taskforce BAG Covid-19

Gründung SN-STF

Beginn Impfkampagne

Auflösung KSBC

5000

4000

3000

2000

1000

0 01.01.2020

28.02.2020

01.04.2020 16.03.2020

besondere Lage

19.06.2020

ausserordentliche Lage

01.07.2020

01.10.2020

01.01.2021

31.03.2021

besondere Lage

Legende: durchschnittliche tägliche Anzahl von laborbestätigten COVID-19-Fällen in der Schweiz auf sieben Tage. In der ersten Welle waren die Testkapazitäten geringer, wodurch in dieser Phase nicht alle Fälle erkannt wurden. BAG: Bundesamt für Gesundheit; SN-STF: Swiss National COVID-19 Science Task Force; KSBC: Krisenstab des Bundesrates Corona.

Quelle: opendata.swiss

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Schematisch kann die Analyse der Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in mehrere Elemente unterteilt werden (siehe Abbildung 2). Diese werden hier kurz beschrieben und in den folgenden Kapiteln, in denen die Ergebnisse präsentiert werden, ausgeführt. Erstes Element bilden die rechtlichen und strategischen Grundlagen des Krisenmanagements, welche den Rahmen für einen allfälligen Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse regeln. Zweites Element ist der Aufbau der Organisation und Prozesse für die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Drittes Element ist die Berücksichtigung der Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen, welche die Bundesverwaltung im Hinblick auf die Beschlüsse über Krisenmassnahmen ausarbeitete. Viertes Element ist schliesslich die öffentliche Kommunikation der Erkenntnisse durch die verschiedenen Akteure.

Abbildung 2 Analyseschema: Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse

Rechtliche und strategische Grundlagen

· Rechtsrahmen · Regeln und Weisungen für die Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch die Bundesverwaltung in Krisensituationen

Organisation und Prozesse für die Verarbeitung

· Interne Organisation des BAG · Austausch mit externen Akteuren · Verfahren zur Ermittlung des Bedarfs an wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie zu deren Sammlung und Auswertung

Berücksichtigung in den Entscheidungsgrundlagen

· Weitergabe der wissenschaftlichen Erkenntnisse innerhalb der Verwaltungshierarchie · Präsentation der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen

Öffentliche Kommunikation

· Qualität der Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse · Aufgabenverteilung zwischen den verschiedenen Akteuren

2.1

Rechtliche und strategische Grundlagen zum Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse

Die rechtlichen und strategischen Grundlagen für das Handeln der Behörden umfassen einerseits die allgemeinen Rechtsbestimmungen über das Krisenmanagement der Bundesverwaltung und andererseits die spezifischen Rechtsbestimmungen für den Fall einer Pandemie. Bestimmungen über die Organisation und die Kommunikation der Bundesverwaltung im Krisenfall finden sich im Regierungs- und Verwaltungsor-

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ganisationsgesetz12 und der dazugehörigen Verordnung13, in den Weisungen des Bundesrates über das Krisenmanagement in der Bundesverwaltung14, im Handbuch Krisenmanagement des BAG15 und ­ was die Kommunikation angeht ­ im Konzept für die Krisenkommunikation der Bundeskanzlei (BK)16. Auf nationaler Ebene basieren die spezifischen Massnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten wie des vom neuen Coronavirus ausgelösten COVID-19 auf dem Epidemiengesetz (EpG), das den Schutz des Menschen vor übertragbaren Krankheiten regelt und die dazu nötigen Massnahmen vorsieht (Art. 1 EpG). Als «Fachbehörde für die menschliche Gesundheit» (Art. 9 Abs. 1 OV-EDI) spielt das BAG dabei eine zentrale Rolle. Als Vorbereitungsmassnahme im Sinne von Artikel 8 EpG arbeiteten das BAG und die EKP 2018 einen Schweizer Influenza-Pandemieplan aus, der die Vorbereitung des Gesundheitssystems auf eine Pandemie und die Aufgabenverteilung zwischen dem Bund und den Kantonen beschreibt und so eine kohärente Planung der nationalen Massnahmen ermöglichen soll.17 Als Mitglied der Weltgesundheitsorganisation (WHO, World Health Organization) hat die Schweiz auch die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV)18 angenommen, deren Zweck darin besteht, die grenzüberschreitende Ausbreitung von Krankheiten zu verhüten und zu bekämpfen, davor zu schützen und dagegen verhältnismässige Gesundheitsschutzmassnahmen zu ergreifen (vgl. Art. 2 IGV). Die WHO verfügt zudem über einen Risikomanagementplan für eine Grippepandemie (Influenza)19.

2.2

Organisation und Prozesse für die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse

Das BAG hat insbesondere die Aufgabe, die Gesundheit zu schützen und zu fördern, neue Bedrohungen für die Gesundheit früh zu erkennen und jederzeit zur wirksamen Bewältigung von Krisen bereit zu sein (vgl. Art. 9 Abs. 2 Bst. a und b OV-EDI). Die Abteilung «Übertragbare Krankheiten» hat den Auftrag, übertragbare Krankheiten zu überwachen, Berichte über die epidemiologische Lage zu veröffentlichen sowie Präventions- und Kontrollstrategien zu entwickeln und umzusetzen.

12 13 14 15 16

17 18 19

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21.3.1997 (RVOG; SR 172.010).

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25.11.1998 (RVOV; SR 172.010.1).

Weisungen des Bundesrates vom 21.6.2019 über das Krisenmanagement in der Bundesverwaltung (BBl 2019 4593).

BAG (2018): Handbuch Krisenmanagement BAG.

BK (2020): Krisenkommunikation, Koordination der politischen Kommunikation durch die Bundeskanzlei. Regelt die politische Krisenkommunikation bei Ereignissen von nationaler Bedeutung. Konzept und Toolbox. Im Folgenden: Konzept Krisenkommunikation.

BAG (2018): Influenza-Pandemieplan Schweiz, 7. Im Folgenden: Pandemieplan Internationale Gesundheitsvorschriften (IGV) vom 23.5.2005, für die Schweiz in Kraft getreten am 15.6.2007 (SR 0.818.103).

WHO (2017): Pandemic influenza risk management: a WHO guide to inform and harmonize national and international pandemic preparedness and response.

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Nach dem Auftreten des neuen Coronavirus in China schuf das BAG am 23. Januar 2020 ein neues internes Gremium, die «Taskforce BAG COVID-19».20 Dieser Taskforce gehörten in erster Linie Mitarbeitende der Abteilung «Übertragbare Krankheiten» an, aber auch Personen aus anderen Abteilungen sowie befristet angestellte externe Personen. Situations- und bedarfsabhängig wurden nach und nach verschiedene Arbeitsgruppen eingesetzt, die sich mit bestimmten Aspekten der Krise befassten. So wurde z. B. Ende März eine Arbeitsgruppe «Forschung» geschaffen, welche die Koordination zwischen dem BAG und der Wissenschaft sicherstellen sollte.

Die Taskforce BAG COVID-19 stützte sich nicht nur auf das interne Fachwissen, sondern auch auf eine Vielzahl von externen nationalen und internationalen Akteuren (siehe Ziff. 4.2). Ein zentraler externer Akteur war die «Swiss National COVID19 Science Task Force» (SN-STF).21 Diese nationale Taskforce, die Ende März 2020 auf Initiative des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF), des Rates der Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH-Rat), des Verbands Swissuniversities und des Netzwerks «Akademien der Wissenschaften Schweiz» (a+) geschaffen wurde, hatte die Aufgabe, das in der Schweiz verfügbare wissenschaftliche und interdisziplinäre Fachwissen zu sammeln und die Behörden bei der Bewältigung der Krise zu beraten. Am 30. März 2020 wurde die SN-STF vom Bund offiziell beauftragt, die Behörden zu beraten, und dem Krisenstab des Bundesrates Corona (KSBC) angegliedert. Als Letzterer im Juni 2020 aufgelöst wurde, wurde die SN-STF direkt der Taskforce BAG COVID-19 angegliedert. Der in Themengruppen unterteilten SN-STF gehörten bis zu 83 Expertinnen und Experten aus Bereichen wie Medizin, Immunologie, Virologie, Wirtschaft, Ethik oder Recht an. Sie wurde am 31. März 2022 aufgelöst.

2.3

Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen

Im Weiteren stellt sich die Frage, wie die vom BAG aus verschiedenen Quellen zusammengetragenen und ausgewerteten wissenschaftlichen Informationen in den Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates berücksichtigt wurden. Der Bundesrat fasst seine Beschlüsse gestützt auf schriftliche Anträge der Bundesverwaltung (vgl. Art. 3 Abs. 1 RVOV). Die Departemente können dem Bundesrat zudem Diskussions- und Informationsnotizen zuleiten (vgl. Art. 3 Abs. 4 und 5 RVOV). Diese Notizen werden in der Regel von den zuständigen Bundesämtern in Zusammenarbeit mit dem Generalsekretariat des verantwortlichen Departements ausgearbeitet. Die von einer Verwaltungseinheit vorbereiteten Anträge und Diskussionsnotizen gehen zunächst zur Stellungnahme an die anderen betroffenen Verwaltungseinheiten (Art. 4 RVOV). Differenzen sollten nach dieser Ämterkonsultation so weit wie möglich be20

21

Der Bericht der GPK vom 17.5.2022 über die Krisenorganisation des Bundes für den Umgang mit der COVID-19-Pandemie (Januar bis Juni 2020) befasst sich eingehend mit der Krisenorganisation des EDI und des BAG in der Coronakrise (BBl 2022 1801).

Obwohl sich ihre Namen ähneln, dürfen die «Taskforce BAG COVID-19» und die «Swiss National COVID-19 Science Task Force» (SN-STF) nicht verwechselt werden.

Siehe Schlüsselbegriffe am Anfang des Berichts. Seit Mai 2022 heisst die Taskforce BAG COVID-19 «Koordinationsgruppe COVID-19».

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reinigt sein. Die konsolidierten Dokumente gehen im Rahmen des Mitberichtsverfahrens (Art. 5 RVOV) an alle anderen Departemente. Ziel dieses Verfahrens ist es, allfällige Differenzen zwischen den Departementen weitestgehend zu bereinigen und so dem Bundesrat zu ermöglichen, sich auf die grundsätzlichen Aspekte zu konzentrieren. Das federführende Departement kann die Anträge der anderen Departemente annehmen oder ablehnen. Allfällige Mitberichte und die entsprechende Antwort des federführenden Departements werden den Unterlagen beigefügt, die dem Bundesrat für seine Sitzung unterbreitet werden.

2.4

Öffentliche Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse

Das Element der Nutzung betrifft die Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse über das neue Coronavirus gegenüber der Bevölkerung und den Medien.

Aus normativer Sicht besteht der Zweck der behördlichen Kommunikation in erster Linie darin, die politischen Entscheide vorzubereiten und zu begründen sowie Akzeptanz und Vertrauen in der Bevölkerung zu schaffen.22 In einer Krisensituation wie der COVID-19-Pandemie kommt diesem Schritt noch grössere Bedeutung zu und es ist unerlässlich, die beschlossenen Massnahmen zu erläutern sowie nachvollziehbar zu machen und so für deren Akzeptanz und Umsetzung durch die Bevölkerung zu sorgen.23 Zu diesem Zwecke hielt der Bundesrat ab dem 25. Februar 2020, dem Tag, an dem der erste Fall in der Schweiz bestätigt wurde, wöchentliche Medienkonferenzen zum neuen Coronavirus ab. Zusätzlich fanden Points de Presse zu fachlicheren Aspekten statt mit Vertreterinnen und Vertretern der Bundesverwaltung (namentlich BAG, aber auch Staatssekretariat für Wirtschaft [SECO] und Armee), der SN-STF, der Kantone oder anderer Organisationen wie der SBB statt. Bis Ende März 2021 fanden an die 50 Medienkonferenzen des Bundesrates und knapp 70 Points de Presse der Bundesverwaltung statt.24 Auch weitere Kommunikationskanäle wie die Websites der Behörden, die Website der SN-STF, auf der diese ihre Policy Briefs veröffentlichte, und die sozialen Medien spielten in der Pandemie eine wichtige Rolle. Die sozialen Medien wurden vom Bundesrat und vom BAG intensiv genutzt, aber auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren hier individuell aktiv, um Erkenntnisse über das neue Coronavirus zu verbreiten und die Aufmerksamkeit der Bevölkerung und der Behörden auf bestimmte Forschungsergebnisse zu richten. Diese Kommunikationskanäle sind nicht Gegenstand der vorliegenden Evaluation, sondern nur die Medienkonferenzen und Points de Presse.

22

23 24

Siehe Raupp, Juliana / Kocks, Jan Niklas (2018): Regierungskommunikation und staatliche Öffentlichkeitsarbeit aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive; Vogel, Martina (2010): Regierungskommunikation im 21. Jahrhundert: Ein Vergleich zwischen Grossbritannien, Deutschland und der Schweiz, zitiert in Oehmer-Pedrazzi / Pedrazzi / Schneider (2022).

Oehmer-Pedrazzi/Pedrazzi/Schneider (2022); SN-STF (2020): Communication and SARS-CoV-2.

Diese Medienkonferenzen und Points de Presse sind auf dem Youtube-Kanal des Bundesrates verfügbar.

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3

Eignung der rechtlichen und strategischen Grundlagen für die Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse

Die PVK hat analysiert, wie die Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den rechtlichen und strategischen Grundlagen für das Krisenmanagement verankert ist. Sie hat sich dabei an Kriterien wie der Klarheit und Kohärenz der einschlägigen Bestimmungen und an der Bedeutung, die den wissenschaftlichen Erkenntnissen zugemessen wird, orientiert (siehe Anhang 2). Die PVK hält fest, dass die Nutzung dieser Erkenntnisse in den strategischen Grundlagen kaum konkretisiert ist (Ziff.3.1) und dass die zuständige Pandemiekommission nicht die Rolle spielte, die ihr in den einschlägigen Bestimmungen zugedacht ist (Ziff. 3.2). Dies hatte zur Folge, dass die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Coronakrise hauptsächlich durch Ad-hoc-Mandate geregelt wurde (Ziff. 3.3).

3.1

Die strategischen Grundlagen konkretisieren die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse kaum

Die rechtlichen und strategischen Grundlagen der Behörden für das Krisenmanagement im Allgemeinen oder für die Bewältigung einer Pandemie im Besonderen (siehe Ziff. 2.1) sind klar und eindeutig. Allerdings wurde in verschiedenen Studien darauf hingewiesen, dass der Wissenschaft im Schweizer Rechtsrahmen keine besondere Bedeutung zukommt.25 Die PVK hält fest, dass die Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Entscheidungsfindung (evidenzbasierte Politik) in verschiedenen Grundlagen erwähnt wird, jedoch nur auf abstrakte Weise. Es handelt sich vor allem um Bestimmungen, die empfehlen, die Ziele und Strategien der Krisenvorbereitung auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu stützen. Auf die konkrete Zusammenarbeit zwischen der Bundesverwaltung und den Wissenschaftskreisen sowie auf die Verfahren für die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Zeiten, in denen sich das Land tatsächlich in einer Krise befindet, wird kaum eingegangen.

Zentrale Rechtsgrundlage für den Umgang mit der Coronakrise ist das Epidemiengesetz. In dessen Artikel 4 wird auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse Bezug genommen, indem es dort heisst, dass der Bundesrat die Ziele und Strategien der Erkennung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten festlegt und dabei insbesondere den aktuellen Stand der Wissenschaft zu berücksichtigen hat (Art. 4 Abs. 2 Bst. c EpG). Im Weiteren bestimmt Artikel 9 Absatz 3 EpG, dass das BAG dafür verantwortlich ist, Empfehlungen zu Massnahmen gegen übertragbare Krankheiten zu veröffentlichen und sie regelmässig dem aktuellen Stand der Wissenschaft anzupassen. Generell hat das BAG den Auftrag, bei der Erarbeitung der Erlasse über das öffentliche Gesundheitswesen vorbereitend und mitwirkend tätig zu sein (Art. 9 Abs. 3 Bst. a OV-EDI).

Die Epidemienverordnung26 enthält keine weiteren Informationen über die Rolle der wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Entscheidungsfindung.

25 26

Hofmänner (2021); Wenger et al. (2020).

Verordnung vom 29.4.2015 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemienverordnung, EpV; SR 818.101.1).

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Diese rechtlichen Bestimmungen werden in den strategischen Dokumenten, die sich daraus ableiten, wenig konkretisiert. So heisst es im vom BAG ausgearbeiteten Influenza-Pandemieplan Schweiz lediglich, dass das BAG «die wissenschaftliche Entwicklung» laufend zu beobachten hat, «um gegebenenfalls den Einsatz von Massnahmen und die zugrunde liegende Strategie anpassen zu können».27 Ferner wird das Bundesamt dort mit der «Bewirtschaftung eines fortlaufend aktualisierten Informationspools» beauftragt, «der durch ein etabliertes Informationsnetz zwischen BAG, Oberfeldarzt, Armeeapotheke, Swissmedic, Expertengruppen und Kommissionen gespeist wird».28 Die verwendeten Begrifflichkeiten sind sehr vage und legen nicht fest, welche Wissenschaftskreise zu konsultieren sind und auf welche Weise dies zu geschehen hat. Das Krisenhandbuch des BAG wiederum erwähnt die Berücksichtigung von wissenschaftlichen Erkenntnissen bei der Bewältigung einer Epidemie überhaupt nicht.

3.2

Die Pandemiekommission wurde nicht einberufen

Die Bundesverwaltung hat die Möglichkeit, ausserparlamentarische Kommissionen einzusetzen und sich von diesen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben beraten zu lassen (Art. 57a RVOG). In Pandemiefragen existiert mit der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) seit 2011 ein solches Gremium. Der EKP gehören Fachpersonen aus den Bereichen Epidemiologie, Naturwissenschaften, Medizin, Kommunikation und anderen wichtigen Bereichen der Pandemievorbereitung und -bewältigung an, die für ihre Sitzungsteilnahme entschädigt werden. Vertreterinnen und Vertreter der Bundesverwaltung nehmen mit beratender Stimme ebenfalls ständigen Einsitz in dieser Kommission.29 Trotz ihres Fachwissens in Sachen Prävention und Management einer Pandemie ist die EKP nicht im EpG erwähnt ­ im Gegensatz zur Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF), welche insbesondere die Aufgabe hat, den Bundesrat bei der Ausarbeitung von Impfdispositiven und die Behörden beim Vollzug des EpG zu beraten sowie Impfempfehlungen zuhanden des BAG auszuarbeiten (Art. 56 Abs. 1 und 2 EpG).

Die Einsetzungsverfügung der EKP weist dieser jedoch eine beratende Funktion im Falle einer Pandemie zu. Diese Beratungsfunktion umfasst die Beurteilung der Lage und der Gefahren sowie die Wahl der Strategien und Massnahmen zur Bewältigung dieser Situation.30 Auch im Pandemieplan ist vorgesehen, dass die EKP in der besonderen und in der ausserordentlichen Lage ihr Fachwissen und ihren Rat zur Verfügung stellt.31 Die EKP wurde in der COVID-19-Pandemie allerdings nicht einberufen, lediglich das Fachwissen einzelner Mitglieder wurde punktuell genutzt. Dies ist ­ wie die PVK in ihrer jüngst abgeschlossenen Evaluation über die Verwaltungskommissi27 28 29

30 31

BAG (2018): Pandemieplan, 15.

