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Wahrung der Grundrechte durch die Bundesbehörden bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie am Beispiel der Ausweitung des Covid-Zertifikats Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 30. Juni 2023 Stellungnahme des Bundesrates vom 29. September 2023

Sehr geehrte Frau Kommissionspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Geschäftsprüfungskommission vom 30. Juni 20231 betreffend die Wahrung der Grundrechte durch die Bundesbehörden bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie am Beispiel der Ausweitung des Covid-Zertifikats nehmen wir nach Artikel 158 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Kommissionspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

29. September 2023

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Die Massnahmen des Bundesrats zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie führten zu Einschränkungen der Grundrechte. Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK-N) hat sich aus der Perspektive der parlamentarischen Oberaufsicht in den vergangenen Monaten vertieft mit der Verfassungsmässigkeit dieser Einschränkungen befasst. Im Fokus standen dabei der Beschluss des Bundesrats vom Dezember 2021 über die Ausweitung des Anwendungsbereichs des Covid-19-Zertifikats und die Frage, wie die zuständigen Behörden (Eidgenössisches Departement des Innern [EDI], Bundesamt für Gesundheit [BAG] und Bundesamt für Justiz [BJ]) im Vorfeld dieses Beschlusses die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Bedingungen für die Einschränkung von Grundrechten geprüft haben. Ebenfalls untersucht hat die GPKN, ob das Resultat dieser Prüfung unter dem Aspekt der Rechtmässigkeit angemessen war und welche Lehren für die Zukunft gezogen werden können.

Die GPK-N kommt in ihrem Bericht zum Schluss, dass das EDI, das BAG und das BJ die Einhaltung der verfassungsmässigen Kriterien angemessen geprüft haben. Sie zieht somit eine insgesamt positive Bilanz bezüglich der Zusammenarbeit von BAG und BJ bei der Ausweitung des Covid-19-Zertifikats. Auch wenn sie aus der Perspektive der Oberaufsicht keine Hinweise auf grundlegende Mängel in der Geschäftsführung der zuständigen Behörden erkannte, ist sie der Ansicht, dass gestützt auf ihre Abklärungen einige allgemeingültige Lehren für künftige Krisen gezogen werden können.

Am 30. Juni 2023 hat die GPK-N ihren Bericht an den Bundesrat überwiesen. Sie ersucht den Bundesrat, ihre Feststellungen und Empfehlungen zu berücksichtigen und bis am 4. Oktober 2023 dazu Stellung zu nehmen.

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Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat dankt der GPK-N für den Bericht, in dem sie sich kritisch mit der Frage der Einhaltung der verfassungsrechtlichen Kriterien zur Einschränkung bestimmter Grundrechte bei der Ausweitung der Covid-Zertifikatspflicht auseinandersetzt. Der Bundesrat misst den Lehren, die aus der Covid-19-Pandemie zu ziehen sind, grosse Bedeutung bei und teilt die Auffassung der GPK-N, dass aus dem Beispiel der Ausweitung der Covid-Zertifikate Lehren für zukünftige Krise zu ziehen sind.

Generell begrüsst der Bundesrat die Schlussfolgerung der GPK-N, dass das EDI, das BAG und das BJ auf der Grundlage des damaligen Wissensstands und angesichts der pandemiebedingten Ausnahmesituation die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Kriterien angemessen geprüft haben. Der Bundesrat begrüsst auch die insgesamt positive Bilanz, die die GPK-N bezüglich der Zusammenarbeit von BAG und BJ im Fall der Ausweitung der Covid-19-Zertifikatspflicht gezogen hat.

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Der Bundesrat ist bereit, sämtliche Empfehlungen der GPK-N aus dem Bericht entgegenzunehmen und in die bereits laufenden Arbeiten aufzunehmen. Er prüft eine entsprechende Umsetzung, insbesondere im Rahmen der Revision des Epidemiengesetzes vom 28. September 20122 (EpG).

Die nachfolgenden Ausführungen des Bundesrates sind nach den vier Empfehlungen des Berichts der GPK-N vom 30. Juni 2023 gegliedert.

Empfehlung 1: Kontrollfunktion des BJ in Krisenzeiten Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, wie die Rechtsetzungskontrolle des BJ ­ insbesondere im Hinblick auf die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit ­ in Krisenzeiten verstärkt werden könnte.

