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zu 19.456 Parlamentarische Initiative Leistungen zur Prävention sind im heutigen Umfeld eine wichtige Aufgabe von Wohlfahrtsfonds mit Ermessensleistungen Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 31. August 2023 Stellungnahme des Bundesrates vom 1. November 2023

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 31. August 20231 betreffend die parlamentarische Initiative «Leistungen zur Prävention sind im heutigen Umfeld eine wichtige Aufgabe von Wohlfahrtsfonds mit Ermessensleistungen» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

1. November 2023

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 26. Juni 2019 reichte Nationalrätin Daniela Schneeberger die parlamentarische Initiative 19.456 «Leistungen zur Prävention sind im heutigen Umfeld eine wichtige Aufgabe von Wohlfahrtsfonds mit Ermessensleistungen» ein. Die Initiative verlangt, Artikel 89a Absatz 8 des Zivilgesetzbuchs (ZGB)2 in mehreren Punkten unter besonderer Berücksichtigung des Zwecks und der Bedeutung von patronalen Wohlfahrtsfonds mit Ermessensleistungen (nachstehend: patronale Wohlfahrtsfonds) in der Gesellschaft und der beruflichen Vorsorge zu ergänzen. Es soll sichergestellt werden, «dass Wohlfahrtsfonds im Rahmen ihrer Zwecksetzung auch Leistungen zur Prävention bei Krankheit, Unfall und Arbeitslosigkeit (und nicht nur in Notlagen einzelner Destinatäre), beziehungsweise bei Alter, Tod und Invalidität ausrichten können».

Unter Präventionsmassnahmen versteht die parlamentarische Initiative soziale Massnahmen, die der konkreten Zweckbestimmung der patronalen Wohlfahrtsfonds (Alter, Tod, Invalidität, Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit) entsprechen und zugunsten der Destinatäre ergriffen werden.3 Die Stiftungsräte von patronalen Wohlfahrtsfonds sind laut Initiative darauf angewiesen, dass sie im heutigen gesellschaftlichen Umfeld auch präventiv und ohne bürokratische Hindernisse ihre sozialpolitischen Aufgaben für die Belegschaft, die Rentnerinnen und Rentner sowie Hinterbliebenen wahrnehmen können.

Die soziale Rolle der patronalen Wohlfahrtsfonds ist allgemein anerkannt. Die parlamentarische Initiative weist darauf hin, dass die Leistungen von Wohlfahrtsfonds zur Prävention von Not- oder Härtefällen beziehungsweise zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit immer wieder zu Diskussionen mit den Aufsichtsbehörden führen. Deshalb verlangt die Initiative vom Gesetzgeber, dahingehend zu handeln, dass auch die Leistungen der patronalen Wohlfahrtsfonds, die nicht im Rahmen der Altersvorsorge oder im Falle von Tod und Invalidität ausgerichtet werden, explizit im Zivilgesetzbuch verankert werden.

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) hat die parlamentarische Initiative am 14. Januar 2021 vorgeprüft und mit 15 zu 4 Stimmen bei 4 Enthaltungen beschlossen, ihr Folge zu geben. Die Schwesterkommission des Ständerates (SGK-S) stimmte diesem Beschluss an ihrer Sitzung vom 10. November 2021 ohne
Gegenstimme zu.

Am 19. Mai 2022 diskutierte die SGK-N über das weitere Vorgehen. Nach Anhörung von Patronfonds, dem Dachverband der patronalen Wohlfahrtsfonds mit Ermessensleistungen, sowie der Konferenz der kantonalen BVG- und Stiftungsaufsichtsbehörden legte die SGK-N die Leitlinien zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative fest. Gestützt auf Artikel 112 Absatz 1 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember

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SR 210 Vgl. Ziff. 1­4 der parlamentarischen Initiative und Ziff. 3 des Vorschlags zur Umsetzung der Beispiele (Präzisierung der Definition der Zweckbestimmung).

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2002 (ParlG)4 zog die SGK-N Sachverständige des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) und der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) bei und beauftragte sie, eine Ergänzung zu Artikel 89a Absatz 8 ZGB auszuarbeiten. Im Laufe der Diskussionen erweiterte die Kommission den Auftrag der Verwaltung dahingehend, auch die finanziellen und damit steuerlichen Auswirkungen der Vorlage aufzuzeigen.

