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23.080 Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung eines Zusatzabkommens zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Frankreich vom 22. November 2023

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses1 über die Genehmigung und die Umsetzung eines Zusatzabkommens zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Frankreich2.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

22. November 2023

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Die Telearbeit hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Diese Entwicklung hat sich aufgrund der Covid-19-Pandemie beschleunigt. Dies hat auch Auswirkungen auf die Besteuerung, insbesondere in einem grenzüberschreitenden Kontext. Doppelbesteuerungsabkommen sehen in der Regel vor, dass Einkünfte aus unselbständiger Erwerbstätigkeit in dem Staat besteuert werden, in dem die Erwerbstätigkeit physisch ausgeübt wird. Mit der Verbreitung der Telearbeit verlagert sich das Besteuerungsrecht vom Staat, in dem der Arbeitgeber ansässig ist, in den Staat, in dem die Arbeitnehmenden ihren Wohnsitz haben. Für die Schweiz als Nettoimporteurin von Arbeitskräften kann diese Entwicklung zu Ausfällen bei der Besteuerung von Einkommen von natürlichen Personen führen.

In der zweiten Jahreshälfte 2022 fanden Verhandlungen zwischen der Schweiz und Frankreich statt, insbesondere mit dem Ziel, sich auf eine neue Lösung für die Besteuerung des Einkommens für Erwerbstätigkeit in Form von Telearbeit zu einigen. Die mit Frankreich ausgehandelte neue Lösung für die Besteuerung des Einkommens für Erwerbstätigkeit in Form von Telearbeit bietet Arbeitgebern und Arbeitnehmenden in der ganzen Schweiz die Möglichkeit, grenzüberschreitende Telearbeit bis zu 40 Prozent der Arbeitszeit pro Kalenderjahr zu vereinbaren, einschliesslich 10 Tagen für Geschäftsreisen im Ansässigkeitsstaat der Arbeitnehmenden oder in einem Drittstaat.

Die ausgehandelte Lösung weist das Besteuerungsrecht betreffend den auf Telearbeit im Ansässigkeitsstaat der Arbeitnehmenden entfallenden Anteil der Vergütungen dem Staat des Arbeitgebers zu. Weiter sieht die neue Lösung eine Ausgleichszahlung des Staats des Arbeitgebers an den Ansässigkeitsstaat der Arbeitnehmenden in der Höhe von 40 Prozent der Steuern vor, die auf die Vergütungen für die im Ansässigkeitsstaat ausgeübte Telearbeit geschuldet werden. Um die Anwendung der neuen Regeln zu gewährleisten, ist ein automatischer Informationsaustausch über Lohndaten vorgesehen.

Darüber hinaus wurde die Gelegenheit der Aushandlung dieses Zusatzabkommens genutzt, um andere Bestimmungen im Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Frankreich zu aktualisieren. So bringt das Zusatzabkommen insbesondere das Abkommen in Einklang mit den Ergebnissen der Arbeiten der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur Bekämpfung der Erosion der Steuerbasis und der Gewinnverlagerung.

Das Zusatzabkommen zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Frankreich ist am 27. Juni 2023 in Paris unterzeichnet worden. Die Kantone und interessierten Kreise haben das Änderungsprotokoll begrüsst.

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage, Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen

Das Abkommen vom 9. September 19663 zwischen der Schweiz und Frankreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Vermeidung von Steuerbetrug und Steuerflucht (DBAFR) wurde durch die Zusatzabkommen vom 3. Dezember 19694, vom 22. Juli 19975 und vom 27. August 20096 abgeändert. Mit der Vereinbarung vom 25. Juni 20147 wurde zudem das Zusatzprotokoll zum DBA-FR auf dem Gebiet der Amtshilfe revidiert, um dieses vollständig mit dem diesbezüglichen internationalen Standard in Einklang zu bringen.

Die Telearbeit hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Diese Entwicklung hat sich aufgrund der Covid-19-Pandemie beschleunigt und dürfte weiter voranschreiten. Dies hat auch Auswirkungen auf die Besteuerung, insbesondere in einem grenzüberschreitenden Kontext. Doppelbesteuerungsabkommen sehen in der Regel vor, dass Einkünfte aus unselbständiger Erwerbstätigkeit in dem Staat besteuert werden, in dem die Erwerbstätigkeit physisch ausgeübt wird. Mit der Verbreitung der Telearbeit verlagert sich das Besteuerungsrecht vom Staat, in dem der Arbeitgeber ansässig ist, in den Staat, in dem die Arbeitnehmenden ihren Wohnsitz haben. Für die Schweiz als Nettoimporteurin von Arbeitskräften kann diese Entwicklung zu Ausfällen bei der Besteuerung von Einkommen von natürlichen Personen führen.

Ende 2022 bot die Schweiz fast 380 000 Grenzgängerstellen für Personen an, die in einem anderen Land wohnten. Mehr als die Hälfte dieser Personen war in Frankreich ansässig (214 000 bzw. 56 Prozent der Gesamtzahl).8 Mehr als 100 000 dieser Personen arbeiteten im Kanton Genf, die übrigen verteilten sich vor allem entlang des Jurabogens. Angesichts der derzeit zwischen der Schweiz und Frankreich geltenden Besteuerungssysteme (siehe nächster Absatz) würden die Steuerausfälle aufgrund der Verlagerung des Besteuerungsrechts auf den Ansässigkeitsstaat der Angestellten, die Telearbeit leisten, vor allem den Kanton Genf treffen. Bei einer Telearbeit von 20 Prozent (durchschnittlich ein Tag pro Woche bei einer Vollzeitstelle) wurden die Steuerausfälle inklusive der direkten Bundessteuer auf rund 50 Millionen Franken pro Jahr für den Kanton Genf geschätzt.

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SR 0.672.934.91 BBl 1969 II 1474 AS 2000 1935; BBl 1997 IV 1141 AS 2010 5681; BBl 2009 1631; 2010 1541 AS 2016 1195, 1193; BBl 2011 3749 www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Arbeit und Erwerb > Erwerbstätigkeit und Arbeitszeit > Erwerbsbevölkerung, Erwerbsbeteiligung > Grenzgängerinnen und Grenzgänger.

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Zwischen Frankreich und der Schweiz gibt es zwei Systeme für die Besteuerung von unselbstständigem Erwerbseinkommen: die ordentliche Regelung und die Grenzgängerregelung. Bei der ordentlichen Regelung, die im DBA-FR vorgesehen ist, werden die Vergütungen in dem Vertragsstaat besteuert, in dem die Arbeit physisch verrichtet wird. Nach der Grenzgängerregelung des Abkommens vom 11. April 19839 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik über die Besteuerung der Erwerbseinkünfte von Grenzgängern (Abkommen von 1983), das zwischen den Kantonen BE, BL, BS, JU, NE, SO, VD sowie VS und Frankreich zur Anwendung kommt, sind die Vergütungen nur im Ansässigkeitsstaat der Grenzgängerinnen und Grenzgänger steuerbar. Dieser zahlt dafür einen Ausgleich von 4,5 Prozent der Bruttolohnsumme an den anderen Staat. Im Übrigen leistet der Kanton Genf gemäss dem Abkommen vom 29. Januar 197310 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik über den finanziellen Ausgleich bezüglich der in Genf arbeitenden Grenzgängerinnen und Grenzgänger (Abkommen von 1973) den Departementen Ain und Haute-Savoie jährlich eine Ausgleichzahlung in der Höhe von 3,5 Prozent der Bruttolohnsumme, die Genfer Arbeitgeber an Einwohnerinnen und Einwohner dieser beiden Departemente, die in Genf arbeiten, zahlen.

Frankreich hat 2019 eine Quellensteuer auf Erwerbseinkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit eingeführt. Diese ist auch von ausländischen Arbeitgebern geschuldet, wenn Frankreich gemäss anwendbarem Doppelbesteuerungsabkommen ein Besteuerungsrecht betreffend das Erwerbseinkommen hat. Nach französischem Recht sind Arbeitgeber von Grenzgängerinnen und Grenzgängern im Sinne des Abkommens von 1983 dieser Erhebung jedoch nicht unterstellt. Andere Schweizer Arbeitgeber sind davon insbesondere dann betroffen, wenn in Frankreich wohnhafte Mitarbeitende ihre Tätigkeit in Form von Telearbeit erledigen. Würde jedoch ein Schweizer Arbeitgeber die französische Quellensteuer auf den Lohn von in Frankreich ansässigen Arbeitnehmenden erheben, so würde dies in der Schweiz gegen Artikel 271 des Strafgesetzbuches11 verstossen.