Zu prüfen sei namentlich: ­

die Sicherstellung, dass die Ressourcen des BJ kurzfristig aufgestockt werden können, wenn dies zur Gewährleistung einer angemessenen Kontrolle erforderlich ist;

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die Sicherstellung, dass das BJ über möglichst umfassende Informationen verfügt, um eine unabhängige Verhältnismässigkeitsprüfung vorzunehmen;

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die Schaffung von Strukturen, die einen kurzfristigen Austausch zwischen dem BJ und den Fachämtern ermöglichen, um allfällige offene Fragen zu den vorgeschlagenen Massnahmen zu klären;

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die Entsendung von Mitarbeitenden des BJ in Krisenzeiten in die Fachämter, damit rechtliche Fragen bereits bei der Konzipierung der Massnahmen geprüft werden können.

Der Bundesrat begrüsst, dass die GPK-N der präventiven Überprüfung von rechtsetzenden Erlassen durch das BJ in Krisenzeiten grosse Bedeutung beimisst. Er teilt die Einschätzung der GPK-N, dass diese präventive Kontrolle wesentlich ist und dass das BJ diese auch in Krisenzeiten effizient wahrnehmen können muss. Er ist deshalb bereit, der Empfehlung 1 der GPK-N Folge zu geben und damit zu prüfen, wie die Möglichkeiten des BJ zur Wahrnehmung seiner präventiven Kontrollaufgabe, speziell in Krisenfällen, verstärkt werden können. Damit wird der Bundesrat angesichts der Erfahrungen aus den jüngsten Krisen ein Thema vertiefen, das er bereits in seinem Bericht vom 5. März 20103 zur Stärkung der präventiven Rechtskontrolle behandelt hatte. Der Bundesrat macht jedoch vorgängig auf folgende Punkte aufmerksam: Erstens lässt der Fokus der GPK-N auf die kurzfristige Stärkung der Ressourcen des BJ in Krisensituationen ausser Acht, dass die präventive Rechtskontrolle in solchen Zeiten kaum effizient wahrgenommen werden kann, wenn die damit betrauten Personen nicht bereits über viel Erfahrung verfügen. Krisenzeiten kennzeichnen sich üblicherweise durch die Unvorhersehbarkeit ihres Eintretens, die Ungewissheit über ihre Dauer, den starken Zeitdruck, dem Rechtsetzungsgeschäfte unterliegen, und vor allem 2 3

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durch die Tatsache, dass sie viele neue, komplexe Fragen aufwerfen, die rasch beantwortet werden müssen. Es ist daher notwendig, nicht nur zu reagieren, wenn eine Krise da ist, sondern Krisen auch zu antizipieren, indem sichergestellt wird, dass das BJ den notwendigen Handlungsspielraum hat, um zumindest einen Grossteil der krisenbedingten höheren Arbeitsbelastung aufzufangen. Der Bundesrat weist darauf hin, dass er 2022 beschlossen hat, die Stellen für die Begleitung der Rechtsetzungsgeschäfte zu erhöhen. Gleichzeitig ist sich der Bundesrat bewusst, dass der Ressourcenbestand im BJ nicht dauerhaft auf den Bedarf in Krisenzeiten ausgerichtet werden kann. Er wird prüfen, wie die Ressourcen im BJ sichergestellt werden können, die notwendig sind, um auch in einer Krise eine angemessene Kontrolle zu gewährleisten.

Zweitens muss die Überprüfung auch die Strukturen und Prozesse umfassen, nicht nur innerhalb des BJ, sondern auch in den Beziehungen zwischen dem BJ und den Ämtern, die in Krisenzeiten mit der Ausarbeitung von Regelungsentwürfen betraut sind.

Insbesondere wird zu prüfen sein, wie die für Regelungsentwürfe zuständigen Ämter dem BJ Zugang zu den Informationen gewähren können, die es benötigt, um die Verfassungs- und Gesetzmässigkeit solcher Entwürfe zu überprüfen. Diese Prüfung muss mit der laufenden Überprüfung der Führungsstrukturen in Krisenfällen koordiniert werden.