Am 11. November 2022 prüfte die Kommission den Vorentwurf der Verwaltung und nahm einige Änderungen vor, u. a. ergänzte sie den Gesetzestext um die Begriffe «Arbeitslosigkeit» sowie «Aus- und Weiterbildung».

Am 3. Februar 2023 verabschiedete die SGK-N den Vorentwurf und schickte ihn in die Vernehmlassung.

Am 31. August 2023 nahm die SGK-N die Vernehmlassungsergebnisse zur Kenntnis.

Mit Blick auf die Ergebnisse beschloss die SGK-N, die Vorlage um eine Übergangsbestimmung zu ergänzen, die festhält, dass die Aufsichtsbehörde auf Antrag des obersten Organs den Zweck eines patronalen Wohlfahrtsfonds ändern kann. Ausserdem präzisierte sie im Kommentar zur Bestimmung, dass die Fonds das vor Inkrafttreten der vorliegenden Änderung bereits vorhandene Vermögen für die Ausrichtung der neuen Leistungen verwenden dürfen. Die SGK-N hiess die Vorlage ohne Gegenstimme gut und beschloss, sie dem Bundesrat zur Stellungnahme vorzulegen.

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Allgemeine Würdigung

Der Bundesrat anerkennt, dass patronale Wohlfahrtsfonds eine wichtige gesellschaftliche Funktion haben. Sie sind Teil des in der Bundesverfassung (BV)5 verankerten Dreisäulensystems. Laut Bundesverfassung zielt die berufliche Vorsorge einzig auf die Absicherung der Risiken Alter, Tod oder Invalidität ab (Art. 111 Abs. 1 BV und Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 19826 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVG]). Zusammen mit der Alters, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung soll die berufliche Vorsorge die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise ermöglichen (Art. 113 Abs. 2 Bst. a BV).

Als Einrichtungen der beruflichen Vorsorge erbringen patronale Wohlfahrtsfonds heute ihrem Hauptziel und -zweck zufolge Leistungen zur Absicherung der drei Risiken Alter, Tod und Invalidität. Neben den Leistungen, die strikt an die berufliche Vorsorge gebunden sind und die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Tod und Invalidität abmildern, können patronale Wohlfahrtsfonds in der Praxis bereits finanzielle Unterstützung leisten bei Krankheit, Unfall oder Arbeitslosigkeit. Diese Leistungen sind allerdings nur zulässig, wenn sie auf die Unterstützung in einer Notlage zielen. Die von patronalen Wohlfahrtsfonds ausgerichteten Leistungen sind zudem keine reglementarischen Leistungen, sondern lediglich Ermessensleistungen, die im Einzelfall 4 5 6

SR 171.10 SR 101 SR 831.40

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gestützt auf einen vom Stiftungsrat zu fällenden Ermessensentscheid gewährt werden.

Sie müssen daher von der Fondsleitung unter Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung potenziell begünstigter Personen, des Willkürverbots, der Verhältnismässigkeit und der Angemessenheit sowie nach dem Grundsatz von Treu und Glauben frei gewährt werden.

Den Vorschlag der SGK-N, Artikel 89a Absatz 8 ZGB mit einer neuen Ziffer 4 zu ergänzen, die präzisiert, welche Leistungen patronale Wohlfahrtsfonds mit Ermessensleistungen ausrichten können, lehnt der Bundesrat nicht gänzlich ab.

Wie die meisten Kantone steht aber auch der Bundesrat der vorgeschlagenen Gesetzesänderung kritisch gegenüber. Nach Ansicht dieser Kantone stellt die vorgesehene Ausweitung der Zwecke eine substanzielle Neufestlegung der Ziele von patronalen Wohlfahrtsfonds dar, die über den herkömmlichen Vorsorgebegriff hinausgeht.

Präventionsleistungen können und dürfen nicht der einzige Zweck der patronalen Wohlfahrtsfonds sein, denn sie müssen weiterhin auch die Risiken Alter, Tod und Invalidität abdecken. Bei den von den patronalen Wohlfahrtsfonds ausbezahlten Leistungen muss es sich in jedem Fall um Ermessensleistungen handeln.

Vor diesem Hintergrund stellt der Bundesrat fest, dass die Vorlage die zulässigen Zwecke von patronalen Wohlfahrtsfonds grundlegend erweitert und neu auslegt.

