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Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bei der Bewältigung der Covid-19-Pandemie Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 10. Oktober 2023

2023-3420

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Das Wichtigste in Kürze Die Bewältigung der Covid-19-Krise verlangte eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen den Behörden des Bundes und der Kantone. Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) prüft diese Zusammenarbeit im vorliegenden Bericht aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht über die beteiligten Bundesbehörden und mit Schwerpunkt auf dem Umgang mit den gesundheitlichen Aspekten der Pandemie. Zu diesem Zweck hat sie eine detaillierte Chronologie der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in den ersten drei Jahren der Pandemie erstellt (Kap. 6).

Aus Sicht der GPK-S wies die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen bei der Pandemiebewältigung positive und negative Aspekte auf. Auch dank den gemeinsamen Anstrengungen der Bundes- und Kantonsbehörden konnte die Schweiz diese schwere Krise in zufriedenstellender Weise überstehen. In den Augen der Kommission entsprachen die Beschlüsse und Massnahmen der Bundesbehörden in diesem Bereich weitgehend den Kriterien der Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und Wirksamkeit. Dennoch hat die GPK-S gewisse Mängel erkannt, die aufzeigen, dass Optimierungs- und Klärungsbedarf besteht. Insbesondere in drei Phasen der Krise stiess die Zusammenarbeit an ihre Grenzen: beim Auftreten der Pandemie (Februar/März 2020), während der zweiten Welle (Oktober­Dezember 2020) und nach der Rückkehr zur normalen Lage (Sommer 2022). Ausgehend von ihren Arbeiten hat die GPK-S 13 Empfehlungen zuhanden des Bundesrates formuliert.

Strukturen für die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen (Kap. 8.2) Die GPK-S begrüsst den direkten und regelmässigen Kontakt auf Fachebene, den die Bundesbehörden während der gesamten Krise mit den Kantonen pflegten. Allgemein positiv bewertet sie insbesondere die Zusammenarbeit zwischen dem Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) und der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) sowie die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der Kantonsärzteschaft und -apothekerschaft.

Der Einbezug der Kantone in die Krisenorganisation war nach Ansicht der Kommission hingegen nur teilweise angemessen. Die Art und Weise dieses Einbezugs ermöglichte es dem Bund nicht wirklich, das Fachwissen der Kantone zu nutzen. Die GPKS erwartet vom Bundesrat, dass er die Modalitäten des Einbezugs der Kantone
in die Krisenstrukturen des Bundes klärt. Im Übrigen nahm das im Epidemiengesetz (EpG) vorgesehene Koordinationsorgan die ihm in den Rechtsgrundlagen zugewiesenen Aufgaben nicht vollumfänglich wahr. Seine Rolle bedarf der Klärung. Zudem verkomplizierte das Fehlen klar definierter Ansprechstellen die Weitergabe von Informationen. Die GPK-S ersucht den Bundesrat, sicherzustellen, dass beim Auftreten einer Krise die Ansprechstellen klar definiert und die entsprechenden Informationen allen Betroffenen zugänglich sind.

Die Kommission hält fest, dass sich der Bundesrat in Sachen politischer und strategischer Führung im Rahmen der Pandemiebewältigung um einen regelmässigen Kontakt zu den Kantonen bemühte, dass der Austausch mit diesen aber keiner klaren Leitlinie folgte. Sie begrüsst die Absicht des Bundesrates, die Zusammenarbeit in die2 / 172

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ser Hinsicht zu verstärken, und erachtet es als notwendig, zu prüfen, ob in Krisenzeiten nicht institutionalisierte regelmässige Treffen zwischen Bundesrat und Kantonen stattfinden sollten. Sie ersucht den Bundesrat zudem, die Zusammenarbeit zwischen den Departementen und den interkantonalen Konferenzen in Krisenzeiten zu klären.

Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen in den verschiedenen Pandemiephasen (Kap. 8.3) Die GPK-S ist der Ansicht, dass sich die im EpG vorgesehene Kompetenzverteilung im Grossen und Ganzen bewährt hat. Die Aufgabenverteilung in der ausserordentlichen Lage (März bis Juni 2020) war in ihren Augen zweckmässig und der Bundesrat nutzte den ihm zur Verfügung stehenden Handlungsspielraum auf angemessene Weise. Die Kommission zieht zudem eine positive Bilanz der «Ausnahmeklausel», die Ende März 2020 verabschiedet wurde, um der besonderen Gesundheitslage im Tessin Rechnung zu tragen. Nichtsdestotrotz ersucht sie den Bundesrat, zu prüfen, ob angesichts dieser Erfahrung nicht entsprechende Anpassungen im EpG sinnvoll wären.

Deutlich kritischer sieht die Kommission die Zusammenarbeit in der besonderen Lage (Juni 2020 bis März 2022). Das Fehlen eines gemeinsamen Verständnisses der Rollenverteilung hatte einen negativen Einfluss auf das Krisenmanagement beim Auftreten der zweiten Welle. Die GPK-S hält es allerdings für unerlässlich, die jeweiligen Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten klarer zu regeln, um sicherzustellen, dass die im EpG vorgesehene Aufgabenteilung in der Praxis funktioniert. Ferner ist sie der Ansicht, dass es künftig eine bessere Koordination zwischen Bund und Kantonen bei der strategischen Führung des Krisenmanagements in der besonderen Lage braucht. Sie ersucht den Bundesrat, festzulegen, welche Gremien oder Plattformen diese Koordination sicherstellen sollten.

Die Kommission bedauert, dass sich Bund und Kantone nach der Rückkehr zur normalen Lage im April 2022 nicht über ihre jeweiligen Zuständigkeiten einigen konnten. Sie erwartet vom Bundesrat, dass er diesbezüglich Abklärungen vornimmt und insbesondere prüft, ob es nicht sinnvoll wäre, im EpG eine zusätzliche Lage zu definieren (Normalisierungsphase nach der besonderen Lage).

Im Weiteren ersucht sie den Bundesrat, zu prüfen, ob der Prozess für den Einbezug der Kantone vor dem Übergang in die
besondere und in die ausserordentliche Lage nicht genauer geregelt werden sollte.

Schweizweite Pandemiemassnahmen (Kap. 8.4 und 8.5) Die GPK-S ist der Ansicht, dass die Prozesse für die Konsultation der Kantone zu den schweizweiten Pandemiemassnahmen an ihre Grenzen stiessen, namentlich in der besonderen Lage. Trotz der Bemühungen der Bundesbehörden brachte der krisenbedingte zeitliche Druck die Kantone in eine sehr schwierige Lage. Die Kommission ersucht den Bundesrat, den Ablauf des Konsultationsverfahrens in Krisenzeiten, namentlich die Fristen, zu präzisieren und zu definieren, in welchen Fällen die Kantone über die interkantonalen Konferenzen konsultiert werden können.

Die GPK-S sieht ausserdem Optimierungsbedarf bei der Information der Kantone über die beschlossenen Massnahmen. Ihrer Ansicht nach sollte der Bundesrat prüfen, wie die folgenden Ziele besser erreicht werden können: Die Kantone sollten über die 3 / 172

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Massnahmen informiert werden, bevor diese der Bevölkerung kommuniziert werden, und sie sollten für die Umsetzung so viel Zeit wie möglich zur Verfügung haben. Zudem sollten die Verordnungen und erläuternden Berichte gleichzeitig in allen drei Amtssprachen verfügbar sein.

Die GPK-S begrüsst die zahlreichen Anstrengungen des Bundes zur Unterstützung der Kantone beim Vollzug der schweizweiten Massnahmen. Sie erachtet es als wichtig, dass der Bund eine allgemeine Bilanz seiner Gesundheitsweisungen und -empfehlungen in der Covid-19-Pandemie, aber auch des Einsatzes der Armee und des Zivilschutzes zur Unterstützung des kantonalen Vollzugs zieht. Dies umso mehr, als dieser Einsatz so umfangreich wie nie zuvor war. Zum letzten Punkt hat die Kommission ein Postulat eingereicht.

Die Kommission hat sich auch mit dem Contact-Tracing des Bundes und der Kantone befasst. Sie hält fest, dass die einschlägigen Bestimmungen des EpG nur sehr allgemein waren und die Behörden über kein System verfügten, das für eine Pandemie von diesem Ausmass geeignet war. Sie sieht Abklärungs- und Verbesserungsbedarf in Bezug auf die Verantwortung für das Contact-Tracing, die Koordinationsstrukturen und die Schaffung harmonisierter Informatiksysteme. Sie ersucht den Bundesrat per Postulat, eine allgemeine Bilanz des Contact-Tracings zu ziehen. Schliesslich ist sie der Auffassung, dass die Modalitäten eines Verbots nicht dringender medizinischer Eingriffe im EpG präzisiert werden sollten.

Laufende Arbeiten und nächste Schritte Die GPK-S nimmt erfreut zur Kenntnis, dass sich Bund und Kantone bereits während der Pandemie bemühten, erkannte Mängel zu beseitigen und Lehren zu ziehen. Sie hält fest, dass in der Bundesverwaltung nach wie vor entsprechende Arbeiten laufen, namentlich die Revision des EpG und des Pandemieplans. Sie erwartet vom Bundesrat, dass er ihren Feststellungen und Empfehlungen bei diesen Arbeiten Rechnung trägt. Es ist wichtig, dass sich alle Beteiligten in einem offenen und konstruktiven Austausch um breit abgestützte Lösungen für die Zukunft bemühen.

Die Kommission ersucht den Bundesrat, bis spätestens 15. Februar 2024 zu ihren Empfehlungen Stellung zu nehmen.

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Inhaltsverzeichnis Das Wichtigste in Kürze

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Einleitung

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Gegenstand des Berichts

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Vorgehen der GPK-S

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Rechtsgrundlagen und einschlägige Vorgaben für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der Covid-19-Pandemie

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Evaluationen über die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der Covid-19-Pandemie

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Präsentation des Sachverhalts 6.1 Strukturen für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der Covid-19-Pandemie 6.2 Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der Covid-19Pandemie 6.2.1 Erste Pandemiephase (Januar bis Juni 2020) 6.2.2 Zweite Pandemiephase (Juni 2020 bis Mai 2021) 6.2.3 Dritte Pandemiephase (Mai 2021 bis September 2022)

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Einschätzung durch die Akteure 7.1 Strukturen für die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen 7.1.1 Einbezug der Kantone in die Krisenorganisation des Bundes 7.1.2 Strategische und politische Koordination 7.1.3 Zusammenarbeit zwischen dem BAG und der Kantonsärzteschaft sowie der Kantonsapothekerschaft 7.2 Kompetenzverteilung in den verschiedenen Pandemiephasen 7.2.1 Ausserordentliche Lage 7.2.2 Besondere Lage 7.2.3 Normale Lage 7.3 Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bei den schweizweiten Massnahmen zur Pandemiebekämpfung 7.3.1 Konsultationsverfahren 7.3.2 Information über die beschlossenen Massnahmen 7.3.3 Unterstützung durch den Bund beim Vollzug der Massnahmen zur Pandemiebekämpfung 7.3.4 Berücksichtigung der spezifischen Situation einzelner Kantone am Beispiel des Tessins im Frühjahr 2020 7.3.5 Verbot nicht dringender medizinischer Eingriffe 7.4 Laufende Verbesserungsmassnahmen und Abklärungen

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Beurteilung durch die GPK-S und Empfehlungen 8.1 Allgemeine Erwägungen

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Strukturen für die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen 8.2.1 Einbezug der Kantone in die Stäbe des Bundes 8.2.2 Bestimmung der Akteure und Kontaktstellen 8.2.3 Einbezug der Kantone in die strategische Führung und Austausch auf der politischer Ebene 8.2.4 Zusammenarbeit zwischen den Departementen und den interkantonalen Konferenzen 8.2.5 Rolle des Koordinationsorgans gemäss Epidemiengesetz Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen im Falle einer Pandemie 8.3.1 Allgemeine Beurteilung 8.3.2 Wechsel zwischen den verschiedenen Lagen 8.3.3 Ausserordentliche Lage 8.3.4 Besondere Lage 8.3.5 Normale Lage (nach einer Pandemie) Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bei den schweizweiten Massnahmen zur Pandemiebekämpfung 8.4.1 Konsultationsverfahren 8.4.2 Information der Kantone über die beschlossenen Massnahmen 8.4.3 Unterstützung durch den Bund beim Vollzug der Massnahmen zur Pandemiebekämpfung Weitere Aspekte 8.5.1 Contact-Tracing 8.5.2 Verbot nicht dringender medizinischer Eingriffe 8.5.3 Interkantonale Koordination, Rolle und Kompetenzen der interkantonalen Konferenzen

Schlussfolgerungen und weiteres Vorgehen 9.1 Rechtmässigkeit 9.2 Zweckmässigkeit 9.3 Wirksamkeit 9.4 Weiteres Vorgehen

Abkürzungsverzeichnis

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Anhänge 1 2 3 4

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Liste der angehörten Personen Parlamentarische Vorstösse zur Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der Covid-19-Pandemie Übersicht über die Kontakte zwischen dem EDI und den Kantonen in den zwei ersten Pandemiephasen Übersicht über die Empfehlungen und Postulate der GPK-S

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Bericht 1

Einleitung

Die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) beschlossen in ihrer Funktion als parlamentarisches Oberaufsichtsorgan Ende Mai 2020, eine Inspektion über den Umgang des Bundesrates und der Bundesverwaltung mit der Coronakrise (Covid-19-Krise)1 einzuleiten.2 Seither sind die GPK und ihre Subkommissionen daran, verschiedene zentrale Aspekte des Krisenmanagements abzuklären.3 Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) hat sich dabei insbesondere auch mit der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bei der Pandemiebewältigung befasst.

Gemäss Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV)4 und Epidemiengesetz (EpG)5 ist die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten wie Covid-19 eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Kantonen (siehe Kap. 4). Aus diesem Grund ist eine gute Zusammenarbeit zwischen den Bundes- und Kantonsbehörden für den angemessenen Umgang mit einer Pandemie wie derjenigen, die Anfang 2020 auftrat, von zentraler Bedeutung. Die neuen Herausforderungen, die sich infolge der globalen Energiekrise seit 2021 stellen, bestätigen, dass die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen föderalen Akteuren entscheidend ist, um die Krisen zu bewältigen, mit denen die Schweiz ­ in welchem Bereich auch immer ­ künftig konfrontiert sein wird.

Die Covid-19-Pandemie erforderte aufgrund ihrer Dauer und ihrer Komplexität eine bislang ungekannte und besonders intensive Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen. Diese Krise stellte die Aufgabenverteilung und die Verfahren des föderalen Systems der Schweiz in mancherlei Hinsicht auf die Probe. Die Zusammenarbeit zwischen den Bundes- und Kantonsbehörden war Gegenstand zahlreicher Diskussionen, vor allem hinsichtlich Kompetenzverteilung in den einzelnen Pandemiephasen, Einbindung der Kantone in das nationale Krisenmanagement und Koordination der Massnahmen zwischen den verschiedenen Regionen der Schweiz. Die Bundes- und Kantonsbehörden übten verschiedentlich Kritik an dieser Zusammenarbeit. In letzter Zeit wurden zudem mehrere Evaluationen veröffentlicht, in denen auf die Herausforderungen hingewiesen wurde, die sich aufgrund der Pandemie diesbezüglich gestellt haben (siehe Kap. 5). Darüber hinaus wurden verschiedene parlamentarische Vorstösse zu diesem Thema eingereicht (siehe Anhang 2).

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Im Folgenden «Covid-19-Krise», «Krise», «Covid-19-Pandemie» oder «Pandemie».

Die GPK leiten eine Inspektion zur Aufarbeitung der Bewältigung der Covid-19Pandemie durch die Bundesbehörden ein, Medienmitteilung der GPK vom 26.5.2020.

Ein Überblick über die von den GPK untersuchten Themen findet sich im Jahresbericht 2020, 2021 und 2022 der Geschäftsprüfungskommissionen und der Geschäftsprüfungsdelegation vom 26.1.2021, vom 25.1.2022 bzw. vom 24.1.2023, Kap. 4 (BBl 2021 570; 2022 513; 2023 579).

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18.4.1999 (SR 101).

Bundesgesetz vom 28.9.2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG; SR 818.101).

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Nachdem der Bundesrat und die Kantone eine Beurteilung vorgenommen haben (siehe Kap. 5), ist es nun an der GPK-S als parlamentarisches Oberaufsichtsorgan, diese Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Pandemie zu bilanzieren und zu ermitteln, welche Lehren im Hinblick auf künftige Krisen gezogen werden können. Die Kommission legt in diesem Bericht den ihr bekannten Sachverhalt und ihre Beurteilung dar und richtet Empfehlungen an den Bundesrat. Sie berücksichtigt dabei auch die Ergebnisse der zu diesem Thema bereits durchgeführten Evaluationen sowie die seither getroffenen Optimierungsmassnahmen.

2

Gegenstand des Berichts

Gemäss ihrem gesetzlichen Auftrag prüfen die GPK bei ihrer parlamentarischen Oberaufsichtstätigkeit die Geschäftsführung der involvierten Bundesbehörden hinsichtlich der Kriterien der Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und Wirksamkeit. Die GPK-S hatte vorliegend zum Ziel, folgende Fragen zu beantworten: ­

Rechtmässigkeit: Standen die Beschlüsse und Massnahmen der Bundesbehörden hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den Kantonen bei der Bewältigung der Covid-19-Pandemie im Einklang mit den Rechtsgrundlagen und den einschlägigen Vorgaben? Waren diese Rechtsgrundlagen und Vorgaben angemessen?

­

Zweckmässigkeit: Nutzten die Bundesbehörden auf angemessene Weise den vorhandenen Ermessensspielraum in der Zusammenarbeit mit den Kantonen bei der Bewältigung der Covid-19-Pandemie?

­

Wirksamkeit: Konnte dank der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Kantonen das angestrebte Ziel, d. h. eine wirksame Bewältigung der Covid-19-Pandemie, erreicht werden?

Die GPK-S konzentrierte sich bei ihrer Analyse auf zwei zentrale Aspekte der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in den einzelnen Pandemiephasen:

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­

Erstens die Strukturen für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen.

Die Kontakte zwischen den Bundes- und Kantonsbehörden erfolgten über verschiedene Kanäle und Plattformen, die sich in den einzelnen Pandemiephasen unterschieden. Einige Strukturen bestanden bereits vor der Pandemie, während andere ad hoc geschaffen wurden. Darüber hinaus gab es Strukturen, die zwar vorgesehen waren, ihnen zugedachte Rolle aber nicht wahrgenommen haben.

­

Zweitens die Umsetzung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bei der Pandemiebewältigung. Dies betrifft einerseits die wichtigsten Beschlüsse der Bundesbehörden mit Auswirkungen auf die Verteilung der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen im Bereich der Epidemiebekämpfung6 Als Beispiele angeführt werden können in diesem Zusammenhang der Beschluss des Bundesrates vom 19. Juni 2020, die «ausserordentliche Lage» im Sinne des EpG zu beenden, oder das Ergreifen von strengen Massnahmen zur Pandemiebekämpfung für die gesamte Schweiz in der «besonderen Lage» (z. B. im Herbst 2020 oder im Herbst 2021).

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und andererseits die konkrete Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bei der Festlegung und Umsetzung der Massnahmen zur Pandemiebewältigung7.

Auf zeitlicher Ebene unterscheidet die GPK-S in ihrer Analyse drei Hauptphasen der Pandemie: die erste Phase von der erstmaligen Thematisierung von Covid-19 in der Bundesverwaltung (Januar 2020) bis zur Aufhebung der «ausserordentlichen Lage» im Sinne des EpG (19.6.2020), die zweite Phase vom 19. Juni 2020 bis zur Verabschiedung des sogenannten «dreistufigen Modells» durch den Bundesrat (12.5.2021) und die dritte Phase bis Ende Dezember 2022, in welche auch die Rückkehr zur «normalen Lage» gemäss EpG ab April 2022 fällt. Die GPK-S legt für jede dieser drei Phasen den ihr bekannten Sachverhalt in Bezug auf die Strukturen der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen sowie auf die Umsetzung dieser Zusammenarbeit dar.

Gemäss ihrem gesetzlichen Auftrag und ihren Handlungsgrundsätzen8 üben die GPK die Oberaufsicht über die Geschäftsführung des Bundesrates, der Bundesverwaltung und der anderen Träger von Bundesaufgaben aus. Aus diesem Grund konzentrierte sich die GPK-S bei ihrer Untersuchung auf die Aktivitäten der wichtigsten Bundesbehörden, die für die Bewältigung der gesundheitlichen Aspekte der Pandemie zuständig waren, d. h. der Bundesrat, das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) und das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Es ist hingegen grundsätzlich nicht Aufgabe der GPK-S, die Tätigkeiten der Kantonsbehörden oder der interkantonalen Konferenzen in der Pandemie zu evaluieren oder diesbezüglich Empfehlungen zu formulieren.

Die Kommission befasste sich mit der Geschäftsführung der Kantone nur insoweit, als es zur Beurteilung des Krisenmanagements der Bundesbehörden nötig war. Die GPK-S stellt in diesem Bericht gleichwohl einige punktuelle Überlegungen betreffend die Tätigkeiten der Kantone an deren Schnittstelle zum Bund und betreffend deren Rolle bei der Umsetzung des Bundesrechts an.

Bei ihren Arbeiten im vorliegenden Dossier konzentrierte sich die GPK-S aufgrund der Komplexität und des Umfangs der Pandemie darauf, wie sich Bund und Kantone bei den gesundheitlichen Aspekten der Pandemiebewältigung koordinierten (z. B.

Massnahmen zur Kontaktbeschränkung oder Sistierung nicht dringender medizinischer Eingriffe; im Folgenden wird dazu den allgemeinen
Begriff «Massnahmen zur Pandemiebekämpfung»9 verwendet). Auf die anderen wichtigen Aspekte des Krisenmanagements (z. B. Massnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie) geht sie in dieser Untersuchung nicht ein. Die Kommission befasst sich auch nicht mit den finanziellen Auswirkungen der Pandemie oder mit der Übernahme der mit den Massnahmen zur Pandemiebekämpfung verbundenen Kosten, da diese

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8 9

In diesem Zusammenhang galt es beispielsweise, die Konsultationen der Kantone zu den geplanten Bundesmassnahmen, den Austausch über das Contact-Tracing und die Impfungen oder das Eingreifen des Bundes Ende 2020 nach dem Ausbleiben einer koordinierten Reaktion der Kantone auf die zweite Pandemiewelle zu untersuchen.

Handlungsgrundsätze der GPK vom 30.1.2015 (BBl 2015 4841).

Dieser Begriff umfasst alle (pharmazeutischen oder nichtpharmazeutischen) Gesundheitsmassnahmen, die zur Bekämpfung der Coronapandemie getroffen wurden.

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Aspekte vorwiegend in die Zuständigkeit der Finanzkommissionen (FK), der Finanzdelegation (FinDel) oder der Sachbereichskommissionen fallen.10 Des Weiteren geht die GPK-S nicht darauf ein, ob die Massnahmen zur Pandemiebekämpfung geeignet waren oder wie die Beschlüsse innerhalb des Bundesrates gefasst wurden und ob diese angemessen waren.

Die GPK-S sammelte im Rahmen ihrer Untersuchung im Übrigen auch zahlreiche Informationen über die Erhebung und das Management von Gesundheitsdaten in der Krise (Meldesysteme, Indikatoren und IT-Tools, Monitoring der Spitalkapazitäten usw.). Dieser Aspekt, der vielfach kritisiert wurde, ist wesentlich für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen im Pandemiefall. Da dieses Thema sehr komplex ist und mehrere Entwicklungen in diesem Bereich im Gange sind11, beschloss die Kommission, ihre Abklärungen in dieser Angelegenheit im Rahmen eines separaten Dossiers fortzusetzen.12 Die GPK-S weist zudem darauf hin, dass verschiedene Evaluationen und Verbesserungsarbeiten betreffend die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen immer noch laufen. Die Beurteilung in diesem Bericht spiegelt somit den Kenntnisstand zum Zeitpunkt des Untersuchungsabschlusses (Juni 2023) wider. Die Kommission behält sich die Möglichkeit vor, ihre Beurteilung zu einem späteren Zeitpunkt zu ergänzen.

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Vorgehen der GPK-S

Die Abklärungen zu diesem Dossier wurden zwischen Mai 2020 und Juni 2023 durch die Subkommission «Eidgenössisches Departement des Innern (EDI) / Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK)» der GPK-S13 vorgenommen. Diese klärte den Sachverhalt, ermittelte die aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht relevanten Elemente und besprach diese mit einzelnen Bundesratsmitgliedern, den betroffenen Verwaltungseinheiten sowie den Kantonen.

Die Subkommission hörte namentlich den Vorsteher des EDI14 und den Generalsekretär des Departements15, den ehemaligen Direktor und die aktuelle Direktorin des

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Auch nicht vertieft werden in diesem Bericht die öffentliche Kommunikation der Behörden in der Krise, die Bevorratung medizinischer Güter, die interne Krisenorganisation des Bundes oder die wissenschaftlichen Grundlagen, auf welche die Behörden ihre Beschlüsse stützten, da diese Themen Gegenstand separater Untersuchungen der GPK sind bzw. waren.

Siehe z. B. Das Datenmanagement im Gesundheitsbereich muss verbessert werden, Medienmitteilung des Bundesrates vom 12.1.2022.

Dossier «Gesundheitsdatenmanagement». Siehe dazu Jahresbericht 2022 der GPK und der GPDel, Kap. 4.2.4 und 4.2.5 (BBl 2023 579, S. 64/65).

Der Subkommission EDI/UVEK der GPK-S gehören die Ständeratsmitglieder Marco Chiesa (Präsident), Elisabeth Baume-Schneider (bis Ende 2022), Mathilde Crevoisier Crelier (ab Anfang 2023), Marianne Maret (ab Juli 2023), Matthias Michel, Othmar Reichmuth (bis Ende Juni 2023) und Heidi Z'graggen an.

Anhörung vom 12.10.2020.

Anhörung vom 21.6.2021.

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BAG sowie verschiedene Verantwortliche des Bundesamtes16 an. Sie tauschte sich darüber hinaus mit Kantonsvertretungen, d. h. der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) und der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK)17, aus. Sie bezog in ihre Analyse auch Informationen aus Aussprachen mit ein, welche die Plenarkommission mit der Vorsteherin des UVEK und Bundespräsidentin 202018, dem Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) und Bundespräsidenten 202119, dem Vorsteher des EDI20, Vertreterinnen und Vertretern des BAG und des Büros Interface21, der GDK und der KdK22 sowie mit Regierungsvertreterinnen und -vertretern der Kantone Basel-Landschaft23 und Bern24 geführt hatte. Zudem nutzte sie von anderen Subkommissionen der GPK erhobene Informationen, die bestimmte Aspekte der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen beleuchten.25 Die angehörten Personen sind in Anhang 1 aufgeführt. Die GPK-S dankt den betreffenden Personen für ihre konstruktive Zusammenarbeit und für die detaillierte und transparente Beantwortung ihrer Fragen.

Die Subkommission EDI/UVEK richtete zudem schriftliche Fragen an das EDI, das BAG und verschiedene Kantonsvertretungen26. Sie nahm Kenntnis von zahlreichen verwaltungsinternen Dokumenten sowie von den Evaluationen und Berichten, die im Zeitraum der Untersuchung dieses Themas veröffentlicht wurden (siehe Kap. 5). Ferner bezog die Subkommission die Protokolle der drei wichtigsten Krisenorgane des Bundes für die erste Pandemiephase27 sowie die einschlägigen Beschlüsse, Aussprachepapiere und Informationsnotizen des Bundesrates in ihre Analyse mit ein.

Im Sommer 2022 beschloss die Subkommission, die Ergebnisse ihrer Abklärungen und ihre Schlussfolgerungen in einem Bericht darzulegen. Der Berichtsentwurf wurde dem Bundesrat und den Kantonen im Sommer 2023 zur Stellungnahme vorgelegt. Die GPK-S beriet und genehmigte an ihrer Plenarsitzung vom 10. Oktober 2023 die Endfassung des Berichts und liess diesen dem Bundesrat zukommen. An derselben Sitzung beschloss sie zudem, den Bericht zu veröffentlichen.

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Anhörungen vom 29.6.2020, vom 17.8.2020, 21.6.2021 und 23.8.2021.

Aussprachen vom 18.2.2021 (GDK) und vom 26.9.2022 (KdK und GDK).

Anhörungen vom 21.4.2020 (GPK des Nationalrates, im Folgenden GPK-N) und vom 29.4.2020 (GPK-S). Die UVEK-Vorsteherin hatte 2020 das Amt der Bundespräsidentin inne. Im vorliegenden Bericht wird sie als «Bundespräsidentin 2020» erwähnt.

Anhörungen vom 21.4.2020 (GPK-N) und vom 29.4.2020 (GPK-S). Der WBF-Vorsteher hatte 2021 das Amt des Bundespräsidenten inne. Im vorliegenden Bericht wird er alternativ als «WBF-Vorsteher» oder als «Bundespräsident 2021» bezeichnet.

Anhörungen vom 21.4.2020 und vom 28.6.2022 (GPK-N), Anhörungen vom 29.4.2020 und vom 21.10.2022 (GPK-S).

Anhörungen vom 28.6.2022 (GPK-N) und vom 21.10.2022 (GPK-S).

Aussprache vom 25.1.2021 (gemeinsame Sitzung der beiden GPK).

Aussprache vom 24.8.2020 (GPK-S).

Aussprache vom 3.9.2020 (GPK-N).

Zum Beispiel: Anhörung des Generalsekretärs der KdK vom 23.8.2021 durch die Subkommission «Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) / Bundeskanzlei (BK)» der GPK-S.

KdK, GDK, Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte (VKS), Kantonsapothekervereinigung (KAV).

Es handelt sich um folgende Krisenorgane: Covid-19-Taskforce des BAG (Zeitraum vom 23.1.2020 bis zum 6.7.2020), Bundesstab Bevölkerungsschutz (BSTB; Zeitraum vom 24.1.2020 bis zum 6.7.2020) und Krisenstab des Bundesrates Corona (KSBC; Zeitraum vom 25.3.2020 bis zum 18.6.2020).

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Im Folgenden liefert die GPK-S zunächst einen Überblick über die Rechtsgrundlagen und die einschlägigen Vorgaben (Kap. 4) und fasst die wichtigsten Evaluationen zusammen, die bisher zu diesem Thema durchgeführt wurden (Kap. 5). Anschliessend führt die Kommission die Ergebnisse ihrer Untersuchung zur Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in den drei Krisenphasen aus (Kap. 6 und 7), bevor sie ihre Beurteilung aus Sicht der Oberaufsicht vornimmt (Kap. 8). Die Schlussfolgerungen finden sich in Kapitel 9.

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Rechtsgrundlagen und einschlägige Vorgaben für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der Covid-19-Pandemie

Bundesverfassung Die allgemeinen Grundsätze für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen sind in der Bundesverfassung (BV)28 verankert. Gemäss Artikel 5a BV ist bei der Zuweisung und Erfüllung staatlicher Aufgaben der Grundsatz der Subsidiarität zu beachten. Artikel 43a Absatz 1 BV präzisiert, dass der Bund nur diejenigen Aufgaben übernimmt, «welche die Kraft der Kantone übersteigen oder einer einheitlichen Regelung durch den Bund bedürfen». Die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen werden in den Artikeln 44 bis 49 BV näher beschrieben: Diese sehen insbesondere vor, dass Bund und Kantone einander in der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützen und zusammenarbeiten (Art. 44 Abs. 1), die Kantone nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mitwirken (Art. 45 Abs. 1), der Bund Stellungnahmen der Kantone einholt, wenn deren Interessen betroffen sind (Art. 45 Abs. 2), die Kantone das Bundesrecht umsetzen (Art. 46 Abs. 1), der Bund ihnen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit belässt und dabei den kantonalen Besonderheiten Rechnung trägt (Art. 46 Abs. 3). In Artikel 47 wird die Organisationsautonomie der Kantone hervorgehoben. Artikel 48 regelt die interkantonale Zusammenarbeit und sieht insbesondere die Möglichkeit für die Kantone vor, Verträge miteinander zu schliessen und gemeinsame Einrichtungen zu schaffen. In Artikel 49 sind der Vorrang des Bundesrechts vor kantonalem Recht und die Kompetenz des Bundes, über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone zu wachen, verankert.

Rechtsgrundlagen für die Verwaltungsorganisation Das Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz sowie die Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung (RVOG und RVOV)29 legen die allgemeinen Grundsätze für die Zusammenarbeit der Bundesbehörden mit den Kantonen bzw. den Kantonsbehörden fest. Gemäss Artikel 50 RVOG ist der Verkehr mit den kantonalen Regierungen Sache des Bundesrates und der Departementsvorsteher und Departementsvorsteherinnen (Abs. 2) und die Direktoren und Direktorinnen der Gruppen und 28 29

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18.4.1999 (SR 101).

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21.3.1997 (RVOG; SR 172.010); Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25.11.1998 (RVOV; SR 172.010.1).

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Ämter verkehren im Rahmen ihrer Zuständigkeit unmittelbar mit anderen kantonalen Behörden und Amtsstellen (Abs. 3). Artikel 15a RVOV präzisiert, dass das zuständige Departement oder die Bundeskanzlei (BK) die zuständigen kantonalen Organe einbezieht, sofern ein Vorhaben des Bundes wesentliche kantonale oder kommunale Interessen berührt (Abs. 1). Dies ist namentlich dann der Fall, wenn «das Vorhaben ganz oder teilweise durch kantonale oder kommunale Organe umgesetzt werden soll und die Umsetzung [...] erhebliche personelle oder finanzielle Ressourcen beansprucht» (Abs. 2).

Das Vernehmlassungsgesetz und die Vernehmlassungsverordnung (VIG und VIV)30 regeln die Modalitäten der Vernehmlassungen, die vom Bundesrat, einem Departement, der BK, einer Einheit der Bundesverwaltung oder einer parlamentarischen Kommission eröffnet werden (Art. 5 Abs. 1 und 2 VIG). Diese Vernehmlassungen bezwecken insbesondere die Beteiligung der Kantone an der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung des Bundes (Art. 2 VIG). Vernehmlassungsverfahren finden insbesondere zu Gesetzesvorlagen sowie zu Verordnungen und anderen Vorhaben, die von grosser politischer, finanzieller oder sozialer Tragweite sind oder die Kantone in erheblichem Masse betreffen, statt (Art. 3 VIG).

Die Grundlagen der Krisenorganisation des Bundes sind in den Weisungen über das Krisenmanagement in der Bundesverwaltung enthalten, deren aktuelle Fassung vom Bundesrat im Juni 2019 verabschiedet wurde.31 Die Koordination mit den Kantonen wird darin nicht ausdrücklich erwähnt. Es heisst darin lediglich, dass der Ad-hoc-Krisenstab des Bundesrates seine Tätigkeiten mit den anderen im Einsatz stehenden Krisenstäben koordiniert (Ziff. 4.2.1).

Epidemiengesetz und Epidemienverordnung Der Schutz der Gesundheit des Menschen ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Kantonen. Gemäss Artikel 118 Absatz 2 Buchstabe b BV verfügt der Bund über die alleinige Rechtsetzungskompetenz im Bereich der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten wie Covid-19. Das Parlament machte von dieser Kompetenz Gebrauch und erliess das Epidemiengesetz (EpG)32. Dieses Gesetz, das zuletzt 2012 totalrevidiert wurde,33 «soll eine angemessene Erkennung, Überwachung, Verhütung und Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten gewährleisten sowie zu einer verbesserten Bewältigung von Krankheitsausbrüchen mit
grossem Gefährdungspotenzial für die öffentliche Gesundheit beitragen»34. Es legt die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich der Bekämpfung von Epidemien ­ insbesondere von Pande30

31 32 33

34

Bundesgesetz vom 18.3.2005 über das Vernehmlassungsverfahren (Vernehmlassungsgesetz, VIG; SR 172.061); Verordnung vom 17.8.2005 über das Vernehmlassungsverfahren (Vernehmlassungsverordnung, VIV; SR 172.061.1).

Weisungen vom 21.6.2019 über das Krisenmanagement in der Bundesverwaltung (BBl 2019 4593).

Bundesgesetz vom 28.9.2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG; SR 818.101).

Die frühere Fassung des EpG wurde vom Parlament im Jahr 1970 verabschiedet. Das revidierte EpG, gegen welches das Referendum zustande gekommen war, wurde in der Volksabstimmung vom 22.9.2013 mit 60 Prozent Ja-Stimmen angenommen und trat am 1.1.2016 in Kraft.

Botschaft des Bundesrates vom 3.12.2010 zur Revision des Bundesgesetzes über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (BBl 2011 311).

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mien ­ fest.35 Das EpG wird durch die ebenfalls am 1. Januar 2016 in Kraft getretene Epidemienverordnung (EpV)36 konkretisiert.37 Die Führungsrolle des Bundes wurde im Rahmen der Revision des EpG 2012 verstärkt. Es ist somit Aufgabe des Bundesrates, unter Einbezug der Kantone die Ziele und Strategien im Bereich der übertragbaren Krankheiten festzulegen (Art. 4 EpG), während das BAG nationale Programme in diesem Bereich erarbeitet (Art. 5 EpG).

Bund und Kantone sind gehalten, Vorbereitungsmassnahmen zu treffen, um Gefährdungen und Beeinträchtigungen der öffentlichen Gesundheit zu verhüten und frühzeitig zu begrenzen (Art. 8 Abs. 1 EpG); in diesem Zusammenhang kann das BAG die Kantone anweisen, im Hinblick auf eine besondere Gefährdung der öffentlichen Gesundheit bestimmte Massnahmen zu treffen (Art. 8 Abs. 2 EpG). Artikel 2 EpV regelt die Ausarbeitung der Pandemiepläne auf Bundes- und Kantonsebene.

Eine der wichtigsten Neuerungen, die im Rahmen der Totalrevision des EpG 2012 ins Gesetz aufgenommen wurde, ist das sogenannte «dreistufige Modell», wonach die Aufgaben zwischen Bund und Kantonen je nach Epidemiephase38 anders verteilt sind: ­

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In der normalen Lage sind in erster Linie die Kantone für den Vollzug des Gesetzes zuständig. Die Massnahmen, die von den Kantonen angeordnet werden können, sind in den Artikeln 30 bis 38 EpG (Massnahmen gegenüber Einzelpersonen39) und in Artikel 40 EpG (Massnahmen gegenüber der Bevölkerung und bestimmten Personengruppen40) aufgeführt. Die Kompetenzen des Bundes sind beschränkt: Sie betreffen im Wesentlichen den internationalen Personenverkehr und den Warenverkehr41, die Versorgung mit Heilmitteln42,

Das EpG enthält keine ausdrückliche Definition des Begriffs «Pandemie». In Artikel 6 werden folgende Voraussetzungen für die Erklärung der «besonderen Lage» genannt: eine erhöhte Ansteckungs- und Ausbreitungsgefahr; eine besondere Gefährdung der öffentlichen Gesundheit; schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft oder auf andere Lebensbereiche; Feststellung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite besteht und durch diese in der Schweiz eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit droht. Gemäss Botschaft des Bundesrates vom 3.12.2010 spricht man von einer Pandemie, wenn sich eine Epidemie «weltweit ausbreitet» (BBl 2011 311, hier 324).

Verordnung vom 29.4.2015 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemienverordnung, EpV; SR 818.101.1).

Zudem gibt es für die Bewältigung von Epidemien auf internationaler Ebene verschiedene internationale Vorgaben, die im Rahmen der WHO entstanden sind, namentlich die Internationalen Gesundheitsvorschriften vom 23.5.2005 (SR 0.818.103).

Gegenüber der GPK-S präzisierte das EDI, dass das dreistufige Modell im eng ausgelegten Sinne nicht von den Phasen einer Epidemie/Pandemie bestimmt wird, sondern von der Fähigkeit der ordentlichen Vollzugsorgane, die damit verbundenen Herausforderungen mit ihren Mitteln bewältigen zu können.

Insbesondere: Identifizierung und Kontaktnachverfolgung, Quarantäne, Absonderung, ärztliche Behandlung, vollständiges oder teilweises Verbot der Berufsausübung oder bestimmter Tätigkeiten.

Insbesondere: vollständiges oder partielles Verbot von Veranstaltungen, Schliessungen von Schulen, anderen öffentlichen Institutionen und privaten Unternehmen, Verbot oder Einschränkung des Betretens oder Verlassens bestimmter Gebäude und Gebiete sowie bestimmter Aktivitäten.

Art. 41 und 45 EpG, Art. 49 ff. und Art. 65 EpV.

Art. 44 EpG, Art. 60 ff. EpV.

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Früherkennungs- und Überwachungssysteme43, die Information der Öffentlichkeit (u. a. Veröffentlichung von Empfehlungen)44 und den nationalen Impfplan45. Zudem unterstützen die Bundesbehörden die Kantone bei bestimmten Aufgaben wie der Identifizierung internationaler Reisender46 oder epidemiologischen Abklärungen47. Artikel 77 EpG sieht vor, dass der Bund den Vollzug des Gesetzes durch die Kantone beaufsichtigt (Abs. 1) und die Vollzugsmassnahmen der Kantone koordiniert, soweit ein Interesse an einem einheitlichen Vollzug besteht (Abs. 2). Zu diesem Zweck kann er den Kantonen Massnahmen für einen einheitlichen Vollzug des Gesetzes vorschreiben, die Kantone verpflichten, ihn über Vollzugsmassnahmen zu unterrichten, oder den Kantonen Vorgaben für ihre Pandemiepläne machen (Abs. 3).

­

In der besonderen Lage48 hat der Bund weitergehende Interventionsmöglichkeiten. Der Bundesrat kann nach Artikel 6 EpG Massnahmen anordnen, die in normalen Zeiten in die Zuständigkeit der Kantone fallen (siehe oben). Er ist indes gehalten, die Kantone vorgängig zu konsultieren.

­

Zu guter Letzt kann der Bundesrat ­ wenn es eine ausserordentliche Lage erfordert ­ nach Artikel 7 EpG «für das ganze Land oder für einzelne Landesteile die notwendigen Massnahmen anordnen». Artikel 7 EpG sieht keine ausdrückliche Pflicht zur Anhörung der Kantone vor. Die in Artikel 45 BV festgelegten allgemeinen Mitwirkungsrechte der Kantone gelten jedoch auch in einer ausserordentlichen Lage und der Bundesrat ist gehalten, die Kantone sofern möglich zu den geplanten Massnahmen zu konsultieren. Die Massnahmen, welche der Bundesrat ergreifen kann, sind im Gesetz nicht näher bestimmt. Es kann sich um Massnahmen gegenüber Einzelpersonen oder gegenüber der Bevölkerung im Sinne des EpG, aber auch um zusätzliche, notrechtliche49 Massnahmen handeln.

Der Vollzug des EpG bleibt unabhängig von der Lage und mit Ausnahme der Aufgaben, für die ausdrücklich der Bund zuständig ist, Sache der Kantone (Art. 75 EpG).50 In Bezug auf die Organisationsstrukturen sieht Artikel 54 EpG die Schaffung eines Koordinationsorgans (KOr EpG) vor, das sich aus Vertreterinnen und Vertretern von

43 44 45 46 47 48 49

50

Art. 11 und Art. 60 EpG, Art. 3 und Art. 89 ff. EpV.

Art. 9 EpG.

Art. 20 EpG, Art. 32 ff. EpV.

Art. 31 Abs. 2 EpG.

Art. 15 EpG, Art. 16 und 17 EpV.

Die Voraussetzungen für die Erklärung der besonderen Lage sind in Art. 6 Abs. 1 EpG aufgeführt.

Diesbezüglich sieht Art. 185 Abs. 3 BV Folgendes vor: «Der Bundesrat kann [...]

Verordnungen und Verfügungen erlassen, um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit zu begegnen. Solche Verordnungen sind zu befristen.» Die Anwendungsmodalitäten sind in den Art. 7d und 7e RVOG geregelt.

Botschaft des Bundesrates vom 3.12.2010 zur Revision des Bundesgesetzes über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (BBl 2011 311, hier 337).

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Bund und Kantonen zusammensetzt.51 Die Aufgabe dieses Koordinationsorgans ist es, Massnahmen zur Vorbereitung auf Situationen, von denen eine besondere Gefährdung der öffentlichen Gesundheit ausgeht, sowie Erkennungs-, Verhütungs- und Bekämpfungsmassnahmen zu koordinieren; einen einheitlichen Vollzug zu fördern; die Information und Kommunikation zu koordinieren und das Einsatzorgan des Bundes bei der Bewältigung von besonderen oder ausserordentlichen Lagen zu unterstützen.

Die Funktionsweise dieses Gremiums ist in den Artikeln 80 ff. EpV detailliert geregelt. Die Verordnung hält unter anderem fest, dass dieses Gremium vom BAG geleitet wird und die «zuständigen Organe von Bund und Kantonen bei der Umsetzung von Massnahmen, insbesondere bei der Bewältigung von besonderen oder ausserordentlichen Lagen [unterstützt]».

Zudem verfügt der Bundesrat gemäss Artikel 55 EpG über ein Einsatzorgan für Ereignisse, die eine besondere Gefährdung der öffentlichen Gesundheit hervorrufen können, namentlich zur Bewältigung einer besonderen oder ausserordentlichen Lage.

Dieses berät den Bundesrat und unterstützt Bund und Kantone bei der Koordination der Massnahmen.

Verordnung über den Bundesstab Bevölkerungsschutz Die Rolle des Einsatzorgans im Sinne von Artikel 55 EpG (siehe oben) übernimmt im Pandemiefall der Bundesstab Bevölkerungsschutz (BSTB), welcher ­ in dieser Situation ­ der Leitung des BAG untersteht. Die Aufgaben und die Funktionsweise dieses Stabs sind in einer 2018 erlassenen Verordnung (VBSTB)52 festgelegt. Diese regelt insbesondere «die Koordination und die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen sowie Dritten» zur Vorsorge und Bewältigung von bevölkerungsschutzrelevanten Ereignissen von nationaler Tragweite (Abs. 1). Laut Verordnung ist der BSTB namentlich dafür zuständig, den Informationsaustausch und die Koordination mit weiteren Stäben und Stellen des Bundes und der Kantone sicherzustellen, einen Gesamtüberblick über die Lage zu geben und den Einsatz der nationalen und internationalen Ressourcen zu koordinieren (Art. 4 Abs. 2). Die VBSTB sieht vor, dass die Kantone in den einzelnen Organen des BSTB, namentlich in der Direktorenkonferenz53 51

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Das KOr EpG setzt sich gemäss Art. 82 EpV zusammen aus zwei Vertreterinnen oder Vertretern des BAG, sechs Kantonsärztinnen oder Kantonsärzten, zwei Vertreterinnen oder Vertretern des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), der Oberfeldärztin oder dem Oberfeldarzt, einer Vertreterin oder einem Vertreter des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz (BABS), je einer Kantonschemikerin oder einem Kantonschemiker, einer Kantonsapothekerin oder einem Kantonsapotheker und einer Kantonstierärztin oder einem Kantonstierarzt, einer Vertreterin oder einem Vertreter der GDK und bei Bedarf und fallweise aus Fachleuten und je einer Vertreterin oder einem Vertreter weiterer betroffener Institutionen. Siehe auch: Koordinationsorgan Epidemiengesetz (KOr EpG), www.bag.admin.ch/de > BAG > Organisation > Ausserparlamentarische Kommissionen (Stand 19.1.2023).

Verordnung vom 2.3.2018 über den Bundesstab Bevölkerungsschutz (VBSTB; SR 520.17). Diese Verordnung löste die Verordnung vom 20.10.2010 über die Organisation von Einsätzen bei ABC- und Naturereignissen ab (ABCN-Einsatzverordnung; AS 2010 5395).

In der Direktorenkonferenz vertreten sind: die Chefinnen und Chefs der kantonalen Führungsorganisationen oder deren Stabschefinnen und Stabschefs sowie die Generalsekretärinnen und Generalsekretäre der kantonalen Regierungskonferenzen. Hinzugezogen werden können zudem Vertreterinnen und Vertreter der vom Ereignis betroffenen Kantone.

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(Art. 7), vertreten sind. Zu den ständigen Mitgliedern des BSTB, die in Anhang 1 der Verordnung aufgeführt sind, gehören auch mehrere Vertretungen der Kantone54.

Influenza-Pandemieplan Der Influenza-Pandemieplan (im Folgenden: Pandemieplan)55, der gestützt auf Artikel 8 EpG und Artikel 2 EpV erarbeitet wurde, beschreibt die Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung des Gesundheitssystems auf eine Grippepandemie (Influenza) und soll als Grundlage für die Erarbeitung von Einsatz- und Notfallplänen auf kantonaler, regionaler und lokaler Ebene dienen. Dieses Dokument wird vom BAG und von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP)56 verfasst und genehmigt; zahlreiche Akteure aus der Verwaltung, den Kantonsbehörden und aus dem Gesundheitswesen waren an der Ausarbeitung beteiligt.57 Der Pandemieplan legt die Aufgaben von Bund und Kantonen bei der Bewältigung einer Influenza-Pandemie fest. Er übernimmt verschiedene Grundsätze aus dem übergeordneten Recht, namentlich die Vorgabe, dass die Kantone in allen Lagen für den Vollzug der Massnahmen verantwortlich sind. In Kapitel 3.2 («Führung, Koordination und Steuerung») werden die Rollen des BAG und anderer Stellen wie des BSTB, des Koordinierten Sanitätsdienstes (KSD), aber auch des KOr EpG, der GDK und der Kantone präzisiert. Laut Pandemieplan sind die Kantonsärztinnen und Kantonsärzte ­ in Zusammenarbeit mit dem BAG ­ für die Koordination der medizinischen Massnahmen zur Bewältigung der Pandemie zuständig.58 Im Pandemieplan heisst es zudem, dass die GDK als Plattform dient, «auf der grundsätzliche Fragen mit dem Bund und anderen Akteuren auf nationaler Ebene abgestimmt werden können». Im Pandemieplan wird zudem festgehalten, dass keine klar definierten Prozesse für die interkantonale Zusammenarbeit existieren oder sich diese noch im Entwicklungsstadium befinden und dass die Voraussetzungen für die interkantonale Zusammenarbeit des54

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Konferenz der Kantonsregierungen, Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren, Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr, Konferenz der Kantonalen Energiedirektorinnen und -direktoren, Konferenz der Kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren sowie vier kantonale Führungsorganisationen.

Influenza-Pandemieplan Schweiz. Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung auf eine Influenza-Pandemie. 5. Auflage, Januar 2018.

Die EKP berät die Bundesverwaltung in der Vorbereitung auf Pandemien, die durch Influenza-Viren oder andere Arten respiratorischer Viren verursacht werden. Die Mitglieder der EKP (bis zu 15 Personen) sind Fachleute aus den Bereichen Epidemiologie, Naturwissenschaften, Medizin, Kommunikation und aus anderen Fachgebieten; zudem gibt es permanente Vertretungen anderer Behörden.

Konkret liegt die Projektverantwortung «Pandemieplan» beim Leiter der Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit des BAG sowie bei der Präsidentin der EKP. Die Projektbegleitung erfolgt durch die EKP sowie durch verschiedene Bundesstellen. Beratend wirken zahlreiche weitere Akteure an der Ausarbeitung des Plans mit, darunter die Kantonsärztinnen und -ärzte, die Kantonsapothekerinnen und -apotheker, mehrere Bundesämter und Bundeseinheiten sowie verschiedene Akteure aus dem Gesundheitsbereich und aus den Kantonen (mehr hierzu siehe Impressum des InfluenzaPandemieplans 2018, S. 128).

Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht machten die GDK, die VKS und die KAV die folgenden Präzisierungen: «Es ist diesbezüglich festzuhalten, dass den Kantonsärztinnen und Kantonsärzten keine übergeordnete Koordination zukommt, sondern sie diese Aufgabe gemäss Pandemieplan in ihrem Kanton wahrnehmen sollen».

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halb durch eine verstärkte Koordination auf Bundesebene sowie durch entsprechende Dienstleistungen des Bundes geschaffen werden müssen.

In Bezug auf das KOr EpG sind im Pandemieplan die folgenden Präzisierungen enthalten: «Das KOr EpG ermöglicht primär Absprachen zur erleichterten Entscheidvorbereitung. Ihm kommt keine politische Entscheid- oder Vollzugskompetenz zu. Diese verbleibt bei den zuständigen Organen in Bund und Kantonen. Das KOr EpG ist kein Krisenorgan und kein Führungsstab. In besonderen Lagen, in denen der [BSTB] zum Einsatz kommt, unterstützt das KOr EpG im Rahmen seiner Aufgaben die Krisenbewältigung.» Die folgende Grafik aus dem Pandemieplan gibt einen Überblick über die wichtigsten Aufgaben (A) und Kompetenzen (K) der Organe von Bund und Kantonen bei der Grippepandemiebewältigung.

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Aufgaben und Kompetenzen bei der Pandemiebewältigung

Pandemieplan 2018: Auszug aus Abb. I.3.1, S. 19

Covid-19-Verordnungen, Covid-19-Gesetz, Weisungen des BAG Während der Covid-19-Pandemie wurden die Rechtsgrundlagen für den Umgang mit Epidemien durch mehrere Verordnungen des Bundesrates ergänzt, welche sich auf die jeweiligen Aufgaben von Bund und Kantonen bei der Bewältigung der Pandemie auswirkten und mehrmals geändert wurden. In diesem Zusammenhang können namentlich die Verordnungen 1, 2 und 3 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavi-

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rus59 und die Covid-19-Verordnung besondere Lage60 genannt werden, die sich auf die Artikel 6 und 7 EpG stützten.

Am 25. September 2020 verabschiedeten die eidgenössischen Räte das Covid-19-Gesetz61. Mit diesem befristeten dringlichen Gesetz62 sollte ein Teil der notrechtlichen Verordnungen des Bundesrates vom Frühjahr 2020 auf Gesetzesstufe gehoben werden. Dieses Gesetz, das seither mehrmals geändert wurde und gegen das dreimal das Referendum zustande kam, hatte in mehreren Bereichen Auswirkungen auf die jeweiligen Aufgaben von Bund und Kantonen, u. a. auf die Meldung des Bestands an medizinischen Gütern (Art. 3 Abs. 1), die Kapazitätsreserven des Gesundheitssystems (Art. 3 Abs. 4bis), das Contact-Tracing und das Pandemie-Monitoring (Art. 3 Abs. 7 und Art. 3b), die Massnahmen betreffend Publikumsanlässe (Art. 11a) und verschiedene Massnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft (Kulturbereich, Härtefälle für Unternehmen, Einrichtungen für familienergänzende Betreuung). Ab Herbst 2020 stützte sich insbesondere die Covid-19-Verordnung 3 auf die Bestimmungen des Covid-19-Gesetzes; ebenso beispielsweise die Covid-19-Verordnung Publikumsanlässe63 oder die Covid-19-Verordnung Zertifikate64, die im Jahr 2021 erlassen wurden.

In der Pandemie machte das BAG zudem wiederholt Gebrauch von seiner Kompetenz, Weisungen zuhanden der Kantone zu erlassen. Diese Weisungen bezogen sich beispielsweise auf die Erhebung von Daten zu Tests65 und Impfungen66 oder den Zugang zu Zertifikaten67.

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Verordnung vom 28.2.2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (SR 818.101.24), die am 13.3.2020 durch die Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19-Verordnung 2; SR 818.101.24) ersetzt wurde, welche wiederum durch die Verordnung 3 vom 19.6.2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19-Verordnung 3; SR 818.101.24, derzeit in Kraft) abgelöst wurde.

Verordnung vom 19.6.2020 über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Verordung besondere Lage; SR 818.101.26), die später durch die Fassungen vom 23.6.2021 und vom 16.2.2022 ersetzt und am 1.4.2022 schliesslich aufgehoben wurde.

Bundesgesetz vom 25.9.2020 über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; SR 818.102).

Im Sinne von Art. 165 Abs. 1 BV.

Verordnung vom 26.5.2021 über Massnahmen für Publikumsanlässe von überkantonaler Bedeutung im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie (Covid-19-Verordnung Publikumsanlässe; SR 818.101.28).

Verordnung vom 4.6.2021 über Zertifikate zum Nachweis einer Covid-19-Impfung, einer Covid-19-Genesung oder eines Covid-19-Testergebnisses (Covid-19-Verordnung Zertifikate; SR 818.102.2).

Weisung des BAG an die Kantone vom 31.3.2022 betreffend Datenerhebung der gezielten und repetitiven Testung.

Weisung des BAG an die Kantone vom 21.10.2021 betreffend die Erhebung und Übermittlung der Monitoringdaten zu Covid-19-Impfungen durch die Kantone an das BAG.

Weisung des BAG an die Kantone vom 15.10.2021 betreffend den Zugang zu in der Schweiz ausgestellen Covid-Zertifikaten für Personen, die im Ausland geimpft oder genesen sind.

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Evaluationen über die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der Covid-19-Pandemie

Die GPK-S bezog in ihre Analyse die Ergebnisse mehrerer seit 2020 veröffentlichter Evaluationen, welche sich mit der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der Pandemie befassen, mit ein. Die wichtigsten Evaluationen sind im Folgenden aufgeführt.