BAG (2018): Pandemieplan, 18.

Strategos (2022): Commissions consultatives extraparlementaires: neuf études de cas (nur auf Französisch); Auftraggeber: Parlamentarische Verwaltungskontrolle; Lausanne, 22.3.2022, Ziff. 4.4 und 7.2.4.

Art. 2 der Verfügung über die Einsetzung der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) vom 14.12.2018.

BAG (2018): Pandemieplan, 19.

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onen festhält ­ darauf zurückzuführen, dass einige Akteure der Auffassung waren, die EKP habe lediglich bei der Vorbereitung auf eine Pandemie ­ und auch nur auf eine Influenza-Pandemie ­ eine Funktion, obwohl in der Einsetzungsverfügung ausdrücklich das Gegenteil verankert ist. Auf der Grundlage des einschlägigen Rechts hätte diese Kommission eine zentralere Rolle bei der Bewältigung der Coronakrise spielen müssen. In der Praxis wäre dies angesichts der Ressourcen der EKP allerdings schwer umzusetzen gewesen: Deren Mitglieder hätten plötzlich deutlich mehr Zeit für die Kommissionstätigkeit aufwenden müssen.32 Der Bundesrat begründete die geringe Nutzung der EKP auch damit, dass diese «die Breite des erforderlichen Know-hows nicht vollumfänglich abdecken» könne und zum anderen «die Ressourcen [fehlten], da die Mitglieder in ihren jeweiligen beruflichen Rollen stark gefordert waren».33

3.3

Die Bundesverwaltung präzisierte im Laufe der Krise die Aufträge der wissenschaftlichen Akteure

Da konkrete Vorgaben fehlten, wie und wann die Wissenschaft einzubeziehen ist, und bestehende Gremien nicht einberufen wurden, wurde der Beizug von Expertinnen und Experten von Fall zu Fall entschieden. Abgesehen von einer ersten Phase, in der eine gewisse Konfusion herrschte und vor allem die persönlichen Kontakte von Bedeutung waren (Ziff. 4.2), ist der Inhalt der Mandate, welche die Bundesverwaltung den verschiedenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erteilte, entscheidend, um zu verstehen, welche Rolle diese wissenschaftliche Beratung in der Krise spielte ­ eine Rolle, die mehrfach angepasst wurde.

Das erste Mandat der SN-STF, das Ende März 2020 von Bund, SNF, ETH-Rat, Swissuniversities und a+ unterzeichnet wurde, erteilte dieser Taskforce die Aufgabe, die Politik und die Behörden zu beraten und dabei zu helfen, Entscheide auf der Grundlage der Erkenntnisse der Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu treffen. Die Hauptadressaten dieser wissenschaftlichen Beratung waren das BAG, der KSBC und das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI).

In diesem ersten Mandat wurden auch weitere Aufgaben festgelegt wie die Ermittlung der Forschungs- und Innovationsmöglichkeiten im Zusammenhang mit dem neuen Coronavirus.34 Nach der Rückkehr zur besonderen Lage und der Auflösung des KSBC im Juni 2020 wurde das Mandat der SN-STF angepasst. Im zweiten Mandat wurde präzisiert, dass der Hauptzweck der wissenschaftlichen Taskforce darin besteht, ein «unabhängiger» Wissenschaftsrat zu sein. Das Adjektiv «unabhängig» war im ersten Mandat noch nicht enthalten. Der Adressatenkreis der wissenschaftlichen Beratung wurde verkleinert und bestand fortan nur noch aus der internen Taskforce des BAG, obwohl es im Text hiess, dass sich die SN-STF über die Taskforce BAG COVID-19 auch mit anderen Bundesämtern und den Kantonsbehörden austauschen 32 33 34

PVK (2022), Ziff. 5.2. Siehe auch den von der PVK in Auftrag gegebenen Expertenbericht: Strategos (2022), Ziff. 4.4 und 7.2.4; Wenger et al. (2020); Hirschi et al. (2022).

Stellungnahme des Bundesrates zum Postulat Regazzi «Swiss National COVID-19 Science Task Force. Aufarbeitung der Fehler und Versäumnisse» vom 16.3.2022 (22.3175).

Nationales Wissenschaftliches Beratungsgremium. Mandat an Schweizerischen Nationalfonds, ETH-Rat, Swissuniversities, Verbund der Akademien a+, 4. Im Folgenden: Mandat SN-STF vom 30.3.2020.

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kann.35 Ebenfalls festgehalten wurde, dass die SN-STF beschliessen kann, ihre Einschätzung zu von ihr bestimmten anderen Themen zu veröffentlichen.36 Die sonstigen Ziele aus dem ersten Mandat (Forschung und Innovation) wurden nicht übernommen, was unterstreicht, dass die Rolle der SN-STF klar auf die wissenschaftliche Beratung des BAG ausgerichtet wurde. Dieses Mandat war am Ende des Untersuchungszeitraums dieser Evaluation noch gültig.

Das BAG arbeitete auch mit dem Netzwerk «Swiss School of Public Health» (SSPH+) zusammen, dem die Fakultäten für Gesundheitswissenschaften in der Schweiz angehören.37 Nach einer ersten Kontaktaufnahme durch SSPH+ wurde im Mai 2020 ein Vertrag unterzeichnet, mit welchem dem Netzwerk der Auftrag erteilt wurde, das Fachwissen der Wissenschaftsgemeinschaft für die Suche nach Lösungen in der COVID-19-Krise zu nutzen und dem BAG zu diesem Zwecke eine nicht öffentliche Plattform zur Verfügung zu stellen, auf der das Bundesamt Fragen stellen kann, die dann von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Netzwerks beantwortet werden. Auf diese Weise sollten die wissenschaftlichen Diskussionen sowie die unterschiedlichen Standpunkte und Vorschläge der Expertinnen und Experten in der Breite erfasst, zusammengefasst und den Behörden zugänglich gemacht werden.38 Das BAG ergänzte das Mandat im Dezember 202039 und betraute SSPH+ mit der Erstellung von Literaturübersichten, die bis dahin intern erstellt worden waren (siehe Ziff. 4.1). Obwohl es zeitlich ausserhalb des Evaluationszeitraums liegt, sei darauf hingewiesen, dass im Juni 2021 ein neuer Vertrag mit SSPH+ zu den Literaturrecherchen geschlossen wurde, in dem von der Bereitstellung von Fachwissen nicht mehr die Rede ist.40 Die Art und Weise, wie diese Mandate präzisiert wurden, zeigt, dass die Bundesverwaltung nicht agierte, sondern reagierte, indem sie die Ziele der externen Fachberatung nach und nach anpasste. Die PVK anerkennt, dass eine gewisse Flexibilität zwar notwendig sein mag, dieses Ad-hoc-Vorgehen aber die Gefahr birgt, dass die Rollen der beteiligten Akteure nicht klar getrennt sind (siehe Ziff. 4.2).

35

36 37

38 39 40

Mitglieder der SN-STF nahmen insbesondere an den quasi wöchentlichen Sitzungen des COVID-19-Steurungsausschusses teil, dem die Generalsekretärinnen und Generalsekretäre aller Departemente sowie Vertretungen der BK, der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) und des BAG sowie in einigen Fällen der Sozialpartner angehörten.

Rahmenmandat an die Swiss National COVID-19 Science Task Force und den ETH-Rat.

Im Folgenden: Mandat SN-STF vom 14.7.2020.

Dem Netzwerk gehören die Fakultäten folgender Hochschulen an: Universität Basel, Universität Bern, Universität Freiburg, Universität Genf, Universität Luzern, Universität Neuenburg, Universität der italienischen Schweiz, Universität Zürich, Berner Fachhochschule, Fachhochschule der italienischen Schweiz und Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Fachexpertise Epidemiologie COVID-19, Vertrag zwischen dem BAG und SSPH+, 20.5.2020.

Fachexpertise Epidemiologie COVID-19, Vertragsergänzung zwischen dem BAG und SSPH+, 10.12.2020.

COVID-19: Literaturrecherchen zu Sars-CoV-2 und COVID-19, Vertrag zwischen dem BAG und SSPH+, 15.6.2020.

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4

Zweckmässigkeit der Organisation und Prozesse für die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse

Zur Organisation und Prozesse für die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse gehören zum einen die internen Prozesse des BAG für die Sammlung und Analyse dieser Erkenntnisse und zum anderen die Verbindungen, die das Amt zu externen Akteuren aufgebaut hat, um Informationen einzuholen bzw. den vorhandenen Informationsstand zu vervollständigen. Die Evaluationskriterien der PVK (Eignung der Art und Weise des Austauschs mit der Wissenschaft, Pluralität der Informationsquellen, geeignete Ermittlung des Bedarfs an wissenschaftlichen Erkenntnissen) sind in Anhang 2 aufgeführt. Die Analysen der PVK zeigen, dass die interne Organisation für die Sammlung und Auswahl der relevanten wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht auf expliziten Kriterien beruhte (Ziff. 4.1). Das BAG arbeitete erst spät und wenig systematisch mit der Wissenschaft zusammen (Ziff. 4.2). Die Zusammenarbeit mit der SN-STF entwickelte sich allerdings positiv (Ziff. 4.3).

4.1

Sammlung und Auswahl der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch das BAG beruhten nicht auf expliziten Kriterien

Es gibt eine beeindruckende Zahl von Publikationen zum neuen Coronavirus. Ende März 2021 erfasste eine entsprechende Online-Plattform41 rund 140 000 Artikel zu diesem Thema, was rund 2000 neuen Publikationen pro Woche entspricht. Hinzu kommt die Zahl der verfügbaren «Preprint»-Beiträge, d. h. der Artikel, die noch keine Peer Review durchlaufen haben und noch nicht von einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift angenommen wurden. Viele der befragten Personen erklärten, dass eben diese Menge an Publikationen eine der grössten Herausforderungen bei der Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse war, dies umso mehr, als einige Publikationen von geringer Qualität waren.42 Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, intern so aufgestellt zu sein, dass eine Sammlung und Auswahl der Publikationen möglich ist und deren Inhalt in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden kann.

Ab der Einsetzung der Taskforce BAG COVID-19 kamen diese Aufgaben den darin vertretenen BAG-Mitarbeitenden zu. Um sich über die Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Laufenden zu halten, stützte sich das Bundesamt auf eine interne Datenbank. Eine Gruppe von BAG-Mitarbeitenden hatte den Auftrag, eine Schnellsuche vorzunehmen, um die Publikationen herauszufiltern, welche den Anfragen der verschiedenen Arbeitsgruppen entsprachen, und sie diesen zur Verfügung zu stellen. Es ist allerdings schwer zu erkennen, anhand welcher Kriterien die relevanten Erkenntnisse ausgewählt wurden. Angesichts der Unmengen an Artikeln wäre es in den Augen der PVK sinnvoll gewesen, solche Kriterien festzulegen. Es gibt allerdings 41 42

PubMed ist eine Suchmaschine für die Suche nach Veröffentlichungen in den Bereichen Medizin und Biologie.

Chiolero, Arnaud / Cullati, Stéphane (2020): Informer en temps d'épidémie: comment faire mieux. In: Bulletin des médecins suisses 101 (35), 1040­1042.

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keine Hinweise darauf, dass die wesentlichen Forschungsergebnisse nicht ermittelt werden konnten. Angesichts des Umfangs dieser Aufgabe beauftragte das BAG im Dezember 2020 das Netzwerk SSPH+ mit der Erstellung einer Literaturübersicht zu bestimmten Themen wie der Wirksamkeit der nicht pharmazeutischen Massnahmen oder den langfristigen Auswirkungen von COVID-19 («Long Covid»). Die Referenzen der Artikel in der Literaturübersicht von SSPH+ wurden dem BAG in einem Format übermittelt, das es dem Bundesamt ermöglichte, sie in seine interne Datenbank aufzunehmen und sich später gegebenenfalls darauf zu beziehen. Die PVK erachtet es als angemessen, dass diese Aufgabe SSPH+ anvertraut wurde, da es sich hierbei um ein Wissenschaftsnetzwerk von Forscherinnen und Forschern handelt. Einige der befragten Personen verwiesen allerdings darauf, dass sich nicht zu allen Themen Literaturübersichten erstellen liessen, da solche Übersichten gewissen methodischen Zwängen unterworfen sind, um wissenschaftlichen Standards zu genügen, das BAG aber rasch Daten zu bestimmten Themen gebraucht habe. Bestimmte Personen der Taskforce BAG COVID-19, namentlich die Arbeitsgruppe «Forschung», verfolgten deshalb ­ je nach Anfrage der anderen Arbeitsgruppen ­ die Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse weiterhin punktuell und themenbezogen. Auch hier ist für die PVK schwer zu erkennen, nach welchen Kriterien entschieden wurde, ob eine interne oder externe Analyse erfolgte.

Die Taskforce BAG COVID-19 setzte zahlreiche Arbeitsgruppen ein,43 welche ihren Informationsbedarf an den zwei- bis dreimal wöchentlich stattfindenden internen Sitzungen kundtun und weitergeben konnten. Danach konnten innerhalb zuvor festgelegter Zeitfenster mehrmals wöchentlich Fachdiskussionen organisiert werden. An diesen von der Arbeitsgruppe «Forschung» koordinierten Sitzungen, die allen Mitgliedern der Taskforce BAG COVID-19 offenstanden, konnten bestimmte Themen eingehend diskutiert werden, teilweise im Beisein von externen Fachpersonen. Bis Ende März 2021 fanden mehr als 80 solcher Fachdiskussionen statt, an denen Themen wie Kommunikation, Wirksamkeit der Masken, Informations- und Datenübermittlungssysteme, Quarantäne, COVID-19-Tests, Impfung und Virusvarianten behandelt oder Forschungsergebnisse wie jene von «Corona Immunitas»44 präsentiert wurden.
Diese Sitzungen ermöglichten es, Informationen und wissenschaftliche Erkenntnisse zu einem bestimmten Thema angemessen zu teilen und zu konsolidieren, die PVK bedauert aber, dass die einzigen Nachweise dieser Sitzungen Powerpoint-Präsentationen sind, aus denen nicht hervorgeht, inwieweit die wissenschaftlichen Erkenntnisse genutzt wurden.

43

44

Von Externen wurde in den Interviews mit der PVK verschiedentlich kritisiert, dass die Struktur der Taskforce BAG COVID-19 und die jeweiligen Zuständigkeiten von deren Mitgliedern sehr schwer zu verstehen waren. Siehe hierzu GPK (2022), Interface (2022).

Corona Immunitas ist ein nationales Programm, das vom BAG finanziell unterstützt wird und dessen Ziel es ist, zu untersuchen, wie viele Personen sich mit dem neuen Coronavirus infiziert haben und inwieweit eine Erkrankung gegen eine (erneute) Infektion schützt.

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4.2

Das BAG arbeitete erst spät und wenig systematisch mit der Wissenschaft zusammen

In der ersten Phase der Krise kam es vor allem zu informellen Kontakten zwischen dem BAG und der Wissenschaft. Mehrere Interviewpartnerinnen und -partner der PVK erklärten, dass sich die im BAG für das jeweilige Thema zuständigen Personen zunächst an diejenigen Personen wendeten, mit denen sie bereits zusammengearbeitet hatten. Als Reaktion darauf und mit dem Gefühl, nicht gehört zu werden, richtete im Februar und März 2020 eine Reihe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Schreiben an den Vorsteher des EDI und an das BAG, in denen sie eine Neubewertung der Gefährlichkeit des neuen Coronavirus45 oder strengere Massnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 verlangten46. Der Austausch war in den ersten Wochen, in denen sich das Virus verbreitete, also eher konfus.47 Die Kontakte zwischen dem BAG und der Wissenschaft wurden erst Ende März 2020 institutionalisiert. Dies entspricht dem Zeitpunkt, an dem in der ersten Welle die Fallzahlen stark anstiegen (siehe Abbildung 1), und war nach Ansicht der PVK eine nahezu unumgängliche Reaktion des BAG. Im Übrigen erfolgte die Formalisierung in Form von Mandaten sowohl im Falle der SN-STF als auch im Falle von SSPH+ auf Initiative der Wissenschaft und nicht des BAG48 (siehe Ziff. 3.3). An Fachwissen gelangte das BAG nicht nur durch diese Mandate, sondern auch durch den direkten Kontakt mit anderen Ländern, mit international anerkannten Organisationen (WHO, Europäisches Zentrum für Seuchenprävention und -bekämpfung [European Center for Disease Prevention and Control, ECDC]) und mit Fachgremien (EKIF, Nationales Zentrum für Infektionsprävention [Swissnoso], Nationales Referenzzentrum für neuauftretende Infektionskrankheiten [NAVI], Pediatric Infectious Disease Group of Switzerland [PIGS]) oder durch subventionierte Forschung, insbesondere im Rahmen des SNF. Das BAG finanzierte zahlreiche wissenschaftliche Forschungsprojekte49 und beteiligte sich an der Auswahl der Projekte für das nationale Forschungsprogramm des SNF zu COVID-19 (NFP 78)50.

Das BAG nutzte folglich verschiedene Kanäle, um an Informationen zu gelangen, ging dabei aber nicht sehr methodisch vor. Obwohl es in der Taskforce BAG COVID-19 eine Arbeitsgruppe «Forschung» gab, die für die Koordination der Kontakte mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zuständig war, verfügte das BAG über kein
klar formuliertes Konzept für die Verarbeitung von wissenschaftlichen Informationen in Pandemiezeiten. Die PVK kann keine Systematik beim Aufbau des externen Netzwerks erkennen, weder was die Form noch den Inhalt anbelangt.

45 46 47 48 49 50

«Gefährlichkeit von COVID-19», Schreiben von vier Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an den Vorsteher des EDI und an das BAG vom 25.2.2020.

«Offener Brief an den Bundesrat bzgl. Coronavirus», Schreiben von 25 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an den Bundesrat vom 12.3.2020.

Siehe auch Hirschi et al. (2022), 38/39.

Der Zusatz zum Mandat von SSPH+ im Dezember 2020 betreffend die Literaturübersichten wurde vom BAG initiiert.

Zum Beispiel «Corona Immunitas» zur Erforschung der Entwicklung von Antikörpern in der Schweizer Bevölkerung, Messung von Sars-CoV-2 in den Abwässern usw.

Dieser Aspekt war der Subkommission als Zusatzoption für die Evaluation vorgeschlagen worden, wurde von ihr aber nicht ausgewählt. Dementsprechend wird auf dieses Thema im Rahmen dieses Berichts nicht im Detail eingegangen.