Diese Ausweitung der Zwecksetzung erachtet der Bundesrat als problematisch, wie in Ziffer 2.2 eingehender dargelegt wird. Da sich die zulässige Zwecksetzung vom engen Begriff der Vorsorge sowie der ­ in der aktuellen Praxis akzeptierten ­ Unterstützung in Notlagen löst und zudem teilweise sehr offene Begriffe verwendet, entsteht nach Ansicht des Bundesrats bei den Behörden ein grosser Ermessensspielraum, was die Rechtssicherheit nicht verbessert.

Erschwerend könnte mit der vorgesehen Zweckerweiterung hinzukommen, dass Leistungen erlaubt wären, die unter das Arbeitsrecht fallen könnten. Auch wenn die gesetzlichen arbeitsrechtlichen Verpflichtungen des Arbeitgebers unangetastet bleiben, ist es aus Sicht des Bundesrats jedoch nicht zulässig, dass ein patronaler Wohlfahrtsfonds Leistungen übernimmt, die der Arbeitgeber erbringen muss. Dies würde einem indirekten Rückfluss der Mittel an den Arbeitgeber gleichkommen. Auch diesbezüglich würden sich in der Praxis entsprechende Abgrenzungsfragen stellen, die nach Ansicht des Bundesrates zu einer erhöhten Rechtsunsicherheit führen würden.

2.2

Würdigung der Kommissionsvorlage

Art. 89a Abs. 8 Ziff. 4 erster Strich E-ZGB Die Vorlage sieht vor, dass patronale Wohlfahrtsfonds zur Finanzierung anderer Personalfürsorgeeinrichtungen beitragen können. Derzeit anerkennen sowohl die Aufsichts- als auch die Steuerbehörden, dass patronale Wohlfahrtsfonds an eine Vorsorgeeinrichtung Leistungen erbringen können, etwa als Sanierungsmassnahmen oder als Ausgleichsmassnahmen bei einer Senkung des Umwandlungssatzes usw. Diese Leistungen stehen im Zusammenhang mit den Risiken Alter, Tod und Invalidität und die-

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nen demnach dem Vorsorgezweck. Laut Vernehmlassungsbericht unterstützt eine Mehrheit der Teilnehmenden diese Änderung, da sie die bestehende Praxis kodifiziert.

Daher kann der Bundesrat diesen Aspekt der Vorlage zur Änderung des ZGB unterstützen.

Art. 89a Abs. 8 Ziff. 4 zweiter Strich E-ZGB Die Kommissionsvorlage sieht zudem vor, dass patronale Wohlfahrtsfonds Leistungen in Notlagen, bei Krankheit, Unfall, Invalidität oder Arbeitslosigkeit sowie Massnahmen der Aus- und Weiterbildung und zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie zur Gesundheitsförderung und Prävention ausrichten können; in diesen Fällen sind auch die Artikel 80, 81 Absatz 1 und 83 BVG anwendbar.

Leistungen in Notlagen Nach geltender Praxis sind die Leistungen der patronalen Wohlfahrtsfonds insbesondere auf die berufliche Vorsorge im engen Sinne (Alter, Tod, Invalidität) zu beschränken. Leistungen bei Unfall, Krankheit und Arbeitslosigkeit kommen nur bei einer bereits eingetretenen oder drohenden Notlage zum Tragen. Dieser Umstand hat in der Praxis Diskussionen und Rechtsunsicherheiten ausgelöst, insbesondere, was das Kriterium der Notlage anbelangt. Laut Vernehmlassungsbericht vom 31. August 2023 heisst die Mehrheit der Teilnehmenden diesen Aspekt der Vorlage gut. Angesichts dessen erachtet es der Bundesrat als angezeigt, diese Komponente ins Gesetz aufzunehmen, da sie die rechtliche Klärung der bestehenden Praxis ermöglicht.