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Die BK erstellte im Auftrag des Bundesrates zwei Berichte zur Auswertung des Krisenmanagements der Bundesverwaltung. Der erste Bericht, der im Dezember 2020 veröffentlicht wurde, bezieht sich auf die erste Krisenphase (von Februar bis August 2020)68. Ein Kapitel ist der «Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen» (Kap. 2.4) gewidmet. Im Bericht werden hierzu vier Maximen und eine Empfehlung zuhanden des Bundesrates formuliert. Der Bundesrat nahm diese an und beauftragte die BK sowie das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) damit, sie umzusetzen. Der zweite Bericht (Juni 2022) befasst sich mit der zweiten Krisenphase (von August 2020 bis Oktober 2021)69. Er umfasst u. a. ein Kapitel zur «Zusammenarbeit im föderalen System Schweiz» (Kap. 2.2), welches auch eine Empfehlung zuhanden des Bundesrates enthält.

­

Die KdK veröffentlichte zwei Berichte zur Auswertung des Krisenmanagements aus Sicht der Kantone: zunächst einen Zwischenbericht im Dezember 202070, der verschiedene Feststellungen zur Zusammenarbeit mit den Bundesbehörden und zum Föderalismus enthält, und im April 2022 einen Schlussbericht71, der fünfzehn Empfehlungen zuhanden der Bundesbehörden und der Kantone umfasst. Der Bundesrat nahm im Oktober 2022 Stellung zu den Empfehlungen der KdK.

­

Im Frühjahr 2020 beauftragte das BAG zwei externen Evaluationsbüros sowie verschiedene Universitäten und Fachleute mit einer umfassenden Evaluation der Pandemieplanung sowie der Zweckmässigkeit und der Wirksamkeit der gesundheitlichen Massnahmen im Rahmen von Covid-19. Der Evaluationsbericht72, welcher den Zeitraum bis Sommer 2021 abdeckt, wurde Ende April BK: Bericht zur Auswertung des Krisenmanagements in der ersten Phase der Covid-19Pandemie (1. Phase / Februar bis August 2020) vom 11.12.2020 (im Folgenden: Bericht der BK vom 11.12.2020).

BK: Bericht zur Auswertung des Krisenmanagements der Bundesverwaltung in der zweiten Phase der Covid-19-Pandemie (2. Phase / August 2020 bis Oktober 2021) vom 22.6.2022 (im Folgenden: Bericht der BK vom 22.6.2022).

KdK: Covid-19-Pandemie: Das Krisenmanagement in der ersten Welle aus Sicht der Kantone, Zwischenbericht der Konferenz der Kantonsregierungen vom 18.12.2020 (im Folgenden: Bericht der KdK vom 18.12.2020).

KdK: Zusammenarbeit von Bund und Kantonen in der Covid-19-Epidemie: Schlussfolgerungen und Empfehlungen, Schlussbericht der KdK vom 29.4.2022 (im Folgenden: Bericht der KdK vom 29.4.2022).

Balthasar, Andreas / Essig, Stefan / von Stokar, Thomas / Vettori, Anna / von Dach, Andrea / Trageser, Judith / Trein, Philipp / Rubinelli, Sara / Zenger, Christoph / Perrotta, Maria / Weiss, Günter (2022): Evaluation der Krisenbewältigung Covid-19 bis Sommer 2021. Schlussbericht zuhanden des Bundesamts für Gesundheit, Fachstelle Evaluation und Forschung (E+F), Luzern, Zürich, Bern (im Folgenden: Bericht von Interface und Infras vom Februar 2022).

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2022 veröffentlicht. Er umfasst verschiedene Erwägungen zur Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen sowie fünf Empfehlungen zuhanden des Bundesamtes.

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Im Sommer 2019 beauftragte das BAG ein externes Evaluationsbüro mit einer Analyse des Vollzugs des EpG in elf Bereichen. Der entsprechende Bericht73 wurde im August 2020 veröffentlicht; die erste Welle der Covid-19-Pandemie konnte so teilweise in den Schlussfolgerungen dieser Evaluation berücksichtigt werden, auch wenn diese keine spezifische Analyse dieses Ereignisses darstellte. Der Bericht umfasst 32 Empfehlungen, von denen sich mehrere auf die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen beziehen.

Die relevanten Aspekte aus diesen Arbeiten werden in den Kapiteln 6 und 7, die sich mit den einzelnen Pandemiephasen befassen, ausführlich dargelegt.

6

Präsentation des Sachverhalts

Dieses Kapitel enthält einen Überblick über die wichtigsten Strukturen für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der Pandemie (Kap. 6.1). Anschliessend wird beschrieben, wie diese Zusammenarbeit in den drei Pandemiephasen in der Praxis umgesetzt wurde (Kap. 6.2).

6.1

Strukturen für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der Covid-19-Pandemie74

Kontakte auf Ebene Bundesrat In der Pandemie fanden verschiedene Treffen zwischen Bundesratsdelegationen und Kantonsvertretungen statt.75 Die Bundespräsidentin 2020 bemühte sich ihrer Aussage nach in den ersten Wochen der Pandemie im Jahr 2020, enge Kontakte zu den Kantonsregierungen zu pflegen, namentlich zum Staatsrat des Tessins, um Lösungen zu finden, die der jeweiligen epidemiologischen Lage in den verschiedenen Schweizer Regionen Rechnung tragen.76 Des Weiteren trafen sich im Dezember 2020 die Bundespräsidentin und der Vorsteher

73

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76

Wüest-Rudin, David / Müller, Peter / Haldemann, Katrin (2020): Situationsanalyse Epidemiengesetz. Bericht im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit. Bern: bolz+partner consulting ag (im Folgenden: Bericht von bolz+partner vom August 2020).

Die GPK-S stützt sich für dieses Kapitel insbesondere auf eine Übersicht des EDI (siehe Anhang 3).

So fand am 23. März 2020 in Bern ein Treffen einer Bundesratsdelegation mit allen Präsidentinnen und Präsidenten der Kantonsregierungen statt. Nach Kenntnis der GPK-S gab es jedoch kein Treffen des Gesamtbundesrates mit Vertreterinnen und Vertretern der Kantone. Die KdK schreibt in ihrem Bericht vom Dezember 2020, dass der Bundesrat vor der Ankündigung wichtiger Entscheide die Präsidentinnen und Präsidenten der Kantonsregierungen und der interkantonalen Konferenzen zu Treffen einlud (Bericht der KdK vom 18.12.2020, Ziff. 3.2).

Anhörungen vom 21.4.2020 (GPK-N) und vom 29.4.2020 (GPK-S).

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des EDI mit Vertreterinnen und Vertretern mehrerer Kantone, in denen die epidemiologische Lage besonders besorgniserregend war.

Darüber hinaus kamen Bundesratsdelegationen und Kantonsvertretungen mehrfach zu thematischen Gipfeltreffen zusammen. Vorliegend thematisch relevant ist insbesondere ein Impfgipfel im März 2021.

Kontakte auf Ebene Vorsteher und Generalsekretariat des EDI Zusätzlich zu den Kontakten auf Bundesratsebene tauschten sich während der Pandemie die Vorsteherinnen und Vorsteher aller Departemente mit den Kantonsregierungen und den zuständigen kantonalen Fachkonferenzen über Themen ihres Zuständigkeitsbereichs aus.77 Die GPK-S hat sich bei ihren Arbeiten auf die Kontakte des EDIVorstehers konzentriert. Aus den vom EDI erhaltenen Informationen geht hervor, dass diese Kontakte auf verschiedenen Ebenen erfolgten:

77

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Kontakt zur Präsidentin bzw. zum Präsidenten der GDK: Ein erstes Gespräch des EDI-Vorstehers mit der damaligen GDK-Präsidentin Heidi Hanselmann fand am 24. Februar 2020 statt, danach gab es einen regelmässigen Austausch. Dieser enge Kontakt setzte sich mit dem neuen GDK-Präsidenten Lukas Engelberger (ab 1. Juni 2020) fort.

­

Kontakt zur GDK: Einen institutionalisierten Austausch zwischen dem EDI und der GDK gab es bereits vor der Pandemie im Rahmen des Dialogs «Nationale Gesundheitspolitik» (NGP). In der Pandemie fanden verschiedene Treffen im Rahmen dieser Plattform78 sowie mit dem strategischen Ausschuss NGP79 statt. Ab August 2020 trafen sich der EDI-Vorsteher und die GDK monatlich. Zwischen August 2020 und März 2021 spielte die GDK eine zentrale Rolle bei der Koordination der Konsultationen zu den Pandemiebekämpfungsmassnahmen des Bundes. Die Kontakte zwischen dem EDI und der GDK wurden im Oktober 2020 in einem gemeinsamen Strategiedokument präzisiert.80 Im Übrigen gab es auch zahlreiche Kontakte zwischen dem Generalsekretariat des EDI (GS-EDI) und dem Generalsekretariat der GDK. Ab Sommer 2020 leitete der Generalsekretär des EDI die wöchentliche Sitzung des Steuerungsausschusses Covid-19, an welcher zusätzlich zu den Generalsekretärinnen und -sekretäre der sieben Departemente namentlich der Generalsekretär der GDK teilnahm. Dieses Organ diente laut EDI insbesondere der frühzeitigen Diskussion von Bundesratsgeschäften und dem frühzeitigen Erkennen von Abstimmungsbedarf vor anstehenden Entscheidungen.

­

Kontakte zu Präsidentinnen und Präsidenten oder sonstigen Vertreterinnen und Vertretern anderer kantonaler Fachkonferenzen: Der EDI-Vorsteher So teilte z. B. der Vorsteher des WBF der GPK-S im April 2020 mit, dass er Kontakt zur Konferenz der kantonalen Volkswirtschaftsdirektorinnen und Volkswirtschafsdirektoren (VDK), aber auch zu Vertreterinnen und Vertretern der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK) sowie zur GDK hatte.

Alle Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren.

Nur Vorstand der GDK.

GDK und EDI: Covid-19-Bewältigung: Strategische Grundlagen der GDK und des EDI-BAG. Grundsätze ­ Massnahmen ­ Zusammenarbeit, gemeinsames Dokument vom 22.10.2020.

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führte auch Gespräche mit Präsidentinnen und Präsidenten anderer kantonaler Fachkonferenzen wie der Konferenz der kantonalen Volkswirtschaftsdirektoren (VDK), der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK) und der KdK sowie mit Vorstandsmitgliedern dieser Konferenzen.81 ­

Besuche in den Kantonen: Zwischen März 2020 und Juni 2021 tätigte der EDI-Vorsteher 25 Kantonsbesuche, in deren Rahmen er sich mit den jeweiligen Kantonsregierungen austauschte. Der erste Besuch war jener im Tessin am 19. März 2020.

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Bilaterale Kontakte mit einzelnen Mitgliedern von Kantonsregierungen: Laut EDI gab es zahlreiche Ad-hoc-Telefonate des EDI-Vorstehers mit Mitgliedern von Kantonsregierungen.82 Kontakte gab es auch zwischen dem GS-EDI und Kantonsvertreterinnen und ­vertretern.83 Gemäss Angaben des EDI erliess der Departementsvorsteher eine Weisung, dass «Kontaktaufnahmen durch Regierungsrätinnen und -räte wenn immer möglich noch am selben Tag zu beantworten sind und sie einen privilegierten Zugang zum Stab des Departementsvorstehers haben müssen».

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Teilnahme des EDI an den Sitzungen der Krisenstäbe: Das EDI war durch seinen Generalsekretär oder andere Mitarbeitende des GS-EDI in den Krisenstäben BSTB und Krisenstab des Bundesrates Corona (KSBC) vertreten, an deren Sitzungen auch Vertretungen der Kantone teilnahmen.

Kontakte auf Ebene BAG Ab dem 23. Januar 2020 wurde die bereits bestehende Struktur der Telefonkonferenzen zwischen dem BAG und den Kantonsärztinnen und -ärzten um zusätzliche Telefonkonferenzen zum Thema Covid-19 ergänzt. Diese Konferenzen fanden während der gesamten Pandemie statt.84 Am selben Tag wurde die Taskforce BAG Covid-19 ins Leben gerufen. Dieses Gremium war der Krisenstab des Bundesamtes und spielte eine zentrale Rolle im Krisenmanagement des Bundes.85 Es kam nach kürzester Zeit zwei- und dann dreimal die Woche zu Sitzungen zusammen. Die Kantone waren an den Sitzungen dieser 81 82 83 84

85

Das Departement erwähnte z. B. ein Treffen vom 16.3.2020 mit Vertreterinnen und Vertretern von rund einem Dutzend Fachkonferenzen.

Das EDI führte als Beispiel an, dass der Departementsvorsteher an einem einzigen Tag mehr als zehn Telefongespräche mit demselben Regierungspräsidenten geführt hat.

Namentlich der Generalsekretär und der persönliche Mitarbeiter des Departementsvorstehers.

Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht machten die GDK, die VKS und die KAV die folgenden Präzisierungen: «Die seit der pandemischen Grippe von 2009 bestehende Struktur der regelmässigen, zweimonatlichen bis monatlichen Telefonkonferenzen zwischen BAG und den Kantonsärztinnen und -ärzten wurde ausgebaut, indem während der akuten Phase der Pandemie wöchentlich zwei Telefonkonferenzen zum Thema Covid-19 stattfanden. Im Verlaufe der zweiten Phase fand sie wöchentlich und nun als Videokonferenz statt, gegen Ende der dritten Phase wurde sie schliesslich auf einen 14-Tage-Rhythmus angepasst».

Zur Organisation und die Funktionsweise der Taskforce BAG Covid-19 siehe Krisenorganisation des Bundes für den Umgang mit der Covid-19-Pandemie (Januar bis Juni 2020), Bericht der GPK vom 17.5.2022, Ziff. 6 (BBl 2022 1801, S. 19).

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Taskforce nicht vertreten, allerdings gab es laut BAG je nach Thema intensiven Kontakt zu den Kantonsbehörden oder zur GDK auf der Ebene der Arbeitsgruppen der Taskforce.86 Die Protokolle dieses Gremiums zeigen, dass verschiedene Themen behandelt wurden, die direkt oder indirekt die Kantone betrafen.

Nach der Rückkehr zur besonderen Lage im Juni 2020 wurde die Krisenorganisation des Bundes verändert. Ab August 2020 war die Taskforce BAG Covid-19 der Führung einer Steuerungsgruppe unterstellt, die vom BAG-Direktor präsidiert wurde und den Auftrag hatte, die Koordination unter anderem mit den kantonalen Konferenzen sicherzustellen. Die GDK war in dieser Gruppe vertreten. Die BAG-Taskforce hatte den Auftrag, die operative Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Kantonen, namentlich in Sachen Lagebeurteilung, Umsetzung der Massnahmen und deren Kontrolle, sicherzustellen und die Koordination der Massnahmen zwischen den Kantonen zu unterstützen.

Laut BAG gab es zahlreiche weitere Kontakte mit den Kantonen. Zu nennen sind hier insbesondere die direkten Kontakte der Amtsleitung zu Mitgliedern der Kantonsregierungen, der regelmässige Austausch des Bundesamtes mit der GDK87, die Konsultationen der Kantone zu den Verordnungsentwürfen und den Beschlüssen des Bundesrates, die Kontakte zu den Kantonsärztinnen und -ärzten sowie den Kantonsapothekerinnen und -apothekern und mehrere Ad-hoc-Sitzungen und -Arbeitsgruppen (z. B. im Zusammenhang mit der Durchführung der Impfkampagne).

BSTB Die Direktorenkonferenz des BSTB kam zwischen dem 24. Januar und dem 24. Februar 2020 zu drei Informationssitzungen zusammen, bevor das Gremium am 2. März 2020 formell eingesetzt und der Leitung des BAG unterstellt wurde. Es wurde entschieden, zusätzlich zu den in der entsprechenden Verordnung vorgesehenen ständigen Vertreterinnen und Vertretern der Kantone (siehe Kap. 4) auch die Konferenz der kantonalen Polizeikommandantinnen und Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS) in den Stab aufzunehmen. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden auch die Führungsstäbe der 26 Kantone zu den Sitzungen eingeladen.

Der BSTB hatte keine eigentlichen Entscheidkompetenzen und machte nicht von seinem Recht Gebrauch, Anträge an den Bundesrat zu richten.88 Er diente in der Krise hauptsächlich der Koordination und dem Informationsaustausch. Behandelt
wurden vor allem operative Aspekte der Verwaltungseinheiten des Bundes. Bestimmte spezifische Elemente der Situation in den Kantonen wurden aber ebenfalls thematisiert.

Nach der Rückkehr zur besonderen Lage im Sommer 2020 hatte der BSTB vor allem eine koordinative Funktion.

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Zum Beispiel Arbeitsgruppen «Massnahmen» und «Versorgung mit Arzneimitteln».

Im August 2020 sagte der damalige BAG-Direktor, dass er wöchentlich mit dem Generalsekretär der GDK telefonierte und als Gast an den monatlichen Sitzungen der GDK teilnahm.

Zur Organisation und Funktionsweise des BSTB siehe Krisenorganisation des Bundes für den Umgang mit der Covid-19-Pandemie (Januar bis Juni 2020), Bericht der GPK vom 17.5.2022, Ziff. 7 (BBl 2022 1801, S. 65).

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KSBC Der KSBC wurde vom Bundesrat Ende März 2020 nach der Erklärung der ausserordentlichen Lage als Ad-hoc-Krisenstab eingesetzt. Dem vom ehemaligen EDIGeneralsekretär geleiteten Stab gehörte eine Vertreterin oder ein Vertreter jedes Departements und der BK an. Die Kantone waren durch den Generalsekretär der KdK vertreten. Der KSBC kam bis Mitte Juni 2020 einmal pro Woche zu einer Sitzung zusammen.89 Er hatte gemäss den Weisungen des Bundesrates über das Krisenmanagement in der Bundesverwaltung90 insbesondere die Aufgabe, für den Bundesrat die Lage zu verfolgen und zu beurteilen, das Krisenmanagement zu koordinieren und zu steuern sowie seine Tätigkeit mit jener der anderen Krisenstäbe zu koordinieren.

Letztlich diente dieses Gremium jedoch vor allem dem Informationsaustausch. Im KSBC ging es weniger um Themen, welche die Kantone direkt betrafen. Sein grösster Mehrwert bestand darin, dass über ihn Vertreterinnen und Vertretern aus der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft in die Krisenorganisation des Bundes einbezogen wurden.91 Koordinationsorgan EpG (KOr EpG) Dieses in Artikel 54 EpG vorgesehene Gremium, das die Koordination zwischen den Kantonen und dem Bund im Bereich der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten sicherstellen soll, setzt sich aus rund 15 Vertreterinnen und Vertretern des Bundes und der Kantone zusammen (siehe Kap. 4). Laut BAG traf sich das KOr EpG vor der Covid-19-Pandemie zwei- bis viermal jährlich, ein Rhythmus, der auch zwischen 2020 und 2022 beibehalten wurde. Dieses Gremium diente in der Pandemie nicht als Pandemiestab oder Vollzugsorgan, sondern übernahm lediglich punktuelle koordinative Aufgaben.

6.2

Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der Covid-19-Pandemie

Die GPK-S beschreibt im Folgenden, wie Bund und Kantone in den drei Pandemiephasen konkret zusammenarbeiteten.92 In den grauen Kästen werden für die einzelnen Pandemiephasen die wichtigsten reglementarischen Massnahmen des Bundes aufgeführt, die sich auf die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen auswirkten.

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Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Berichtsentwurf machte das EDI geltend, dass «der KSBC zu Beginn bis zu dreimal pro Woche [tagte], so dass der Einbezug der Kantone über den Generalsekretär der KDK früh und durchaus umfassend war».

Weisungen des Bundesrates vom 21.6.2019 über das Krisenmanagement in der Bundesverwaltung, Ziff. 4.2.1.

Zur Organisation und Funktionsweise des KSBC siehe Krisenorganisation des Bundes für den Umgang mit der Covid-19-Pandemie (Januar bis Juni 2020), Bericht der GPK vom 17.5.2022, Ziff. 8 (BBl 2022 1801, S. 79).

Die Beschreibung stützt sich dabei auf die Anhörungen der GPK, die Protokolle der wichtigsten Krisenorgane (für den Zeitraum von Ende Januar bis Anfang Juli 2020), die wichtigsten Aussprachepapiere und Informationsnotizen zuhanden des Bundesrates (nicht veröffentlicht), die wichtigsten Beschlüsse des Bundesrates sowie auf verschiedene öffentliche Berichte und Dokumente.

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Die GPK-S hält diese detaillierte Chronologie in verschiedener Hinsicht für gerechtfertigt. Für die Kommission ist es wichtig, bei ihrer Analyse der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen die Komplexität der Covid-19-Krise und den Kontext der einzelnen Pandemiephasen zu berücksichtigen. Keine der bisher veröffentlichten Evaluationen enthält eine vollständige Chronologie der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen für den Zeitraum zwischen Anfang 2020 und Ende 2022. Die GPK sind aufgrund ihrer weitreichenden Informationsrechte das einzige Organ, das in der Lage ist, eine solche umfassende Chronologie zu erstellen.

6.2.1

Erste Pandemiephase (Januar bis Juni 2020)

Januar bis Ende Februar 2020: wichtigste Massnahmen des Bundes Der Bundesrat trifft bis zum 28. Februar 2020 keinen spezifischen Beschluss über die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen.

Am 23. Januar 2020 führt das BAG eine Telefonkonferenz zum neuen Coronavirus mit den Kantonsärztinnen und -ärzten ein, die während der ganzen Pandemie beibehalten wird93. Gleichentags wird die erste Sitzung der Taskforce BAG Covid-19 abgehalten. Die Kantone sind in dieser Taskforce nicht vertreten.

Das EDI informiert in seinen ersten Informationsnotizen über Covid-1994 zuhanden des Bundesrates über die Gesundheitslage in den Kantonen. Der Austausch zwischen den Bundes- und den Kantonsbehörden betrifft zunächst die Einführung eines Verfahrens zur Rückverfolgung der Verdachtsfälle und zum Umgang mit diesen95 sowie verschiedene Grossveranstaltungen, die in den nachfolgenden Wochen stattfinden sollen96. Das BAG übermittelt den Kantonen, Spitälern und der Ärzteschaft verschiedene Empfehlungen und Musterdokumente.

Der Bund macht ab Februar 2020 von seiner im EpG verankerten Informations- und Empfehlungskompetenz Gebrauch und führt eine schweizweite Sensibilisierungskampagne zu Hygienemassnahmen97 durch.

Der Austausch mit den Kantonen wird aufgrund der verschlechterten Lage in Italien um den 24. und 25. Februar 2020 deutlich intensiver. Am 24. Februar führt der Vorsteher des EDI ein erstes Gespräch mit der damaligen GDK-Präsidentin. Am folgenden Tag wird im Tessin der erste Fall bestätigt.

93 94 95 96 97

Diese Telefonkonferenz findet zweimal pro Woche statt.

Informationsnotizen des EDI vom 28.1.2020, vom 11.2.2020 und vom 18.2.2020 zuhanden des Bundesrates.

Das Centre national de référence pour les infections virales émergentes (CRIVE) der Universitätsspitäler Genf spielt hierbei eine wichtige Rolle.

Namentlich: Uhrenmesse Baselworld, Genfer Autosalon, Globaler Ministergipfel zur Patientensicherheit in Montreux, usw.

Namentlich: Neues Coronavirus: «So schützen wir uns»: BAG lanciert Informationskampagne für die Bevölkerung, Medienmitteilung des BAG vom 27.2.2020.

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Am 28. Februar 2020 wird aufgrund der Warnungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Entwicklung der Lage in Italien eine ausserordentliche Bundesratssitzung einberufen. Laut dem ehemaligen Generalsekretär des EDI wird dem Bundesrat damals innerhalb weniger Stunden bewusst, dass aufgrund der von verschiedenen Kantonen geäusserten Unsicherheit rasch schweizweite Massnahmen zu Grossveranstaltungen getroffen werden müssen.98 Aus den Informationen der GPK-S geht hervor, dass das EDI und das BAG vor diesem Entscheid eine informelle Konsultation der Kantone durchführten und in diesem Rahmen mehrere Kantone den Wunsch nach einer schweizweiten Regelung äusserten.99 Der Vorsteher des EDI betonte gegenüber der Kommission, dass der Bundesrat innert kürzester Frist reagieren musste. Er habe keine kritischen Rückmeldungen der Kantone zu diesem Beschluss erhalten. Diese seien eher dankbar gewesen, nicht selbst ein Verbot anordnen zu müssen.100 Ende Februar bis Mitte März 2020: wichtigste Massnahmen des Bundes Am 28. Februar 2020 erklärt der Bundesrat die besondere Lage im Sinne von Artikel 6 EpG.101 Auf dieser Grundlage kann er Massnahmen gegenüber einzelnen Personen oder der Bevölkerung anordnen. Er verabschiedet die Covid-19-Verordnung102, mit welcher Veranstaltungen von mehr als 1000 Personen verboten werden. Die Verordnung präzisiert, dass die Kantone für den Vollzug und dessen Kontrolle zuständig sind (Art. 3 und 4).

Am 13. März 2020 verabschiedet der Bundesrat die Covid-19-Verordnung 2 und beschliesst mehrere zusätzliche Massnahmen zur Pandemiebekämpfung, die sich auf die Kantone auswirken103. Diese dürfen in bestimmten Fällen Ausnahmen von den Vorgaben bewilligen (Art. 7). Die Artikel 8 und 9 sehen vor, dass die Kantone für den Vollzug und dessen Kontrolle zuständig sind. Gemäss Artikel 10 der Verordnung sind die Kantone zudem verpflichtet, bestimmte Daten zu melden.104 Am 2. März 2020 wird der BSTB offiziell eingesetzt; er steht unter der Leitung des BAG und umfasst verschiedene Kantonsvertretungen.105

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Anhörung vom 29.4.2020 (GPK-S). Im Hinblick auf die Sitzung vom 28.2.2020 erstellt das BAG auf der Grundlage der von den Kantonen übermittelten Informationen eine Liste der potenziell betroffenen Veranstaltungen.

Laut dem EDI übermittelte die GDK ihre Rückmeldung zum Verordnungsentwurf am 27.2.2020. Das Departement räumte indes ein, dass es sich bei diesem Einbezug der Kantone um keine «formelle» Konsultation gemäss Vernehmlassungsgesetzgebung handelte.

Anhörung vom 21.4.2020 (GPK-N).

Coronavirus: Bundesrat verbietet grosse Veranstaltungen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 28.2.2020.

Verordnung vom 28.2.2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (SR 818.101.24).

Namentlich: Verbot von Veranstaltungen mit mehr als 100 Personen; Einschränkungen für Restaurants, Bars und Diskotheken, Schulschliessungen. Siehe Bundesrat verschärft Massnahmen gegen das Coronavirus zum Schutz der Gesundheit und unterstützt betroffene Branchen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 13.3.2020.

Die Liste der meldepflichtigen Daten wird in den folgenden Wochen ergänzt.

Der BSTB hat zwischen Ende Januar 2020 und diesem Zeitpunkt bereits drei informelle Sitzungen abgehalten, siehe Kap. 6.1.

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Nach dem Beschluss vom 28. Februar 2020 definiert das BAG in Zusammenarbeit mit den Kantonen einheitliche Vollzugskriterien für Veranstaltungen mit bis zu 1000 Personen, um einer sehr heterogenen Umsetzung entgegenzuwirken. Diese Kriterien werden am 4. März an einer Sitzung mit der GDK verabschiedet.106 Am 5. März wird im Kanton Waadt der erste Covid-19-Todesfall gemeldet.107 Am 6. März 2020 beschliesst der Bundesrat, den Kantonen bei Bedarf den Assistenzdienst der Armee mit 800 Armeeangehörigen zur Verfügung zu stellen, namentlich um die zivilen Spitaleinrichtungen zu unterstützen.108 Dieser Beschluss geht auf ein Ersuchen des Kantons Tessin zurück, das von der GDK unterstützt wird.109 In der ersten Märzhälfte ergreifen die Kantone in ihrem Zuständigkeitsbereich verschiedene Massnahmen zur Pandemiebekämpfung (z. B. Isolation, Quarantäne, Contact-Tracing, Reduzierung der Besuche in Altersheimen). Die strengsten Massnahmen trifft der Kanton Tessin.110 Die Kantone stossen beim Contact-Tracing rasch an ihre Grenzen. Beim Informationssystem für Meldungen von übertragbaren Krankheiten werden Defizite festgestellt und die von den Kantonen gelieferten Daten sind oft unvollständig oder von unzureichender Qualität. Laut EDI fehlen ebenfalls Daten zur Auslastung von Spitalbetten, weshalb der Bundesrat am 13. März eine Bestimmung zur Meldepflicht in die Covid19-Verordnung aufnimmt. Zudem wird ziemlich schnell entschieden, auf die Meldung negativer Fälle zu verzichten und sich auf die bestätigten Fälle und im Weiteren auf die klinischen Fälle mit den schwersten Verläufen zu beschränken.

Am 11. März führt der Bundesrat zu den Pandemiebekämpfungsmassnahmen, die er an seiner Sitzung vom 13. März 2020 beschliessen will, via die GDK eine kurze Konsultation der Kantone durch. Die Stellungnahmen der Kantone, die ihm in nicht konsolidierter Form eingereicht werden, fallen insgesamt zustimmend aus. Am 12. März tauscht sich der Vorsteher des EDI in dieser Sache mit dem GDK-Vorstand aus.

Der Beschluss vom 13. März 2020 über die Schliessung der Schulen wird nach mehrmaligem Austausch mit den Kantonen gefällt. Laut den Vorstehern von WBF und EDI hatte der Bundesrat anfänglich keine solche Schliessungen geplant.111 Angesichts der

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Neues Coronavirus: Kriterien für den Vollzug des Veranstaltungsverbots, Medienmitteilung der GDK vom 5.3.2020. Laut GDK kommt es an dieser Sitzung auch zu einem Austausch zwischen dem EDI und der GDK über die besondere Lage.

Gleichentags organisiert das WBF einen runden Tisch zu den wirtschaftlichen Folgen der Krise, an dem auch mehrere Kantonsvertretungen teilnehmen.

Coronavirus: Verstärkter Schutz besonders gefährdeter Personen und Evaluation der wirtschaftlichen Auswirkungen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 6.3.2020.

Schreiben des Kantons Tessin vom 4.3.2020 an das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), Schreiben der GDK vom 5.3.2020 an das EDI.

Namentlich: Schliessung von Freizeitbetrieben, Besuchsverbot in Spitälern und Altersheimen und Verbot von Veranstaltungen mit mehr als 150 Personen. Am 12. März rufen die Tessiner Behörden den Notstand aus.

Anhörungen vom 21.4.2020 (GPK-N), vom 29.4.2020 (GPK-S), vom 28.6.2022 (GPK-N) und vom 21.10.2022 (GPK-S). Aus den Informationen der GPK-S geht hervor, dass das BAG und die EDK ab dem 4.3.2020 eine allfällige Schulschliessung diskutiert haben.

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sehr unterschiedlichen Reaktionen der Kantone112 und der Schulschliessungen in den Nachbarländern sah der Bundesrat ­ so der EDI-Vorsteher ­ allerdings keine andere Möglichkeit, als Verantwortung zu übernehmen und eine generelle Schulschliessung zu beschliessen, um ein «Chaos» zu vermeiden.113 In ihrer Medienmitteilung vom 13. März begrüsst die GDK die Entscheide des Bundesrates.114 Angesichts der unterschiedlichen Auslegung der Massnahmen zur Pandemiebekämpfung vom 13. März 2020 interveniert das BAG bei den Kantonen, um bestimmte Punkte zu präzisieren (insbesondere in Bezug auf die Öffnung der Skigebiete).115 In Anbetracht der steigenden Fallzahlen informiert der Bundesrat die Kantone darüber, dass er an seiner Sitzung vom 16. März 2020 die ausserordentliche Lage im Sinne von Artikel 7 EpG zu erklären gedenkt.116 Gemäss dem Vorsteher des EDI und dem Vorsteher des WBF unterstützen die Kantone diesen Beschluss, der es ermöglicht, in der ganzen Schweiz einheitliche Massnahmen anzuordnen.117 Mitte März bis Anfang April 2020: wichtigste Massnahmen des Bundes Am 16. März 2020 erklärt der Bundesrat die ausserordentliche Lage im Sinne von Artikel 7 EpG und beschliesst eine Reihe zusätzlicher Massnahmen zur Pandemiebekämpfung118. Laut Covid-19-Verordnung 2 können die Kantone «Spitäler und Kliniken verpflichten, ihre Kapazitäten im stationären Bereich zur Verfügung zu stellen» und müssen die «Gesundheitseinrichtungen [...] medizinisch nicht dringend angezeigte Behandlungen und Eingriffe einstellen» (Art. 10a). Die Möglichkeit kantonaler Abweichungen von den Massnahmen zur Pandemiebekämpfung (Art. 7) wird beibehalten. Die Verordnung präzisiert zudem, dass die Kantone ihre Zuständigkeiten behalten, sofern nichts anderes bestimmt ist (Art. 1a).

Am 20. März 2020 werden die Massnahmen zur Pandemiebekämpfung erneut verschärft.119 112

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«In den Kantonen herrschte plötzlich eine grosse Unsicherheit; ein Drittel hat die Schulen geschlossen, ein Drittel war auf dem Weg dazu, ein Drittel sah davon ab. Wo die Kantone davon absahen, haben dann aber die Gemeinden begonnen, die Schulen zu schliessen.

Und wo sie es nicht taten, hat die Hälfte der Eltern die Kinder nicht mehr zur Schule geschickt.» (Vorsteher des EDI).

Anhörungen vom 28.6.2022 (GPK-N) und vom 21.10.2022 (GPK-S).

Neues Coronavirus: Kantonale Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren stehen hinter dem Entscheid des Bundesrates, Medienmitteilung der GDK vom 13.3.2020.

Massnahmen gegen das Coronavirus: Verbot gilt auch für Skigebiete, Medienmitteilung des BAG vom 14.3.2020.

Laut GDK findet der entsprechende Informationsaustausch in erster Linie zwischen dem Vorsteher des EDI, der Bundespräsidentin 2020 und der GDK-Führung statt.

Anhörung vom 29.4.2020 (GPK-S).

Namentlich: Verbot aller öffentlichen und privaten Veranstaltungen, Schliessung von nicht wesentlichen Geschäften sowie von Restaurants, Bars, Unterhaltungs- und Freizeitbetrieben, Einführung von Grenzkontrollen. Siehe Coronavirus: Bundesrat erklärt die «ausserordentliche Lage» und verschärft die Massnahmen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 16.3.2020.

Namentlich: Verbot von Ansammlungen mit mehr als fünf Personen sowie Präventionsmassnahmen im Baugewerbe und in der Industrie. Siehe Coronavirus: Bundesrat verbietet Ansammlungen von mehr als fünf Personen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 20.3.2020.

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Nach der Verabschiedung eines Dekrets durch den Kanton Tessin, das über die Massnahmen des Bundes hinausgeht,120 beschliesst der Bundesrat am 27. März eine Ausnahmeklausel, die rückwirkend in Kraft tritt und es den Kantonen gestattet, in gewissen Wirtschaftsbranchen unter bestimmten Voraussetzungen befristet zusätzliche Massnahmen anzuordnen (Art. 7e der Covid-19-Verordnung 2).121 Gleichentags beschliesst er, die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes (ArG)122 über die Arbeits- und die Ruhezeit in bestimmten Spitalabteilungen (Art. 10a Abs. 5) auszusetzen.

Am 3. April 2020 beschliesst der Bundesrat, dem Bund zusätzliche Kompetenzen bei der Versorgung mit wichtigen medizinischen Gütern zu übertragen und die Kantone mittels eines zentralisierten Managements in diesem Bereich zu unterstützen (Art. 4d­4o der Covid-19-Verordnung 2).123 Laut dem Vorsteher des EDI leitet der Bundesrat die Arbeiten zur Aufhebung der ausserordentlichen Lage am selben Tag ein, an dem er diese erklärt.124 Die Abklärungen der GPK-S zeigen, dass diese Frage vom BAG und von der KdK ab Ende März diskutiert und in den Krisenorganen des Bundes punktuell thematisiert wird.

In den ersten Tagen der ausserordentlichen Lage widmet sich der BSTB in erster Linie der Versorgung mit medizinischen Gütern und den Unterstützungsleistungen der Armee für die Kantone. Auch die Probleme bei der Übermittlung der kantonalen Daten sowie die Betreuung von Patientinnen und Patienten aus dem Ausland durch gewisse Kantone werden besprochen. Die Taskforce BAG Covid-19 wiederum befasst sich wiederholt mit den Problemen bei der Meldung der Fallzahlen durch die Kantone und bei der Digitalisierung der Meldesysteme.

Auf nationaler Ebene werden gewisse zusätzliche Massnahmen zur Pandemiebekämpfung wie das Besuchsverbot in Altersheimen und Spitälern125 in Betracht gezogen, vom Bundesrat aber letztlich nicht beschlossen.

Am 20. März 2020 beschliesst der Bundesrat, einen Ad-hoc-Krisenstab zu bilden, in welchem auch die Kantone vertreten sind (KSBC, siehe Kap. 6.1). Dieser nimmt seine Tätigkeit am 25. März auf. Das EDI erklärt, dass dieses Organ unter anderem den Kantonen dazu dienen soll, sich mittels der KdK über die vom Bund geplanten Massnahmen auf dem Laufenden zu halten.

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Dieses bezieht sich in erster Linie auf die Schliessung von Unternehmen und Baustellen.

Coronavirus: Kantone können in Ausnahmefällen kurzzeitig zusätzliche Massnahmen beantragen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 27.3.2020. Nur der Kanton Tessin macht von dieser Klausel Gebrauch, die der Bundesrat bis am 3.5.2020 mehrmals verlängert.

Bundesgesetz vom 13.3.1964 über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG; SR 822.11).

Coronavirus: Bundesrat regelt Versorgung mit wichtigen medizinischen Gütern, Medienmitteilung des Bundesrates vom 3.4.2020.

Anhörung vom 21.10.2022 (GPK-S).

Diese Massnahme wird in einem Antrag des EDI vom 17.3.2020 zuhanden des Bundesrates genannt.

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Am 16. März hebt der Bundesrat die Obergrenze für den Assistenzdienst der Armee auf 8000 Armeeangehörige an. Er beschliesst am 27. März, zur Unterstützung der Kantone ein Zivilschutzkontingent zur Verfügung zu stellen.

Anfang April bis Mitte Juni 2020: wichtigste Massnahmen des Bundes Am 8. April 2020 gibt der Bundesrat seine Absicht bekannt, ab Ende April die Massnahmen etappenweise zu lockern.126 Am 16. April 2020 kündigt er für den 27. April die ersten Lockerungen an.127 Gleichzeitig wird das Verbot nicht dringender medizinischer Eingriffe aufgehoben.128 Am 29. April 2020 werden für den 11. Mai weitere Lockerungen angekündigt.129 Am 20. Mai beschliesst der Bundesrat, die Bestimmungen des ArG auch wieder im Spitalbereich anzuwenden. Er verabschiedet zudem die Botschaft zur Änderung des EpG mit einem Entwurf einer gesetzlichen Grundlage für eine ProximityTracing-App.130 Am 27. Mai kündigt er für den 6. Juni weitere Lockerungen131 an und gibt seinen Entscheid bekannt, die ausserordentliche Lage am 19. Juni zu beenden.

Ab Anfang April 2020 wird das Thema der Lockerungen regelmässig in den verschiedenen Krisenorganen diskutiert. Die ersten diesbezüglichen Kontakte mit den Kantonen finden zum selben Zeitpunkt statt. Am 8. April beauftragt der Bundesrat das EDI offiziell, die Kantonsbehörden zu diesem Thema anzuhören.132 Am 15. April 2020 findet eine Koordinationssitzung des EDI und der Vertretungen von sieben kantonalen Direktorenkonferenzen statt. Der Departementsvorsteher in126 127

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Coronavirus: Bundesrat verlängert Massnahmen um eine Woche und beschliesst etappenweise Lockerung, Medienmitteilung des Bundesrates vom 8.4.20200.

Namentlich: Wiederaufnahme sämtlicher medizinischer Tätigkeiten sowie des Betriebs von Coiffeurstudios, Baumärkten und Gärtnereien, Lockerung der Regeln für Beerdigungen. Siehe Bundesrat lockert schrittweise Massnahmen zum Schutz vor dem neuen Coronavirus, Medienmitteilung vom 16.4.20200.

Von nun an heisst es in Artikel 10a der Covid-19-Verordnung 2: «Die Kantone stellen sicher, dass in Spitälern und Kliniken im stationären Bereich [...] ausreichende Kapazitäten [...] zur Verfügung stehen.» Sie können diese Einrichtungen jedoch verpflichten «ihre Kapazitäten [...] zur Verfügung zu stellen oder auf Abruf bereitzuhalten und medizinisch nicht dringend angezeigte Untersuchungen und Behandlungen zu beschränken oder einzustellen».

Namentlich: Wiederöffnung von Läden, Restaurants, Märkten und Museen sowie Primarund Sekundarschulen; partielle Wiederaufnahme des Unterrichts an Gymnasien und Hochschulen, Wiederaufnahme von Sporttrainings. Siehe Coronavirus: Bundesrat lockert weitere Massnahmen ab dem 11. Mai 2020, Medienmitteilung des Bundesrates vom 29.4.2020.

Coronavirus: Gottesdienste wieder möglich, gesetzliche Grundlage für SwissCovid-App, Medienmitteilung des Bundesrates vom 20.5.2020.

Namentlich: Zulässigkeit von Veranstaltungen mit bis zu 300 Personen und von spontanen Versammlungen mit bis zu 30 Personen, Wiederöffnung von Freizeit- und Unterhaltungsbetrieben sowie von Hochschulen. Siehe Coronavirus: Bundesrat beschliesst weitgehende Lockerungen per 6. Juni, Medienmitteilung des Bundesrates vom 27.5.2020.

Das EDI weist in einem Aussprachepapier vom 7.4.2020 darauf hin, wie wichtig es ist, für ein koordiniertes Vorgehen auf nationaler Ebene zu sorgen und das Fachwissen der Kantone zu berücksichtigen.

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formiert die Kantone über die geplanten Lockerungsschritte und die Kriterien für die Lockerungen. Die Kantonsvertretungen wiederum teilen ihre Erwartungen in Bezug auf verschiedene Aspekte mit.133 Das EDI kommt zum Schluss, dass die Kantone die gestaffelte Lockerung mit dem vorgeschlagenen Zeitplan unterstützen.134 Die Kantone werden zu den Beschlüssen des Bundesrates über die Lockerungsschritte (16. April, 29. April, 27. Mai) nicht systematisch konsultiert, sondern vielmehr punktuell kontaktiert. So geht der Beschluss vom 16. April 2020, den Kantonen auch weiterhin die Möglichkeit einzuräumen, bestimmte nicht dringende medizinische Eingriffe zu verbieten (siehe Fussnote 128), auf ein Ersuchen der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte an das BAG zurück.135 Für den Beschluss vom 29. April 2020, das Verbot grosser Veranstaltungen zu verlängern, wird bei den Kantonen eine kurze Umfrage zu den für den Sommer geplanten Veranstaltungen durchgeführt. Die Schutzkonzepte für die Wiederöffnung der Schulen werden in Zusammenarbeit mit der EDK ausgearbeitet. Im Hinblick auf die Beschlüsse vom 27. Mai führt das BAG bei den Kantonen Umfragen zu verschiedenen Massnahmen (z. B. politische Versammlungen, Demonstrationen, Unterstützungsmassnahmen für Zoos und botanische Gärten) durchund führt mit ihnen entsprechende Diskussionen. Am Abend des 26. Mai 2020 findet ein Treffen des Vorstehers des EDI mit den Präsidentinnen und Präsidenten der kantonalen Konferenzen statt.

Neben den Lockerungen steht zwischen Mitte April und Mitte Mai die Umsetzung der Containment-Massnahmen in den Kantonen (Teststrategie, Contact-Tracing, Isolations- und Quarantänemassnahmen) im Vordergrund des Austauschs zwischen Bund und Kantonen.136 Am 16. April beauftragt der Bundesrat das EDI, gemeinsam mit den Kantonen Konzepte für die Containment-Phase zu entwickeln, und weist das BAG an, ein Monitoring der Pandemie auf Kantonsebene aufzubauen (durchgeführte Tests, bestätigte Fälle, Todesfälle).

Eine der Herausforderungen zu diesem Zeitpunkt besteht darin, in den Kantonen die notwendigen Kapazitäten für die Wiederaufnahme des Contact-Tracing aufzubauen.137 Am 21. April weist das BAG die Kantonsärztinnen und Kantonsärzte sowie die GDK darauf hin, wie wichtig eine Planung der notwendigen Ressourcen ist. Am 133

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Namentlich: Wiederaufnahme stationärer Behandlungen in den Spitälern, Erarbeitung von Schutzkonzepten, frühe Wiederöffnung bestimmter Betriebe. Sie äussern zudem den Wunsch, eng in die Ausarbeitung des Vollzugs einbezogen und rechtzeitig über Lockerungsmassnahmen informiert zu werden.

Aussprachepapier des EDI vom 15.4.2020 zuhanden des Bundesrates («Weiteres Vorgehen bei der Bekämpfung der COVID-19-Epidemie in der Schweiz: Umsetzung der Transitionsstrategie und Vorschlag zur Lockerung der Massnahmen»).

Aussprachepapier des EDI vom 15.4.2020 zuhanden des Bundesrates («Weiteres Vorgehen bei der Bekämpfung der COVID-19-Epidemie in der Schweiz: Umsetzung der Transitionsstrategie und Vorschlag zur Lockerung der Massnahmen»).

Als Containment-Massnahmen werden die Massnahmen bezeichnet, mit denen die Verbreitung des Covid-19-Virus eingedämmt werden sollte (z. B. Schulschliessungen, Contact-Tracing, Isolierungs- und Quarantänemassnahmen, aber auch Informationskampagnen usw.). Diese Massnahmen wurden von den Kantonen entsprechend ihrer politischen Autonomie unterschiedlich umgesetzt.

Aussprachepapier des EDI vom 28.4.2020 zuhanden des Bundesrates («Weiteres Vorgehen bei der Bekämpfung der Covid-19-Epidemie in der Schweiz: Containmentphase und nationales Monitoring»).

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29. April kündigt der Bundesrat an, dass «ab dem 11. Mai in allen Kantonen die flächendeckende Rückverfolgung von Neuinfektionen wieder aufgenommen werden [soll]»138. In der Taskforce BAG Covid-19 wird ab Ende April die Möglichkeit thematisiert, dass der Bund beim Contact-Tracing technische Unterstützung leistet. Im Mai arbeitet das BAG an der Entwicklung einer Proximity-Tracing-App.139 Das BAG erlässt zuhanden der Kantone Weisungen und Empfehlungen zum Contact-Tracing.

Diese Aspekte werden wiederholt auch im KSBC diskutiert.

Ab Mai werden in den Gesprächen mit den Kantonen die Rückkehr zur besonderen Lage und der Umgang mit einer allfälligen zweiten Welle thematisiert.140 In zwei Informationsnotizen vom 7. Mai zuhanden des Bundesrates wird darauf hingewiesen, welch wichtige Rolle den Kantonen bei der Bewältigung eines allfälligen Wiederanstiegs der Fallzahlen zukommt, weshalb sie eng in die nächsten Schritte einzubeziehen sind.141 Das EDI gibt bekannt, dass es ein Monitoring des Vollzugs der Lockerungsmassnahmen durch die Kantone aufzubauen gedenkt.142 Verschiedene Kantone fordern zu dieser Zeit ausdrücklich den Ausstieg aus der ausserordentlichen Lage und begründen diese Forderung damit, dass sie die Verantwortung für die Krisenbewältigung wieder übernehmen möchten.

Im KSBC wird die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen in der besonderen Lage insbesondere an einem Workshop am 20. Mai 2020 thematisiert, dem auch der Generalsekretär der GDK beiwohnt. Dieser zeigt sich zuversichtlich, dass die Kantone die Containment-Massnahmen umsetzen können. Die Teilnehmenden heben hervor, wie wichtig es ist, Schwellenwerte für Massnahmen zur Pandemiebekämpfung festzulegen und einen engen Dialog zwischen Bund und Kantonen zu fördern.

Am 26. Mai 2020143 legt das EDI dem Bundesrat eine erste Rechtsanalyse der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen im Hinblick auf die Rückkehr zur besonderen Lage vor. Am 4. Juni informiert das Departement den Bundesrat über den

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Coronavirus: Bundesrat lockert weitere Massnahmen ab dem 11. Mai 2020, Medienmitteilung des Bundesrates vom 29.4.2020.

Das Pilotprojekt wird am 13.5.2020 lanciert und die Botschaft über die Änderung des EpG wird vom Bundesrat am 20.5.2020 verabschiedet.

Der Bundesrat beauftragt das EDI und das EJPD am 29.4.2020, Möglichkeiten für den Ausstieg aus der ausserordentlichen Lage zu prüfen.

Informationsnotiz des EDI vom 7.5.2020 zuhanden des Bundesrates («Möglicher Wiederanstieg der Fallzahlen von Covid-19 während der Transition [Lockerungsphase]»), Informationsnotiz des EDI vom 7.5.2020 zuhanden des Bundesrates («État-major de crise du Conseil fédéral corona: bilan intermédiaire et perspectives»).

Die ersten Ergebnisse dieses Monitorings wurden der GPK-S im August 2020 präsentiert.

Aussprachepapier des EDI vom 26.5.2020 zuhanden des Bundesrates («Ausstieg aus der ausserordentlichen Lage gemäss Artikel 7 Epidemiengesetz»).

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Umsetzungsstand des Contact-Tracings in den Kantonen und hält fest, dass es immer noch schwierig ist, sich einen Überblick zu verschaffen.144 Am 1. Juni übernimmt Lukas Engelberger die Präsidentschaft der GDK als Nachfolger von Heidi Hanselmann.145 Zur gleichen Zeit arbeitet das Sekretariat der GDK in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte der Schweiz (VKS) den Entwurf des Dokuments «Abfederung im Falle eines Wiederanstiegs von Covid-19» (auch «Rebound Papier I» genannt) aus. Die Taskforce BAG Covid 19 wird darüber am 11. Juni unterrichtet. Das Dokument wird am 25. Juni dem Vorstand der GDK unterbreitet.146 Es dient als Grundlage für das gemeinsame Strategiedokument des EDI und der GDK, das Ende Oktober 2020 verabschiedet wird (siehe unten).

6.2.2

Zweite Pandemiephase (Juni 2020 bis Mai 2021)

Mitte Juni bis Anfang Juli 2020: wichtigste Massnahmen des Bundes Am 19. Juni 2020 beschliesst der Bundesrat die Rückkehr zur besonderen Lage.

Die Covid-19-Verordnung 2 wird durch die Covid-19-Verordnung 3 und die Covid-19-Verordnung besondere Lage147 ersetzt. In den beiden Verordnungen ist festgehalten, dass die Kantone ihre Zuständigkeiten behalten, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Die meisten Massnahmen zur Pandemiebekämpfung werden aufgehoben148 ­ mit Ausnahme des Verbots von Grossanlässen, der Pflicht zur Erarbeitung und Umsetzung von Schutzkonzepten in sämtlichen öffentlich zugänglichen Einrichtungen und an Veranstaltungen sowie der Pflicht zur Erhebung von Kontaktdaten in bestimmten Konstellationen ­ und die Hauptzuständigkeit für allfällige Massnahmen zur Pandemiebekämpfung liegt (wieder) bei den Kantonen. Die Möglichkeit kantonaler Ausnahmen zu den Massnahmen des Bundes wird beibehalten (Art. 7 Covid-19-Verordnung besondere Lage). Die Kantone sind berechtigt, bei lokal erhöhten Fallzahlen strengere Massnahmen zu ergreifen (Art. 8 Covid-19-

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Informationsnotiz des EDI vom 4.6.2020 zuhanden des Bundesrates («Aktueller Umsetzungsstand des Contact-Tracing (CT) in den Kantonen und im Fürstentum Liechtenstein»). Das EDI hält fest, dass die Kantone der Aufforderung, das Contact-Tracing sicherzustellen, nachgekommen sind und zu diesem Zweck zusätzliche Ressourcen bereitgestellt haben, es aber immer noch schwierig ist, sich einen Überblick über die Praxis in diesem Bereich zu verschaffen. Das Departement weist darauf hin, dass nicht alle Kantone die gleichen Informatiksysteme für das Contact-Tracing verwenden. Es teilt mit, dass das BAG Gespräche im Hinblick auf die zentralisierte Beschaffung eines Programms führt, das bereits von der Mehrheit der Kantone genutzt wird (SORMAS, siehe Kap. 7.3.3).

Lukas Engelmann wurde am 14.5.2020 zum GDK-Präsidenten gewählt.

Nach Kenntnis der GPK-S wurde dieses Dokument nicht veröffentlicht.

Verordnung vom 19.6.2020 über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Verordnung besondere Lage; SR 818.101.26).

Coronavirus: Weitgehende Normalisierung und vereinfachte Grundregeln zum Schutz der Bevölkerung, Medienmitteilung des Bundesrates vom 19.6.2020.

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Verordnung besondere Lage). Sie sind zudem gehalten, dem Bund verschiedene Informationen über die Spitalkapazitäten und die medizinischen Güter zu melden.

Am 2. Juli 2020 beschliesst der Bundesrat angesichts erhöhter Fallzahlen, dass ab dem 6. Juli 2020 in der gesamten Schweiz in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Maskenpflicht gilt.149 Ebenfalls am 2. Juli erlässt der Bundesrat die Covid-19Verordnung Massnahmen im Bereich des internationalen Personenverkehrs,150 um zu verhindern, dass das Coronavirus Sars-CoV-2 sich grenzüberschreitend ausbreitet (Quarantänepflicht).

Am 19. Juni 2020 befasst sich der Bundesrat mit der Vorbereitung auf eine allfällige zweite Welle. In seiner Medienmitteilung heisst es, dass «die Hauptverantwortung bei einem Wiederanstieg der Covid-19-Fälle bei den Kantonen» liegen soll und «Kantone, die eine Zunahme der Fallzahlen feststellen», diese «mit geeigneten Massnahmen bewältigen» sollen.151 Er beauftragt das EDI und das Bundesamt für Justiz (BJ), bis Ende Juni 2020 die genaue Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen in der besonderen Lage abzuklären.152 Das EDI erhält zudem den Auftrag, bis Ende Juli die verschiedenen möglichen Massnahmen zur Pandemiebekämpfung für eine zweite Welle zu konkretisieren. Den Departementen werden im Hinblick auf einen Wiederanstieg der Fallzahlen verschiedene weitere Aufträge erteilt.153 In einem Aussprachepapier über die nächsten Lockerungsschritte unterstreicht das EDI, wie wichtig es ist, dass die Kantone das Contact-Tracing sicherstellen können.154 Am selben Tag veröffentlicht das BAG ein Dokument mit dem Titel «Vorbereitung und Bewältigung des Wiederanstiegs der COVID-19-Fälle in der Schweiz»155, das insbesondere 149

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Coronavirus: Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr, Quarantäne für Einreisende aus Risikogebieten, Aufhebung gewisser Einreisebeschränkungen ab dem 20. Juli, Medienmitteilung des Bundesrates vom 1.7.2020. Der Bundesrat fasste diesen Beschluss an seiner Sitzung vom 1.7.2020, die entsprechende Verordnungsänderung ist gemäss Amtlicher Sammlung jedoch auf den 2.7.2020 datiert.

Verordnung vom 2.7.2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) im Bereich des internationalen Personenverkehrs (Covid-19-Verordnung Massnahmen im Bereich des internationalen Personenverkehrs; SR 818.101.27).

Coronavirus: Weitgehende Normalisierung und vereinfachte Grundregeln zum Schutz der Bevölkerung, Medienmitteilung des Bundesrates vom 19.6.2020.

In einem Aussprachepapier («Vorbereitung und Bewältigung eines Wiederanstiegs der Covid-19-Fälle in der Schweiz»), die dem Bundesrat am 18.6.2020 unterbreitet wird, präsentiert das EDI die verschiedenen möglichen Massnahmen bei einem Wiederanstieg der Covid-19-Fälle (Basismassnahmen, kantonale Massnahmen, nationale Massnahmen).

Es hält fest, dass die Hauptverantwortung für das Ergreifen von Massnahmen in der besonderen Lage bei den Kantonen liegt und dem Bund hauptsächlich eine unterstützende Rolle zukommt. Es verweist aber auch darauf, dass der Bund stets die Möglichkeit hat, nach Anhörung der Kantone Massnahmen zu ergreifen (gemäss den Art. 31­38 und Art. 40 EpG).

Zu den wirtschaftlichen Aspekten, den Informationssystemen und dem Contact-Tracing, der Versorgung mit medizinischen Gütern, der Nutzung der Intensivpflegeeinrichtungen oder der Unterstützung durch den Zivilschutz.