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Von der Form her waren die Anfragen an die SN-STF sehr heterogen: So wurden die Taskforce-Mitglieder das eine Mal lediglich um eine kurze Einschätzung einer spezifischen Studie über die Virusübertragung in Restaurants gebeten, das andere Mal hingegen um eine eingehende Analyse zu den epidemiologischen Risiken der Weiterführung des Schulbetriebs inklusive Bewertung der Vor- und Nachteile sowie Definition konkreter Kriterien für die Öffnung oder Schliessung der Schulen. Auch die Antworten der SN-STF waren sehr unterschiedlich und reichten von einem E-Mail bis hin zur Veröffentlichung von Policy Briefs, d. h. von Entscheidungshilfen zu bestimmten Themen. Nach Ansicht der PVK ist es grundsätzlich von Nutzen, Anfragen unterschiedlichster Art stellen zu können, doch setzt dies voraus, dass das Ziel jeder Anfrage und das erwartete Produkt klar definiert sind. Dies war aber laut einigen von der PVK befragten Personen nicht immer der Fall. So habe die SN-STF teilweise zusätzliche Abklärungen vornehmen müssen, um den genauen Gegenstand der Anfrage zu verstehen.

Was den Inhalt betrifft, so hat die PVK festgestellt, dass das BAG teilweise zum gleichen Thema mehrere Anfragen an externe Fachpersonen stellte und der Nutzen der verschiedenen Kanäle nicht immer klar war. Ab dem 20. März 2020 bestand eine vom Netzwerk SSPH+ geschaffene Plattform, auf der sich das BAG mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern austauschen konnte. Da diese Plattform nicht öffentlich war, ermöglichte sie laut den befragten Personen dem BAG, den Fachleuten Fragen zu stellen und so eine offenere Diskussion zu führen. Allerdings gab es Themen, die sowohl auf dieser Plattform als auch mit der SN-STF besprochen wurden. Diese Doppelspurigkeiten mehrten sich mit den Literaturübersichten, mit deren Erstellung SSPH+ ab Januar 2021 beauftragt war. So veröffentlichte die SN-STF zum Beispiel ab April 2020 auf Ersuchen des BAG mehrere Policy Briefs zu COVID-19 bei Kindern und Jugendlichen, welche die wissenschaftlichen Erkenntnisse in diesem Bereich zusammenfassten. Im März 2021 wurde auch bei SSPH+ eine Literaturübersicht zu diesem Thema in Auftrag gegeben. Einige der befragten Personen erachteten diese Vielzahl an Kanälen als positiv. Auf diese Weise hätten Informationen aus verschiedenen Quellen gesammelt und anschliessend verglichen
sowie allfällige Widersprüche bei den Ergebnissen diskutiert werden können. Die PVK sieht hier allerdings die Gefahr, dass gewisse Analysen ­ wie oben beschrieben ­ doppelt vorgenommen werden, und bedauert deshalb das Fehlen einer Strategie, welche die Art und Weise für den Austausch mit der Wissenschaft klar regelt. Dies umso mehr, als die Wissenschaftskreise durch die COVID-19-Pandemie stark beansprucht wurden und jede Doppelspurigkeit eine unnötige Belastung für die betroffenen Personen darstellte.

Eine hohe Arbeitslast hatte auch das BAG zu tragen, welches die verschiedenen wissenschaftlichen Analysen auswerten musste und auf dessen Überlastung in der Coronakrise bereits in verschiedenen anderen Berichten hingewiesen wurde.51 Ferner lässt sich festhalten, dass die Mandate an die SN-STF nicht vergütet wurden (die Arbeit der Mitglieder wurde über das reguläre Budget ihrer jeweiligen Institutionen finanziert), jene an SSPH+ allerdings schon. Ein Unterschied, der für die PVK angesichts der vergleichbaren Leistungen der beiden Akteure nicht zu erklären ist.

51

GPK (2022), Ziff. 6.4.5.

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4.3

Die Zusammenarbeit zwischen dem BAG und der SN-STF verbesserte sich im Laufe der Pandemie

Unter den verschiedenen Akteuren aus der Wissenschaft nahm die SN-STF seit ihrer Einsetzung die Rolle des Gremiums ein, das dafür zuständig war, die Behörden wissenschaftlich zu beraten und zu unterstützen. Als Adressat dieser wissenschaftlichen Unterstützung war ­ neben dem KSBC und dem SBFI ­ ausdrücklich das BAG festgelegt.52 Das BAG und die anderen Verwaltungseinheiten hatten allerdings keinen Einfluss auf die Zusammensetzung dieses sie beratenden Gremiums. Die SN-STF entstand auf Initiative der Wissenschaft selbst53 und aus den Interviews der PVK geht hervor, dass sie über eine gewisse Autonomie bei der Ernennung ihrer Mitglieder und in organisatorischen Belangen verfügte, obwohl in ihrem Mandat festgelegt war, dass die Ernennung ihrer Mitglieder im Einvernehmen mit den Auftraggebern zu erfolgen hat.54 Dieser Sachverhalt wird unterschiedlich bewertet: Während einige Personen der Ansicht sind, dass diese Bottom-up-Konstituierung die Legitimität und die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Taskforce stärkte, ist dieses zufällige Zustandekommen in den Augen anderer dafür verantwortlich, dass die SN-STF eine eher schwache Position gegenüber den Behörden hatte und sich das Vertrauen des BAG erst erarbeiten musste. Die befragten Personen äusserten die Meinung, dass die relevanten Fachbereiche angemessen in der SN-STF vertreten waren. Vereinzelt wurde aber bedauert, dass die Spitäler und die Sozialwissenschaften nicht besser repräsentiert waren.

Einigkeit bestand unter den Interviewpartnerinnen und -partnern der PVK darüber, dass die Beziehungen zwischen dem BAG und der SN-STF anfangs nicht besonders gut waren, sondern die Zusammenarbeit von persönlichen Differenzen, Missverständnissen und Misstrauen geprägt war, was auch in anderen Berichten hervorgehoben wird.55 Die Fachleute im BAG mussten zunächst lernen, dass die SN-STF einen Mehrwert brachte und keine Konkurrenz darstellte. Ferner bedurfte es einer klaren Definition und eines einheitlichen Verständnisses der jeweiligen Zuständigkeiten, d. h. Bereitstellung des erforderlichen Fachwissens auf der einen Seite (Wissenschaft) und Entscheidungsfindung auf der anderen Seite (politische Verantwortliche).56. Zu Beginn der Krise betrafen die Anfragen des BAG an die SN-STF regelmässig und ausdrücklich politische Fragen, z. B. die Frage, ob der Bund
seine Maskenstrategie ändern sollte,57 oder die Frage, welche Massnahmen für wie lange beibehalten werden sollten.58 Ein Mitglied der wissenschaftlichen Taskforce sagte, dass deren Aufgabe anfangs der Politikberatung ähnelte, die SN-STF ihre Empfehlungen ­ namentlich in den Policy Briefs ­ in der Folge aber vorsichtiger formulierte. Parallel dazu fokussierte das BAG seine Anfragen nach und nach stärker auf den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu bestimmten Themen oder auf die Entwicklung von Modellen betreffend die Pandemieentwicklung.

52 53 54 55 56 57 58

Mandat SN-STF vom 30.3.2020.

Siehe auch SN-STF (2022).

Siehe auch Antwort des Bundesrates auf die von Nationalrätin Therese Schläpfer am 2.3.2021 eingereichte Frage 21.7111 «Covid-Taskforce».

BK (2020); Hirschi et al. (2022).

SN-STF (2022).

E-Mail-Anfrage an die SN-STF vom 2.4.2020.

E-Mail-Anfrage an die SN-STF vom 8.4.2020.

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Die klarere Definition der Rolle der SN-STF und der allgemeine Lernprozess beim BAG und bei der SN-STF stärkten das Vertrauen zwischen den beiden Parteien und das gegenseitige Verständnis. Laut dem EDI war dies von zentraler Bedeutung für das Krisenmanagement. Nach Ansicht der PVK führte diese Neudefinition der Rolle der SN-STF allerdings gleichzeitig dazu, dass vom anfänglichen Zweck der wissenschaftlichen Taskforce abgerückt wurde. Die befragten Personen sind der Auffassung, dass sich die SN-STF zur Wahrung der Kompetenzverteilung und angesichts der Kritik, sie überschreite ihre Kompetenzen,59 im Verlauf der Pandemie immer stärker bemühte, die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Pandemiemassnahmen nicht mehr zu kommentieren, sondern nur noch die Erkenntnisse und die verschiedenen Handlungsoptionen darzulegen. Die Unterschiede zwischen der Funktion der SN-STF und der Rolle von SSPH+, die darin bestand, dem BAG die wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammenzufassen, wurden nach Ansicht der PVK dadurch immer geringer, obwohl sich die offiziellen Mandate der beiden Akteure unterschieden (Ziff. 3.3). Das BAG teilte der PVK allerdings mit, dass ihm die SN-STF weiterhin Lagebeurteilungen zukommen liess, allerdings auf informellem Wege in den regelmässigen bilateralen Gesprächen zwischen den verantwortlichen Personen. Dieser Vorgehensweise fehlt es in den Augen der PVK jedoch an interner Transparenz, da die Beratung dadurch nicht schriftlich erfolgte und dementsprechend nicht zurückverfolgt und analysiert werden kann.

Die Beziehungen zwischen dem BAG und der Wissenschaft veränderten sich also im Laufe der Zeit und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren war abhängig von den zuständigen Personen auf beiden Seiten. Es sei darauf hingewiesen, dass quasi alle befragten Personen betonten, diese Entwicklung habe zu einer deutlich konstruktiveren Zusammenarbeit geführt. Die Flexibilität und die Verfügbarkeit aller Beteiligten wurden allseits gelobt und trotz kritischer Stimmen ist die Mehrheit der Akteure aus der Bundesverwaltung der Auffassung, dass das BAG dank der SN-STF innert nützlicher Frist über die erforderlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse verfügte und die Taskforce somit zu einer evidenzbasierten Entscheidungsfindung beitragen konnte. Zu diesem Schluss kommen auch andere Berichte.60

5

Angemessenheit der Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen

Ziel der Evaluation war es nicht, die Zweckmässigkeit der Bundesratsentscheide zu untersuchen, sondern zu analysieren, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen, die Gegenstand der Fallstudien sind (Maskenpflicht und Beschränkung von privaten Treffen, Grossanlässen, Restaurant- und Barbetrieb sowie Schul- und Universitätsbetrieb), berücksichtigt wurden (siehe Ziff. 1.3). Die Analyse der PVK stützt sich auf die Dokumente, die das BAG und das EDI für den Bundesrat vorbereiteten, und auf die Interviews mit verwaltungsinternen und -externen Perso59 60

Siehe z. B. Politiker kritisieren Corona-Taskforce. In: Basler Zeitung, 14.8.2020; L'impossible mission de la task force Covid. In: Le Matin Dimanche, 7.3.2021.

BK (2022), 29; Hirschi et al. (2022).

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nen, namentlich mit Mitgliedern der SN-STF. In Anhang 3 findet sich eine Kurzchronologie zu jeder Fallstudie, welche die Entwicklung des Kenntnisstands und die Beschlüsse des Bundesrates nachzeichnet. Die Evaluationskriterien (angemessene Präsentation der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen, Transparenz bezüglich der Qualität der wissenschaftlichen Grundlagen und der Unsicherheiten) sind in Anhang 2 beschrieben. Aus den Analysen der PVK geht hervor, dass in den Dokumenten zuhanden des Bundesrates zwar die epidemiologische Lage detailliert dargestellt wurde, auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse allerdings eher selten verwiesen wurde (Ziff. 5.1). Die vorhandenen Empfehlungen zum Maskentragen wurden unvollständig wiedergegeben (Ziff. 5.2) und die neuen Erkenntnisse über die Virusübertragung durch Aerosole und ihre Auswirkungen auf die Beschränkung von privaten Treffen, Grossanlässen, Restaurant- und Barbetrieb sowie Schul- und Universitätsbetrieb unterschiedlich klar in den Entscheidungsgrundlagen ausgewiesen (Ziff. 5.3).

5.1

Die Entscheidungsgrundlagen erläuterten zwar die epidemiologische Lage, selten aber den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse

Das weiter oben beschriebene übliche Verfahren für die Ausarbeitung von Entscheidungsgrundlagen (Ziff. 2.3) wurde in der Coronakrise stark verändert. Aufgrund der Krisensituation mussten dringliche Entscheide getroffen werden, wodurch die Fristen für die Ausarbeitung der entsprechenden Grundlagen deutlich kürzer waren als sonst.61 Dieser Aspekt und die damit verbundenen Herausforderungen wurden in den Interviews der PVK mehrfach betont.62 Dementsprechend wurde auch die Konsultation der betroffenen Verwaltungsakteure abgekürzt. Zum Teil wurden diese noch vor der offiziellen Konsultation direkt bilateral kontaktiert, was Fragen hinsichtlich der Transparenz aufwirft.

Dieser Zeitdruck erklärt auch, warum die Dokumente zuhanden des Bundesrates in enger Zusammenarbeit des GS-EDI und des BAG erstellt wurden und weshalb sich das BAG bemühte, die politischen Aspekte vorherzusehen und direkt in diese Dokumente aufzunehmen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse an sich wurden allerdings nur selten erwähnt. Die PVK hält fest, dass die Dokumente zuhanden des Bundesrates (schriftliche Anträge, Informations- oder Diskussionsnotizen) zahlreiche Fakten über die Entwicklung der epidemiologischen Lage in der Schweiz mit Indikatoren wie der Fallzahl, der Positivitätsrate der Covid-Tests, der Zahl der Hospitalisierungen, der Auslastung der Intensivbetten und der Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 sowie einen Überblick über die internationale Lage enthielten. Diese Informationen wurden ab November 2020 in das von den Behörden entwickelte Dashboard63 eingetragen. Die Analyse der PVK hat allerdings gezeigt, dass in den Anträgen zur Verschärfung oder Lockerung der Massnahmen häufig nicht auf die zugrun61 62 63

Interface (2022).

Siehe auch GPK (2022), Ziff. 6.2.5.

Covid-19 Schweiz, Informationen zur aktuellen Lage, www.covid19.admin.ch (Stand: 18.5.2022).

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deliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse verwiesen wurde. Wissenschaftliche Erläuterungen (mit oder ohne Quellenangabe) zur Begründung des Antrags fehlten also, und dies, obwohl sich das BAG und das EDI laut den befragten Personen bemühten, die Vor- und Nachteile der vorgeschlagenen Massnahmen aufzuzeigen, damit die entsprechenden Entscheide in voller Kenntnis der Sachlage gefällt werden konnten.

5.2

Die vorhandenen Empfehlungen zum Maskentragen wurden in den Entscheidungsgrundlagen unvollständig wiedergegeben

Die Fallstudie über die Maskenpflicht (siehe Tabelle A, Anhang 3) hat ergeben, dass nicht grundsätzlich infrage gestellt wurde, ob das Maskentragen die Virusübertragung wirksam verhindern könne. Die Ansichten, in welchen Situationen eine Maskenpflicht empfehlenswert ist, gingen aber auseinander. Bereits vor der COVID-19-Pandemie lagen Studien zu diesem Thema vor. Diese betrafen allerdings vor allem asiatische Länder, in denen das Maskentragen deutlich verbreiteter ist, und wurden in erster Linie im Gesundheitsbereich durchgeführt, in dem das Maskentragen allgemein empfohlen wird.64 Die Frage, die sich rasch stellte, war jene nach einer generellen Maskenpflicht für die Bevölkerung. Das BAG stellte mehrere Anfragen zu diesem Thema an die SN-STF und organisierte entsprechende Fachdiskussionen. Die wissenschaftliche Taskforce zeigte sich zunächst zurückhaltend in ihren Antworten, empfahl aber ab dem 20. April 2020 ausdrücklich, die gesamte Schweizer Bevölkerung solle Masken tragen, da die Kosten-Nutzen-Rechnung angesichts der COVID-19-Pandemie eindeutig für diese Massnahme spreche.65 Zu jenem Zeitpunkt waren andere anerkannte Wissenschaftsgremien wie das ECDC und die WHO zurückhaltender.66 In den Unterlagen für die Bundesratssitzung, in deren Anschluss kommuniziert wurde, dass auf eine allgemeine Maskenpflicht verzichtet wird, wurde auf die Position dieser beiden Akteure verwiesen, nicht jedoch auf jene der SN-STF.67 Die Medien vermuteten unter anderem die nur ungenügenden Maskenbestände als Grund für diesen Verzicht.68 Diese These ist umstritten: Einige der befragten Personen sind der Ansicht, dass der Maskenvorrat keinen Einfluss auf die Empfehlungen 64

65 66

67 68

Cowling, B.J. / Zhou, Y. / Ip, D.K. / Leung, G.M. / Aiello, A.E. (2010): Face masks to prevent transmission of influenza virus: a systematic review. In: Epidemiology and Infection, 138 (4), 449­456; BinReza, Faisal / Lopez Chavarrias, Vicente / Nicoll, Angus / Chamberland, Mary E. (2012): The use of masks and respirators to prevent transmission of influenza: a systematic review of the scientific evidence. In: Influenza And Other Respiratory Viruses, 6 (4), 257­267; Saunders-Hastings, P. / Crispo, J.A.G. / Sikora, L. / Krewski, D. (2017): Effectiveness of personal protective measures in reducing pandemic influenza transmission: A systematic review and meta-analysis. In: Epidemics 20, 1­20.

SN-STF (2020): Role of Face masks as part of non-pharmaceutical interventions against coronavirus disease, 20.4.2020. Siehe auch SN-STF (2022).

ECDC (2020): Using face masks in the community. Reducing COVID-19 transmission from potentially asymptomatic or pre-symptomatic people through the use of face masks.

Technical Report, 8.4.2020; WHO (2020): Advice on the use of masks in the context of COVID-19. Interim guidance, 6.4.2020.

Informationsnotiz «COVID-19: Maskenstrategie ab 27. April 2020», 21.4.2020.

Keine Maskenpflicht, aber Unterstützung des Maskenangebots. swissinfo.ch, 22.4.2020.

30 / 70

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der Schweizer Behörden hatte. Die Mehrheit der Interviewpartnerinnen und -partner ­ auch aus dem BAG ­ räumt indes ein, dass es keinen Sinn gehabt hätte, das Maskentragen zu empfehlen, ohne über ausreichend Masken zu verfügen. Obwohl in den analysierten Dokumenten kein ausdrücklicher Zusammenhang zwischen den geringen Maskenbeständen und dem Verzicht auf eine allgemeine Maskenempfehlung hergestellt wird, stellt die PVK dennoch fest, dass diese beiden Aspekte eng miteinander verknüpft sind: Der Maskenvorrat wurde in den Diskussionen über das Maskentragen mehrfach thematisiert69 und als später im Herbst 2020 mehr Masken verfügbar waren, wurde diese Verfügbarkeit in den Entscheidungsgrundlagen als Argument für eine Maskenempfehlung genannt.70 Bewegung in dieser Frage gab es bereits im Laufe des Sommers 2020: Ab diesem Zeitpunkt setzte sich immer mehr der Standpunkt durch, dass es sinnvoll ist, wenn die gesamte Bevölkerung Masken trägt.71 Im Juni 2020 enthielten die Unterlagen zuhanden des Bundesrates eine ausführlichere Präsentation der verschiedenen Meinungen zum Maskentragen. Allerdings kam die Verwaltung zum Schluss, dass «[a]ufgrund der tiefen Infektionszahlen [...] in der Schweiz zurzeit von einem Maskenobligatorium abgesehen werden [soll].»72 Die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr (ÖV) wurde vom BAG und vom EDI zunächst als mögliche zukünftige Massnahme präsentiert, bevor die Ergebnisse des Mitberichtsverfahrens zu einer strikteren Position führten und dem Bundesrat Anfang Juli die Einführung dieser Pflicht vorgeschlagen wurde.73 Interessant ist, dass die SN-STF in dieser Phase ein Policy Brief veröffentlichte, in dem die öffentlichen Verkehrsmittel als einer der wichtigsten Orte genannt wurden, an denen eine Maskenpflicht gelten sollte.74 Aus den von der PVK geführten Interviews und aus den analysierten Dokumenten geht hervor, dass der Entscheid von Ende Oktober 2020, eine Maskenpflicht für Innenräume und im Freien einzuführen, letztlich eher aus anderen als aus wissenschaftlichen Gründen getroffen wurde, wie etwa aufgrund der Massnahmen der Nachbarländer sowie der Verfügbarkeit und Akzeptanz der Masken.