Leistungen bei Krankheit, Unfall und Invalidität Die Vorlage sieht die Möglichkeit von Leistungszahlungen bei Krankheit, Unfall und Invalidität vor. In diesem Rahmen sollen Leistungen ausgerichtet werden können, die durch keine andere Sozialversicherung abgedeckt sind und die nicht auf eine wirtschaftliche Notlage zurückgehen. Diesbezüglich stellt der Bundesrat fest, dass eine solche Aufgabe bei Krankheit und Unfall nicht unter die berufliche Vorsorge im engen Sinne fällt. Damit patronale Wohlfahrtsfonds ihre soziale Rolle dennoch wahrnehmen können, spricht sich der Bundesrat trotz allem für den Vorschlag aus. Dies gilt aus seiner Sicht auch für die Kosten eines Case Managements. Der Bundesrat weist jedoch darauf hin, dass es sich für einen patronalen Wohlfahrtsfonds als schwierig erweisen kann, solche Ermessensleistungen zu erbringen und dabei den Grundsatz der Gleichbehandlung einzuhalten.

Leistungen bei
Arbeitslosigkeit Die Vorlage sieht die Möglichkeit vor, bei Arbeitslosigkeit Leistungen auszurichten, die nicht an eine wirtschaftliche Notlage gebunden sind. Diese Aufgabe fällt nicht in den Bereich der beruflichen Vorsorge im engen Sinne. Allerdings sehen einige patronale Wohlfahrtsfonds in ihrem Gründungsakt Leistungen bei Arbeitslosigkeit vor. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass dieser Aspekt der Vorlage unterstützt werden kann.

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Leistungen für Massnahmen der Aus- und Weiterbildung Aus Artikel 327a Absatz 1 Obligationenrecht7 geht hervor, dass der Arbeitgeber Arbeitnehmenden die Kosten für eine berufsbegleitende Aus- und Weiterbildung zu ersetzen hat, wenn er die Massnahmen anordnet. Diese Pflicht ist Teil der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Ob der Arbeitgeber die Kosten übernehmen muss, hängt von der Art der Ausbildung ab. Steht die Ausbildung im Zusammenhang mit der Ausführung der Arbeit und wird sie vom Arbeitgeber verlangt, muss der Arbeitgeber die daraus entstehenden Auslagen ersetzen. Die Kosten für eine Ausbildung, die keinen direkten Bezug zur Ausführung der Arbeit hat, der arbeitnehmenden Person jedoch einen dauerhaften Vorteil auf dem Arbeitsmarkt verschafft, trägt die Person hingegen selber. Ganz oder teilweise kann der Arbeitgeber schliesslich die Kosten für eine Ausbildung übernehmen, die keinen direkten Bezug zur Arbeit hat, aber die beruflichen Fähigkeiten der arbeitnehmenden Person verbessern soll.

Diesen Zusatz in die Rechtsgrundlage aufzunehmen, stellt für den Bundesrat somit eine erhebliche Erweiterung des Leistungskatalogs dar. Er ist der Ansicht, dass die Kosten für Aus- und Weiterbildungsmassnahmen auch künftig vom Arbeitgeber und nicht von patronalen Wohlfahrtsfonds übernommen werden sollen, da mit der Finanzierung solcher Massnahmen durch patronale Wohlfahrtsfonds ein unzulässiger Rückfluss von Mitteln an den Arbeitgeber entstehen würde. In Bezug auf Aus- und Weiterbildungsmassnahmen, die in keinem Zusammenhang mit der beruflichen Vorsorge stehen, ist der Bundesrat der Ansicht, dass eine solche Gesetzesergänzung den Leistungskatalog erheblich und unzweckmässig erweitert.

Leistungen für Massnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf Der Bundesrat äussert Vorbehalte gegenüber diesen Massnahmen. Er stellt sich insbesondere die Frage, welche konkreten Massnahmen die Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausserhalb einer bestehenden oder drohenden Notlage verbessern können. Solche Massnahmen sind schwer abzugrenzen und gehen weit über die berufliche Vorsorge hinaus.

Dass ein patronaler Wohlfahrtsfonds, wenn keine bestehende oder drohende Notlage vorliegt, eine Kinderkrippe betreibt oder Beiträge für die Drittbetreuung von Kindern leistet, ist für den Bundesrat nicht zulässig. Als
Beispiel führt der erläuternde Bericht Leistungen auf, die einem Elternteil im Falle einer finanziellen Notlage für die familienergänzende Kinderbetreuung ausbezahlt werden. Eine solche Leistung könnte in der Tat in Frage kommen, wenn sich die Eltern des Kindes in einer konkreten wirtschaftlichen Notlage befinden.