Schliesslich wird darauf zu achten sein, dass das BJ bei der Ausübung seiner Aufgabe der präventiven Rechtskontrolle nicht nur gegenüber den übergeordneten Behörden, sondern auch gegenüber den mit Regelungsentwürfen betrauten Ämtern genügend Autonomie behält. Faktisch würde die Entsendung von BJ-Mitarbeitenden in die erwähnten Ämter in Krisenzeiten diese Autonomie erheblich einschränken. Es ist deshalb auch darauf zu achten, dass die für die Regelungsentwürfe zuständigen Ämter selber auf die in Krisenzeiten notwendigen Ressourcen an erfahrenen Juristinnen und Juristen zurückgreifen können, so dass die rechtlichen Fragen bereits bei der Konzipierung der Massnahmen berücksichtigt werden.

Empfehlung 2: Gesetzliche Grundlage für das Gesundheitszertifikat Der Bundesrat wird ersucht, bei der geplanten Revision des EpG zu prüfen, ob der gesetzliche Rahmen betreffend den Immunitätsstatus bzw. das Instrument des Gesundheitszertifikats
und dessen Einsatzmodalitäten in Pandemiezeiten präzisiert werden sollten.

Der Bundesrat begrüsst die Schlussfolgerung der GPK-N bezüglich der Zulässigkeit der Argumentation, wonach die Ausweitung des Covid-19-Zertifikats über eine ausreichende gesetzliche Grundlage im EpG verfügte. Er stimmt mit der GPK-N auch darin überein, dass es wichtig ist, dass das Gesetz dem Bundesrat einen gewissen Ermessensspielraum hinsichtlich der möglichen Massnahmen einräumt, insbesondere wenn sich diese als milder erweisen als andere vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehene Massnahmen und sie im Einklang mit den geltenden verfassungsrechtlichen Kriterien getroffen werden. Wie die GPK-N ist auch der Bundesrat der Ansicht, dass die demokratische Legitimität des Covid-19-Zertifikats indirekt durch mehrere andere Mittel gewährleistet war, insbesondere durch mehrere Vernehmlassungen und die dreimalige Ablehnung des Referendums über die Änderung des Covid-19-Gesetzes 4 / 10

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vom 25. September 20204 durch das Schweizer Stimmvolk, bei dem die Einführung des Zertifikats einen der Hauptpunkte der Debatte darstellte. Schliesslich verpflichtet sich der Bundesrat, im Falle einer künftigen Pandemie dafür zu sorgen, dass der Zweck der auf Gesetzes- und Verordnungsstufe beschlossenen Gesundheitsmassnahmen in den entsprechenden Texten stets explizit genannt wird.

Die Teilrevision des EpG, die gegenwärtig in Arbeit ist, bietet dem Bundesrat Gelegenheit, im Einzelnen zu prüfen, inwiefern der gesetzliche Rahmen betreffend die Anordnung von Massnahmen auf Stufe Gesetz präzisiert werden sollte.

Der Bundesrat nimmt daher Empfehlung 2 an und wird sich in der entsprechenden Botschaft an das Parlament im Laufe des Jahres 2024 materiell dazu äussern.

Empfehlung 3: Indikatoren für die Einschätzung der Bedrohung für die öffentliche Gesundheit im Pandemiefall Der Bundesrat wird ersucht, in Bezug auf die Relevanz und Präzision der einzelnen in der Covid-19-Pandemie zur Beurteilung der Bedrohung für die öffentliche Gesundheit genutzten Indikatoren Bilanz zu ziehen.

Er wird gebeten, auf dieser Grundlage eine Liste potenzieller Indikatoren zu erstellen, die bei einer künftigen Pandemie verwendet werden könnten, und gleichzeitig abzuklären, wie sich die entsprechenden Daten erheben lassen. Diese Liste soll zu gegebener Zeit veröffentlicht werden.

Der Bundesrat begrüsst die Schlussfolgerungen der GPK-N, dass die genutzten Indikatoren während der Pandemie laufend verbessert und angepasst wurden, dass die Behörden sich bemühten, sie so zu kombinieren, dass die Präzision des epidemiologischen Monitorings erhöht werden konnte, und dass die daraus gewonnenen Daten transparent publiziert wurden. Er begrüsst auch, dass die GPK-N die Beurteilung des EDI teilt, dass die genutzten Indikatoren nicht abstrakt festgelegt werden sollten.