Am 13. Mai 2020 schloss die zuständige Schweizer Behörde mit der zuständigen französischen Behörde eine Verständigungsvereinbarung Covid-19. Im Wesentlichen
sah diese Vereinbarung vor, dass Telearbeit für Besteuerungszwecke nicht berücksichtigt und das Besteuerungsrecht nicht geändert wird. Die Vereinbarung wurde zwischen 2020 und 2022 mehrmals verlängert, zunächst auf der Grundlage der sanitären Beschränkungen, dann bis zum 31. Oktober 2022 beziehungsweise 31. Dezember 2022

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www.estv.admin.ch > Internationales Steuerrecht > Staatenbezogene Steuerinformationen > Frankreich > III. Verständigungsvereinbarungen von allgemeiner Tragweite > 1. Grenzgänger > Vereinbarung zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik über die Besteuerung der Erwerbseinkünfte von Grenzgängern.

www.estv.admin.ch > Internationales Steuerrecht > Staatenbezogene Steuerinformationen > Frankreich > IV. Vereinbarungen der Kantone > 1. Grenzgänger > Accord entre le Conseil fédéra1 suisse et le Gouvernement de la Répub1ique française sur la compensation financière relative aux frontaliers travaillant à Genève und https://silgeneve.ch/legis > Accords et Concordats > Traités internationaux et accords transfrontaliers > Accord entre le Conseil fédéral suisse et le Gouvernement de la République française sur la compensation financière relative aux frontaliers travaillant à Genève.

SR 311.0

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auf der Grundlage der gemeinsamen Erklärung vom 29. Juni 202212, in der die Schweiz und Frankreich vereinbarten, eine neue, dauerhafte Lösung für die Besteuerung von Telearbeit auszuhandeln und Telearbeit während der Verhandlungsphase zuzulassen. Während des Zeitraums, in dem diese Verständigungsvereinbarungen galten, konnte die Frage eines Normenkonflikts zwischen der extraterritorialen Wirkung der französischen Quellensteuer und Artikel 271 des Strafgesetzbuchs vermieden werden, da das Besteuerungsrecht auch bei Telearbeit im Staat des Arbeitgebers verblieb.

Im zweiten Halbjahr 2022 fanden Verhandlungen zwischen der Schweiz und Frankreich statt. Vertreterinnen und Vertreter des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten und der Kantone GE, NE und VD waren eng in die Verhandlungen eingebunden und gehörten der Schweizer Delegation unter der Führung des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen an; der Kanton VD übernahm die Koordination mit den anderen direkt vom Abkommen von 1983 betroffenen Kantonen. Am 22. Dezember 2022 ist ein Entwurf eines Zusatzabkommens zum DBAFR (Zusatzabkommen) paraphiert worden.

Parallel zur Paraphierung des Zusatzabkommens wurde zwischen den zuständigen Behörden zum einen eine Verständigungsvereinbarung unterzeichnet, in der der Grenzgängerbegriff im Sinne des Abkommens von 1983 geklärt wird,13 und zum anderen eine Verständigungsvereinbarung für die Übergangsperiode,14 um die Dauer der Genehmigung des Zusatzabkommens sowohl in der Schweiz als auch in Frankreich zu berücksichtigen.

Die erste Verständigungsvereinbarung hält fest, dass bei Telearbeit, die 40 Prozent der Arbeitszeit pro Kalenderjahr nicht überschreitet, weder der Grenzgängerstatus im Sinne des Abkommens von 1983 noch die Grundlage für die Zahlung des Ausgleichs von 4,5 Prozent der Bruttolohnsumme infrage gestellt wird (für das Jahr 2022 betrug die Ausgleichszahlung 380 Mio. Franken). Das bedeutet, dass die Vergütungen ausschliesslich im Ansässigkeitsstaat der Grenzgängerinnen und Grenzgänger (in der Regel Frankreich) steuerbar bleiben. Frankreich überweist daher die Ausgleichszahlung an die Schweiz auf der Grundlage der von der Schweiz gemeldeten Bruttolohnsumme.

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www.estv.admin.ch > Internationales Steuerrecht > Staatenbezogene Steuerinformationen > Frankreich > III. Verständigungsvereinbarungen von allgemeiner Tragweite > 1. Grenzgänger > Déclaration conjointe de la France et de la Suisse concernant la mise en place d'un accord provisoire applicable aux travailleurs transfrontaliers en vue d'aboutir à des règles d'imposition pérennes en matière de télétravail.

www.estv.admin.ch > Internationales Steuerrecht > Staatenbezogene Steuerinformationen > Frankreich > III. Verständigungsvereinbarungen von allgemeiner Tragweite > 1. Grenzgänger > Accord amiable conclu entre les autorités compétentes de la Suisse et de la France concernant l'exercice du télétravail dans le cadre de l'accord du 11 avril 1983 entre le Conseil fédéral suisse, agissant au nom des cantons de Berne, Soleure, Bâle-Ville, Bâle-Campagne, Vaud, Valais, Neuchâtel et Jura, et le Gouvernement de la République française, relatif à l'imposition des rémunérations des travailleurs frontaliers.

www.estv.admin.ch > Internationales Steuerrecht > Staatenbezogene Steuerinformationen > Frankreich > III. Verständigungsvereinbarungen von allgemeiner Tragweite > 1. Grenzgänger > Accord amiable conclu entre les autorités compétentes de la Suisse et de la France concernant les dispositions applicables aux revenus visés au 1 de l'article 17 de la Convention du 9 septembre 1966 entre la Suisse et la France en vue d'éliminer les doubles impositions en matière d'impôts sur le revenu et sur la fortune et de prévenir la fraude et l'évasion fiscales («la Convention»).

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Telearbeit, die in Frankreich im Umfang von bis zu 40 Prozent der Arbeitszeit pro Kalenderjahr ausgeübt wird, hat somit keine Auswirkungen auf die Zahlung des im Abkommen von 1983 vorgesehenen Ausgleichs. Personen, die mehr als 40 Prozent Telearbeit leisten, verlieren dagegen den Grenzgängerstatus und unterliegen der ordentlichen Regelung des DBA-FR. Diese Verständigungsvereinbarung ist zeitlich nicht befristet.

Die zweite Verständigungsvereinbarung, die einen Übergangscharakter aufweist, soll Telearbeit für bis zu 40 Prozent der Arbeitszeit pro Kalenderjahr zwischen dem 1. Januar 2023 und dem Datum des Inkrafttretens des Zusatzabkommens ermöglichen. Es ist demnach eng mit dem Zusatzabkommen verknüpft. Da das Zusatzabkommen vor dem 30. Juni 2023 unterzeichnet worden ist, gilt die Verständigungsvereinbarung für die Übergangsperiode bis zum 31. Dezember 2024.

Darüber hinaus haben Gespräche im Frühling 2023 zwischen den zuständigen Behörden der Schweiz und Frankreichs am 30. Juni 2023 zum Abschluss von zwei Verständigungsvereinbarungen geführt,15 die gemeinsame Regeln für die Auslegung der beiden am 22. Dezember 2022 unterzeichneten Verständigungsvereinbarungen enthalten. Diese auslegenden Verständigungsvereinbarungen regeln die steuerlichen Folgen bei Überschreitung der Grenze von 10 Tagen für temporäre Einsätze pro Jahr, die als Telearbeit gelten, und zum anderen die Beziehung zwischen der Grenze von 40 Prozent der Arbeitszeit pro Kalenderjahr und der Grenze von 10 Tagen für temporäre Einsätze. Die Verständigungsvereinbarung betreffend das Abkommen von 1983 präzisiert zudem das Zusammenspiel zwischen der Grenze von 10 Tagen und der mit Briefwechsel von 2005 vorgesehenen Toleranz von 45 Übernachtungen der Grenzgängerinnen oder Grenzgänger im Staat des Arbeitgebers oder in Drittstaaten. Diese Klarstellungen entsprechen den Wünschen, die die am Abschluss von Steuerabkommen interessierten Verbände geäussert haben, als ihnen der vorliegende Entwurf des Zusatzabkommens vorgelegt wurde (siehe Ziff. 2).