Aussprachepapier des EDI vom 18.6.2020 zuhanden des Bundesrates («Eckwerte für weitere Lockerungsschritte: Versammlungen und Veranstaltungen, Distanzregelung, Baustellen»).

BAG: Vorbereitung und Bewältigung des Wiederanstiegs der COVID-19-Fälle in der Schweiz, Dokument vom 19.6.2020.

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eine Liste der Basismassnahmen enthält, die von den Kantonen ergriffen werden können, sowie zusätzliche Massnahmen zur Risikominderung auf kantonaler und regionaler Ebene. Das Dokument präzisiert, dass die Kantone für den Erlass und die Umsetzung dieser Massnahmen zuständig sind und dass der Bund, «solange es der epidemiologische Verlauf der COVID-19-Epidemie erlaubt» nur noch subsidiär tätig werden soll.

Zudem wird gleichentags der KSBC aufgelöst und die Krisenorganisation neu aufgestellt, mit der Taskforce Covid-19 BAG im Zentrum. Die Kantone sind über die Taskforce-Arbeitsgruppen und den BSTB in die neue Struktur einbezogen. Die allgemeine Koordination zwischen Bund und Kantonen liegt beim EDI.

In der zweiten Junihälfte ist in den Sitzungsprotokollen der BAG-Taskforce von Problemen bei der Weiterleitung der kantonalen Contact-Tracing-Daten und von mangelnder Disziplin bei der Weiterleitung gewisser Daten über die epidemiologische Lage die Rede.

Am 29. Juni 2020 wird bei einem Treffen des EDI-Vorstehers mit den Kantonen über die Zusammenarbeit in der besonderen Lage diskutiert. In der Medienmitteilung des EDI heisst es, dass «die Hauptverantwortung für die Verhinderung und Bekämpfung eines Wiederanstiegs der Covid-19-Fälle bei den Kantonen» liegt und dass «Kantone, die eine Zunahme der Fallzahlen feststellen, [...] lokale Ausbrüche mit geeigneten Massnahmen und gegebenenfalls in Absprache mit anderen Kantonen bewältigen» sollen.156 Im Weiteren wird präzisiert, dass der Bund die Kantone in ihrer Arbeit unterstützt und eine Koordinationsfunktion einnimmt und der Bundesrat nach wie vor die Möglichkeit hat, nach Anhörung der Kantone Massnahmen zu ergreifen. Ferner werden regelmässige Treffen des EDI mit der GDK, der KdK und der VKS angekündigt.

Am 30. Juni 2020 präsentiert das EDI dem Bundesrat die Ergebnisse der Analyse, die es gemeinsam mit dem BJ über die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen angefertigt hat.157 Es kommt zum Schluss, dass die Kantone in denjenigen Bereichen handeln können, in denen der Bund seine Kompetenzen nicht umfassend wahrnimmt, und nennt verschiedene Massnahmen158, welche die Kantone ergreifen können.

Am gleichen Tag meldet das EDI dem Bundesrat, dass die Fallzahlen seit Mitte Juni ansteigen, und spricht von einer klaren Trendwende.159 Das Departement nennt
verschiedene Massnahmen, mit denen dieser Entwicklung entgegengewirkt werden könnte.160 Die am 1. Juli entschiedene Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln 156 157

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Coronavirus: Bundesrat Alain Berset und Kantone besprechen die Zusammenarbeit in der besonderen Lage, Medienmitteilung des EDI vom 29.6.2020.

Informationsnotiz zuhanden des Bundesrates vom 30.6.2020 («Abgrenzungsfragen zu den Zuständigkeiten von Bund und Kantonen bei der Bekämpfung der Covid-19-Epidemie»).

Diese Analyse erfolgt in Erfüllung des Auftrags vom 19.6.2020, siehe oben.

Namentlich: Schulschliessungen, Maskenpflicht v. a. im Öffentlichen Verkehr, Ausgangssperren, Begrenzung der Teilnehmerzahl von Veranstaltungen.

Aussprachepapier des EDI vom 30.6.2020 zuhanden des Bundesrates («Verschärfung der Basismassnahmen anlässlich des erneuten Wiederanstiegs der Covid-19 Fallzahlen»).

Namentlich: Maskenpflicht im ÖV, erweiterte Maskenpflicht und zehntägige Quarantäne bei der Rückkehr aus Risikogebieten.

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wird von der GDK und von der Konferenz der kantonalen Verkehrsdirektorinnen und -direktoren (KöV) mitgetragen.161 Anfang Juli bis Mitte Oktober 2020: wichtigste Massnahmen des Bundes Am 12. August 2020 beschliesst der Bundesrat, Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen ab dem 1. Oktober 2020 wieder zu erlauben.162 Am 2. September 2020 legt er die Bedingungen fest, unter denen die Kantone solche Anlässe bewilligen können.163 Am 12. August 2020 unterbreitet der Bundesrat dem Parlament die Botschaft zum Covid-19-Gesetz, welches die besonderen Kompetenzen des Bundesrates zur Bewältigung der Pandemie regelt. Am 25. September 2020 nehmen die eidgenössischen Räte die Endfassung des Gesetzes an. Dieses tritt grösstenteils am Folgetag in Kraft. Es sieht unter anderem vor, dass der Bundesrat die Kantone bei der Erarbeitung von Massnahmen einbezieht, die ihre Zuständigkeit betreffen (Art. 1 Abs. 3). Ausserdem gibt es dem Bundesrat die Möglichkeit, die Kantone zu ermächtigen, medizinisch nicht dringend angezeigte Untersuchungen und Behandlungen zu verbieten oder einzuschränken (Art. 3 Abs. 4 Bst. a).

Das BAG arbeitet ­ wie die von der GPK-S analysierten Dokumente zeigen ­ in der Sommerpause 2020 an Vorschlägen für strengere Massnahmen zur Pandemiebekämpfung im Falle einer verschlechterten epidemiologischen Lage.164 Im Laufe des Monats August diskutieren das BAG und das Generalsekretariat des EDI (GS-EDI) darüber, dem Bundesrat eine Verschärfung der Massnahmen vorzuschlagen, auf einen konkreten Vorschlag wird aber letztlich verzichtet. Die vom BAG in Erwägung gezogenen Massnahmen fliessen letztlich in das gemeinsame Strategiedokument des EDI und der GDK von Ende Oktober ein (siehe unten).

Ab Juli nutzen die Kantone ihre neuen Kompetenzen und beschliessen von Region zu Region verschiedene Massnahmen.165 Die GDK zieht Ende Juli nach sechs Wochen besonderer Lage eine erste positive Bilanz, mahnt aber gleichzeitig zur Vorsicht.166 Angesichts eines «besorgniserregenden» Anstiegs der Fälle empfiehlt die Konferenz den Kantonen am 4. August, zusätzliche Massnahmen zu ergreifen und sich untereinander zu koordinieren.167

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Neues Coronavirus: Maskentragpflicht im öffentlichen Verkehr ­ Massnahme auf nationaler Ebene ist sinnvoll; Medienmitteilung der GDK und der KöV vom 1.7.2020.

Coronavirus: Grossanlässe ab Oktober unter strengen Bedingungen und mit Bewilligung wieder möglich, Medienmitteilung des Bundesrates vom 12.8.2020.

Coronavirus: Grossveranstaltungen sind unter strengen Auflagen wieder möglich, Medienmitteilung des Bundesrates vom 2.9.2020.

In Erfüllung des Auftrags des Bundesrates vom 19.6.2020 (siehe oben).

Namentlich: Begrenzung der Teilnehmerzahl von Anlässen, Vorgaben für Nachtklubs, Maskenpflicht in bestimmten Bereichen.

Coronavirus: Nach 6 Wochen «besondere Lage» ­ Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren mahnen zur Vorsicht, Medienmitteilung der GDK vom 30.7.2020.

Coronavirus: Kantone sollen situativ weitere Massnahmen ergreifen, Medienmitteilung der GDK vom 4.8.2020.

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Die Taskforce BAG Covid-19 ist ab August 2020 einer vom EDI-Generalsekretär präsidierten Steuerungsgruppe unterstellt. Diese hat namentlich die Aufgabe, die Koordination mit den kantonalen Konferenzen sicherzustellen.168 In einer Anhörung Mitte August169 teilt der damalige BAG-Direktor der GPK-S mit, dass er quasi täglich Kontakt zu den Vertreterinnen und Vertretern der Kantonsregierungen hat, an den monatlichen Sitzungen der GDK teilnimmt und sich wöchentlich telefonisch mit dem Generalsekretariat der GDK austauscht. Laut KdK intensivieren und institutionalisieren sich die Kontakte zwischen Bund und Kantonen nach der Sommerpause.170 Am 5. August 2020 unterbreitet das EDI dem Bundesrat einen Antrag zur Revision der Verordnung betreffend die Bewilligung von Grossanlässen.171 In der entsprechenden Konsultation sprechen sich die Kantone grossmehrheitlich für eine Verlängerung des Verbots von Grossanlässen aus, während die meisten Bundesstellen die Aufhebung des Verbots befürworten. Am 12. August beschliesst der Bundesrat, das Verbot ­ vorbehaltlich einer allfälligen Verschlechterung der epidemiologischen Lage ­ per 1. Oktober aufzuheben. Er beauftragt das EDI, gemeinsam mit den Kantonen einheitliche Kriterien für die Bewilligung von Grossanlässen festzulegen.172 Am gleichen Tag präsentiert das EDI dem Bundesrat ein Konzept für die nationale Koordination der Intensivpflegestationen.173 Dieses gemeinsam mit dem KSD und der GDK ausgearbeitete Konzept zielt ­ ausgehend von den Erfahrungen der ersten Pandemiewelle ­ auf eine ausgewogene Auslastung der nationalen Intensivpflegekapazitäten ab.174 Ende August werden die Kantone unter Koordination der GDK zu den Kriterien für die Bewilligung von Grossanlässen konsultiert.175 Das EDI hält am 20. August nach

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Gemäss EDI ist im Steuerungsausschuss neben den Generalsekretärinnen und Generalsekretären der Departemente, dem Vizekanzler und Bundesratssprecher sowie der Direktorin des BAG auch das Generalsekretariat der GDK vertreten. In diesem Gremium werden insbesondere anstehende Bundesratsgeschäfte vorberaten und wird die aktuelle epidemiologische Lage sowohl durch die Swiss National Covid Science Task Force als auch durch das BAG erläutert. Wahlweise werden auch die Sekretariate weiterer kantonaler Fachdirektorinnen- und Fachdirektorenkonferenzen zu den Sitzungen eingeladen. Zu den Sitzungen des erweiterten Steuerungsausschusses werden zudem die Vertreterinnen und Vertreter der Sozialpartner eingeladen (siehe auch Kap. 6.1).

Anhörung vom 17.8.2020.

Bericht der KdK vom 18.12.2020.

Antrag des EDI vom 5.8.2020 an den Bundesrat («Änderung der Covid-19-Verordnung besondere Lage: Grossveranstaltungen und Maskenpflicht in Flugzeugen»). In diesem Antrag, dem eine Lagebeschreibung beiliegt, ist von einer besorgniserregenden Entwicklung der epidemiologischen Lage die Rede. Das EDI betont, dass Grossanlässe nur sehr zurückhaltend bewilligt werden sollten und dass das Contact-Tracing in den Kantonen ausgebaut werden muss.

Coronavirus: Grossanlässe ab Oktober unter strengen Bedingungen und mit Bewilligung wieder möglich, Medienmitteilung des Bundesrates vom 12.8.2020.

Informationsnotiz des EDI vom 11.8.2020 zuhanden des Bundesrates («Konzept zur nationalen Koordination der Intensivstationen»).

Das Konzept sieht insbesondere vor, in Zusammenarbeit mit der Rega eine nationale Koordinationsstelle sowie eine Steuerungseinheit mit Vertreterinnen und Vertretern der GDK und anderen Gesundheitsakteuren einzurichten.

Die GDK und fünf andere kantonale Konferenzen werden konsultiert.

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einem Treffen seines Vorstehers mit der GDK fest, «dass die Situation [...] unter Kontrolle ist und das Contact-Tracing der Kantone funktioniert».176 Zwischen Ende August und Anfang Oktober gibt das EDI dem Bundesrat mehrfach177 einen Überblick über die Massnahmen zur Pandemiebekämpfung der verschiedenen Kantone.178 Die Entwicklung der Fallzahlen unterscheidet sich je nach Region: Die Westschweizer Kantone sind am stärksten betroffen und ergreifen dementsprechend strenge Massnahmen. Zwischen Ende September und Anfang Oktober wiederholt die GDK ihre Empfehlungen zuhanden der Kantone (vgl. Fussnote 167).

Am Koordinationstreffen vom 7. September 2020 sind sich das EDI und die GDK einig, dass die Krisenmanagementstrategie koordiniert werden muss. Am 6. Oktober informiert das EDI den Bundesrat, gemeinsam mit der GDK beschlossen zu haben, ein Strategiepapier über die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen auszuarbeiten.179 Es teilt dem Bundesrat mit, dass sich der Entwurf derzeit bei der GDK in Konsultation befindet.

Mitte Oktober bis Ende Dezember 2020: wichtigste Massnahmen des Bundes Angesichts eines raschen Anstiegs der Covid-19-Fälle beschliesst der Bundesrat am 18. Oktober 2020 eine Reihe von landesweiten Massnahmen zur Pandemiebekämpfung.180 Am 28. Oktober 2020 verabschiedet der Bundesrat neue landesweite Massnahmen zur Verringerung der persönlichen Kontakte.181 Mangels koordinierter Massnahmen der Kantone und in Anbetracht einer weiteren Verschlechterung der

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Coronavirus: Bund und Kantone diskutieren Kriterien für Grossanlässe, Medienmitteilung des EDI vom 20.8.2020.

Informationsnotiz des EDI vom 18.8.2020 zuhanden des Bundesrates («Von-WattenwylGespräche vom 28. August 2020, Covid-19: Aktuelle Situation und Herausforderungen»), Informationsnotiz des EDI vom 16.9.2020 zuhanden des Bundesrates («Covid-19: Situation in der Schweiz, den umliegenden Ländern und international»), Informationsnotiz des EDI vom 6.10.2020 zuhanden des Bundesrates («Covid-19: Situation in der Schweiz, den umliegenden Ländern und international»).

Diese betreffen im Wesentlichen Restaurants und Nachtklubs, Maskenpflicht, öffentliche Veranstaltungen und Versammlungen.

Informationsnotiz des EDI vom 6.10.2020 zuhanden des Bundesrates («Covid-19: Situation in der Schweiz, den umliegenden Ländern und international»).

Namentlich: Verbot spontaner Versammlungen mit mehr als 15 Personen, Maskenpflicht in öffentlich zugänglichen geschlossenen Räumen, Reglementierung von Anlässen mit mehr als 15 Personen, Konsumation in Bars und Restaurants nur im Sitzen. Siehe Coronavirus: Einschränkungen für private Veranstaltungen, keine öffentlichen Versammlungen von mehr als 15 Personen, ausgeweitete Maskenpflicht und Homeoffice, Medienmitteilung des Bundesrates vom 18.10.2020.

Namentlich: Schliessung von Klubs, Bars und Restaurants ab 23 Uhr, Verbot von sportlichen und kulturellen Freizeitaktivitäten mit mehr als 15 Personen, Verbot von Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen, Ausdehnung der Maskenpflicht. Siehe Coronavirus: weitere Massnahmen zur Eindämmung der Epidemie, Einführung von Schnelltests, Reisequarantäne neu geregelt, Medienmitteilung des Bundesrates vom 28.10.2020.

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Lage beschliesst er schliesslich am 4. Dezember182, am 11. Dezember183 und am 18. Dezember184 zusätzliche Massnahmen.

Am 4. Dezember legt der Bundesrat in der Verordnung zudem verschiedene Voraussetzungen fest, unter denen die Kantone zusätzliche Massnahmen zur Pandemiebekämpfung ergreifen müssen.185 Am 11. Dezember fügt er in der Verordnung eine Ausnahmeklausel ein, auf deren Grundlage Kantone mit günstiger Entwicklung der epidemiologischen Lage die Öffnungszeiten gewisser Einrichtungen verlängern dürfen.186 Angesichts eines erheblichen Anstiegs der Covid-19-Fälle zwischen Ende September und Anfang Oktober äussert sich das EDI am 13. Oktober 2020 gegenüber dem Bundesrat besorgt über die Contact-Tracing-Kapazitäten der Kantone. Ausserdem hält es fest, dass einige Kantone nur zögerlich Massnahmen treffen.187 Es kündigt an, Gespräche mit der GDK und den Kantonen zu führen und dem Bundesrat Vorschläge für landesweite Massnahmen zu unterbreiten.

Am 16. Oktober verlangt der Vorstand der GDK an einer ausserordentlichen Sitzung mit dem EDI-Vorsteher, dass Massnahmen für die gesamte Schweiz ergriffen werden.188 Am gleichen Tag übermittelt das EDI dem Bundesrat «in Absprache mit dem Vorstand der GDK» einen Antrag für verschiedene landesweite Massnahmen, die dann zwei Tage später beschlossen werden.189 Am 22. Oktober 2020 verabschieden das EDI und die GDK ein gesundheitspolitisches Strategiepapier für die Bewältigung der Covid-19-Krise.190 In diesem Papier sind verschiedene gemeinsame Grundprinzipien für die Pandemiebewältigung aufgeführt, darunter das Bekenntnis zu einer «weiterhin enge[n] und vertrauensvolle[n] Ab182

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Namentlich: Verschärfung der Regeln für den Einzelhandel, neue Regeln für Restaurants, Kapazitätseinschränkungen für Transportanlagen in Skigebieten. Siehe Coronavirus: Bundesrat fordert Kantone mit negativer Entwicklung zum sofortigen Handeln auf und beschliesst zusätzliche Massnahmen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 4.12.2020.

Namentlich: verkürzte Öffnungszeiten für Restaurants, Bars, Geschäfte und Märkte, Verbot von öffentlichen Veranstaltungen (mit bestimmten Ausnahmen) sowie sportlichen und kulturellen Aktivitäten mit mehr als 5 Personen. Siehe Coronavirus: Sperrstunde ab 19 Uhr und Schliessungen an Sonn- und Feiertagen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 11.12.2020.

Namentlich: Schliessung von Restaurants, Kultur-, Sport und Freizeiteinrichtungen, Begrenzung der Kundenzahl in Geschäften. Siehe Coronavirus: Bundesrat verschärft nationale Massnahmen und schliesst Restaurants sowie Kultur-, Freizeit- und Sportbetriebe, Medienmitteilung des Bundesrates vom 18.12.2020.

Art. 8 der Covid-19-Verordnung besondere Lage vom 19.6.2020.

Art. 7 Abs. 2­4 der Covid-19-Verordnung besondere Lage vom 19.6.2020.

Informationsnotiz des EDI vom 13.10.2020 zuhanden des Bundesrates («Covid-19: Situation in der Schweiz und Europa sowie weiteres Vorgehen»).

Coronavirus: Vorstand der GDK ruft zu raschen Massnahmen auf, Medienmitteilung der GDK vom 16.10.2020.

Antrag des EDI vom 16.10.2022 zuhanden des Bundesrates («Änderung der Covid-19Verordnung besondere Lage: Erweiterung der Basismassnahmen des Bundes»).

GDK und EDI: Covid-19-Bewältigung: Strategische Grundlagen der GDK und des EDI-BAG. Grundsätze ­ Massnahmen ­ Zusammenarbeit, gemeinsames Dokument vom 22.10.2020.

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stimmung von Bund und Kantonen». Weiter heisst es darin, dass die Kantone «am besten geeignet [sind], zielgerichtete und auf die jeweilige Situation abgestimmte Massnahmen zu ergreifen» und dass die kantonalen Massnahmen «so weit als möglich regional abzustimmen» sind. Im Dokument sind zudem drei Stufen der epidemischen Entwicklung und die entsprechenden Massnahmen auf nationaler und kantonaler Ebene definiert sowie die Kanäle und Prozesse für die Koordination zwischen Bund und Kantonen in den verschiedenen Szenarien festgelegt. Ferner ist vorgesehen, dass sich die GDK unter Einbezug der anderen Kantonskonferenzen um das Konsultationsverfahren kümmert, wenn der Bund landesweite Massnahmen anordnet. Laut EDI nahm die KdK damals ebenfalls von diesem Dokument Kenntnis und hiess dieses gut.

Gleichentags ersucht die GDK das EDI darum, zusätzliche landesweite Massnahmen zu ergreifen. Das EDI hält fest, dass einige Kantone strenge Massnahmen ergriffen, andere aber noch nicht ausreichend reagiert haben.191 Die GDK und die Sekretariate von vier anderen Kantonskonferenzen werden zu Massnahmenverschärfungen konsultiert. Der Bundesrat beschliesst diese Verschärfungen am 28. Oktober und die GDK unterstützt dieses Vorgehen.192 Nachdem ihn Ende Oktober mehrere Kantone darum gebeten haben, beschliesst der Bundesrat am 4. November 2020, erneut Armeeangehörige zur Unterstützung des Gesundheitswesens einzusetzen.193 Am 18. November bietet er den Zivilschutz zur Unterstützung der Kantone ­ namentlich beim Contact-Tracing ­ auf.194 Das EDI bezeichnet in einer Informationsnotiz vom 10. November die Zusammenarbeit mit den Kantonen als gut und konstruktiv und teilt mit, dass regelmässige Gespräche zwischen dem Departement und der GDK stattfinden.195 Gleichzeitig ist von einer relativen Stabilisierung der Lage in mehreren Kantonen die Rede.196 Angesichts einer erneuten Lageverschlechterung in mehreren Regionen, namentlich in der deutschsprachigen Schweiz, fordert der Bundesrat Anfang Dezember die betroffenen Kantone auf, sofort zu handeln und strengere Massnahmen zu ergreifen.197 Er ordnet mehrere Massnahmen zur Pandemiebekämpfung an, namentlich die Skige-

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Antrag des EDI vom 27.10.2020 zuhanden des Bundesrates («Änderung der Covid-19Verordnung besondere Lage: Zusätzliche Massnahmen gegenüber Personen und betreffend öffentlich zugängliche Einrichtungen und Betriebe sowie Veranstaltungen»).

Coronavirus: GDK begrüsst Ausweitung der Massnahmen auf Bundesebene, Medienmitteilung der GDK vom 28.10.2020.

Coronavirus: Bundesrat beschliesst erneuten Einsatz der Armee zur Unterstützung des Gesundheitswesens, Medienmitteilung des Bundesrates vom 4.11.2020. Die entsprechende Botschaft wird dem Parlament am 18.11.2020 unterbreitet.

Coronavirus: Zweites Aufgebot des Bundesrates für den Zivilschutz, Medienmitteilung des Bundesrates vom 18.11.2020.

Informationsnotiz des EDI zuhanden des Bundesrates vom 10.11.2020 («Von-WattenwylGespräche vom 13. November 2020, Covid-19: Aktuelle Situation und weiteres Vorgehen, Zusammenarbeit mit Kantonen»).

Informationsnotizen des EDI zuhanden des Bundesrates vom 10.11.2020 und vom 17.11.2020 («Covid-19: Situation in der Schweiz und Wirkung der Massnahmen»).

Coronavirus: Bundesrat fordert Kantone mit negativer Entwicklung zum sofortigen Handeln auf und beschliesst zusätzliche Massnahmen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 4.12.2020.

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biete198 betreffend, und kündigt an, an seiner ausserordentlichen Sitzung vom 8. Dezember eine erneute Lagebeurteilung vorzunehmen. Die GDK unterstützt die Massnahmen des Bundesrates.199 In den Folgetagen ergreifen mehrere Kantone neue Massnahmen oder kündigen diese an.

Nach der Sitzung vom 4. Dezember 2020 suchen der EDI-Vorsteher und die Bundespräsidentin 2020 das Gespräch mit mehreren Kantonen, in denen die Entwicklung der epidemiologischen Lage besorgniserregend ist.200 Aus den Gesprächen geht hervor, dass die betroffenen Kantone die Besorgnis des Bundesrates teilen und die Lage als problematisch einschätzen,201 dass aber auch mehrere Kantone Vorbehalte gegen die Massnahmen haben und dass die interkantonale Koordination eine Herausforderung darstellt.202 Angesichts der verschlechterten Lage erachtet es das EDI «an der Zeit, dass der Bundesrat nun die Führungsrolle wieder übernimmt und schweizweite Massnahmen ergreift».203 Am 8. Dezember kündigt der Bundesrat nach einer ausserordentlichen Sitzung an, drei Tage später über eine Vereinheitlichung und Verschärfung der Massnahmen befinden zu wollen.204 Anschliessend findet eine kurze Konsultation der Kantone statt, aus der hervorgeht, dass die Kantone die Einschätzung der epidemiologischen Lage grundsätzlich teilen und eine stärkere Vereinheitlichung der Massnahmen mehrheitlich begrüssen, eine grosse Mehrheit mit den konkreten Vorschlägen des Bundesrates allerdings nicht einverstanden ist und deshalb diverse Anpassungsanträge gestellt hat.205 Die GDK teilt in einer Medienmitteilung mit, es für nachvollziehbar zu erachten, dass «das Vorgehen des Bundesrates gerade in der Westschweiz, wo die Fallzahlen zuletzt mit grossen Anstrengungen gesenkt werden konnten, teilweise auf Unmut» stösst.206 Sie anerkennt aber, dass die Fallzahlen zu hoch sind und begrüsst die Massnahmenverschärfung des Bundesrates vom 11. Dezember.

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Die Kantone werden vorab zu diesen Massnahmen konsultiert und unterstützen diese mehrheitlich.

Coronavirus: Betreiber von Skigebieten tragen eine grosse Verantwortung, Medienmitteilung der GDK vom 4.12.2020.

Gespräche mit sieben Kantonen finden am 5. und 7.12.2020 statt. Laut EDI erfolgten diese Kontakte im Auftrag des Bundesrates, der die Auffassung vertrat, dass diese Kantone aufgrund stärker ansteigender Fallzahlen weitere Massnahmen ergreifen sollten, um der zu erwartenden Spitalüberlastung entgegenzuwirken.

Informationsnotiz des EDI zuhanden des Bundesrates vom 7.12.2020 («Covid-19: Epidemiologische Lage in den Deutschschweizer Kantonen und weiteres Vorgehen»).

Das EDI betonte gegenüber der GPK-S, dass diese Phase von gegensätzlichen Haltungen geprägt war: «Einige Kantone forderten Massnahmen vom Bund ohne selber kantonale Massnahmen ergreifen zu wollen. Oft wurden die vom Bund vorgeschlagenen Massnahmen öffentlich kritisiert. Gleichzeitig forderten verschiedene Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren mit Blick auf die hohe Spitalbelastung zusätzliche Massnahmen, während ihre Kantonsregierungen den Massnahmen des Bundes im Rahmen der nachfolgenden Konsultationen ablehnend gegenüberstanden».

Informationsnotiz des EDI vom 7.12.2020 zuhanden des Bundesrates («Covid-19: Epidemiologische Lage in den Deutschschweizer Kantonen und weiteres Vorgehen»).

Coronavirus: Lage verschlechtert sich ­ Bundesrat bereitet weitergehende Massnahmen vor, Medienmitteilung des Bundesrates vom 8.12.2020.

Coronavirus: Sperrstunde ab 19 Uhr und Schliessungen an Sonn- und Feiertagen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 11.12.2020.

Coronavirus: Es braucht vor den Festtagen eine gemeinsame Kraftanstrengung, Medienmitteilung der GDK vom 11.12.2020.

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Ebenfalls am 11. Dezember nimmt der Bundesrat Kenntnis von der ersten Evaluation des Krisenmanagements des Bundes durch die BK (siehe Kap. 5). Die BK formuliert in ihrem Evaluationsbericht vier Maximen und eine Empfehlung betreffend die Zusammenarbeit mit den Kantonen. Der Bundesrat beauftragt die BK und das EJPD, dieses Thema mit der Schweizerischen Staatsschreiberkonferenz und der GDK zu vertiefen, damit die Aufgaben, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten von Bund und Kantonen in Krisenzeiten sowie die noch zu klärenden Abläufe und die Schnittstellen in allgemeinem Einvernehmen präzisiert werden können.

Da die Zahl der Ansteckungen vor Weihnachten kontinuierlich zunimmt, beschliesst der Bundesrat am 18. Dezember 2020, nach Konsultation der Kantone, eine Reihe neuer landesweiter Massnahmen. Die GDK erklärt in einer Medienmitteilung, dass sich die Mehrheit der Kantone «für eine rasche Massnahmenverschärfung» ausspricht.207 Nach einer erneuten Beurteilung der Gesundheitslage ­ namentlich im Zusammenhang mit dem Auftreten zweier neuer Covid-19-Varianten aus Grossbritannien und Südafrika ­ verzichtet der Bundesrat am 30. Dezember auf eine weitere Verschärfung der Massnahmen. Ende Dezember verfolgen die Kantone teilweise voneinander abweichende Massnahmenstrategien, z.B. in Bezug auf die Schliessung der Restaurants.208 Das EDI betonte gegenüber der GPK-S, dass die Phase vermehrter Konsultationen im Herbst/Winter 2020 «auch durch häufige Indiskretionen sowie durch die Tatsache geprägt [war], dass gewisse Kantone begonnen haben, ihre Antworten zu publizieren oder den Medien bekannt zu machen». Dies habe das Departement gezwungen, die Praxis der Konsultationen der Kantone mehrfach anzupassen.209 Laut EDI hat diese Entwicklung «das Vertrauensverhältnis und die Zusammenarbeit wesentlich beeinflusst» (vgl. Kap. 7.3.1). Das EDI betonte zudem, dass in dieser Phase «die unterschiedliche epidemiologische Situation in den Kantonen und die damit besonders divergierende Haltung der Kantone den Bundesrat vor ausserordentlich grosse Herausforderungen stellte» (vgl. Fussnote 202 und Kap. 7.2 / 7.3).

Anfang Januar bis Mitte Mai 2021: wichtigste Massnahmen des Bundes Mit Beschluss vom 6. Januar 2021 schafft der Bundesrat die «Ausnahmeklausel» ab, derzufolge Kantone mit günstiger epidemiologischer Entwicklung Restaurants 207

Coronavirus: Mehrheit der Kantone steht hinter Massnahmenverschärfung, Medienmitteilung der GDK vom 18.12.2020.

208 So beschliessen mehrere Westschweizer Kantone eine komplette Schliessung der Restaurants, während einige Deutschschweizer Kantone deren Wiederöffnung ins Auge fassen.

Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht machten die GDK, die VKS und die KAV geltend, dass «der Massnahmenmix während der gesamten Zeit der Pandemiebewältigung aufgrund unterschiedlicher politischer Möglichkeiten, die unter anderem auf unterschiedliche Ausprägungen der Infektionslast zurückzuführen waren, nie völlig deckungsgleich [war]».

209 Zuerst entschied das EDI, vor jeder Konsultation der Kantone den Bundesrat einzubeziehen. Danach entschied der Bundesrat, die ursprünglich vertraulichen Konsultationen im Internet zu publizieren und an den Medienkonferenzen darüber zu informieren. Laut EDI hat diese Entwicklung «den Einfluss der Kantone geschmälert, weil der Inhalt der Konsultationen bereits bekannt war und sich dadurch der Spielraum des Bundesrates minimiert hat».

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öffnen, Veranstaltungen erlauben und von den Sperrstunden betreffend öffentlich zugängliche Einrichtungen und Betriebe abweichen können. Nach einer gleichentags gemachten Vorankündigung210 beschliesst der Bundesrat am 13. Januar, die Covid-19-Massnahmen bis Ende Februar zu verlängern und zu verschärfen.211 Mit Beschluss vom 27. Januar 2021 nimmt der Bundesrat Vorgaben betreffend die Anordnung der Kontaktquarantäne und die Absonderung in die Verordnung auf.212 Nach einem Rückgang der Infektionszahlen beschliesst der Bundesrat am 24. Februar 2021 einen ersten vorsichtigen Öffnungsschritt per 1. März.213 Dieser wird begleitet vom Entscheid, dass der Bund alle Testkosten übernimmt. Am 19. März verzichtet der Bundesrat nach einem Wiederanstieg der Fälle auf einen Grossteil der zusätzlich vorgesehenen Lockerungen.214 Weitere Lockerungen werden am 14. April angekündigt und treten am 19. April in Kraft.215 In der Frühjahrssession 2021 nimmt das Parlament verschiedene Änderungen am Covid-19-Gesetz vor. In Artikel 1 Absatz 3 heisst es neu, dass die «Kantonsregierungen» (und nicht mehr die «Kantone») bei der Erarbeitung der Massnahmen einzubeziehen sind. Das Parlament verabschiedet auch einen Artikel 3b, der vorsieht, dass der Bund «ein schweizweit funktionierendes Test- und Contact-Tracing-System» sicherstellt, einen Artikel 6a über die Einführung eines Impf-, Testund Genesungsnachweises und einen Artikel 8a, der vorsieht, dass der Bundesrat Kantonen, die eine stabile oder rückläufige epidemiologische Lage aufweisen und eine Covid-19-Teststrategie oder andere geeignete Massnahmen zur Bewältigung der Epidemie anwenden, Erleichterungen gewährt.

Am 21. April 2021 präsentiert der Bundesrat seine Strategie für die kommenden Monate und schickt er sein sogenanntes «Drei-Phasen-Modell»216 in die Konsultation, welches die Lockerung der Massnahmen zur Pandemiebekämpfung an den

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Coronavirus: Restaurants, Kulturbetriebe, Sportanlagen und Freizeiteinrichtungen sollen bis Ende Februar geschlossen bleiben, Medienmitteilung des Bundesrates vom 6.1.2021.

Namentlich: Homeoffice-Pflicht, Schliessung nicht wesentlicher Geschäfte, Begrenzung öffentlicher Versammlungen und privater Treffen auf maximal 5 Personen, siehe Coronavirus: Bundesrat verlängert und verschärft Massnahmen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 13.1.2021.

Coronavirus: Bund übernimmt Testkosten für Personen ohne Symptome und passt Quarantäneregeln an, Medienmitteilung des Bundesrates vom 27.1.2021. Diese Bestimmungen treten am 8.2.2021 in Kraft.

Namentlich: Wiederöffnung der Geschäfte und Museen sowie der Aussenbereiche von Sport- und Freizeitanlagen, Treffen im Freien mit bis zu 15 Personen. Siehe Coronavirus: Bundesrat beschliesst ersten, vorsichtigen Öffnungsschritt ab 1. März, Medienmitteilung des Bundesrates vom 24.2.2021.

Coronavirus: Erleichterungen für private Treffen ab dem 22. März; weitere Öffnungen wegen Anstieg der Fallzahlen verschoben, Medienmitteilung des Bundesrates vom 19.3.2021.

Namentlich: Ermöglichung von eingeschränkten Veranstaltungen mit Publikum sowie von sportlichen und kulturellen Aktivitäten auch in Innenräumen, Öffnung der Restaurantterrassen. Siehe Coronavirus: Nächster Öffnungsschritt am 19. April, Medienmitteilung des Bundesrates vom 14.4.2021.

Schutzphase, Stabilisierungsphase, Normalisierungsphase.

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Fortschritt der Impfkampagne und verschiedene weitere Indikatoren knüpft.217 Er beschliesst dieses Modell am 12. Mai 2021 und gibt zugleich verschiedene Lockerungen für Ende Mai in die Konsultation.218 Ab Anfang Januar 2021 bezieht der Bundesrat die Kantone bei den Entscheiden zu den Massnahmen zur Pandemiebekämpfungnach einem wiederkehrenden Schema ein: Zunächst werden die Verschärfungen oder Lockerungen öffentlich angekündigt, bevor dann die Kantone dazu konsultiert werden (zumeist mit einwöchiger Frist). Danach nimmt der Bundesrat Kenntnis von den Konsultationsergebnissen und verkündet seine Beschlüsse. Dieses Vorgehen wird namentlich bei den Massnahmen vom 13. Januar, 24. Februar, 19. März und 12. Mai 2021 gewählt.

Insgesamt stehen die Kantone ­ via GDK ­ den vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen eher positiv gegenüber. Dies gilt insbesondere für die Aufhebung der Ausnahmeklausel und die Massnahmenverschärfung im Januar 2021219 sowie die ersten Lockerungen im Februar 2021.220 Gewisse von den Kantonen in der Konsultation geäusserte Wünsche werden in den Entscheiden des Bundesrates berücksichtigt.221 Zwischen Ende Dezember 2020 und Februar 2021 diskutieren das EDI und die EDK regelmässig über Massnahmen im Bereich der obligatorischen Schulen.222 Ende Januar erarbeiten das EDI und die EDK Szenarien für allfällige ergänzende Massnahmen in den Sekundarschulen.223 Die Impfstrategie steht in dieser Phase ebenfalls im Zentrum der Gespräche zwischen Bund und Kantonen. Am 25. März 2021 findet ein Impfgipfel statt, an dem unter anderem der Bundespräsident, der EDI-Vorsteher, Mitglieder der GDK und der Präsident der KdK teilnehmen.224 Ein weiteres Gespräch zu diesem Thema zwischen dem EDI-Vorsteher und der GDK findet am 15. April statt.225 Am 31. März verlängert der Bundesrat auf Ersuchen der Kantone das Aufgebot des Zivilschutzes, namentlich zur Unterstützung beim Impfen.226 217 218 219

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Coronavirus: Bundesrat zeigt mit Drei-Phasen-Modell das weitere Vorgehen auf, Medienmitteilung des Bundesrates vom 21.4.2021.

Coronavirus: Bundesrat verabschiedet Strategie für kommende Monate und startet Konsultation zum vierten Öffnungsschritt, Medienmitteilung des Bundesrates vom 12.5.2021.

Coronavirus: Aufhebung der kantonalen Ausnahmen ist nachvollziehbar, Medienmitteilung der GDK vom 6.1.2021; Coronavirus: Massnahmenverschärfung ist angesichts der epidemiologischen Lage verständlich, Medienmitteilung der GDK vom 13.1.2021.

Coronavirus: Kantone stützen vorsichtige und schrittweise Öffnung, Medienmitteilung der GDK vom 24.2.2021.

Z. B. Regeln für die Befreiung von der Maskenpflicht (13.1.2021) oder bestimmte Lockerungsmassnahmen (24.2.2021).

Thematisiert werden eine allfällige Verlängerung der Winterferien und ein mögliches Verbot des Präsenzunterrichts.

Coronavirus: Der Bundesrat nimmt Analyse der aktuellen epidemiologischen Lage vor, Medienmitteilung des Bundesrates vom 20.1.2021.

Coronavirus: Treffen von Bund, Kantonen, Impfstoffherstellern und Wissenschaft zur Impfkampagne, Medienmitteilung der GDK vom 25.3.2020.

Coronavirus: Impfkampagne Hauptthema beim Austausch zwischen Bundesrat Berset und der GDK, Medienmitteilung der GDK vom 15.4.2021.

Coronavirus: Bundesrat verlängert Aufgebot für Zivilschutz, Medienmitteilung des Bundesrates vom 31.3.2021.

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Die grössten Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Kantonen in dieser Phase betreffen den Beschluss des Bundesrates vom 19. März 2021, aufgrund einer Verschlechterung der epidemiologischen Lage auf die angekündigten Lockerungen zu verzichten. In der Konsultation spricht sich die Mehrheit der Kantone für umfassendere Lockerungen aus. Die GDK teilt mit, dass die Kantone enttäuscht über diesen Verzicht sind.227 Aus der Medienmitteilung des Bundesrates geht aber hervor, dass die Stellungnahmen der Kantone uneinheitlich sind.228 In Übereinstimmung mit Artikel 1 Absatz 3 des Covid-19-Gesetzes fordert die KdK den Bundesrat am 31. März 2021 auf, die Konsultationen künftig nur noch in absoluten Ausnahmefällen, sprich bei grösster zeitlicher Dringlichkeit, über die interkantonalen Konferenzen laufen zu lassen. Sie argumentiert damit, dass die einer gemeinsamen Stellungnahme der Kantone vorausgehenden Konsolidierungsprozesse aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit nicht möglich seien und deshalb nur die einzelnen Kantonsregierungen eine gesamtheitliche Sicht gewährleisten könnten. In der Folge findet in dieser Sache ein Treffen zwischen dem EDI-Vorsteher, dem Bundeskanzler, dem GDK-Präsidenten und dem KdK-Präsidenten statt. Anschliessend werden die Konsultationen zu den vom Bund vorgeschlagenen Massnahmen zur Pandemiebekämpfung nicht mehr von der GDK koordiniert, sondern es werden direkt die Staatskanzleien der einzelnen Kantone angeschrieben. Laut EDI nimmt dadurch die Bedeutung des Austausches zwischen dem EDI-Vorsteher und den GDK-Mitgliedern deutlich ab und äussern sich die einzelnen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren kaum noch zu den Massnahmenvorschlägen (vgl. auch Kap. 7.3.1).229 Anfang Mai 2021 zeigen sich die Kantone offen gegenüber der Drei-Phasen-Strategie des Bundesrates: In der Konsultation wird diese von nahezu allen Kantonen gutgeheissen. Der GDK-Vorstand begrüsst dieses Modell und spricht sich für «klare und einfache Öffnungsschritte» sowie gegen zu dicht aufeinanderfolgende Lockerungen aus. Die GDK versichert, dass die Kantone weiterhin die TTIQ-Massnahmen (Testen, Tracing, Isolation, Quarantäne) aufrechterhalten werden.230

227

Coronavirus: Kantone hätten sich mehr Öffnungen gewünscht, Medienmitteilung der GDK vom 19.3.2021.

228 Coronavirus: Erleichterungen für private Treffen ab dem 22. März; weitere Öffnungen wegen Anstieg der Fallzahlen verschoben, Medienmitteilung des Bundesrates vom 19.3.2021.

229 Das EDI betonte gegenüber der GPK-S, dass der Bundesrat die Kantone ausführlich auf die Risiken der Praxisänderung hingewiesen hat und diese absehbar waren. Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht betonte die GDK, dass die Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren sich weiterhin aktiv an der Diskussion beteiligt haben, dass es aber «wohl zutreffen [dürfte], dass sich die Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren damit nicht mehr mit demselben Gewicht im gesamten Konsultationsverfahren mit Anliegen aus gesundheitspolitischer und epidemiologischer Sicht Gehör verschaffen konnten».

230 Coronavirus: Impfen sowie vorsichtig und in Phasen öffnen, Medienmitteilung der GDK vom 12.5.2021.

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6.2.3

Dritte Pandemiephase (Mai 2021 bis September 2022)

Mitte Mai bis Ende Juni 2021: wichtigste Massnahmen des Bundes Am 19. Mai 2021 legt der Bundesrat die Grundzüge des künftigen Einsatzes des Covid-19-Zertifikats fest.231 Am 4. Juni verabschiedet er die Covid-19-Verordnung Zertifikate232, in welcher die Aufgaben von Bund und Kantonen in diesem Bereich geregelt sind.

Am 26. Mai 2021 kündigt der Bundesrat einen Öffnungsschritt per 31. Mai an, den er als «grösser als geplant» bezeichnet.233 Er legt zudem die Bewilligungskriterien für Grossveranstaltungen mit mehr als 1000 Personen fest, deren Anwendung zum grossen Teil in die Zuständigkeit der Kantone fällt.234 Er verabschiedet in diesem Zusammenhang die Covid-19-Verordnung Publikumsanlässe235, welche Fragen rund um Entschädigungen für Grossveranstaltungen regelt.

Da gegen das Covid-19-Gesetz (in seiner Fassung vom 25. September 2020) das Referendum ergriffen wird, findet am 13. Juni 2021 eine Volksabstimmung statt.

In dieser wird das Gesetz mit 60,2 Prozent angenommen.

Am 23. Juni beschliesst der Bundesrat weitere Lockerungen.236 Am selben Tag wird eine neue Fassung der Covid-19-Verordnung besondere Lage verabschiedet.

Diese regelt insbesondere die Maskenpflicht im ÖV und in Innenräumen von öffentlich zugänglichen Einrichtungen und Betrieben (Art. 5­6) sowie die Kompetenzen der Kantone im Bereich der Quarantäne und Absonderung (Art. 7­9) und

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Coronavirus: Bundesrat konkretisiert Einsatz des Covid-Zertifikats, Medienmitteilung des Bundesrates vom 19.5.2021.

Verordnung vom 4.6.2021 über Zertifikate zum Nachweis einer Covid-19-Impfung, einer Covid-19-Genesung oder eines Covid-19-Testergebnisses (Covid-19-Verordnung Zertifikate; SR 818.102.2).

Namentlich: Wiederaufnahme der Publikumsveranstaltungen mit bis zu 100 Personen in Innenräumen und 300 Personen im Freien, Wiederaufnahme der privaten Treffen mit bis zu 30 Personen in Innenräumen und 50 Personen im Freien, Lockerung der Regeln betreffend Restaurants, Freizeitsport, Laienkulturveranstaltungen und Präsenzunterricht an Hochschulen. Siehe Coronavirus: Der vierte Öffnungsschritt ab Montag wird grösser als geplant, Medienmitteilung des Bundesrates vom 26.5.2021.

Dieser Schritt folgt auf die Aufnahme des neuen Art. 11a in das Covid-19-Gesetz durch das Parlament, mit dem die Wiederaufnahme von Veranstaltungen mit überkantonaler Bedeutung unterstützt werden soll. Siehe diesbezüglich Coronavirus: Mehr Sicherheit für die Planung von Grossveranstaltungen ab Juli 2021, Medienmitteilung des Bundesrates vom 28.4.2021.

Verordnung vom 26.5.2021 über Massnahmen für Publikumsanlässe von überkantonaler Bedeutung im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie (Covid-19-Verordnung Publikumsanlässe; SR 818.101.28).

Namentlich: Aufhebung der Maskenpflicht im Freien, am Arbeitsplatz, für Unterricht der Sekundarstufe II sowie bei sportlichen und kulturellen Aktivitäten, Aufhebung der Homeoffice-Pflicht, Aufhebung der Kapazitätsbeschränkungen für Grossveranstaltungen mit Zertifikat, Aufhebung der Beschränkungen für Präsenzunterricht an den Hochschulen, Aufhebung der Beschränkungen in Restaurants. Siehe Coronavirus: Bundesrat beschliesst weiteren, grossen Öffnungsschritt und erleichtert Einreise in die Schweiz, Medienmitteilung des Bundesrates vom 23.6.2021.

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der Grossveranstaltungen (Art. 16­17). Die Kantone können auch weiterhin Erleichterungen bewilligen oder zusätzliche Massnahmen ergreifen (Art. 22­23). In der Verordnung wird zudem zum ersten Mal das Covid-Zertifikat im Zusammenhang mit gewissen Einschränkungen erwähnt.

Die Informationsnotizen des EDI zuhanden des Bundesrates über die Pandemieentwicklung umfassen ab Frühjahr 2021 eine Beschreibung der epidemiologischen Lage und der geltenden Massnahmen zur Pandemiebekämpfung jedes einzelnen Kantons.

An ihrer Plenarversammlung vom 20. Mai 2021 zieht die GDK eine erste Bilanz des Pandemiemanagements. Sie kommt unter anderem zum Schluss, dass «der schweizerische Föderalismus bei der Bewältigung einer Krise von dieser Grösse zwar eine Herausforderung, aber kein Hindernis» ist. Sie ist zudem der Auffassung, dass «die Aufgaben und Kompetenzen in der besonderen Lage klarer abgegrenzt werden müssen».237 Bei der Inkraftsetzung der Covid-19-Verordnung Zertifikate Anfang Juni 2021 verweist der Bundesrat auf die «enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen» rund um das Zertifikat.238 Bei der Ankündigung der Lockerungen vom 31. Mai 2021 teilt der Bundesrat mit, dass er vor dem Sommer nur noch einen weiteren Öffnungsschritt plant. So hätten es auch die Kantone gewünscht und so müsse die Umsetzung der Regelung nicht innert kurzer Zeit mehrfach angepasst werden.239 Bei den Lockerungen vom 31. Mai und vom 26. Juni beschliesst der Bundesrat angesichts der günstigen epidemiologischen Lage und der Rückmeldungen der Kantone Öffnungsschritte, die weiter gehen als in der Konsultation ursprünglich geplant.

Auf erneutes Ersuchen der Kantone beschliesst der Bundesrat am 23. Juni 2021, das Aufgebot für den Zivilschutz bis zum 31. Oktober zu verlängern, um die Impfkampagne zu unterstützen. Er kündigt jedoch seine Absicht an, den Einsatz des Zivilschutzes schrittweise zu beenden.240 Vor der Sommerpause befasst sich der Bundesrat mit der Vorbereitung auf die Herbstund Wintermonate sowie mit der Bewältigung eines allfälligen Wiederanstiegs der 237

Plenarversammlung der GDK: Erste Erkenntnisse zur Bewältigung der Covid-19-Krise, Medienmitteilung der GDK vom 20.5.2021.

238 Coronavirus: Bundesrat verabschiedet Verordnung über Covid-Zertifikate, Medienmitteilung des Bundesrates vom 4.6.2021. Die Kantone bestimmen, welche Institutionen des Gesundheitswesens Covid-Zertifikate ausstellen dürfen, während der Bund ein System für die Ausstellung, die Überprüfung und den Widerruf von Covid-Zertifikaten bereitstellt.

Der Bund «begleitet die Kantone bei der Einführung der Lösung und den damit verbundenen organisatorischen Anpassungen».

239 Wiederaufnahme der Publikumsveranstaltungen mit bis zu 100 Personen in Innenräumen und 300 Personen im Freien, Wiederaufnahme der privaten Treffen mit bis zu 30 Personen in Innenräumen und 50 Personen im Freien, Lockerung der Regeln betreffend Restaurants, Freizeitsport, Laienkulturveranstaltungen und Präsenzunterricht an Hochschulen.

Siehe Coronavirus: Der vierte Öffnungsschritt ab Montag wird grösser als geplant, Medienmitteilung des Bundesrates vom 26.5.2021.

240 Coronavirus: Weitere Verlängerung des Aufgebots für den Zivilschutz, Medienmitteilung des Bundesrates vom 23.6.2021.

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Fallzahlen. Am 30. Juni veröffentlicht er einen Bericht, in welchem er drei Szenarien für die Pandemieentwicklung sowie die entsprechende Planung darlegt.241 Im Bericht wird insbesondere darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass die Kantone in der Lage sind, das Contact-Tracing sicherzustellen und für ausreichend Spitalkapazitäten zu sorgen. Das EDI wird beauftragt, «die Kantone dazu aufzufordern, Ressourcen für das Contact-Tracing aufrechtzuerhalten und die Kantone bei der Weiterentwicklung und Anpassung ihrer Contact-Tracing-Strategie an die möglichen zukünftigen Herausforderungen zu unterstützen».

Juli bis Mitte November 2021: wichtigste Massnahmen des Bundes Am 11. August 2021 gibt der Bundesrat bekannt, dass er aufgrund der unsicheren epidemiologischen Lage die geltenden Massnahmen zur Pandemiebekämpfung aufrechtzuerhalten gedenkt. Da er davon ausgeht, dass alle Impfwilligen geimpft sind, will er nur bei einer drohenden Überlastung der Spitäler neue Massnahmen ergreifen und keine strikten Massnahmen für die gesamte Bevölkerung mehr anordnen.242 Angesichts einer Zunahme der Hospitalisierungen beschliesst der Bundesrat am 8. September 2021, die Zertifikatspflicht auf weitere Bereiche auszudehnen.243 Am 3. November beschliesst er die Einführung eines «Schweizer Covid-Zertifikats» für Genesene und Personen, die sich weder impfen noch testen lassen können.244 Generell ergreifen die Kantone im Sommer 2021 relativ wenige neue Massnahmen.

Mehrere Kantone behalten die Maskenpflicht auf der Sekundarstufe bei. Einige Kantone führen eine Testpflicht für das Gesundheitspersonal ein oder bauen ihr Test- und Impfangebot für die Bevölkerung aus. Die meisten Kantone führen Massentests in Schulen und Betrieben ein.245 In seiner Medienmitteilung vom 11. August 2021 weist der Bundesrat die Kantone darauf hin, «dass sie gemäss Epidemiengesetz verpflichtet sind, bei einer regionalen Zunahme der Infektionen und bei Überlastung der Spitalkapazitäten Massnahmen zu ergreifen». Zudem müssten die Kantone sicherstellen, dass sich die Bevölkerung weiterhin niederschwellig impfen kann.246 241

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Konzeptpapier: Mittelfristplanung. Covid-19-Epidemie: Auslegeordnung und Ausblick Herbst/Winter 2021/2022, Bericht des Bundesrates vom 30.6.2021. Siehe auch Coronavirus: Bundesrat legt Planung für die nächsten Monate vor, Medienmitteilung des Bundesrates vom 30.6.2021.

Coronavirus: Bundesrat hält die Schutzmassnahmen aufrecht und ruft die Bevölkerung auf, sich impfen zu lassen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 11.8.2021.

Namentlich auf Restaurants, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie auf Veranstaltungen im Innern. Siehe Coronavirus: Bundesrat dehnt Zertifikatspflicht aus und startet Konsultation zu neuen Einreisebestimmungen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 8.9.2021.

Coronavirus: Bundesrat vereinfacht Zugang zum Covid-Zertifikat für Genesene, Medienmitteilung des Bundesrates vom 3.11.2021.

Notiz des EDI vom 24.8.2021 zuhanden des Bundesrates («Von-Wattenwyl-Gespräche vom 3. September 2021. Covid-19: Gesundheitspolitische Lage»).

Coronavirus: Bundesrat hält die Schutzmassnahmen aufrecht und ruft die Bevölkerung auf, sich impfen zu lassen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 11.8.2021.

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Im August veröffentlicht die GDK das Dokument «Abfederung im Falle eines Wiederanstiegs von Covid-19 im Herbst/Winter 2021» («Rebound Papier II»)247. Die GDK teilt die Analyse des Bundesrates, dass ein erneuter Anstieg der Fallzahlen und der Hospitalisierungen weiterhin möglich ist. Sie betont, dass die Überwachungssysteme auf Bundes- und auf Kantonsebene weiterzuführen sind, und unterstützt die Bemühungen um eine Erhöhung der Impfquote. Sie führt zudem die Massnahmen auf, die sie für vorrangig hält.248 Sollte sich die Situation gesamtschweizerisch negativ entwickeln, so sind laut GDK vom Bund «Massnahmen [...] mit nationaler Gültigkeit» zu ergreifen. Sie spricht sich dafür aus, die besondere Lage bis auf Weiteres beizubehalten, und hält angesichts der Erfahrungen vom Herbst 2020 fest, dass «sowohl auf kantonaler als auch auf nationaler Ebene die Reaktionsfähigkeit verbessert werden sollte».

Im August 2021 zeichnet sich ein starker Anstieg der Fallzahlen und der Hospitalisierungen ab. Am 25. August beschliesst der Bundesrat, zur Ausdehnung der Zertifikatspflicht «vorsorglich» eine Konsultation zu starten,249 die sich insbesondere an die Kantonsregierungen und an fünf interkantonalen Konferenzen250 richtet. Am 26. August findet zudem ein Austausch zwischen der GDK und dem EDI zu diesem Thema statt. Der Vorschlag des Bundesrates wird von den Kantonen mehrheitlich positiv aufgenommen.251 Da die Lage in den Spitälern angespannt bleibt, einige Kantone Operationen verschieben müssen und Patientenverlegungen zwischen Spitälern notwendig sind, beschliesst der Bundesrat am 8. September 2021, die Zertifikatspflicht auszudehnen.252 Die betroffenen Bereiche entsprechen denjenigen, für die sich die Kantone in der vorgängigen Konsultation ausgesprochen haben.253 Die Impfung steht zu diesem Zeitpunkt weiterhin im Mittelpunkt des Austausches zwischen Bund und Kantonen. Da die Impfquote Ende Sommer als zu tief erachtet wird, startet das BAG Informationskampagnen.254 Im Oktober planen das EDI, das 247

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GDK: Abfederung im Falle eines Wiederanstiegs von Covid-19 im Herbst/Winter 2021 («Rebound Papier II»), Dokument vom 2.8.2021 (veröffentlicht am 27.8.2021 auf der Website der GDK). Das Dokument beruht insbesondere auf dem gemeinsamen Strategiedokument vom Oktober 2020 und dem Drei-Phasen-Modell des Bundesrates.

Vor allem: Hygienemassnahmen, Maskenpflicht, Testen, Covid-Zertifikat.

Coronavirus: Bundesrat startet vorsorglich eine Konsultation zur Ausdehnung der Zertifikatspflicht, Medienmitteilung des Bundesrates vom 25.8.2021. Gleichentags geht er auf verschiedene Forderungen der Kantone ein. Diese betreffen unter anderem die Übernahme der Impfkosten für Auslandschweizerinnen und -schweizer und die Bezahlung der Tests für Jugendliche.

Eine einzige kantonale Konferenz (Konferenz der kantonalen Polizeikommandantinnen und -kommandanten) antwortet auf die Konsultation.

Coronavirus: Mehrheitlich positives Echo zur Ausweitung der Zertifikatspflicht, Medienmitteilung des Bundesrates vom 1.9.2021.