Die Analysen der PVK zeigen also, dass sich weniger die wissenschaftlichen Erkenntnisse als solche änderten, sondern eher die Haltung gegenüber dem Maskentragen.

Dies hat auch damit zu tun, dass das Maskentragen am Anfang der Coronakrise in den 69

70 71

72

73

74

Antrag des EDI «Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus: Massnahmen an der Grenze und Massnahmen gegenüber der Bevölkerung, Meldepflicht Gesundheitsversorgung», 12.3.2020; Informationsnotiz «COVID-19: Maskenstrategie 27. April 2020», 21.4.2020.

Informationsnotiz «Bekämpfung der COVID-19-Epidemie in der Schweiz: Szenarien für das weitere Vorgehen», 20.10.2020.

ECDC (2020): Guidelines for the implementation of non-pharmaceutical interventions against COVID-19, 24.9.2020; WHO (2020): Advice on the use of masks in the context of COVID-19. Interim guidance, 5.6.2020.

Diskussionsnotiz «Eckwerte für weitere Lockerungsschritte: Versammlungen und Veranstaltungen, Distanzregelung, Baustellen. Ausstieg aus der ausserordentlichen Lage gemäss Artikel 7 Epidemiengesetz: Aufteilung der COVID-19-Verordnung 2 in zwei neue Verordnungen», 18.6.2020.

Diskussionsnotiz «Verschärfung der Basismassnahmen anlässlich des erneuten Wiederanstiegs der COVID-19 Fallzahlen», Fassung vom 30.6.2020 und neue Fassung vom 1.7.2020.

SN-STF (2020): Benefits of wearing masks in community settings where social distancing cannot be reliably achieved, 1.7.2020.

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westlichen Ländern etwas vollkommen Neues war. Laut den meisten der befragten Personen aus der Bundesverwaltung hat ­ insbesondere im BAG ­ in Bezug auf die Wirksamkeit des Maskentragens nur langsam ein Umdenken stattgefunden, weil die Massnahme zum Teil von den zuständigen Personen abgelehnt wurde. Die PVK hält fest, dass die Einführung einer Maskenpflicht letzten Endes auch im BAG mehrheitlich befürwortet wurde, als nicht nur die SN-STF, sondern im Sommer 2020 auch die WHO und das ECDC entsprechende Empfehlungen formulierten, und als andere, nicht rein wissenschaftliche Faktoren ebenfalls für das Maskentragen sprachen.

5.3

Neue Erkenntnisse zur Virusübertragung wurden in den Entscheidungsgrundlagen unterschiedlich klar ausgewiesen

In den anderen Fallstudien, die sich mit verschiedenen beschränkenden Gesundheitsmassnahmen befassen, waren vor allem die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Übertragungswege des neuen Coronavirus von Bedeutung. Eine der wichtigsten Fragen war, ob das Virus nur durch Tröpfchen oder auch durch Aerosole übertragen wird.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind der Ansicht, dass diese Unterscheidung falsch ist und für viel Verwirrung sorgte, da Aerosole als kleine Tröpfchen betrachtet werden können.75 Die WHO erklärte Anfang Februar 2020, dass das Virus angesichts der Übertragungswege früherer Coronaviren, die in Asien und im Nahen Osten Epidemien auslösten, vermutlich durch Tröpfchen, durch engen persönlichen Kontakt und durch kontaminierte Gegenstände übertragen werde.76 Ab April 2020 teilte die SN-STF mit, es gebe Hinweise darauf, dass eine Infektion mit dem Virus Sars-CoV-2 auch über Aerosole erfolgen könne,77 namentlich in schlecht gelüfteten Räumlichkeiten78. Sie wiederholte diese Aussage im Oktober 2020 und verwies darauf, dass sich die Debatte eigentlich nur um die Frage drehe, welche Bedeutung diesem Übertragungsweg zukomme.79 Aus Sicht der PVK wurden diese Erkenntnisse über das neue Coronavirus in den Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates nur wenig dargelegt. Diese enthielten Fakten über die Entwicklung der Fallzahlen und der Hospitalisierungen, aber kaum Informationen über die Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse hinsichtlich der Übertragungswege früherer Coronaviren und die daraus zu folgernden Schlüsse (siehe Tabellen B, C und D, Anhang 3).

Anders gesagt, bedeutet dies, dass die Entscheidungsgrundlagen des Bundesrates zu den in den Fallstudien behandelten Massnahmen nicht unbedingt die aktuellen Erkenntnisse über die Virusübertragung enthielten.

75

76 77 78 79

Siehe z. B. Molteni, Megan (2021): The 60-Year-Old Scientific Screwup That Helped Covid Kill. In: WIRED, 13.5.2021; Dyani Lewis (2022): Why The WHO Took Two Years To Say COVID Is Airborne. In: Nature (604), 26­31.

WHO (2020): 2019 Novel Coronavirus (2019nCoV): Strategic Preparedness and Response Plan, 3.2.2020.

SN-STF (2020): Role of Face masks as part of non-pharmaceutical interventions against coronavirus disease, 20.4.2020.

SN-STF (2020): Response to FOPH questions on masks and aerosol transmission, 4.6.2020. Siehe auch SN-STF (2022).

SN-STF (2020): The role of Aerosols in SARS-CoV-2 Transmission, 29.10.2020.

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Als der Antrag des EDI, die Restaurants im März 2021 noch nicht wieder zu öffnen (Tabelle D, Anhang 3), in der Konsultation der Partner und Departemente kritisiert wurde, enthielt das Dokument zuhanden des Bundesrates zur Rechtfertigung des Beibehalts dieser Beschränkung hingegen eine ausführliche Erläuterung der verschiedenen Übertragungswege und des damaligen Kenntnisstands, wonach Untersuchungen klar ergeben hätten, dass in Restaurants ein erhöhtes Risiko einer Infektion mit Sars-CoV-2 besteht.80 Der Umgang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Verbreitung des neuen Coronavirus durch Kinder und über die allfälligen Konsequenzen für den Schulbetrieb spiegeln mehr als in anderen Fällen das Vorsorgeprinzip wider. Obwohl wissenschaftlich nicht gesichert war, inwieweit Kinder das Virus übertragen können, empfahl das ECDC ab Februar 2020, Schulschliessungen in Betracht zu ziehen.81 Diese Empfehlung wurde vom EDI und vom BAG in die Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates übernommen. Ab April 2020 wird die bestehende Unsicherheit transparent in den Dokumenten zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen wiedergegeben, z. B. durch Formulierungen wie «die letzten Beobachtungen scheinen zu zeigen, dass Kinder bei der Virusübertragung keine grosse Rolle spielen»82. Die Unsicherheit kam also in der Wortwahl zum Ausdruck. Es sei allerdings auch darauf hingewiesen, dass es durchaus Instrumente gibt, bestehende Unsicherheiten noch expliziter darzulegen, nämlich durch eine Kategorisierung der Erkenntnisse (z. B. A, B, C) nach Zuverlässigkeit der jeweiligen Studien.83 Die SN-STF sprach damals von einem Wertekonflikt zwischen den epidemiologischen Risiken und dem Recht der Kindern auf Bildung, welches durch Schulschliessungen eingeschränkt werde.84 Die Nachteile in Sachen Bildung wurden in der Folge systematisch in den Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates erwähnt. Die Schliessung von Primar- und Sekundarschulen wurde als Massnahme bezeichnet, die nur als letztes Mittel ergriffen werden sollte, da die Möglichkeit des Distanzunterrichts schwer umsetzbar sei (Tabelle E, Anhang 3).

80

81 82 83

84

Antrag des DFI «Änderung der COVID-19-Verordnung besondere Lage und der COVID-19-Verordnung 3: Öffnungen in den Bereichen Freizeit, Kultur, Sport und Einkaufsläden», 23.2.2021.

ECDC (2020): Guidelines for the use of non-pharmaceutical measures to delay and mitigate the impact of 2019-nCoV. Technical Report, Februar 2020.

Informationsnotiz «COVID-19: Maskenstrategie ab 27. April 2020», 21.4.2020 (Übersetzung; Originalsatz auf Französisch).

Siehe z. B. das System der «US Preventive Services Task Force» (www.uspreventiveservicestaskforce.org > About the USPSTF > Methods and processes > Grade Definitions, Stand: 28.4.2022), das GRADE-System (www.gradeworkinggroup.org, Stand: 27.4.2022) oder im Bereich Klimawandel die Informationsnotiz des Intergovernmental Panel On Climate Change (2010): Guidance Note for Lead Authors of the IPCC Fifth Assessment Report on Consistent Treatment of Uncertainties.

SN-STF (2020): Role of children in transmission of SARS-CoV-2 pandemic, 20.4.2020.

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6

Zweckmässigkeit der öffentlichen Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse

Die Analyse der öffentlichen Kommunikation wurde im Auftrag der PVK extern vorgenommen. Der entsprechende Expertenbericht, dessen wichtigste Ergebnisse in diesem Kapitel dargelegt werden, findet sich im Anhang zu diesem Bericht. Die beauftragten Fachleute analysierten die Medienkonferenzen und Points de Presse, an denen es um das Maskentragen und die Beschränkung von privaten Treffen ging (Ziff. 1.2), und achteten dabei insbesondere darauf, ob die Massnahmen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen begründet wurden, ob der Zuverlässigkeitsgrad dieser Erkenntnisse kommuniziert wurde und ob Widersprüche zu vorherigen Aussagen bestanden.85 Die PVK ergänzte die externe Studie mit einer Dokumentenanalyse und Interviews. Die Beurteilung der öffentlichen Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse erfolgte anhand von Kriterien wie der Kohärenz und Transparenz der Kommunikation und der Klarheit der Aufgabenverteilung (siehe Anhang 2). Die Analyse zeigt, dass die öffentliche Kommunikation der Behörden verständlich war, sich aber nur wenig auf die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse stützte (Ziff. 6.1). Die Entwicklung und die Unsicherheit dieser Erkenntnisse wurden nicht aktiv kommuniziert (Ziff. 6.2). Zudem war die Verteilung der Kommunikationsaufgaben zwischen den verschiedenen Akteuren in der Praxis nicht immer klar (Ziff. 6.3).

6.1

Die öffentliche Kommunikation war verständlich, stützte sich aber nur wenig auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse

Die von der PVK beauftragten Fachleute sind der Ansicht, dass für die öffentliche Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse höhere Anforderungen galten, da die Medienkonferenzen zum neuen Coronavirus auch von der breiten Bevölkerung verfolgt wurden und nicht nur von den Medienschaffenden.86 Die Kommunikationsqualität hängt insbesondere von der Satzstruktur und der Wortwahl ab.87 Die qualitative und quantitative Inhaltsanalyse hat gezeigt, dass die Kommunikation verständlich war, sowohl was die mündliche Kommunikation selbst als auch die online verfügbaren schriftlichen Begleitdokumente zu den Medienkonferenzen angeht. Die Medienkonferenzen und Points de Presse hatten eine klare Struktur und die Funktionen der teilnehmenden Personen wurden klar und transparent präsentiert. Lediglich die Tatsache, dass Abkürzungen wie «ECDC», die in der breiten Öffentlichkeit wenig bekannt waren, ohne Erklärung verwendet wurden, wird im externen Expertenbericht angesichts des grossen Publikums der Medienkonferenzen als Quelle für Missverständnisse bezeichnet.

Gemäss den externen Fachleuten sollte die öffentliche Kommunikation der Behörden zudem auf verständlichen Erklärungen beruhen, die sich auf verlässliche Quellen stüt-

85 86 87

Oehmer-Pedrazzi/Pedrazzi/Schneider (2022), Kap. 2.

Oehmer-Pedrazzi/Pedrazzi/Schneider (2022), Kap. 1 und Ziff. 3.3.

Oehmer-Pedrazzi/Pedrazzi/Schneider (2022), Kap. 1.

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zen, da dies die Akzeptanz der Bevölkerung erhöht.88 Im Pandemieplan heisst es: «Das BAG kommuniziert aktiv, inhaltlich korrekt sowie zeit- und anspruchsgruppengerecht. Jede Information wird so kurz und verständlich wie möglich formuliert und basiert auf Sachlichkeit und Transparenz. Unsicherheiten und Ungewissheiten werden offengelegt, um Spekulationen und Gerüchten entgegenzuwirken.»89 Die Analyse hat jedoch gezeigt, dass die Aussagen an den Medienkonferenzen nur selten durch wissenschaftliche Erkenntnisse untermauert wurden. In 240 der 268 untersuchten Aussagen (89,6 %), die sich auf das Maskentragen und die Beschränkung privater Treffen bezogen, wurde nicht auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse verwiesen (siehe Tabelle 2).90 Die Zahlen sind bei beiden Massnahmen nahezu gleich. Auch wenn klar ist, dass nicht bei jeder Aussage ein expliziter Verweis auf die zugrundeliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse möglich ist, insbesondere dann nicht, wenn ein politisches Organ wie der Bundesrat kommuniziert (siehe Ziff. 6.3), so scheinen diese Zahlen der PVK doch sehr hoch. Interessant ist, dass die analysierten Aussagen der Mitglieder der SN-STF stets einen Verweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse enthielten, was ja durchaus dem Auftrag dieses Gremiums entspricht. Die externen Fachleute verweisen ausserdem darauf, dass sich die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Laufe der Zeit änderte. So mehrten sich ab Herbst 2020 die Verweise, namentlich aufgrund einer aktiveren Teilnahme der Mitglieder der SN-STF.

Tabelle 2 Verweise auf wissenschaftliche Erkenntnisse in den Aussagen zum Maskentragen und zu den Beschränkungen privater Treffen Sprecher/in

Aussage mit Verweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse

Aussage ohne Verweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse

Gesamt

Bundesrat

6 7,4%

75 92,6%

81 100%

BAG

4 7,8%

47 92,2%

51 100%

14 100%

0 0%

14 100%

Bundesverwaltung (ohne BAG)

0 0%

10 100%

10 100%

Medienschaffende

4 4,3%

SN-STF

88 89 90

90 95,7%

94 100%

Oehmer-Pedrazzi/Pedrazzi/Schneider (2022), Kap. 1; Raupp/Kocks (2018); Vogel (2010) Dies wird auch von der SN-STF betont, siehe SN-STF (2022), 6.

BAG (2018): Pandemieplan, 28.

Oehmer-Pedrazzi/Pedrazzi/Schneider (2022), Ziff. 3.1. Jede wissenschaftliche Erläuterung und jede Erwähnung einer Studie oder externen Empfehlung (mit oder ohne Quellenangabe) wurde als Verweis gezählt.

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Sprecher/in

Aussage mit Verweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse

Sonstige

0 0%

Gesamt

28 10,4%

Aussage ohne Verweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse

Gesamt

18 100%

18 100%

240 89,6%

268 100%

Quelle: angepasst von Oehmer-Pedrazzi/Pedrazzi/Schneider (2022), Ziff. 3.1.

Unter den analysierten Aussagen waren es im Übrigen lediglich jene betreffend die Verschärfung der Massnahmen (z. B. Ausdehnung der Maskenpflicht oder Senkung der erlaubten Personenzahl bei Treffen), die ausdrücklich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen begründet wurden. Bei der Lockerung von bestehenden Massnahmen war dies nicht der Fall. Gemäss den externen Fachleuten lässt sich daraus schliessen, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse vor allem eingesetzt wurden, um sicherzustellen, dass die Bevölkerung diese Massnahmen mitträgt. Dies zeigt sich auch daran, dass bei Massnahmen, die in Form von Empfehlungen formuliert wurden, etwas häufiger auf die zugrundeliegenden Erkenntnisse verwiesen wurde als bei Pflichtmassnahmen, da hier ­ um sicherzustellen, dass die Massnahme angewendet wird ­ offensichtlich eine grössere Notwendigkeit gesehen wurde, diese zu rechtfertigen.91 Die vertiefte Analyse bestimmter Medienkonferenzen und Points de Presse bestätigt die allgemeinen Ergebnisse: So wurde zur Kontextualisierung des Entscheids, private Treffen auf fünf Personen (und nicht bspw. auf vier oder sechs) zu beschränken, oder des Entscheids, eine Maskenpflicht für den ÖV (nicht aber für öffentlich zugängliche Innenräume) zu erlassen, nicht auf die wissenschaftlichen Hintergründe verwiesen.

Für die Medienschaffenden und die Bevölkerung blieb deshalb unklar, inwieweit diese Entscheide auf wissenschaftlichen Kalkulationen und Erkenntnissen basierten.92 Zudem wird im externen Expertenbericht hervorgehoben, dass auf konkrete Quellenangaben meist verzichtet wurde und die Erkenntnisse abstrakt vermittelt wurden, indem ganz allgemein von Fachleuten oder Studien gesprochen wurde, und dies auch in den Pressedossiers.93 Diese Analyse zeigt folglich, dass in der öffentlichen Kommunikation der Behörden nur selten ausdrücklich auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse verwiesen wurde, um die getroffenen Entscheide zu begründen und zu erklären. Diese Feststellung gilt sowohl für die Kommunikation des Bundesrates als auch jene des BAG, wobei zu berücksichtigen ist, dass sich die Rollen dieser beiden Organe unterscheiden: Während der Bundesrat ein politisches Organ ist, ist das BAG ein Fachamt, das für die Kommunikation der fachlichen und wissenschaftlichen Aspekte zuständig ist (siehe Ziff. 6.3). Da viele der befragten
verwaltungsinternen und -externen Personen betonten, wie wichtig es sei, die wissenschaftlichen Grundlagen der beschlossenen Massnahmen zu erläutern, kommt die PVK zum Schluss, dass es eine Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis gab. Mag es mündlich auch nicht immer möglich sein, die wissen91 92 93

Oehmer-Pedrazzi/Pedrazzi/Schneider (2022), Ziff. 3.1.

Oehmer-Pedrazzi/Pedrazzi/Schneider (2022), Ziff. 3.1.

Oehmer-Pedrazzi/Pedrazzi/Schneider (2022), Ziff. 3.1.

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schaftlichen Referenzen anzugeben, so sollten diese nach Ansicht der PVK doch zumindest in den Pressedossiers zu finden sein, was aber nicht der Fall war. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit dem, was hinsichtlich der Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen festgestellt wurde, nämlich, dass nicht ausdrücklich auf die Erkenntnisse verwiesen wurde (siehe Ziff. 5.2).