Die ausgehandelte Lösung zur Besteuerung der grenzüberschreitenden Telearbeit zwischen der Schweiz und Frankreich hat keine Auswirkungen auf den Begriff der Grenzgängerinnen und Grenzgänger im Sinne des Abkommens vom 21. Juni 199916 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinsacht und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit, der vorbehalten bleibt.

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www.estv.admin.ch > Internationales Steuerrecht > Staatenbezogene Steuerinformationen > Frankreich > III. Verständigungsvereinbarungen von allgemeiner Tragweite > 1. Grenzgänger > Verständigungsvereinbarung zwischen den zuständigen Behörden der Schweiz und Frankreichs über die Modalitäten der Regelung für die Ausübung von Telearbeit im Rahmen des Abkommens vom 9. September 1966 zwischen der Schweiz und Frankreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Vermeidung von Steuerbetrug und Steuerflucht und Verständigungsvereinbarung zwischen den zuständigen Behörden der Schweiz und Frankreichs über die Modalitäten der Regelung für die Ausübung von Telearbeit im Rahmen der Vereinbarung vom 11. April 1983 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im Namen der Kantone Bern, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Waadt, Wallis, Neuenburg und Jura, und der Regierung der Französischen Republik, über die Besteuerung der Erwerbseinkünfte von Grenzgängern.

SR 0.142.112.681

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Des Weiteren wurde die aktuelle Revision des DBA-FR dazu genutzt, das Abkommen mit den Ergebnissen der Arbeiten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS-Aktionsplan) in Einklang zu bringen.

Die Kantone und die am Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen interessierten Kreise haben das Zusatzabkommen im Rahmen der im März 2023 durchgeführten Orientierung begrüsst. Das Zusatzabkommen ist am 27. Juni 2023 in Paris unterzeichnet worden.

1.2

Würdigung

1.2.1

Besteuerung der Telearbeit

Die neue mit Frankreich vereinbarte Lösung zur Besteuerung der Telearbeit ermöglicht es Arbeitgebern und Arbeitnehmenden in der ganzen Schweiz, Telearbeit im Umfang von bis zu 40 Prozent der Arbeitszeit pro Kalenderjahr zu vereinbaren, darunter zehn Tage für Geschäfts- oder Dienstreisen im Ansässigkeitsstaat der Arbeitnehmenden oder in einem Drittland. Eine solche Lösung ist für den Wirtschaftsstandort Schweiz attraktiv und insbesondere für die Entwicklung des wirtschaftlichen Wohlstands in den französisch-schweizerischen Grenzregionen förderlich.

Die Zuweisung des Rechts auf Besteuerung der Vergütungen für die im Ansässigkeitsstaat der Arbeitnehmenden ausgeübte Erwerbstätigkeit in Form von Telearbeit an den Staat des Arbeitgebers löst in den allermeisten Fällen (d. h. innerhalb des Rahmens von 40 Prozent Telearbeit) den durch die extraterritoriale französische Quellensteuerregelung für Löhne verursachten Normenkonflikt. Innerhalb des festgelegten Umfangs vereinfacht diese Zuweisung die administrativen Abläufe für die Arbeitgeber und die Arbeitnehmenden, da sie nur ein einziges Steuerrecht anwenden müssen (Unternehmen in der Schweiz wenden nur das schweizerische Steuerrecht an).

Ein automatischer Informationsaustausch über Lohndaten soll die Anwendung der neuen Regelung sicherstellen. Er schliesst auch Grenzgängerinnen und Grenzgänger im Sinne des Abkommens von 1983 mit ein.

Obwohl nach den Bestimmungen des DBA-FR Frankreich das Recht auf Besteuerung der Einkünfte betreffend die in Frankreich geleisteten Telearbeitstage hätte, sieht die vereinbarte Lösung eine in der Schweiz verbleibende Besteuerung und einen finanziellen Ausgleich in der Höhe von 40 Prozent der auf den Vergütungen für die vom Ansässigkeitsstaat aus ausgeübte Erwerbstätigkeit in Form von Telearbeit geschuldeten Steuern. Mit anderen Worten: Die Schweiz darf 60 Prozent der Steuern behalten, die auf Vergütungen für von Frankreich aus ausgeübte Telearbeit fällig werden. Durch diese Lösung bleiben die Haushaltsinteressen der Kantone und des Bundes ­ anders als bei einem Verlust des Besteuerungsrechts mangels Abkommen über die Besteuerung der Telearbeit ­ gewahrt.

Was den Kanton Genf betrifft, wird der Zahlung des finanziellen Ausgleichs, die der Kanton bereits heute gemäss dem Abkommen vom 29. Januar 1973 an zwei französische Departemente leistet und deren Berücksichtigung er in der ausgehandelten Lösung gefordert hat, mit einer Freigrenze von 15 Prozent Rechnung getragen. Unter7 / 22

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halb dieser Freigrenze zahlt die Schweiz keinen Ausgleich für Telearbeit an Frankreich, wenn der Arbeitgeber im Kanton Genf ansässig ist. Nach den gemeinsamen Schätzungen von Bund und Kanton Genf sollte die neue Lösung keine direkten Auswirkungen auf die Genfer Kantonsfinanzen haben. Der Bund soll sich nämlich künftig am vom Kanton Genf aufgrund des Abkommens von 1973 geleisteten finanziellen Ausgleich beteiligen. Die Obergrenze dieser Beteiligung entspricht dem Betrag des neuen, auf Genf entfallenden Ausgleichs für Telearbeit. Diese Lösung ermöglicht es, eine gewisse Gleichbehandlung mit anderen Kantonen sicherzustellen, die Bundesregeln für die Besteuerung von Grenzgängerinnen und Grenzgängern kennen.

Darüber hinaus hält die Verständigungsvereinbarung zur Klärung des Grenzgängerbegriffs im Sinne des Abkommens von 1983 fest, dass bei Telearbeit, die 40 Prozent der Arbeitszeit pro Kalenderjahr nicht überschreitet, weder der Grenzgängerstatus im Sinne des Abkommens von 1983 noch die Bemessungsgrundlage für den finanziellen Ausgleich in der Höhe von 4,5 Prozent der Bruttolohnsumme infrage gestellt wird.

Die Lösung ermöglicht es somit, die Grundlage für den im Abkommen von 1983 vorgesehenen Ausgleich zu sichern, ohne das Abkommen selbst infrage zu stellen, was eine Forderung der acht von diesem Abkommen direkt betroffenen Kantone war. Die Verständigungsvereinbarung ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten.

In Bezug auf die ordentliche Regelung des DBA-FR ermöglicht die Verständigungsvereinbarung für die Übergangsperiode im Übrigen Telearbeit ab dem 1. Januar 2023 ­ das heisst ohne Unterbruch der Situation von 2022 ­ bis zur Anwendung des Zusatzabkommens.

Darüber hinaus klären die Verständigungsvereinbarungen vom 30. Juni 2023 die Auslegung der Grenze von 10 Tagen für Geschäftsreisen pro Jahr, die als Telearbeit gelten. Sie entsprechen den Wünschen, die die am Abschluss von Steuerabkommen interessierten Verbände geäussert haben, als ihnen der vorliegende Entwurf des Zusatzabkommens vorgelegt wurde (siehe Ziff. 2).

Insgesamt ist das Verhandlungsergebnis betreffend die Besteuerung der Telearbeit also ausgewogen und entspricht sowohl aus wirtschaftlicher als auch fiskalischer Sicht den Interessen der Schweiz.

1.2.2

Andere Änderungen des DBA-FR

Des Weiteren setzt das DBA-FR die Mindeststandards um, das heisst den Minimalstandard gemäss dem Bericht zur Massnahme 6 des BEPS-Aktionsplans ­ und verhindert damit die Gewährung von Abkommensvorteilen in missbräuchlichen Situationen ­ sowie den Minimalstandard gemäss dem Bericht zur Massnahme 14 des BEPS-Aktionsplans betreffend die Verbesserung der Streitbeilegungsmechanismen.

Es ermöglicht zudem die allfällige Anwendung der von der OECD und den G20-Staaten vereinbarten Mindestbesteuerung für grosse, international tätige Unternehmensgruppen.

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Vernehmlassungsverfahren

Das Zusatzabkommen untersteht dem Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 der Bundesverfassung (BV)17. Gestützt auf Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 2005 (VlG)18 besteht damit an sich die Pflicht zur Durchführung einer Vernehmlassung. Nach Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b VlG kann aber auf ein Vernehmlassungsverfahren verzichtet werden, wenn daraus keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, weil die Positionen der interessierten Kreise bekannt sind.