Coronavirus: Bundesrat dehnt Zertifikatspflicht aus und startet Konsultation zu neuen Einreisebestimmungen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 8.9.2021.

Informationsnotiz des EDI vom 31.8.2021 zuhanden des Bundesrates («Covid-19: Gesundheitspolitische Lage»).

«Nicht verpassen ­ Impfen lassen»: Das BAG startet eine neue Informationskampagne zur Covid-19-Impfung, Medienmitteilung des BAG vom 16.8.2021; Neue Informationskampagne des Bundes «Lieber impfen lassen», Medienmitteilung des BAG vom 4.10.2021.

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BAG und die Kantone gemeinsam eine vom Bundesrat beschlossene Impfoffensive, die vom Bund finanziert und von den Kantonen umgesetzt wird.255 Anfang November findet eine Impfwoche statt; für diese organisieren die Kantone verschiedene Veranstaltungen und Projekte.256 Mitte November bis Dezember 2021: wichtigste Massnahmen des Bundes Bei der Referendumsabstimmung nimmt die Schweizer Bevölkerung am 28. November 2021 die Änderung des Covid-19-Gesetzes vom März 2021 ­ einschliesslich Artikel 6a zum Covid-19-Zertifikat ­ mit 62 Prozent an.

Angesichts des Auftretens der Omikron-Variante und eines Anstiegs der Hospitalisierungen beschliesst der Bundesrat am 3. Dezember 2021257, die Zertifikatspflicht ein weiteres Mal auszuweiten,258 und ergreift zusätzliche Massnahmen zur Pandemiebekämpfung259. Zudem führt er die Möglichkeit ein, den Zutritt zu Veranstaltungen und Einrichtungen auf geimpfte und genesene Personen (2G-Regel) zu beschränken.

Da die Hospitalisierungen weiter steigen, beschliesst der Bundesrat am 17. Dezember 2021 die Pandemiemassnahmen noch einmal zu verschärfen.260 Die 2GRegel wird auf mehrere Bereiche261 ausgeweitet und teilweise mit einer zusätzlichen Testpflicht verbunden (2G+-Regel)262. Zusätzliche Massnahmen zur Pandemiebekämpfung263 werden ergriffen.

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Coronavirus: Bundesrat lanciert Impfoffensive, Medienmitteilung des Bundesrates vom 13.10.2021. Das BAG organisiert im Hinblick auf diese Offensive technische Sitzungen und Workshops mit den Kantonen und das Thema wird an einem Treffen des EDI und der GDK diskutiert. Das EDI betonte gegenüber der GPK-S, dass die Impfoffensive des Bundesrates «eine klare Reaktion auf die aus Sicht des Bundesrates zu wenig ausgeprägten Anstrengungen der Kantone [war], die Schwelle für die Impfungen so tief wie möglich anzusetzen, vermehrt auf die Bevölkerung zuzugehen und die Wege zu den Impforten zu reduzieren».

Coronavirus: Bund und Kantone lancieren die nationale Impfwoche, Medienmitteilung des Bundesrates vom 3.11.2021.

Coronavirus: Bundesrat verstärkt die Massnahmen gegen die Pandemie, Medienmitteilung des Bundesrates vom 3.12.2021.

Insbesondere für Innenräume von öffentlichen Veranstaltungen und alle sportlichen sowie kulturellen Aktivitäten von Laien und für Veranstaltungen im Freien mit mehr als 300 Teilnehmenden.

Namentlich: Maskenpflicht in öffentlich zugänglichen Innenräumen auch dort, wo der Zugang auf Personen mit Zertifikat beschränkt ist, Sitzpflicht für die Konsumation in Restaurants, Beschränkung der Gültigkeitsdauer von Testzertifikaten.

Coronavirus: Bundesrat beschliesst weitergehende Massnahmen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 17.12.2021.

Namentlich: Innenräume von Restaurants, von Kultur-, Sport und Freizeitbetrieben sowie Veranstaltungen im Innern, verbunden mit der Maskenpflicht.

Insbesondere bei Blasmusikproben, in Diskotheken und Bars, aber nur für Personen, deren Impfung oder Genesung länger als vier Monate zurückliegt.

Namentlich: Einschränkung privater Treffen im Innern, bei denen ungeimpfte Personen anwesend sind, Wiedereinführung der Homeoffice-Pflicht, Maskenpflicht auf Sekundarstufe II, Empfehlung, nicht dringliche Eingriffe zu verschieben, Übernahme der Testkosten.

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Parallel dazu nimmt das Parlament in der Wintersession 2021 verschiedene Änderungen des Covid-19-Gesetzes an, unter anderem Artikel 3 Absatz 4bis, der präzisiert, dass die Kantone «zur Stärkung der durch die Covid-19-Krise beanspruchten Gesundheitsversorgung die zur Abdeckung von Auslastungsspitzen nötigen Vorhalteleistungen» finanzieren und «die nötigen Kapazitäten in Absprache mit dem Bund» definieren.

Angesichts der Verschlechterung der Gesundheitslage teilt der Bundesrat am 24. November 2021 zunächst mit, dass er eine Verschärfung der Massnahmen264 «derzeit nicht für angezeigt» hält und «an der mit den Kantonen vereinbarten Zusammenarbeit fest[hält], wonach bei regional unterschiedlicher Entwicklung der Pandemie die Kantone die notwendigen Massnahmen ergreifen». Er fordert jene Kantone, die dies noch nicht getan haben, auf, gewisse zusätzliche Massnahmen265 zu ergreifen, und weist darauf hin, dass er nur dann schweizweit eingreifen wird, wenn «die kantonalen Massnahmen und die Verhaltensänderungen nicht greifen». Er richtet diesbezüglich ein Schreiben an die GDK.

Nach ihrer Plenarversammlung vom 25. November 2021 ruft die GDK die Kantone dazu auf, ihr Schutzdispositiv zu verstärken, erachtet aber auch weitere schweizweite Massnahmen als notwendig. In ihrer Medienmitteilung hält sie fest, dass die «Erfahrung aus dem vergangenen Jahr zeigt, dass kantonal unterschiedliche Massnahmen bei einer schweizweit ungünstigen Entwicklung in der Bevölkerung auf wenig Verständnis stossen».266 Gleichentags erfährt der Bund vom Auftreten einer neuen Variante (Omikron) im südlichen Afrika. Am folgenden Tag wird diese von der WHO als «besorgniserregend» eingestuft. Die Schweiz ergreift daraufhin sofortige Massnahmen, um die Ausbreitung dieser Variante einzudämmen.267 Am 30. November 2021 ­ zwei Tage nach der Abstimmung über das Covid-19-Gesetz ­ kommt der Bundesrat zu einer ausserordentlichen Sitzung zusammen. Angesichts der Unsicherheiten rund um die Omikron-Variante und der zunehmenden Auslastung der Intensivpflegestationen beschliesst er, eine kurze Konsultation (weniger als 48 Stunden) zu verstärkten Massnahmen zu starten.268 Als er am 3. Dezember seinen Beschluss fasst, passt der Bundesrat einige Massnahmen aufgrund der Antworten der Kantone an.269 In seiner Medienmitteilung teilt der Bundesrat zudem mit, dass 264

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Coronavirus: Bundesrat will schweizweite Verschärfung der Massnahmen abwenden, Medienmitteilung des Bundesrates vom 24.11.2021. Zu dieser Zeit ist die Inzidenz in einigen Kantonen sechsmal höher als in den Kantonen mit tiefer Inzidenz. Der Bundesrat rechtfertigt seinen Entscheid damit, dass die Belastung der Intensivpflegestationen relativ tief ist und die regionalen Unterschiede gross sind.

Namentlich: Aufforderung zu repetitiven Tests in den Schulen und Einführung der Zertifikatspflicht für Mitarbeitende und Besuchende von Gesundheitseinrichtungen.

Plenarversammlung der GDK: Zur Eindämmung von Covid-19 braucht es weitere Massnahmen, Medienmitteilung der GDK vom 25.11.2021.

Verbot von Direktflügen aus dem südlichen Afrika, Quarantäne und obligatorische Tests für Reisende aus den betroffenen Regionen.

Coronavirus: Bundesrat startet Konsultation zu Wiedereinführung von verstärkten Massnahmen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 30.11.2021.

So wird die Homeoffice-Pflicht durch eine entsprechende Empfehlung ersetzt und auf eine Pflicht zur repetitiven Testung an Schulen verzichtet.

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fast alle Kantone «mit den strategischen Grundsätzen der Zusammenarbeit von Bund und Kantonen, die im Oktober 2020 vereinbart wurden, weiterhin einverstanden» sind und dass die grosse Mehrheit von ihnen bereit ist, «weitergehende Massnahmen zu ergreifen, falls die Massnahmen auf Bundesebene aufgrund von regional ausgeprägten Veränderungen nicht ausreichen sollten».270 Mehrere Kantone ergreifen solche Massnahmen271 im Dezember 2021.

Am 7. bzw. 10. Dezember 2021 beschliesst der Bundesrat zum dritten Mal einen Assistenzdienst der Armee und des Zivilschutzes, um die Kantone im Gesundheitswesen sowie beim Impfen und Contact-Tracing zu unterstützen.272 Dieser Einsatz ist bis Ende März 2022 befristet.

Angesichts der als «sehr kritisch» eingestuften Lageentwicklung beschliesst der Bundesrat am 10. Dezember, zwei Varianten für die Verschärfung der Massnahmen zur Pandemiebekämpfung in die Konsultation zu schicken.273 Am 17. Dezember entscheidet er sich schliesslich für die Variante mit 2G und 2G+ und weist darauf hin, dass das Ziel dieser Massnahmen in erster Linie darin besteht, die Spitalstrukturen zu schützen und allen den Zugang zur Intensivpflege zu ermöglichen.274 Gewisse Massnahmen fallen in die Zuständigkeit der Kantone wie die Maskenpflicht für den Unterricht der Sekundarstufe II275. Der Bundesrat gibt zudem Empfehlungen zur Maskenpflicht in der obligatorischen Schule, zur Einführung von repetitiven Tests und zur Verschiebung nicht dringender medizinischer Eingriffe an die Kantone ab.

Ende Dezember führt das EDI Aussprachen mit verschiedenen kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren über die Spitalkapazitäten. Angesichts der Unsicherheit in Bezug auf die künftige Entwicklung der epidemiologischen Lage im Zusammenhang mit der Omikron-Variante verzichtet der Bundesrat am 31. Dezember auf weitergehende Massnahmen.276 Januar bis Ende März 2022: wichtigste Massnahmen des Bundes Am 12. Januar 2022 schickt der Bundesrat eine Verlängerung der Massnahmen zur Pandemiebekämpfung in die Konsultation. Er lockert zudem die Quarantäne-

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Coronavirus: Bundesrat verstärkt die Massnahmen gegen die Pandemie, Medienmitteilung des Bundesrates vom 3.12.2021.

Namentlich: Maskenpflicht in der obligatorischen Schule, Sitzpflicht für die Konsumation in Restaurants, 3G-Regel in medizinischen Einrichtungen.

Coronavirus: Bundesrat beschliesst weitere Unterstützung durch Armee, Medienmitteilung des Bundesrates vom 7.12.2021; Coronavirus: Drittes Aufgebot des Bundesrates für den Zivilschutz, Medienmitteilung des Bundesrates vom 10.12.2021.

Coronavirus: Bundesrat schickt zwei Varianten für weitergehende Massnahmen in Konsultation, Medienmitteilung des Bundesrates vom 10.12.2021.

Coronavirus: Bundesrat beschliesst weitergehende Massnahmen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 17.12.2021. Am 13.12.2021 wird die Schwelle von 300 Covid-19-Patientinnen und -Patienten auf den Intensivpflegestationen überschritten.

Gemäss Art. 2 Abs. 2 der Covid-19-Verordnung besondere Lage fallen die Massnahmen im Bereich der obligatorischen Schule und der Sekundarstufe II in die Zuständigkeit der Kantone.

Coronavirus: Bundesrat hat sich über die aktuelle Lage ausgetauscht, Medienmitteilung des Bundesrates vom 31.12.2021.

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und Isolationsregeln.277 Am 19. Januar beschliesst er, die Massnahmen zur Pandemiebewältigung bis Ende Februar bzw. Ende März zu verlängern.278 Angesichts der günstigen Entwicklung der Situation in den Spitälern beschliesst der Bundesrat am 2. Februar 2022, die Quarantäne und die Homeoffice-Pflicht aufzuheben.279 Am 16. Februar kündigt er an, am folgenden Tag fast alle Massnahmen zur Pandemiebekämpfung ausser Kraft zu setzen.280 Zudem gibt er seine Absicht bekannt, Ende März die besondere Lage zu beenden.281 Am 30. März 2022 bekräftigt der Bundesrat seinen Entscheid, ab dem 1. April zur normalen Lage zurückzukehren und die letzten Massnahmen zur Pandemiebekämpfung aufzuheben.282 Die Covid-19-Verordnung besondere Lage wird ausser Kraft gesetzt und die Proximity-Tracing-App deaktiviert. Die Bestimmungen der Covid-19-Verordnung 3 bleiben im Wesentlichen in Kraft, namentlich diejenigen zu den medizinischen Gütern und den Tests.

Anfang Januar 2022 orientiert das EDI den Bundesrat über die Lage auf den Intensivpflegestationen in den Kantonen.283 Am 12. Januar diskutiert der Bundesrat darüber, wie der Bund den Kantonen helfen kann, gemäss Covid-19-Gesetz ihre Kapazitäten auszubauen.284 Er beauftragt das EDI, sich diesbezüglich mit den Kantonen auszutauschen, um den entsprechenden Bedarf für den Winter 2022/23 zu klären.

Zwischen Januar und März 2022 legt der Bundesrat, wie in den vorangegangenen Phasen, seine Vorschläge den Kantonen zur Konsultation vor, die in der Regel jeweils eine Woche dauert. Die am 19. Januar beschlossene Verlängerung der Massnahmen zur Pandemiebekämpfung wird von allen Kantonen mitgetragen; der Bundesrat nimmt auf deren Ersuchen punktuelle Anpassungen an den geltenden Massnahmen vor.285 277

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Coronavirus: Bundesrat schlägt Verlängerung der Massnahmen vor und verkürzt Isolation und Quarantäne auf 5 Tage, Medienmitteilung des Bundesrates vom 12.1.2022. Der Bundesrat gestattet es den Kantonen, im Bereich der Quarantäne und der Isolation Ausnahmen zu gewähren, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Coronavirus: Quarantäne und Homeoffice-Pflicht gelten bis Ende Februar, übrige Massnahmen provisorisch bis Ende März, Medienmitteilung des Bundesrates vom 19.1.2022.

Coronavirus: Bundesrat hebt Quarantäne und Homeoffice-Pflicht auf und startet Konsultation zu umfassenden Lockerungen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 2.2.2022.

Mit Ausnahme der Maskenpflicht an gewissen Orten und der Isolation.

Coronavirus: Bundesrat hebt Massnahmen auf ­ einzig Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr und in Gesundheitseinrichtungen sowie Isolation bleiben bis Ende März, Medienmitteilung des Bundesrates vom 16.2.2022.

Coronavirus: Rückkehr in die normale Lage und Planung der Übergangsphase bis Frühling 2023, Medienmitteilung des Bundesrates vom 30.3.2022.

Informationsnotiz des EDI vom 4.1.2022 zuhanden des Bundesrates («Neuste Erkenntnisse zur Omikron-Variante und Lagebeurteilung»). Das EDI hält fest, dass die Kantone sich bemühen, die Kapazitäten ­ namentlich mit Unterstützung der Armee ­auszubauen, es insbesondere aufgrund der Erschöpfung des Personals aber nicht mehr möglich ist, das Niveau vom Frühjahr 2020 zu erreichen.

Der Bundesrat beschliesst, gestützt auf Art. 3 Abs. 4bis des Covid-19-Gesetzes mit den Kantonen deren Bedarf an Spitalkapazitäten im Hinblick auf den Winter 2022/23 zu klären.

Namentlich: Aufhebung der Pflicht zur Erhebung von Kontaktdaten in den Diskotheken und bei bestimmten Veranstaltungen, Bewilligung von Grossveranstaltungen auch bei unzureichenden Kapazitäten für das Contact-Tracing, Regeln für Maturitätsprüfungen.

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Im Januar 2022 erreicht die Zahl der täglichen Neuinfektionen ihren höchsten Stand seit Beginn der Pandemie (zwischen 40 000 und 50 000 pro Tag). Aufgrund der geringeren Gefährlichkeit der Omikron-Variante und der Immunität der Bevölkerung stabilisieren sich die Todesfälle dennoch und geht die Auslastung der Spitäler zurück.

Vor diesem Hintergrund beschliesst der Bundesrat am 2. Februar, bestimmte Massnahmen mit sofortiger Wirkung aufzuheben, und schickt zwei Varianten für die weiteren Lockerungen in die Konsultation. Eine deutliche Mehrheit der Kantone spricht sich für eine Aufhebung der meisten Massnahmen ab dem 17. Februar aus. Der Bundesrat schliesst sich dieser Position an.

Ende Februar 2022 arbeitet das BAG basierend auf der Vorlage vom Oktober 2020 den Entwurf eines Dokuments zur Klärung der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen für das Pandemiemanagement im Hinblick auf die Rückkehr zur normalen Lage aus. 286 Das EDI orientiert den Bundesrat darüber, dass dieser Entwurf im Hinblick auf eine gemeinsame Verabschiedung mit der GDK diskutiert werden soll. Am 7. März tauscht sich der Vorsteher des EDI mit der GDK über die Modalitäten der künftigen Zusammenarbeit aus.287 Am 10. März gibt die GDK Empfehlungen an die Kantone ab, wie Artikel 3 Absatz 4bis des Covid-19-Gesetzes umgesetzt werden soll, der einen Ausbau der Kapazitäten der Intensivpflegestationen vorsieht.288 Die Empfehlungen entsprechen weitgehend den Massnahmen, die bereits in den vorhergehenden Phasen der Pandemie ergriffen worden sind.289 Die GDK hebt zudem hervor, wie wichtig langfristige Massnahmen für die Ausbildung und die Rekrutierung des Pflegepersonals sind. Sie verzichtet auf eine quantitative Vorgabe für die Kapazitätssteigerung für den Winter 2022/23.290 April bis Dezember 2022: wichtigste Massnahmen des Bundes Am 18. Mai 2022 verabschiedet der Bundesrat ein Grundlagenpapier, in welchem die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen in der normalen Lage dargelegt wird.291

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Notiz des EDI vom 22.2.2022 zuhanden des Bundesrates («Covid-19: Epidemiologische Lage»).

Coronavirus: Bund und Kantone planen ihre Zusammenarbeit für die kommenden Monate, Medienmitteilung des EDI und der GDK vom 7.3.2022.

GDK: Umsetzung Art. 3 Abs. 4bis des Covid-19-Gesetzes, Empfehlung und Beurteilung zuhanden der Kantone, Dokument vom 10.3.2022.

Z. B.: Verschiebung nicht dringender Eingriffe, Schaffung von Ad-hoc-Plätzen, zusätzliches unterstützendes Personal, Verlegungen zwischen Kantonen und Regionen.

Dieser Umstand führt zu einem späteren Zeitpunkt dazu, dass die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) u.a. in ihrem Schreiben vom 31.5.2022 an die GDK ihre Besorgnis in dieser Angelegenheit zum Ausdruck bringen wird. Sie weist die Kantone auf ihre Pflicht hin, für ausreichende Spitalkapazitäten zu sorgen, und behält sich vor, ansonsten im Rahmen der Änderung des Covid-19-Gesetzes einen verbindlicheren Wortlaut dieses Artikels vorzuschlagen und sicherzustellen, dass präzise Ziele zum Ausbau der Spitalkapazitäten festgelegt werden.

Bundesrat: Grundlagenpapier des Bundes zur mittel- und längerfristigen Entwicklung der Covid-19-Pandemie und zum Wechsel in die «normale Lage» vom 18.5.2022 (im Folgenden: «Grundlagepapier des Bundes vom 18.5.2022»).

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Am 3. Juni 2022 unterbreitet der Bundesrat dem Parlament eine Botschaft über die Verlängerung verschiedener Bestimmungen des Covid-19-Gesetzes. Bei der Beratung der Vorlage in der Herbst- und Wintersession 2022 in den eidgenössischen Räten gibt es bei den Bestimmungen zur Übernahme der Testkosten ab 2023 durch die Kantone292 und zu den Intensivpflegekapazitäten der Kantone Differenzen zwischen National- und Ständerat.293 In seiner Medienmitteilung vom 30. März 2022, in welcher der Bundesrat die Rückkehr zur normalen Lage ankündigt, weist er darauf hin, dass «die Hauptverantwortung für Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung nun wieder bei den Kantonen» liegt.294 Er konsultiert die Kantone zum Entwurf des Dokumentes, in welchem die Ziele und die Aufgabenteilung für die Übergangsphase bis Frühjahr 2023 festgelegt sind.

Am 29. April verabschiedet die KdK ihren Schlussbericht über die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen in der Krise (siehe Kap. 4).295 Der Bericht umfasst 15 Empfehlungen, von denen die meisten an den Bund gerichtet sind. In einer Anfang Mai an den Bundesrat gerichteten Notiz teilen die BK und das EDI mit, dass sie die Schlussfolgerungen aus diesem Bericht nur teilweise teilen.296 Am 18. Mai 2022 hält der Bundesrat fest, dass «sich viele Kantone kritisch» zum Papier über die Aufgabenteilung in der normalen Lage geäussert und «es abgelehnt [haben], das Papier für die Übergangsphase als gemeinsames Dokument zu verabschieden».297 Die grössten Differenzen gibt es bei der Aufgabenteilung im Falle eines rapiden Wiederanstiegs der Infektionszahlen.298 Der Bundesrat beschliesst deshalb, dieses Dokument unilateral zu verabschieden. Darin legt er dar, wie er die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen in verschiedenen Bereichen299 sieht.

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Im Rahmen der Konsultation zur Vorlage betreffend die Verlängerung des Covid-19Gesetzes (vom 27. April bis zum 12. Mai) sprechen sich alle Kantone gegen den Vorschlag aus, dass die Kosten für die Covid-19-Tests ab 2023 von den Kantonen zu tragen sind. Der Bundesrat behält diesen Vorschlag jedoch in seiner Botschaft bei, die er dem Parlament Anfang Juni vorlegt.

Die eidgenössischen Räte beschliessen in der Wintersession 2022, dass der Bund ab Ende 2022 keine Covid-19-Tests mehr finanziert. Die Bestimmungen zu den Intensivpflegekapazitäten werden von den Kammern letztlich nicht geändert.

Coronavirus: Rückkehr in die normale Lage und Planung der Übergangsphase bis Frühling 2023, Medienmitteilung des Bundesrates vom 30.3.2022.

KdK: Zusammenarbeit von Bund und Kantonen in der Covid-19-Epidemie: Schlussfolgerungen und Empfehlungen, Schlussbericht vom 29.4.2022. Die BK und das EDI tauschen sich vorgängig zweimal ­ im Dezember 2021 und Anfang April 2022 ­ mit der KdK über den Berichtsentwurf aus.

Die BK und das EDI lassen der GPK-S in der Folge eine detaillierte Stellungnahme zu den Schlussfolgerungen aus diesem Bericht zukommen.

Coronavirus: Bundesrat verabschiedet Grundlagenpapier zu Zielen, Aufgaben und Zuständigkeiten in der Übergangsphase, Medienmitteilung des Bundesrates vom 18.5.2022.

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass eine Rückkehr zur besonderen Lage nur der letzte Ausweg sein sollte, während die Kantone die Meinung vertreten, dass der Bund erneut intervenieren sollte, wenn es nationale Massnahmen braucht.

Überwachung und Meldesysteme, Testung, Versorgungskapazitäten, nicht pharmazeutische Massnahmen, Impfungen, Förderprogramm für Covid-19-Arzneimittel, Forschung, längerfristige gesundheitliche Auswirkungen von Covid-19, Internationales, Kommunikation und Koordination.

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Die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bund und der GDK über die Verantwortung für die schweizweiten Massnahmen bei einer neuen Welle halten während des Sommers 2022 an. Am 20. Mai 2022 verabschiedet die GDK Empfehlungen zum Prozess für die Anordnung von Covid-19-Massnahmen. Dieser sieht vor, dass «bei einer entsprechend angespannten epidemiologischen Lage und Krankheitslast sowie einer starken Belastung des Gesundheitswesens»300 subsidiär Bundesmassnahmen ergriffen werden. In einem Schreiben vom 21. Juni301 teilt der Vorsteher des EDI der GDK mit, dass der Bund die Auffassung der Kantone in diesem Punkt nicht teilt.302 Am 24. Juni bekräftigt die GDK im Dokument «Abfederung im Falle eines Wiederanstiegs von Covid-19 im Herbst/Winter 2022/2023» («Rebound Papier III»)303 ihren Wunsch, dass der Bund bei einer neuen Welle bestimmte nationale Massnahmen304 anordnet. In zwei Notizen ­ vom Juni und vom August 2022 ­ zuhanden des Bundesrates hält das EDI fest, dass die Meinungsverschiedenheiten weiterhin bestehen, und äussert sich besorgt über deren Auswirkungen im Falle einer neuen Welle im Herbst und Winter. Das Departement weist auf die Gefahr hin, dass die Kantone mit der Ergreifung bestimmter Massnahmen zuwarten und so den Bund unter Druck setzen, damit dieser erneut die besondere Lage erklärt.305 Am 22. Juni 2022 nimmt der Bundesrat Kenntnis vom Bericht der BK zur Auswertung des Krisenmanagements der Bundesverwaltung in der zweiten Phase der Pandemie (August 2020 bis Oktober 2021)306. Der Bundesrat nimmt insbesondere die Empfehlung 2 an, wonach unter anderem Massnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in einer Krise geprüft werden sollen.

Die begrenzten Intensivpflegekapazitäten der Kantone ­ insbesondere aufgrund des Pflegepersonalmangels ­ stehen auch im Sommer 2022 im Mittelpunkt des Austausches zwischen Bund und Kantonen. Im August teilt das EDI dem Bundesrat seine diesbezüglichen Bedenken im Hinblick auf eine allfällige neue Welle im Herbst und Winter mit.307 Ab Herbst 2022 beraten die eidgenössischen Räte den Vorschlag, den

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GDK-Empfehlungen zu Covid-19-Massnahmen zuhanden Kantone in der «normalen Lage», Definition des Prozesses, Dokument vom 20.5.2022.

GDK-Empfehlungen zu Covid-19-Massnahmen zuhanden Kantone in der «normalen Lage»: Stellungnahme des EDI, Schreiben des EDI vom 21.6.2022 an die GDK.

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Notwendigkeit, Massnahmen auf nationaler Ebene zu ergreifen, in der normalen Lage kein ausreichender Grund für ein Eingreifen des Bundesrates ist und dass es den Kantonen obliegt, sich darauf vorzubereiten, auf solche Situationen koordiniert zu reagieren. Der Vorsteher des EDI hebt indes hervor, dass das EDI und das BAG jederzeit für einen Austausch mit der GDK zur Verfügung stehen und die GDK bzw. einzelne Kantone beim Monitoring der epidemiologischen Lage unterstützen werden.

Abfederung im Falle eines Wiederanstiegs von Covid-19 im Herbst/Winter 2022/2023 («Rebound Papier III»), Notiz der GDK vom 24.6.2022.

Zertifikatspflicht, Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr.

Notiz des EDI vom 19.8.2022 zuhanden des Bundesrates («Covid-19: Von-WattenwylGespräche vom 2. September 2022»).

Bericht der BK vom 22.6.2022. Siehe auch: Auswertung des Krisenmanagements in der zweiten Phase der Covid-19-Pandemie, Medienmitteilung des Bundesrates vom 22.6.2022.

Notiz des EDI vom 28.6.2022 zuhanden des Bundesrates («Covid-19: Point de Situation»), Notiz des EDI vom 19.8.2022 zuhanden des Bundesrates («Covid-19: VonWattenwyl-Gespräche vom 2. September 2022»).

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Artikel des Covid-19-Gesetzes zu den Spitalkapazitäten (Art. 3 Abs. 4bis) verbindlicher zu formulieren.308 In einer Medienmitteilung vom 24. August 2022 hält der Bundesrat fest, dass «im Herbst/Winter 2022/2023 [...] mit erneuten Ansteckungswellen gerechnet werden [muss], es aber schwierig ist, deren Ausmass vorherzusehen». Er geht indes davon aus, «dass die Bewältigung im Rahmen der ordentlichen Strukturen erfolgen kann».309 Anfang Oktober 2022 veröffentlicht der Bundesrat seine Stellungnahme zum Schlussbericht der KdK vom April. Er bedauert «den fehlenden Einbezug des Bundes bei der Analyse und Bewertung der Zusammenarbeit». Er erklärt sich bereit, auf die Empfehlungen zumindest teilweise einzugehen, weist aber darauf hin, dass mehrere Aspekte bereits umgesetzt worden sind oder geprüft werden. Er teilt die Auffassung der KdK, dass die Zusammenarbeit mit den Kantonen bei Strategie und Planung verbessert werden muss.310 Am 20. Oktober 2022 teilt die GDK mit, dass sie darauf verzichtet, den Kantonen Massnahmen zu empfehlen, da dies angesichts der epidemiologischen Lage nicht gerechtfertigt ist und die Auslastung der Spitäler auf einem Niveau liegt, «das sich gut bewältigen lässt».311 Weder Bund noch Kantone erlassen bis Ende Jahr 2022 Covid19-Massnahmen oder geben entsprechende Empfehlungen ab.

7

Einschätzung durch die Akteure

Im Folgenden legt die GPK-S dar, wie die beteiligten Akteure312 die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Kantonen in der Covid-19-Pandemie bewerten. Die Kommission stützt sich dabei in erster Linie auf ihre Anhörungen und ihre schriftlichen Abklärungen aus dem Zeitraum von 2020 bis 2022 (siehe Kap. 3)313 sowie auf die verschiedenen bereits veröffentlichten Evaluationsberichte zu diesem Thema (siehe Kap. 5).

Die Einschätzungen durch die Akteure sind nach Themenfeldern gruppiert. Zunächst (Kap. 7.1) geht es um die Strukturen für die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen, danach (Kap. 7.2) um die Kompetenzverteilung in den verschiedenen Pandemiephasen. Im Weiteren (Kap. 7.3) wird die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen im Bereich der schweizweiten Massnahmen zur Pandemiebekämpfung (Konsultationen 308 309 310

311 312 313

Dieser Vorschlag wird vom Nationalrat in der Herbstsession angenommen, vom Ständerat in der Wintersession abgelehnt und letztlich in der Differenzbereinigung aufgegeben.

Covid-19: Aktuell hohe Immunität in der Bevölkerung, Medienmitteilung des Bundesrates vom 24.8.2022.

Stellungnahme des Bundesrates zum Schlussbericht der KdK «Zusammenarbeit von Bund und Kantonen in der Covid-19-Epidemie: Schlussfolgerungen und Empfehlungen», Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022. Siehe auch Bundesrat nimmt Stellung zum Schlussbericht der KdK zur «Zusammenarbeit von Bund und Kantonen in der Covid-19Epidemie», Medienmitteilung des Bundesrates vom 12.10.2022.

Coronavirus: GDK-Vorstand verzichtet derzeit auf Massnahmenempfehlungen, Medienmitteilung der GDK vom 20.10.2022.

Namentlich Bundesrat, EDI, BK und BAG seitens der Bundesbehörden und KdK, GDK, VKS und KAV seitens der Kantone.

Eine Auflistung der angehörten Personen findet sich in Anhang 1.

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zu den geplanten Massnahmen, Information über die Beschlüsse, Unterstützung beim Vollzug) thematisiert. In Kapitel 7.4 werden die wichtigsten Verbesserungen behandelt, die in Bezug auf die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bereits ergriffen wurden.

7.1

Strukturen für die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen

Zusammenfassung der wichtigsten Feststellungen der GPK-S Das EDI und das BAG ziehen eine positive Bilanz über den Einbezug der Kantone in die Krisenorganisation des Bundes und bezeichnen die Kontakte zu den Kantonen als eng und regelmässig. Die Bilanz der BK fällt durchzogener aus. Die KdK wiederum ist insgesamt eher kritisch, anerkennt aber, dass im Laufe der Pandemie gewisse Verbesserungen vorgenommen wurden.

Das EDI und die GDK bezeichnen ihre Zusammenarbeit in der Krise, die ab August 2020 immer intensiver und dann auch institutionalisiert wurde, als gut.

Das EDI beurteilt auch den Austausch mit den Kantonsregierungen als gut, betont aber, dass die unterschiedlichen Positionen der Kantone eine Herausforderung darstellten.

Die operative Zusammenarbeit mit dem BAG wurde von der GDK sowie von der Kantonsärzteschaft und von den Kantonsapothekerinnen und -apothekern eher positiv beurteilt. Diese unterstreichen die Verfügbarkeit der BAG-Mitarbeitenden und die Nützlichkeit der direkten Kontakte. In der ersten Pandemiewelle wurden verschiedene Schwächen erkannt, die aber ab Sommer 2020 grösstenteils beseitigt werden konnten. Die KdK kritisiert die unklaren Strukturen des Bundes und das Fehlen klar definierter Ansprechstellen, vor allem in der ersten Welle. Laut den Bundesbehörden erwies sich die Schaffung eines Single Point of Contact angesichts der Tragweite und der Komplexität der Krise als unrealistisch.

Die Rolle der Bundesstäbe (KSBC und BSTB) beim Einbezug der Kantone in das Krisenmanagement wird insgesamt negativ beurteilt: Sowohl die BK als auch die KdK kommen zum Schluss, dass diese Stäbe diesbezüglich nur eine untergeordnete Rolle spielten. Das EDI hingegen unterstreicht die Bedeutung dieser Organe für die Koordination und den Informationsaustausch.

Einer der Hauptkritikpunkte der KdK betrifft die strategische Zusammenarbeit von Bund und Kantonen auf Regierungsebene. Diese wird als unzureichend bezeichnet. In ihrem Schlussbericht fordern die Kantone einen regelmässigen, stärker institutionalisierten politisch-strategischen Austausch von Vertretungen des Bundesrates und der Kantonsregierungen. Der Bundesrat anerkennt die Notwendigkeit, den strategischen Austausch mit den Kantonen im Krisenfall zu stärken, hebt aber hervor, dass sich diesbezüglich mehrere grundsätzliche Fragen zum Föderalismus und zur Kompetenzverteilung stellen. Im März 2023 legte er einen Vorschlag zur künftigen Krisenorganisation des Bundes vor.

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Das in Artikel 54 EpG vorgesehene Koordinationsorgan spielte in der Pandemie keine entscheidende Rolle. Laut BAG war dieses Organ nie als Krisenstab oder Vollzugsorgan vorgesehen. Die GDK ist der Ansicht, dass dieses Organ keine geeignete Krisenmanagementstruktur ist, und verzichtete deshalb darauf, dessen Aktivierung zu verlangen.

7.1.1

Einbezug der Kantone in die Krisenorganisation des Bundes

Kontakte auf Ebene Bundesrat Die KdK hält in ihren Berichten von 2020 und 2022 fest, dass der politische Austausch zwischen den Kantonen und den Bundesratsmitgliedern im Wesentlichen von Fall zu Fall stattfand und der Bundesrat die Präsidentinnen und Präsidenten der Kantonsregierungen und der interkantonalen Konferenzen hauptsächlich vor der Ankündigung wichtiger Entscheide zum Austausch einlud.314 Ausserdem schreibt sie, dass die Bundespräsidentin bzw. der Bundespräsident häufig mit dem KdK-Präsidenten in Kontakt stand ­ vor allem im ersten Krisenjahr.315 Sie kritisiert aber das Fehlen eines regelmässigen politisch-strategischen Austauschs auf Regierungsebene (siehe Kap. 7.1.2).316 Der GDK-Präsident begrüsste allerdings ausdrücklich, dass sich der Bundesrat sehr um einen direkten Austausch mit den kantonalen Verantwortlichen bemühte.317 Die Bundespräsidentin 2020 teilte den GPK mit, dass sie sich in den ersten Pandemiewochen um einen engen Kontakt zu den Kantonsregierungen bemühte, namentlich zu jener des Tessins. Sie erklärte, dass eine gute Zusammenarbeit mit den Kantonen unerlässlich ist, da der Vollzug der Bundesratsentscheide stets in deren Zuständigkeit fällt.318 Kontakte auf Ebene Krisenstäbe des Bundes319 Das EDI äusserte gegenüber der GPK-S die Auffassung, dass die Kantone im KSBC und im BSTB gut einbezogen waren. Der KSBC habe sich gut dazu geeignet, den Koordinationsbedarf zu ermitteln und Doppelspurigkeiten zu bereinigen. Dadurch, dass die Kantone in diesem Stab vertreten waren, konnte dieser seine Arbeit in Richtung Vollzug orientieren.320 Aus Sicht des Departementes erfolgte der Einbezug der 314 315

316 317 318 319

320

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 3.2; Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 4.1.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 4.1. Die KdK erwähnt insbesondere den Austausch zwischen dem EDI-Vorsteher und dem GDK-Präsidium sowie den Austausch zwischen den Vorstehern des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) und des WBF und den Präsidentinnen und Präsidenten der Finanzdirektorenkonferenz (FDK) und der VDK.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 3.1.

Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021.

Anhörung der Bundespräsidentin 2020 vom 21.4.2020.

Siehe hierzu auch Krisenorganisation des Bundes für den Umgang mit der Covid19-Pandemie (Januar bis Juni 2020), Bericht der GPK vom 17.5.2022, Kap. 7.2.2, 8.2.2 und 10 (BBl 2022 1801).

Schreiben des EDI vom 14.6.2021 an die GPK-S.

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Kantone über den Generalsekretär der KdK «früh und durchaus umfassend». Der BSTB habe sich durch seine sehr breite Zusammensetzung dafür geeignet, eine Vielzahl von Akteuren, darunter die Kantone, über die jüngsten Entwicklungen zu informieren.321 Der EDI-Generalsekretär betonte, dass dank dem BSTB insbesondere die operative Koordination der Massnahmen in Bereichen wie Schutzmaterial oder Spitalkapazitäten sichergestellt werden konnte.322 Die BK kritisiert in ihrem Bericht vom Dezember 2020, dass die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten des KSBC und des BSTB in der ersten Pandemiephase unklar waren. Diese Gremien seien vor allem als Austausch- und Informationsplattformen genutzt worden. Ihre rechtlich vorgesehene Aufgabe, die Koordination und die Vorbereitung der Bundesratsentscheide, sei von anderen Gremien übernommen worden, namentlich von der Covid-19-Taskforce des BAG, in der die Kantone nicht vertreten waren.323 In ihrem Bericht vom Juni 2022 empfiehlt die BK, die Organisation des Krisenmanagements der Bundes auf strategischer und operativer Ebene324 zu überdenken und den Einbezug der Kantone in das Krisenmanagement des Bundes325 zu überprüfen.

Auch die Beurteilung dieser beiden Gremien durch die Kantone fällt kritisch aus. Die KdK schreibt in ihrem Bericht vom Dezember 2020, dass der KSBC und der BSTB «von einer Mehrheit der Kantone nicht als nützlich erachtet [wurden], da ihre jeweilige Rolle nicht klar zu erkennen war» und dass diese Organe «für materielle Diskussionen oder die Entscheidfindung nicht geeignet [waren]».326 Aus Sicht der KdK erleichterten diese Organe «die Koordination zwischen den Kantonen und dem Bund nur unwesentlich». Diese hätten vielmehr «zu einer Vervielfachung der Informationskanäle und einem Verlust eines Gesamtüberblicks» beigetragen. Die KdK bekräftigt diese Auffassung in ihrem Bericht vom April 2022.327 Sie hält darin fest, dass die politischen Entscheidungsgrundlagen nicht in der ursprünglich dafür vorgesehenen Organisationsstruktur vorbereitet wurden. Stattdessen hätten sektorielle technische Krisengremien, welche ad hoc einberufen worden seien, diese Aufgabe wahrgenommen, wobei die Kantone nicht systematisch einbezogen worden seien. Die Vertreterinnen und Vertreter der KdK und der GDK bestätigten diese Kritik gegenüber den GPK: Laut GDK-Generalsekretär
lässt sich die unklare Rolle der Kantone im BSTB vermutlich damit erklären, dass der BSTB eher allgemein und auf Krisen unterschiedlichster Art ausgerichtet ist.328 In Bezug auf den KSBC kamen die Generalsekretärinnen und -sekretäre der GDK und der KdK zum Schluss, dass dieses Gremium in erster Linie der internen Koordination der eidgenössischen Departemente diente und dass

321 322 323 324 325 326 327 328

Schreiben des EDI vom 14.6.2021 an die GPK-S, Anhörung des GS-EDI vom 21.6.2021.

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

Bericht der BK vom 11.12.2020, Kap. 2.2.

Bericht der BK vom 22.6.2022, Kap. 2.1 und Empfehlung 1.

Bericht der BK vom 22.6.2022, Kap. 2.2 und Empfehlung 2.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.2.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 4.1.

Anhörung der GDK vom 18.2.2021. Es wurde allerdings auch betont, dass die Einführung von Videokonferenzen während der Pandemie den Einbezug der Kantone im BSTB erleichterte.

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die darin kommunizierten Informationen für die Kantone nur geringen Mehrwert aufwiesen.329 Der EDI-Generalsekretär erklärte, dass nach der ersten Pandemiewelle auf der Grundlage der bis dahin gemachten Erfahrungen die Krisenorganisation überarbeitet wurde, unter anderem mit der Schaffung des Covid-19-Steuerungsausschusses, in welchem die Kantone vertreten waren.330 Das EDI unterstrich, dass dieser Ausschuss ab August 2020 eine wichtige Rolle innehatte.331 Die KdK teilte in der Folge aber mit, dass auch dieses neue Gremium nicht den Bedürfnissen der Kantone entsprach.332 Kontakte auf Ebene EDI Das EDI bestätigte gegenüber der GPK-S mehrfach, während der gesamten Pandemie einen engen Austausch mit den kantonalen Behörden gepflegt zu haben. Der Kontakt zu den kantonalen Fachkonferenzen, namentlich der GDK und der KdK, habe eine wichtige Funktion beim Informationsaustausch eingenommen.333 Das Departement hielt aber auch fest, dass die heterogenen Positionen der Kantone in den Konferenzen eine Herausforderung dargestellt hatten (siehe auch Kap. 7.2.2 und 7.3.1).334 Es begrüsste ausdrücklich die gute Zusammenarbeit mit der GDK, die ab August 2020 immer intensiver und dann auch institutionalisiert wurde. Die Intensität des Austauschs habe ab dem Frühjahr 2021 allerdings abgenommen, nachdem beschlossen worden sei, die Kantone via ihre Staatskanzleien zu konsultieren (siehe Kap. 7.3.1). Das EDI zog im Weiteren eine positive Bilanz335 der Kantonsbesuche des EDI-Vorstehers336, der thematischen Gipfeltreffen337 und der direkten Kontakte des Departementsvorstehers oder des GS-EDI mit einzelnen Kantonsregierungen338.

Die Kantone bezeichneten die direkten Kontakte zum EDI während der Pandemie ebenfalls als insgesamt positiv.339 Die Vertreterinnen und Vertreter der GDK erklärten gegenüber der GPK-S, dass der politische Austausch mit dem EDI ­ sowohl in der ersten als auch in der zweiten Pandemiephase ­ eng und regelmässig war, und zogen diesbezüglich eine positive Bilanz. Im Weiteren lobten sie die gute Zusammenarbeit zwischen den Führungsorganen des EDI, des BAG und der GDK340 sowie die grosse 329

330 331 332

333 334 335 336 337 338 339 340

Anhörung der GDK vom 18.2.2021, Anhörung des Generalsekretärs der KdK vom 23.8.2021. Siehe hierzu auch Krisenorganisation des Bundes für den Umgang mit der Covid19-Pandemie (Januar bis Juni 2020), Bericht der GPK vom 17.5.2022, Kap. 6.4.7 (BBl 2022 1801, S. 83).

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

Schreiben des EDI vom 14.6.2021 an die GPK-S.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.2. Der KdK-Generalsekretär erklärte im August 2021 gegenüber der Kommission, dass der neue Ausschuss seiner Meinung nach nicht praxistauglich ist (Anhörung des Generalsekretärs der KdK vom 23.8.2021).

Schreiben des EDI vom 14.6.2021 an die GPK-S, Anhörung des GS-EDI vom 21.6.2021.

Schreiben des EDI vom 14.6.2021 an die GPK-S, Anhörung des GS-EDI vom 21.6.2021.

Schreiben des EDI vom 14.6.2021 an die GPK-S.

Die gemäss EDI einen direkten Kontakt mit den Kantonsregierungen und den in der Pandemiebewältigung aktiven Personen ermöglichten.

Die gemäss EDI eine Diskussion über die spezifischen Sorgen einiger Kantone ermöglichten.

Die es gemäss EDI ermöglichten, die sehr unterschiedlichen Bedingungen in den Kantonen zu berücksichtigen und die Positionen des Bundesrates gezielt zu kommunizieren.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.2.

Anhörung der GDK vom 18.2.2021.

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Disponibilität der Bundesbehörden341. Die KdK kritisierte allerdings, dass unklar war, wer bei der Bundesverwaltung die zuständigen Ansprechpersonen waren (siehe unten). Sie bedauerte zudem, dass im Zentrum des Pandemiemanagements vor allem die gesundheitlichen Aspekte standen.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Bilanz der GDK über die Zusammenarbeit mit den Bundesbehörden positiver ausfällt als jene der KdK oder anderer interkantonaler Konferenzen. Der GDK-Präsident erklärt dies damit, dass die GDK dasjenige kantonale Gremium war, das am direktesten an der Pandemiebewältigung beteiligt war und sich deshalb auch besser eingebunden fühlte.342 Kontakte auf Ebene BAG Die GDK begrüsste gegenüber der GPK-S das rasche Zustandekommen des Kontakts zum Bundesamt sowie die grosse Disponibilität der BAG-Mitarbeitenden und betonte mehrfach den Nutzen der direkten Kontakte.343 Der Generalsekretär der GDK erklärte, dass das BAG stets bereit war, sich die Vorschläge der Kantone für die Massnahmen zur Pandemiebekämpfung anzuhören.344 Laut KdK funktionierte der Informationsaustausch auf operativer Ebene gut.345 Das BAG wies gegenüber der Kommission ebenfalls auf den intensiven und regelmässigen Austausch mit den Kantonen während der Pandemie hin.346 Die organisatorischen Strukturen hätten es ermöglicht, Probleme rasch zu erkennen und auszuräumen. Low-Level-Kontakte zwischen den Akteuren seien stets möglich gewesen. Die BAG-Direktorin wies darauf hin, dass das Bundesamt nahezu täglich in Kontakt mit der GDK stand und seitens des Amtes nichts unternommen wurde, ohne nicht wenigstens mit der GDK Rücksprache gehalten zu haben.347 Die Hauptkritik der Kantone betrifft die wenig transparente Organisationsstruktur des BAG.348 Dieser Punkt wird auch in der Evaluation von Interface und Infras thematisiert. Diese Problematik habe sich durch die zahlreichen Personalwechsel noch verstärkt.349 Zur Zusammenarbeit zwischen dem BAG und den Kantonsärztinnen und -ärzten sowie den Kantonsapothekerinnen und ­apothekern, siehe weiter unten, Kap. 7.1.3.

Kontaktstellen und Erkennbarkeit der Akteure

341 342 343 344

345 346 347 348 349

Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021.

Anhörung der GDK vom 18.2.2021.

Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021, Anhörung der GDK vom 18.2.2021.

Anhörung der GDK vom 18.2.2021. Als Beispiele nannte es insbesondere die Einführung eines einheitlichen elektronischen Instruments für die Quarantäneerfassungen, die Strategie für grossflächige Tests und die Einreisekontrollen.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.2.

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021, Anhörung des BAG vom 23.8.2021.

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021, Schreiben der VKS vom 7.6.2021 an die GPK-S.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 4.1.5.

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Die BK hält in ihrem Bericht vom Dezember 2020 fest, dass das Fehlen klar definierter Kontaktstellen, sowohl seitens Bund als auch seitens der Kantone, die Koordination in der ersten Pandemiephase erschwerte. Sie kommt zum Schluss, dass die «Informations-, Kommunikations- und Konsultationskanäle [...] klar definiert werden» sollten und die «Einführung von klar definierten Kontaktstellen auf beiden Seiten [...]

wünschenswert» wäre. 350 Auch die KdK kritisierte die Vielzahl von verantwortlichen Stellen und Informationskanälen, die unklare Kompetenzverteilung und die Schwierigkeit, beim Bund die richtigen Ansprechpartner zu finden. Sie ruft dazu auf, eindeutige Kontakt-351 und Anlaufstellen352 zu definieren.

Die VKS und die Kantonsapothekervereinigung (KAV) erklärten gegenüber der GPK-S, dass nicht immer offensichtlich war, welche Rolle welche Bundesstelle spielte und in welchem Verhältnis diese zueinander stehen.353 Die VKS präzisierte, dass sie Anfragen von verschiedenen Ämtern erhielt, ohne dass eine Koordination zwischen diesen erkennbar gewesen wäre. Beide Verbände teilten mit, dass die Kantonsärztinnen und -ärzte sowie die Kantonsapothekerinnen und -apotheker einerseits zu Themen konsultiert wurden, die gar nicht in ihre Zuständigkeit fallen,354 dass andererseits aber vergessen wurde, sie zu Themen zu konsultieren, bei denen es zweckmässig gewesen wäre.355 Auch Interface und Infras kommen in ihrer Evaluation zum Schluss, dass die Vielzahl von Gremien und Akteuren, die auf Bundesebene an der Entscheidfindung beteiligt waren, zu einer Unklarheit führte, welche die Beziehungen zwischen dem Bund und den Kantonen belastete.356 Die Direktorin des BAG erklärte, dass man vor der Pandemie davon ausging, der Bund und die Kantone könnten einen Single Point of Contact (SPOC) bezeichnen, sich dies aber angesichts der Komplexität der Krise als unrealistisch herausstellte.357 Deshalb sei beschlossen worden, für jedes Thema Ansprechpersonen im BAG und in

350 351

352 353 354

355 356 357

Bericht der BK vom 11.12.2020, Kap. 2.4, Maxime 2.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.2; Bericht der KdK vom 28.4.2022, Kap. 3.4; Anhörung des Generalsekretärs der KdK vom 23.8.2021; Anhörung der KdK und der GDK vom 26.9.2022.

Bericht der KdK vom 28.4.2022, Kap. 3.4, Empfehlung 7.

Schreiben der VKS vom 7.6.2021 an die GPK-S, Schreiben der KAV vom 4.6.2021 an die GPK-S.

Die VKS erwähnte in diesem Zusammenhang die Kontrolle der Schutzkonzepte ausserhalb des Gesundheitsbereichs und die Reisebeschränkungen. Die KAV wiederum erklärte, dass den Bundesbehörden vermutlich nicht klar war, dass die Kantonsapothekerinnen und -apotheker üblicherweise nicht über die Verteilkanale verfügen, die notwendig sind, um Heilmittel oder Schutzmaterial direkt an die Anwender zu liefern.

Die VKS erwähnt in diesem Zusammenhang die Einführung von Selbsttests und die Beschaffung von monoklonalen Antikörpern.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 4.1.3.

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021; Anhörung des EDI und des BAG vom 21.10.2022.

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den Kantonen zu bestimmen, was sich ihrer Ansicht nach als sehr nützlich erwiesen hat.358 Der Bundesrat äusserte im Oktober 2022 die Ansicht, dass der Wunsch der Kantone nach einem SPOC nachvollziehbar ist, ein solcher jedoch nicht leicht umsetzbar ist, da grundsätzlich keine Einheit in der Lage ist, in einer Krise die Last aller eingehenden Anfragen zu tragen. Er erachtete es als zweckdienlicher, eine gute Zusammenarbeit innerhalb der Sektoralpolitiken und der Fachnetzwerke aufzubauen bzw. sicherzustellen. Wie der nationale Informationsaustausch in einer Krise weiter verbessert werden könne, werde im Rahmen der Umsetzung der Arbeiten der BK zur Verbesserung der Krisenorganisation des Bundes entschieden.359 Das EDI räumte gegenüber der GPK-S ein, dass es keine Übersicht gibt, aus der die zuständigen Stellen und Akteure in einer Gesundheitskrise hervorgehen.360 Die Kommission erkundigte sich nach der Möglichkeit, ein allgemeines Register der Gesundheitsakteure zu erstellen, welches es erleichtern würde, in einer Krise die richtigen Ansprechpartner zu finden. Das Departement erklärte hierzu, dass es ein solches Instrument nicht als notwendig erachtet, da sowohl auf Bundes- als auch auf Kantonsebene bereits eine Vielzahl von Registern und Erhebungen zu den Leistungserbringenden im Gesundheitswesen bestehen.361 Es ergänzte, dass die verschieden Datenbanken der medizinischen Register derzeit im Hinblick auf ihren Zweck, ihre Typologie, ihren Umfang und ihre Aktualität überprüft werden.362 Rolle des Koordinationsorgans EpG (KOr EpG) In mehreren Berichten wird festgehalten, dass dieses Organ, das in Artikel 54 EpG vorgesehen ist (siehe Kap. 4), in der Covid-19-Pandemie keine entscheidende Rolle spielte.363 Die GPK-S erkundigte sich nach den Gründen dafür, dass das KOr EpG keine wichtigere Rolle spielte. Laut der BAG-Direktorin wurde mit diesem ständigen Gremium die Förderung des One-Health-Ansatzes364 im Bereich der Bekämpfung übertragbarer 358

359 360 361

362 363

364

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021. Die Direktorin präzisierte, dass allein im Themenbereich Impfung auf beiden Seiten rund 20 Kontaktpersonen bezeichnet werden mussten, um die verschiedenen Aspekte (z. B. Datenmanagement, Logistik, Impfempfehlungen) abzudecken.

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 9/10.

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

Schreiben des EDI vom 12.10.2021 an die GPK-S. Das EDI nannte insbesondere die Register für die Zulassung der Berufsausübung, für die Erhebung der Betriebe und für die Leistungsabrechnung, die Erhebung des Bundesamtes für Statistik (BFS) zu Strukturdaten der Arztpraxen und ambulanten Zentren, das geplante Leistungserbringerregister (LeReg) und das interaktive Verzeichnis der im Gesundheitswesen tätigen Personen und Organisationen der Stiftung Refdata.

Diese Überprüfung erfolgt im Rahmen des Programms «Nationale Datenbewirtschaftung» (NaDB) des BFS und des Projekts eines Leistungserbringerregisters (LeReg).

Das KOr EpG kam vor der Pandemie zwei bis viermal pro Jahr zusammen und traf sich auch zwischen 2020 und 2022, im Beisein der Kantonsärzteschaft und der Kantonsapothekerschaft, in einem ähnlichen Rhythmus. Siehe hierzu auch Kap. 4 und 6.1.

Der One-Health-Ansatz fördert die Zusammenarbeit von Humanmedizin, Veterinärmedizin und Umweltwissenschaften, um bessere Resultate für die öffentliche Gesundheit zu erzielen. Siehe BLV: One Health, www.blv.admin.ch, Das BLV > Auftrag und Aufgaben (aufgerufen am 31.3.2023).

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Krankheiten bezweckt, war aber nie vorgesehen, dass es als Pandemiestab dient.365 Das EDI räumte ein, dass das KOr EpG in der Covid-19-Krise zwar mehrmals tagte, dem Einsatzorgan des Bundes (BSTB) jedoch nicht die erhoffte Unterstützung brachte.366 In der Evaluation von Interface und Infras wird unterstrichen, dass das Organ auch bei der Koordination der Informations- und Kommunikationsaktivitäten nicht die Rolle übernahm, die ihm laut EpG eigentlich zukommt.367 Laut dem GDK-Präsidenten zeigte sich, dass das KOr EpG keine geeignete Krisenmanagementstruktur war, da es über keine Führungskompetenzen verfügte und dessen potenzielle Mitglieder bereits stark in anderen Ad-hoc-Strukturen eingebunden waren.368 In dieser Form wäre dieses Organ in seinen Augen nicht in der Lage gewesen, gemeinsam politische Entscheide vorzubereiten.369 Deshalb habe die GDK keine stärkere Rolle für dieses Organ gefordert.370 Die BAG-Direktorin kündigte an, dass die Rolle des KOr EpG und seine Zusammensetzung im Rahmen der geplanten Revision des EpG geprüft werden.371

7.1.2

Strategische und politische Koordination

Einer der Hauptkritikpunkte in Sachen Organisation, den die KdK in ihrer Pandemiebilanz nennt, betrifft die strategische Zusammenarbeit auf Regierungsebene zwischen dem Bund und den Kantonen. Diese wird als unzureichend bezeichnet. Die KdK ist der Ansicht, dass der «politische Austausch und die Koordination zwischen Bundesrat und Kantonsregierungen [...] für ein gesamtschweizerisch kohärentes Krisenmanagement unabdingbar» sind.372 Es gehe darum, Informationen in beide Richtungen und frühzeitig auszutauschen sowie über Strategien und Planung zu diskutieren.373 Der GDK-Präsident erklärte gegenüber der GPK-S, dass sich die Kantone in der Pandemie einen engeren politischen Austausch gewünscht hätten.374 Laut KdK fand der politische Austausch in erster Linie auf sektorieller Ebene statt, und dies, obwohl es sich um eine komplexe Epidemie mit umfangreichen Auswirkungen handelte, deren 365

366

367 368 369 370 371 372 373 374

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021. Siehe dazu die Grundsätze des Pandemieplans (Kap. 6). Laut der BAG-Direktorin befasste sich das KOr EpG insbesondere mit den Themen Covid-19-Zertifikat, neue Virusmutationen, Kommunikation und Zukunftsaussichten.