6.2

Bestehende Unsicherheiten sowie die Weiterentwicklung von Erkenntnissen wurden nicht aktiv kommuniziert

Die externen Fachleute verweisen darauf, dass das wissenschaftliche Wissen immer nur den aktuellen und sich zum Teil auch widersprechenden Kenntnisstand der Forschung widerspiegelt und daher als vorläufig und nicht immer gesichert gelten muss.

Im Sinne der Transparenz sollte deshalb der Zuverlässigkeitsgrad der wissenschaftlichen Erkenntnisse angegeben werden.94 Im externen Expertenbericht ist festgehalten, dass dies nur teilweise eingehalten wurde: In 6 der 28 Aussagen (21,4 %) mit Verweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse wird darauf hingewiesen, dass die Erkenntnisse als unsicher anzusehen sind.95 Interessant ist zudem, dass es mehr Aussagen zum Maskentragen als Aussagen zu den privaten Treffen gibt, bei denen explizit auf ambivalente Studienergebnisse verwiesen wurde.96 Die zeigt nach Auffassung der PVK, wie unsicher die Behörden hinsichtlich dieser Massnahme waren (siehe Ziff. 5.2).

Die öffentliche Kommunikation zum Maskentragen wurde stark kritisiert, sowohl in den Medien als auch von den befragten Personen. Die PVK erachtet es als nachvollziehbar, dass sich die Kommunikation parallel zu den beschlossenen Massnahmen entwickelte. Was kritisiert wird, ist die Tatsache, dass der Nutzen der Masken vom BAG zunächst kategorisch verneint wurde, namentlich in der Medienkonferenz vom 16. März 202097, obwohl der wissenschaftliche Kenntnisstand zu diesem Thema nicht eindeutig war (siehe Ziff. 5.2 und Anhang 3). Die entsprechenden Aussagen, die von einigen als «Kommunikationsfehler» betrachtet werden, werfen die Frage auf, wie die Unsicherheiten bezüglich des Forschungsstands kommuniziert wurden. Die Analysen der PVK zeigen, dass diese Aussagen den damaligen wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht transparent widerspiegelten.

Die externen Fachleute verweisen darauf, dass diese Transparenz eng verknüpft ist mit einer kohärenten öffentlichen Kommunikation.98 Auch hier zeigt die Analyse, dass die bestehenden Widersprüche von den Kommunikationsverantwortlichen wenig aktiv thematisiert wurden. Wenn Widersprüche thematisiert wurden, dann ging es um Aussagen, die an der Medienkonferenz selbst gemacht wurden, und nicht um frühere 94 95 96 97

98

Siehe auch SWR (2022), 29.

Oehmer-Pedrazzi/Pedrazzi/Schneider (2022), Ziff. 3.1.1.

Oehmer-Pedrazzi/Pedrazzi/Schneider (2022), Ziff. 3.1.1.

Der damalige Leiter der Abteilung «Übertragbare Krankheiten» erklärte an dieser Konferenz: «Schutzmasken sind, wenn sie in der allgemeinen Bevölkerung getragen werden, sehr wenig wirksam.» Oehmer-Pedrazzi/Pedrazzi/Schneider (2022), Kap. 1.

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Aussagen. Kaum überraschend waren es vor allem die Fragen der Medienschaffenden, die diese Widersprüche zutage förderten. Im externen Expertenbericht wird z. B.

darauf hingewiesen, dass an der Medienkonferenz im Juli 2020, an der die Einführung der Maskenpflicht im ÖV bekannt gegeben wurde, nicht auf die stark mediatisierte Erklärung vom März 2020 über die Unwirksamkeit der Masken eingegangen wurde, obwohl hier eine klare Kehrtwende vorgenommen wurde.99 Dieser Aspekt wird auch in der vom BAG in Auftrag gegebenen Studie kritisiert.100 Für die PVK ist offensichtlich, dass Kohärenz nicht bedeutet, dass sich die Kommunikation nicht weiterentwickeln kann. Im Gegenteil: Die Kommunikation und die Massnahmen müssen mit der Entwicklung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes Schritt halten. In diesem Fall wurde die Kommunikation angepasst, allerdings ohne ausdrücklich darzulegen, warum das BAG und die Behörden, die sich an den Empfehlungen der WHO und des ECDC orientierten (siehe Ziff. 5.2), nun ihre Position zum Maskentragen änderten.

Aus den von der PVK geführten Interviews geht hervor, dass dies der Glaubwürdigkeit des BAG schadete.

6.3

Die Verteilung der Kommunikationsaufgaben war nicht immer klar

Die PVK hat anhand von Interviews und Dokumentenanalysen die Aufgabenverteilung in Sachen öffentliche Kommunikation untersucht. Zu unterscheiden sind hierbei zwei Bereiche: zum einen die Aufgabenverteilung zwischen den verschiedenen Akteuren der Bundesverwaltung (BAG, EDI, Bundesrat) und zum anderen die Aufgabeverteilung zwischen der Bundesverwaltung und den externen Akteuren, in diesem Fall der SN-STF. Generell haben die Analysen der PVK gezeigt, dass die jeweiligen Zuständigkeiten der Akteure der Bundesverwaltung klar vordefiniert waren. In der Praxis war die Aufgabenverteilung dann allerdings weniger eindeutig. So gab es eine gewisse Verwirrung darüber, welche Rolle der Verwaltung und welche der SN-STF in der öffentlichen Kommunikation zukam, was auch kritisiert wurde.

Im Pandemieplan101 ist vor allem geregelt, wie die Kompetenzen in Sachen Krisenkommunikation generell zwischen den Akteuren des Bundes verteilt sind. Gemäss diesem Plan ist das BAG in allen Lagen für die fachliche Leitung der Kommunikation verantwortlich, während die Kommunikation auf politischer Ebene Sache des Bundesrates ist und von der BK auf der Grundlage des Konzepts Krisenkommunikation102 koordiniert wird. Dieses Konzept enthält auch Checklisten und konkrete Instrumente, die in der Pandemie genutzt wurden. Das One-Voice-Prinzip stellte die Grundlage für die Koordination der Kommunikation dar, um sicherzustellen, dass die Organe des Bundes einheitlich und innerhalb ihrer Zuständigkeiten kommunizieren. Laut den befragten Personen wurde die Unterscheidung zwischen der politischen oder strategischen Kommunikation des Bundesrates und der eher fachlichen Kommunikation des BAG sehr gut verstanden und von den betroffenen Akteuren auch umgesetzt, was 99 100 101 102

Oehmer-Pedrazzi/Pedrazzi/Schneider (2022), Ziff. 3.2.

Interface (2022).

BAG (2018): Pandemieplan.

BK (2020): Konzept Krisenkommunikation.

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auch der vom BAG in Auftrag gegebene Bericht bestätigt.103 Nach Ansicht der PVK spiegelte sich diese Verteilung der Kommunikationsaufgaben und -inhalte in der Praxis allerdings nicht unbedingt wider. Die Analyse der Medienkonferenzen und Points de Presse hat gezeigt, dass das BAG auch nicht häufiger auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse verwies als der Bundesrat (siehe Tabelle 2 oben),104 obwohl dies im Rahmen einer nicht politischen, sondern auf die fachlichen Aspekte fokussierten Kommunikation zu erwarten gewesen wäre. Mehrere Interviewpartnerinnen und -partner der PVK verwiesen darauf, dass der Inhalt der Kommunikation teilweise von den Ansichten der an den Konferenzen anwesenden Personen beeinflusst war, namentlich beim Thema Maskentragen. Um die Einhaltung des One-Voice-Prinzips zu erleichtern, sieht der Pandemieplan im Übrigen die Einsetzung einer «Kerngruppe Kommunikation» vor, welcher unter anderem die Armeeapotheke, das BAG, die BK, das GS-EDI und eventuell auch Vertretungen des medizinischen Personals und der Kantone angehören.105 Diese Kerngruppe traf sich in der Coronakrise jedoch nur ein einziges Mal. Stattdessen wurden zur Umsetzung des One-Voice-Prinzips an den von der BK koordinierten Points de Presse Vertretungen der Bundesverwaltung, der Kantone und der Wissenschaft beteiligt.

Die Wissenschaftskreise verfügten also dank dieser Points de Presse, an denen regelmässig Mitglieder der SN-STF teilnahmen, über eine breite Kommunikationsplattform. Die Verteilung der Kommunikationsaufgaben zwischen der Bundesverwaltung und den externen Akteuren ist in den einschlägigen Dokumenten für das Krisenmanagement allerdings nicht geregelt. Die Zuständigkeiten der SN-STF in Sachen Kommunikation wurden deshalb in den verschiedenen Vereinbarungen zwischen der Taskforce und den Schweizer Behörden (Mandate) festgelegt. Das erste Mandat blieb in diesem Punkt recht vage und hielt lediglich fest, dass die Expertengruppen in der Regel nicht unabhängig und ohne Absprache mit dem Auftraggeber öffentlich kommunizieren.106 Das zweite Mandat, welches die Aufgaben der SN-STF ab Juli 2020 regelte, war deutlich ausführlicher in Sachen öffentliche Kommunikation, was zeigt, dass bei den Zuständigkeiten Präzisierungsbedarf gesehen wurde. Es hiess nun, dass die Expertengruppen nicht unabhängig öffentlich kommunizieren
(«in der Regel» wurde weggelassen) und dass der Präsident oder die Präsidentin der SN-STF der einzige Sprecher bzw. die einzige Sprecherin dieses Gremiums ist.107 Dies kommt im Übrigen dem nahe, was für die Aufteilung der Kommunikationsaufgaben zwischen der Bundesverwaltung und der EKP gilt. In deren Einsetzungsverfügung steht, dass ihr Präsident oder ihre Präsidentin die EKP nach aussen vertritt und ­ nach vorgängiger Information des GS-EDI via BAG ­ für die Information der Öffentlichkeit zuständig ist.108 Im zweiten Mandat der SN-STF wurde ferner festgehalten, dass sich die anderen Mitglieder der Taskforce in ihren anderen Funktionen individuell, jedoch nicht im Namen der SN-STF äussern dürfen. Zudem wurde die zeitliche Koordination mit der öffentlichen Kommunikation der Beschlüsse des BAG, des EDI und des Bun-

103 104 105 106 107 108

Interface (2022).

Oehmer-Pedrazzi/Pedrazzi/Schneider (2022), Ziff. 3.1.

BAG (2018): Pandemieplan, 24.

Mandat SN-STF vom 30.3.2020.

Mandat SN-STF vom 14.7.2020.

Art. 6.1 Einsetzungsverfügung EKP.

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desrates geregelt.109 Trotzdem kritisierten einige der befragten Personen ­ Mitglieder und Nichtmitglieder der SN-STF ­ einen gewissen Mangel an Klarheit bei der Aufgabenverteilung. Es wurde die Meinung geäussert, dass die wissenschaftliche Taskforce, namentlich zu Beginn der Krise, zu direkt zu den politischen Entscheiden der Behörden Stellung genommen habe, obwohl dies nicht ihre Aufgabe gewesen sei.

Bis die Rolle der SN-STF und deren Funktion in der öffentlichen Kommunikation geregelt war, brauchte es eine gewisse Zeit. Die Mandate der SN-STF enthielten zwar Vorgaben für die Kommunikation und das zweite Mandat bereits mehr als das erste, der Inhalt dieser Kommunikation wurde jedoch nicht definiert. Die PVK ist der Auffassung, dass mit grundsätzlichen Vorabüberlegungen in dieser Sache Missverständnisse hätten vermieden werden können, ohne die Meinungsäusserungsfreiheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu beschneiden. Auch im Bericht der BK wird ein gewisser Mangel an Koordination zwischen der Kommunikation des Bundesrates und jener der SN-STF hervorgehoben.110 Die befragten Personen sind sich allerdings einig, dass sich die Situation im Laufe der Krise verbesserte.

7

Schlussfolgerungen

Die PVK hat analysiert, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse in den rechtlichen und strategischen Grundlagen verankert sind und wie sie verarbeitet, in den Entscheidungsgrundlagen berücksichtigt und kommuniziert wurden. Die Evaluation der PVK hatte nicht zum Ziel, die Zweckmässigkeit der Behördenentscheide zu bewerten, die das Ergebnis einer Interessenabwägung sind, bei der die wissenschaftlichen Aspekte nur ein Element von vielen sind.

Die PVK kommt zum Schluss, dass die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch das BAG in der ersten Phase der Coronakrise teilweise angemessen war. Das BAG verfügte über ein Netzwerk, das ihm die erforderlichen Erkenntnisse verschafft hat. Es spielte aber keine aktive Rolle beim Aufbau dieses Netzwerks, was auch darauf zurückzuführen ist, dass die Art des Einbezugs der Wissenschaft in den strategischen Grundlagen kaum geregelt ist (Ziff. 7.1). Das BAG hat die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Laufe der Krise verbessert (Ziff. 7.2). Die PVK hält zudem fest, dass das Bundesamt zahlreiche Akteure einbezog, wobei sich der Mehrwert der einzelnen Beratungs- oder Unterstützungsleistungen nicht klar erschliesst, und es kam zu Doppelspurigkeiten (Ziff. 7.3). Die Fallstudien haben im Weiteren gezeigt, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates nicht immer transparent dargelegt wurden (Ziff. 7.4). Ferner wurden diese Erkenntnisse allgemein nur wenig in der öffentlichen Kommunikation, namentlich jener des BAG, eingesetzt (Ziff. 7.5).

109

Mandat SN-STF vom 14.7.2020: «Falls Empfehlungen für Massnahmen der SN-STF einen Einfluss auf anstehende Entscheide des BAG, des EDI oder des Bundesrates haben können, werden diese Empfehlungen der SN-STF erst nach den entsprechenden Beschlüssen der Auftraggeber publiziert.».

110 BK (2022). Siehe auch Hirschi et al. (2022) zur individuellen Kommunikation der Mitglieder der SN-STF.

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7.1

Die Art des Einbezugs der Wissenschaft war wenig vordefiniert und das Wissenschaftsnetzwerk hat sich selbst organisiert

Die rechtlichen und strategischen Grundlagen zum Umgang mit Epidemien sind klar und eindeutig, allerdings hat die PVK festgestellt, dass die Art und Weise des Einbezugs der Wissenschaft in das Krisenmanagement wenig konkretisiert sind. Die Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Entscheidungsfindung (evidence-based policy) wird in verschiedenen Texten erwähnt, namentlich in der zentralen Rechtsgrundlage, dem EpG. Allerdings handelt es sich dabei vor allem um Bestimmungen, die empfehlen, die Ziele und Strategien der Krisenvorbereitung auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu stützen. Die tatsächliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesverwaltung und der Wissenschaft sowie die Verfahren für die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Krisenfall werden kaum erwähnt. Auch in den strategischen Grundlagen werden diese allgemeinen Bestimmungen nicht konkretisiert und fehlen Präzisierungen dazu, welche Wissenschaftskreise einzubeziehen sind und wie dies zu geschehen hat (Ziff. 3.1). Obwohl mit der EKP ein Gremium mit Fachwissen und Beratungskompetenz in wichtigen Bereichen der Pandemiebewältigung bestand, wurde diese beratende Kommission ­ entgegen dem, was in ihrer Einsetzungsverfügung steht ­ nicht einberufen (Ziff. 3.2).

Das Fehlen konkreter Bestimmungen verhindert die Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht, fördert sie aber auch nicht. Es erklärt nach Ansicht der PVK zumindest teilweise, warum die Bundesverwaltung und namentlich das BAG als zuständiges Bundesamt ihr Wissenschaftsnetzwerk nicht aktiv aufbauten, sondern eher reagierten als agierten. Das BAG nahm zu Beginn der Krise eine eher passive Rolle ein und das Wissenschaftsnetzwerk bildete sich selbst, ad hoc, schrittweise und auf Initiative von externen Akteuren wie der wissenschaftlichen Taskforce SN-STF oder dem Netzwerk der Fakultäten für Gesundheitswissenschaften SSPH+ (Ziff. 3.3). Der Bund spielte bei der Gründung seines wichtigsten wissenschaftlichen Beratungsgremiums, der SN-STF, folglich nur eine untergeordnete Rolle. Die Zusammensetzung der SN-STF wurde hauptsächlich durch die Wissenschaftskreise selbst bestimmt (Ziff. 4.3). Dies erhöhte in den Augen einiger die Legitimation dieser wissenschaftlichen Taskforce, wirft aber auch die Frage auf, ob sie den Bedürfnissen des BAG entsprach. Die PVK stellte jedenfalls
fest, dass das BAG zu Beginn wenig Vertrauen in die SN-STF hatte.

Die Zusammenarbeit hätte unter Umständen erleichtert werden können, indem das Amt stärker an der Bildung des Netzwerks beteiligt gewesen wäre, indem es z.B. Kriterien für die Auswahl von dessen Mitgliedern festgelegt hätte. Das Fehlen vordefinierter Verfahren für die Zusammenarbeit zwischen Behörden und Wissenschaft trug in der Praxis dazu bei, dass einzelne Personen bei der Beurteilung der zu Krisenbeginn verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse grosses Gewicht hatten und dass die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren stark von den beteiligten Personen im BAG und in der SN-STF abhing (Ziff. 4.3).

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7.2

Das BAG verbesserte die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Laufe der Krise

Bei der Evaluation der Bewältigung der COVID-19-Pandemie können nicht die gleichen Anforderungen an die Organisation und die Verfahrensabläufe der Bundesverwaltung gestellt werden wie in normalen Zeiten. Das Auftreten dieser Pandemie war ein aussergewöhnliches und unerwartetes Ereignis, das die üblichen Strukturen auf die Probe stellte, dies umso mehr, als die Dauer der Pandemie anfangs unterschätzt wurde.111 In diesem Zusammenhang wurde die grosse Verfügbarkeit und Flexibilität aller Beteiligten, sowohl innerhalb der Verwaltung wie auch aus der Wissenschaft, in den Interviews der PVK mehrfach gelobt. Viele sind sich einig, dass die Zusammenarbeit mit der SN-STF dazu beigetragen hat, dass Entscheide auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen getroffen werden konnten (Ziff. 4.3). Obwohl das Fehlen konkreter Verfahrensvorgaben den Einbezug der Wissenschaft verzögerte (Ziff. 7.1), geht aus den verschiedenen Analysen, die im Rahmen dieser Evaluation vorgenommen wurden, hervor, dass sich die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Laufe der Krise in vielerlei Hinsicht verbessert hat, sowohl was die Zusammenarbeit zwischen dem BAG und der Wissenschaft (Ziff. 4.3) als auch die öffentliche Kommunikation (Ziff. 6.3) angeht. Dies wird auch in anderen Studien über das Krisenmanagement der Behörden in der COVID-19-Pandemie betont.112

7.3

Die Wissenschaft wurde über verschiedene Kanäle einbezogen und teilweise kam es zu Doppelspurigkeiten

Das BAG nutzte zahlreiche Kanäle, um sich über den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu informieren, allerdings ist nicht erkennbar, welche Kriterien das Bundesamt für die Sammlung und Auswahl der relevanten Erkenntnisse anwendete (Ziff. 4.1). Aufgrund der Dringlichkeit wurden zahlreiche Initiativen parallel zueinander gestartet und viele Kanäle gleichzeitig genutzt, doch lässt sich keine Koordination der wissenschaftlichen Erkenntnisse beobachten. Das BAG verfügte über kein Konzept für den Einbezug der Wissenschaft in einer Pandemie, sondern es entwickelte seine Prozesse ad hoc im Laufe der Krise. Eine Systematik ist nicht zu erkennen.