Zum Zusatzabkommen wurde im März 2023 eine Orientierung durchgeführt. Dabei wurde den Kantonen und den am Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen interessierten Kreisen eine Erläuterung zum Zusatzabkommen vorgelegt. Das Zusatzabkommen wurde insgesamt positiv aufgenommen und begrüsst. Die Wirtschaftskreise betonten, dass es wichtig sei, die steuerlichen Folgen einer eventuellen Überschreitung der 10 Tage für temporäre Einsätze, die als Telearbeitstage gelten (siehe Ziff. 1.1), sowie die Beziehung zwischen der Grenze von 40 Prozent der Arbeitszeit pro Kalenderjahr und der Grenze von 10 Tagen für temporäre Einsätze (siehe Ziff. 1.1) mit Frankreich zu klären. Diesen Wünschen ist durch den Abschluss der Verständigungsvereinbarungen vom 30. Juni 2023 Rechnung getragen worden. Die Positionen der interessierten Kreise sind entsprechend bekannt und belegt. Gestützt auf Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b VlG konnte deshalb auf ein Vernehmlassungsverfahren verzichtet werden.

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Erläuterungen zu einzelnen Bestimmungen des Zusatzabkommens

Die mit dem Zusatzabkommen verbundenen Änderungen am DBA-FR, die die Besteuerung der Telearbeit betreffen, sind unter Ziffer 3.1 zuerst aufgeführt. Die sonstigen Änderungen folgen unter Ziffer 3.2.

3.1

Besteuerung der Telearbeit (Art. 4 des Zusatzabkommens und neues Zusatzprotokoll)

Artikel 4 des Zusatzabkommens fügt dem Artikel 17 des DBA-FR einen neuen Absatz 5 hinzu. Dieser Absatz, der ungeachtet Artikel 17 Absatz 1, aber unter Vorbehalt von Artikel 17 Absatz 4 (d. h. des Abkommens von 1983) gilt, verweist auf den Inhalt des neuen Zusatzprotokolls, das die Regelungen für die Besteuerung der Telearbeit enthält und in Artikel 10 des Zusatzabkommens festgehalten ist (Zusatzprotokoll betreffend Telearbeit).

17 18

SR 101 SR 172.061

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Definition der Telearbeit im Sinne des Zusatzabkommens (Art. 10 des Zusatzabkommens sowie Abs. 3 des Zusatzprotokolls betreffend Telearbeit) Für die Anwendung von Artikel 17 Absatz 5 des DBA-FR bezeichnet der Ausdruck «vom Ansässigkeitsstaat aus ausgeübte Tätigkeit in Form von Telearbeit» jede Form von Arbeitsorganisation, bei der eine Arbeit, die auch in einer Arbeitsstätte des Arbeitgebers hätte ausgeübt werden können, von Arbeitnehmenden in ihrem Ansässigkeitsstaat, aus der Ferne und ausserhalb einer Arbeitsstätte des Arbeitgebers für ebendiesen Arbeitgeber gemäss den vertraglichen Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgeber mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie verrichtet wird. Nach dieser Definition kann die Telearbeit im gesamten Staatsgebiet des Ansässigkeitsstaats der Arbeitnehmenden praktiziert werden.

Diese Definition schliesst auch temporäre Einsätze, das heisst Geschäfts- oder Dienstreisen, der Arbeitnehmenden für ebendiesen Arbeitgeber im Ansässigkeitsstaat der Arbeitnehmenden oder in einem Drittstaat mit ein, sofern die Gesamtdauer dieser Einsätze nicht mehr als 10 Tage pro Jahr beträgt. Innerhalb dieses Rahmens zählen die Reisetage als Telearbeitstage im Sinne der Definition, und die damit verbundenen Vergütungen werden im Ansässigkeitsstaat des Arbeitgebers besteuert. Mit dieser Ergänzung sind gelegentlich stattfindende temporäre Einsätze von der Definition der Telearbeit abgedeckt, womit vermieden wird, dass für die Vergütungen der betroffenen Personen eine internationale Ausscheidung vorgenommen werden muss.

Ermöglichung von Telearbeit für bis zu 40 Prozent der Arbeitszeit pro Kalenderjahr und Zuweisung des Besteuerungsrechts betreffend die Vergütungen an den Ansässigkeitsstaat des Arbeitgebers (Art. 10 des Zusatzabkommens sowie Abs. 1 Bst. a) und d) des Zusatzprotokolls betreffend Telearbeit) Gemäss Zusatzabkommen zum DBA-FR gilt die Tätigkeit, die vom Ansässigkeitsstaat der Arbeitnehmenden aus für einen im anderen Vertragsstaat ansässigen Arbeitgeber in Form von Telearbeit ausgeübt wird und 40 Prozent der Arbeitszeit pro Kalenderjahr nicht übersteigt, als beim Arbeitgeber im anderen Staat verrichtet. Das heisst, dass das Zusatzabkommen den in Frankreich ansässigen Personen, die für einen Arbeitgeber in der Schweiz tätig sind, die Möglichkeit gibt,
ihre Tätigkeit bis zu 40 Prozent der Arbeitszeit pro Kalenderjahr in Form von Telearbeit auszuüben, und dass die Besteuerung des mit der Telearbeit in Frankreich verbundenen Anteils der Vergütungen in der Schweiz verbleibt. Diese Regelung gilt für die gesamte Schweiz.

Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die in den acht direkt vom Abkommen von 1983 betroffenen Kantonen arbeiten, sind von dieser Regelung jedoch ausgenommen. Für sie gilt eine identische Toleranz von 40 Prozent, sie sind aber materiell nicht durch das DBA-FR abgedeckt (siehe Ziff. 1.1). Der festgeschriebene Umfang entspricht zwei Arbeitstagen pro Woche im Durchschnitt für eine Vollzeitstelle und wird für Teilzeitstellen entsprechend proportional gekürzt. Die Regelung ist reziprok, das heisst, sie gilt nicht nur für Personen, die in Frankreich ansässig und bei einem Arbeitgeber in der Schweiz angestellt sind, sondern auch für jene, die in der Schweiz wohnhaft sind und für einen Arbeitgeber in Frankreich arbeiten. Oberhalb der Grenze von 40 Prozent der Arbeitszeit gilt die ordentliche Regelung des DBA-FR: Es muss 10 / 22

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vom ersten Telearbeitstag an eine internationale Ausscheidung der Vergütungen nach dem Staat der Erwerbstätigkeit vorgenommen werden.

Die Zuweisung des Besteuerungsrechts betreffend die Vergütungen an den Ansässigkeitsstaat des Arbeitgebers löst den Normenkonflikt, der sich aus der 2019 in Frankreich eingeführten Quellensteuer auf Löhnen ergibt, die nicht nur für Arbeitgeber in Frankreich, sondern auch jene ausserhalb Frankreichs, zum Beispiel in der Schweiz, gilt. Die Erhebung der französischen Quellensteuer steht im Widerspruch zu Artikel 271 des Schweizerischen Strafgesetzbuches. Bis Ende 2022 konnte der oben genannte Normenkonflikt durch die Verständigungsvereinbarung Covid-19 und die gemeinsame Erklärung vom 29. Juni 2022 vermieden werden, da das Besteuerungsrecht auch bei Ausübung der Tätigkeit in Form von Telearbeit im Staat des Arbeitgebers verblieb. Die neue langfristige Lösung weist dem Staat des Arbeitgebers das Recht zu, die Vergütungen zu besteuern, die den in diesem Staat gearbeiteten Tagen und den im anderen Vertragsstaat geleisteten Telearbeitstagen entsprechen. Sie ermöglicht es, den Normenkonflikt weitgehend (bis zur vorgesehenen Obergrenze von 40 Prozent Telearbeit) zu lösen. Sie vereinfacht auch die Umsetzung für die Arbeitgeber, die weiterhin nur ein einziges Steuerrecht auf alle ausbezahlten Vergütungen anwenden müssen. Die Regelung ist reziprok.