Schreiben des EDI vom 3.3.2023 an die GPK-S. Gemäss Art. 54 Abs. 3 Bst. e EpG haben das Koordinationsorgan und seine Unterorgane die Aufgabe, das Einsatzorgan des Bundes «bei der Bewältigung von besonderen oder ausserordentlichen Lagen» zu unterstützen.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 4.3.2.

Anhörung der GDK vom 18.2.2021.

Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021.

Anhörung der GDK vom 18.2.2021.

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

Covid-19: Kantone schlagen Verbesserungen des Krisenmanagements vor, Medienmitteilung der KdK vom 6.5.2022.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 4.1, Empfehlung 8.

Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021. Der KdK-Generalsekretär bestätigte gegenüber der GPK-S (Anhörung vom 23.8.2021), dass die Kantone den Bundesrat im Frühjahr 2020 ersuchten, einen paritätischen Generalstab Bund/Kantone einzurichten, der Bund diesen Vorschlag aber ablehnte.

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Bewältigung eines ganzheitlichen Ansatzes bedurft hätte.375 Dies habe dann auch zur Folge gehabt, dass einige Themenbereiche im Krisenmanagement nicht ausreichend berücksichtigt worden seien.376 Die Vertreterinnen und Vertreter der KdK und der GDK sprachen sich gegenüber den GPK für eine Stärkung der institutionellen Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Kantonen bei der Beschlussvorbereitung und -fassung aus.377 In den Augen des GDK-Präsidenten ist es sinnvoll, dass die Federführung in einer Gesundheitskrise beim EDI und bei der GDK liegt. Wenn es allerdings um Fragen von grundsätzlicher Bedeutung gehe oder mehrere Bereiche betroffen seien, müsse auch die KdK einbezogen werden.378 Die KdK schreibt in ihrem Bericht vom Dezember 2020, dass für die operative Zusammenarbeit zwischen Kantonen und Bund künftig ein «einziges, kleineres, paritätisch [...] besetztes Organ» zuständig sein sollte.379 Sie konkretisierte diesen Wunsch mit einer Empfehlung in ihrem Bericht vom April 2022, in der sie verlangt, dass «ein permanenter und departementsübergreifender Krisenstab des Bundes [...] unter Einbezug von Kantonsvertretungen die Vorbereitung von Grundlagen für politische Entscheide auf Bundesebene» sicherstellt. Ferner ersuchte sie den Bund, die Rolle und eine allfällige Weiterentwicklung des BSTB zu prüfen.380 Der Bundesrat erklärte im Oktober 2022, dass ein Austausch auf strategischer Ebene zwischen Bund und Kantonen über die Strategie und die Planung des Krisenmanagements «wichtig und sinnvoll» ist.381 Er teilte die Ansicht, «dass der heutige Einbezug der Kantone ins nationale strategische Krisenmanagement überprüft und gegebenenfalls angepasst werden muss» und kündigte an, dass diese Überprüfung im Rahmen der laufenden Arbeiten zur Krisenorganisation der Bundesverwaltung erfolgen wird.382 Das von der KdK vorgeschlagene Modell werde in diesem Rahmen geprüft.

Der Bundesrat lehnte allerdings einen direkten strategischen Austausch über das nationale Krisenmanagement zwischen Vertreterinnen und Vertretern des Bundesrates und der Kantonsregierungen ab. Ausserdem wies er darauf hin, dass das vorgeschla-

375 376 377 378 379

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 3.1.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 4.1.

Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021.

Anhörung der GDK vom 18.2.2021.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 5.1.1. Nach Ansicht der KdK könnte dieses Gremium «eine umfassende und kohärente Koordination sicherstellen, regelmässig Lagebeurteilungen vornehmen und die Grundlagen für klare und rasche Entscheide von Bundesrat und Kantonsregierungen erarbeiten».

380 Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 4.1, Empfehlung 8.

381 Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 11.

382 Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 4. Siehe hierzu auch Krisenorganisation des Bundes für den Umgang mit der Covid19-Pandemie (Januar bis Juni 2020), Bericht der GPK vom 17.5.2022 (BBl 2022 1801). Der Bundesrat beauftragte die BK, gemeinsam mit dem VBS und den anderen Departementen bis März 2023 Varianten für die Krisenorganisation des Bundes auszuarbeiten, die sich durch verschiedene Konzepte der operativen und strategischen Zusammenarbeit unterscheiden (vgl. dazu Kap. 7.4).

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gene Modell der KdK grundsätzliche Fragen bezüglich Föderalismus und Kompetenzzuweisungen zwischen Bund und Kantonen aufwirft.383 Laut BK und EDI muss es hauptsächlich darum gehen, die Aufgaben und Zuständigkeiten der bestehenden Organe zu klären.384 Der Bundesrat vertritt einen ähnlichen Ansatz. Er kündigte an, die Rolle und den Einbezug der Krisenorgane, die ausschliesslich für die Bewältigung eines spezifischen Ereignisses geschaffen werden, zu überprüfen. Er schlug vor, diese Aspekte im Rahmen des Föderalistischen Dialogs385 zu behandeln.

Ende März 2023 kündigte der Bundesrat an, die Krisenorganisation des Bundes zu stärken. Er beschloss insbesondere, dass der Bundesrat künftig einen politisch-strategischen Krisenstab (PSK) einsetzen kann, der die Aufgabe hat, «Anträge an den Bundesrat politisch vorzubereiten und das Krisenmanagement überdepartemental zu koordinieren, dies unter Einbezug aller relevanten Akteure». Ausserdem könne ein operativer Krisenstab (OPK) gebildet werden, der «die Koordination auf Ebene der Verwaltungseinheiten sicherstellt». Die Kantone würden in die Arbeiten dieser beiden Krisenstäbe einbezogen. Diese würden methodisch und administrativ unterstützt von einem permanenten Kernstab, zusammengesetzt aus Mitarbeitenden des Eidgenössischen Departementes für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), der Departemente und der BK. Der Bundesrat hat das VBS und die BK beauftragt, bis Ende 2023 die Zusammensetzung, Leistungen, Prozesse und Ressourcen des permanenten Kernstabes zu definieren und einen Verordnungsentwurf über die Krisenorganisation der Bundesverwaltung auszuarbeiten.386

7.1.3

Zusammenarbeit zwischen dem BAG und der Kantonsärzteschaft sowie der Kantonsapothekerschaft

Die GPK-S hat mit dem BAG und der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte (VKS) sowie der Vereinigung der Kantonsapothekerinnen und Kantonsapotheker (KAV) Bilanz über deren Zusammenarbeit in der Pandemie gezogen. All diese 383

Er hielt insbesondere fest, dass unklar ist, «inwiefern gewährleistet werden könnte, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Kantone im neu geschaffenen Organ die Position sämtlicher Kantone einbringen könnten».

384 Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S; Anhörung des GS-EDI vom 21.6.2021.

Das EDI betonte gegenüber der GPK-S mehrfach, es als wichtig zu erachten, dass das Krisenmanagement in erster Linie in den bestehenden Verwaltungsstrukturen erfolgt und nicht in zusätzlichen Gremien, die im Krisenfall aktiviert werden.

385 Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 11.

Der Föderalistische Dialog (unter Federführung des BJ) ist ein Forum, das als Rahmen für regelmässige ­ in der Regel zweimal jährlich stattfindende ­ Gespräche zwischen einer Delegation des Bundesrates und einer Delegation der KdK dient. Diese intergovernementalen Treffen bieten Gelegenheit zum Informationsaustausch und zur Diskussion von Themen, die das Verhältnis Bund­Kantone betreffen. Ziel ist die Harmonisierung von Bundespolitik und kantonalen Politiken zum Zeitpunkt der Planung von Projekten und zum Zeitpunkt von deren Umsetzung. Siehe BJ: Der Föderalistische Dialog, www.bj.admin.ch > Staat & Bürger > Föderalismus (aufgerufen am 16.3.2023).

386 Bundesrat verbessert Organisation des Krisenmanagements, Medienmitteilung des Bundesrates vom 29.3.2023.

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Stellen bewerten die Zusammenarbeit im Grossen und Ganzen positiv, auch wenn die kantonalen Akteure bei einigen Punkten Verbesserungsbedarf sehen.

Der EDI-Generalsekretär betonte, dass die Kantonsärztinnen und Kantonsärzte bei der Pandemiebewältigung eine zentrale Rolle spielten. Er hielt fest, dass die Koordination auf operativer Ebene vor allem über die Kantonsärzteschaft und nicht unbedingt über die kantonalen Führungsstäbe lief.387 Die BAG-Direktorin bezeichnete den Austausch mit den Kantonsärztinnen und Kantonsärzten als «nah, direkt und unkompliziert». Sie erklärte, dass rasch wöchentliche Telefonkonferenzen eingeführt und in der Folge mit Ad-hoc-Sitzungen und Ad-hoc-Arbeitsgruppen ergänzt wurden (siehe Kap. 6.1). Die Kantone seien auch stets bereit gewesen, Vertreterinnen und Vertreter in die Arbeitsgruppen zu delegieren. Dadurch sei es jederzeit möglich gewesen, rasch Entscheide zu fällen.388 Die VKS ist insgesamt der Auffassung, dass die gewählten Plattformen zweckdienlich waren sowie rasch und niederschwellig etabliert werden konnten. Die regelmässigen Telefonkonferenzen seien «entscheidend für den Informationstransfer zwischen Bund und Kantonen auf operativer Ebene» gewesen. Die ausführlichen Protokolle seien für die interne Kommunikation der Kantonsärzteschaft nützlich gewesen. Die VKS teilte mit, dass die Kantonsärztinnen und -ärzte bei der Erarbeitung von Fachinformationen ihre Bedürfnisse äussern konnten und damit ein unkomplizierter Fachaustausch möglich war. Sie hielt ferner fest, dass durch die etablierten Kontakte Einzelprobleme gerade auch in der ersten Welle schnell und pragmatisch angegangen und gelöst werden konnten, und lob die hohe Verfügbarkeit der BAG-Mitarbeitenden.389 Die VKS nannte gegenüber der GPK-S aber auch verschiedene Schwachpunkte, die sich in der Pandemie beim Austausch mit dem BAG gezeigt hätten. Erstens sei das Instrument der Telefonkonferenz in der ersten Welle an seine technischen Grenzen gestossen390 und habe sich die gebotene Einbeziehung der unterschiedlichen Sprachregionen mitunter kompliziert gestaltet. Zudem sei das praktische Fachwissen der Kantonsärztinnen und -ärzte teilweise (insbesondere zu Beginn der Pandemie) zu spät miteinbezogen oder kaum berücksichtigt worden.391 Deren «frühere Einbindung [...]

in die verschiedenen Arbeitsgruppen des Bundes
hätte dem gegebenenfalls Abhilfe schaffen können». Die VKS bedauert zudem, dass über den Kanal BAG-Kantonsärzteschaft «mangels klar identifizierter kantonaler Gesprächspartner für spezifische Themen» grundsätzlich zu viele Themen abgehandelt worden seien, welche die Kantonsärztinnen und -ärzte nicht direkt betrafen.392 Kritisiert wurden ausserdem die 387 388 389 390

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

Schreiben der VKS vom 7.6.2021 an die GPK-S.

Unter anderem bedingt durch die Informationsmenge, die fehlende Visualisierungsmöglichkeit und die zunehmende Anzahl Teilnehmende.

391 «Empfehlungen oder Hilfsdokumente wurden vom BAG praktisch fertig ausgearbeitet und dann den [Kantonsärztinnen und Kantonsärzten] mit sehr kurzer Frist zur Beurteilung vorgelegt, womit die grundsätzliche Ausrichtung auf praktische Aspekte [...] zu kurz kam».

392 Schreiben der VKS vom 7.6.2021 an die GPK-S. Die VKS nannte als Beispiel die Themen Spitalorganisation, Intensivpflege, Logistik und Ausrüstung. Zu Aspekten der Organisation des Gesundheitswesens hätten in ihren Augen beispielsweise die Gesundheitsämter, aber auch die Gesundheitsdepartemente, direkt befragt werden sollen.

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Konsultationen zu den Massnahmenentwürfen (siehe Kap. 7.3.1), die Information über die beschlossenen Massnahmen und die Umsetzung dieser Massnahmen (siehe Kap. 7.3.2).

Die VKS teilte mit, dass die Zusammenarbeit mit dem BAG im Laufe der Krise schrittweise verbessert wurde. Ausgehend von den Erfahrungen aus der ersten Welle sei die Telefonkonferenz in eine Videokonferenz umgewandelt sowie «wesentlich stärker strukturiert und moderiert» worden.393 Die VKS begrüsste zudem, dass klarer kommuniziert wurde, welche Person im BAG wofür zuständig ist und wer als direkte Ansprechperson zur Verfügung steht. Bei Bedarf seien im Übrigen themenspezifische Videokonferenzen oder Workshops organisiert worden, die einen ausführlicheren Austausch zu einzelnen Themen ermöglicht hätten.

In ihrem Schreiben vom Juni 2021 an die GPK-S nannte die VKS einige in ihren Augen nach wie vor bestehende Schwächen. Sie erklärte, dass die Prozesse zur Einberufung von Kantonsvertretungen sowie die Mandate oder Entscheidbefugnisse der Arbeitsgruppen des BAG nicht immer transparent waren, die wöchentliche Videokonferenz einen zunehmend informellen und teils affirmativen Charakter erhielt und ihre Bedeutung als Führungsinstrument abnahm. Ausserdem bedauerte sie, dass die Leitung der Abteilung «Übertragbare Krankheiten» des BAG lange vakant war und der Kantonsärzteschaft dadurch eine Ansprechperson fehlte.394 Die KAV teilte ihrerseits mit, dass die Kantonsapothekerinnen und Kantonsapotheker in der ersten Pandemiephase über keine Plattform für den regelmässigen Austausch mit dem BAG verfügten und dass die relevanten Informationen über die Kantonsärzteschaft, die GDK oder die kantonalen Gesundheitsdepartemente übermittelt wurden.

In der Folge habe sich der regelmässige Austausch mit dem BAG aber «sehr gut etabliert» und sei die KAV in mehrere Arbeitsgruppen des BAG aufgenommen worden.

Die KAV bedauerte angesichts der wichtigen Rolle der Kantonsapothekerschaft beim Krisenmanagement, dass ein solcher Austausch nicht früher bestand, hielt aber fest, dass der individuelle Austausch mit dem BAG immer möglich war und sich die BAGMitarbeitenden sehr hilfsbereit gezeigt hatten.395

7.2

Kompetenzverteilung in den verschiedenen Pandemiephasen

Das EpG sieht ein dreistufiges Modell vor (Normallage, besondere Lage und ausserordentliche Lage), in dem sich die Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Kantonen je nach epidemiologischer Lage unterscheidet (siehe 393

Die Kantonsärztinnen und -ärzte hatten zudem die Möglichkeit, Fragen für die nächste Videokonferenz einzureichen oder individuelle Anfragen mit der zuständigen Ansprechperson bilateral zu klären.

394 Schreiben der VKS vom 7.6.2021 an die GPK-S. Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht nahm das EDI wie folgt zu diesem Punkt Stellung: «Trotz der unerwarteten Vakanz der Abteilungsleitung Übertragbare Krankheiten ­ welche für die Abteilung selbst eine Herausforderung darstellte ­ konnte über die Sektionsleitenden, sowie über die zuständigen Wissenschaftlichen Mitarbeitenden der BAG Kontakt- und somit Ansprechpersonen für den VKS sichergestellt werden».

395 Schreiben der KAV vom 4.6.2021 an die GPK-S.

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Kap. 4). Die GPK-S hat eingehend untersucht, wie die betroffenen Akteure diese Verteilung in den drei Phasen der Covid-19-Pandemie bewerten.

Zusammenfassung der wichtigsten Feststellungen der GPK-S Allgemein sind sich alle Akteure einig, dass nach einer ersten, von Unklarheiten geprägten Phase in der ausserordentlichen Lage (März bis Juni 2020) die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen klar war.

Im Gegensatz dazu stellte die Aufgabenverteilung in der besonderen Lage (Juni 2020 bis März 2022) eine der Hauptschwierigkeiten in der Zusammenarbeit von Bund und Kantonen dar. Die Akteure sind sich einig, dass der Übergang von der ausserordentlichen zur besonderen Lage nicht ausreichend vorbereitet wurde und während mehrerer Wochen Unklarheit ­ oder abweichende Ansichten ­ über die Kompetenzverteilung bestanden. Das EDI ist der Auffassung, dass die Kantone in dieser Phase ihre Verantwortung gemäss EpG zu wenig wahrnahmen sowie sich im Herbst 2020, als die zweite Welle anrollte, zu wenig koordinierten und dadurch den Bund zum Eingreifen zwangen. Die GDK führt die Probleme in dieser Phase auf die sehr komplexe Entscheidfindung in den Kantonen und auf die zu defensive Haltung des Bundes zurück. Die KdK sieht die Ursache für diese Probleme in der unklaren Kompetenzverteilung.

Ab Dezember 2020 nahm der Bundesrat erneut eine stärkere Führungsrolle ein.

Die KdK und die BK sind der Ansicht, dass sich die Zusammenarbeit mit den Kantonen ab diesem Zeitpunkt verbesserte. Laut EDI führte die stärkere Führungsrolle des Bundes allerdings dazu, dass sich die Kantone noch weniger veranlasst sahen, ihre Verantwortung gemäss EpG wahrzunehmen.

Bund und Kantone sind sich einig, dass die Kompetenzverteilung in der besonderen Lage für allfällige künftige Gesundheitskrisen geklärt werden muss. Zur Frage, wie dieser Punkt zu regeln ist, bestehen jedoch Meinungsverschiedenheiten. Die KdK und die GDK möchten, dass der Bundesrat auch in der besonderen Lage die allgemeine strategische Führung übernimmt und die für das ganze Land oder einen Teil des Landes erforderlichen Massnahmen anordnet. Der Bundesrat ist damit nicht einverstanden, da dies eine Kompetenzverlagerung hin zum Bund darstellen und den Unterschied zwischen ausserordentlicher und besonderer Lage grösstenteils aufheben würde. Er ist ausserdem der Meinung,
dass die Koordination der Kantone untereinander verbessert werden muss.

Auch in Bezug auf die Kompetenzverteilung nach der Rückkehr zur normalen Lage im April 2022 gibt es Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Kantonen. Während die Kantone der Auffassung sind, dass der Bund wieder die Führung übernehmen soll, sobald schweizweite Massnahmen erforderlich sind, stellt sich der Bundesrat auf den Standpunkt, dass ein erneuter Wechsel in die besondere Lage nur als allerletztes Mittel infrage kommt und es den Kantonen obliegt, die nationale Koordination der Massnahmen sicherzustellen.

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7.2.1

Ausserordentliche Lage396

Allgemein sind sich alle Akteure einig, dass nach einer ersten, von Unklarheiten geprägten Phase, die Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Kantonen in der ausserordentlichen Lage klar war.

Die KdK kommt in ihrem Bericht vom April 2022 zum Schluss, dass in der ausserordentlichen Lage im Frühling 2020 «die Verantwortlichkeiten und Rollen des Bundes und der Kantone insgesamt klar [waren] und das Zusammenspiel funktionierte».397 Der GDK-Präsident lobte gegenüber der GPK-S die Führung des Bundesrates im Frühjahr 2020 und bezeichnete diese als «rasch und entschlossen».398 Die Vertreterinnen und Vertreter der Kantonsregierungen, mit denen die GPK im Sommer 2020 Gespräche führten,399 kamen im Grossen und Ganzen zu einem ähnlichen Schluss: Nach einer chaotischen und unorganisierten Anfangsphase hätten sich für die Zusammenarbeit mit dem Bundesrat, den Departementen und den Bundesämtern rasch Kontakte und Prozesse etabliert, die eine gute Zusammenarbeit ermöglicht hätten. Die Hauptkritik der Kantone im Zusammenhang mit der ausserordentlichen Lage betrifft die Krisenorganisation (siehe Kap. 7.1), die Konsultation zu den nationalen Pandemiebekämpfungsmassnahmen sowie die Information über diese Massnahmen (siehe Kap. 7.3).

Der EDI-Vorsteher erklärte gegenüber der GPK-S, dass die Kantone auch in der ausserordentlichen Lage in ihrem Kompetenzbereich weiterhin Entscheide trafen, und nannte als Beispiel die Besuchsverbote in Altersheimen. Er wies zudem darauf hin, dass der Bund erst beschloss, die Schulen zu schliessen, als sich keine einheitliche Lösung der Kantone abzeichnete.400 Er erinnerte ausserdem daran, dass mehrere Kantone im Mai 2020 diese Massnahme in eigener Kompetenz verlängerten, nachdem sie vom Bund aufgehoben worden war.401 Interface und Infras kommen in ihrer Evaluation von 2022 zum Schluss, dass «der Bundesrat die gemäss EpG vorgesehene Kompetenzregelung [im Frühjahr 2020] vorbildlich umgesetzt und nach Ausrufung der ausserordentlichen Lage die alleinige Verantwortung übernommen» hat.402

396

397 398 399

400 401 402

Die GPK-S verzichtet in diesem Bericht auf eine gesonderte Analyse der Kompetenzverteilung in der besonderen Lage im Zeitraum vom 28. Februar bis zum 15. März 2020.

Dieser Zeitraum ist in der Analyse in Kapitel 7.2.1 berücksichtigt.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. «Executive Summary», Anhörung der KdK und der GDK vom 26.9.2022.

Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021.

Gespräche vom 24.8.2020 mit einer Delegation der Regierung des Kantons Basel-Landschaft (GPK-S); Gespräch vom 3.9.2020 mit einer Delegation der Regierung des Kantons Bern (GPK-N).

Anhörung des Vorstehers des EDI vom 22.10.2022.

Anhörung des Vorstehers des EDI vom 28.6.2022 (GPK-N).

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 4.1.3.

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7.2.2

Besondere Lage

Alle bis dato durchgeführten Evaluationen und von der GPK-S gesammelten Informationen zeigen, dass die Aufgabenverteilung in der besonderen Lage eine der Hauptschwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Kantonen in der Covid-19-Pandemie war. Dies zeigte sich besonders deutlich beim Auftreten der zweiten Welle im Herbst 2020. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Pandemiemanagement des Bundes und der Kantone am heftigsten kritisiert.403 Übergang von der ausserordentlichen Lage zur besonderen Lage Aus mehreren Quellen geht hervor, dass der Übergang von der ausserordentlichen zur besonderen Lage im Juni 2020 auf ausdrücklichen Wunsch der Kantone erfolgte. 404 Der Bundesrat war sich laut EDI-Vorsteher bewusst, dass die ausserordentliche Lage und die Notrechtmassnahmen nicht zu lange andauern dürfen, und betrachtete es als legitim, dass die Kantone wieder das Ruder übernehmen.405 Die Akteure sind sich aber auch einig, dass der Übergang nicht ausreichend vorbereitet wurde. Die BK ist der Auffassung, dass die Kantone vor diesem Übergang frühzeitig hätten kontaktiert werden müssen, damit sie sich besser auf die neue Lage hätten vorbereiten können.406 Auf Seiten der Kantone bedauert die KdK in ihrem Bericht von 2020, «dass der Bund nicht vor Ende der ausserordentlichen Lage zusammen mit den Kantonen, den Direktorenkonferenzen und der KdK [...] ein klares Konzept ausgearbeitet und darin festgelegt hat, welche Bestimmungen und Massnahmen auf nationaler Ebene und welche dezentralisiert in den Kantonen zu beschliessen sind».407 In ihrem Bericht von 2022 bezeichnet die KdK dies als Grund dafür, dass die Kantone nicht genügend auf die zweite Welle vorbereitet waren.408 Diese Erfahrungen hätten gezeigt, «dass das EpG zu präzisieren ist hinsichtlich des Ein- und Austritts in die bzw. aus der besonderen und ausserordentlichen Lage».409 Der Bundesrat kündigte in seiner Stellungnahme vom Oktober 2022 an, die Frage, ob die Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen von Bund und Kantonen bei 403

404

405 406 407 408

409

Aus einer im Rahmen der Interface/Infras-Evaluation realisierten Befragung geht hervor, dass das Krisenmanagement des Bundes und der Kantone in der zweiten Welle deutlich stärker kritisiert wurde als jenes der ersten Welle. Die Mehrheit der Befragten ist der Ansicht, dass die Behörden in der zweiten Welle dem Gesundheitsschutz zu wenig Bedeutung beimassen. Siehe Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 2.2.2.

Insbesondere Anhörung des Vorstehers des EDI vom 28.6.2022 (GPK-N). Dieser Punkt findet sich auch in der Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Bericht der KdK (Kap. 2.1).

Vorsteher des EDI: «Föderalismus und die Dynamik der Covid-19-Krise», 27.5.2021; www.edi.admin.ch > Dokumentation > Reden (aufgerufen am 21.3.2023).

Bericht der BK vom 11.12.2020, Kap. 2.4. Diese Schlussfolgerungen werden im Bericht der BK vom 22.6.2022 (Kap. 2.2) bekräftigt.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.2.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. «Executive Summary», Anhörung der KdK und der GDK vom 26.9.2022. Die KdK schreibt in ihrem Bericht zudem, dass die rein sektorielle Perspektive, die vorherrschte, zur Folge hatte, dass die politischen Instanzen die weitere Krisenentwicklung nicht ausreichend antizipierten.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 2.1, Empfehlung 1.

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einem Lagewechsel klarer definiert werden müssen, im Rahmen der Revision des EpG zu prüfen.410 Kompetenzverteilung zwischen Ende Juni und August 2020 Der Sommer 2020 war laut den befragten Akteuren eine Phase, in der bezüglich der Kompetenzverteilung wenig Klarheit bestand. Durch die «fehlende Koordination der Übergabe» hatten die Kantone und die Bundesverwaltung laut BK «unterschiedliche Vorstellungen über ihre neuen beziehungsweise alten Rollen».411 Die GDK teilte der GPK-S mit, dass sich die neuen Prozesse und Zuständigkeiten «nur zögerlich» etablierten und dass die interpretationsbedürftige Kompetenzverteilung in der besonderen Lage gemäss EpG zu einem «vorübergehenden Vakuum bei der Krisenbewältigung» führte.412 Angesichts der voneinander abweichenden Massnahmen der Kantone habe sich die GDK wiederholt um Kohärenz bemüht, indem sie ­ aus ihrer Sicht durchaus mit Erfolg ­ besonders betroffenen Kantonen eine Reihe von Massnahmen und eine Absprache mit anderen Kantonen empfohlen habe.413 Die GDK unterstrich aber auch, dass die Zuständigkeit für die kantonalen Massnahmen letztlich bei den Kantonsregierungen lag, die auch andere Aspekte berücksichtigten.414 Der damalige BAGDirektor äusserte sich im August 2020 gegenüber der GPK-S besorgt über die Umsetzung der Massnahmen zur Pandemiebekämpfung durch die Kantone.415 Die KdK kritisierte ihrerseits insbesondere das «Eingreifen» des Bundes in den Kompetenzbereich der Kantone. So habe der Bund im Sommer 2020 Empfehlungen und Weisungen in Bereichen erlassen, die «nicht in seiner Zuständigkeit liegen».416 Von den Kantonen wurde ausserdem bedauert, dass sich der Bund bei einigen Schlüsselentscheiden über ihre Vorschläge hinwegsetzte.417 Laut EDI ging der Bundesrat, nachdem er im Juni 2020 eine Aussprache über die Aufgabenteilung in der besonderen Lage geführt, die verschiedenen Austauschgefässe zwischen Bund und Kantonen definiert und über diese informiert hatte, davon aus, dass die Kantone auf die kantonal unterschiedlichen epidemiologischen Entwicklungen reagieren und sich regional koordinieren würden.418 Die BK wiederum ist der Ansicht, dass in dieser Phase ein stärkeres Eingreifen des Bundes wünschenswert gewesen wäre: «Der Bundesrat hätte [...] zu Beginn der Rück-

410 411 412 413 414 415 416

417

418

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 4.

Bericht der BK vom 11.12.2020, Kap. 2.4.

Schreiben der GDK vom 31.5.2022 an die GPK-S.

Die GDK verweist z. B. darauf, dass die Mehrheit der Kantone auf ihre Empfehlung hin zur Nachverfolgung der Infektionsketten eine Ausweispflicht in Clubs einführte.

Schreiben der GDK vom 31.5.2022 an die GPK-S.

Anhörung des Direktors des BAG vom 17.8.2020.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.3 und 5.1.1. Die KdK erwähnt in diesem Zusammenhang insbesondere eine Weisung des BAG, welche die Kantone zu verstärkter Kontrolltätigkeit anhielt, oder öffentliche Appelle für eine einheitliche Lösung bei den Maturitätsprüfungen. Dies habe das Image der Kantone beeinträchtigt und den Eindruck erweckt, dass diese nur aufgrund von Empfehlungen des Bundes handlungsfähig sind.

Schreiben der GDK vom 31.5.2022 an die GPK-S. So z. B. bei der Aufhebung des Verbots von Grossveranstaltungen im August 2020, gegen die sich die Kantone ausgesprochen hatten.

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S.

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kehr in die besondere Lage die Kantone unterstützen sollen, da er gemäss Epidemiengesetz nach Anhörung der Kantone weiterhin Massnahmen anordnen kann.»419 Ausarbeitung von strategischen Grundlagen und Stärkung der Zusammenarbeit EDI-GDK ab August 2020 Das EDI hielt angesichts der Herausforderungen im Sommer 2020 fest, dass «aufgrund der Aufgabenverflechtung zwischen Bund und Kantonen weitere Klärungen und Abstimmungen nötig waren».420 Vor diesem Hintergrund arbeitete das EDI mit der GDK ab August ein gemeinsames Strategiepapier aus, in dem die Aufgabenteilung in der besonderen Lage und das Konsultationsverfahren präzisiert wurden (zum Inhalt siehe Kap. 6.2.2).421 Dieses Papier wurde der GDK Mitte September übermittelt, dann den Kantonen zur Konsultation unterbreitet und letztlich am 22. Oktober 2020 an einer gemeinsamen Sitzung verabschiedet.422 Laut EDI konnte die Einigung auf dieses Grundlagenpapier nach wenigen Sitzungen erzielt werden, weil zu jenem Zeitpunkt eine «grosse Einigkeit über die Rollenteilung zwischen Bund und Kantonen bestand».423 Die GPK-S stellte sich die Frage, warum ein solches Dokument erst Ende Oktober 2020 (d. h. nach dem Beginn der zweiten Welle) verabschiedet wurde. Das EDI betonte, dass sich der Bundesrat bereits am 19. Juni 2020 mit der Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Kantonen befasste und die Arbeiten zur Vorbereitung dieses Dokuments im August begannen. Laut Departement ist die Tatsache, dass das Dokument erst im Oktober fertiggestellt wurde, insbesondere mit der Konsultation der GDK und dem Abwarten einer Vollversammlung der GDK zur Verabschiedung des Dokuments zu erklären. Das EDI präzisierte allerdings: «Bei der Verschlechterung der Situation anfangs Oktober 2020 war allen Akteuren dieses Grundlagenpapier bereits bekannt und es konnte in den Diskussionen über die Ergreifung von Massnahmen bereits darauf verwiesen werden.»424 Die GDK erklärte: «Dass das Grundlagenpapier erst im Oktober 2022 publiziert wurde, soll nicht heissen, dass in den Monaten davor keine strategische Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Kantonen stattfand.» Diese Zusammenarbeit sei in den damals bestehenden Koordinationsgefässen erfolgt.425 Die GDK unterstrich ferner, dass bereits vor der Verabschiedung

419 420 421

422 423 424 425

Bericht der BK vom 11.12.2020, Kap. 2.4.

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S.

GDK und EDI: Covid-19-Bewältigung: Strategische Grundlagen der GDK und des EDI-BAG. Grundsätze ­ Massnahmen ­ Zusammenarbeit, gemeinsames Dokument vom 22.10.2020. Gemäss den Informationen der GPK-S fiel der formelle Entscheid, die Koordination des Krisenmanagements zu stärken, an der Sitzung des EDI und der GDK vom 7.9.2020 und nicht im August (siehe Kap. 6.2.2).

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S.

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S.

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S.

Schreiben der GDK vom 31.5.2022 an die GPK-S. Die GDK verwies in diesem Zusammenhang insbesondere auf den regelmässigen Austausch zwischen der GDK und dem EDI sowie zwischen der VKS und dem BAG.

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des Dokuments «Ansätze und Konzepte für die Bewältigung eines Wiederanstiegs der Fallzahlen» existierten.426 Ende Sommer 2020 kam es auch zu einer Stärkung und Institutionalisierung der Kontakte zwischen dem EDI und der GDK. Der Covid-19-Steuerungsausschuss, in dem die Kantone vertreten waren, wurde geschaffen und regelmässige Gespräche zwischen dem Departement und den kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren wurden eingeführt. Diese Entwicklung wurde sowohl vom EDI427 als auch von der GDK428 als positiv bezeichnet.

Koordination zwischen Bund und Kantonen in der zweiten Welle Das EDI zeigte sich gegenüber der GPK-S sehr kritisch hinsichtlich der Reaktion der Kantone auf den Beginn der zweiten Pandemiewelle im Oktober 2020: «Als die Fallzahlen im Herbst 2020 anstiegen, informierte der Bundesrat die Kantone laufend über die sich verschlechternde Situation. Dennoch zögerten die Kantone, welche noch im Frühjahr 2020 vehement einen umgehenden Ausstieg aus der ausserordentlichen Lage verlangt haben [...], lange damit, Massnahmen zu ergreifen. Auch stimmten sie sich nur ungenügend untereinander ab [...]. Einzig die Westschweizer Kantone ergriffen ­ nachdem seitens des EDI sehr deutliche Signale zum Bedarf solcher Massnahmen ausgesendet wurden ­ Massnahmen und es gelang ihnen bei der Aufhebung der Massnahmen, sich zeitlich zu koordinieren. Die Deutschschweizer Kantone verzichteten dagegen auf die Ergreifung von wirksamen Massnahmen, obwohl klar war, dass sich die Infektionswelle von der West- in die Deutschschweiz verlagern wird.»429 Laut EDI hatten die verspätete Reaktion der Kantone und deren fehlende Koordination untereinander zur Folge, dass die steigenden Fallzahlen nicht mehr regional kontrolliert werden konnten und der Bund früher als vorgesehen gezwungen war, schweizweite Massnahmen zu ergreifen, um das Spitalsystem zu schützen.430 Der Bundesrat äusserte sich ähnlich.431 Anfang Dezember 2020 beauftragte der Bundesrat die damalige Bundespräsidentin und den EDI-Vorsteher damit, Kontakt mit bestimmten Deutschschweizer Kantonen aufzunehmen, um diese «eindringlich zur Ergreifung von Massnahmen aufzufordern».432 Der EDI-Vorsteher erklärte gegenüber GPK-S, dass Videokonferenzen mit den Regierungen der betroffenen Kantone durchgeführt wurden, ein Kanton nach dem anderen, um klar zu machen,
dass dringender Handlungsbedarf besteht. Die Kantone hätten sich für die Qualität des Austauschs bedankt, jedoch keine Massnahmen getroffen433 Aus seiner Sicht ist die verzögerte Reaktion des Bundes damit zu erklären, dass erst klar werden musste, dass das, was alle ab Juni 2020 gefordert hatten, nämlich 426

427 428 429 430 431 432 433

Schreiben der GDK vom 31.5.2022 an die GPK-S. Die GDK nannte in diesem Zusammenhang insbesondere die Eckwerte des BAG für die Vorbereitung und Bewältigung der weiteren epidemischen Entwicklung vom Juni 2020 und die Vorbereitungsarbeiten auf kantonaler Ebene (z. B. das auf Alarmstufen basierende Konzept des Kantons Zug).

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S.

Anhörung der GDK vom 18.2.2021.

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S.

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S, Anhang.

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 3.

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S.

Anhörung des Vorstehers des EDI vom 28.6.2022 (GPK-N).

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die Rückkehr zur besonderen Lage und eine grössere Verantwortung der Kantone, nicht funktionierte. Hätte der Bundesrat früher gehandelt, wäre ihm wahrscheinlich vorgeworfen worden, er habe die Kantone nicht ihre Arbeit machen lassen.434 Das EDI betonte im Übrigen gegenüber der GPK-S, welche Herausforderung es Ende 2020 angesichts der unterschiedlichen epidemiologischen Entwicklungen darstellte, schweizweite Massnahmen zu ergreifen.435 Zusammenfassend ist das EDI der Ansicht, dass die Kantone in dieser Phase «ihre Verantwortung gemäss EpG aus Sicht des Bundes zu wenig wahrgenommen» haben.

Es betonte insbesondere, dass «die mit den Kantonen im strategischen Grundlagenpapier [vom Oktober 2020] vereinbarten Prozesse kaum eingehalten wurden».436 Der EDI-Vorsteher erklärte gegenüber der GPK-S, dass ihn die Reaktion der Kantone «überrascht, irritiert und gestört» hat. Er habe das Gefühl gehabt, den Kantonen sei es ganz Recht gewesen, dass der Bundesrat die komplette Verantwortung für die Massnahmen zur Pandemiebekämpfung übernimmt.437 Er sei sich in dieser Phase bewusst geworden, dass es für die kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren schwierig war, in den für die Entscheide zuständigen Kantonsregierungen Mehrheiten zu finden.438 Die BK teilt diese Ansichten in ihrer Evaluation vom Juni 2022: «Laut den Befragten habe vielen Kantonen der Mut gefehlt, unliebsame Entscheidungen zu treffen, obwohl sie in der Verantwortung gestanden hätten, und es sei ihnen mehrheitlich nicht gelungen, sich zu koordinieren. Dadurch sei ein für die Bevölkerung schwer nachvollziehbarer Flickenteppich von Massnahmen entstanden. Dass die Kantone die vom Bund beschlossenen Massnahmen auf die regionale Situation anpassen konnten, wurde jedoch auch positiv wahrgenommen.»439 Auch die GDK zog eine negative Bilanz über die Bewältigung der zweiten Welle durch den Bund und die Kantone. Ihr Präsident räumte ein, dass die Massnahmen zur Pandemiebekämpfung zu spät und eher reaktiv denn proaktiv ergriffen wurden.440 Er führte dies zum einen auf die komplexe Entscheidfindung in den Kantonsregierungen und zum anderen auf die zu defensive Haltung des Bundes zurück. Der Bund und die Kantone hätten sich nicht einigen können, auf welcher Ebene die Massnahmen zu 434 435

436 437 438 439 440

Anhörung des Vorstehers des EDI vom 28.6.2022 (GPK-N).

Schreiben des EDI vom 3.3.2023 an die GPK-S: «Nachdem die Westschweizer Kantone Massnahmen ergriffen hatten und die epidemiologische Situation sich dort verbesserte, stieg die Belastung in der deutschsprachigen Schweiz. In dieser Situation hätte der Bundesrat mit einem Verzicht auf die Verschärfung von schweizweiten Massnahmen eine Überlastung der Spitalstrukturen in der deutschsprachigen Schweiz in Kauf genommen, mit einer Verschärfung der schweizweiten Massnahmen hätte er jedoch die Westschweiz vor den Kopf gestossen, nachdem die kantonalen Massnahmen dort Erfolg gezeigt hatten.

Angesichts der bevorstehenden Weihnachtssaison wogen Massnahmenverschärfungen zudem besonders schwer. Der Bundesrat wählte daher einen Mittelweg, indem er die Verschärfungen vom 11. und 18. Dezember 2020 mit einer Ausnahmeklausel für Kantone mit günstiger epidemiologischer Entwicklung versah. Die daraus resultierenden heterogenen Massnahmen erschwerten jedoch die Verständlichkeit für die Bevölkerung».

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S.

Anhörung des Vorstehers des EDI vom 22.10.2022.

Anhörung des Vorstehers des EDI vom 28.6.2022 (GPK-N).

Bericht der BK vom 22.6.2020, Kap. 2.2.

Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021.

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ergreifen sind, und sich so im Herbst 2020 einige Wochen «gegenseitig gelähmt». Er bezeichnete die regionale Abstimmung in dieser Phase als «mangelhaft».441 Die GDK hielt fest, dass das Verständnis der Bevölkerung für die kantonalen Unterschiede stark abnahm, was den GDK-Vorstand veranlasst habe, «eine Verschärfung der Basismassnahmen auf Bundesebene» zu fordern.442 Die KdK schreibt in ihrem Bericht vom April 2022, dass die Probleme im Herbst 2020 in erster Linie der unklaren Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Kantonen geschuldet waren, die dazu geführt habe, dass sich die Akteure die Verantwortlichkeiten gegenseitig zuschoben.443 Sie anerkennt ferner, dass auch die Koordination zwischen den Kantonen der Verbesserung bedarf.444 Auch in der Evaluation von Interface und Infras wird die Koordination zwischen dem Bund und den Kantonen im Zeitraum von Sommer bis Herbst 2020 im Allgemeinen kritisch beurteilt. Die Kantone seien vom Übergang in die besondere Lage teilweise überrascht worden, auch wenn sie diesen eindringlich gefordert hatten, und seien nicht in der Lage gewesen, die pandemische Lage ohne zentralstaatliche Intervention eigenständig unter Kontrolle zu behalten. Gleichzeitig habe der Bundesrat auf den Führungsanspruch verzichtet, der ihm gemäss EpG auch in der besonderen Lage zusteht.445 Mögliche Ursache könnten die Angst vor den Kosten der Massnahmen zur Pandemiebekämpfung, die fehlende Abstimmung unter den Kantonen und die unzureichende Verfügbarkeit der Daten des BAG gewesen sein.446 In solchen Zeiten stosse der Föderalismus an seine Grenzen.447 Kompetenzverteilung nach der zweiten Welle Laut EDI ergriff der Bundesrat, nachdem er Anfang Dezember 2020 festgestellt hatte, dass die Kantone weiterhin kaum tätig werden wollten und auf das Eingreifen des Bundes vertrauten, verstärkt schweizweite Massnahmen im Bereich der nichtpharmazeutischen Bekämpfungsmassnahmen. Dieser Strategie sei er bis zum Wechsel in die normale Lage treu geblieben.448 Die BK kommt in ihrem Bericht vom Juni 2022 zur Einschätzung, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen verbesserte, «als der Bundesrat erneut begann, Massnahmen für die ganze Schweiz anzuordnen».449 Laut EDI zeigte sich, «dass die Handlungsfelder und Aufgaben der Kantone in strategischen Grundlagenpapieren noch detaillierter
aufgeführt werden müssen».450 Im Mai 2021 verabschiedete der Bundesrat das «Drei-Phasen-Modell» und hielt im entsprechenden Konzeptpapier die Grundsätze für die Pandemiemassnahmen der kommenden Monate fest. Dieses Papier wurde laut EDI von den Kantonen breit unter441 442 443 444 445 446 447 448 449 450

Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021. Es wurde aber auch betont, dass es den Westschweizer Kantonen zu Beginn der zweiten Welle gelang, sich gut zu koordinieren.

Schreiben der GDK vom 31.5.2022 an die GPK-S.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 2.1, Empfehlung 1.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 4.2 und 4.3, Empfehlungen 10 und 11.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Executive Summary und Kap. 5.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Executive Summary.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 4.1.1.

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S.

Bericht der BK vom 22.6.2022, Kap. 2.2.

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S.

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stützt. Einerseits habe es ihnen Planungssicherheit verschafft, andererseits sei dadurch aber auch der Anreiz für die Kantone, die ihnen gemäss EpG zugetragene Verantwortung zum Ergreifen von Massnahmen wahrzunehmen, weiter gesenkt worden.451 Das EDI verwies zudem darauf, dass der Bundesrat Ende Juni 2021 eine Auslegeordnung verabschiedete, in der er die Herausforderungen für die nachfolgenden Monate nannte, sollten die Fallzahlen im Herbst 2021 wieder ansteigen.452 Im Übrigen sei das Verfahren für die Konsultation zu den Massnahmen zur Pandemiebekämpfung im Frühjahr 2021 auf Wunsch der Kantone angepasst worden (siehe Kap. 7.3.1).

Die KdK erklärte, dass sich die Zusammenarbeit mit dem Bund ab dem Winter 2020 positiv entwickelte: «So verbesserten sich der Einbezug der Kantone in die Entscheidfindung des Bundesrates, die Koordination zwischen Bund und Kantonen und die Unterstützung des kantonalen Vollzugs. Schrittweise Optimierungen führten auf allen Staatsebenen zu einer Intensivierung und Institutionalisierung des [...] Austausches zwischen den verschiedenen Sektoren, was im Ansatz zu einem ganzheitlicheren Krisenmanagement führte. [...] Auch blieb genügend Handlungsspielraum für individuelle kantonale Lösungen.»453 Im Evaluationsbericht von Interface und Infras heisst es, dass sich das Krisenmanagement in dieser Phase in vielen Bereichen «eingespielt» hatte. Dies habe vermutlich auch mit dem Umstand zu tun gehabt, dass sich die epidemiologische Lage verbesserte.454 Die Evaluation habe jedoch auch gezeigt, dass nach der zweiten Welle die Führung des Bundes von den Kantonen nur zu wenigen Zeitpunkten infrage gestellt wurde.455 Kritik wird jedoch geübt an der Koordination der Kantone untereinander und an der Koordination zwischen den Kantonen und dem Bund bei der Durchführung der Impfkampagne im Winter 2020/21.456 Lehren hinsichtlich der besonderen Lage Der Bund und die Kantone sind sich einig, dass die Kompetenzverteilung in der besonderen Lage der Klärung bedarf. Die GPK-S hat allerdings festgestellt, dass grundlegende Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, wie dieser Aspekt künftig im EpG zu regeln ist.

Die BK anerkennt in ihrem Bericht vom Dezember 2020, wie wichtig eine gute Koordination zwischen dem Bund und den Kantonen beim Übergang von der ausserordentlichen zur besonderen Lage ist.457 Sie hält fest, dass ein konsolidierter Austausch 451 452 453 454 455

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S.

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. Executive Summary.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Executive Summary.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 5.1.1. Die Autorinnen und Autoren nennen in diesem Zusammenhang beispielsweise die Öffnung der Restaurantterrassen in den Skigebieten.

456 Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Executive Summary und Kap. 4.1.2. Die Autorinnen und Autoren nennen in diesem Zusammenhang Probleme bei der Organisation der Impftermine und den logistischen Aspekten sowie Unterschiede zwischen den Kantonen bei der Priorisierung der Impfanmeldungen. Ausserdem kritisieren sie die Tatsache, dass «der Bundesrat die Kantone zu einem höheren Impftempo aufforderte, ohne für genügend verfügbaren Impfstoff gesorgt zu haben», und die Kommunikationspolitik des Bundes in Sachen Imfpung.

457 Bericht der BK vom 11.12.2020, Kap. 2.4, Maxime 3.

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zwischen diesen beiden Staatsebenen Veränderungen bei der Verteilung der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten erleichtern würde.458 Im Januar 2021 betonten die Vertreterinnen und Vertreter der KdK und der GDK gegenüber der GPK-S, dass es eine bessere Ausdifferenzierung der Szenarien und Lagen im EpG braucht und auf dieser Grundlage die Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen dem Bund und den Kantonen präzise festgelegt werden sollte.459 Im Bericht der KdK vom April 2022 wird diese Haltung bekräftigt.460 Im Hinblick auf die Revision des EpG empfiehlt sie unter anderem, «dass dem Bundesrat auch in der besonderen Lage die strategische Gesamtführung obliegt» und dieser (wie in der ausserordentlichen Lage) «Massnahmen für das ganze Land oder einzelne Landesteile anordnen kann». Zudem ersucht sie den Bundesrat, zu prüfen, «ob und wie der Einund Austritt in die bzw. aus der besonderen und ausserordentlichen Lage möglichst objektiv ausgestaltet sowie Art und Umfang zulässiger Bekämpfungsmassnahmen gesetzlich festgelegt werden können».461 Die Vertreterinnen und Vertreter der KdK und der GDK legten der GPK-S dar, weshalb die Führungsverantwortung in der besonderen Lage beim Bundesrat liegen sollte.

Wenn die epidemiologische Lage einheitliche Beschlüsse für das ganze Land erforderlich macht, ist es laut dem KdK-Präsidenten nicht zweckmässig, wenn die Kantone vom Bund zur Harmonisierung ihrer Massnahmen aufgefordert werden, sondern dieser sollte selbst intervenieren können. Dabei sei den Kantonen natürlich ein gewisser Spielraum zu belassen, um auf spezifische Situationen reagieren zu können. Es sei Teil des Systems, dass die allgemeine Führung und Verantwortung in der besonderen Lage beim Bundesrat liege.462 Nach Ansicht der GDK müssen die Massnahmen, wenn sie möglichst einheitlich sein sollen, «auf nationaler Ebene getroffen werden». Sobald die Hauptverantwortung für das Ergreifen von Eindämmungsmassnahmen bei den Kantonen liege, komme es «unweigerlich zu unterschiedlichen Regelungen». Auch wenn eine fachliche Koordination auf regionaler und nationaler Ebene stattfinde, würden die Entscheide in den kantonalen Regierungen gefällt, was ein einheitliches Vorgehen der Kantone erschwere.463 Der GDK-Präsident vertritt die Auffassung, dass ein föderalistisches System nicht dann erfolgreich ist,
wenn die Kantone möglichst viele Aufgaben übernehmen, sondern wenn für die jeweilige Situation der optimale «Zuständigkeitsmix» gefunden wird. Da sich der Bund und die Kantone in der besonderen Lage die Verantwortung teilten, brauche es eine partnerschaftliche Absprache darüber, wer auf welcher Ebene zu welchen Themen tätig wird.464

458 459 460 461 462 463 464

Bericht der BK vom 22.6.2022, Kap. 2.2.

Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 2.1, Empfehlung 1.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 2.1, Empfehlung 1.

Anhörung der KdK und der GDK vom 26.9.2022.

Schreiben der GDK vom 31.5.2022 an die GPK-S.

Anhörung der KdK und der GDK vom 26.9.2022. Bei einer Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr bezeichnete er zum Beispiel eine Regelung auf nationaler Ebene als zweckmässiger, während das Maskentragen in Schulen wiederum auf Kantonsebene geregelt werden könne, da es hier nicht unbedingt einheitliche Regeln brauche.

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Der Bundesrat erklärte im Oktober 2022, dass im Rahmen der Revision des EpG geprüft wird, ob und wie das dreistufige Eskalationsmodell optimiert werden kann, und dass in diesem Zusammenhang unter anderem analysiert wird, ob «die Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen von Bund und Kantonen bei einem Lagewechsel klarer definiert werden müssen» und ob es eine «Schärfung unbestimmter Rechtsbegriffe, die Entwicklung von genaueren Regeln für den Prozess des Lageübergangs und von Vorschriften über die strategische Führungsverantwortung» braucht.465 Er sprach sich allerdings dagegen aus, dass der Bundesrat wie von der KdK vorgeschlagen in der besonderen Lage die strategische Führungsverantwortung übernimmt. Eine solche Änderung würde «zu einer Verschiebung der Kompetenzen [...] in Richtung Bund führen» und die Unterschiede zwischen der besonderen und ausserordentlichen Lage zu grossen Teilen aufheben. Er zeigte Verständnis für den Wunsch nach klar definierten Zuständigkeiten, wies aber darauf hin, dass es wichtig ist, die Vorgaben offen genug zu formulieren, «um in einer künftigen Pandemie flexibel auf die jeweilige Krisensituation reagieren zu können».466 Dem Bundesrat zufolge hat sich in der besonderen Lage gezeigt, dass nicht nur Verbesserungsbedarf bei der Koordination von Massnahmen zwischen Bund und Kantonen besteht, sondern vor allem auch bei der Koordination zwischen den Kantonen.

Durch diese Koordination wird laut ihm sichergestellt, «dass regional einheitliche Massnahmen zur Pandemiebekämpfung ergriffen werden». Dazu gehöre auch, «dass die Kantone über ein angemessenes Instrumentarium verfügen, um rasch legiferieren und harmonisierte Massnahmen zeitnah umsetzen zu können».467 Die KdK anerkennt, dass die Koordination zwischen den Kantonen, auf regionaler wie auf nationaler Ebene, verbessert werden muss. Sie hält fest, dass «der Flickenteppich und der Kantönligeist [...] in den Medien, der Öffentlichkeit und von der Wissenschaft regelmässig als Hindernis für eine kohärente Krisenbewältigung genannt» wurden und dass der «Erfolg der Massnahmen [...] im öffentlichen Diskurs oftmals anhand des Kriteriums gemessen [wurde], ob eine schweizweite Einheitlichkeit erreicht wurde».468 Im KdK-Bericht vom April 2022 ist die Rolle der nationalen und regionalen Konferenzen Gegenstand von zwei kurzen
Kapiteln und zwei Empfehlungen.469 Die KdK ist der Ansicht, dass «die Kantone [...] ihre Massnahmen untereinander koordinieren und gegebenenfalls harmonisieren» können sollen, «soweit dies zeitlich möglich sowie regional notwendig erscheint».470 Sie hält aber auch fest, dass Artikel 40 EpG die Kantone zwar zur Koordination ihrer Massnahmen verpflichtet, dies aber nur «eine optimale Abstimmung der Massnahmen, jedoch keine Rechtsvereinheitlichung» erfordert.471

465 466 467 468 469 470 471

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 4.

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 4.

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 3.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 5.1.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 4.2 und 4.3, Empfehlungen 10 und 11.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 2.1, Empfehlung 1.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 3.1.

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Der Bundesrat bedauert, dass im KdK-Bericht «eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Verbesserung der interkantonalen Zusammenarbeit» fehlt, obwohl eine solche in seinen Augen «dringend angezeigt» wäre.472 Im Evaluationsbericht von Interface und Infras heisst es, dass sich die im EpG festgeschriebene Kompetenzordnung zwischen Bund und Kantonen während der Krise in vielen Teilen bewährte. Es sei normal, dass während der Pandemie «Probleme in der Kooperation der unterschiedlichen föderalen Ebenen» auftraten. In der Regel hätten sich die Beteiligten darum bemüht, allfällige Spannungen zu vermeiden. Davon zeuge z. B. das strategische Grundlagendokument vom Herbst 2020.473 Die Evaluatorinnen und Evaluatoren sind der Ansicht, dass das BAG die rechtliche Kompetenz haben muss, gegenüber den Kantonen eine stärkere fachliche Führung wahrzunehmen, indem nötigenfalls z. B. Schutzkonzepte für bestimmte Bereiche erlassen werden können.474 Schliesslich sind sie der Auffassung, dass der Bund stärkeren Gebrauch von Artikel 77 EpG hätte machen können, der ihm die Möglichkeit einräumt, den Kantonen Massnahmen vorzuschreiben, wenn dies für einen einheitlichen Vollzug des Gesetzes erforderlich ist.475 Die Umsetzung der besonderen Lage in der Covid-19-Pandemie wird in der 2020 veröffentlichten Evaluation zum EpG nicht untersucht. Die Evaluatorinnen und Evaluatoren begrüssen aber grundsätzlich die Einführung des Dreiphasenmodells bei der letzten EpG-Revision. Sie empfehlen dem BAG allerdings, die gestützt auf Artikel 6 und 7 EpG ergriffenen Massnahmen umfassend zu analysieren.476 Im Weiteren wird empfohlen, abzuklären, ob der Bund nicht in einigen Bereichen eine stärkere Führung übernehmen sollte.477

7.2.3

Normale Lage

Die GPK-S hat zur Kenntnis genommen, dass es auch in Bezug auf die Kompetenzverteilung nach der Rückkehr zur normalen Lage im April 2022 grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bund und den Kantonen gibt.

Als er die besondere Lage beendete, betonte der Bundesrat, dass mit dem Wechsel zur normalen Lage «die meisten Aufgaben in der Bewältigung der Covid-19-Pandemie zurück in die Hauptverantwortung der Kantone» übergehen.478 Er legte den Kantonen 472 473 474 475

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 2.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 4.1.5.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 4.1.5.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 4.1.3. Diese Bestimmung hätte den Bundesrat laut dem Bericht von Interface und Infras nicht gezwungen, einheitliche Regeln für das ganze Land durchzusetzen, sondern ihm erlaubt, «Massnahmen für einen einheitlichen Vollzug anzuordnen und diese regional zu differenzieren, um den unterschiedlichen kantonalen Verhältnissen Rechnung zu tragen». Allerdings wären für entsprechende Differenzierungen systematische Erhebungen der Effektivität der kantonalen Vollzugsmassnahmen erforderlich gewesen.