Dementsprechend stellt sich für die PVK auch die Frage nach dem Mehrwert einzelner Leistungen: So gab es Doppelspurigkeiten bei den Anfragen des BAG an die SN-STF und an das Netzwerk SSPH+, sowohl bei den Literaturübersichten, die das Amt verlangt hat, als auch auf bei den Fragen, die es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern direkt gestellt hat (Ziff. 4.2).

Diese Doppelspurigkeiten lassen sich auch damit erklären, dass das BAG die genaue Rolle der beteiligten Akteure erst nach und nach festgelegt hat. So wurden die Verträge der Bundesverwaltung mit der SN-STF und SSPH+ mehrfach angepasst (Ziff. 3.3). Dies bot eine gewisse Flexibilität, die nützlich war, um in der Krise auf veränderte Bedürfnisse reagieren zu können, hatte aber auch zur Folge, dass die Un111 112

GPK (2022), Ziff. 6.4.2.

Interface (2022), BK (2020), GPK (2022).

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terschiede zwischen den verschiedenen Leistungen dieser Akteure miteinander verschwammen. Die Neudefinition der Rolle der SN-STF, die dazu führte, dass sich deren wissenschaftliche Beratung je länger desto weniger auf die Frage nach geeigneten Massnahmen bezog und sie keine Empfehlungen mehr aussprach, sondern vermehrt lediglich eine Einschätzung der epidemiologischen Lage und Entwicklungen gab, führte zu einer Annäherung ihrer Rolle an jene der SSPH+ (Ziff. 4.3). Durch die Kanalvielfalt konnten zwar die Informationsquellen diversifiziert werden, doch führten die zahlreichen wissenschaftlichen Stellungnahmen auch zu einem erheblichen Mehraufwand: für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, welche die Analysen erstellten, aber auch für das BAG, das die verschiedenen wissenschaftlichen Analysen verarbeiten und evaluieren musste. Dies in einer Krise, die bereits ein grosses Engagement seitens der Bundesverwaltung und der externen Akteure verlangte (Ziff. 4.2).

7.4

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse waren nicht immer transparent in den Entscheidungsgrundlagen dargelegt

Allgemein ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der Dringlichkeit der Situation und der Entscheide für die Ausarbeitung der Entscheidungsgrundlagen nur sehr wenig Zeit zur Verfügung stand. Die PVK hält fest, dass die vom BAG und vom GS-EDI in enger Zusammenarbeit erstellten Dokumente zuhanden des Bundesrates zwar zahlreiche Informationen über die Entwicklung der epidemiologischen Lage in der Schweiz enthielten, die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die verschiedenen Einschätzungen dieser Erkenntnisse darin aber nicht immer transparent dargelegt waren (Ziff. 5.1).

Dies geht z. B. aus der Fallstudie zu den Masken hervor: Obwohl die SN-STF das Maskentragen bereits ab April 2020 empfahl, wurde in den Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates zunächst nur auf die Empfehlungen von Organisationen verwiesen, die gegenüber einer solchen Massnahme eher skeptisch waren. Letztlich waren es dann keine neuen Erkenntnisse, sondern eher andere Faktoren, die dazu führten, dass das Maskentragen auch im BAG befürwortet wurde (Ziff. 5.2). Die Erkenntnisse über die Übertragungswege des Virus und die Folgerungen daraus für die Beschränkung von privaten Treffen, von Grossanlässen, des Restaurant- und Barbetriebs sowie des Schul- und Hochschulbetriebs wurden fanden unterschiedlich gut Eingang in die Entscheidungsgrundlagen: So wurden die Erkenntnisse über die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder das Virus weitergeben, und die Studien über die Nachteile von Schulschliessungen unverzüglich verwendet, um zu begründen, dass Schulschliessungen nur als letztes Mittel eingesetzt werden sollten. Hingegen wurden die neuen Erkenntnisse über die Übertragung des neuen Coronavirus durch Aerosole und die Folgerungen daraus für die Pandemiemassnahmen in anderen Bereichen in den Dokumenten zuhanden des Bundesrates kaum erwähnt (Ziff. 5.3).

Aus Sicht der PVK zeigen sich hier zwei unterschiedliche Zeithorizonte, die schwer zu vereinen sind: Auf der einen Seite bedurfte es rascher politischer Entscheide. Die Beschlussfassung musste zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgen und die entsprechenden Entscheidungsgrundlagen mussten dauernd an die epidemiologische Entwicklung in der Schweiz angepasst werden. Auf der anderen Seite lassen sich aus wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht immer klare Empfehlungen ableiten, weil sie 43 / 70

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mit Unsicherheiten behaftet sind, und es bedarf einer gewissen Zeit, um diese zu verringern. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie verlässlich Erkenntnisse sein müssen, damit sie in die Entscheidungsgrundlagen aufgenommen werden, und wie die nach wie vor bestehenden Unsicherheiten dargestellt werden können. Die PVK erachtet Transparenz in diesem Zusammenhang für sehr wichtig, und es gibt Möglichkeiten, um den Grad der Verlässlichkeit von wissenschaftlichen Erkenntnissen ausdrücklich und systematisch anzugeben, doch wurden diese in den Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates nicht verwendet Ziff. 5.3).

7.5

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden in der öffentlichen Kommunikation, namentlich jener des BAG, nur wenig eingesetzt

Die teilweise mangelnde Transparenz bei der Präsentation der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen (Ziff. 7.4) spiegelt sich auch in der öffentlichen Kommunikation wider. Aus der extern angefertigten Analyse der Medienkonferenzen und ­dossiers des Bundesrates und der Points de Presse, an welchen das BAG und die SN-STF vertreten waren, geht hervor, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Maskentragen und zu den Einschränkungen für private Treffen vom Bundesrat und vom BAG nur selten erwähnt wurden. Nur 10,4 Prozent der erfassten Aussagen enthielten einen Verweis auf die wissenschaftlichen Hintergründe und die Hälfte davon stammte von Mitgliedern der SN-STF, die ­ entsprechend der Funktion dieser Taskforce als wissenschaftliches Beratungsgremium ­ bei ihren Aussagen stets auf den wissenschaftlichen Kenntnisstand hinwiesen.

Auch wenn für die PVK klar ist, dass nicht bei jeder Aussage ein expliziter Verweis auf die zugrundeliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse möglich ist, insbesondere dann nicht, wenn ein politisches Organ wie der Bundesrat kommuniziert, so scheint dieser Wert doch sehr niedrig. Dies umso mehr, als in den von der PVK geführten Interviews mehrfach betont wurde, wie wichtig es sei, dass die von den Behörden kommunizierten Informationen transparent seien und dass dargelegt werde, auf welchen Grundlagen die Massnahmen ergriffen werden (Ziff. 6.1). Unsicherheiten und neue Erkenntnisse haben die Behörden zumeist erst kommuniziert, wenn an Medienkonferenzen spezifische Fragen gestellt wurden; sie wurden nicht proaktiv angesprochen, obwohl dies als unerlässlich angesehen wird, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Eine aktive Kommunikation neuer Erkenntnisse ist umso wichtiger, wenn Empfehlungen ­ wie jene zum Maskentragen ­ abgeändert werden. Es schadete der Glaubwürdigkeit des BAG, dass der Meinungswechsel in dieser Frage nicht klar begründet wurde (Ziff. 6.2).

Die Verteilung der Kommunikationsaufgaben in der Bundesverwaltung haben die befragten Personen als klar bezeichnet. So sei der Bundesrat für die politische und strategische Kommunikation und das BAG für die Kommunikation der fachlichen Aspekte zuständig. Diese Aufgabenverteilung wurde in der Praxis dann aber nicht strikt eingehalten; das BAG verwies nicht häufiger auf die wissenschaftlichen
Erkenntnisse als der Bundesrat. Die Koordination zwischen der Bundesverwaltung und der SN-STF in Sachen öffentliche Kommunikation gestaltete sich schwierig. Im ersten Mandat der 44 / 70

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Taskforce war dieser Punkt nicht klar geregelt. Die Verantwortlichkeiten wurden erst ab Juli 2020 präzisiert, indem festgelegt wurde, wer bei der SN-STF für die Kommunikation zuständig ist und wie die Kommunikation der Taskforce zeitlich mit jener der Bundesverwaltung koordiniert wird. Die PVK ist der Ansicht, dass die Aufgabenverteilung rascher hätte geregelt werden können, z. B. nach dem Vorbild der Bestimmungen für die Kommunikation der EKP. Auch zu den Inhalten der Kommunikation fehlten klare Regeln. Mit grundsätzlichen Überlegungen in dieser Sache hätten Missverständnisse vermieden werden können, ohne die Meinungsäusserungsfreiheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu beschneiden (Ziff. 6.3).

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Abkürzungen Abs.

Art.

BAG BBl BK Bst.

COVID-19

Absatz Artikel Bundesamt für Gesundheit Bundesblatt Bundeskanzlei Buchstabe Coronavirus-Erkrankung 2019 (Englisch: Corona Virus Disease 2019), vom neuen Coronavirus ausgelöste Erkrankung ECDC Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (Englisch: European Centre for Disease Prevention and Control) EDI Eidgenössisches Departement des Innern EKIF Eidgenössische Kommission für Impffragen EKP Eidgenössische Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung EpG Bundesgesetz vom 28.9.2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz; SR 818.101) EpV Verordnung vom 29.4.2015 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemienverordnung; SR 818.101.1) GPK Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte GPK-N Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates GPK-S Geschäftsprüfungskommission des Ständerates GS-EDI Generalsekretariat des EDI IGV Internationale Gesundheitsvorschriften vom 23.5.2005, für die Schweiz in Kraft getreten am 15.6.2007 (SR 0.818.103) Kap.

Kapitel KSBC Krisenstab des Bundes Corona ÖV Öffentlicher Verkehr OV-EDI Organisationsverordnung vom 28.6.2000 für das Eidgenössische Departement des Innern (SR 172.212.1) PVK Parlamentarische Verwaltungskontrolle RVOG Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21.3.1997 (SR 172.010) RVOV Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25.11.1998 (SR 172.010.1) Sars-CoV-2 Coronavirus 2 des Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms (Englisch: Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2), für die Pandemie verantwortliches Virus

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SBFI SECO SNF

Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation Staatssekretariat für Wirtschaft Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung SN-STF Swiss National COVID-19 Science Task Force SR Systematische Rechtssammlung SSPH+ Swiss School of Public Health Swissmedic Schweizerisches Heilmittelinstitut WHO Weltgesundheitsorganisation (Englisch: World Health Organization) Ziff.

Ziffer

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ECDC (2020): Using face masks in the community. Reducing COVID-19 transmission from potentially asymptomatic or pre-symptomatic people through the use of face masks. Technical Report, 8.4.2020.

Saunders-Hastings, P. / Crispo, J.A.G. / Sikora, L. / Krewski, D. (2017): Effectiveness of personal protective measures in reducing pandemic influenza transmission: A systematic review and meta-analysis. In: Epidemics 20, 1­20.

SN-STF (2020): Benefits of wearing masks in community settings where social distancing cannot be reliably achieved, 1.7.2020.

SN-STF (2020): Communication and SARS-CoV-2, 22.7.2020.

SN-STF (2020): Response to FOPH questions on masks and aerosol transmission, 4.6.2020.

SN-STF (2020): Role of children in transmission of SARS-CoV-2 pandemic.

20.4.2020.

SN-STF (2020): Role of Face masks as part of non-pharmaceutical interventions against coronavirus disease, 20.4.2020.

SN-STF (2020): The role of Aerosols in SARS-CoV-2 Transmission, 29.10.2020.

WHO (2020): 2019 Novel Coronavirus (2019nCoV): Strategic Preparedness and Response Plan, 3.2.2020.

WHO (2020): Advice on the use of masks in the context of COVID-19. Interim guidance, 6.4.2020.

WHO (2020): Advice on the use of masks in the context of COVID-19. Interim guidance, 5.6.2020.

In dieser Evaluation zitierte Anträge sowie Informationsund Diskussionsnotizen Antrag des EDI «Änderung der COVID-19-Verordnung besondere Lage und der COVID-19-Verordnung 3: Öffnungen in den Bereichen Freizeit, Kultur, Sport und Einkaufsläden», 23.2.2021.

Diskussionsnotiz des EDI «Eckwerte für weitere Lockerungsschritte: Versammlungen und Veranstaltungen, Distanzregelung, Baustellen. Ausstieg aus der ausserordentlichen Lage gemäss Artikel 7 Epidemiengesetz: Aufteilung der COVID-19Verordnung 2 in zwei neue Verordnungen», 18.6.2020.

Diskussionsnotiz des EDI «Verschärfung der Basismassnahmen anlässlich des erneuten Wiederanstiegs der COVID-19 Fallzahlen», Fassung vom 30.6.2020 und neue Fassung vom 1.7.2020.

Informationsnotiz des EDI «Bekämpfung der COVID-19-Epidemie in der Schweiz: Szenarien für das weitere Vorgehen», 20.10.2020.

Informationsnotiz des EDI «COVID-19: Maskenstrategie ab 27. April 2020», 21.4.2020.

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Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner Ackermann, Martin

Ehemaliger Präsident der SN-STF, Leiter der Abteilung Umweltmikrobiologie, Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (EAWAG)

Althaus, Christian

Ehemaliges Mitglied der SN-STF, Leiter der Forschungsgruppe Immuno-Epidemiologie, Universität Bern

Bauwens, Jorgen

Projektleiter, SSPH+

Brunold, Herbert

Leiter der Fachstelle Evaluation und Forschung, BAG

Dziekan, Gerald

Stv. Leiter der Arbeitsgruppe «Massnahmen» der Taskforce BAG COVID-19

Flahault, Antoine

Mitglied der SN-STF, Direktor des Instituts für globale Gesundheit, Universität Genf

Gardiol, Céline

Leiterin der Arbeitsgruppe «Massnahmen» der Taskforce BAG COVID-19

Grandbastien, Bruno

Oberarzt, Abteilung Hygiene, Prävention und Infektionskontrolle, Waadtländer Universitätsspital (Centre hospitalier universitaire vaudois, CHUV)

Honegger, Stefan

Persönlicher Mitarbeiter des Departementsvorstehers, GS-EDI

Hurst, Samia

Vizepräsidentin der SN-STF, Bioethikerin und Ärztin, Universität Genf

Jüni, Peter

Wissenschaftlicher Direktor des «Ontario COVID-19 Scientific Advisory Table»

Koch, Daniel

Ehemaliger Leiter der Abteilung «Übertragbare Krankheiten», BAG

Kopp Sutter, Christine

Co-Leiterin der Taskforce BAG COVID-19

Künzli, Nino

Direktor, SSPH+

Kuster, Stefan

Ehemaliger Leiter der Abteilung «Übertragbare Krankheiten», BAG

Lévy Goldblum, Anne

Direktorin, BAG

Lüthy, Gregor

Stv. Leiter der Arbeitsgruppe «Kommunikation» der Taskforce BAG COVID-19

Mathys, Patrick

Stv. Leiter der Abteilung «Übertragbare Krankheiten», BAG

Matter, Hans

Leiter der Arbeitsgruppe «Strategie» der Taskforce BAG COVID-19

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Mäusezahl, Mirjam

Vertreterin des BAG im nationalen COVID-19Forschungsprogramm des SNF

Meier, Brigitte

Leiterin der Arbeitsgruppe «Forschung» der Taskforce BAG COVID-19

Pittet, Didier

Chefarzt der Abteilung für Prävention und Infektionskontrolle, Universitätsspitäler Genf

Riediker, Michael

Direktor, Schweizerisches Zentrum für Arbeits- und Umweltgesundheit (SCOEH, Swiss Centre for Occupational and Environmental Health)

Rosella, Laura

Assoziierte Professorin, Dalla Lana School of Public Health, Universität Toronto

Rossi, René

Mitglied der SN-STF, Leiter des «Laboratory for Biomimetic Membranes and Textiles», Empa

Simonazzi, André

Vizekanzler, Bundesratssprecher, BK

Stocker, Roman

Mitglied der SN-STF, Professor im «Departement of Civil, Environmental and Geomatic Engineering», Eidgenössische Technische Hochschule Zürich

Strupler, Pascal

Ehemaliger Direktor des BAG

Stücheli, Marco

Leiter der Arbeitsgruppe «Kommunikation» der Taskforce BAG COVID-19

Tanner, Marcel

Mitglied der SN-STF, Präsident der Akademien der Wissenschaften Schweiz (a+), emeritierter Direktor des Swiss Tropical and Public Health Institute

Tschudin-Sutter, Sarah

Mitglied der SN-STF, Leiterin der Abteilung für Spitalhygiene, Universität Basel

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Anhang 1

Herangehensweise der Evaluation

Ziele der Politik:

Angesichts der Verbreitung des neuen Coronavirus Anfang 2020 ordnete der Bundesrat Massnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit an, um die Epidemie einzudämmen.


Mittel, diese zu erreichen:

Massnahmen müssen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen, um wirksam zu sein (evidenzbasierte Politik). Im vorliegenden Fall spielte das BAG als das Bundesamt, das für Gesundheitsfragen zuständig ist, eine zentrale Rolle.


Gegenstand der Evaluation:

Evaluationsfragen:

Durchgeführte Analysen:

Mit dieser Evaluation wird die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch das BAG in der ersten Phase der Coronakrise analysiert. Untersucht wurden dabei die rechtlichen und strategischen Grundlagen, die Verarbeitung der Erkenntnisse, deren Berücksichtigung in den von der Bundesverwaltung ausgearbeiteten Entscheidungsgrundlagen und deren öffentliche Kommunikation.









Begünstigten die rechtlichen und strategischen Vorgaben eine angemessene Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über das neue Coronavirus in der Krise?

Waren die Organisation und die Prozesse des BAG für die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über das neue Coronavirus zweckmässig?

Wurden die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das neue Coronavirus in den Entscheidungsgrundlagen angemessen berücksichtigt?

War die öffentliche Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse ­ sowohl inhaltlich als im Hinblick auf die Aufgabenverteilung ­ zweckmässig?









Dokumentenanalyse Interviews

Dokumentenanalyse Interviews Fallstudien

Literaturanalyse (mit externer Begleitung) Fallstudien

Dokumentenanalyse Interviews Analyse der Medienkonferenzen und Pressedossiers (externes Mandat)

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Anhang 2

Evaluationskriterien Kriterium

Bewertungselemente

Eignung der rechtlichen und strategischen Grundlagen für die Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse (Kap. 3) Klarheit der rechtlichen und strategischen Grundlagen

Die Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Austausch mit der Wissenschaft in Krisenzeiten sind in den rechtlichen und strategischen Grundlagen erwähnt und die Art und Weise dieses Austauschs sind präzisiert.

Forderung nach Evidenzbasierung

Die rechtlichen und strategischen Grundlagen sehen vor, dass in einer Krisensituation evidenzbasierte Entscheide gefällt werden, und präzisieren die Rolle der wissenschaftlichen Erkenntnisse in diesem Zusammenhang.