Ausgleichszahlung für die in Form von Telearbeit geleistete Erwerbstätigkeit (Art. 10 des Zusatzabkommens sowie Abs. 1 Bst. b) des Zusatzprotokolls betreffend Telearbeit) Gemäss dem DBA-FR werden Einkünfte aus einer unselbständigen Erwerbstätigkeit in dem Vertragsstaat besteuert, in dem die Arbeit physisch verrichtet wird. Da das Zusatzabkommen das Recht auf Besteuerung der gesamten Vergütungen dem Staat des Arbeitgebers (i. d. R. der Schweiz) zuweist, wurde eine Ausgleichszahlung für die entgangenen Einnahmen ausgehandelt, die in der Regel Frankreich durch die neue Besteuerungsregelung erleidet. Nach ausführlichen Diskussionen wurde die Ausgleichszahlung auf 40 Prozent der geschuldeten Steuern festgelegt, die auf die Vergütungen für die im Ansässigkeitsstaat in Form von Telearbeit ausgeübte Tätigkeit entfallen. Die Ausgleichszahlung ist am 30. Juni des Jahres fällig, das auf das Jahr folgt, in dem die Vergütungen ausbezahlt
wurden. Die Regelung ist reziprok.

Die Ausgleichszahlung gilt für sämtliche Kantone, mit einer Besonderheit für den Kanton Genf (siehe nächster Abschnitt). In den acht Kantonen, für die das Abkommen von 1983 gilt, kommt die Ausgleichszahlung jedoch nur für Personen zum Tragen, die keine Grenzgängerinnen oder Grenzgänger im Sinne des Abkommens von 1983 sind.

Die Ausgleichszahlung für die in Form von Telearbeit geleistete Tätigkeit hat keine Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Arbeitgeber und Arbeitnehmende die Telearbeit im Rahmen der Toleranzschwelle von 40 Prozent der Arbeitszeit pro Kalenderjahr organisieren. Sie wirkt sich nur zwischen den Vertragsstaaten aus.

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Nur für den Kanton Genf geltende Freigrenze von 15 Prozent und künftige Beteiligung des Bundes an der Ausgleichszahlung des Kantons Genf (Art. 10 des Zusatzabkommens sowie Abs. 1 Bst. c) des Zusatzprotokolls betreffend Telearbeit) Gemäss dem Abkommen von 1973 leistet der Kanton Genf den Departementen Ain und Haute-Savoie jährlich eine Ausgleichzahlung in der Höhe von 3,5 Prozent der Bruttolohnsumme, die Genfer Arbeitgeber an Einwohnerinnen und Einwohner dieser beiden Departemente, die in Genf arbeiten, zahlen (GFA). Da eine neue Ausgleichszahlung für die Tätigkeit in Form von Telearbeit eingeführt wird, wäre es wünschenswert gewesen, diese bei der Berechnung des GFA zu berücksichtigen, zum Beispiel in Form einer Reduktion der Bemessungsgrundlage des GFA. Frankreich war jedoch nicht gewillt, diese innenpolitisch schwierige Neuzuordnung von Steuersubstrat, weg von den zwei Departementen hin nach Paris, vorzunehmen. Frankreich zeigte sich daher unnachgiebig und argumentierte, dass es sich beim GFA um eine haushaltspolitische und nicht um eine steuerliche Zahlung handle. Im Zusatzabkommen wird die nicht zugelassene Kürzung des GFA jedoch indirekt in Form einer Freigrenze von 15 Prozent berücksichtigt, unterhalb derer die Schweiz keinen Ausgleich für Telearbeit an Frankreich zahlt, wenn sich der Arbeitgeber im Kanton Genf befindet. Da es sich um eine Freigrenze handelt, zahlt die Schweiz nur für die Telearbeitstage, die zwischen 15 und 40 Prozent der Arbeitszeit ausmachen, einen Ausgleich für Telearbeit an Frankreich.

Aktuell beteiligt sich der Bund nicht an der Zahlung des GFA, obwohl die direkte Bundessteuer auf die Löhne erhoben wird, die den in den beiden vom Abkommen von 1973 betroffenen Departementen ansässigen Personen, die in Genf arbeiten, ausbezahlt werden. Insbesondere unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Verhandlungen, das die Zahlung eines neuen Ausgleichs für in Form von Telearbeit geleistete Tätigkeit an Frankreich umfasst, forderte der Kanton Genf den Bund auf, ihn finanziell zu unterstützen und sich künftig an der Zahlung des GFA zu beteiligen. Er begründete seinen Antrag mit einer Ungleichbehandlung gegenüber den Kantonen, die von den Grenzgängerregelungen des Bundes mit Deutschland und Italien betroffen sind und in denen sich der Bund an der Aufteilung der in der Schweiz
erhobenen Quellensteuern beteiligt. In diesem Sinn ist vorgesehen, dass sich der Bund künftig in Höhe des Anteils der direkten Bundessteuer an den Einnahmen aus den Steuern, die auf den Löhnen der in Genf arbeitenden Einwohnerinnen und Einwohner der beiden französischen Departemente erhoben werden, am GFA beteiligt. Der Anteil der direkten Bundessteuer am 2023 gezahlten GFA von 352 Millionen Franken beträgt rund 50 Millionen. Angesichts der aktuellen Haushaltslage des Bundes soll die Beteiligung des Bundes am GFA allerdings auf den Betrag des neuen, auf Genf entfallenden Ausgleichs für Telearbeit begrenzt werden. Gemäss den aktuellen Schätzungen beträgt der auf Genf entfallende Ausgleich für Telearbeit für das Jahr 2022 zwischen 38 und 48 Millionen Franken, das heisst weniger als der Anteil der direkten Bundessteuer am GFA von rund 50 Millionen Franken. Mit dieser Lösung wird eine gewisse Gleichbehandlung mit anderen Kantonen, die bundesrechtliche Regelungen zur Besteuerung von Grenzgängerinnen und Grenzgängern kennen, hergestellt sowie der Forderung des Kantons Genf Rechnung getragen, nicht mehr zugunsten Frankreichs zu zahlen, als er gegenwärtig leistet.

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Die Beteiligung des Bundes am GFA im erwähnten Umfang steht in direktem Zusammenhang mit der neuen Lösung für die Besteuerung der Telearbeit, die im Zusatzabkommen festgelegt wurde. Daher wird sie im Bundesbeschluss über die Genehmigung des Zusatzabkommens festgehalten, der mit der vorliegenden Botschaft den eidgenössischen Räten unterbreitet wird und dem fakultativen Referendum unterliegt.

Da das Abkommen von 1973 insofern einseitig ist, als sich nur der Kanton Genf verpflichtet hat, Frankreich einen Ausgleich zu zahlen, und Frankreich weder an Genf noch an die Schweiz einen ähnlichen Ausgleich zahlt, ist die Regel nicht reziprok. Mit anderen Worten: Frankreich kann bei der Festlegung der an die Schweiz zu zahlenden Ausgleichszahlung für Telearbeit keinen Freibetrag geltend machen.

Automatischer Informationsaustausch über Lohndaten (Art. 6 des Zusatzabkommens, der dem DBA-FR einen neuen Art. 28ter hinzufügt, und Art. 8 des Zusatzabkommens, der dem Zusatzprotokoll zum DBA einen neuen Abs. XII hinzufügt) Gemäss der gemeinsamen Erklärung vom 29. Juni 2022 muss die Aufteilung der Steuereinnahmen aus der Telearbeit überprüfbar sein. Frankreich hat den automatischen Austausch von Lohndaten für seine in der Schweiz arbeitenden Gebietsansässigen gefordert, und zwar sowohl für Grenzgängerinnen und Grenzgänger gemäss dem Abkommen von 1983 als auch für Personen, die der ordentlichen Regelung des DBA-FR (Art. 17) unterliegen. Was das Abkommen von 1983 betrifft, so hat Frankreich seit vielen Jahren den Wunsch, die von der Schweiz gemeldete Lohnsumme mit den in Frankreich von den Grenzgängerinnen und Grenzgängern deklarierten Einkünften abzugleichen. In Bezug auf Personen, die der ordentlichen Regelung von Artikel 17 des DBA-FR unterliegen und deren Vergütungen in der Schweiz besteuert werden, möchte Frankreich sicherstellen, dass seine Gebietsansässigen tatsächlich zum Gesamtsteuersatz besteuert werden. Diese Forderungen sind aus Schweizer Sicht legitim und akzeptabel. Im Übrigen hat die Schweiz mit Italien bereits im neuen Grenzgängerabkommen vom 23. Dezember 202019, das von den eidgenössischen Räten genehmigt wurde, einen ähnlichen Austausch von Lohndaten vereinbart.