In Bezug auf die Relevanz und Präzision der einzelnen in der Covid-19-Pandemie genutzten Indikatoren begrüsst der Bundesrat die Empfehlung der GPK-N und zieht die folgende Bilanz: Das «Drei-Phasen-Modell», das ab dem Frühjahr 2021 für die Einschätzung der Covid-19-Lage angewandt wurde, beinhaltete als Indikatoren die Fallzahlen, die Belegung der Intensivpflegestationen (IPS), die Reproduktionszahl «Re» und die gemeldeten Hospitalisierungen. Die Fallzahlen widerspiegeln
die Zahl der Neuansteckungen und erlauben zusammen mit dem Re-Wert, der die Dynamik der epidemischen Entwicklung wiedergibt, das Infektionsgeschehen in der Schweiz einzuschätzen. Eine erhöhte Viruszirkulation hat meist einen Anstieg der Hospitalisierungen zur Folge.

Krankheitsbedingte personelle Engpässe in Gesundheitsinstitutionen belasten den Gesundheitssektor zusätzlich und führen zu einer weitergehenden Verschärfung der Situation. Die Fallzahlen und der Re-Wert sind stark vom Testangebot und von der Testbereitschaft der Bevölkerung abhängig.

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Die neugemeldeten Spitaleintritte und die Belegung der Intensivpflegestationen insgesamt und durch Covid-19-Patientinnen und -Patienten erlaubten ein Monitoring der Entwicklung des Schweregrades der Erkrankung. Weiter gaben sie Hinweise auf eine mögliche abnehmende Immunität der Bevölkerung gegen schwere Verläufe und auf die Zirkulation einer besorgniserregenden Virusvariante, die zu schweren Krankheitsverläufen führte. Mit der Spitalbettenbelegung lag grundsätzlich eine aktuelle Information vor, die als Mass für die Funktionsfähigkeit und Belastbarkeit des Gesundheitssystems diente. Bei den Spitaleintritten war eine verlässliche Einschätzung aufgrund von Meldeverzug jedoch nur zeitverzögert möglich.

Mit der durchgeführten Impfung sämtlicher impfwilligen erwachsenen Personen ab Herbst 2021 verlagerte sich der Schwerpunkt auf den Schweregrad der Erkrankung, insbesondere aufgrund von neu auftretenden Virusvarianten. Die Erkenntnisse auf internationaler Ebene sowie die Auslastung der Spitäler in der Schweiz waren die Hauptkriterien, um das Risiko für die öffentliche Gesundheit zu beurteilen. So war das Gesundheitssystem zum Zeitpunkt des Auftretens der Omikron-Variante Ende Dezember 2021 beziehungsweise Anfang 2022 durch die Delta-Variante bereits sehr stark belastet, und frühe Erkenntnisse zu Omikron lieferten Hinweise auf schwere Verläufe auch bei Kindern. Die Risikoeinschätzung führte schliesslich zu den entsprechenden Massnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit. Im weiteren Verlauf zeigten einerseits die auf internationaler Ebene gewonnenen Erkenntnisse, dass die Omikron-Varianten weniger schwere Erkrankungen verursachten als frühere Varianten; andererseits sank auch die Spital- und IPS-Auslastung stetig. Die indikatorenbasierte Lageeinschätzung diente als Entscheidungsstütze zur zeitnahen Reduktion und anschliessend zur Aufhebung der Schutzmassnahmen.

In Bezug auf die Erstellung einer Liste potenzieller Indikatoren, die auch bei einer künftigen Pandemie operationell verwendet werden könnten, und die Abklärung, wie sich die entsprechenden Daten erheben lassen, begrüsst der Bundesrat die Einschätzung der GPK-N, dass auch für zukünftige Pandemien Indikatoren als Grundlage für die Einschätzung der Bedrohung für die öffentliche Gesundheit dienen sollen. Der Bundesrat erachtet es in einer
endemischen Situation jedoch nicht als zielführend, eine unmittelbar verwendbare Indikatorenliste festzulegen und zu veröffentlichen. Um die Effizienz der ergriffenen Massnahmen sowie eine Risikoeinschätzung für die öffentliche Gesundheit aus wissenschaftlich-epidemiologisch fundierter Sicht beurteilen zu können, müssen Indikatoren in ihrer Gesamtheit beurteilt und nach unterschiedlicher Gewichtung einzelner Faktoren interpretiert werden. Die spezifischen Merkmale einer künftigen Pandemie mit einem heute noch unbekannten Erreger können nicht vorausgesagt werden. Entsprechend berücksichtigt der Pandemieplan Schweiz keinen bestimmten Erreger, sondern formuliert allgemeingültige Vorbereitungs- und Handlungsmassnahmen für die Bewältigung einer Pandemie. In Vorbereitungen auf eine Pandemie mit einem unbekannten Erreger wird der Bedarf an neuen Indikatoren regelmässig geprüft. Daher ist eine regelmässige Aktualisierung des Pandemieplans, basierend auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, vorgesehen.