476 Bericht bolz+partner vom August 2020, Executive Summary und Kap. 2.2.

477 Bericht bolz+partner vom August 2020, Executive Summary und Kap. 2.11.

478 Coronavirus: Rückkehr in die normale Lage und Planung der Übergangsphase bis Frühling 2023, Medienmitteilung des Bundesrates vom 30.3.2022.

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den Entwurf eines Grundlagenpapiers mit den Zielen und der Aufgabenverteilung für die Übergangsphase bis Frühjahr 2023 zur Konsultation vor. In diesem Papier schreibt der Bundesrat, dass die «Kantone [...] in den letzten zwei Jahren Kapazitäten und Fähigkeiten aufgebaut [haben], um auf die Entwicklungen der Covid-19-Epidemie in der Schweiz in geeigneter und koordinierter Form zu reagieren».479 Die Kantone seien insbesondere «in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie [...] die entsprechenden Massnahmen gemäss EpG «regional oder gar schweizweit einführen können».480 Der Bund werde sich auf die Rolle beschränken, die ihm das EpG in der normalen Lage zuweist.481 Darüber hinaus werde er weiterhin diejenigen Aufgaben erfüllen, die ihm vom Covid-19-Gesetz und vom EpG zugewiesen sind.482 Die Kantone zeigten sich in der Konsultation kritisch gegenüber den Vorschlägen des Bundesrates. Er verzichtete deshalb darauf, das Grundlagenpapier als gemeinsames Dokument von Bund und Kantonen zu betrachten, sondern verabschiedete es im Mai 2022 einseitig als Papier des Bundes.

Die Hauptmeinungsverschiedenheit zwischen dem Bund und den Kantonen betraf die Kompetenzverteilung bei einem Wiederanstieg der Fallzahlen. Die Kantone anerkannten zwar, dass sie die Hauptverantwortung für die Pandemiebekämpfung tragen483, waren aber der Meinung, dass der Bund wieder die Führung übernehmen soll, sobald schweizweite Massnahmen erforderlich sind.484 Diesbezüglich betonte die GDK gegenüber der GPK-S, dass aus ihrer Sicht «Bund und Kantone die Arbeitsteilung, die sie bei früheren Wellen praktiziert haben, bei einer allfälligen erneuten Zunahme der Virusaktivität nicht über den Haufen werfen [sollten]. Vielmehr sollte im Sinne einer wirksamen Pandemiebekämpfung auf eingespielte Abläufe und Zuständigkeiten sowie erworbene Kompetenzen gesetzt werden».485 Der Bundesrat wiederum hielt klar fest, dass ein erneuter Wechsel zur besonderen Lage nur als allerletztes Mittel infrage kommt. In seinem Grundlagenpapier vom Mai 2022 schreibt er, aufgrund «der Erfahrungen in den letzten beiden Jahren» davon auszugehen, «dass die Kantone in der Lage sein werden, [...] eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit [...] in den ordentlichen Vollzugsstrukturen [...] zu bewältigen», bei Bedarf mit Unterstützung des Bundes im Rahmen von dessen Informationsund Koordinationsauftrag. Aus Sicht des Bundesrates würde ausschliesslich eine «erneute, besonders heftige Pandemiewelle» eine Rückkehr zur besonderen Lage im 479

480 481 482

483 484

485

Grundlagenpapier des Bundes zur mittel- und längerfristigen Entwicklung der Covid-19Epidemie und zum Wechsel in die «normale Lage» (im Folgenden: Grundlagenpapier des Bundes vom 18.5.2022), Kap. 3.

Grundlagenpapier des Bundes vom 18.5.2022, Kap. 6.4.

Grundlagenpapier des Bundes vom 18.5.2022, Kap. 3 und 5.

Grundlagenpapier des Bundes vom 18.5.2022, Kap. 5. Namentlich Verwaltung des Testund Contact-Tracing-Systems, Übernahme von Testkosten, Massnahmen im Bereich des Arbeitnehmerschutzes, Verwaltung des Covid-19-Zertifikats und der Covid-19-Apps.

Anhörung der KdK und der GDK vom 26.9.2022.

Die GDK sah in einem im Mai 2022 veröffentlichten Dokument vor, bei einer entsprechend angespannten epidemiologischen Lage und einer starken Belastung des Gesundheitswesens dem Bund zu beantragen, gestützt auf Artikel 6 EpG nationale Massnahmen zu ergreifen. Siehe: GDK-Empfehlungen zu Covid-19-Massnahmen zuhanden Kantone in der «normalen Lage», Definition des Prozesses, Dokument der GDK vom 20.5.2022.

Stellungnahme der GDK vom 11.8.2023 im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht.

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Sinne von Artikel 6 EpG rechtfertigen. Er verweist aber darauf, dass die Notwendigkeit, einheitliche Massnahmen anzuordnen, «nicht das allein massgebliche Kriterium» für eine Rückkehr zur besonderen Lage ist, da die Kantone «jederzeit im Rahmen ihrer Koordinationsgefässe [...] einheitliche Massnahmen anordnen» können.486 Der GDK-Präsident vertrat im September 2022 gegenüber der GPK-S die Meinung, dass der Bundesrat die Rolle des Bundes sehr zurückhaltend definiert und die Schwellen für ein erneutes aktiveres Eingreifen des Bundes sehr hoch ansetzt. Er machte geltend, dass das EpG dem Bundesrat einen grossen Spielraum hinsichtlich der Erklärung oder Nichterklärung der besonderen Lage einräumt und dass einige Kriterien im Sinne von Artikel 6 EpG nach wie vor erfüllt sind.487 Er teilte aber mit, dass die Kantone versuchen werden, ihre Verantwortung möglichst gut wahrzunehmen und sich auf einen allfälligen Wiederanstieg der Fallzahlen vorzubereiten. Ausserdem werde die GDK weiterhin einen regelmässigen Austausch mit dem EDI und dem BAG pflegen. Er präzisierte, dass die GDK einen Prozess zur Verabschiedung von Empfehlungen zu Pandemiebekämpfungsmassnahmen definierte und ein Strategiepapier im Hinblick auf allfällige neue Wellen beschloss. Die Entscheidkompetenz liege aber letztlich bei den Kantonsregierungen.488 Der Bund und die Kantone hielten während des gesamten Sommers 2022 an ihren abweichenden Positionen fest (siehe Kap. 6.2.3). Das EDI betonte im Juni 2022 gegenüber der GPK-S, dass es im Hinblick auf den Herbst eine gute interkantonale Koordination und eine entsprechende Vorbereitung der Kantone braucht.489 Der Bundesrat bedauerte in seiner Stellungnahme vom Oktober 2022 zum KdK-Bericht, dass die Koordination zwischen den Kantonen darin «weitgehend ausklammert» ist, obwohl genau in diesem Bereich «viel Verbesserungspotenzial besteht».490 Er schrieb, dass eine «kritische Analyse der Rolle der KdK in der Krisenbewältigung sowie eine ausführliche Auseinandersetzung mit der interkantonalen Zusammenarbeit in den bisherigen Pandemiewellen [...] die Voraussetzung dafür [wäre], dass vergangene Versäumnisse nicht wiederholt werden».491 Ende Oktober liess der EDI-Vorsteher aber verlauten, dass ihm die GDK deutlich besser vorbereitet erscheint als im Winter des Vorjahres.492 Weitere Meinungsverschiedenheiten
über die Aufgabenverteilung traten im Sommer 2022 zutage. Diese betrafen in erster Linie die Festlegung der kantonalen Intensivpflegekapazitäten für den Herbst 2022493 und den Beschluss des Bundesrates, den

486

487 488 489 490 491 492 493

Grundlagenpapier des Bundes vom 18.5.2022, Kap. 4. Gemäss den Informationen der GPK-S kommunizierte das EDI der GDK diese Haltung bereits Anfang März 2022. Der EDI-Vorsteher bekräftigte diese Haltung gegenüber den GPK (Anhörung vom 28.6.2022, GPK-N).

Anhörung der KdK und der GDK vom 26.9.2022.

Anhörung der KdK und der GDK vom 26.9.2022.

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S, Anhang.

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 2.

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 15.

Anhörung des Vorstehers des EDI vom 22.10.2022.

Grundlagenpapier des Bundes vom 18.5.2022, Kap. 6.3.

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Kantonen im Sommer 2022 die Betreuung und Finanzierung der Impfanmeldungsund -dokumentationssysteme zu übertragen.494

7.3

Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bei den schweizweiten Massnahmen zur Pandemiebekämpfung

Die Bestimmungen der Verfassung und des EpG implizieren eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bei den Massnahmen in Pandemiezeiten (siehe Kap. 4). Die GPK-S legt neben der Verteilung der Entscheidkompetenzen (siehe Kap. 7.2) auch nachfolgend dar, wie die Akteure die Konsultation zu den Massnahmenentwürfen, die Information über die beschlossenen Massnahmen und die Unterstützung der Kantone durch den Bund beim Vollzug beurteilen. Zudem erläutert sie anhand des Beispiels Tessin, wie die spezifische Situation einiger Kantone berücksichtigt wurde und vertieft sie den Sonderfall des Verbots nicht dringender medizinischer Eingriffe.

Zusammenfassung der wichtigsten Feststellungen der GPK-S Die Kantone üben heftige Kritik an den Verfahren für die Konsultation zu den Massnahmen des Bundes zur Pandemiebekämpfung. Die KdK und die GDK sind der Ansicht, dass die Kantone sowohl in der ausserordentlichen als auch in der besonderen Lage nicht ausreichend oder mit zu kurzfristig konsultiert wurden.

Das EDI hält fest, sich bemüht zu haben, die Kantone einzubeziehen und ihnen so viel Zeit einzuräumen, wie in einer solchen Ausnahmesituation möglich ist.

Nachdem das Konsultationsverfahren anfangs von der GDK koordiniert worden war, wurden die Massnahmenvorschläge ab Frühjahr 2021 auf Wunsch der KdK direkt den Kantonen unterbreitet. Diese Entwicklung verringerte laut EDI den Einfluss der Kantone und wird vom Departement deshalb kritisch gesehen. Sowohl die KdK als auch der Bundesrat erachten es als wichtig, dass in allfälligen künftigen Krisen die Konsultation der Kantone bestmöglich gewährleistet ist. Der Bundesrat sieht keinen Bedarf für eine Änderung der Rechtsgrundlagen, sondern möchte in erster Linie einen elektronischen Konsultationsprozess entwickeln.

Die Kantone kritisieren auch verschiedentlich die Information über die Massnahmen des Bundes zur Pandemiebekämpfung. Sie sind der Auffassung, dass sie zu spät informiert wurden, dass die Zeit zwischen der Ankündigung der Massnahmen und deren Inkraftsetzung zu kurz war sowie dass die vom Bund erlassenen rechtlichen Rahmenbedingungen zu stark variierten und unklar waren. Der Bund anerkennt, dass bei der Information der Kantone Verbesserungspotenzial besteht, weist aber die Kritik an der Qualität der Rechtsetzungsprozesse während der Krise zurück.

494

Grundlagenpapier des Bundes vom 18.5.2022, Kap. 6.5. Es handelt sich um die Programme «OneDoc» und «Soignez-moi».

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Das EDI verweist darauf, wie der Bund den Vollzug der schweizweiten Massnahmen in den Kantonen auf den verschiedensten Ebenen (namentlich Informatiktools, Finanzierung, Koordination) unterstützt hat. Laut der zunächst kritischen KdK gab es ab Winter 2020 Verbesserungen. Die GDK wiederum sieht in verschiedener Hinsicht Verbesserungspotenzial. Von der Kantonsärzteschaft und der Kantonsapothekerschaft werden die Weisungen und Empfehlungen des BAG eher positiv beurteilt. Beim Contact-Tracing wurde der Bund auf verschiedenen Ebenen aktiv, um die Umsetzung in den Kantonen zu unterstützen. Das EDI und die GDK ziehen eine insgesamt positive Bilanz dieser Unterstützung. Eine Schwäche stellte laut ihnen aber die Heterogenität der kantonalen Contact-Tracing-Systeme dar. Die GDK steht der Einführung eines nationalen Contact-Tracing-Systems eher positiv gegenüber. Das EDI hat demgegenüber Vorbehalte, erachtet aber eine bessere Koordination als angezeigt.

Das Beispiel des Tessins im Frühjahr 2020 zeigt laut den Bundesbehörden, dass sie sich bemüht haben, die besondere epidemiologische Lage einzelner Kantone zu berücksichtigen. Das EDI beurteilt die vom Bundesrat Ende März 2020 beschlossene Ausnahmeklausel für das Tessin positiv. Das Departement will prüfen, ob ausgehend von diesem Fall Anpassungen des EpG erforderlich sind.

Das Urteil über das vom Bundesrat in der ersten Welle beschlossene Verbot nicht dringender medizinischer Eingriffe fällt durchwachsen aus. Das EDI ist der Ansicht, dass dieses Verbot angesichts des damaligen Kontextes gerechtfertigt war, räumt aber auch ein, dass diese Massnahme in Zukunft wohl nicht mehr ergriffen wird und es sinnvoller ist, wenn in dieser Frage die kantonale Zuständigkeit zum Tragen kommt. Die Kantone und eine externe Evaluation beurteilen dieses Verbot insgesamt negativ. Die grösste Herausforderung für die Zukunft besteht in diesem Zusammenhang im Management und in der Ausbildung des Pflegepersonals sowie in der Koordination des Schweizer Spitalsystems.

7.3.1

Konsultationsverfahren

Einer der Hauptkritikpunkte der Kantone in der Pandemie bezog sich auf die Konsultationsverfahren zu den schweizweiten Massnahmen zur Pandemiebekämpfung. Die KdK hielt diesbezüglich fest, dass «der Einbezug der Kantone [...] insbesondere in der ausserordentlichen Lage ungenügend» war.495 Konsultationen vor der ausserordentlichen Lage (Januar bis März 2020) Die KdK kommt zum Schluss, dass der Informationsaustausch auf operativer Ebene, d. h. zwischen den Verwaltungen von Bund und Kantonen, in diesem Zeitraum gut funktionierte, die Kantonsregierungen hingegen kaum einbezogen wurden. Die

495

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 3.2.

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Anordnung bestimmter Massnahmen sei auf politischer Ebene vorgängig nicht angekündigt worden.496 Die Vertreterinnen und Vertreter der GDK teilten der GPK-S mit, dass sich der Austausch über die geplanten Massnahmen zwischen Ende Februar und Anfang März 2020 rasch beschleunigte und entweder telefonisch oder im Rahmen von Sitzungen mit dem EDI und der GDK bzw. mit deren Vorstand stattfand.497 Dem Präsidenten der GDK zufolge führte der Bundesrat vor der Ausrufung der ausserordentlichen Lage am 16. März keine formelle Konsultation der Kantone durch, was in seinen Augen aber richtig war, weil der Bund damals rasch handeln musste.498 Konsultationen in der ausserordentlichen Lage (März bis Juni 2020) In ihren Berichten von 2020 und 2022 vertritt die KdK die Ansicht, dass der Einbezug der Kantone in den Entscheidungsprozess in dieser Phase nicht optimal war und dass die Kantone «vom Bund nur selten oder mit äusserst knappen Fristen angehört [wurden], sodass die Positionen innerhalb der Kantonsregierungen nicht konsolidiert werden konnten».499 Verschiedentlich habe der Bundesrat beim Erlass von Massnamen gänzlich auf den Einbezug und die Vorinformation der Kantone verzichtet. In anderen Fällen habe er die Kantone erst nach der Ausformulierung der Verordnungsentwürfe und Beschlüsse konsultiert. Die Kantone hätten in diesen Fällen ihre Vollzugserfahrung nicht ausreichend in die Ausgestaltung der Massnahmen einbringen können.500 Die KdK räumte zwar ein, dass die Rechtsgrundlagen in der ausserordentlichen Lage keine Anhörung der Kantone verlangen, betonte aber, dass es wichtig ist, dass die Kantone «bei der Entscheidungsvorbereitung direkt informiert und konsultiert werden», damit sie sich adäquat vorbereiten können.501 Sie hielt fest, dass «einseitige Weisungen des Bundes ohne jegliche Rücksprache mit den Kantonen [...] nicht zielführend [sind] und [...] zu Unklarheiten beim Vollzug der Massnahmen» führen.502 Gegenüber der Kommission wiesen die Vertreterinnen und Vertreter der GDK auf die besonders kurzen Fristen (von einigen Stunden bis zu zwei Tagen) für die Stellungnahmen hin. Sie führten aus, dass der Einbezug der Kantonsregierungen je nach Thema über die Mitglieder der GDK erfolgte, die Regierungen jedoch nicht immer in ihrer Gesamtheit einbezogen werden konnten.503

496

497

498 499 500 501 502 503

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.2. Die KdK führt als Beispiel das Verbot von Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen an (28.2.2020). Aus den Informationen der GPK-S geht jedoch hervor, dass die Kantone zu dieser Massnahme informell konsultiert wurden (siehe Kap. 6.2.1).

Anhörung der GDK vom 18.2.2021. Nach Angaben der GDK fanden Konsultationen insbesondere nach der Ausrufung der besonderen Lage am 28.2.2020 (Präzisierung der Modalitäten des Verbots von Grossveranstaltungen) und am 11.3.2020 für die Verlängerung der besonderen Lage statt.

Anhörung der GDK vom 18.2.2021. Aus den Informationen der GPK-S geht indes hervor, dass der Bundesrat die Kantone vor seinem Entscheid orientierte (siehe Kap. 6.2.1).

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 5.1.1; diese Aspekte wurden auch in der Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021 genannt.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 3.2.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.2.

Covid-19: Kantone fordern Optimierung des Krisenmanagements, Medienmitteilung der KdK vom 22.12.2020; Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 5.1.1.

Anhörung der GDK vom 18.2.2021.

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Einige Aussagen der Kantone relativieren jedoch diese Kritik. Der Vizepräsident der KdK räumte ein, dass die Kurzfristigkeit der Massnahmen den Umständen geschuldet war.504 Ein Kantonsvertreter erklärte gegenüber der GPK-S, dass es unrealistisch gewesen wäre, in jener Zeit konsolidierte Konsultationen der Kantone durchzuführen, und dass man in Notsituationen akzeptieren muss, dass nur eingeschränkte Konsultationen stattfinden.505 Ein anderer Kantonsvertreter meinte, dass die Kantone dem Bundesrat ihre Erwartungen und Vorschläge übermitteln konnten.506 Der Generalsekretär der GDK äusserte sich ähnlich und teilte mit, das BAG sei auf die Vorschläge der Kantone für die Massnahmen zur Pandemiebekämpfung eingegangen.507 In ihrem Bericht von 2020 hält die KdK fest, dass einige Kantone «die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der ausserordentlichen Lage als gut» erachten.508 Seitens des Bundes zog auch die BK eine durchzogene Bilanz der Konsultation der Kantone in der ausserordentlichen Lage.509 Sie kam zum Schluss, dass die «Kantone auch in einer Krise, wenn immer möglich, konsultiert werden [sollten], bevor eine Massnahme entschieden wird, die sie direkt betrifft respektive finanzielle Folgen für sie hat».510 Der Vorsteher des EDI betonte, der Bundesrat habe in der ausserordentlichen Lage alles unternommen, um eine enge Verbindung zu den Kantonen aufrechtzuerhalten, insbesondere indem er sie zu den folgenschwersten Massnahmen konsultiert oder die Meinung der Präsidentinnen und Präsidenten der interkantonalen Konferenzen eingeholt habe. Dies sei angesichts der raschen und unvorhersehbaren Entwicklung der Lage keine leichte Aufgabe gewesen.511 Laut dem Generalsekretär des Departements war sofort klar, dass die Pandemie ohne eine enge Zusammenarbeit mit den Kantonen nicht unter Kontrolle gebracht werden kann, und wurden die Kantone von Anfang an zu den Verordnungsänderungen konsultiert. Er verstehe die kritischen Reaktionen der Kantone bezüglich der sehr kurzen Konsultationsfristen zu Beginn der Pandemie, dies sei aber angesichts der dramatischen Entwicklung der epidemiologischen Lage «schlichtweg nicht anders möglich» gewesen.512 Die Direktorin des BAG erklärte, 504 505 506 507

508

509

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Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021.

Gespräch mit einer Delegation der Regierung des Kantons Basel-Landschaft vom 24.8.2020 (GPK-S).

Gespräch mit einer Delegation der Regierung des Kantons Bern vom 3.9.2020 (GPK-N).

Anhörung der GDK vom 18.2.2021. Als Beispiele genannt wurden insbesondere die Einführung eines einheitlichen elektronischen Instruments für die Quarantäneerfassung, die Strategie für grossflächige Tests und die Einreisekontrollen.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.2. Der Präsident der GDK bezeichnete die Führung des Bundesrates in der ersten Welle als «rasch und entschlossen» (Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021).

Bericht der BK vom 11.12.2020, Kap. 2.4. «Die Bundesverwaltung strebte zwar an, den Kantonen Informationen zu geplanten Verordnungsänderungen und anderen Massnahmen frühzeitig vorzulegen, doch die Geschwindigkeit der auftretenden Ereignisse und der Reaktionen darauf erlaubte oftmals keine seriöse Konsultation. [...] Selbst bei Verordnungen, die direkte Auswirkungen auf die kantonale Umsetzung hatten, wurden sie zu spät, zu wenig oder gar nicht konsultiert. [...] Dass in einer laufenden Krise, in der unter hohem Zeitdruck gearbeitet und entschieden werden muss, nicht zu jedem Vorhaben eine Konsultation durchgeführt werden kann, war den Befragten verständlich».

Bericht der BK vom 11.12.2020, Kap. 2.4, Maxime 1.

Vorsteher des EDI: «Föderalismus und die Dynamik der Covid-19-Krise», 27.5.2021; www.edi.admin.ch > Dokumentation > Reden (aufgerufen am 21.3.2023).

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

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dass nichts unternommen wurde, ohne wenigstens mit der GDK Rücksprache zu nehmen.513 Konsultationen in der besonderen Lage (bis Frühjahr 2021) Laut KdK unternahm der Bund nach der Rückkehr zur besonderen Lage Anstrengungen, um die Kantone in seine Entscheidfindung einzubeziehen.514 Ab dem Sommer 2020 wurden die Konsultationen zu den Vorschlägen für schweizweite Massnahmen zur Pandemiebekämpfung von der GDK koordiniert; diese Praxis wurde im strategischen Grundlagenpapier vom Oktober 2020 schriftlich festgehalten (siehe Kap. 6.2.2). Sowohl die GDK als auch das EDI begrüssten die verstärkte institutionelle Zusammenarbeit in jener Zeit.515 Dennoch blieben die Kantone in Bezug auf die Konsultationsverfahren kritisch. Dem Vizepräsidenten der KdK zufolge verschlechterten sich die Konsultationsprozesse nach der Rückkehr zur besonderen Lage sogar noch.516 In ihrem Bericht vom Dezember 2020 bemängelte die KdK, dass «die Fristen für die Anhörung [der Kantone] durch den Bund nach wie vor dermassen knapp sind, dass es ihnen nicht möglich ist, die Beschlussanträge detailliert zu prüfen und Alternativen vorzuschlagen».517 Sie verlangte, dass die Anhörung der Kantone systematisch und mit angemessenen Antwortfristen erfolgt.518 Die Vertreterinnen und Vertreter der GDK ihrerseits bezeichneten das Konsultationsverfahren in der besonderen Lage als äusserst kompliziert; sie bemängelten insbesondere, dass die Dokumente nicht gleichzeitig in den drei Landessprachen vorgelegt wurden.519 Der Präsident der GDK meinte, dass man in einem solchen Kontext mit dem sehr anspruchsvollen und komplizierten Staatswesen der Schweiz schnell an die Grenzen der Praktikabilität stösst.520 Er präzisierte, dass die Kantone versuchten, die vorgegebenen Fristen so gut wie möglich einzuhalten, das Tempo, mit welchem die Entscheidungen getroffen werden mussten, aber insbesondere von den Kollegen und Kolleginnen mit anderen Ressorts in den Kantonsregierungen auch als Zumutung empfunden werden konnte.521 Ähnlich äusserte sich auch die VKS. Sie wies darauf hin, dass es für die Kantonsärztinnen und -ärzte schwierig war, innerhalb der vom BAG vorgegebenen Fristen eine konsolidierte Antwort abzugeben. Sie forderte eine «strukturiertere» Konsultation und «eine proaktivere Aufnahme von Themen».522 Das EDI räumte gegenüber der GPK-S ein, dass die
Konsultationsfristen oft kurz waren, machte aber auch geltend, dass die Kantone von allen Beteiligten am meisten Zeit für die Meinungsbildung hatten und die Konsultationen nie weniger als ein paar Tage

513 514 515 516 517 518 519 520 521 522

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.2.

Schreiben des EDI vom 10.6.2021 an die GPK-S; Anhörung der GDK vom 18.2.2021.

Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.2.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.2.

Anhörung der GDK vom 18.2.2021.

Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021.

Anhörung der GDK vom 18.2.2021.

Schreiben der VKS vom 7.6.2021 an die GPK-S.

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dauerten.523 Auch das BAG bedauerte, dass den Kantonen nur so wenig Zeit zur Verfügung stand, erklärte aber, dass das Amt die Dossiers für den Bundesrat teilweise innerhalb einer Woche ausarbeiten musste.524 Das EDI wies zudem darauf hin, dass es laut dem gemeinsamen Strategiepapier vom Oktober 2020 die Aufgabe der GDK war, dem Bundesrat eine konsolidierte Stellungnahme der Kantone zu den Vorschlägen für Massnahmen zur Pandemiebekämpfung vorzulegen, und dass die KdK diesem Vorgehen damals zugestimmt hatte.525 Dem Generalsekretär des EDI zufolge war die Zusammenarbeit mit der GDK gerechtfertigt, weil schnell gehandelt werden musste und es sich um etablierte Kanäle handelte.526 In seiner Stellungnahme vom Oktober 2022 zum Bericht der KdK erachtet der Bundesrat die von der GDK erstellte Zusammenfassung der Stellungnahmen und Vorschläge der Kantone als «wertvoll».527 Änderung des Konsultationsverfahrens (Frühjahr 2021) Das Konsultationsverfahren wurde auf Ersuchen der KdK Ende März 2021 geändert; die von der GDK koordinierten Konsultationen wurden abgeschafft und die Vorschläge für Bundesmassnahmen wurden den Kantonsregierungen direkt über ihre Staatskanzleien unterbreitet. In den Augen der KdK war diese Praxisänderung gerechtfertigt, da nur die Kantonsregierungen die gesamtheitliche, über die Sektoralpolitiken hinausgehende Sicht gewährleisten können, weshalb deren Einschätzung direkt dem Bundesrat zurückgemeldet werden sollte.528 Sie wies darauf hin, dass dieser Änderung «längere Diskussionen vorausgegangen waren und dass zu diesem Zeitpunkt auch die eidgenössischen Räte das Covid-19-Gesetz dahingehend präzisiert hatten, dass der Bundesrat die Kantonsregierungen bei der Erarbeitung von Massnahmen einbezieht, die ihre Zuständigkeit betreffen».529 Der Bundesrat und das EDI zeigten sich gegenüber dieser Praxisänderung skeptisch.

Aus Sicht des Bundesrates führte diese «zu einer Schwächung der Position der Kantone und zu einem erheblichen Mehraufwand für die Bundesverwaltung», wiesen die «einzelnen Stellungnahmen [der Kantone] oftmals wenig inhaltlichen Mehrwert für die Entscheidungsfindung des Bundesrates» auf und handelte es sich «häufig eher [um] politische Einschätzungen als konkrete Verbesserungsvorschläge».530 Das EDI bekräftigte diese Position gegenüber der GPK-S: «Es war zwar nachvollziehbar,
dass die Kantonsregierungen enger einbezogen werden wollten. Einerseits wurde der Einfluss der fachlich zuständigen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren reduziert.

Andererseits bedeutete der Verzicht auf eine Konsolidierung seitens der GDK und 523

524 525 526 527 528 529 530

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S, Anhang. Demgegenüber betonte das EDI, der Bundesrat seinerseits habe nur wenige Stunden oder einen Tag Zeit gehabt, um sich eine Meinung zu bilden und seinen Entscheid zu treffen.

Anhörung des BAG vom 23.8.2021.

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S, Anhang; Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 6­8.

Diese Aspekte werden auch im Bericht der BK vom 22.6.2022 genannt, Kap. 2.2.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 3.2.

Stellungnahme der KdK vom 20.7.2023 im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht.

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 8.

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KdK eine Schwächung des Einflusses der Kantone. Die Verlagerung zu den Kantonsregierungen hatte zur Folge, dass im Rahmen der Konsultationen kaum noch fachliche Inputs zu den einzelnen Verordnungsprojekten eingegangen sind.»531 Das Departement teilte mit, dass die Bedeutung des Austausches zwischen dem EDI und den Mitgliedern der GDK ab jenem Zeitpunkt deutlich abnahm.532 Die GDK betonte gegenüber der Kommission, dass sich die Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren weiterhin aktiv an der Diskussion beteiligten, anerkannte aber auch, dass sie sich nicht mehr mit demselben Gewicht im gesamten Konsultationsverfahren Gehör verschaffen konnten.533 Der Bundesrat und das EDI kritisierten zudem, dass diese Phase «auch durch häufige Indiskretionen [bezüglich der in die Konsultation geschickten Entwürfe] sowie der Tatsache geprägt [war], dass gewisse Kantone begonnen haben, ihre Antworten zu publizieren oder zumindest den Medien bekannt zu machen», was die Bundesbehörden gezwungen habe, die Praxis der Konsultationen mehrfach anzupassen.534 Letztlich entschied der Bundesrat, die geplanten Massnahmen zum Zeitpunkt, zu dem sie den Kantonen zur Konsultation übermittelt wurden, selbst zu veröffentlichen.

Dadurch habe sich die Dauer der Beschlussfassung verlängert, da die Geschäfte dem Bundesrat zweimal unterbreitet werden mussten.535 Nach Ansicht des EDI schmälerte diese neue Praxis den Einfluss der Kantone und den Spielraum des Bundesrates und beeinflusste wesentlich das Vertrauensverhältnis und die Zusammenarbeit.536 Allgemeine Erkenntnisse zu den Konsultationen Der Evaluation von Interface und Infras zufolge zeigt das Beispiel der Konsultationen zwei grundsätzliche Probleme der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen auf: erstens die Schwierigkeit der Kantone, innerhalb kurzer Fristen konsolidierte Positionen zu finden,537 und zweitens die Herausforderung für die Bundesbehörden, mit unterschiedlichen ­ und bisweilen gegenläufigen ­ Positionen der Kantone, aber auch der politischen und operativen Akteure ein und desselben Kantons oder der Mitglieder ein und derselben Regierung umzugehen.538 Auch der Vorsteher des EDI wies gegenüber der GPK-S auf diese Problematik hin.539

531

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Schreiben des EDI vom 3.3.2023 an die GPK-S. Das EDI hielt zudem fest, dass das BAG, das bereits mit dem Krisenmanagement stark gefordert war, für die Auswertung der Stellungnahmen der Kantone zusätzliche Ressourcen bereitstellen musste.

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S, Anhang.

Stellungnahme der GDK vom 11.8.2023 im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht.

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 7; Schreiben des EDI vom 3.3.2023 an die GPK-S. Ursprünglich wurden die Kantone vertraulich zu den geplanten Massnahmen konsultiert, bevor diese dem Bundesrat unterbreitet wurden. Danach wurden die geplanten Massnahmen ein erstes Mal dem Bundesrat unterbreitet, bevor sie den Kantonen zur Konsultation übermittelt wurden.

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 7.

Schreiben des EDI vom 3.3.2023 an die GPK-S.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 4.1.2. Nach Meinung der Autorinnen und Autoren führte dies zu einem föderalen «Flickenteppich», der das Vertrauen in den Föderalismus erschütterte.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 4.1.2.

Anhörung des Vorstehers des EDI vom 22.10.2022.

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In ihrem Bericht vom April 2022 hält die KdK fest, dass die Kantone vom Bund erwarten, stärker in die Vorbereitung der schweizweiten Massnahmen einbezogen zu werden, um «Entscheide in genauer Kenntnis der Sachlage» treffen zu können.540 In einer Empfehlung541 fordert sie unter anderem, dass die Konsultationen in der besonderen Lage grundsätzlich nach dem ordentlichen Verfahren im Sinne des VIG durchgeführt werden und mindestens fünf Arbeitstage dauern. Über die interkantonale Konferenzen sollten die Kantone nur in Ausnahmefällen ­ nämlich bei absoluter Dringlichkeit ­ konsultiert werden.542 Die KdK betonte zudem, wie wichtig präzise Vorankündigungen des Bundes sind, damit die Kantone Zeit haben, sich vorzubereiten. Sie fordert, dass Instrumente entwickelt werden, die elektronische Konsultationen ermöglichen. Erlasse der Bundesrat Massnahmen gegen den Willen einer (qualifizierten) Mehrheit der Kantone, müsse er dies besonders begründen. Zu guter Letzt fordert die KdK den Bund auf, zu prüfen, inwiefern das Konsultationsverfahren im Vernehmlassungsrecht präzisiert werden kann.543 Die KdK und die GDK bekräftigten gegenüber der GPK-S, dass die Kantone die Voraussetzungen dafür schaffen müssen, damit bei Bedarf auch in der besonderen Lage die Konsultationen über die Staatskanzleien erfolgen können. Dies sollte in den meisten Fällen möglich sein, wenn man sich genügend vorbereite und antizipativ arbeite.

Sie wiesen darauf hin, dass die Kantone in der Krise erfolgreich auf die Beschleunigung ihrer Prozesse hingearbeitet haben.544 In seiner Stellungnahme vom Oktober 2022 zum Bericht der KdK bezeichnet es der Bundesrat als wichtig und sinnvoll, vor dem Beschluss von Massnahmen die Kantone anzuhören, und zwar, wenn immer möglich, auch in einer Krise. Er teilt mit, sich bewusst zu sein, dass die Konsultationsfristen in der Covid-19-Pandemie aufgrund der Dringlichkeit der Geschäfte oftmals kurz waren und häufig auch Wochenenden beinhalteten, dass aber «nur so gewährleistet werden [kann], dass der Bundesrat an zwei aufeinanderfolgenden Sitzungen zuerst die Konsultation eröffnet und danach die Entscheide fällt». Ferner hält er fest, dass in einer Krise «eine umfassende politische Analyse zeitweise weder für die Bundesverwaltung noch für die Kantone oder andere Akteure gewährleistet werden [kann]» und dass die
von den Kantonen gewünschte Verlängerung der Konsultationsfristen zulasten der raschen Beschlussfähigkeit des Bundesrates gehen würde.545 Im Weiteren informiert er darüber, dass eine IT-Lösung entwickelt wird, um das Konsultationsverfahren zu erleichtern und zu verkürzen.546 540 541 542

543 544 545 546

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.2.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 3.2, Empfehlung 4.

Die Meinung der Kantone, dass die Konsultation über die interkantonalen Konferenzen eine Ausnahme bleiben sollte, geht auch aus den Evaluationsarbeiten der BK hervor (Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S, Anhang).

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 3.2, Empfehlung 4.

Anhörung der KdK und der GDK vom 26.9.2022.

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 7/8.

Projekt «Cyberkonsultationen». Die BK teilte der GPK-S mit, dass das EDI bereits ein Instrument für Umfragen einsetzt, dieses jedoch nicht von allen Kantonen geschätzt wird, da die gelieferten Informationen nicht öffentlich zugänglich gemacht werden können und die Kantone daher gezwungen sind, zwei separate Stellungnahmen zu erfassen. Die Kantone hätten deshalb vorgeschlagen, neue IT-Tools einzuführen oder Konsultationen in Form von Videokonferenzen durchzuführen (Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S, Anhang).

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Die Empfehlung, höhere Anforderungen an die Begründung zu stellen, lehnt der Bundesrat hingegen mit dem Argument ab, schon jetzt darauf zu achten, stets transparent zu kommunizieren, wenn seine Entscheide der Mehrheit der Kantone oder derjenigen der zuständigen Kommissionen widersprechen.547 Der Bundesrat wies darauf hin, dass das Parlament nach der Annahme zweier parlamentarischer Initiativen548 beschlossen hat, das VIG dahingehend zu ändern, dass in dringlichen Fällen auf die formelle Konsultation bei Entwürfen von Bundesgesetzen und -verordnungen, die sich direkt auf die Verfassung stützen, verzichtet werden kann. In einem solchen Fall sei vorgesehen, dass «die zuständige Behörde wenn möglich die Kantonsregierungen und die vom Vorhaben in erheblichem Masse betroffenen Kreise [konsultiert]» (neuer Art. 10 VIG). Der Bundesrat hält es nicht für notwendig, das Konsultationsverfahren im VIG näher zu präzisieren.549 Die Konsultationen wurden ab dem Frühjahr 2021 vom Bundesrat und von der BK verschiedentlich mit den Kantonen thematisiert.550 Dabei erklärte sich der Bundesrat bereit, zu prüfen, ob im Rahmen der Revision des EpG Verbesserungen bei den Konsultationen vorgenommen werden können. Die BK empfahl dem BAG insbesondere, zu prüfen, ob im Gesetz festgehalten werden soll, wann der Konsultationsweg über die interkantonalen Konferenzen anzuwenden ist.551

7.3.2

Information über die beschlossenen Massnahmen

Eine weitere grundlegende Kritik der Kantone betrifft die Information über die vom Bund beschlossenen Massnahmen zur Pandemiebekämpfung ­ bzw. über die Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen ­ und die Erläuterungen zur Umsetzung dieser Massnahmen.552 Kritik der Kantone Erstens sind die Kantone der Ansicht, sie seien regelmässig zu spät über die vom Bund beschlossenen Massnahmen informiert worden, insbesondere in der ersten Pandemiewelle. Mehreren Aussagen zufolge erfuhren die Kantone bisweilen erst zum selben Zeitpunkt wie die Öffentlichkeit ­ aus den Medienkonferenzen oder aus den Medien ­ von den Beschlüssen des Bundesrates.553 Laut KdK erhielten die Kantone die erläuternden Berichte manchmal erst mehrere Tage nach Publikation der Verordnungen 547 548

549 550

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Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 8.

Pa. Iv. SPK-N und SPK-S «Handlungsfähigkeit des Parlamentes in Krisensituationen verbessern» (20.437 und 20.438). Der entsprechende Gesetzesentwurf, der den geänderten Art. 3a Abs. 1 Bst. c VIG und die Ergänzung von Art. 10 VIG beinhaltet, wurde im März 2023 von den eidgenössischen Räten verabschiedet (BBl 2023 784).

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 6/7.

Austausch im Rahmen der Staatsschreiberkonferenz und des Föderalistischen Dialogs im März 2021, Umfrage bei den Staatsschreiberinnen und -schreibern im April 2021, Workshop der BK mit Vertretungen der Kantone im November 2021.

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S, Anhang.

Gemäss EpG sind die Kantone in allen Phasen der Pandemie für die Umsetzung der Massnahmen ­ einschliesslich der vom Bund beschlossenen ­ zuständig (siehe Kap. 4).

Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021.

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durch den Bundesrat: «Die Kantone hatten also umfangreiche Aufgaben rasch und unter Druck auszuführen, obwohl die für eine wirksame Erfüllung erforderlichen Informationen sowie die zeitlichen und personellen Ressourcen und Infrastrukturen fehlten.» Dies habe zu Inkonsistenzen bei der Umsetzung geführt554 und die Kantone daran gehindert, eine kantonsspezifische Kommunikation auszuarbeiten.555 Die Kritik der VKS geht in eine ähnliche Richtung. Die Vereinigung hielt fest, dass die Kantonsärztinnen und -ärzte «ohne Vorlaufzeit und lediglich mit der Kenntnis aus den Medien Fragen beantworten [mussten], über deren Inhalt sie nicht näher Bescheid wussten bzw. die konkrete Umsetzung im Kanton noch gar nicht geklärt war».556 Die französisch-, italienisch-, und mehrsprachigen Kantone bedauerten, dass die Übersetzungen der Verordnungen und Erläuterungen «bis zu einer Woche nach den deutschsprachigen Versionen publiziert und übermittelt wurden [...], obwohl eine sofortige Anwendung der Massnahmen gefordert war». Darüber hinaus enthielten die Übersetzungen nach Ansicht der KdK manchmal Fehler, die zu Auslegungsproblemen führten.557 Die Kantone hielten darüber hinaus die Fristen zwischen der Ankündigung der Massnahmen und dem Zeitpunkt der Umsetzung für zu kurz. Sie bezeichneten es insbesondere als «inakzeptabel», dass die Massnahmen am späten Freitagabend erlassen wurden und am darauffolgenden Montag in Kraft treten sollten, «vor allem bei Entscheiden mit grossen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Auswirkungen».

Der KdK zufolge «war eine seriöse Vorbereitung [...] kompliziert, was den Eindruck erweckte, dass die kantonalen Vollzugsbehörden nicht bereit waren». In der besonderen Lage sei dieses Vorgehen für die Kantone noch schwieriger nachzuvollziehen gewesen.558 Gegenüber den GPK erklärte der Vizepräsident der KdK, die Kantone seien sich bewusst, dass die Kurzfristigkeit der Massnahmen den Umständen geschuldet war, betonte jedoch, wie anspruchsvoll die fast sofortige Umsetzung für sie gewesen sei.559 Aus den Befragungen der GPK-S geht hervor, dass die kantonalen Verwaltungen mit einer besonders hohen Arbeitslast konfrontiert waren, und zwar auch in der Nacht und an Wochenenden.

Kritisiert von den Kantonen wurde auch die wiederholte Anpassung der vom Bund erlassenen rechtlichen Rahmenbedingungen,
insbesondere in der ersten Pandemiewelle. Laut KdK «nahm der Bund regelmässig Anpassungen vor und fügte Merkblätter und Erläuterungen hinzu, ohne die Änderungen zu kennzeichnen». Zudem seien die Bestimmungen häufig schwer verständlich oder gar widersprüchlich gewesen, sodass es für die Kantone schwierig gewesen sei, festzustellen, wie gross ihr Handlungsspielraum ist. Dies habe zu einer unterschiedlichen Handhabung in den Kantonen ge-

554 555 556 557 558

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.3.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 5.2.

Schreiben der VKS vom 7.6.2021 an die GPK-S.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.3.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.3. So führte laut KdK der Übergang von der Covid-19-Verordnung 2 zur Covid-19-Verordnung 3 an einem Wochenende unnötigerweise zu Regelungs- und Umsetzungsproblemen in den Kantonen.

559 Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2021.

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führt, was in der Bevölkerung für Unverständnis und Unzufriedenheit gesorgt habe.560 Der KdK zufolge dürfte ein Teil der aufgetretenen Schwierigkeiten auf die fehlende Praxisnähe des Bundes zurückzuführen sein: «Viele Nachkorrekturen der Covid-Verordnungen wären vermeidbar gewesen, wenn Kantone und Gemeinden besser einbezogen worden wären.»561 Einige Kantonsvertretungen erklärten gegenüber den GPK, dass sich nach Bekanntgabe der Bundesmassnahmen zahlreiche Fragen stellten.562 Die Unsicherheiten bei der Auslegung der Regeln in den verschiedenen Themenbereichen (z. B. Bildung, Kultur, Soziales, Sicherheit) gehen auch aus dem Bericht der KdK vom Dezember 2020 hervor.563 Die VKS wiederum ist der Ansicht, dass die Empfehlungen und Weisungen, die teilweise «als operative Hektik empfunden» wurden, zu rasch wechselten. Die Auslegung der beschlossenen Massnahmen habe oft zu viele Interpretationen zugelassen und viele Fragen seien offengeblieben. «Die Bevölkerung und Unternehmen forderten aber verständlicherweise jeweils direkt nach Bekanntgabe der Massnahmen detaillierte Antworten zur Umsetzung in den Kantonen, die aber in solch kurzer Zeit noch gar keine Klärung vornehmen konnten», so die VKS. «[An]stelle von Empfehlungen, z. B. für sozialmedizinische Einrichtungen, [wären] verbindlichere Regeln allgemein verständlicher und somit zielführender gewesen».564 Ganz allgemein kritisierten die Kantone auch «die Vielzahl der Bundesstellen sowie die Unübersichtlichkeit der jeweiligen Kompetenzen», welche die Entgegennahme der Fragen der Kantone erschwerten (siehe diesbezüglich Kap. 7.1.1).565 In ihrem Bericht von 2020 betont die KdK, wie wichtig es ist, dass die Kantone frühzeitig ­ möglichst vor der Bevölkerung und den Medien ­ über die Positionen des Bundes und die von diesem beabsichtigten Entscheide informiert werden und dass die erläuternden Berichte den Kantonen gleichzeitig mit den Verordnungen in den drei Amtssprachen zur Verfügung gestellt werden. Die Kantone fordern zudem «klarere und einfacher umzusetzende Massnahmen und Weisungen des Bundes [...] mit ausreichenden Erläuterungen für eine kohärente Umsetzung».566 In ihrem Bericht von 2022 bekräftigt die KdK ihre Forderungen: Sie fordert den Bundesrat insbesondere auf, die Rechtsetzungsprozesse zu verbessern, damit das «Vollzugswissen [...] optimal
koordiniert» wird. Sie verlangt, die Prozesse so zu gestalten, dass die Kantone und Gemeinden «wenn immer möglich realistische Fristen für die Planung der Umsetzung und des Vollzugs haben», und empfiehlt, den Gesetzgebungsleitfaden um ein Kapitel zur Rechtsetzung in der Krise zu ergänzen.567 Zu guter Letzt 560

561 562 563 564 565 566 567

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.3. Laut KdK war dieses Problem in verschiedenen Bereichen spürbar: Verbot des Präsenzunterrichts, Sortimente in den noch geöffneten Geschäften, Definition der geschlossenen öffentlichen Einrichtungen, Schliessung und Wiedereröffnung der Geschäfte, Kurzarbeit, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Lockerungen bezüglich der Veranstaltungen, Koordination mit den grenzüberschreitenden Akteuren für die Grenzübertritte usw.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 3.3.

Gespräch mit einer Delegation der Regierung des Kantons Bern vom 3.9.2020 (GPK-N).

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.2.

Schreiben der VKS vom 7.6.2021 an die GPK-S. Die VKS führte als Beispiele die Quarantäne- und Isolationsregeln sowie die Melde- und Beprobungskriterien an.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 3.4.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.3.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 3.3, Empfehlung 6.

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möchte sie klar definierte und exklusive Auskunftsstellen für den Informationsaustausch.568 Stellungnahme der Bundesbehörden Die BK räumte in ihrem Bericht vom Dezember 2020 ein, dass die Vollzugsakteure in der ersten Pandemiewelle zu spät informiert wurden.569 Sie kam zum Schluss, dass es «wichtig [ist], einen gemeinsamen Informations- und Wissensstand über getroffene Entscheide und Massnahmen zu sichern und den Vollzugsakteuren gegenüber der Bevölkerung und den Medien einen Informationsvorsprung zu geben», und formulierte diesbezüglich eine Maxime.570 Gegenüber der GPK-S räumte der ehemalige Direktor des BAG ein, dass es schwierig war, die 26 Kantone innert so kurzer Fristen wie zu Beginn der Pandemie zur Zufriedenheit zu informieren, und dass der Informationsfluss in Krisenzeiten überprüft werden muss.571 Die derzeitige BAG-Direktorin meinte, dass es eine der grössten Herausforderungen des Krisenmanagements war, alle Stakeholder zum richtigen Zeitpunkt zu informieren. Dies bestätige, wie wichtig es sei, im Bundesamt über Ansprechpartner zu verfügen, die jeweils direkt mit den Stakeholdern kommunizieren, anstatt eine einzige Anlaufstelle zu haben.572 Der Bundesrat widerspricht in seiner Stellungnahme vom Oktober 2022 der Kritik der Kantone an der Qualität der Gesetzgebungsprozesse. Er weist insbesondere darauf hin, dass es «angesichts des hohen Rhythmus, in welchem die Bestimmungen angepasst wurden» «nur wenige Fehler und nachträgliche Korrekturen» gab. Die Auswertungen der BK zum Krisenmanagement in der Covid-19-Pandemie hätten gezeigt, dass «die Verordnungen grundsätzlich von hoher Qualität» waren.573 Aus Sicht des Bundesrates zeigte sich während der Bewältigung der Covid-19-Pandemie, «dass die Bundesverwaltung auch in einer Krise in der Lage ist, die notwendigen rechtlichen Produkte und deren Umsetzung in kurzer Zeit und in hoher Qualität zu erstellen». Er räumt indes ein, dass der Einbezug der Kantonsregierungen durch eine Optimierung der Organisation des Krisenmanagements der Bundesverwaltung verbessert werden muss (siehe Kap. 7.1).574 Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass «realistische Fristen für den Vollzug von Massnahmen gesetzt werden sollten». Er weist jedoch darauf hin, dass «bei einem ausserordentlichen Ereignis gewisse Massnahmen schnellstmöglich umgesetzt wer568 569

570 571 572 573

574

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 3.4, Empfehlung 7.

Bericht der BK vom 11.12.2020, Kap. 2.4. «In manchen Fällen wurden [die Kantone] gar von der Medienberichterstattung überrascht. [...] Speziell bei den Verordnungen waren die Hintergründe nicht immer bekannt und es war unklar, wann die Erläuterungen dazu vorliegen würden».

Bericht der BK vom 11.12.2020, Kap. 2.4, Maxime 4.

Anhörung des ehemaligen Direktors des BAG vom 17.8.2020.

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 9. Die BK kommt in ihrer Auswertung von 2020 zum Schluss, dass die Notverordnungen durch ihre hohe Qualität auffielen (Bericht der BK vom 11.12.2020, Kap. 3). In der Auswertung der BK von 2022 wiederum heisst es, dass «insbesondere die Fähigkeit der Bundesverwaltung, rasch neue Gesetze und Verordnungen von hoher Qualität erstellen zu können, als Stärke wahrgenommen wurde» (Bericht der BK vom 22.6.2022, Kap. 3).

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 9.

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den müssen» und sehr kurze Fristen daher manchmal unabdingbar sind. Zudem erinnert er daran, dass «die meisten Massnahmen vorgängig konsultiert wurden und damit eine Vorbereitung der Kantone bereits möglich war». Zu guter Letzt hält er fest, dass es kaum möglich sein wird, den Gesetzgebungsleitfaden um ein «ausreichend aussagekräftiges und praxistaugliches» Kapitel zur Gesetzgebung in Krisenzeiten zu ergänzen, das «für jede Art von Krisen anwendbar» ist, und dass er dieses Anliegen deshalb ablehnt. Die Lehren aus der Pandemie würden aber in die Neuauflage des Gesetzgebungsleitfadens einfliessen.575

7.3.3

Unterstützung durch den Bund beim Vollzug der Massnahmen zur Pandemiebekämpfung

Die Kantone sind in allen Lagen für den Vollzug der im EpG vorgesehenen Massnahmen zur Pandemiebekämpfung zuständig, sofern dieser nicht dem Bund obliegt (siehe Kap. 4). Die KdK betonte, dass der Vollzug der Bundesmassnahmen für die Kantone eine grosse Herausforderung darstellte.576 Der Bund unterstützte die Kantone beim Vollzug der schweizweiten Massnahmen zur Pandemiebekämpfung in verschiedenen Bereichen. Zu nennen sind hier insbesondere die Empfehlungen des BAG sowie die Bereitstellung von technischen Mitteln (wie die Tracing-App SwissCovid) und personellen Ressourcen (durch die dreimalige Mobilisierung der Armee und des Zivilschutzes, siehe Kapitel 6.2). Die GPK-S hat eine Bilanz dieser Unterstützung beim Vollzug der Massnahmen gezogen, wobei sie ihr Augenmerk auf das Beispiel des Contact-Tracings gelegt hat (siehe unten).

Allgemeine Beurteilung der Unterstützung beim Vollzug Die Kantone beurteilen die Erläuterungen des Bundes zum Vollzug der vom Bundesrat beschlossenen Massnahmen zur Pandemiebekämpfung insgesamt kritisch (siehe vorhergehendes Kapitel).

In ihrem Bericht von 2020 bedauerte die KdK, dass «der Bund die kantonalen Verwaltungen bei der Umsetzung der Beschlüsse nicht unterstützt» hat.577 Sie teilte mit, die Mehrheit der Kantone habe vom Bund Unterstützung beim Massnahmenvollzug in Form von Ressourcen, Personal, Finanzen und Technik erwartet.578 In ihrem Bericht von 2022 hält die KdK fest, dass bei der Unterstützung der Kantone beim Vollzug ab Winter 2020 Verbesserungen erzielt wurden. Insbesondere die Zusammenarbeit bei den Wirtschaftshilfen und der Impfkampagne wurde positiv beurteilt.579 In Bezug auf die Weisungen und Empfehlungen des BAG teilte die VKS mit, dass sich das Amt bemühte, Fachmeinungen der Kantonsärztinnen und -ärzte aufzunehmen, be575 576 577 578 579

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 9.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 5.1.1.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 5.1.1.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.3.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. Executive Summary. Die Kantone stellten zudem Forderungen bezüglich der Übernahme der auf Kantonsebene entstandenen Kosten der schweizweiten Massnahmen zur Pandemiebekämpfung durch den Bund; dieser Aspekt wird im vorliegenden Bericht jedoch nicht vertieft.

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tonte jedoch, welch grosse Herausforderung es für das Amt war, bei bisweilen unterschiedlichen Meinungen der Kantone Regeln festzulegen. Die Vereinigung bedauerte ausserdem, dass das BAG in einigen Bereichen erst spät schweizweite Vorgaben erliess:580 «Eine nachträgliche Angleichung der kantonalen Vorgaben [...] war dann nicht mehr immer möglich oder opportun ­ oder dann nur mit zusätzlichen Anstrengungen.» Die VKS forderte eine «proaktivere Aufnahme von Themen».581 Aus ihrer Sicht wären in bestimmten Fällen verbindlichere Regeln «verständlicher und somit zielführender» gewesen als Empfehlungen.582 Die KdK wiederum äusserte sich kritisch zu den Empfehlungen und Weisungen, welche das BAG in der besonderen Lage zuhanden der Kantone erlassen hatte.583 Gegenüber der GPK-S nannten die Vertreterinnen und Vertreter der GDK drei Punkte, in denen sie Verbesserungsbedarf in Sachen Unterstützung durch den Bund beim Vollzug sahen: die Möglichkeit der Armeeunterstützung in Pflegeheimen, die vorgängige Implementierung von IT-Tools auf Bundesebene und eine aktivere Unterstützung durch das BAG bei den Schutzkonzepten.584 Der Präsident der GDK hingegen hielt es nicht für notwendig, auf Bundesebene eine zusätzliche Struktur zur Unterstützung des Vollzugs einzuführen.

Auf Seiten der Bundesbehörden erkannte die BK die zentrale Rolle der Kantone beim Vollzug und damit die Notwendigkeit an, die Kantone eng in das Krisenmanagement einzubeziehen und die Informationskanäle und Kontaktstellen klarer zu definieren.585 In ihrem Bericht von 2022 bilanzierte sie den konkreten Fall der Umsetzung der Impfstrategie insgesamt positiv.586 Das EDI hob gegenüber der GPK-S hervor, dass der Bund die Kantone in der Krise in verschiedenen Bereichen unterstützte, die in der Verantwortung der Kantone liegen, um ein «rasches Krisenmanagement zu ermöglichen und koordinierte Lösungen bereitzustellen». Als Beispiele nannte das Departement die IT-Lösungen des Bundes in den Bereichen des Impfens und des Contact-Tracings sowie das Engagement des Bundes bei der Impfkampagne und beim Testen. Es wies zudem darauf hin, dass der 580

581 582 583 584

585 586

Schreiben der VKS vom 7.6.2021 an die GPK-S. Die VKS nennt als Beispiel folgende Bereiche: Anpassungen bei der Teststrategie, Empfehlungen zur Maskenpflicht, Empfehlungen für Alters- und Pflegeheime sowie für sozialmedizinische Institutionen, Weisungen zur Kontrolle von Schutzkonzepten.

Schreiben der VKS vom 7.6.2021 an die GPK-S.

Schreiben der VKS vom 7.6.2021 an die GPK-S.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.3.

Anhörung der GDK vom 18.2.2021 Zu den Schutzkonzepten teilte der Präsident der GDK Folgendes mit: «Wir hätten uns gewünscht, dass der Bund eine Kontrolle, Genehmigung oder doch zumindest intensivere Beratung in Sachen Schutzkonzepte übernommen hätte.

Wenn man öffnet und auf Schutzkonzepte abstellt, wäre es hilfreich, wenn diese dem BAG vorgelegt und von diesem auch genehmigt werden könnten. Es hat sicher seine Gründe, weshalb man das nicht so vorgesehen hat, aber es gab da zum Teil etwas wenig Übersicht und Klarheit, welche Anforderungen ein Schutzkonzept erfüllen und welchen Kriterien es genügen muss».