Aufgrund der unterschiedlichen bilateralen Beziehungen unterscheidet sich der mit Frankreich vereinbarte Anwendungsbereich des automatischen
Austauschs von Lohndaten von dem mit Italien: Er umfasst weder die Sozialversicherungsbeiträge noch den Gesamtbetrag der in der Schweiz einbehaltenen Quellensteuer. Ausgetauscht werden sollen folgende Informationen in individualisierter Form:

19

a)

Name(n) und Vorname(n) der Person, Geburtsdatum, Postleitzahl des Wohnorts und, sofern verfügbar, jegliche weitere Angaben, welche die Identifikation dieser Person ermöglichen (Adresse, Geburtsort, Zivilstand, Steuernummer);

b)

Kalenderjahr, in dem die Einkünfte erzielt wurden;

c)

Anzahl Telearbeitstage oder Telearbeitsquote in Prozent;

d)

Gesamtbetrag der ausbezahlten Bruttovergütungen.

SR 0.642.045.43

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Der Datenaustausch soll jedes Jahr bis zum 30. November des Jahres erfolgen, das auf das Jahr folgt, in dem die Vergütungen ausbezahlt wurden. Die Modalitäten für die Anwendung dieser Bestimmungen (z. B. zu verwendendes Dateiformat) werden in einer separaten Verständigungsvereinbarung geregelt. Für den automatischen Austausch von Lohndaten gelten die Vorschriften über die Vertraulichkeit der ausgetauschten Informationen des internationalen Standards im Bereich des Informationsaustauschs auf Anfrage. In der Schweiz ist die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) für die Übermittlung der Informationen über die in Frankreich ansässigen Personen, die für einen Arbeitgeber in der Schweiz arbeiten, zuständig. Sie ist auch Empfängerin der von der französischen Steuerbehörde übermittelten Informationen betreffend die in der Schweiz ansässigen Personen, die in Frankreich angestellt sind.

Es ist wahrscheinlich, dass aufgrund der neuen Aufgaben der ESTV zusätzliche Ressourcen erforderlich werden, sowohl in finanzieller als auch in personeller Hinsicht (siehe Ziff. 4).

Übergangsbestimmungen (Art. 11 Abs. 4 des Zusatzabkommens) Angesichts der in beiden Vertragsstaaten einzuhaltenden Verfahren zur Genehmigung des Zusatzabkommens und um den betroffenen Personen die Möglichkeit zu geben, zwischen dem 1. Januar 2023 und dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzabkommens Telearbeit zu leisten, wurde zwischen den zuständigen Behörden eine Verständigungsvereinbarung geschlossen (siehe Ziff. 1.1). Darin wird die Möglichkeit vorgesehen, ihre Tätigkeit in dieser Übergangszeit bis zu 40 Prozent der Arbeitszeit pro Kalenderjahr in Form von Telearbeit auszuüben. Als Gegenleistung dafür, dass das Recht auf Besteuerung der auf die Telearbeit entfallenden Vergütungen während dieser Übergangsperiode im Ansässigkeitsstaat des Arbeitgebers verbleibt, soll die Schweiz Frankreich für jedes Jahr zwischen dem 1. Januar 2023 und dem 31. Dezember des Jahres des Inkrafttretens des Zusatzabkommens einen Betrag in Schweizer Franken in der Höhe von 2,3 Prozent der Steuern entrichten, die auf den Vergütungen erhoben werden, die an in Frankreich ansässige Arbeitnehmende für unselbständige Arbeit ausbezahlt werden. Diese Zahlung, die in gewisser Weise an die Stelle des gemäss dem Zusatzabkommen geschuldeten Ausgleichs für Telearbeit tritt
und deren Höhe auf Schätzungen des Potenzials für Telearbeit beruht, wird netto berechnet und berücksichtigt den Betrag, zu dessen Zahlung Frankreich während ebendieses Zeitraums der Schweiz gegenüber verpflichtet ist. Es ist vorgesehen, dass die Schweiz Frankreich den Betrag bis spätestens zum 30. Juni des Jahres überweist, das auf das Jahr des Inkrafttretens des Zusatzabkommens folgt. Sollte die Verständigungsvereinbarung für die Übergangsperiode wider Erwarten vor dem 31. Dezember 2024 ausser Kraft treten, würde der zu überweisende Betrag entsprechend der Anwendungsdauer der Verständigungsvereinbarung anteilsmässig berechnet.

Aufgrund fehlender gesetzlicher Grundlagen im Schweizer Recht findet während der Übergangsperiode kein automatischer Austausch von Lohndaten statt.

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3.2

Sonstige Änderungen des DBA-FR

Präambel des DBA-FR (Art. 1 des Zusatzabkommens) Artikel 1 des Zusatzabkommens ersetzt die Präambel des DBA-FR durch eine neue Bestimmung. Diese Bestimmung wurde im Rahmen der Massnahme 6 des BEPSAktionsplans ausgearbeitet und ist im OECD-Musterabkommen von 2017 enthalten20.

Mit dieser Bestimmung wird klargestellt, dass die Schweiz und Frankreich nicht die Absicht haben, durch das DBA-FR Möglichkeiten zur Nichtbesteuerung oder reduzierten Besteuerung durch Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung zu schaffen.

Vereinfacht ausgedrückt: Die Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung durch Steuerhinterziehung oder -umgehung soll auch Zweck des DBA-FR sein. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es Situationen von gewollter doppelter Nichtbesteuerung gibt. Dazu zählt beispielsweise die Besteuerung von Dividenden an Gesellschaften des gleichen Konzerns. Die doppelte Nichtbesteuerung verhindert in solchen Situationen ungewollte wirtschaftliche Mehrfachbelastungen.

Die Aufnahme dieser Bestimmung ist notwendig, um den im Rahmen von Massnahme 6 des BEPS-Aktionsplans gesetzten Mindeststandard zu erfüllen.

Allgemeine Bestimmungen (Art. 2 des Zusatzabkommens zu Art. 3 des DBA FR) Die Definition der zuständigen Behörde der Schweiz wird an die aktuelle Situation angepasst.

Verbundene Unternehmen (Art. 3 des Zusatzabkommens zu Art. 9 des DBA-FR) Artikel 9 des DBA-FR wird ein Absatz 2 nach dem OECD-Musterabkommen von 2017 hinzugefügt. Der Absatz sieht die Verpflichtung zu Gegenberichtigungen bei Gewinnaufrechnungen vor.

Die Änderung von Artikel 9 des DBA-FR entspricht der von den zuständigen Behörden bereits angewandten Praxis. Die Schweiz ist wie zuvor nicht verpflichtet, bei Gewinnaufrechnungen durch die französischen Steuerbehörden automatisch Gegenberichtigungen vorzunehmen. Sie muss Gegenberichtigungen nur dann vornehmen, wenn dies im Rahmen eines Verständigungsverfahrens vereinbart wurde. Die Änderung von Artikel 9 des DBA-FR entspricht der aktuellen schweizerischen Abkommenspolitik in diesem Bereich.

Verständigungsverfahren (Art. 5 des Zusatzabkommens zu Art. 27 des DBA-FR) Die Bestimmungen des DBA-FR zum Verständigungsverfahren werden in zwei Punkten angepasst. Der erste Satz von Absatz 1 dieser Bestimmung sieht vor, dass eine steuerpflichtige Person künftig ein Verständigungsverfahren entweder in ihrem Ansässigkeitsstaat oder im anderen Vertragsstaat beantragen kann. Dies entspricht dem 20

www.oecd.org > Topics > Tax > Tax Treaties > OECD Model Tax Convention

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Wortlaut des OECD-Musterabkommens, wie er aus der Massnahme 14 des BEPSAktionsplans betreffend die Verbesserung der Streitbeilegungsmechanismen hervorgegangen ist. Eine solche Vereinbarung hat die Schweiz in den vergangenen Jahren mit mehreren Staaten getroffen.

Der erste Satz von Artikel 27 Absatz 3 des DBA-FR wird durch eine Formulierung ersetzt, die dem Wortlaut der entsprechenden Bestimmung des OECD-Musterabkommens entspricht. Die vorherige Formulierung, nach der lediglich Schwierigkeiten bei der Anwendung (und nicht auch Zweifel bei der Auslegung des DBA-FR) zu einem Verständigungsverfahren allgemeiner Art führen können, ist auf die institutionellen Besonderheiten Frankreichs bei Abschluss des DBA-FR im Jahr 1966 zurückzuführen. Die Änderung der Bestimmung bringt das DBA-FR mit dem Mindeststandard der Massnahme 14 des BEPS-Aktionsplans in Einklang und hat keine wesentliche Änderung der aktuellen Praxis der zuständigen Behörden zur Folge.