Der Bundesrat betont in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit von Überwachungssystemen, die die Einschätzung einer epidemiologischen Gefährdung erlauben. So haben die bestehenden Überwachungssysteme des Bundes, wie das obligatorische Mel-

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desystem, das Abwassermonitoring, die genomische Überwachung und das spitalbasierte und ambulante Sentinella-System, zum Ziel: ­

das Virus und seine Zirkulation zu identifizieren;

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die Virusvarianten nachzuverfolgen und ihre Auswirkung auf die verschiedenen Populationen in der Schweiz rasch einschätzen zu können;

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den Überblick über die Entwicklung des Schweregrads beziehungsweise der schweren Verläufe über die Zeit zu behalten;

In diesem Zusammenhang ist auch auf die kantonale Erhebung der Durchimpfungsrate hinzuweisen. Diese Erhebung ist für die Überwachung und Evaluation der Zweckmässigkeit und Wirksamkeit der Impfmassnahmen von Bedeutung und knüpft an die Überwachung anderer Erkrankungen an, die mittels Impfung verhindert werden können.

Die Überwachungssysteme erlauben auch für künftige Pandemien sowohl die flexible Ausweitung der Überwachung auf die potentiellen Erreger als auch die Skalierbarkeit der Frequenz, der geografischen Abdeckung und der Zielgruppen. In der aktuell endemischen Phase werden nicht alle Überwachungssysteme und Erhebungen weitergeführt, die während der Pandemie relevant waren. Daher müssen im Pandemiefall ­ abhängig vom Erreger ­ insbesondere die folgenden Systeme und Erhebungen wieder eingeführt werden: ­

Auslastung der Spitäler und der IPS aufgrund des Erregers, die durch den Koordinierten Sanitätsdienst (KSD) und die Nationale Alarmzentrale (NAZ) erfasst wird;

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systematische kantonale Datenerhebung für die Erfassung der Verimpfung von neu eingeführten Impfstoffen, was im Pandemiefall erlaubt, die Immunität der Bevölkerung zur betreffenden Krankheit zu eruieren;

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nationales Monitoring des Contact-Tracing-Prozesses in Zusammenarbeit mit den Kantonen.

Vor diesem Hintergrund zieht der Bundesrat bei den in der Pandemie angewandten Indikatoren eine positive Bilanz. Die Flexibilität bei der Festlegung und Gewichtung der Indikatoren erlaubte es, auf die sich verändernde epidemiologische Ausgangslage zu reagieren und die Instrumente zur Eindämmung der Epidemie zu steuern. Weiter sind die bestehenden Überwachungssysteme flexibel und skalierbar. So können sie an künftige pandemische Erreger angepasst und anhand der Erfahrungen aus der Pandemie weiterentwickelt werden.

Der Bundesrat geht mit der GPK-N einig, dass im Fall einer erneuten Pandemie differenzierte Indikatoren, die auf den Erreger und die epidemiologische Situation abgestimmt sind, frühzeitig veröffentlicht werden sollen. Er wird im Rahmen der Revision des EpG die Festlegung abstrakter Eckwerte zur Einschätzung der Bedrohungslage prüfen. Ziel ist es, die Voraussetzungen zu schaffen, um die notwendigen Daten sammeln zu können und die benötigten Überwachungssysteme zu institutionalisieren und digitalisieren, was die Grundlage bildet für die fallweise Erarbeitung von spezifischen Indikatoren. Deshalb sollen bei der Revision auch die gesetzlichen Grundlagen für die Überwachungssysteme untersucht und gegebenenfalls ergänzt werden, damit etwa bei 7 / 10

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Bedarf weitere Daten erfasst werden können. Hingegen erachtet der Bundesrat die Erstellung einer generischen Indikatorenliste als nicht zielführend, da er der Auffassung ist, dass sich die Indikatoren am potentiellen Erreger und an den verschiedenen Phasen einer künftigen Pandemie orientieren sollten.