Bericht der BK vom 11.12.2020, Kap. 2.4.

Bericht der BK vom 22.6.2022, Kap. 2.1, Themenblock A. Aus dem Bericht geht indes hervor, dass der Bund für eine differenziertere Unterstützung der Kantone bei der Umsetzung der Impfstrategie hätte sorgen können. Das EDI seinerseits betonte gegenüber der GPK-S, dass der Bund die Kantone bei der Entwicklung von IT-Tools für die Umsetzung der Impfkampagne unterstützte (Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S).

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Bund die Finanzierung bestimmter klassischer Vollzugsaufgaben übernahm (insbesondere im Bereich des Testens).587 Der Generalsekretär des EDI betonte, wie wichtig es ist, die Umsetzung der nationalen Massnahmen zur Pandemiebekämpfung den kantonalen Gegebenheiten anzupassen. Der Bund könne die Kantone zwar in gewissem Masse unterstützen ­ z. B. bei der Ausgestaltung der Schutzkonzepte ­, es könne jedoch nicht sein, dass der Bund den Kantonen detaillierte Vorgaben zur Umsetzung macht.588 In Bezug auf den Armeeeinsatz zur Unterstützung des Vollzugs meinte der Generalsekretär des EDI, dass es sich um eine heikle Frage handelt und der Bundesrat sowie das Parlament diesbezüglich von Anfang an sehr zurückhaltend waren. Er wies darauf hin, dass die Armee nur subsidiär eingesetzt werden darf und der Bundesrat deshalb angekündigt hatte, die Armee nur dann einzusetzen, wenn es wirklich nicht mehr anders geht ­ wie es beispielsweise in der zweiten Pandemiewelle in den Spitälern der Fall war. Er ist der Ansicht, dass sich dieser Weg letztlich als richtig herausgestellt hat und die Kantone in der Lage waren, ihren Versorgungsauftrag mit eigenen Kräften ­ zum Teil mit privater Unterstützung ­ wahrzunehmen.589 In seiner Stellungnahme vom Oktober 2022 vertritt der Bundesrat die Ansicht, dass geprüft werden muss, «wie auch in Krisenzeiten dem Grundsatz der Subsidiarität verstärkt Rechnung getragen werden kann, indem die Kantone vermehrt Verantwortung für die Umsetzung von Massnahmen einschliesslich ihrer Finanzierung übernehmen».590 Er räumt zudem ein, dass das Wissen der für den Vollzug zuständigen Akteure in der Krisenorganisation des Bundes besser genutzt werden muss.591 In den Anhörungen der GPK-S zeigte sich schliesslich, dass das BAG rasch ein Monitoring zur Kontrolle des Vollzug durch die Kantone eingeführt 592 und regelmässig die Ausarbeitung von Empfehlungen mit den Kantonsärztinnen und -ärzten diskutiert hat.593 Interface und Infras wiederum kommen in ihrer Evaluation zum Schluss, dass sich der Bund in der besonderen Lage mehr auf Artikel 77 Absatz 3 EpG hätte berufen können, welcher es dem Bund erlaubt, «den Kantonen Massnahmen für einen einheitlichen Vollzug vor[zu]schreiben» oder «die Kantone an[zu]weisen, bestimmte Vollzugsmassnahmen umzusetzen». Den Autorinnen und Autoren zufolge schliesst ein
«einheitlicher Vollzug» des Gesetzes im Sinne von Artikel 77 EpG nicht unbedingt aus, dass regional differenzierte Massnahmen angeordnet werden. Allerdings wären für entsprechende Differenzierungen systematische Erhebungen der Effektivität von Vollzugsmassnahmen in den Kantonen erforderlich.594

587 588 589 590 591 592

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S.

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 5.

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 9.

Anhörung des ehemaligen Direktors des BAG vom 17.8.2020. Das im Jahr 2020 entwickelte Monitoring des BAG bezog sich unter anderem auf die Kontrollen der Kantone, die Schutzkonzepte, das Contact-Tracing, das Maskentragen und die Erhebung von Gesundheitsdaten.

593 Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

594 Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 4.1.3.

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Beispiel: Unterstützung des Contact-Tracings durch den Bund Das Contact-Tracing war eine der wichtigsten grundlegenden Massnahmen zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie. Die Umsetzung dieser Massnahme durch die Kantone war ab April 2020 Gegenstand eines regen Austauschs zwischen den Kantonsund Bundesbehörden (siehe Kap. 6.2). Die GPK-S hat daher beschlossen, zur Veranschaulichung dieser allgemeinen Thematik genauer zu untersuchen, wie in diesem konkreten Fall beim Vollzug zusammengearbeitet wurde.

Aus den von der GPK-S erhobenen Informationen595 geht hervor, dass der Bund den Vollzug in den Kantonen auf mehreren Ebenen unterstützte: ­

Ab Mai 2020 erliess das BAG Weisungen und Empfehlungen für die Kantone und führte ein Monitoring der kantonalen Praxis ein. Das Amt tauschte sich regelmässig mit den Kantonsärztinnen und -ärzten über die Anpassungen und Entwicklungen beim Contact-Tracing aus.

­

Im Mai 2020 verabschiedete der Bundesrat die Botschaft zur Änderung des EpG mit einem Entwurf einer Rechtsgrundlage für die Entwicklung einer App für das Proximity-Tracing. Die entsprechende App (SwissCovid) wurde vom BAG und vom Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT) in Zusammenarbeit mit den Eidgenössischen Technischen Hochschulen entwickelt; die Integration der App in die Contact-Tracing-Tools wurde anschliessend vom BAG und von den Kantonen geregelt.

­

Nachdem eine grosse Heterogenität der von den Kantonen für das ContactTracing verwendeten IT-Tools festgestellt worden war596 und auf Wunsch einiger Kantone führte das BAG ab Ende Mai 2020 Gespräche im Hinblick auf eine zentralisierte Beschaffung eines in Deutschland entwickelten Programms (SORMAS597). Da das Bundesamt nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen nicht berechtigt war, den Kantonen finanzielle Beiträge für die Implementierung des Systems auszurichten, erwarb es das betreffende Programm selbst; die Kantone koordinierten und regelten dann die technischen Anpassungen, die für die Nutzung des Systems notwendig waren. Das Programm wurde ab Mai 2020 implementiert; letzten Endes entschieden sich elf Kantone für SORMAS. Die anderen Kantone verzichteten darauf, laut GDK «namentlich mit Blick auf den zu leistenden Aufwand jedes einzelnen Kantons».598

595

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S; Schreiben der GDK vom 31.5.2022 an die GPK-S.

596 Anhörung des ehemaligen Direktors des BAG vom 17.8.2020.

597 SORMAS (Surveillance, Outbreak Response Management and Analysis System) ist ein Programm für das Monitoring von Epidemien, das vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Deutschland entwickelt wurde. Es hilft bei der Umsetzung von Verfahren zur Kontrolle von Krankheiten und zur Bewältigung von Epidemien, einschliesslich epidemiologischer Überwachung und Früherkennung. Es ermöglicht ein digitales Echtzeitmonitoring, das auch periphere Gesundheitseinrichtungen und Labore abdeckt.

598 Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S; Schreiben der GDK vom 31.5.2022 an die GPK-S.

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­

Darüber hinaus beauftragte der Bundesrat im Juni 2020 das BAG mit der Entwicklung einer nationalen Contact-Tracing-Datenbank, die mit Daten gespeist wurde, die von den Kantonen in Form eines «Minimal Essential Dataset» bereitgestellt wurden. Diese zentrale Datenbank diente dazu, anhand einer statistischen Analyse «die Contact-Tracing-Aktivität der Kantone zu überwachen und gegebenenfalls regionale oder nationale Trends zu erkennen» und daraus Empfehlungen abzuleiten und entsprechende Massnahmen zu ergreifen. Die Ergebnisse wurden in regelmässigen Berichten dokumentiert, die den Kantonen zur Verfügung gestellt wurden. Dieses Tool diente jedoch nicht dem Contact-Tracing im eigentlichen Sinne. Der Anschluss der Kantone an dieses System erfolgte ab September «laufend und z. T. verzögert».599

­

Im November 2020, März 2021 und Dezember 2021 setzte der Bundesrat Zivilschutzkontingente ein, um die Kantone unter anderem beim Contact-Tracing zu unterstützen.

­

Im März 2021 ergänzte das Parlament das Covid-19-Gesetz mit einer Bestimmung, wonach «der Bund [...] ein schweizweit funktionierendes Test- und Contact-Tracing-System» sicherstellt (Art. 3b). Auf dieser Grundlage schuf der Bund eine Arbeitsgruppe, in der sich die Kantone über operative und strategische Fragen austauschen konnten, sowie eine Internetplattform für den Austausch von Dokumenten und Erfahrungen. Nach der Aufnahme dieser Bestimmung thematisierten die Kantone und der Bund die Frage, welche subsidiären Mittel den Kantonen für das Contact-Tracing zur Verfügung stehen.

Laut GDK zeigte sich, «dass mit den Tätigkeiten des Bundes im Rahmen der Datenbank und der Möglichkeit zur Einsetzung von Zivis die Bedürfnisse der Kantone grundsätzlich gedeckt waren».600

­

Darüber hinaus übernahm der Bund während der gesamten Pandemie ­ seiner Zuständigkeit entsprechend ­ das Contact-Tracing auf internationaler Ebene.

­

Zu guter Letzt wies das EDI darauf hin, dass die Entwicklung von Systemen zur elektronischen Meldung von laborbestätigten Fällen durch das BAG die Kantone entlastete.

Die GPK-S hat das EDI und die GDK zur Bilanz ihrer Zusammenarbeit bei der Umsetzung des Contact-Tracings befragt. Laut EDI trugen die Kantone in diesem Bereich die Hauptverantwortung und übernahm der Bund ­ seiner Zuständigkeit entsprechend ­ eine koordinierende und informierende Rolle. Die Unterstützung des Bundes habe individuelle und lokale Anpassungen des Contact-Tracings ermöglicht. Die GDK und das EDI nannten die verschiedenen konkreten Unterstützungsmassnahmen des Bundes für die Kantone (siehe oben). Die GDK begrüsste insbesondere die Entwicklung einer bundesweiten Datenbank durch das BAG.

Sowohl die GDK als auch das EDI hoben den erheblichen personellen und finanziellen Aufwand der Kantone zur Gewährleistung des Contact-Tracings hervor. Laut GDK zeigten diese, dass «sie situativ auf die epidemiologische Entwicklung [...] rea599

Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S; Schreiben der GDK vom 31.5.2022 an die GPK-S.

600 Schreiben der GDK vom 31.5.2022 an die GPK-S.

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gieren können». Dennoch waren das EDI und die GDK der Ansicht, dass die unterschiedlichen kantonalen Contact-Tracing-Systeme einen Schwachpunkt darstellten.

Laut GDK war dies darauf zurückzuführen, dass zu Beginn der Pandemie keine praktikable und gemeinsam nutzbare Plattform für das Contact-Tracing und keine Datenbank für die Auswertungen auf nationaler Ebene zur Verfügung standen bzw. die notwendigen Anpassungen an bestehenden Systemen nicht rasch genug umgesetzt werden konnten.601 Gemäss EDI zeigte sich die Heterogenität bei der Umsetzung insbesondere in einer unterschiedlichen Organisation und Ausführung des interkantonalen Datenaustausches sowie bei der Implementierung des Contact-Tracings, beispielsweise bei den personellen Ressourcen oder der Umsetzung des Backward-Tracings. Das Departement ist zudem der Ansicht, dass die Kantone ihre Contact-Tracing-Strukturen zunächst nur sehr zögerlich an die Hand genommen haben und diese dem Anstieg der Fallzahlen in der zweiten Welle im Herbst 2020 rasch nicht mehr gewachsen waren.602 Es kommt zum Schluss, dass «die unterschiedliche Interpretation der Rollenaufteilung und die geteilte Verantwortung zwischen Bund und Kantonen ein homogenes, ressourcenschonendes und effizientes Contact-Tracing erschwert [haben]».603 Die VKS wiederum hält es für sinnvoll, dass die Organisation des Contact-Tracings weitgehend den Kantonen überlassen wurde, da es die Nähe zur Bevölkerung braucht.

Sie ist indes der Ansicht, dass «eine gemeinsame Software, deren Implementierung vom Bund zeitnah und eng betreut worden wäre, einerseits die Kantone stark entlastet [hätte], andererseits dem Bund die für die Übersicht über das epidemiologische Geschehen in der Schweiz benötigten Daten in Echtzeit [hätte] liefern können», die Unterstützung jedoch zu spät kam. Ausserdem seien die vom BAG zum Contact-Tracing erstellten Dokumente lückenhaft gewesen und zu oft geändert worden.604 Die GPK-S hat sich gefragt, ob künftig ein kantonsübergreifendes Contact-TracingSystem eingeführt werden sollte. Das EDI ist der Ansicht, dass die Sinnhaftigkeit einer regionalen oder nationalen Contact-Tracing-Struktur «einer sorgfältigen unabhängigen Analyse» bedarf. Es äusserte seine Vorbehalte gegenüber einer solchen Option und hielt fest, dass «viel dafür [spricht], die Kompetenzen auf Stufe der Kantone
zu belassen». Das Departement sieht indes Verbesserungspotenzial bei der interkantonalen Koordination und der Harmonisierung der Prozesse und anerkennt, wie wichtig eine zentrale Meldestelle ist, welche die Daten an die Kantone weitergibt. Das EDI kommt zum Schluss, dass eine regionale Zusammenarbeit zwar zu «begrüssen wäre», sieht allerdings kaum Möglichkeiten, eine Pflicht zur Wahrnehmung dieser Aufgabe auf regionaler Ebene vorzusehen.605 Die GDK wiederum erklärte, dass für die Zukunft verschiedene denkbare Modelle geprüft werden sollten, betonte jedoch, dass dabei «zwischen der Anwendung eines einheitlichen, möglichst automatisierten Tools und den dezentralen Vollzugsaufgaben» unterschieden werden muss. Sie teilte mit, dass insbesondere zu berücksichtigen 601 602

Schreiben der GDK vom 31.5.2022 an die GPK-S.

Dies wurde auch in der Evaluation von Interface und Infras festgestellt (Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 3.2).

603 Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S.

604 Schreiben der VKS vom 7.6.2021 an die GPK-S.

605 Schreiben des EDI vom 10.6.2022 an die GPK-S.

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ist, «dass ein kantonsübergreifendes [Contact-Tracing] namentlich in der früheren Phase einer Pandemie zur frühzeitigen Unterbindung von Infektionsketten am wirksamsten ist». Sie wies zudem darauf hin, dass es keine gesetzliche Grundlage gibt, die es dem Bund ermöglicht, den Kantonen ein einheitliches nationales System vorzuschreiben, und dass entsprechende Bestimmungen im Rahmen der EpG-Revision zu prüfen sind.606 In der Evaluation von Interface und Infras kommen die Autorinnen und Autoren zum Schluss, dass die Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Contact-Tracings nicht in den rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern im erforderlichen logistischen und finanziellen Aufwand sowie in der zeitaufwendigen Auswertung der Daten begründet waren.607 Sie weisen darauf hin, dass die Organisation eines grossflächigen ContactTracings in keinem vor der Krise bekannten Pandemieszenario enthalten war. Die Planung dieser Arbeiten habe sich daher auf keine Grundlagen stützen können, was zu grossen kantonalen Unterschieden in der Umsetzung geführt habe. In ihren Augen könnte ein abgestimmtes Vorgehen der Kantone mit nationaler Unterstützung zur Effizienz und Effektivität des Contact-Tracings beitragen, weshalb es klare Vorgaben bezüglich der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten beim BAG und bei den Kantonen brauche.608

7.3.4

Berücksichtigung der spezifischen Situation einzelner Kantone am Beispiel des Tessins im Frühjahr 2020

Die Bundesbehörden waren in der Covid-19-Pandemie mehrfach damit konfrontiert, dass sich die epidemiologische Lage von Kanton zu Kanton oder von Region zu Region stark unterschied. Augenscheinlichstes Beispiel ist der Kanton Tessin, der im Frühjahr 2020 aufgrund seiner Nähe zu Norditalien als Erster stark steigende Infektionszahlen zu verzeichnen hatte. Zwischen Ende Februar und Ende März 2020 ergriff der Bundesrat verschiedene Massnahmen, um die Tessiner Behörden bei der Pandemiebewältigung zu unterstützen (siehe Kap. 6.2.1).609 Die GPK-S bilanziert im Folgenden dieses Beispiel.

Die Bundespräsidentin 2020 erklärte, dass sie zu Beginn der Pandemie in Sachen Grenzverkehr in engem Kontakt mit der Tessiner Regierung, aber auch den italienischen Behörden stand (vgl. Kap. 7.1.1).610

606 607 608 609

Schreiben der GDK vom 31.5.2022 an die GPK-S.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 3.2.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 3.2.

Neben den allgemeinen Massnahmen wie der Erklärung der besonderen Lage und dem Verbot von Grossveranstaltungen (28.2.2020), der Schliessung der Schulen (13.3.2020) und der Erklärung der ausserordentlichen Lage (16.3.2020) sind insbesondere der Assistenzdienst der Armee zugunsten der zivilen Spitäler (ab 6.3.2020, auf Ersuchen des Tessins) und die Aufnahme einer Ausnahmeklausel in die Verordnung (27.3.2020) zu nennen (siehe unten).

610 Anhörungen der Vorsteherin des UVEK vom 21.4.2020 (GPK-N) und vom 29.4.2020 (GPK-S).

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Das EDI bezeichnete den Kontakt zu den Tessiner Behörden in den ersten Pandemiewochen als «extrem intensiv» (vgl. Kap. 6.2.1). Der Departementsvorsteher versicherte, dass der Bund die Lage im Tessin sehr ernst nahm.611 Die BK zieht in ihrem Evaluationsbericht vom Dezember 2020 eine durchwachsene Bilanz. Sie hält insbesondere fest, dass die «zuerst betroffenen Kantone wie das Tessin [...] Schwierigkeiten [hatten], vom Bund rechtzeitig Antworten auf ihre Fragen und Bedürfnisse zu erhalten».612 Die Tessiner Behörden äusserten im Frühjahr 2020 mehrfach Besorgnis und Kritik hinsichtlich der Massnahmen des Bundes zur Pandemiebekämpfung und richteten diesbezüglich mehrere Schreiben an den Bundesrat.613 Die KdK äussert sich in ihren Berichten von 2020 und 2022 nicht spezifisch zum Tessin (die verspätete Übersetzung der Merkblätter ausgenommen, siehe Kap. 7.3.2).

Sie nennt aber die Fabrikschliessungen im Kanton Tessin Anfang 2020 als Beispiel für die «Unsicherheiten» über die Zuständigkeiten und Handlungsspielräume von Bund und Kantonen.614 Ausnahmeklausel auf Verordnungsstufe Am 27. März 2020 nahm der Bundesrat in die Covid-19-Verordnung 2 eine rückwirkende Ausnahmeklausel auf, die den Kantonen die Möglichkeit einräumte, in bestimmten Wirtschaftsbranchen Massnahmen zu ergreifen, die über die Massnahmen des Bundes hinausgehen (Art. 7e).615 Diese Ausnahmeregelung wurde bis Anfang Mai 2020 mehrfach verlängert. Gebrauch von ihr machte nur der Kanton Tessin.

611

612 613

614 615

Anhörung des Vorstehers des EDI vom 29.4.2020 (GPK-S); Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021. Der EDI-Generalsekretär erinnerte daran, dass der EDIVorsteher rasch ins Tessin reiste, um die Lage einzuschätzen und sich mit den dortigen Behörden auszutauschen. Das EDI verwies darauf, dass der Bundesrat dem Tessin erlaubte, strengere Massnahmen zu ergreifen, indem er Ende März eine Ausnahmeklausel in die Covid-19-Verordnung 2 aufnahm (siehe unten).

Bericht der BK vom 11.12.2020, Kap. 2.4.

Siehe z. B. Tessiner Regierung wirbt um Vertrauen. In: Neue Zürcher Zeitung, 25.2.2020; L'inquiétude monte au Tessin. In: Le Temps, 9.3.2020; È stato di necessità: Ulteriori misure per evitare il peggio. In: Corriere del Ticino, 12.3.2020; Das Tessin ruft den Notstand aus. In: Neue Zürcher Zeitung, 12.3.2020; Geschäfte zu! Kantone setzen Bund unter Druck. In: Aargauer Zeitung, 16.3.2020; Berne sous la pression des cantons. In: Le Temps, 16.3.2020; Nuovi letti e aiuti pubblici Ospedali ormai saturi. In: La Regione Ticine, 20.3.2020; Drakonische Massnahmen im Tessin. In: Aargauer Zeitung, 23.3.2020; Diffiziler Streit in der Corona-Krise. In: Neue Zürcher Zeitung, 24.3.2020; Aziende chiuse, «diritto federale non rispettato». In: Corriere del Ticino, 24.3.2020; Coronavirus ­ Le Tessin réclame de la compréhension pour sa situation. In: Agence télégraphique suisse, 24.3.2020; Chiusure in Ticino: non si molla, e Cassis ci darà sostegno. In: Corriere del Ticino, 25.3.2020; «Die Situation im Tessin nötigt uns zu frühzeitigen Massnahmen».

In: Neue Zürcher Zeitung, 28.3.2020.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 2.1.

Auslöser für diese Bestimmung war ein Dekret des Tessiner Staatsrates, das strengere Massnahmen vorsah als auf Bundesebene und dadurch Spannungen auslöste. Siehe: Diffiziler Streit in der Corona-Krise. In: Neue Zürcher Zeitung, 24.3.2020; Coronavirus ­ Le Tessin réclame de la compréhension pour sa situation. In: Agence télégraphique suisse, 24.3.2020; Chiusure in Ticino: non si molla, e Cassis ci darà sostegno. In: Corriere del Ticino, 25.3.2020.

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Das EDI bilanziert diese Ausnahmeklausel positiv. In seinen Augen war es angemessen, für das Tessin eine Sonderregelung zu erlassen, die dem Kanton strengere Massnahmen ermöglicht.616 Die Bundespräsidentin 2020 erklärte, diese Lösung habe es ermöglicht, der Situation im Tessin Rechnung zu tragen, ohne die nationale Strategie zu gefährden.617 Das EDI erklärte gegenüber der GPK-S, dass diese Ausnahmeklausel «in Bezug auf das grundsätzliche Verhältnis von Bundesrecht und kantonalem Recht zu betrachten» ist.618 Diese Bestimmung sei vom Bundesrat erlassen worden, «um die rechtliche Situation bezüglich der Frage zu klären, ob in einer ausserordentlichen Lage nach Artikel 7 des Epidemiengesetzes (EpG) die Kantone weitergehende Massnahmen als die vom Bund angeordneten Massnahmen treffen können». Sie bestätige die Kompetenzverteilung aus Artikel 1a der Verordnung, gemäss dem «die Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten nach wie vor tätig sein dürfen, sofern diese Verordnung keine Vorgaben macht».

Laut EDI gibt es zwei Konstellationen, die in der ausserordentlichen Lage in Bezug auf das Verhältnis zwischen Bundesrecht und kantonalem Recht vorkommen können: ­

Der Bundesrat hat eine (explizite) Regelung getroffen. Dies hat zur Folge, dass die Kantone keine Bestimmungen erlassen dürfen, die der Bundesverordnung widersprechen, und in den durch das Bundesrecht regulierten Bereichen keinen Handlungsspielraum haben, sondern einen Vollzugsauftrag des Bundes erfüllen (z. B. Regeln für den Hotelbetrieb).

­

Der Bundesrat hat keine (explizite) Regelung getroffen. Hier gilt es zwei Fälle zu unterscheiden. Zum einen: Der Bundesrat verzichtet auf eine explizite Regelung in der Absicht, den Kantonen eine Regelungsbefugnis einzuräumen (z. B. Regeln für Besuchszeiten in Altersheimen). Zum anderen: Er verzichtet auf eine explizite Regelung in der Absicht, dass der betreffende Bereich in der ausserordentlichen Lage nicht geregelt werden soll, auch nicht durch die Kantone (sog. «qualifiziertes Schweigen»). Anders gesagt: Er möchte nicht, dass hier eine Regelung getroffen wird (z. B. Ausgehverbot). Im letzten Fall gesteht der Bundesrat den Kantonen bewusst keine Regelungskompetenz zu und die (negative) Regelung ist abschliessend.

Das EDI teilte der GPK-S mit, dass eine allgemeine rechtliche Abgrenzung zwischen kantonaler und Bundeszuständigkeit in einer ausserordentlichen Lage nach Artikel 7 des EpG ins Gesetz aufgenommen werden könnte und es diesen Punkt im Rahmen der anstehenden Revision des EpG und des Pandemieplans prüfen wird.619 Der EDIGeneralsekretär erklärte, dass er sich die Institutionalisierung solcher «kantonaler Fenster» in Pandemien vorstellen kann.620

616 617 618 619 620

Schreiben des EDI vom 14.6.2021 an die GPK-S; Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

Anhörungen der Vorsteherin des UVEK vom 21.4.2020 (GPK-N) und vom 29.4.2020 (GPK-S).

Schreiben des EDI vom 12.10.2021 an die GPK-S.

Schreiben des EDI vom 12.10.2021 an die GPK-S.

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

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7.3.5

Verbot nicht dringender medizinischer Eingriffe

Am 16. März 2020 fügte der Bundesrat der Covid-19-Verordnung 2 den Artikel 10a hinzu, welcher vorsieht, dass die Kantone «Spitäler und Kliniken verpflichten [können], ihre Kapazitäten im stationären Bereich zur Verfügung zu stellen» und «medizinisch nicht dringend angezeigte Untersuchungen und Behandlungen zu beschränken oder einzustellen». Diese Regelung wurde am 27. April 2020 insofern aufgeweicht, als dass das Verbot ersetzt worden ist durch eine entsprechende Ermächtigung an die Kantone (siehe Kap. 6.2.1). Das Verbot nicht dringender medizinischer Eingriffe war eine der radikalsten Massnahmen zur Pandemiebekämpfung, die der Bund im gesundheitspolitischen Kompetenzbereich der Kantone ergriff. Die GPK-S hat diese Massnahmen im Lichte des Gesundheitsmanagements analysiert.

Der EDI-Generalsekretär bezeichnete die Einschränkung der nicht dringenden Eingriffe als «drastische Massnahme», die Anfang 2020 angesichts der grossen Unsicherheit und der unzureichenden Daten über die Spitalauslastung aber gerechtfertigt gewesen sei.621 Er verwies darauf, dass die Entscheidkompetenz für das Verbot von Eingriffen in der Folge den Kantonen überlassen wurde und dass sich der Bund darauf konzentrierte, die landesweite Koordination bezüglich der Auslastung bei den Intensivkapazitäten weiterzuentwickeln.

Er räumte ein, dass es in vergleichbaren Situationen künftig «wahrscheinlich» kein generelles nationales Eingriffsverbot geben wird und es «geschickter» ist, die entsprechenden Entscheide den Kantonen zu überlassen. Wichtig seien vor allem eine gute Koordination der Spitalkapazitäten auf nationaler Ebene und die Solidarität unter den Kantonen. In diesem Bereich seien im Verlauf der Pandemie ziemliche Fortschritte gemacht worden.622 Er teilte mit, dass die Themen Spitalkapazitäten, Eingreifen des Bundes und kantonale Koordination im Rahmen der EpG-Revision vertieft werden sollen.623 Die Vertreterinnen und Vertreter der KdK und der GDK betonten gegenüber den GPK, dass durch das Eingriffsverbot des Bundesrates vom März 2020 auch Eingriffe in Regionen abgesagt wurden, in denen dies ­ rückblickend betrachtet ­ nicht nötig gewesen wäre. Zudem habe das dadurch frei werdende Personal durch die begrenzten Möglichkeiten des Personaltransfers zwischen verschiedenen Pflegebereichen gar nicht anderweitig eingesetzt werden
können. KdK und GDK erklärten, dass Massnahmen im Ausbildungsbereich ergriffen werden, um diesbezüglich für mehr Durchlässigkeit zu sorgen, unterstrichen aber auch, dass hierbei angesichts der sehr hohen Ausbildungserfordernisse für die Intensivstationen Grenzen gesetzt sind. Sie verwiesen ferner darauf, dass sich die Kantone in der zweiten Welle hinsichtlich der Verlegung von Patientinnen und Patienten koordinierten.624 Letztlich hielten sie aber auch fest, 621

Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021. Die Spitalauslastung wurde durch den KSD ab 13. März 2020 erhoben. Laut EDI-Generalsekretär verbesserte sich die Datenqualität ab Ende März 2020.

622 Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021.

623 Anhörung des GS-EDI und des BAG vom 21.6.2021. Das EDI kündigte im Übrigen an, die konkreten Auswirkungen eines Eingriffsverbots auf den Gesundheitsbereich zu untersuchen, namentlich den möglichen Nachholeffekt von im Frühjahr 2020 nicht durchgeführten Eingriffen.

624 Anhörung der KdK und der GDK vom 25.1.2020.

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dass die Aufrechterhaltung der Intensivpflegekapazitäten angesichts des allgemeinen Personalmangels, der hohen Kosten für die entsprechende Infrastruktur und des Ausbildungsbedarfs in diesem Bereich eine grosse Herausforderung für die Kantone darstellt.625 Eine grundlegende Kritik, die von der KdK im Zusammenhang mit dem Verbot von nicht dringenden Eingriffen geäussert wurde, betrifft die finanziellen Auswirkungen dieser Massnahme für die Spitäler und die Übernahme der entsprechenden Kosten.626 In ihrem Bericht vom April 2022 forderte sie, dass sich der Bund an den Kosten beteiligt, die durch die Pandemiemassnahmen des Bundesrates entstanden sind.627 Der Bundesrat erklärte im Oktober 2022, dass er eine noch grössere Beteiligung des Bundes an den Kosten der Pandemiebewältigung ablehnt, da dieser bereits die finanzielle Hauptlast der Pandemiebewältigung trägt.628 Dieser Aspekt wurde von der GPK-S nicht vertieft, da er Gegenstand der finanziellen Oberaufsicht ist und somit in den Zuständigkeitsbereich der FK und der FinDel fällt (siehe Kap. 2).629 Die Bilanz von Interface und Infras über das Verbot nicht dringender Eingriffe fällt kritisch aus.630 Die im Rahmen der Evaluation befragten Personen kritisierten vor allem, dass diese Massnahme zu einschränkend und zu wenig differenziert war sowie in vielen Regionen zu unnötigen Absagen von wichtigen Operationen und Therapien führte. Laut den Evaluatorinnen und Evaluatoren verschlechterte diese Massnahme die allgemeine Gesundheitsversorgung der Bevölkerung.631 Aus dem Evaluationsbericht geht ausserdem hervor, dass sich die Definition nicht dringender Eingriffe und Behandlungen von Spital zu Spital unterschied und dass das BAG den Gesundheitsakteuren in diesem Bereich bewusst Ermessensspielraum einräumte.632 Im Bericht wird offen gelassen, ob eine genauere Definition der nicht dringenden Eingriffe sinnvoll gewesen wäre.633 Die Evaluatorinnen und Evaluatoren fordern das BAG auf, für die frühe Phase einer Pandemie alternative Szenarien zu einer kompletten Einstellung von nicht dringenden Behandlungen zu erarbeiten und eine Liste der kantonalen Good Practices für die Aufrechterhaltung der medizinischen Regelversorgung in einer Pandemie zu erstellen. Im Weiteren ersuchen sie das BAG, mit den Kantonen und Gesundheitseinrichtungen zu 625 626 627 628 629

630 631 632 633

Anhörung der KdK und der GDK vom 26.9.2022.

Bericht der KdK vom 18.12.2020, Kap. 4.1.5.

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Kap. 2.2, Empfehlung 2.

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 5.

Im Übrigen haben sich auch die Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) bereits mehrfach mit diesem Thema befasst. Siehe hierzu insbesondere das Postulat der SGK des Ständerates (SGK-S) «Auswirkungen der Gesundheitskosten der Pandemie auf die verschiedenen Kostenträger klären» vom 21.4.2020 (20.3135) und die entsprechenden Postulatsberichte des Bundesrates vom 23.6.2021 und vom 21.6.2023.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. Executive Summary.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 4.5.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 4.5.

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 4.5. Die befragten Personen begrüssten den Entscheid, in der Folge auf ein Verbot zu verzichten und in der zweiten Welle die Führungsverantwortung in diesem Bereich den Gesundheitseinrichtungen zu überlassen. Die Evaluatorinnen und Evaluatoren kommen zudem zum Schluss, dass sich die selbstständige Verteilung der Patientinnen und Patienten auf Leistungserbringer und Kantone bewährt hat.

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besprechen, welches Pflege- und Behandlungsangebot im Pandemiefall vorhanden sein soll.634

7.4

Laufende Verbesserungsmassnahmen und Abklärungen

Die GPK-S informierte sich zwischen 2020 und Mitte 2023 regelmässig darüber, welche Abklärungen laufen und welche Massnahmen die Bundesbehörden als Lehre aus der Pandemie bezüglich der Zusammenarbeit mit den Kantonen beim Krisenmanagement ergriffen haben. Die dabei zusammengetragenen Kernpunkte werden im Folgenden kurz dargelegt.

­

Verbesserungen im Laufe der Pandemie: Die Kommission hält fest, dass bereits in den ersten Monaten der Pandemie, namentlich auf der Grundlage der Erfahrungen aus der ersten Welle, wichtige Verbesserungen vorgenommen wurden. In diesem Zusammenhang sind insbesondere der intensivierte Austausch zwischen dem BAG und der Kantonsärzteschaft sowie der Kantonsapothekerschaft (siehe Kap. 7.1.3), die verbesserte Zusammenarbeit zwischen dem EDI und der GDK ab Sommer 2020 (siehe Kap. 7.2.2) und der Verzicht auf ein Verbot nicht dringender Eingriffe (siehe Kap. 7.3.5) zu nennen.

­

Umsetzung der Empfehlung 2 der BK: Der Bundesrat beauftragte im Dezember 2020 die BK und das EJPD, sich mit der KdK und der Staatsschreiberkonferenz über die Umsetzung der Empfehlung 2 (zur Krisenorganisation des Bundes) und der vier Maximen aus dem ersten Evaluationsbericht der BK635 auszutauschen und den Föderalistischen Dialog über die Ergebnisse zu informieren. Ab 2021 organisierte die BK regelmässig Workshops über die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen in Krisen, in denen die betroffenen Bundes- und Kantonsstellen ihre Meinungen austauschen und konkrete Probleme diskutieren konnten.636

­

Umsetzung des Postulats Cottier 20.4522637: Dieses Postulat beauftragt den Bundesrat, einen Bericht vorzulegen, in dem er untersucht, wie die föderalistischen Strukturen und Verfahren in der Covid-19-Krise funktioniert haben, und aufzeigt, welche Vor- und Nachteile die aktuellen Gegebenheiten bieten und welche organisatorischen Verbesserungen im Hinblick auf die Bewältigung künftiger nationaler Krisen möglich sind. Im Rahmen der Erarbeitung dieses Berichts wurden 2022 und 2023 mehrere Workshops mit kantonaler Beteiligung durchgeführt. Der Bericht soll dem Bundesrat bis Ende 2023 vorgelegt werden.638

634 635 636 637

Bericht Interface und Infras vom Februar 2022, Kap. 4.5.

Bericht der BK vom 11.12.2020, Kap. 2.4 und Empfehlung 9.

Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 14.

Postulat Cottier «Föderalismus im Krisentest. Die Lehren aus der Covid-19-Krise ziehen» vom 16.12.2020 (20.4522).

638 Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 14.

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­

Revision des Epidemiengesetzes und des Pandemieplans: Zahlreiche Aspekte der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bei der Pandemiebewältigung werden im Rahmen der aktuell laufenden Revision des EpG und des Pandemieplans behandelt. Die GPK informierten sich regelmässig über den Stand der Arbeiten. Das BAG nahm im Hinblick auf die EpG-Revision eine systematische Analyse aller Empfehlungen aus den verschiedenen Berichten und Evaluationen über die Pandemiebewältigung vor. Zudem führte es Anfang 2022 verschiedene Workshops mit 150 Akteuren, darunter Vertreterinnen und Vertreter der Kantone, durch. Der Revisionsentwurf soll zwischen Ende 2023 und Anfang 2024 in die Vernehmlassung gehen und die entsprechende Botschaft dem Parlament spätestens Ende 2024 unterbreitet werden.

Die Revision des Pandemieplans wurde im September 2022 in Angriff genommen. Verschiedene Aspekte639 werden im Rahmen von Workshops vertieft, namentlich mit den Kantonen. Die schrittweise Umsetzung des neuen Plans soll ab 2024 erfolgen und dessen vollständige Einführung parallel zum Inkrafttreten des revidierten EpG.

­

Massnahmen betreffend die Krisenorganisation des Bundes: Der Bundesrat beauftragte die BK und das VBS, auf der Grundlage des zweiten Evaluationsberichts der BK vom Juni 2022640 verschiedene Optionen für eine bessere Organisation des Krisenmanagements des Bundes auszuarbeiten. In diesem Zusammenhang ging es unter anderem darum, die strategische Zusammenarbeit mit den Kantonen und den Informationsfluss zu verbessern. Die Kantone wurden an den Umsetzungsarbeiten beteiligt.641 Ende März 2023 präsentierte der Bundesrat die Ergebnisse dieser Arbeiten. Er beschloss, dass die Krisenorganisation künftig auf drei Säulen beruhen soll: einem permanenten Kernstab, der die Kontinuität und Einheitlichkeit des Krisenmanagements des Bundes sicherstellt; einem departementsübergreifenden politisch-strategischen Krisenstab (PSK), der Vorschläge zuhanden des Bundesrates ausarbeitet, und einem operativen Krisenstab (OPK), der für die Koordination auf der Ebene der Verwaltungseinheiten verantwortlich ist (siehe Kap. 7.1.1). Der Bundesrat liess zudem verlauten, dass die systematische Prüfung des Einbezugs externer Akteure ­ und namentlich der Kantone ­ künftig ein Mindeststandard des Krisenmanagements des Bundes darstellt. Er hat das VBS, die BK und die Departemente beauftragt, die Details für die Umsetzung dieser Reform bis Ende 2023 oder Anfang 2024 zu regeln.642

639

Unter anderem die Kommunikation zwischen den Akteuren, die Vorbereitung auf Pandemien und die Durchführung von Übungen.

640 Bericht der BK vom 22.6.2022, Empfehlung 1.

641 Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2022 zum Schlussbericht der KdK, S. 14.

642 Bundesrat verbessert Organisation des Krisenmanagements, Medienmitteilung des Bundesrates vom 29.3.2023; Verbesserte Krisenorganisation der Bundesverwaltung, Bericht des Bundesrates vom 29.3.2023.

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Exkurs

Zusammenarbeit mit den Kantonen in der Energiekrise

Die GPK führten zwischen Ende 2022 und Anfang 2023 eine Reihe von Anhörungen von Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Bundes- und Kantonsbehörden durch, in denen es um die vom Bund eingesetzte Krisenorganisation zur Bewältigung der potenziellen Strommangellage in der Schweiz ging.643 Sie informierten sich in diesem Zusammenhang über die Lehren aus der Covid-19-Krise, namentlich was den Einbezug der Kantone in die Krisenorganisation des Bundes angeht. Die Bewältigung der Energiekrise ist nicht Gegenstand des vorliegenden Berichts und die GPK werden zu gegebener Zeit über die Ergebnisse ihrer Arbeiten zu diesem Thema berichten. Aufgrund gewisser Parallelen hat die GPK-S jedoch beschlossen, nachfolgend eine kurze Zusammenfassung der gesammelten Informationen darzustellen.

Die befragten Vertreterinnen und Vertreter der Bundesbehörden zogen diesbezüglich im Grossen und Ganzen eine positive Bilanz. Sie gaben an, sich bemüht zu haben, die Kantone sowohl auf strategischer als auch auf operativer Ebene frühzeitig in die Krisenorgane einzubeziehen. Ausserdem sei ein Single Point of Contact für die Kantone geschaffen, ein intensiver Austausch auf Verwaltungsebene sichergestellt und der Informationsfluss verbessert worden. Die kantonalen Vertreterinnen und Vertreter begrüssten zwar die gute Zusammenarbeit mit dem Bund auf operativer Ebene und den Einbezug der Kantone in die Krisenorgane, wiederholten aber einen Teil der Kritik, die sie bereits in der Covid-19-Pandemie geäussert hatten. Sie forderten unter anderem einen permanenten und departementsübergreifenden Krisenstab des Bundes, bedauerten die unklare Kompetenzverteilung in der Bundesverwaltung und erklärten, dass der Single Point of Contact nicht ihren Erwartungen entsprach.

643

Anhörung vom 14.10.2022 (GPK-N) mit der Vorsteherin des UVEK sowie Vertretungen des UVEK, des WBF und der BK; Anhörung vom 15.11.2022 (GPK-S) mit dem Vorsteher des WBF sowie Vertretungen des WBF, des UVEK und der BK; Anhörung vom 23.1.2023 (GPK-N und GPK-S) mit Vertretungen des Bundesamtes für Energie (BFE), des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) und des WBF; Anhörung vom 23.1.2023 (GPK-N und GPK-S) mit Vertreterinnen der Elektrizitätskommission (ElCom); Anhörung vom 23.1.2023 (GPK-N und GPK-S) mit den Generalsekretärinnen und Generalsekretären der Konferenz der kantonalen Energiedirektorinnen und Energiedirektoren (EnDK) und der KdK.

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8

Beurteilung durch die GPK-S und Empfehlungen

Im Folgenden legt die GPK-S ihre Beurteilung der gesammelten Informationen aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht dar.644 Die Kommission begrüsst die hohe Transparenz und die Verfügbarkeit aller Akteure, die sie befragt hat.

8.1

Allgemeine Erwägungen

Im föderalen System der Schweiz stellt die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen bei der Bewältigung einer Krise wie der Covid-19-Pandemie eine zentrale Herausforderung dar. Laut Verfassung und Gesetz ist der Gesundheitsschutz eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Kantonen. Es ist unbestritten, dass eine Pandemie von grosser Tragweite, die das ganze Land betrifft, ein gemeinsames und koordiniertes Vorgehen von Kantonen645 und Bund646 erfordert. Die zentrale Bedeutung dieser Zusammenarbeit spiegelt sich auch im EpG.

Aus Sicht der GPK-S wies die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen bei der Pandemiebewältigung positive und negative Aspekte auf. Auch dank den gemeinsamen Anstrengungen der Bundes- und Kantonsbehörden konnte die Schweiz diese schwere Krise in zufriedenstellender Weise überstehen und ihre Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit so weit wie möglich begrenzen. Die Kommission begrüsst die entscheidende Rolle der zuständigen kantonalen und eidgenössischen Behörden bei der Krisenbewältigung sowie ihre Koordinationsbemühungen während der gesamten Pandemie.

Die GPK-S hat bei ihrer Untersuchung jedoch auch verschiedene Mängel bei der Koordination zwischen den verschiedenen Staatsebenen festgestellt, die einen Verbesserungs- oder Klärungsbedarf aufzeigen. Für die Kommission ist es wichtig, dass aus der Covid-19-Pandemie Lehren in Bezug auf die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen beim Krisenmanagement gezogen werden. Diese Aspekte werden im Folgenden näher erläutert (siehe Kap. 8.2 bis 8.5).

Die von der GPK-S bei der Covid-19-Pandemie gesammelten Informationen zeigen, dass das föderale System der Schweiz bei einer Krise von grosser Tragweite eine Reihe von Stärken aufweist, aber auch einige Herausforderungen mit sich bringt.

644

Wie in Kapitel 2 erwähnt, konzentriert sich die Kommission bei ihrer Prüfung auf die Tätigkeit der wichtigsten für die gesundheitlichen Aspekte der Pandemiebewältigung zuständigen Bundesbehörden. Die Geschäftsführung der kantonalen Behörden zu beurteilen, ist nicht Aufgabe der GPK-S, dennoch teilt sie im Folgenden einige punktuelle Überlegungen zu diesem Thema mit. Im Fokus der GPK-S stehen die gesundheitlichen Aspekte der Pandemiebewältigung; die Kommission befasst sich weder mit der Krisenbewältigung in anderen Themenbereichen noch mit den finanziellen Aspekten der Krise. Auch zur Angemessenheit der verschiedenen Massnahmen zur Pandemiebekämpfung oder zu den Modalitäten der Beschlussfassung im Bundesrat äussert sich die GPK-S nicht.

645 Die Kantone verfügen über umfassende Fachkenntnisse und Kompetenzen im Gesundheitsbereich, insbesondere im Spitalbereich, der medizinischen Grundversorgung und in der Ausbildung.

646 In die Zuständigkeit des Bundes fallen insbesondere der Gesundheitsschutz, aber auch ganz generell das Krisenmanagement, der Bevölkerungsschutz, die Kommunikation und die internationalen Beziehungen.

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Einerseits stellt dieses System ein Krisenmanagement nahe an den lokalen Realitäten sicher, denn es ermöglicht eine lagegerechte Umsetzung, auch wenn sich die Lage in den verschiedenen Regionen der Schweiz bisweilen unterscheidet; zudem trägt es den institutionellen, wirtschaftlichen und kulturellen Besonderheiten der einzelnen Kantone Rechnung. Andererseits kann der Föderalismus im Widerspruch zum Erfordernis eines schweizweit einheitlichen Krisenmanagements stehen; bei kantonal unterschiedlichen Massnahmen ergeben sich Herausforderungen in Bezug auf die Kohärenz der Vorschriften, die öffentliche Kommunikation und die Akzeptanz in der Bevölkerung. Auch in organisatorischer Hinsicht stellt der Einbezug der Kantone eine Herausforderung dar, insbesondere hinsichtlich der Reaktionsgeschwindigkeit und der Einbindung der Kantone in die Krisenorgane des Bundes. Die unterschiedlichen ­ und manchmal gegensätzlichen ­ Positionen der Kantone können die Bundesbehörden bei der Beschlussfassung zudem in eine schwierige Lage bringen. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, ist nach Ansicht der GPK-S eine gute Zusammenarbeit sowohl auf vertikaler Ebene (zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen) als auch auf horizontaler Ebene (zwischen den Kantonen) unerlässlich. Die Kommission begrüsst die Bereitschaft des Bundesrates, in seinem Bericht in Erfüllung des Postulats Cottier 20.4522 (siehe Kap. 7.4) die allgemeinen Fragen zur Rolle des Föderalismus in Krisenzeiten zu vertiefen.

Die Bilanz der Covid-19-Pandemie bietet Anlass, zu prüfen, ob die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen im spezifischen Bereich der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten angemessen ist oder ob sie geändert werden sollte. Die GPK-S ist der Ansicht, dass sich die im EpG vorgesehene Kompetenzverteilung im Allgemeinen bewährt hat. Sie findet jedoch, dass diese Verteilung in mehreren Punkten geklärt und präzisiert werden muss. Es muss sichergestellt sein, dass die gegenseitigen Rollen und Zuständigkeiten möglichst klar geregelt und verstanden werden, damit im Falle einer Gesundheitskrise die Stärken beider Ebenen genutzt werden können. Die Überlegungen dazu werden in den folgenden Kapiteln dargelegt (siehe insbesondere Kap. 8.3).

Die Kommission hält zudem fest, dass die Covid-19-Pandemie die grundlegende Problematik der Rolle der
interkantonalen Konferenzen ­ an der Schnittstelle zwischen Kantonsregierungen und Bund ­ aufgezeigt hat. Für die Kommission ist es unerlässlich, dass die Kantone ­ im Dialog mit dem Bund ­ grundsätzliche Überlegungen zu dieser Rolle anstellen (siehe Kap. 8.5.3).

Zu guter Letzt erachtet es die GPK-S als positiv, dass die betroffenen Behörden rasch ­ bereits während der Krise ­ eine kritische Beurteilung der Zusammenarbeit von Bund und Kantonen vorgenommen haben. Die Kommission begrüsst die von der BK, dem EDI und der KdK durchgeführten oder in Auftrag gegebenen Analysen, die auf deren Grundlage formulierten Vorschläge und den Willen aller Akteure, Lehren aus der Pandemie zu ziehen. Aus Sicht der GPK-S ist es verständlich, dass es zwischen den Bundes- und den Kantonsbehörden in Bezug auf die Analyse der Krise und die notwendigen Verbesserungen unterschiedliche Ansichten gibt. Die Kommission erwartet von allen Beteiligten, dass sie weiterhin einen offenen und konstruktiven Dialog über diese Fragen führen und gemeinsam auf die Ausarbeitung und Umsetzung von möglichst breit abgestützten Verbesserungen hinarbeiten.

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8.2

Strukturen für die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen

Strukturen, die eine angemessene Zusammenarbeit von Bund und Kantonen ermöglichen, sind für die Effizienz des Krisenmanagements zentral. In Bezug auf die Pandemie fällt die Bilanz der GPK-S in diesem Punkt durchzogen aus: Die Kommission begrüsst zwar die Bemühungen der Bundesbehörden, die Kantone einzubeziehen, sowie die Tatsache, dass direkte Kontakte auf Fachebene während der Pandemie stets gewährleistet waren, sie hat aber verschiedene Mängel erkannt, die aus ihrer Sicht verbesserungsbedürftig sind (siehe Kap. 8.2.1 bis 8.2.5).

Die bisherigen Zusammenarbeitsstrukturen weisen gemäss den Feststellungen der GPK-S die folgenden positiven Aspekte auf:

647

­

Direkte und regelmässige Kontakte auf Fachebene: Die Kommission begrüsst, dass während der ganzen Pandemie direkte Kontakte auf Fachebene zwischen dem EDI und dem BAG einerseits und den kantonalen Gesundheitsbehörden andererseits sichergestellt waren. Diese Kontakte fanden manchmal in Form von institutionalisierten Treffen und manchmal in Form von Ad-hocTreffen statt, die Palette der dabei behandelten Themen war sehr breit. Deshalb ist die Kommission der Ansicht, dass die Grundsätze von Artikel 50 RVOG eingehalten wurden.

­

Gute Zusammenarbeit von EDI und GDK: Die Kommission zieht diesbezüglich eine insgesamt positive Bilanz. Sie hält fest, dass der regelmässige und von gegenseitigem Vertrauen geprägte Austausch zwischen diesen beiden Akteuren bei der erfolgreichen Pandemiebewältigung eine zentrale Rolle gespielt hat. Sie begrüsst die bedeutende Rolle, welche die GDK bei der Koordination der kantonalen Massnahmen zur Pandemiebekämpfung und mehrere Monate lang bei den Konsultationen zu den Massnahmen gespielt hat. Die Tatsache, dass diese Partnerschaft auf einer schon vor der Pandemie bestehenden Zusammenarbeit aufbauen konnte wirkte sich positiv aus. Die Kommission begrüsst die Anstrengungen, die das EDI und die GDK ab Sommer 2020 unternommen haben, um ihren Austausch zu institutionalisieren und zu verstärken, dies unter anderem durch ein gemeinsames Strategiepapier647, auch wenn dieses erst relativ spät erstellt wurde. Die GPK-S ist der Ansicht, dass diesbezüglich Lehren gezogen werden müssen (siehe Kap. 8.2.4).

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Gute Zusammenarbeit zwischen dem BAG und der Kantonsärzte- und -apothekerschaft: Die GPK-S beurteilt die Zusammenarbeit des BAG mit der Kantonsärzteschaft insgesamt positiv. Sie begrüsst insbesondere die frühzeitige Einrichtung einer regelmässigen Telefonkonferenz und die Einbindung der kantonalen Expertinnen und Experten in verschiedene Arbeitsgruppen. Die Kommission nimmt zudem erfreut zur Kenntnis, dass aus den in der ersten Welle erkannten Schwächen Lehren gezogen wurden. Sie begrüsst auch die

Gemeinsames Strategiepapier von GDK und EDI-BAG vom 22.10.2020: Covid-19Bewältigung: Strategische Grundlagen der GDK und des EDI-BAG, Grundsätze ­ Massnahmen ­ Zusammenarbeit.

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Anstrengungen, die das BAG unternommen hat, um ab Sommer 2020 die Zusammenarbeit mit den Kantonsapothekerinnen und -apothekern zu verstärken.

Im Folgenden geht die GPK-S näher auf die Punkte ein, die ihrer Ansicht nach Klärungs- bzw. Verbesserungspotenzial haben.

8.2.1

Einbezug der Kantone in die Stäbe des Bundes

Die GPK-S kommt zum Schluss, dass die Kantone nur teilweise angemessen in die Strukturen der Krisenorganisation des Bundes einbezogen wurden. Insbesondere hinsichtlich des Einbezugs der Kantone in die bereichsübergreifenden Krisenstäbe des Bundes (KSBC und BSTB648) fällt ihre Bilanz durchzogen aus. Die Kommission hält fest, dass die Kantone zwar in beide Gremien eingebunden waren und sich dort regelmässig beteiligten, allerdings übernahmen diese Stäbe nicht die rechtlich vorgesehene Führungsrolle und machten sie insbesondere keinen Gebrauch von ihrer Kompetenz, dem Bundesrat Antrag zu stellen. Ein Grossteil des Krisenmanagements fand in den Departementen und Bundesämtern649 statt, wodurch die Beteiligungsmöglichkeiten der Kantone eingeschränkt waren.650 Die Kommission anerkennt, dass der KSBC und der BSTB ­ insbesondere in der ersten Welle ­ eine wichtige Rolle beim Informationsaustausch gespielt haben, und begrüsst ihren zentralen Beitrag in einigen entscheidenden Dossiers, wie z. B. bei der Bewirtschaftung von medizinischem Material.

Dennoch hält sie fest, dass sich diese Gremien im Wesentlichen auf die Koordination der verschiedenen Bundesbehörden konzentrierten und der Bezug zu den Kantonen dabei nur eine marginale Rolle spielte. Im Endeffekt ermöglichten diese Strukturen dem Bund kaum, vom Fachwissen der Kantone zu profitieren, und offensichtlich bot der Informationsaustausch auch den Kantonen nur einen geringen Mehrwert.

Ganz allgemein ist die GPK-S der Ansicht, dass sich die Umstände beim Aufbau der Krisenorganisation des Bundes negativ auf den Einbezug der Kantone ausgewirkt haben. In ihrem Bericht von 2022 über die Krisenorganisation des Bundes651 halten die GPK fest, dass die Bundesbehörden vom Ausbruch der Pandemie überrascht wurden und dass die Krisenorganisation grösstenteils ad hoc aufgebaut wurde. Es wurde verkannt, dass es sich um eine bereichsübergreifende Krise globalen Ausmasses handelte. Nach Ansicht der Kommission hätte sich der Bundesrat die Frage des Einbezugs der Kantone zu Beginn der Krise proaktiv stellen müssen, was nicht der Fall war.

Die Kommission begrüsst die Bemühungen des Bundes, den Einbezug der Kantone ab August 2020 mit der Schaffung eines «Steuerungsausschusses Covid-19», dem auch Kantonsvertretungen angehörten, zu verbessern. Auch die Absicht des Bundesrates, die Kantone künftig besser in die Krisenorganisation des Bundes einzubinden, 648

Zu beachten ist, dass der BSTB bei Ereignissen, die eine besondere Gefährdung der öffentlichen Gesundheit im Sinne von Art. 55 EpG hervorrufen können, die Rolle des «Einsatzorgans» übernimmt (siehe Kapitel 4).

649 Insbesondere in der Taskforce Covid-19 des BAG.

650 Siehe diesbezüglich auch: Krisenorganisation des Bundes für den Umgang mit der Covid19-Pandemie (Januar bis Juni 2020), Bericht der GPK vom 17.5.2022 (BBl 2022 1801).

651 Siehe Krisenorganisation des Bundes für den Umgang mit der Covid-19-Pandemie (Januar bis Juni 2020), Bericht der GPK vom 17.5.2022 (BBl 2022 1801).

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ist in ihren Augen positiv (Bericht vom März 2023652, siehe auch Kap. 7.4). Sie nimmt zur Kenntnis, dass die Kantone künftig sowohl auf der politisch-strategischen als auch auf der operativen Ebene systematisch in die Stäbe des Bundes integriert werden sollen. Sie begrüsst insbesondere die Absicht des Bundesrates, die systematische Prüfung des Einbezugs der Kantone zu einem für das Krisenmanagement des Bundes geltenden «Minimalstandard» zu machen.653 Nach Meinung der Kommission ist es wichtig, dass diese allgemeinen Grundsätze rasch konkretisiert werden654. Vom Bundesrat erwartet sie insbesondere, dass er ­ in Absprache mit den Kantonen ­ klärt, wie die Kantone in die Stäbe des Bundes eingebunden werden (Zusammensetzung der kantonalen Delegationen, Aufgaben und Rechte der Kantonsvertretungen, Übermittlung von Informationen und Dokumenten, Option der Teilnahme per Video usw.), und die entsprechenden Regeln auf Verordnungs- und/oder Weisungsstufe festlegt. Die GPKS erachtet es als besonders wichtig, dass die Einbindung der Kantone in diese Gremien über eine blosse Vertretung hinaus einen echten Mehrwert sowohl für den Bund als auch für die kantonalen Behörden darstellt. Ausserdem betont sie, dass diese neue Organisation nur dann Wirkung zeigen wird, wenn auch Verbesserungen an der Art und Weise erzielt werden, wie die Departemente und der Bundesrat die Kantone in die Vorbereitung und die Beschlussfassung in Krisenzeiten einbeziehen (siehe unten).