Entsprechend dem Mindeststandard der Massnahme 14 des BEPS-Aktionsplans sollen Länder nach Möglichkeit den zweiten Satz von Artikel 25 Absatz 2 des OECDMusterabkommens in ihre Steuerabkommen mit folgendem Wortlaut aufnehmen: «Die Verständigungsregelung ist ungeachtet der Fristen des innerstaatlichen Rechts der Vertragsstaaten durchzuführen». Ist dies einem Land nicht möglich, beispielsweise weil es (wie die Schweiz) einen Vorbehalt angebracht hat, sollte es bereit sein, andere Bestimmungen zur Beschränkung der Frist für eine Berichtigung nach Artikel 7 Absatz 2 oder Artikel 9 Absatz 1 des OECD-Musterabkommens in seine Abkommen aufnehmen, um spätere Berichtigungen, die nicht mehr Gegenstand einer Entlastung aufgrund des Verständigungsverfahrens sein können, zu verhindern. Die Bestimmungen sind im Kommentar zum OECD-Musterabkommen von 2017 enthalten. Frankreich konnte die diesbezüglichen Vorschläge der Schweiz allerdings nicht akzeptieren. Obwohl keine Bestimmungen zur Beschränkung der Frist für eine Berichtigung ins DBA-FR aufgenommen wurden, ist das Abkommen mit dem Mindeststandard der Massnahme 14 des BEPS-Aktionsplans in Einklang, da die beiden Vertragsstaaten bereit waren, den Standard umzusetzen, sich aber nicht auf eine gemeinsame Lösung einigen konnten.

Anspruch auf Vorteile (Art. 7 des Zusatzabkommens, der dem DBA-FR einen neuen Art. 29bis hinzufügt)
Neu wird dem DBA-FR ein Artikel 29bis hinzugefügt. Diese Bestimmung sieht eine Missbrauchsklausel vor, die auf den hauptsächlichen Zweck einer Gestaltung oder einer Transaktion abstellt. Aufgrund dieser Klausel werden die Vorteile des DBA-FR nicht gewährt, wenn das Erlangen dieser Vorteile einer der hauptsächlichen Zwecke der entsprechenden Gestaltung oder Transaktion war; es sei denn, es wird nachgewiesen, dass das Gewähren dieser Vorteile in Einklang mit dem Ziel und Zweck der entsprechenden Bestimmungen des DBA-FR steht.

Diese Missbrauchsklausel ist zwar neu, sie entspricht aber in ihren Grundzügen den Missbrauchsklauseln, die die Schweiz bis 2017 in einer Vielzahl ihrer Doppelbesteuerungsabkommen vereinbart hat. Anders ist indessen, dass die Missbrauchsklausel nicht auf gewisse Arten von Einkünften wie Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren beschränkt ist. Vielmehr findet sie in Bezug auf sämtliche Bestimmungen des DBA-

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FR Anwendung. Alle Vorteile des DBA-FR unterliegen damit dem Vorbehalt einer missbräuchlichen Inanspruchnahme.

Vom Wortlaut her unterscheidet sich die Missbrauchsklausel gegenüber jenen, wie sie in den von der Schweiz bis 2017 geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen enthalten sind, noch in einem weiteren Punkt. So ist nach dem Text der Klausel Missbrauch nicht auf Situationen beschränkt, bei denen der Hauptzweck der entsprechenden Gestaltung oder Transaktion im Erlangen der Vorteile des DBA-FR liegt. Vielmehr besteht Missbrauch auch dann, wenn bloss einer der Hauptzwecke dafür verantwortlich ist. Diese begrifflichen Unterschiede sollten jedoch zu keinem anderen Ergebnis führen, denn der zweite Teil der Missbrauchsklausel sieht vor, dass die Vorteile des DBA-FR dennoch gewährt werden, wenn dies in Einklang mit dem Ziel und Zweck der entsprechenden Bestimmungen des Abkommens steht. Dies sollte grundsätzlich dann der Fall sein, wenn das Erlangen der entsprechenden Abkommensvorteile nicht der Hauptzweck der Gestaltung oder Transaktion war.

Diese Missbrauchsklausel wurde im Rahmen der BEPS-Massnahme 6 erarbeitet. Sie ist im OECD-Musterabkommen (Art. 29 Abs. 9) enthalten. Um dem im Rahmen der BEPS-Massnahme 6 gesetzten Mindeststandard Genüge zu tun, reicht grundsätzlich die Aufnahme der Missbrauchsklausel in die Doppelbesteuerungsabkommen. Es bedarf in einem solchen Fall keiner weiteren Missbrauchsbestimmung. Die Schweiz hat daher vorgeschlagen, auf die bestehenden Missbrauchsklauseln, namentlich Artikel 14 des DBA-FR, zu verzichten. Frankreich hat diesen Vorschlag allerdings mit dem Hinweis insbesondere auf das negative Signal abgelehnt, das die Streichung dieser Bestimmungen senden würde.

Klausel betreffend die Mindestbesteuerung von Unternehmensgruppen (Art. 9 des Zusatzabkommens, der dem Zusatzprotokoll zum DBA-FR einen neuen Abs. XIII hinzufügt) Dem bestehenden Zusatzprotokoll zum DBA-FR wird ein neuer Absatz XIII hinzugefügt. Dieser stellt klar, dass die Bestimmungen des DBA-FR die Vertragsstaaten nicht daran hindern, die innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Mindestbesteuerung von Unternehmensgruppen umzusetzen, die auf der Grundlage der «Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two)» vom Inclusive Framework der OECD erlassen wurden. Der Anwendung von innerstaatlichen Rechtsvorschriften
durch die Schweiz, die eine Erhebung einer Ergänzungssteuer («Top-up Tax») bei einer in der Schweiz ansässigen Person aufgrund einer in Frankreich gelegenen Betriebsstätte vorsehen, steht das DBA-FR demnach nicht entgegen. Diese Bestimmung ermöglicht es der Schweiz, eine Mindestbesteuerung sicherzustellen, die den erwähnten Regeln entspricht, und damit Massnahmen auszuschliessen, die andere Staaten ergriffen haben.

Die Klausel greift erst, wenn die Schweiz die Bestimmungen zur Mindestbesteuerung grosser Unternehmensgruppen umgesetzt hat.

Inkrafttreten (Art. 11 des Zusatzabkommens) Das Zusatzabkommen zum DBA-FR tritt am Tag nach dem Eingang der auf diplomatischem Weg übermittelten zweiten Notifikation in Kraft, die den Abschluss der für das Inkrafttreten des Zusatzabkommens notwendigen innerstaatlichen Verfahren at17 / 22

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testiert. Die Bestimmungen des Zusatzabkommens sind anwendbar auf die Steuerjahre oder -perioden, die nach Ablauf des Kalenderjahrs beginnen, in dem das Zusatzabkommen in Kraft tritt.

Das Zusatzprotokoll betreffend Telearbeit gilt für die ab 1. Januar 2023 ausbezahlten Vergütungen. Es bestätigt somit die zwischen den zuständigen Behörden geschlossene Verständigungsvereinbarung für die Übergangsperiode (siehe. Ziff. 1.1).

4

Finanzielle Auswirkungen

Nach den ordentlichen Regeln des DBA-FR, die ohne die ausgehandelte Lösung anwendbar wären und die das Recht zur Besteuerung der Löhne dem Vertragsstaat zuweisen, in dem die Telearbeit physisch ausgeübt wird, wird der Rückgang der Schweizer Steuereinnahmen auf einige hundert Millionen Franken pro Jahr geschätzt. Der Anteil dieses Einnahmeverlustes für den Bund kann auf etwa 15 Prozent geschätzt werden. Bei Telearbeit bis zu 40 Prozent der Arbeitszeit pro Kalenderjahr weist die ausgehandelte Lösung dem Vertragsstaat, in dem der Arbeitgeber ansässig ist, das Recht zu, Vergütungen für Telearbeit im Ansässigkeitsstaat der Arbeitnehmenden zu besteuern. Im Vergleich zu den ordentlichen Regeln des DBA-FR erlaubt die neue Lösung der Schweiz, die Vergütungen für Telearbeit in Frankreich zu besteuern und 60 Prozent der entsprechenden Steuern zu behalten. Die neue Lösung zur Besteuerung von Telearbeit bewahrt somit die Schweizer Steuereinnahmen im Vergleich zur Anwendung der ordentlichen Regeln des DBA-FR. Sofern der Anteil der Telearbeit ohne Berücksichtigung von temporären Einsätzen 40 Prozent der Arbeitszeit pro Kalenderjahr übersteigt, ist das auf die Telearbeit entfallende Gehalt weiterhin im Ansässigkeitsstaat der Arbeitnehmenden steuerbar.