Leistungen für die Betreuung oder den Schulbesuch eines Kindes sowie Leistungen bei Elternurlaub nach der Geburt oder Adoption eines Kindes gehen eher in Richtung der bereits teilweise über das Familienzulagengesetz vom 24. März 20068 abgedeckten Familienzulagen, beziehungsweise der Entschädigungen im Sinne des Erwerbsersatzgesetzes. Damit käme es einmal mehr zu einer Vermischung der Bereiche, die den patronalen Wohlfahrtsfonds eine Funktion als privatwirtschaftlich finanzierte «Auffang-Sozialversicherung» verleihen würde. Der Bundesrat ist daher der Ansicht, dass 7 8

SR 220 SR 836.2

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dieser Zusatz im Gesetz zu einer unerwünschten Ausweitung des Leistungskatalogs führen würde.

Leistungen für Massnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention Laut parlamentarischer Initiative sind Stiftungsräte von patronalen Wohlfahrtsfonds darauf angewiesen, dass sie ihre sozialpolitischen Aufgaben für die Belegschaft, die Rentnerinnen und Rentner sowie die Hinterbliebenen auch präventiv und ohne bürokratische Hürden wahrnehmen können. Der Kommissionsentwurf nennt als Beispiele die Kostenübernahme für Impfkampagnen oder ein Case Management, die Finanzierung von Massnahmen zur Förderung regelmässiger körperlicher Aktivitäten sowie die Übernahme der Kosten für Massnahmen zur Verbesserung der gesunden Ernährung von Mitarbeitenden. Für den Bundesrat ist indes nicht klar, welche Art von Gesundheitskosten patronale Wohlfahrtsfonds in diesem Rahmen übernehmen könnten, ohne dass die arbeitsrechtlichen gesetzlichen Verpflichtungen des Arbeitgebers tangiert werden. Andernfalls käme dies einem Rückfluss der Mittel an den Arbeitgeber gleich. Patronale Wohlfahrtsfonds dürfen keine Leistungen beruflicher Art erbringen und keine Pflichten übernehmen, die dem Arbeitgeber obliegen. Der Kommissionsentwurf enthält lediglich eine unvollständige Aufzählung von Beispielen, weshalb es zweifelsohne schwierig sein dürfte, die Leistungen zu definieren, da der Leistungsentscheid im Ermessen der Aufsichts- und Steuerbehörden liegt, was wiederum zusätzliche Rechtsunsicherheit schaffen könnte. Auch diesbezüglich ist der Bundesrat der Ansicht, dass der Zusatz im Gesetz zu einer unerwünschten Ausweitung des Leistungskatalogs führen würde.

Schlusstitel Art. 6cbis E-ZGB 3. Personalfürsorgestiftungen Damit patronale Wohlfahrtsfonds die neuen Leistungen in ihre Stiftungsurkunde aufnehmen und ihr bereits vorhandenes Vermögen für die Leistungen nach Artikel 89a Absatz 8 Ziffer 4 E-ZGB einsetzen können, braucht es nach Ansicht des Bundesrates diese Ergänzung.

2.3

Steuerliche Auswirkungen

Mit der von der parlamentarischen Initiative gewünschten Klarstellung im Gesetzestext soll insbesondere verhindert werden, dass ein patronaler Wohlfahrtsfonds, der Nebenzwecke zur beruflichen Vorsorge im Sinne des neuen Artikels 89a Absatz 8 Ziffer 4 E-ZGB verfolgt, seine Steuerbefreiung verliert, weil er nicht mehr nur im engen definierten Bereich der beruflichen Vorsorge tätig ist.

Der Bundesrat kann nachvollziehen, dass es für die patronalen Wohlfahrtsfonds wünschenswert ist, auch bei Verfolgung der neu vorgesehenen, erweiterten Nebenzwecke die bisherige Steuerpraxis ­ insbesondere in Bezug auf die Steuerbefreiung ­ unverändert fortführen zu können. Gleichwohl ist die Vorlage aus Sicht des Bundesrates kritisch zu würdigen.