Kohärenz der Ziele

Die evidenzbasierte Entscheidungsfindung steht nicht in Widerspruch zu den anderen Krisenzielen (z. B. einer schnellen Reaktion).

Zweckmässigkeit der Organisation und Prozesse für die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse (Kap. 4) Angemessenheit der Die interne Organisation für die Verarbeitung der wissenRessourcen des BAG schaftlichen Erkenntnisse ist an das Krisenmanagement anangesichts der Ziele gepasst. Die internen Kompetenzen des BAG werden entsprechend den Prioritäten und den Bedürfnissen sinnvoll genutzt.

Angemessenheit der Art und Weise des Austauschs mit der Wissenschaft angesichts der Ziele

Die Art und Weise des Austauschs mit der Wissenschaft ermöglichen dem BAG, innert nützlicher Frist und in einer für das Krisenmanagement geeigneten Form über die erforderlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu verfügen. Das BAG besorgt sich proaktiv die notwendigen Erkenntnisse.

Angemessenheit der Aufgabenverteilung angesichts der Ziele

Die Aufgabenverteilung innerhalb des BAG sowie zwischen dem BAG und den externen Akteuren ist klar geregelt und an die Ziele angepasst. Die Aufgaben der verschiedenen Beteiligten sind weder widersprüchlich noch redundant noch unnütz.

Pluralität der Informationsquellen

Das BAG wählt die wissenschaftlichen Informationsquellen und die Kontaktpersonen anhand nachvollziehbarer und geeigneter Kriterien aus. Die Auswahl spiegelt die Pluralität der wissenschaftlichen Informationen wider.

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Kriterium

Bewertungselemente

Angemessenheit der Ermittlung des Bedarfs an wissenschaftlichen Erkenntnissen für das Krisenmanagement

Das BAG hat klare Prozesse definiert, um den Bedarf an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu ermitteln, namentlich in seiner Taskforce BAG COVID-19. Die verschiedenen Bedürfnisse werden erfasst und sinnvoll priorisiert.

Bedarfsgerechte Informationssammlung

Die Sammlung wissenschaftlicher Informationen entspricht dem vom BAG ermittelten Bedarf. Das externe Netzwerk wird einberufen, wenn es gebraucht wird. Die Kriterien für die Auswahl und Sammlung der Informationen durch das BAG sind klar und zweckmässig und decken die Pluralität der wissenschaftlichen Informationen ab. Die Anfragen an die externen Akteure sind auf den ermittelten Bedarf ausgerichtet.

Eignung der Informationsanalyse für den Erhalt belastbarer Daten

Anhand der Kriterien für die Analyse der wissenschaftlichen Informationen können die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das neue Coronavirus konsolidiert werden. Die Informationsqualität wird seriös geprüft, z. B. wenn widersprüchliche Informationen vorliegen. Wichtige Entwicklungen bei den Erkenntnissen werden bei der Analyse berücksichtigt.

Angemessenheit der Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen (Kap. 5) Evidenzbasierte Entscheide

In den vom BAG ausgearbeiteten Entscheidungsgrundlagen wird (mit oder ohne Quellenangabe) auf die einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse verwiesen. Die Empfehlungen des BAG beruhen auf dem aktuellen Wissensstand und werden innert nützlicher Frist an die Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst.

Angemessene Präsentation der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse werden in den Entscheidungsgrundlagen adressatengerecht präsentiert. Die wesentlichen Informationen sind in den vom BAG ausgearbeiteten Dokumenten aufgeführt.

Transparenz über die Qualität der wissenschaftlichen Grundlagen

Die Qualität der wissenschaftlichen Grundlagen ist in den vom BAG ausgearbeiteten Entscheidungsgrundlagen klar dargelegt. Unsicherheiten werden transparent gemacht.

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Kriterium

Bewertungselemente

Zweckmässigkeit der öffentlichen Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse (Kap. 6) Evidenzbasierte Kommunikation

Das BAG, das EDI und der Bundesrat nehmen in ihrer Kommunikation ­ entsprechend ihrer jeweiligen Rolle ­ Bezug auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Transparenz der öffentlichen Kommunikation in Sachen Qualität der wissenschaftlichen Grundlagen und der Unsicherheiten

Die Kommunikation basiert auf nachvollziehbaren Erklärungen aus glaubwürdigen Quellen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das neue Coronavirus werden der Bevölkerung zeitnah kommuniziert. Die Unsicherheiten im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und die Auswirkungen neuer Erkenntnisse werden transparent dargelegt.

Kohärenz der öffentlichen Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse

Die Kommunikation der Bundesverwaltung (BAG, EDI), des Bundesrates und der SN-STF über die wissenschaftlichen Erkenntnisse ist untereinander abgestimmt und auch über einen grösseren Zeitraum betrachtet kohärent. Vermeintlich widersprüchliche Entscheide werden anhand der zugrundeliegenden Erkenntnisse erläutert. Es wird erklärt, wenn sich der Kenntnisstand ändert.

Angemessene Präsen- Die Botschaften der Bundesverwaltung und der SN-STF sind tation der wissenklar, präzise, nachvollziehbar und in einer für die Bevölkeschaftlichen Erkennt- rung verständlichen Sprache formuliert.

nisse in der öffentlichen Kommunikation Klarheit der Aufgabenverteilung innerhalb der Bundesverwaltung

Es ist klar definiert, wer in der Bundesverwaltung ­ BAG, EDI und Bundesrat (Koordination der Kommunikation durch die BK) ­ welche Aufgaben und Verantwortlichkeiten in Sachen öffentliche Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse übernimmt. Die beteiligten Akteure wissen, wer für was zuständig ist. Die definierte Aufgabenverteilung wird eingehalten.

Klarheit der Aufgabenverteilung zwischen der Bundesverwaltung und den anderen Akteuren

Die Aufgaben und Verantwortlichkeiten in Sachen öffentliche Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse sind klar und eindeutig zwischen der Bundesverwaltung (BAG, EDI, BK) und der SN-STF verteilt. Die beteiligten Akteure wissen, wer für was zuständig ist. Die definierte Aufgabenverteilung wird eingehalten.

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Anhang 3

Chronologie Fallstudien Die folgenden Tabellen enthalten zu den fünf Themen, die Gegenstand der Fallstudien waren, eine Chronologie wichtiger Ereignisse. Es handelt sich insbesondere um Informationen aus den vom BAG und vom EDI ausgearbeiteten Dokumenten zuhanden des Bundesrates113, aus den Anfragen der Behörden an die SN-STF, aus den Empfehlungen anerkannter Wissenschaftsgremien und aus den Entscheiden des Bundesrates (fett markiert) über Covid-Massnahmen oder deren Lockerungen. Die Chronologie reicht bis zum 31. März 2021 (Ziff. 1.2).

Maskentragen Datum

Beschreibung

Februar 2020 Das ECDC veröffentlicht Empfehlungen, in denen darauf verzichtet wird, der allgemeinen Bevölkerung das Maskentragen zu empfehlen, da es keine Beweise für den Nutzen der Masken gebe.

12.03.2020

Das EDI weist in einem Antrag an den Bundesrat betreffend CovidMassnahmen darauf hin, dass die Maskenvorräte in der Schweiz begrenzt sind.

26.03.2020

Nach einer Anfrage des BAG zum Maskenbedarf der Schweiz empfiehlt die SN-STF eine rasche Beschaffung von Masken.

02.04.2020

Die SN-STF spricht sich nach einer Anfrage des BAG in einem unveröffentlichten Dokument dafür aus, dass Personen gewisser Berufe und eventuell alle Bürgerinnen und Bürger als Instrument zur Eindämmung der Virusverbreitung («Source control») Masken tragen.

05.04.2020

Das BAG ersucht die SN-STF, die internationalen Maskenstrategien zu vergleichen. Die Taskforce erstellt eine Tabelle mit Argumenten für und gegen das Maskentragen im öffentlichen Raum.

06.04.2020

Die WHO empfiehlt, die verfügbaren Masken dem Gesundheitspersonal und den Personen mit Symptomen vorzubehalten.

08.04.2020

Das ECDC zeigt sich skeptisch in Bezug auf das Maskentragen durch die Bevölkerung und betont, dass bislang keine Beweise vorliegen, wonach das Maskentragen von symptomfreien Personen die Übertragung von COVID-19 verhindert.

20.04.2020

Die SN-STF empfiehlt in einem Policy Brief ausdrücklich eine allgemeine Maskenpflicht als Ergänzung zu anderen Schutzmassnahmen, da das Kosten-Nutzen-Verhältnis trotz der unsicheren Faktenlage deutlich dafür spreche.

113

Die Dokumente sind vom EDI unterzeichnet, wurden aber in enger Zusammenarbeit mit dem BAG ausgearbeitet (siehe Ziff. 5.1).

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Datum

Beschreibung

21.04.2020

Das EDI betont in einer Informationsnotiz zuhanden des Bundesrates, dass die Masken als letztes Mittel anzusehen sind. Da die Vorräte an Masken nicht ausreichten, müsse priorisiert werden, wo diese eingesetzt werden.

22.04.2020

Der Bundesrat lockert die Coronamassnahmen. Er sieht keine allgemeine Maskenpflicht für die Bevölkerung vor.

26.05.2020

Das EDI nennt die allgemeine Maskenpflicht in einem Antrag an den Bundesrat als Option bei weiter steigenden Fallzahlen.

03.06.2020

Das BAG möchte von der SN-STF wissen, ob es neue wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, die sich auf die im April formulierten Empfehlungen zu den Masken auswirken. Die SN-STF antwortet mit einem Policy Brief (4.6.2020), in dem sie festhält, dass das Maskentragen das Infektionsrisiko um bis zu 80 Prozent senken kann, was ihre Empfehlungen für eine allgemeine Maskenpflicht stützt.

05.06.2020

Die WHO empfiehlt den Regierungen, die Bevölkerung dazu aufzufordern, in bestimmten Situation Masken zu tragen, um die Virusübertragung zu verhindern.

18.06.2020

Das EDI betont in einer Diskussionsnotiz zuhanden des Bundesrates, dass angesichts der tiefen Fallzahlen derzeit keine allgemeine Maskenpflicht für den öffentlichen Raum geplant ist, diese bei steigenden Fallzahlen aber rasch eingeführt werden sollte. Der empfohlene Mindestabstand zwischen zwei Personen wird von 2 auf 1,5 Meter gesenkt.

19.06.2020

Der Bundesrat empfiehlt das Maskentragen im ÖV.

01.07.2020

Die SN-STF veröffentlicht ein Policy Brief, in dem dringend empfohlen wird, eine Maske zu tragen, wenn der Abstand nicht eingehalten werden kann, namentlich im ÖV.

01.07.2020

Angesichts der Stellungnahmen im Mitberichtsverfahren schlägt das EDI dem Bundesrat die zunächst als «Option» aufgeführte Maskenpflicht im ÖV als Massnahme vor.

02.07.2020

Der Bundesrat beschliesst, dass im ÖV ab dem 6. Juli 2020 eine Maske getragen werden muss.

24.09.2020

Das ECDC empfiehlt das Maskentragen in stark frequentierten Innen- und Aussenräumen, da es immer mehr Hinweise darauf gebe, dass dadurch eine Ansteckung mit COVID-19 vermieden werden könne.

15.10.2020

Das BAG richtet eine Anfrage an die SN-STF zu den Maskenstrategien der verschiedenen Länder und zu den verwendeten Maskentypen.

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Datum

Beschreibung

18.10.2020

Der Bundesrat beschliesst, dass ab dem 19. Oktober 2020 eine Maskenpflicht für öffentlich zugängliche Innenräume, Bahnhöfe, Flughäfen sowie Bus- und Tramhaltestellen gilt.

20.10.2020

Das EDI erwähnt in einer Informationsnotiz zuhanden des Bundesrates die Ausdehnung der Maskenpflicht auf die gesamte Bevölkerung. Als Argument für diese Massnahme wird genannt, dass im Gegensatz zur ersten Wellen nun ausreichend Masken vorhanden sind. Ausserdem wird auf die entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und darauf verwiesen, dass das Maskentragen dort, wo es bereits vorgeschrieben sei, gut akzeptiert werde.

27.10.2020

Die Ausdehnung der Maskenpflicht wird im Rahmen der Ämterkonsultation und des Mitberichtsverfahrens intensiv diskutiert, das EDI hält jedoch im Hinblick auf die Bundesratssitzung an seiner Position fest.

28.10.2020

Der Bundesrat beschliesst, die Maskenpflicht ab dem 29. Oktober 2020 auf gewisse Aussenbereiche wie die Warteschlangen vor Geschäften, die Aussenbereiche von Restaurants und Bars, Märkte und stark frequentierte Fussgängerzonen sowie auf Schulen der Sekundarstufe II und den Arbeitsplatz auszudehnen.

14.11.2020

Auf die Frage des BAG, inwieweit die Hygienemaske auch die Person schützt, welche die Maske trägt, antwortet die SN-STF per E-Mail, es gebe Beobachtungen, jedoch keine randomisierten Studien, die dafür sprächen, dass auch für den Träger bzw. die Trägerin eine Schutzwirkung besteht.

17.12.2020

Die WHO empfiehlt, dass die Länder zur Kontrolle der Virusübertragung Maskenpflichten erlassen.

16.02.2021

In einer Informationsnotiz zuhanden des Bundesrates wird die Möglichkeit, eine Maske zu tragen, als entscheidendes Kriterium dafür genannt, welche Aktivitäten bei einer Massnahmenlockerung wieder zugelassen werden.

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Beschränkung für private Treffen Datum

Beschreibung

19.03.2020

Das EDI weist in einem Antrag an den Bundesrat darauf hin, dass Zusammenkünfte von Personen stark zur Virusverbreitung beitragen und ein Verbot von Versammlungen von mehr als 5 Personen im öffentlichen Raum die Übertragungsrate reduzieren, die Übertragungsketten unterbrechen und lokale Hotspots vermeiden bzw. eindämmen könnte.

20.03.2020

Der Bundesrat beschliesst, Treffen von mehr als 5 Personen ab dem 21. März 2020 zu verbieten.

11.04.2020

Als Antwort auf eine Anfrage des BAG veröffentlicht die SN-STF ein Policy Brief, in dem sie mögliche Lockerungsschritte skizziert und betont, dass private Treffen auf 30 Teilnehmende beschränkt werden sollten.

26.05.2020

Davon ausgehend, dass die Abstands- und Hygieneregeln von der Bevölkerung eingehalten werden, beantragt das EDI dem Bundesrat, die Regeln für private Treffen zu lockern und diese bis zu einer Teilnehmerzahl von 30 Personen zu erlauben.

27.05.2020

Angesichts der positiven Entwicklung der epidemiologischen Lage in der Schweiz beschliesst der Bundesrat, dass ab dem 6. Juni 2020 Treffen mit bis zu 30 Personen erlaubt sind.

04.06.2020

Auf die Frage des BAG, wo die meisten Infektionen stattfinden, veröffentlicht die SN-STF ein Policy Brief, in dem betont wird, dass geschlossene Räume wie die eigene Wohnung zu den Orten mit der höchsten Ansteckungsgefahr zählen.

18.06.2020

Aufgrund der tiefen Fallzahlen beantragt das EDI dem Bundesrat, das Verbot von privaten Versammlungen mit mehr als 30 Personen aufzuheben.

19.06.2020

Der Bundesrat beschliesst, das Verbot von privaten Versammlungen mit mehr als 30 Personen ab dem 22. Juni 2020 aufzuheben.

24.09.2020

Das ECDC empfiehlt, private Treffen zu beschränken, namentlich für Kleingruppen (weniger als 10 Personen), da so die Virusverbreitung effizient eingedämmt werden könne.

16.10.2020

Auf Grundlage der Daten des kantonalen Contact-Tracings kommt das EDI zum Schluss, dass es neue Regeln für private Treffen braucht und Treffen mit mehr als 15 Personen verboten werden sollten.

18.10.2020

Der Bundesrat beschliesst, dass private Treffen mit mehr als 15 Personen ab dem 19. Oktober 2020 verboten sind.

28.10.2020

Der Bundesrat beschliesst, dass private Treffen mit mehr als 10 Personen ab dem 29. Oktober 2020 verboten sind.

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Datum

Beschreibung

04.12.2020

Das ECDC empfiehlt, private Treffen an Weihnachten und Silvester zu untersagen oder deren Personenzahl und Dauer zu limitieren.

17.12.2020

Die WHO empfiehlt, private Treffen zu beschränken (max. 10 Personen), um die Virusverbreitung in Privathaushalten zu stoppen.

17.12.2020

Das EDI hält in einem Antrag an den Bundesrat fest, dass das Übertragungsrisiko zunimmt, je mehr Personen an einem privaten Treffen teilnehmen, und dass eine weitere Beschränkung ins Auge gefasst werden sollte, wenn sich die epidemiologische Lage nicht verbessert.

Angesichts der nahenden Festtage verzichtet das Departement aber auf einen entsprechenden Antrag an den Bundesrat.

12.01.2021

Das EDI erklärt in einem Antrag an den Bundesrat, dass die durch die neuen Virusvarianten verursachte Entwicklung der epidemiologischen Lage eine Begrenzung von privaten Treffen auf 10 Personen aus höchstens zwei Haushalten nötig macht. Nach dem Mitberichtsverfahren wird diese Zahl auf 5 Personen gesenkt.

13.01.2021

Der Bundesrat beschliesst, dass private Treffen mit mehr als 5 Personen ab dem 18. Januar 2021 verboten sind.

16.02.2021

Das EDI schlägt in einer Diskussionsnotiz zuhanden des Bundesrates trotz der Unsicherheiten im Zusammenhang mit den neuen Virusvarianten eine risikoorientierte Lockerungsstrategie vor. Es betont, dass bei den Massnahmenlockerungen nicht nur die epidemiologische Lage allein berücksichtigt werden sollte, sondern auch die problematischen sozialen und wirtschaftlichen Folgen gewisser Massnahmen wie der Beschränkung privater Treffen auf 5 Personen.

24.02.2021

Nach der Konsultation der Kantone beschliesst der Bundesrat, dass ab dem 1. März 2021 im Freien wieder Treffen mit bis zu 15 Personen erlaubt sind.

19.03.2021

Nach der Konsultation der Kantone beschliesst der Bundesrat, dass die erlaubte Personenzahl bei privaten Treffen in Innenräumen ab dem 22. März 2021 von 5 auf 10 Personen erhöht wird.

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Beschränkung für Grossanlässe Datum

Beschreibung

Februar 2020 Das ECDC veröffentlicht Empfehlungen, in denen darauf hingewiesen wird, dass die Absage von Grossanlässen vor dem Erreichen des Höhepunkts der Epidemie dazu beitragen kann, die Virusverbreitung einzudämmen.

28.02.2020

Der Bundesrat erklärt die besondere Lage gemäss EpG und untersagt mit sofortiger Wirkung Grossanlässe mit mehr als 1000 Personen.

12.03.2020

Das EDI beantragt dem Bundesrat, Anlässe mit mehr als 100 Personen zu verbieten. Dies wird mit der Entwicklung in Italien begründet und mit dem Verweis darauf, dass bei Personenansammlungen die Gefahr der Virusübertragung besonders hoch ist.