Die im Zusatzabkommen vorgesehene neue Beteiligung des Bundes am GFA wird sich auf das ordentliche Budget des Bundes auswirken. Gemäss den aktuellen Schätzungen und unter der Annahme, dass das Zusatzabkommen frühestens gegen Ende 2024 in Kraft treten kann, wird für die Übergangsjahre 2023 und 2024 im Jahr 2025 ein Betrag von rund 100 Millionen Franken an den Kanton Genf überwiesen. Ab 2026 werden rund 50 Millionen Franken für die jährliche Zahlung an den Kanton budgetiert. Eine Aktualisierung dieser Beträge wird im Hinblick auf das Budget 2025 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2026­2028 vorgenommen. Der neue Kredit wird in der Verantwortung der ESTV liegen.

Bei der Umsetzung des Zusatzabkommens ist mit einer Erhöhung des Personal- und Finanzaufwands für die ESTV und die kantonalen Steuerverwaltungen zu rechnen.

Die ESTV wird sich frühzeitig auf die neuen Rahmenbedingungen vorbereiten und die notwendigen Vorkehrungen treffen müssen (Einführung von Prozessen, organisatorische Anpassungen, Anpassungen der Informatik oder Aufbau der IT-Infrastruktur usw.). Wie
der Informationsaustausch im Einzelnen technisch ablaufen wird, muss noch mit Frankreich abgestimmt werden. Diese Anpassungen müssen so gestaltet werden, dass sie möglichst effizient und ressourcenschonend sind. Derzeit werden, gemäss einer groben Schätzung auf der Grundlage der Erfahrungen mit dem automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten, die zusätzlichen Ausgaben der ESTV für die Einführung des automatischen Informationsaustauschs mit Frankreich 18 / 22

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ab 2025 und bis zur Inbetriebnahme des IT-Systems auf 2 Millionen Franken und drei Vollzeitäquivalente geschätzt. Für den laufenden Betrieb des IT-Systems ist ab der Inbetriebnahme mit finanziellen Ressourcen von rund 400 000 Franken pro Jahr zu rechnen. Die für den laufenden Betrieb des IT-Systems erforderlichen personellen Ressourcen sollen zu einem späteren Zeitpunkt evaluiert werden.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Abschlusskompetenz und Rechtsform

Das Zusatzabkommen stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV, wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Nach Artikel 184 Absatz 2 BV ist der Bundesrat ermächtigt, die Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist gemäss Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung der Verträge zuständig; ausgenommen sind die Verträge, für deren Abschluss aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (siehe auch Art. 7a Abs. 2 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199721). Im vorliegenden Fall gibt es kein Gesetz und keinen völkerrechtlichen Vertrag, das oder der dem Bundesrat die Kompetenz verleiht, einen Vertrag wie das Zusatzabkommen abzuschliessen. Das Parlament ist somit für die Genehmigung des Zusatzabkommens zuständig.

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unter anderem wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten. Gemäss Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002 (ParlG)22 gelten Bestimmungen als rechtsetzend, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen.

Das Zusatzabkommen enthält Bestimmungen, die den Schweizer Behörden Pflichten auferlegen sowie den Schweizer Behörden und den Steuerpflichtigen (natürliche und juristische Personen) Rechte verleihen. Das Zusatzabkommen enthält somit wichtige rechtsetzende Bestimmungen im Sinne von Artikel 22 Absatz 4 ParlG und Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Zusatzabkommens untersteht deshalb dem fakultativen Staatsvertragsreferendum für völkerrechtliche Verträge nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV.

Die Bundesversammlung genehmigt völkerrechtliche Verträge, die dem Referendum unterliegen, in der Form eines Bundesbeschlusses (Art. 24 Abs. 3 ParlG).

21 22

SR 172.010 SR 171.10

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5.2

Änderung des Gesetzes über die Durchführung von internationalen Abkommen im Steuerbereich

Um eine formelle gesetzliche Grundlage im schweizerischen Recht zu schaffen, die den Grundsatz einer Aufteilung zwischen Bund und Kantonen sowohl für die an Frankreich zu zahlende als auch für die von Frankreich an die Schweiz zu zahlende Ausgleichszahlung für die in Form von Telearbeit geleistete Tätigkeit festlegt, ist eine Änderung des Gesetzes vom 18. Juni 202123 über die Durchführung von internationalen Abkommen im Steuerbereich (StADG) vorgesehen. Mit der neuen Bestimmung wird der Bundesrat ermächtigt, die nötigen Regeln zu erlassen. Derzeit sieht Artikel 35 Absatz 3 StADG nur den Fall der Zahlung durch die Schweiz an den anderen Vertragsstaat vor, nicht umgekehrt. Dieser wird aufgrund der vorgesehenen neuen Bestimmung obsolet und kann gestrichen werden. Nach Artikel 141a Absatz 2 BV kann die Bundesversammlung in den Fällen, in denen der Genehmigungsbeschluss eines völkerrechtlichen Vertrags dem fakultativen Referendum untersteht, Gesetzesänderungen, die der Umsetzung des Vertrags dienen, in den Genehmigungsbeschluss aufnehmen. Deshalb enthält der Bundesbeschluss zur Genehmigung des Zusatzabkommens eine Bestimmung zur Änderung des StADG.

5.3

Beteiligung des Bundes an der Ausgleichszahlung des Kantons Genf

Die Beteiligung des Bundes am GFA steht in direktem Zusammenhang mit der neuen Lösung zur Besteuerung der Telearbeit, die im Zusatzabkommen festgelegt wurde.

Sie ist daher im Bundesbeschluss über die Genehmigung des neuen Zusatzabkommens, der den eidgenössischen Räten vorgelegt wird, enthalten. Wie bereits in Ziffer 3.1 erwähnt, entspricht sie dem Anteil der direkten Bundessteuer an den Einnahmen aus den Steuern, die im Kanton Genf auf die Löhne der in den beiden betroffenen französischen Departementen ansässigen Personen erhoben werden. Die Obergrenze dieser Beteiligung entspricht dem Betrag des neuen Ausgleichs für Telearbeit, den der Kanton Genf und die Genfer Gemeinden schulden.

Vorbehältlich des Inkrafttretens des Zusatzabkommens vom 27. Juni 2023 ist die Beteiligung des Bundes am GFA ab dem Steuerjahr 2023 geschuldet (Art. 3 Abs. 3 des Bundesbeschlusses). Grundsätzlich wird die Beteiligung des Bundes an den Kanton Genf bis zum 30. Juni des Jahres, das auf das Jahr folgt, für das der Ausgleich geschuldet ist, überwiesen. Die Zahlung der Beteiligung des Bundes am GFA für die Jahre zwischen dem 1. Januar 2023 und dem 31. Dezember des Jahres des Inkrafttretens des Zusatzabkommens erfolgt jedoch erst in dem Jahr, das auf das Jahr des Inkrafttretens des Zusatzabkommens folgt: Sie wird spätestens am 30. Juni dieses Jahres fällig (Art. 3 Abs. 4).

23

SR 672.2

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Um nachträgliche ordentliche Veranlagungen im Sinne der Artikel 99a und 99b des Gesetzes vom 14. Dezember 199024 über die direkte Bundessteuer und der Artikel 35a und 35b des Gesetzes vom 14. Dezember 199025 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden zu berücksichtigen, die zeitlich versetzt zu dem Jahr erfolgen, in dem der Quellensteuerabzug durch den Arbeitgeber vorgenommen wird, sieht Artikel 3 Absatz 5 des Bundesbeschlusses vor, dass die Höhe der Beteiligung des Bundes für ein bestimmtes Steuerjahr an die Entwicklung der Einnahmen aus den Steuern angepasst wird, die auf die Löhne der Einwohnerinnen und Einwohner der Departemente Ain und Haute-Savoie vom Kanton Genf und den Genfer Gemeinden für dieses Jahr erhoben werden.

24 25

SR 642.11 SR 642.14

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