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Artikel 80 Absatz 2 BVG ­ wie auch die materiell identischen Bestimmungen der Artikel 56 Buchstabe e des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 19909 über die direkte Bundessteuer und 23 Absatz 1 Buchstabe d des Steuerharmonisierungsgesetzes vom 14. Dezember 199010 ­ verlangt für eine Steuerbefreiung, dass die Einkünfte und Vermögenswerte eines patronalen Wohlfahrtsfonds ausschliesslich der beruflichen Vorsorge dienen.

Mit der vorgeschlagenen Gesetzesänderung im ZGB erfolgt aus Sicht des Bundesrates somit im Grunde eine Ausweitung der Steuerbefreiungstatbestände, weil patronale Wohlfahrtsfonds nicht mehr nur im Bereich der beruflichen Vorsorge tätig sein müssten. Dies ist aus steuersystematischen Gründen fragwürdig. Der Bundesrat hat festgestellt, dass im Rahmen der Vernehmlassung denn auch diverse Kantone eine Steuerbefreiung mit den neu vorgesehenen, erweiterten Nebenzwecken als nicht vereinbar ansehen.

Zudem geht der Bundesrat wie in Ziffer 2.1 dargelegt davon aus, dass die vorgeschlagene Zweckerweiterung in diversen Punkten zu Rechtsunsicherheiten führen kann.

Diese Rechtsunsicherheiten betreffen auch die Steuerpraxis und damit verbunden die Frage der Steuerbefreiung eines patronalen Wohlfahrtsfonds, da eine Steuerbefreiung nur dann gerechtfertigt ist, wenn und solange der patronale Wohlfahrtsfonds im Bereich der rechtlich vorgesehen Zwecksetzung tätig ist. Ob der rechtliche Zweck im Einzelfall eingehalten ist, wird in der Praxis aufgrund der aufgezeigten Rechtsunsicherheiten nicht immer einfach zu beantworten sein. Vor diesem Hintergrund kann aus Sicht des Bundesrates nicht ausgeschlossen werden, dass bei patronalen Wohlfahrtsfonds, die im Bereich der erweiterten Zwecksetzung tätig sein werden, die Steuerbefreiung vermehrt in Frage gestellt würde, womit die von der parlamentarischen Initiative erhoffte Rechtssicherheit nicht vollumfänglich erreicht werden kann.

Auch im Hinblick auf die Besteuerung von Leistungen von patronalen Wohlfahrtsfonds sind Abgrenzungsprobleme zu erwarten. Da patronale Wohlfahrtsfonds im Bereich der beruflichen Vorsorge tätig sind, werden die Leistungen auch wie solche aus der beruflichen Vorsorge behandelt. Im Rahmen der erweiterten Zwecksetzungen könnten aber künftig Leistungen erbracht werden, die nicht mehr im Bereich der beruflichen Vorsorge liegen. Insbesondere
Leistungen, die in der Nähe von Leistungen arbeitsrechtlicher Natur liegen, könnten steuerlich u. U. als lohnähnlich qualifiziert werden. Nach Ansicht des Bundesrates kann die Vorlage somit auch im Bereich der Besteuerung der Leistungen zu neuen Rechtsunsicherheiten führen.

Ausserdem nimmt der Bundesrat davon Kenntnis, dass die finanziellen Auswirkungen der Vorlage insbesondere davon abhängen, in welchem Masse es zu Verhaltensänderungen der patronalen Wohlfahrtsfonds kommt. Hätte die geplante Gesetzesänderung einzig zur Folge, dass die patronalen Wohlfahrtsfonds vermehrt Ausschüttungen aus dem bereits bestehenden und steuerbefreiten Vermögen (bzw. den daraus erzielten Erträgen) vornehmen würden, so resultierten aufgrund der grundsätzlichen Steuerbarkeit der Leistungen leicht erhöhte Steuereinnahmen bei den Einkommenssteuern von Bund, Kantonen und Gemeinden. Würden jedoch aufgrund der Gesetzesänderung darüber hinaus in signifikantem Ausmass die Vermögen der patronalen Wohlfahrtsfonds 9 10

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durch die Arbeitgeber neu alimentiert oder neue patronale Wohlfahrtsfonds errichtet, entstünden Mindereinnahmen bei den Einkommenssteuern von Bund, Kantonen und Gemeinden. Da die Verhaltensänderungen nicht voraussehbar sind, nimmt der Bundesrat ferner zur Kenntnis, dass die steuerlichen Auswirkungen der Neuerung nicht quantifiziert werden können.