13.03.2020

Veranstaltungen mit mehr als 100 Personen werden vom Bundesrat mit sofortiger Wirkung und bis Ende April verboten.

11.04.2020

Als Antwort auf eine Anfrage des BAG veröffentlicht die SN-STF ein Policy Brief, in dem sie mögliche Lockerungsschritte skizziert und festhält, dass Treffen nicht mehr als 30 Personen umfassen sollten.

28.04.2020

Das EDI begründet die Verlängerung des Verbots von Anlässen mit mehr als 1000 Personen bis zum 30. September 2020 in einer Diskussionsnotiz zuhanden des Bundesrates damit, dass grosse Personenansammlungen die Gefahr der Ansteckung mit COVID-19 für zahlreiche Personen deutlich erhöhen und dass in einer solchen Situation das Contact-Tracing sehr schwer bis unmöglich ist.

29.04.2020

Der Bundesrat informiert darüber, dass Anlässe mit mehr als 1000 Personen bis zum 30. September 2020 verboten bleiben.

26.05.2020

Nach dem Mitberichtsverfahren spricht sich das EDI angesichts der Erfahrungen in Italien gegen eine schnellere Freigabe von Anlässen mit mehr als 1000 Personen aus. Es ist aber der Ansicht, dass Anlässe bis 1000 Personen mit Sitzplatzpflicht schrittweise erlaubt werden können, wenn sie über ausreichende Schutzkonzepte verfügen.

27.05.2020

Der Bundesrat beschliesst, dass ab dem 6. Juni 2020 Anlässe mit bis zu 300 Personen erlaubt sind. Er kündigt an, über Veranstaltungen mit bis zu 1000 Personen zu einem späteren Zeitpunkt zu entscheiden.

18.06.2020

Das EDI erwägt in einer Diskussionsnotiz zuhanden des Bundesrates, Anlässe mit mehr als 1000 Personen bereits ab Anfang September und nicht erst wie ursprünglich geplant ab Ende September zuzulassen, unter anderem auch, weil andere europäische Länder beginnen, solche Veranstaltungen wieder zu erlauben.

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Datum

Beschreibung

19.06.2020

Der Bundesrat erhöht die maximale Personenzahl bei Grossanlässen von 300 auf 1000 Teilnehmende und kündigt an, dass die Begrenzung auf 1000 Personen bis Ende August gilt.

05.08.2020

Das EDI beantragt dem Bundesrat angesichts der epidemiologischen Lage, das Verbot von Grossveranstaltungen bis zum 30. September 2020 zu verlängern und ab dem 1. Oktober 2020 eine Bewilligungspflicht einzuführen.

12.08.2020

Der Bundesrat beschliesst, dass Grossanlässe mit mehr als 1000 Personen ab dem 1. Oktober 2020 erlaubt sind, sofern strenge Schutzmassnahmen ergriffen werden und eine kantonale Bewilligung vorliegt.

27.10.2020

Das EDI betont in einem Antrag an den Bundesrat, dass die Ansteckungsgefahr bei Grossanlässen durch die Schutzkonzepte reduziert wird, dass es aber dennoch zu Infektionen kommt und das ContactTracing durch die Kantone an seine Grenzen stösst. Es beantragt, die erlaubte Personenzahl auf 15 Personen zu reduzieren.

28.10.2020

Der Bundesrat beschliesst, dass Anlässe mit mehr als 50 Personen ab dem 29. Oktober 2020 verboten sind.

11.12.2020

Der Bundesrat verbietet Grossanlässe mit wenigen Ausnahmen wie religiöse Feiern (mit höchstens 50 Personen) oder politische Veranstaltungen.

16.02.2021

Das EDI schlägt in einer Diskussionsnotiz zuhanden des Bundesrates trotz der Unsicherheiten im Zusammenhang mit den neuen Virusvarianten eine risikoorientierte Lockerungsstrategie vor. Die Beschränkungen für Grossanlässe werden als die Massnahmen bezeichnet, die aus epidemiologischer Sicht als letzte aufgehoben werden sollten.

12.03.2021

Der Bundesrat lanciert eine Konsultation bei den Kantonen über die Zulassung von Anlässen mit Publikum ab dem 22. März 2021 (100 Personen im Freien, 50 Personen in Innenräumen).

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Beschränkung des Restaurant- und Barbetriebs Datum

Beschreibung

12.03.2020

Das EDI beantragt dem Bundesrat, die Zahl der zugelassenen Restaurantgäste auf 50 Personen zu beschränken. Es räumt ein, dass diese Massnahme erhebliche Auswirkungen auf das öffentliche Leben hat, erachtet sie aber als gerechtfertigt, da strenge Massnahmen zu Beginn der Epidemie grössere Aussichten haben, die epidemiologische Entwicklung nachhaltig zu beeinflussen.

13.03.2020

Der Bundesrat beschliesst mit sofortiger Wirkung, dass in Restaurants und Bars höchstens 50 Gäste zugelassen sind.

16.03.2020

Der Bundesrat erklärt die besondere Lage gemäss EpG. Restaurants und Bars müssen ab dem 17. März 2020 und bis Ende April schliessen.

11.04.2020

Als Antwort auf eine Anfrage des BAG veröffentlicht die SN-STF ein Policy Brief, in dem sie mögliche Lockerungsschritte skizziert. In diesem Dokument wird unterstrichen, dass die Aussenkonsumation der Innenkonsumation vorzuziehen ist und es Massnahmen zur Einhaltung des Abstands braucht (z. B. Abstände zwischen den Tischen).

15.04.2020

Das EDI spricht sich in einer Diskussionsnotiz zuhanden des Bundesrates gegen die Forderung aus dem Mitberichtsverfahren aus, die Restaurants wieder zu öffnen. Die Schliessung rechtfertige sich durch die hohe Ansteckungsgefahr aufgrund der zahlreichen engen Kontakte in geschlossenen Räumen.

07.05.2020

Das EDI weist in einem Antrag an den Bundesrat darauf hin, dass die Wiederöffnung der Bars in erster Linie davon abhängt, ob deren Gäste nicht einer höheren Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind als in einem klassischen Restaurant.

08.05.2020

Der Bundesrat informiert, dass die Restaurants ab dem 11. Mai 2020 wieder öffnen dürfen, allerdings mit einer Beschränkung auf 4 Personen pro Tisch, Sitzplatzpflicht und einem Mindestabstand von zwei Metern zwischen den Tischen.

26.05.2020

Das EDI lehnt in einer Diskussionsnotiz zuhanden des Bundesrates den Antrag eines Bundesamtes ab, die Beschränkung der Öffnungszeiten für Restaurants aufzuheben, da die Erfahrungen im Ausland gezeigt hätten, dass dies zu lokalen Hotspots führen kann.

27.05.2020

Der Bundesrat beschliesst, dass in Restaurants und Bars wieder Gästegruppen von mehr als 4 Personen erlaubt sind. Allerdings müssen die Kontaktdaten erfasst werden, wenn die Vorgaben bezüglich Abstand nicht eingehalten werden (können).

04.06.2020

Auf eine Anfrage des BAG hin teilt das SN-STF mit, dass in geschlossenen Räumen wie Bars und Restaurants eine hohe Ansteckungsgefahr herrscht.

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BBl 2023 2184

Datum

Beschreibung

19.06.2020

Der Bundesrat beschliesst, die Sitzplatzpflicht in Bars und Restaurants ab dem 22. Juni 2020 aufzuheben.

18.10.2020

Auf Ersuchen der Kantone beantragt das EDI, in Bars und Restaurants die Konsumation im Stehen zu verbieten, da in diesen Fällen eine erhöhte Ansteckungsgefahr besteht.

18.10.2020

Der Bundesrat beschliesst, dass in Bars und Restaurants ab dem 19. Oktober 2020 die Konsumation im Stehen verboten ist.

27.10.2020

Das EDI beantragt dem Bundesrat, in Bars und Restaurants die Personenzahl pro Tisch auf 4 zu beschränken und Sperrstunden von 23 bis 6 Uhr vorzusehen. Das laute Sprechen aufgrund des allgemeinen Umgebungslärms erhöhe die Emission von Aerosolen und Tröpfchen und somit die Gefahr der Virusverbreitung.

28.10.2020

Der Bundesrat legt fest, dass Restaurants und Bars ab dem 29. Oktober 2020 zwischen 23 und 6 Uhr geschlossen sein müssen und dass pro Tisch höchstens 4 Personen erlaubt sind.

11.12.2020

Der Bundesrat beschliesst, dass Restaurants und Bars zur Reduktion der Kontakte ab dem 12. Dezember 2020 ab 19 Uhr schliessen müssen.

17.12.2020

Das EDI hält in einem Antrag an den Bundesrat fest, dass die Lage seit dem 4. Dezember 2020 als kritisch zu betrachten ist, die Kantone allerdings nicht handeln wollten. Da sich die epidemiologische Lage und die Position der Kantone verändert, beantragt das EDI, Restaurants und Bars zu schliessen unter Beibehaltung der Ausnahmeregelungen, die in den Westschweizer Kantonen erst seit einer Woche gelten.

18.12.2020

Der Bundesrat beschliesst, dass Restaurants und Bars ab dem 22. Dezember 2020 schliessen müssen. Die Kantone können Ausnahmeregelungen vorsehen, wenn es die epidemiologische Lage erlaubt.

05.01.2021

Das EDI spricht sich in einer Informationsnotiz zuhanden des Bundesrates dafür aus, die kantonalen Ausnahmeregelungen zu beenden, da die Vorwochen gezeigt hätten, dass diese zu einem Einkaufs- und Gastronomietourismus führen.

06.01.2021

Der Bundesrat setzt den kantonalen Ausnahmeregelungen ein Ende und beschliesst, dass Restaurants und Bars ab dem 9. Januar 2021 ausnahmslos schliessen müssen.

11.01.2021

Das BAG ersucht die SN-STF um Stellungnahme zu einem Artikel, in dem für eine unterschiedliche Behandlung von Restaurants und Bars argumentiert werde. Die SN-STF antwortet, dass die entsprechende Studie diese Unterscheidung nicht wirklich befürworte, sondern vor allem aufzeige, dass an Orten, an denen gemeinsam gegessen und getrunken wird, eine hohe Ansteckungsgefahr herrsche.

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Datum

Beschreibung

23.01.2021

Nach dem Beschluss des Bundesrates, dass die Restaurants und Bars nicht Teil der nächsten Lockerungsschritte sind, begründet das EDI diesen Entscheid damit, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse eindeutig auf eine erhöhte Ansteckungsgefahr an diesen Orten hindeuteten.

16.02.2021

Das EDI schlägt in einer Diskussionsnotiz zuhanden des Bundesrates trotz der Unsicherheiten im Zusammenhang mit den neuen Virusvarianten eine risikoorientierte Lockerungsstrategie vor. Es betont, dass die Restaurants noch nicht wieder geöffnet werden können, da dort, wo keine Maske getragen oder kein Abstand gehalten werden kann, eine erhöhte Ansteckungsgefahr herrsche.

23.02.2021

Nach kritischen Reaktionen in der Konsultation und im Mitberichtsverfahren begründet das EDI das Festhalten an den Restaurantschliessungen ausführlich und weist darauf hin, dass an diesen Orten Personengruppen in zumeist geschlossen Räumen für mehrere Stunden zusammentreffen und dabei keine Maske tragen sowie mit lauter Stimme sprechen, was die Emission von Aerosolen und Tröpfchen erhöhe.

12.03.2021

Der Bundesrat schickt einen Vorschlag für Lockerungen in die Konsultation, welcher die Öffnung der Restaurantterrassen ab dem 22. März 2021 vorsieht.

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Beschränkung des Schul- und Universitätsbetriebs Datum

Beschreibung

Februar 2020 In den Empfehlungen des ECDC heisst es, Studien über frühere Pandemien hätten gezeigt, dass Schulschliessungen einen wirksamen Beitrag zur Eindämmung der Virusübertragungen leisten.

12.03.2020

Angesichts der Lage in Italien und auf der Grundlage eines Berichts des ECDC, in dem empfohlen wird, Schulschliessungen im Betracht zu ziehen, da nicht klar sei, inwieweit auch Kinder das Virus übertragen, beantragt das EDI dem Bundesrat, die Schulen zu schliessen.

13.03.2020

Der Bundesrat beschliesst, dass der Präsenzunterricht an Schulen, Universitäten und Hochschulen bis zum 4. April 2020 untersagt ist.

11.04.2020

Als Antwort auf eine Anfrage des BAG veröffentlicht die SN-STF ein Policy Brief, in dem sie mögliche Lockerungsschritte skizziert und betont, dass die Öffnung der Primar- und Sekundarschulen Vorrang hat gegenüber der Öffnung der Bildungseinrichtungen auf Tertiärstufe.

15.04.2020

Das EDI stellt in einer Diskussionsnotiz zuhanden des Bundesrates zur Diskussion die Primar- und Sekundarschulen ab dem 11. Mai 2020 wieder zu öffnen, und schlägt vor, über die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts an Bildungseinrichtungen der Sekundarstufe 2 und der Tertiärstufe nachzudenken.

17.04.2020

Das BAG möchte von der SN-STF wissen, inwieweit auch Kinder das Virus übertragen können und ob es altersbedingte Unterschiede gibt. Die SN-STF weist in ihrer Antwort darauf hin, dass es hierzu kaum entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse gibt und das Vorsorgeprinzip angewendet werden sollte. Sie veröffentlicht ein Policy Brief zu diesem Thema (20.4.2020), in dem sie betont, dass die Frage der Öffnung der Schulen einen Wertekonflikt darstellt.

28.04.2020

Das EDI präsentiert in einer Diskussionsnotiz zuhanden des Bundesrates die Hinweise, die eine progressive Öffnung der Schulen denkbar erscheinen lassen, namentlich die Tatsache, dass die Kinder weniger häufig und allgemein weniger stark erkranken sowie dass sie bei der Virusübertragung eine untergeordnete Rolle spielen. Dies rechtfertige eine unterschiedliche Behandlung je nach Altersgruppe.

29.04.2020

Der Bundesrat beschliesst, dass ab dem 11. Mai 2020 Primar- und Sekundarschulen wieder öffnen sowie weiterführende Schulen und andere Bildungseinrichtungen Präsenzunterricht mit bis zu 5 Personen durchführen dürfen.

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Datum

Beschreibung

10.05.2020

Die WHO unterstreicht, dass der Beschluss von Schulschliessungen auf einer Risikoabwägung beruhen sollte.

26.05.2020

Das EDI beantragt dem Bundesrat, ab dem 8. Juni 2020 wieder Präsenzunterricht in Bildungseinrichtungen der Sekundarstufe 2 und der Tertiärstufe zu erlauben, wenn entsprechende Schutzkonzepte vorliegen.

27.05.2020

Der Bundesrat beschliesst, dass an Bildungseinrichtungen der Sekundarstufe 2 und der Tertiärstufe ab dem 6. Juni 2020 wieder Präsenzunterricht erlaubt ist.

04.06.2020

Auf eine Anfrage des BAG hin erklärt die SN-STF, dass geschlossene Räume wie Schulen Orte sind, an denen eine hohe Ansteckungsgefahr herrsche.

06.08.2020

Das ECDC räumt ein, dass Schulschliessungen vermutlich keine wirksame Massnahme zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie sind.

14.09.2020

Die WHO äussert die Meinung, dass die Schulen nicht geschlossen werden sollten, sondern vielmehr auf präventive Massnahmen zu setzen ist.

27.10.2020

Das EDI beantragt dem Bundesrat, in Hochschulen und Universitäten Distanzunterricht vorzuschreiben, um die Epidemie einzudämmen. Durch diese Massnahme sollen unter anderem die Personenflüsse, namentlich im ÖV, reduziert werden.

28.10.2020

Der Bundesrat beschliesst, dass an Hochschulen und Universitäten ab dem 2. November 2020 der Präsenzunterricht verboten ist.

06.01.2021

Das EDI verzichtet angesichts der negativen Rückmeldungen darauf, dem Bundesrat eine Verlängerung der Schulferien zu beantragen. In einer Diskussionsnotiz zuhanden des Bundesrates bezeichnet das Departement das Verbot des Präsenzunterrichts an Bildungseinrichtungen der Sekundarstufen 1 und 2 aus epidemiologischer Sicht als absolut angebracht. Welche Auswirkungen dies auf die Schülerinnen und Schüler habe, sei allerdings noch unklar.

08.01.2021

Das BAG ersucht die SN-STF, die Risiken, die mit geöffneten Schulen verbunden sind, einzuschätzen und Kriterien für allfällige Massnahmen in den Schulen zu definieren. Die SN-STF antwortet in einem Policy Brief, dass der Distanzunterricht in der Sekundarstufe 1 bei einer «sehr gefährlichen» epidemiologischen Lage und in der Sekundarstufe 2 bei einer «gefährlichen» oder «sehr gefährlichen» epidemiologischen Lage gerechtfertigt ist.

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Datum

Beschreibung

19.01.2021

Das EDI schliesst sich in einer Informationsnotiz zuhanden des Bundesrates der Position der SN-STF und der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK) an, wonach Schulschliessungen nur das letzte Mittel seien. Angesichts der epidemiologischen Lage sei es allerdings notwendig, Szenarien für allfällige restriktivere Massnahmen auszuarbeiten.

16.02.2021

Das EDI schlägt in einer Diskussionsnotiz zuhanden des Bundesrates trotz der Unsicherheiten im Zusammenhang mit den neuen Virusvarianten eine risikoorientierte Lockerungsstrategie vor. Es sieht vor, in den Berufsschulen ab dem 1. April 2021 schrittweise wieder zum Präsenzunterricht zurückzukehren, an den Universitäten aber beim Distanzunterricht zu bleiben.

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Impressum Durchführung der Evaluation Marion Baud-Lavigne (Projektleitung) Dr. Nicolas Keuffer (wissenschaftliche Mitarbeit) Selina Stoller (wissenschaftliche Mitarbeit) Externer Expertenbericht über die öffentliche Kommunikation Jörg Schneider, js_studien+analysen (Projektleitung) Dr. Franziska Oehmer-Pedrazzi, Fachhochschule Graubünden Stefano Pedrazzi, Universität Freiburg Externe Begleitung im epidemiologischen Bereich Prof. Dr. Arnaud Chiolero, Labor für öffentliche Gesundheit (#PopHealthLab), Universität Freiburg Dank Die PVK dankt der Bundesverwaltung und namentlich dem BAG für die Bereitstellung der Dokumente und Daten sowie für ihre Auskünfte und Erläuterungen. Sie bedankt sich zudem bei den oben aufgeführten externen Fachleuten für die gute Zusammenarbeit. Dank gilt ausserdem allen Gesprächspartnerinnen und -partnern für ihre bereitwillige Teilnahme an den Interviews und für die erteilten Auskünfte, dies umso mehr, als die Coronakrise noch nicht vorbei war und sie zeitlich nach wie vor sehr beansprucht waren.

Kontakt Parlamentarische Verwaltungskontrolle Parlamentsdienste CH-3003 Bern Tel.: +41 58 322 97 99 E-Mail: pvk.cpa@parl.admin.ch www.parlament.ch > Organe > Kommissionen> PVK

Originalsprache des Berichts: Französisch 70 / 70