Empfehlung 4: Kriterien für den Übergang zur besonderen Lage beziehungsweise für deren Aufrechterhaltung Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, ob die Kriterien von Artikel 6 Absatz 1 EpG für den Übergang zur besonderen Lage bzw. für deren Aufrechterhaltung präzisiert werden sollten, und ­ falls ja auf welcher Normstufe.

Der Bundesrat teilt die Meinung der GPK-N, dass sich der Entscheid betreffend den Übergang in die besondere Lage beziehungsweise deren Aufrechterhaltung auf die konkrete Gefährdung der öffentlichen Gesundheit in der Schweiz abstützen soll. Diesbezüglich weist er darauf hin, dass nach geltendem Recht in der Schweiz nicht zwingend automatisch eine besondere Lage vorliegt, wenn die WHO eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite feststellt. Vielmehr bedarf es immer einer Beurteilung der Gefährdungssituation in der Schweiz. Beispielsweise rief die WHO bezüglich des Zika-Virus eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite aus; da dieses Virus aber zu keiner Gefährdung der öffentlichen Gesundheit in der Schweiz führte, waren Massnahmen im Rahmen einer besonderen Lage nicht erforderlich.

Die Teilrevision des EpG, die gegenwärtig in Arbeit ist, bietet dem Bundesrat die Gelegenheit zu prüfen, ob und wie die Kriterien von Artikel 6 Absatz 1 EpG für den Übergang zur besonderen Lage beziehungsweise für deren Aufrechterhaltung präzisiert werden sollten.

Der Bundesrat nimmt daher diese Empfehlung an und wird sich in der entsprechenden Botschaft an das Parlament im Laufe des Jahres 2024 inhaltlich dazu äussern.

Fazit Generell begrüsst der Bundesrat die Schlussfolgerung der GPK-N, dass das EDI, das BAG und das BJ auf der Grundlage des damaligen Wissensstands und angesichts der pandemiebedingten Ausnahmesituation die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Kriterien angemessen geprüft haben. Der Bundesrat begrüsst auch die insgesamt positive Bilanz, die die GPK-N bezüglich der Zusammenarbeit von BAG und BJ in Fall der Ausweitung des Covid-19-Zertifikats gezogen hat.
Der Bundesrat teilt die Auffassung der GPK-N, wonach aus dem Beispiel der Ausweitung der Covid-Zertifikate bezüglich der Wahrung der Grundrechte Lehren für zukünftige Krisen gezogen werden sollten.

Der Bundesrat ist bereit, der Empfehlung 1 der GPK-N Folge zu geben und damit zu prüfen, wie die Möglichkeiten des BJ zur Wahrnehmung der präventiven Rechtskontrolle speziell in Krisenfällen verstärkt werden können.

Der Bundesrat nimmt zudem die Empfehlungen 2 und 4 der GPK-N an und wird diese in die bereits laufenden Arbeiten aufnehmen, insbesondere im Rahmen der Revision 8 / 10

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des EpG. In dieser Revision wird namentlich geprüft, inwiefern der gesetzliche Rahmen betreffend die Anordnung von Massnahmen im Pandemiefall auf Stufe Gesetz präzisiert werden sollte. Ebenso ist die Präzisierung der Kriterien von Artikel 6 Absatz 1 EpG für den Übergang in die besondere Lage beziehungsweise für deren Aufrechterhaltung konkret zu prüfen, einschliesslich die Frage der adäquaten Normstufe.

Der Bundesrat nimmt schliesslich auch die Empfehlung 3 an und zieht bei den in der Pandemie angewandten Indikatoren eine positive Bilanz. Er betont zudem die Wichtigkeit der eingesetzten Überwachungssysteme, die die notwendige Datengrundlage lieferten. Im Rahmen der Revision des EpG wird der Bundesrat die Festlegung abstrakter Eckwerte zur Einschätzung einer Bedrohungslage prüfen und die gesetzlichen Grundlagen für die notwendigen Überwachungssysteme bei Bedarf ergänzen. Er befürwortet im Fall einer erneuten Pandemie zudem die frühzeitige Veröffentlichung einer differenzierten Indikatorenliste. Hingegen beurteilt er die Definierung einer generischen, für alle künftigen Gefährdungslagen anwendbaren Indikatorenliste als nicht zielführend.

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