3

Schlussfolgerung

Der Bundesrat anerkennt die wichtige soziale Rolle, die patronale Wohlfahrtsfonds spielen. Die Vorlage der SGK-N erweitert den Handlungs- und Ermessensspielraum des Stiftungsrats und entspricht einem Bedürfnis der Stiftungen. Patronale Wohlfahrtsfonds können dadurch ihre soziale Rolle besser wahrnehmen. In der Vernehmlassung wurde dieser Punkt denn auch mehrheitlich befürwortet. Darüber hinaus kodifiziert die Änderung gewisse gängige Praktiken und sorgt für die nötige rechtliche Klärung, insbesondere im Zusammenhang mit der Finanzierung von Vorsorgeeinrichtungen und der Auszahlung von Leistungen in Notsituationen sowie bei Krankheit, Unfall, Invalidität oder Arbeitslosigkeit. Der Bundesrat stellt jedoch fest, dass die Vorlage der SGK-N die zulässigen Zwecke eines patronalen Wohlfahrtsfonds grundlegend erweitert und neu auslegt und dass diese Zwecke über die Definition der beruflichen Vorsorge hinausgehen. Eine solche Ausweitung der Zweckbestimmung bei patronalen Wohlfahrtsfonds könnte die Rechtsunsicherheit erhöhen, insbesondere, was die konkreten Massnahmen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf anbelangt. Dass ein patronaler Wohlfahrtsfonds ohne bestehende oder drohende Notlage eine Kinderkrippe betreibt oder Beiträge für die Drittbetreuung von Kindern leistet, ist für den Bundesrat nicht zulässig. Die Kosten für Massnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention lassen sich nach Ansicht des Bundesrates nur schwer abgrenzen. Zudem vertritt der Bundesrat den Standpunkt, dass Massnahmen, die dem Arbeitgeber obliegen, ausschliesslich von diesem zu finanzieren sind.

Bei den Aus- und Weiterbildungsmassnahmen ist es für den Bundesrat nicht zulässig, dass patronale Wohlfahrtsfonds Pflichten übernehmen, die dem Arbeitgeber obliegen, denn das käme einem indirekten Rückfluss der Mittel an den Arbeitgeber gleich.

Aus steuerrechtlicher Perspektive stellt der Bundesrat zudem fest, dass die Vorlage der SGK-N die Rechtsunsicherheit insbesondere im Bereich der Steuerbefreiung dieser patronalen Wohlfahrtsfonds erhöhen könnte.

In Anbetracht dieser Ausführungen spricht sich der Bundesrat nur teilweise für die Vorlage der SGK-N aus. Seine Zustimmung gilt einzig folgenden Punkten: der Finanzierung von Vorsorgeeinrichtungen, der Zahlung von Leistungen in Notlagen, der Zahlung von Leistungen bei Krankheit,
Unfall und Invalidität oder bei Arbeitslosigkeit, einschliesslich der Ergänzung von Artikel 89a Absatz 8 Ziffer 4 E-ZGB der Übergangsbestimmung (Schlusstitel Art. 6cbis Ziff. 3 E-ZGB).

Hingegen dürften die Aus- und Weiterbildungsmassnahmen, die Massnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Massnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention, wie sie in der Vorlage der SGK-N vorgesehen sind, aus Sicht des Bundesrates in der Praxis zahlreiche inhaltliche Fragen aufwerfen und zu Rechtsunsicherheiten führen. Deshalb empfiehlt er, auf diese Massnahmen zu verzichten.

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Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt, auf die Vorlage einzutreten.

Des Weiteren unterbreitet er folgenden Vorschlag im Hinblick auf die Änderung von Artikel 89a Absatz 8 Ziffer 4 E-ZGB: Art. 89a Abs. 8 Ziff. 4 Für Personalfürsorgestiftungen nach Absatz 7 gelten zudem die folgenden Bestimmungen: 8

4.

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Sie können: ­ zur Finanzierung anderer Personalfürsorgeeinrichtungen beitragen, ­ Leistungen in Notlagen, bei Krankheit, Unfall, Invalidität oder Arbeitslosigkeit ausrichten; in diesen Fällen sind auch die Artikel 80, 81 Absatz 1 und 83 BVG anwendbar.