Zu guter Letzt weist die GPK-S darauf hin, dass zu klären ist, wie die Kantone in die von den Ämtern eingerichteten «Fachkrisenstäbe» (wie die Taskforce Covid-19 des BAG) einbezogen werden sollen. Die Kommission begrüsst zwar, dass die Kantone in mehrere Arbeitsgruppen des BAG einbezogen wurden, hält aber fest, dass dieser Einbezug ad hoc und nicht anhand einer eigentlichen Leitlinie erfolgte. Sie fordert den Bundesrat auf, die Leitlinien für den Einbezug der Kantone in solche Gremien festzulegen. Dies könnte im Rahmen der Erfüllung der von den GPK eingereichten Motionen 22.3506 und 22.3507 erfolgen.655 Empfehlung 1

Einbezug der Kantone in die Krisenorganisation des Bundes klären

Der Bundesrat wird ersucht, die in seinem Bericht vom März 2023 angekündigten Grundsätze zum Einbezug der Kantone in die Krisenorganisation des Bundes zu konkretisieren. Insbesondere wird er gebeten, in Absprache mit den Kantonen zu klären, wie die Kantone in die eidgenössischen Stäbe einzubeziehen sind, und die entsprechenden Regeln auf Verordnungs- oder Weisungsstufe festzulegen.

652

Verbesserte Krisenorganisation der Bundesverwaltung, Bericht des Bundesrates vom 29.3.2023.

653 Verbesserte Krisenorganisation der Bundesverwaltung, Bericht des Bundesrates vom 29.3.2023, Kap. 6.3.

654 Im Juni 2023 übermittelten die GPK dem Bundesrat zudem verschiedene Bemerkungen und Forderungen im Zusammenhang mit der Umsetzung der neuen Krisenorganisation des Bundes. Siehe Krisenorganisation des Bundes: Präzisierungsbedarf bei den vom Bundesrat vorgeschlagenen Reorganisationsmassnahmen, Medienmitteilung der GPK vom 13.6.2023.

655 Motionen 22.3506 der GPK-N und 22.3507 der GPK-S «Rechtsgrundlagen für einen » vom 17.5.2022.

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Der Bundesrat wird zudem eingeladen, zu klären, wie die Kantone in die von den Ämtern eingerichteten «Fachkrisenstäbe» einzubeziehen sind, und die Leitlinien für einen solchen Einbezug festzulegen.

8.2.2

Bestimmung der Akteure und Kontaktstellen

Die GPK-S teilt die Einschätzung der BK und der KdK, dass es während der Covid19-Krise an klar definierten Kontaktstellen zwischen Bund und Kantonen fehlte (siehe Kap. 7.1.1). Nach Ansicht der Kommission ist dies vor allem darauf zurückzuführen, dass es sich um eine bereichsübergreifende Krise globalen Ausmasses handelte, weshalb sehr viele Verwaltungsstellen involviert waren, was hohe Anforderungen an den Informationsfluss und die verwaltungsinterne Koordination stellte. Andere Faktoren, wie die Tatsache, dass die Krisenorganisation des Bundes ad hoc aufgebaut wurde (siehe vorhergehendes Kapitel) oder dass die Akteure des Bundes und die kantonalen Akteure vor der Krise nicht unbedingt in allen Bereichen regelmässige Kontakte pflegten, trugen ebenfalls zu diesen Schwierigkeiten bei. Die Kommission hält fest, dass die Kantone ähnliche Kritik später auch im Zusammenhang mit der Bewältigung der Energiekrise äusserten (siehe Kap. 7.4).

Nach Ansicht der GPK-S ist es entscheidend, dass die Kantone wissen, an welche Ansprechstellen auf Bundesebene sie sich im Krisenfall wenden können, insbesondere um Vollzugsfragen zu klären oder ihre eigenen Vorschläge einzubringen. Umgekehrt müssen die Bundesbehörden die kantonalen Ansprechstellen rasch ermitteln können. Ausserdem sollten alle Akteure über die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten der Ansprechstellen korrekt informiert sein. Die GPK-S bedauert beispielsweise, dass die Kantonsärzteschaft und die Kantonsapothekerschaft manchmal für Belange angefragt wurden, die nicht in ihre Zuständigkeit fielen, oder umgekehrt, dass sie zu bestimmten, als relevant erachteten Themen nicht konsultiert wurden.

Für die Kommission ist es nachvollziehbar, dass die Bundesbehörden bei der Covid19-Krise auf die Einrichtung eines Single Point of Contact (SPOC) verzichtet haben.

Sie teilt die Ansicht des Bundesrates, dass es bei einer derart komplexen Krise angemessener ist, wenn für jeden Themenbereich sowohl beim Bund als auch bei den Kantonen Ansprechpersonen bestimmt werden. Nach Ansicht der Kommission kann eine solche Strategie jedoch nur unter zwei Bedingungen funktionieren: Erstens müssen beide Seiten die Liste der Ansprechpersonen erstellen und dieses klar kommunizieren, und zweitens muss innerhalb des Pools der Ansprechpersonen eine gute Koordination sichergestellt sein,
damit eine angemessene Bearbeitung der Anfragen und der Informationen gewährleistet ist.

Die GPK-S lädt den Bundesrat ein, zu prüfen, ob für die Information zu den Kontaktstellen in Krisenzeiten eine digitale Lösung gefunden werden kann. Die Kommission

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geht davon aus, dass der Bundesrat diese Frage im Rahmen seiner Arbeiten zur Verbesserung der Krisenorganisation klären wird.656 Für die GPK-S schliesst der Aufbau eines Netzwerks von Ansprechpersonen nicht aus, dass Bund und Kantone zusätzlich einen SPOC einrichten. Nach Ansicht der Kommission könnte dieser den Akteuren dazu dienen, Anfragen einzureichen, die von allgemeiner Bedeutung sind oder mehrere Themenbereiche betreffen. Übrigens wurde auch im Rahmen der Vorbereitung auf eine Energiemangellage ein SPOC eingerichtet. Die Kommission begrüsst die Absicht des Bundesrates, einen SPOC einzurichten, der unabhängig von der Art der Krise eingesetzt werden kann.657 Empfehlung 2

Bestimmung und Bekanntgabe der Kontaktstellen bzw.

Ansprechpersonen im Krisenfall sicherstellen

Der Bundesrat wird ersucht, sicherzustellen, dass beim Auftreten einer Krise die relevanten Kontaktstellen bzw. Ansprechpersonen für jeden Themenbereich bestimmt werden und die entsprechenden Informationen allen Beteiligten zugänglich gemacht werden. Digitale Lösungen sind zu prüfen.

8.2.3

Einbezug der Kantone in die strategische Führung und Austausch auf der politischer Ebene

Nach Ansicht der GPK-S darf sich die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen beim Krisenmanagement nicht auf die operativen Aspekte beschränken. Da den Kantonen beim Vollzug des Bundesrechts eine zentrale Funktion zukommt, ist es wichtig, dass sie auch in die strategische Führung einbezogen werden und ihr Fachwissen und ihre Vorschläge einbringen können. Von grundlegender Bedeutung ist zudem, dass in Krisenzeiten der regelmässige politische Austausch zwischen dem Bundesrat bzw. einzelner seiner Mitglieder und den Kantonsregierungen gewährleistet ist. Voraussetzung für eine solche Zusammenarbeit ist jedoch, dass die Verteilung der Führungsund Entscheidkompetenzen klar geregelt ist und dass sich alle Akteure daran halten (zum Bereich der Epidemienbekämpfung siehe Kap. 8.3).

Die GPK-S hält fest, dass sich der Bundesrat und seine Mitglieder während der Covid19-Pandemie um regelmässige Kontakte mit den Kantonen auf politischer Ebene bemüht haben (siehe Kap. 6.1 und 7.1.2). Ab August 2020 waren die Kantone dann auch im «Steuerungsausschuss Covid-19» des Bundes vertreten. Weiter weist die Kommission darauf hin, dass die Kantone indirekt an der Festlegung der Krisenmanagement656

Die GPK-S hat auch geprüft, ob ein umfassendes Register der Akteure im Gesundheitswesen erstellt werden sollte, um im Krisenfall einfacher die richtigen Ansprechpersonen zu finden (siehe Kap. 7.1.1). Aufgrund der Erklärungen des EDI verzichtet die Kommission darauf, an dieser Stelle näher auf diese Möglichkeit einzugehen. Sie ist der Ansicht, dass die richtigen Ansprechpersonen mithilfe der in diesem Bereich bereits verfügbaren Datenbanken ­ die derzeit bereits evaluiert werden ­ gefunden werden können.

657 Dieser SPOC wird in den neu geschaffenen «Permanenten Kernstab» des Bundes eingebunden. Siehe dazu: Verbesserte Krisenorganisation der Bundesverwaltung, Bericht des Bundesrates vom 29.3.2023, Kap. 6.2.1.

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strategie beteiligt waren, einerseits über die Kontakte zwischen den kantonalen Konferenzen (insbesondere der GDK) und den eidgenössischen Departementen658, andererseits aufgrund der Konsultationen, die zu den vorgeschlagenen Massnahmen und zur allgemeinen strategischen Ausrichtung des Bundes659 durchgeführt wurden (zur Notwendigkeit, das Konsultationsverfahren zu verbessern, siehe Kap. 8.4.1).

Dennoch hält die Kommission fest, dass der strategische und der politische Austausch zwischen dem Bund und den Kantonsregierungen keiner klaren Leitlinie folgte und weitgehend ad hoc in den einzelnen Departementen organisiert wurde, was den sektoriellen Ansatz des Krisenmanagements verstärkte. Andererseits führte das Fehlen von klar definierten Austauschstrukturen in bestimmten Phasen der Pandemie zu Situationen, welche die Kommission als unangemessen erachtet. So kam es vor, dass der Vorsteher des EDI an einem einzigen Tag mehr als zehn Telefongespräche mit ein und demselben Präsidenten einer Kantonsregierung führte. Für die GPK-S ist eine solche Situation in Krisenzeiten nicht zweckmässig. Ihrer Ansicht nach sollte der Bundesrat den Austausch mit den Kantonen in Krisenzeiten stärker institutionalisieren (siehe unten).

Die Kommission begrüsst die Absicht des Bundesrates, die strategische Zusammenarbeit mit den Kantonen in Krisenzeiten zu verbessern. Sie hat seine Vorschläge zur Kenntnis genommen, die darauf abzielen, die Kantone in einen neuen, zur Krisenorganisation des Bundes gehörenden «Politisch-Strategischen Krisenstab» einzubinden sowie einen «Permanenten Kernstab» zu schaffen, der zentrale Leistungen im Bereich des Krisenmanagements, insbesondere im Hinblick auf den Einbezug der Kantone, erbringen soll (siehe Kap. 7.1.2 und 7.4).660 Diese Gremien entsprechen teilweise der Forderung der KdK nach einem permanenten und departementsübergreifenden Krisenstab, der unter Einbezug der Kantonsvertretungen eingerichtet werden soll. Mit dieser Struktur soll insbesondere sichergestellt werden, dass beim Krisenmanagement alle thematischen Aspekte berücksichtigt werden. Wie dies konkret erfolgen soll, muss bei der Umsetzung allerdings noch geklärt werden (siehe dazu Empfehlung 1).

Die Kommission geht davon aus, dass der Bundesrat in diesem Rahmen klären wird, wie die Kantone konkret in das strategische
Krisenmanagement einbezogen werden sollen.

Die GPK-S teilt die Ansicht des Bundesrates, dass es nicht sinnvoll wäre, für den strategischen Austausch zum nationalen Krisenmanagement ein Organ mit paritätischer Vertretung von Bund und Kantonen einzurichten (siehe Kap. 7.1.2). Auch sie ist der Auffassung, dass ein solches Organ nicht nur grundlegende Fragen zum Föderalismus, zur Kompetenzverteilung und zur Verantwortung für die Beschlussfassung, sondern auch viele praktische Fragen zu seiner Tätigkeit und seiner Zusammensetzung aufwerfen würde. Die Kommission fragt sich insbesondere, inwiefern die zu einem solchen Gremium gehörenden Kantonsvertretungen befugt wären, für alle Kantone Stellung zu nehmen. Aus ihrer Sicht käme die Schaffung eines solchen Organs nur dann infrage, wenn die Kantone zuvor ein demokratisch legitimiertes interkanto658

In diesem Zusammenhang sei auf das Strategiepapier verwiesen, das im Oktober 2020 zwischen dem EDI und der GDK vereinbart wurde (siehe Kap. 6.2.2).

659 Zum Beispiel die Konsultation zum Drei-Phasen-Modell im Mai 2021.

660 Verbesserte Krisenorganisation der Bundesverwaltung, Bericht des Bundesrates vom 29.3.2023, Kap. 6.2.

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nales strategisches Führungsorgan mit Entscheidkompetenz einrichten könnten, das in der Lage wäre, sich mit dem Bundesrat «auf Augenhöhe» auszutauschen.

Bezüglich des strategischen Austauschs zwischen Bund und Kantonen zur Pandemiebewältigung, insbesondere in der besonderen Lage, verweist die Kommission auf Kapitel 8.3.4.

Zu guter Letzt ist die GPK-S der Ansicht, dass der Bundesrat prüfen sollte, ob in Krisenzeiten regelmässige institutionalisierte Treffen zwischen dem Bundesratskollegium und den Kantonen eingeführt werden sollten, und zwar in Form einer Plattform für den Austausch auf der politischen Ebene, die die Diskussion allgemeiner Themen ermöglicht. Die Kommission fragt sich insbesondere, ob nicht der Föderalistische Dialog661 eine geeignete Grundlage für solche Treffen darstellen würde. Sie fordert den Bundesrat deshalb auf, über die Rolle und die Tätigkeit des Föderalistischen Dialogs in Krisenzeiten nachzudenken.

Empfehlung 3

In Krisenzeiten regelmässige institutionalisierte Treffen zwischen Bund und Kantonen einführen

Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, ob in Krisenzeiten regelmässige institutionalisierte Treffen zwischen dem Bundesratskollegium und den Kantonen eingeführt werden sollten, und zwar in Form einer transversalen Plattform für den Austausch auf der politischen Ebene. In diesem Zusammenhang ersucht sie den Bundesrat, insbesondere über die Rolle und die Tätigkeit des Föderalistischen Dialogs in Krisenzeiten nachzudenken.

8.2.4

Zusammenarbeit zwischen den Departementen und den interkantonalen Konferenzen

Die GPK-S begrüsst, dass das EDI und die GDK im Oktober 2020 ein gemeinsames Strategiepapier verabschiedet haben, in dem die Grundlagen ihrer Zusammenarbeit während einer Pandemie festgelegt sind (siehe Kap. 6.2.2).662 Die Kommission ist der Ansicht, dass dieses Dokument in den darauffolgenden Monaten eine wichtige Grundlage für das Krisenmanagement darstellte, auch wenn sich die Kantone nur teilweise daran hielten und das darin geregelte Konsultationsverfahren später von der KdK infrage gestellt wurde. Sie bedauert jedoch, dass dieses Papier erst im Oktober 2020 ­ 661

Der 1997 geschaffene Föderalistische Dialog ist ein Forum, das als Rahmen für regelmässige ­ in der Regel zweimal jährlich stattfindende ­ Gespräche zwischen einer Delegation des Bundesrates und einer Delegation der KdK dient. Diese intergovernementalen Treffen bieten Gelegenheit zum Informationsaustausch und zur Diskussion von Themen, die das Verhältnis Bund­Kantone betreffen. Die Zusammensetzung der Delegationen (je drei bis fünf Mitglieder) variiert je nach den zu behandelnden Themen. Die Delegationen werden in der Regel von der Bundespräsidentin bzw. dem Bundespräsidenten und von der Präsidentin bzw. dem Präsidenten der KdK geleitet. Quelle: www.bj.admin.ch > Staat & Bürger > Föderalismus > Föderalistischer Dialog (aufgerufen am 10.5.2023).

662 Gemeinsames Strategiepapier von GDK und EDI-BAG vom 22.10.2020: Covid-19-Bewältigung: Strategische Grundlagen der GDK und des EDI-BAG, Grundsätze ­ Massnahmen ­ Zusammenarbeit.

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als die zweite Welle bereits ausgebrochen war ­ formell angenommen wurde. Ihrer Ansicht nach hätte es bereits vor Beginn der Pandemie ein solches Dokument geben müssen.

Die Kommission ist der Auffassung, dass die strategische Zusammenarbeit von EDI und GDK im Hinblick auf eine allfällige künftige Pandemie proaktiv geklärt werden muss. Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, sobald die neue Krisenorganisation des Bundes umgesetzt ist und die revidierten Fassungen des EpG und des Pandemieplans in Kraft getreten sind, dafür zu sorgen, dass das EDI mit der GDK eine Vereinbarung ausarbeitet, welche die Einzelheiten ihrer Zusammenarbeit während einer Pandemie auf der Grundlage des Strategiepapiers vom Oktober 2020 regelt.

Zudem bittet die Kommission den Bundesrat, zu prüfen, in welchen anderen Bereichen die eidgenössischen Departemente mit den entsprechenden kantonalen Konferenzen ähnliche Vereinbarungen zu ihrer Zusammenarbeit in Krisenzeiten abschliessen sollten. Solche Vereinbarungen sollten in Übereinstimmung mit dem Risikomanagement des Bundesrates insbesondere in den Bereichen abgeschlossen werden, die potenziell anfällig für schwere Krisen sind. Sie wären beispielsweise geeignet, um die Koordination zwischen dem UVEK und der Konferenz kantonaler Energiedirektoren (EnDK), zwischen dem VBS und der Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr (RK MZF) oder zwischen dem EJPD und der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) zu regeln.

Diese Überlegungen sind im Zusammenhang mit der allgemeineren Frage nach der Rolle der interkantonalen Konferenzen anzustellen (siehe Kap. 8.5.3).

Empfehlung 4

Die Zusammenarbeit zwischen den Departementen und den interkantonalen Konferenzen im Krisenfall regeln

Der Bundesrat wird ersucht, dafür zu sorgen, dass das EDI mit der GDK eine Vereinbarung ausarbeitet, welche die Einzelheiten ihrer Zusammenarbeit während einer Pandemie auf der Grundlage des Strategiepapiers vom Oktober 2020 regelt.

Der Bundesrat wird zudem aufgefordert, zu prüfen, in welchen anderen Bereichen die eidgenössischen Departemente mit den entsprechenden kantonalen Konferenzen ähnliche Vereinbarungen zu ihrer Zusammenarbeit in Krisenzeiten abschliessen sollten. Solche Vereinbarungen sollten insbesondere in Bereichen abgeschlossen werden, die potenziell anfällig für schwere Krisen sind.

8.2.5

Rolle des Koordinationsorgans gemäss Epidemiengesetz

Bezüglich der Rolle des KOr EpG während der Covid-19-Pandemie zieht die GPK-S eine durchzogene Bilanz. Sie hält fest, dass dieses Organ die im EpG und in der EpV vorgesehenen Aufgaben nicht vollumfänglich wahrgenommen hat: Insbesondere spielte es bei der Koordination der Informations- und Kommunikationstätigkeiten so-

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wie bei der Unterstützung der zuständigen Organe des Bundes und der Kantone (insbesondere des BSTB) keine Rolle.

Nach Ansicht der Kommission ist dies vor allem darauf zurückzuführen, dass die Aufgaben und Kompetenzen, die dem KOr EpG während einer Pandemie zukommen, nicht klar definiert waren oder falsch interpretiert wurden und letztlich von anderen Strukturen übernommen wurden. Wie die GDK ist auch die GPK-S der Meinung, dass sich dieses Organ in seiner jetzigen Form nicht als Plattform für die Koordination zwischen Bund und Kantonen im Krisenfall eignet. Sie fordert den Bundesrat auf, bei der Revision des EpG kritisch zu prüfen, welche Rolle und welche Aufgaben das KOr EpG während einer Pandemie künftig übernehmen soll. Die Kommission stellt sich insbesondere die Frage, ob dem Kor EpG bei der strategischen Führung in der besonderen Lage eine wichtigere Funktion zukommen sollte (siehe Kap. 8.3.4).

Empfehlung 5

Rolle und Aufgaben des Kor EpG klären

Der Bundesrat wird ersucht, bei der Revision des EpG zu prüfen, wie die Rolle und die Aufgaben des in Artikel 54 vorgesehenen Koordinationsorgans während einer Pandemie künftig aussehen sollen.

8.3

Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen im Falle einer Pandemie

8.3.1

Allgemeine Beurteilung

Die GPK-S ist der Ansicht, dass sich das im EpG vorgesehene dreistufige Modell im Grossen und Ganzen bewährt hat. Sie erachtet es als zweckmässig, dass die Verantwortung für den Vollzug zu jeder Zeit bei den Kantonen liegt (Art. 75 EpG), da diese über die nötigen Kompetenzen und Ressourcen verfügen, um eine angemessene Umsetzung der Massnahmen zur Pandemiebekämpfung zu gewährleisten. Zudem entspricht diese Regelung dem Grundsatz, dass das Bundesrecht durch die Kantone umgesetzt wird (Art. 46 Abs. 1 BV). Die Kommission zieht eine insgesamt positive Bilanz über die Aufgabenverteilung in der ausserordentlichen Lage. Die Kompetenzverteilung und die Koordination in der besonderen und der normalen Lage beurteilt sie hingegen kritischer. Sie ist der Auffassung, dass angesichts der aus der Pandemie gezogenen Lehren Klärungsbedarf in diesem Bereich besteht. Im Folgenden nimmt sie eine zusammenfassende Beurteilung jeder der drei Lagen vor.

8.3.2

Wechsel zwischen den verschiedenen Lagen

Im Allgemeinen ist die Kommission der Ansicht, dass der Austausch mit den Kantonen beim Wechsel zwischen den verschiedenen Lagen gemäss EpG näher geregelt werden sollte.

Wechsel zur ausserordentlichen Lage: Dieser Schritt ­ der Wechsel von der besonderen zur ausserordentlichen Lage ­ hat eine wesentliche Kompetenzverlagerung von 122 / 172

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den Kantonen zum Bund zur Folge. Im Fall der Covid-19-Pandemie informierte der Bundesrat die Kantone vorab über seinen Entscheid, und die Kantone meldeten zurück, dass sie ihn unterstützen. Dieser Austausch scheint jedoch informell abgelaufen zu sein (siehe Kap. 6.2.1). Ein formeller Prozess würde eine bessere Grundlage für diesen Schritt bieten und würde dessen Transparenz erhöhen, könnte allerdings einer schnellen Reaktion der Behörden im Wege stehen.

Wechsel zur besonderen Lage: Die Kommission hält fest, dass der Übergang zur besonderen Lage während der Covid-19-Pandemie dreimal thematisiert wurde (Februar 2020663, Juni 2020664 und Sommer 2022665) und dass der Austausch mit den Kantonen jedes Mal ein zentrales Thema war.

Empfehlung 6

Den Prozess für den Einbezug der Kantone beim Wechsel zwischen den verschiedenen Lagen näher regeln

Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, ob der Prozess für den Einbezug der Kantone beim Übergang zur besonderen Lage im Sinne von Artikel 6 EpG sowie zur ausserordentlichen Lage im Sinne von Artikel 7 EpG im Hinblick auf eine bessere Krisenbewältigung näher geregelt werden sollte.

In Bezug auf den Übergang zur besonderen Lage sind insbesondere die folgenden Fälle zu berücksichtigen: ­ Ausrufung der besonderen Lage zu Beginn der Pandemie; ­ Rückkehr zur besonderen Lage nach einer ausserordentlichen Lage; ­ erneute Ausrufung der besonderen Lage nach einem Wiederaufflammen der Pandemie.

8.3.3

Ausserordentliche Lage

Die GPK-S ist der Ansicht, dass die Aufgabenverteilung in der ausserordentlichen Lage zweckmässig war. Sie hält fest, dass der Bundesrat seine Führungsverantwortung zwischen Mitte März und Mitte Juni 2020 entschlossen wahrgenommen hat und dass diese von den Kantonen nicht grundsätzlich infrage gestellt wurde. Nach Meinung der Kommission konnte so sichergestellt werden, dass die Massnahmen zur Pandemiebekämpfung schweizweit einheitlich waren und von der Bevölkerung akzeptiert wurden, und dies trotz der damals hohen Fallzahlen und grossen Ungewissheit bezüglich der weiteren Entwicklung der Pandemie. Für diese Lage sieht die GPK-S vor 663

Im Februar 2020 rief der Bundesrat die besondere Lage aus, nachdem er am Tag vor seinem Entscheid eine informelle Konsultation der Kantone durchgeführt hatte. Dieser Übergang wurde in sehr kurzer Zeit vorbereitet und umgesetzt (siehe Kap. 6.2.1).

664 Im Juni 2020 beschloss der Bundesrat auf Antrag der Kantone, die ausserordentliche Lage zu beenden und zur besonderen Lage zurückzukehren. Dieser Übergang wurde nicht früh genug geplant und nicht ausreichend begleitet (siehe Kap. 8.3.4).

665 Im Sommer 2022 waren sich Bund und Kantone uneinig darüber, ob erneut die besondere Lage auszurufen ist, falls schweizweite Massnahmen erforderlich werden sollten (siehe Kap. 8.3.4).

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allem beim Einbezug der Kantone in die Krisenorganisation (siehe Kap. 8.2) und in die Konsultations- und Informationsverfahren (siehe Kap. 8.4) Verbesserungspotenzial. Sie weist darauf hin, dass die Kantone dank verschiedenen Kontakten bereits bei den Überlegungen zu den Massnahmenlockerungen ab April 2020 einbezogen wurden.

Die Kommission begrüsst auch die Bemühungen des Bundesrates, den zu Beginn der Pandemie besonders betroffenen Kanton Tessin (siehe Kap. 7.3.4). Sie hält jedoch fest, dass die besonderen Umstände zu Beginn der Krise ­ ungewisse Pandemieentwicklung, ad hoc aufgebaute Krisenorganisation des Bundes, Schwierigkeiten bei der Übermittlung von Informationen ­ ein Hindernis für diese Unterstützung darstellten und zu Missverständnissen führten. Die Kommission zieht eine insgesamt positive Bilanz der «Ausnahmeklausel», die der Bundesrat Ende März 2020 verabschiedet hat (Art. 7e der Covid-19-Verordnung 2). Sie ist der Ansicht, dass mit dieser Klausel eine notwendige Klärung des Verhältnisses zwischen Bundesrecht und kantonalem Recht in der ausserordentlichen Lage erfolgte. Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, anhand dieses Beispiels zu prüfen, ob eine Präzisierung von Artikel 7 EpG erforderlich ist, zum einen, um eine allgemeine rechtliche Abgrenzung zwischen kantonaler und Bundeszuständigkeit in einer ausserordentlichen Lage in das Gesetz aufzunehmen, und zum anderen, um die Option einer «Klausel für kantonale Ausnahmen» zu institutionalisieren.

Empfehlung 7

Die Zuständigkeiten von Bund und Kantonen in der ausserordentlichen Lage abgrenzen und die «Ausnahmeklausel» institutionalisieren

Der Bundesrat wird ersucht, ausgehend vom Beispiel von Artikel 7e der Covid19-Verordnung 2, der am 27. März 2020 verabschiedet wurde, zu prüfen, ob Artikel 7 EpG («Ausserordentliche Lage») dahingehend präzisiert werden sollte, dass: ­ eine generell-abstrakte Abgrenzung zwischen kantonaler und Bundeszuständigkeit in der ausserordentlichen Lage in das Gesetz aufgenommen wird; ­ die Option einer «Klausel für kantonale Ausnahmen» in das Gesetz aufgenommen wird.

8.3.4

Besondere Lage

Die GPK-S kommt zum Schluss, dass die Koordination zwischen Bund und Kantonen in der besonderen Lage (siehe Kap. 6.2 und 7.2.2) nur teilweise angemessen war. Das Fehlen eines gemeinsamen Verständnisses der Rollen- und Kompetenzverteilung hatte einen negativen Einfluss auf das Krisenmanagement, insbesondere im Herbst 2020: Die Schweiz reagierte spät auf die zweite Pandemiewelle. Die Kommission ist der Ansicht, dass Bund und Kantone für diese späte Reaktion gleichermassen verantwortlich sind und dass aufgrund dieser Erfahrung Verbesserungen unerlässlich sind.

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Sie bedauert zudem, dass es den Behörden auf Bundes- und Kantonsebene bislang nur zum Teil gelungen ist, eine gemeinsame Bilanz dieser Zeit zu ziehen, und dass sie sich in der Frage, welche Lehren aus dieser Erfahrung gezogen werden können, uneinig sind.

Zeitraum von Juni bis Oktober 2020 Nach Ansicht der GPK-S sind die Koordinationsprobleme im Herbst 2020 unter anderem auf eine ungenügende Antizipation zurückzuführen. Die Kommission hält fest, dass der Sommer 2020 durch eine unklare Kompetenzverteilung gekennzeichnet war, was zu einem vorübergehenden Vakuum im Krisenmanagement führte. Aus ihrer Sicht gibt es dafür verschiedene Gründe:

666

­

Der Übergang von der ausserordentlichen zur besonderen Lage wurde nicht ausreichend vorbereitet. In dieser Hinsicht teil die GPK-S die Einschätzung der BK und der KdK. Sie hält insbesondere fest, dass der Bundesrat die Arbeiten zur Vorbereitung auf eine zweite Welle erst am 19. Juni 2020, als er die Rückkehr zur besonderen Lage beschloss, formell einleitete. Die Informationen der GPK-S zeigen jedoch auch, dass die Bundesbehörden die Themen «Containment» und Kompetenzverteilung in der besonderen Lage bereits ab April und Mai 2020 regelmässig besprochen haben.666 Die GPK-S kommt daher zum Schluss, dass diese Problematik von den Bundesbehörden richtig erkannt wurde, dass aber die Komplexität der Aufgabenverteilung und die damit verbundenen Risiken unterschätzt wurden. Sie bedauert, dass mit den Kantonen vor Ende der ausserordentlichen Lage kein detaillierteres Konzept zur Kompetenzverteilung und zur Ergreifung von Massnahmen zur Pandemiebekämpfung ausgearbeitet wurde.

­

Im Sommer 2020 war die allgemeine Lage für eine Klärung der Kompetenzfragen ungünstig. Nach der ersten Welle liess der Druck auf die zuvor über mehrere Monate hinweg stark beanspruchten Bundes- und kantonalen Stellen nach. Der allgemeine Trend ging damals zu einer weitgehenden Lockerung der Massnahmen zur Pandemiebewältigung. Zudem wurden die Risiken einer zweiten grossen Welle von vielen Akteuren unterschätzt.

­

Nach der Rückkehr zur besonderen Lage übernahm der Bundesrat keine aktive Führungsrolle. Abgesehen von der Einführung der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr und der Massnahmen im internationalen Personenverkehr (Anfang Juli) spielte der Bundesrat im Sommer 2020 trotz des Wiederanstiegs der Fallzahlen keine aktive Rolle im Krisenmanagement und beschränkte sich darauf, zu betonen, dass die Verantwortung für das Krisenmanagement bei den Kantonen liegt. Bei der Krisenorganisation des Bundes kam es zudem zu einer Phase der Unentschlossenheit: Nach der Auflösung des KSBC dauerte Die Fragen zu den «Containment-Massnahmen» (vor allem der Aufbau des Contact-Tracings) wurden mit den Kantonen ab Ende April 2020 diskutiert, die Kompetenzverteilung in der besonderen Lage wurde ab Mai thematisiert, insbesondere bei einem Workshop des KSBC sowie in verschiedenen an den Bundesrat gerichteten Dokumenten. Ausserdem veröffentlichte das BAG am 19. Juni 2020 ein Grundlagenpapier, das die allgemeinen strategischen Grundsätze bei einem Aufflammen der Epidemie festlegt, und das Thema wurde bei einem Treffen mit der GDK Ende Juni vertieft (siehe Kap. 6.2.1 und 6.2.2).

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es bis August 2020, bis der «Steuerungsausschuss Covid-19» eingerichtet wurde. Die Vorschläge des BAG zur Verschärfung der Massnahmen zur Pandemiebekämpfung wurden nicht konkretisiert. Stattdessen beschloss der Bundesrat, das Verbot von Grossanlässen im August 2020 gegen den Willen der Kantone aufzuheben.

­

Die Übernahme des Krisenmanagements durch die Kantone stellte eine Herausforderung dar. Die Kantone wünschten ausdrücklich die Rückkehr zur besonderen Lage. Im Sommer 2020 ergriffen die Kantonsregierungen verschiedene Massnahmen in ihrem Zuständigkeitsbereich. Die neuen Prozesse und Kompetenzen ­ insbesondere für das Contact-Tracing ­ nahmen jedoch nur langsam Gestalt an. Die GDK bemühte sich um interkantonale Kohärenz und forderte die Kantone auf, weitere Massnahmen zu ergreifen, ihr Einfluss blieb allerdings begrenzt. Die GPK-S weist auch darauf hin, dass die interkantonalen Konferenzen dem Bund gegenüber teilweise widersprüchliche Positionen vertraten: Während die GDK und die TPK die vom Bundesrat Anfang Juli beschlossenen Massnahmen zur Pandemiebekämpfung unterstützten, äusserte sich die KdK kritisch zu einigen der vom BAG erlassenen Empfehlungen und Weisungen, die in den Zuständigkeitsbereich der Kantone fielen.

Die GPK-S teilt die Ansicht der BK, dass der Bundesrat die Kantone nach der Rückkehr zur besonderen Lage anfänglich beim Krisenmanagement aktiver hätte unterstützen sollen. So hätte er beispielsweise zu bestimmten Basismassnahmen schweizweite Empfehlungen oder Weisungen erlassen oder bei der Umsetzung mehr Unterstützung leisten können. Sie hält aber auch fest, dass dies im damaligen Kontext bei den Kantonen möglicherweise auf Widerstand gestossen wäre.

Die Kommission begrüsst jedoch den Beitrag, den das BAG zur Entwicklung des Contact-Tracings geleistet hat (siehe auch Kap. 8.5.1), sowie die ab August 2020 vom EDI und von der GDK gemeinsam unternommenen Anstrengungen zur Stärkung und Institutionalisierung ihrer Zusammenarbeit und zur Klärung der Verteilung der gegenseitigen Kompetenzen insbesondere durch das Verfassen eines gemeinsamen Strategiepapiers.667 Sie hält allerdings fest, dass diese Anstrengungen nicht genügten, um beim Auftreten der zweiten Welle eine zufriedenstellende Koordination sicherzustellen.

Oktober bis Dezember 2020 Die von der GPK-S eingeholten Informationen bestätigen, dass das Contact-Tracing beim Auftreten der zweiten Pandemiewelle schnell an seine Grenzen stiess, einige kantonale Behörden zögerten, in ihrem Zuständigkeitsbereich zusätzliche Massnahmen zur Pandemiebekämpfung zu ergreifen, und sich ein Grossteil der Kantone regional und überregional nicht ausreichend koordinierte. Die GPKS weist aber ausdrücklich auf die Koordinationsbemühungen hin, welche die Westschweizer Kantone in dieser Zeit unternommen haben.

667

Die GPK-S begrüsst auch die enge Zusammenarbeit von EDI und GDK bei der Ausarbeitung mehrerer wichtiger Massnahmen zwischen August und September 2020, wie beispielsweise das Konzept für die Koordination der Intensivstationen.

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Dies alles hatte zur Folge, dass es nicht gelang, die Ausbreitung der Epidemie auf kantonaler Ebene einzudämmen, sodass der Bundesrat zwischen Oktober und Dezember 2020 mehrmals mit strengen schweizweiten Massnahmen eingreifen musste. Zudem sorgte die Uneinheitlichkeit der kantonalen Massnahmen für Unverständnis in der Bevölkerung. Die Kommission hält ausserdem fest, dass einige der Grundsätze des von EDI und GDK im Oktober 2020 verabschiedeten Strategiepapiers nicht eingehalten wurden.668 Gemäss ihrem Auftrag konzentriert sich die GPK-S auf die Tätigkeit der Bundesbehörden (siehe Kap. 2); es gehört nicht zu ihrer Aufgabe, herauszufinden, welche Ursachen auf kantonaler Ebene zu dieser Situation beigetragen haben.669 Dieser Fall wirft jedoch die grundlegenden Fragen der Verantwortung für das Krisenmanagement in der besonderen Lage (siehe unten), der interkantonalen Koordination und der Beziehung zwischen der GDK und den Kantonsregierungen auf (siehe Kap. 8.5.3).

Nach Ansicht der GPK-S reagierte der Bundesrat im Oktober 2020 angemessen, als er auf die von der GDK geäusserte Forderung hin rasch schweizweite Massnahmen ergriff und den Kantonen Kontingente der Armee und des Zivilschutzes zur Verfügung stellte. Die Kommission begrüsst auch, dass sich der Bundesrat Anfang Dezember 2020 bemühte, mit einigen Kantonen, in denen die epidemiologische Lage besorgniserregend war, in Dialog zu treten, um sie dazu zu bewegen, in ihrem Zuständigkeitsbereich Massnahmen zu ergreifen, auch wenn dieses Vorgehen nur teilweise Wirkung zeigte. Sie findet es verständlich, dass der Bundesrat angesichts der uneinheitlichen und zum Teil widersprüchlichen Positionen der Kantone sowie der Verschlechterung der epidemiologischen Lage schliesslich beschloss, ab Dezember 2020 wieder eine stärkere Führungsposition zu übernehmen. Die Kommission hält zudem fest, dass der Bundesrat in dieser Zeit systematisch die Kantone konsultierte, bevor er Massnahmen ergriff, auch wenn die Fristen manchmal sehr kurz waren.

Die Kommission hält zudem fest, dass der Bundesrat im Herbst 2020 nicht von der in Artikel 77 EpG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, den Kantonen Vollzugsmassnahmen vorzuschreiben. Sie fragt sich, ob es sinnvoll ist, dass eine solche Möglichkeit besteht, und ob ihre Anwendung in Zukunft klarer geregelt werden muss
(s. unten).

Januar 2021 bis März 2022 Die GPK-S hält fest, dass nach der Übernahme des Krisenmanagements durch den Bund im Dezember 2020 in der Praxis eine stabile Kompetenzverteilung etabliert werden konnte: Der Bundesrat ergriff vermehrt schweizweite Massnahmen, während die Kantone die vom Bund übernommene Führung nur selten infrage stellten. Die GPKS ist der Ansicht, dass diese Konstellation zur Beruhigung und Verbesserung der Zusammenarbeit von Bund und Kantonen beigetragen hat. Zur Sicherstellung eines an668

Insbesondere die Tatsache, dass die Kantone bei einem epidemischen Geschehen der Stufe II (keine Stabilisierung, regional oder schweizweit starker Anstieg der Fallzahlen) dafür verantwortlich sind, eine Reihe von Massnahmen zu ergreifen, z. B. die Bewilligung von Grossveranstaltungen einzuschränken, öffentliche und private Versammlungen und Zusammenkünfte einzuschränken oder die Schutzkonzepte zu verschärfen.

669 In den bereits publizierten Evaluationen sowie in den von der GPK-S durchgeführten Anhörungen wurden diesbezüglich verschiedene Hypothesen formuliert (siehe Kap. 7.2.2).

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gemessenen Pandemiemanagements in den darauffolgenden Monaten (u. a. Umsetzung der Impfstrategie und Einführung des Covid-Zertifikats) war eine solche Entwicklung unerlässlich. Die Kommission hält allerdings fest, dass diese Situation auch dazu geführt hat, dass sich die Kantone weitgehend auf die Entscheide des Bundesrates verlassen haben, anstatt im Krisenmanagement eine proaktive Führungsverantwortung zu übernehmen. Aus diesem Grund entsprach die Aufgabenverteilung, die sich in dieser Zeit etablierte, nicht vollständig derjenigen des EpG. Diese Tendenz wurde durch die Änderung des Konsultationsverfahrens im Frühjahr 2021 (Konsultation der Kantone über die einzelnen Kantonsregierungen) noch verstärkt, wodurch der Einfluss der Kantone auf die Strategie begrenzt wurde (siehe Kap. 8.4.1).

Die Kommission begrüsst die vom Bundesrat im Laufe des Jahres 2021 unternommenen Anstrengungen, die Handlungsfelder und die Aufgaben des Bundes und der Kantone sowie die Pfeiler, auf denen die Strategie zur Bewältigung der Pandemie basiert, genauer auszuführen (Konzeptpapier Drei-Phasen-Modell und Dokument Vorbereitung und Bewältigung des Wiederanstiegs der Covid-19-Fälle in der Schweiz, siehe Kap. 6.2.2 und 7.2.2). Aus ihrer Sicht zeigen diese Bemühungen, dass der Bund Lehren aus den im Herbst 2020 festgestellten Mängeln gezogen hat. Die GPK-S hält zudem fest, dass der Bundesrat auf die Anliegen der Kantone einging, indem er z. B. die Lockerungsschritte im Sommer 2021 vermehrt bündelte und den Einsatz des Zivilschutzes verlängerte, aber auch indem er nach der Konsultation der Kantone gewisse Massnahmen anpasste.

Die GPK-S hält aber auch fest, dass das Krisenmanagement während der Pandemiewelle im Winter 2021/2022 weitgehend einem ähnlichen Muster folgte wie im Herbst 2020. Der Bundesrat erklärte zunächst, er gehe davon aus, dass es Sache der Kantone ist, auf regionaler Ebene Massnahmen zu ergreifen, und die GDK forderte die Kantone auf, ihr Dispositiv zu verstärken. Später, als der Bundesrat feststellte, dass mit den von den Kantonen ergriffenen Massnahmen die Ausbreitung der Epidemie nicht eingedämmt werden konnte, ergriff er strenge schweizweite Massnahmen.

Lehren aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht Für die GPK-S ist es zwingend erforderlich, dass im Hinblick auf allfällige künftige Pandemien Massnahmen
ergriffen werden, um die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen in der besonderen Lage zu klären und zu verbessern. Sie sieht Handlungsbedarf bei der Verteilung der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten für die Ergreifung von Massnahmen zur Pandemiebekämpfung. Sie hält es aber auch für notwendig, bei der strategischen Führung die Koordination zwischen Bund und Kantonen zu verstärken, um sicherzustellen, dass die Massnahmen zum richtigen Zeitpunkt auf der richtigen Ebene ergriffen werden.

Was die Verteilung der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten betrifft, ist die GPK-S der Ansicht, dass die im EpG für die besondere Lage vorgesehene grundsätzliche Verteilung ­ Hauptverantwortung für das Krisenmanagement liegt bei den Kantonen, Bundesrat kann ergänzend dazu schweizweite Massnahmen ergreifen ­ weiterhin angemessen ist. Diese Regelung ermöglicht es, die Fachkenntnisse der Kantone zu nutzen, und sie gewährleistet, dass für jede Region zugeschnittene Massnahmen ergriffen werden. Ausserdem befolgt sie die verfassungsrechtlichen Grundsätze

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des Föderalismus.670 Die Kommission ist jedoch der Ansicht, dass in Absprache mit den kantonalen Behörden unbedingt eine detailliertere Verteilung der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten von Bund und Kantonen ausgearbeitet werden muss.

Aus Sicht der GPK-S besteht in mehrfacher Hinsicht Klärungsbedarf, um sicherzustellen, dass dieses Modell in der Praxis funktioniert: ­

Die Massnahmen festlegen, für welche die Kantone hauptverantwortlich sind: Es erscheint der Kommission wichtig, dass der Bundesrat, zusammen mit den Kantonen und gestützt auf die während der Pandemie gemachten Erfahrungen («Best Practices») die Massnahmen zur Pandemiebekämpfung definiert, die in der besonderen Lage ­ je nach Szenario der Pandemieentwicklung ­ vorwiegend in die Zuständigkeit der Kantone fallen.671 Danach ist es Aufgabe der Kantone, die Umsetzung der vereinbarten Massnahmen zu regeln und sicherzustellen, dass sie ordnungsgemäss durchgeführt werden.

­

Die Möglichkeiten für punktuelle Interventionen des Bundes klären: Es wurde kritisiert, dass der Bund Weisungen und Empfehlungen zuhanden der Kantone erliess; gleichzeitig verzichtete der Bundesrat jedoch darauf, die Kantone basierend auf Artikel 77 EpG zu Massnahmen zu verpflichten (siehe Kap. 7.2.2). Nach Ansicht der Kommission ist zu klären, wann und wie diese Interventionsinstrumente des Bundes in der besonderen Lage zum Einsatz kommen können.

­

Die Kriterien für das Ergreifen von schweizweiten Massnahmen durch den Bundesrat klären: Aus Sicht der Kommission kann es gerechtfertigt sein, dass der Bundesrat Massnahmen für die ganze Schweiz erlässt, insbesondere wenn sich die Kantone nicht auf einheitliche Massnahmen einigen oder die epidemiologische Lage nicht kontrollieren können (siehe dazu Art. 43a Abs. 1 BV). Für die GPK-S war die festgefahrene Situation im Herbst 2020 darauf zurückzuführen, dass die Kantone und der Bundesrat eine unterschiedliche Auffassung vom Zeitpunkt hatten, ab dem ein Eingreifen des Bundes gerechtfertigt ist. Die Kommission erwartet vom Bundesrat, dass er zusammen mit den Kantonen klare Kriterien und Prozesse für Bundesinterventionen festlegt. Zudem ist zu klären, ob bestimmte Massnahmen zur Pandemiebekämpfung direkt auf nationaler Ebene ergriffen werden müssen (z. B. Maskenobligatorium in den öffentlichen Verkehrsmitteln).

Die GPK-S erwartet vom Bundesrat, dass er die Leitlinien zu den verschiedenen Punkten im EpG, im Pandemieplan und/oder in Vereinbarungen mit den Kantonen (z. B. mit der GDK, siehe Empfehlung 4) festlegt und für die Etablierung der entsprechenden Prozesse sorgt.

Da die Kantone und der Bund die Verantwortung für die Ergreifung von Massnahmen zur Pandemiebekämpfung in der besonderen Lage gemeinsam tragen, ist die Kom670 671

Insbesondere Art. 5a, Art. 44 Abs. 1 und Art. 46 Abs. 3 BV.

Diese Prüfung könnte im Rahmen der Umsetzung des vom Ständerat im September 2023 angenommenen Postulats Noser «Unabhängige Aufarbeitung der Corona-Krise nach Public Health. Grundsätzen» vom 13.6.2023 (23.3675) erfolgen (siehe Kap. 8.4).

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mission zudem der Ansicht, dass bei der strategischen Führung des Krisenmanagements eine bessere Koordination zwischen den beiden Staatsebenen gewährleistet werden sollte.672 Während der Covid-19-Pandemie fehlte es an dieser Koordination.

Im Sommer 2020, nach der Rückkehr zur besonderen Lage, delegierte der Bundesrat einen Grossteil des Krisenmanagements an die Kantone. Ab Dezember 2020 wurde die strategische Führung hingegen wiederum hauptsächlich vom Bund übernommen.

Die Zusammenarbeit von EDI und GDK und die Einbindung der Kantone in den «Steuerungsausschuss Covid-19» gewährleisteten bis zu einem gewissen Grad eine Koordination in der Führung, diese genügte jedoch nicht, um der zweiten Welle angemessen zu begegnen.

Nach Ansicht der Kommission sollte mit einer zwischen Bund und Kantonen koordinierten strategischen Führung sichergestellt werden, dass die Massnahmen zur Pandemiebekämpfung zum richtigen Zeitpunkt und auf der richtigen staatlichen Ebene ergriffen werden. Die Realisierung einer solchen Führung erfordert drei Massnahmen: erstens eine klare Regelung der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten sowie die konsequente Einhaltung dieser Regelung (siehe vorherige Seite), zweitens eine Verbesserung der Krisenorganisation des Bundes sowie eine Stärkung des politisch-strategischen Austauschs mit den Kantonen (siehe Kap. 8.2) und drittens eine Verstärkung der interkantonalen Koordination bei der Ergreifung von Massnahmen (siehe Kap. 8.5.3).

Die Kommission bittet den Bundesrat, zu prüfen, welche Massnahmen notwendig sind, um eine koordinierte strategische Führung zwischen Bund und Kantonen in der besonderen Lage zu gewährleisten, und die notwendigen Anpassungen der Rechtsgrundlagen und der einschlägigen Vorgaben vorzunehmen. Die Kommission erachtet es insbesondere als notwendig, im EpG festzulegen, welche Organe oder Plattformen für die Koordination der strategischen Führung zuständig sind; sie fragt sich, ob diese Aufgabe nicht dem bereits im Gesetz vorgesehenen Koordinationsorgan übertragen werden könnte (siehe Kap. 8.2.5). Eine solche Koordination könnte auch vom Föderalistischen Dialog oder von einem neuen gemeinsamen Organ von Bund und Kantonen übernommen werden.

672

Für die GPK-S ist es nicht sinnvoll, die Verantwortung für die strategische Führung in der besonderen Lage allein dem Bundesrat zu übertragen (wie von der KdK in ihrem Bericht von 2022 vorgeschlagen wurde). Die Kommission teilt die Ansicht des Bundesrates, dass eine solche Änderung zu einer Kompetenzverlagerung hin zum Bund führen und die Unterscheidung zwischen der besonderen und der ausserordentlichen Lage aufheben würde.

Aus ihrer Sicht ist eine allein vom Bundesrat übernommene Führung nur in Situationen der höchsten Gefahrenstufe gerechtfertigt. In der besonderen Lage haben auch die Kantone Führungsverantwortung, da sie auch einen Teil der Verantwortung für die Ergreifung von Massnahmen zur Pandemiebekämpfung tragen. Eine Kompetenzverlagerung hin zum Bundesrat stünde im Widerspruch zu den verfassungsmässigen Grundsätzen des Föderalismus, aber auch zum Wunsch der Kantone, stärker in die politisch-strategischen Überlegungen einbezogen zu werden (siehe Kap. 8.2.3).

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Empfehlung 8

Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der besonderen Lage klären

1. Der Bundesrat wird ersucht, in Zusammenarbeit mit den Kantonen zu klären, wie in der besonderen Lage im Sinne des EpG die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten von Bund und Kantonen für das Ergreifen von Massnahmen zur Pandemiebekämpfung verteilt sein sollen. In diesem Zusammenhang wird der Bundesrat insbesondere eingeladen: ­ die Massnahmen festzulegen, die ­ je nach Szenario der Pandemieentwicklung ­ vorwiegend in die Zuständigkeit der Kantone fallen; ­ die Möglichkeiten für punktuelle Interventionen des Bundes bei den Kantonen, insbesondere für den Erlass von Weisungen und Empfehlungen, zu klären; ­ die Kriterien für das Ergreifen von Massnahmen auf nationaler Ebene durch den Bundesrat zu klären.

2. Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, welche Massnahmen erforderlich sind, um eine koordinierte strategische Führung von Bund und Kantonen in der besonderen Lage zu gewährleisten.

3. Der Bundesrat wird aufgefordert, das Resultat seiner Abklärungen zu Punkt 1 und 2 im EpG, im Pandemieplan und/oder in Vereinbarungen mit den Kantonen soweit sinnvoll zu verankern und für die Etablierung der entsprechenden Prozesse zu sorgen. Er wird zudem ersucht, im EpG festzulegen, welche Organe oder Plattformen für die Koordination der strategischen Führung in der besonderen Lage zuständig sind.

8.3.5

Normale Lage (nach einer Pandemie)

Die GPK-S bedauert, dass der Bund und die Kantone sich nach der Rückkehr zur normalen Lage im April 2022 nicht über ihre gegenseitigen Zuständigkeiten einigen konnten. Sie begrüsst die Initiative des Bundesrates, ein Strategiepapier zu erstellen, in dem die Aufgabenverteilung ausgeführt wird, bedauert jedoch, dass dieses nicht gemeinsam verabschiedet werden konnte. Die Kommission ist der Ansicht, dass aus dieser Situation unbedingt Lehren für die Zukunft gezogen werden müssen.

Uneinigkeit herrschte insbesondere in Bezug auf die Verteilung der Verantwortlichkeiten bei einem erneuten Anstieg der Fallzahlen (siehe Kap. 7.2.3). Die Kommission ist der Ansicht, dass sowohl die vom Bund als auch die von den Kantonen vorgebrachten Argumente bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar sind.

Wie der Bundesrat ist auch die Kommission der Ansicht, dass die Verantwortung für das Krisenmanagement in der normalen Lage gemäss EpG in erster Linie bei den Kantonen liegt und dass diese in der Lage sein müssen, das Krisenmanagement koordiniert durchzuführen. Im Jahr 2022 wäre bei einem erneuten Anstieg der Fallzahlen in erster Linie Aufgabe der Kantone gewesen, sich zu organisieren, um ­ gestützt auf

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die Erfahrungen der beiden vorangegangenen Jahre ­ sowohl auf regionaler als auch auf nationaler Ebene ein angemessenes und einheitliches Krisenmanagement sicherzustellen. Nach Ansicht der Kommission ist es nicht gerechtfertigt, nur deswegen die besondere Lage im Sinne von Artikel 6 EpG auszurufen, weil landesweit einheitliche Massnahmen erforderlich sind. Die Ausrufung der besonderen Lage impliziert, dass wichtige Befugnisse und Verantwortlichkeiten von den Kantonen auf den Bund übergehen; diese Option darf nicht zu einer «Standardlösung» werden, sondern muss das Mittel der letzten Wahl bleiben. Die Lage im Sommer 2022 unterschied sich in vielerlei Hinsicht grundlegend von der Lage im Sommer 2020 und 2021.673 Aufgrund des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit war es daher verständlich, dass der Bundesrat strengere Kriterien für eine Rückkehr zur besonderen Lage festlegte.

Dennoch ist die Kommission der Auffassung, dass der Bundesrat eine allzu beharrlich defensive Haltung einnahm, als er von Vornherein die Möglichkeit einer Rückkehr zur besonderen Lage ausschloss. Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass es äusserst schwierig ist, die Entwicklung der epidemiologischen Lage vorherzusagen, und im Herbst 2022 hätte auch eine neue, sehr starke Welle auftreten können, die ein Eingreifen des Bundesrates erfordert hätte. Die Kommission hebt ausserdem die Koordinationsbemühungen hervor, welche die GDK unternommen hat, um einen möglichst einheitlichen Prozess für die Ergreifung von Massnahmen zur Pandemiebekämpfung in den Kantonen zu gewährleisten.

Obwohl das EDI und die GDK im Sommer 2022 weiterhin regelmässige Kontakte pflegten,674 ist die GPK-S der Ansicht, dass die Differenzen zwischen Bund und Kantonen bei einer weiteren Welle zu einer ähnlichen festgefahrenen Situation wie im Herbst 2020 mit möglicherweise negativen Folgen hätten führen können.675 Aufgrund der günstigen epidemiologischen Entwicklung trat dies glücklicherweise aber nicht ein.

Die obigen Ausführungen zeigen nach Ansicht der Kommission zwei grundlegende Problematiken auf: Erstens braucht es für die Ergreifung von landesweit harmonisierten Massnahmen eine interkantonale Zusammenarbeit (siehe Kap. 8.5.3) und zweitens ist in Krisenzeiten ein verstärkter Austausch zwischen Bund und Kantonen auf politischer und strategischer Ebene erforderlich
(siehe Kap. 8.2.3).

In den Augen der Kommission ist es wichtig, dass der Bundesrat in Zusammenarbeit mit den Kantonen die Verteilung der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten bei der Rückkehr zur normalen Lage nach einer Pandemie klärt. Insbesondere wird der Bundesrat aufgefordert, die Kriterien genauer festzulegen, die nach einem Wiederanstieg der Fallzahlen die erneute Ausrufung der besonderen Lage rechtferti-

673

Insbesondere hinsichtlich der Kenntnisse über das Virus sowie hinsichtlich der Impfrate in der Bevölkerung.

674 Sie begrüsst insbesondere, dass das EDI und das BAG jederzeit zur Verfügung standen, um sich mit der GDK auszutauschen oder um die GDK und einzelne Kantone beim Monitoring der epidemiologischen Entwicklung zu unterstützen.

675 Wäre eine Situation eingetreten, in der die Kantone nicht in der Lage gewesen wären, die Pandemie einzudämmen, sodass der Bund gezwungen gewesen wäre, die Führung zu übernehmen, so hätte das nach Ansicht der GPK-S höchstwahrscheinlich negative Reaktionen in der Bevölkerung hervorgerufen und dem Image des Föderalismus geschadet.

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gen. Es stellt sich auch die Frage, wie die Kantone bei einem solchen Entscheid einbezogen würden (siehe Empfehlung 6).

Die GPK-S hält zudem fest, dass sich die normale Lage zu Beginn der Pandemie (Januar und Februar 2020) und die normale Lage nach der Pandemie (ab April 2022) grundlegend unterschieden, und dies nicht nur hinsichtlich der Kenntnisse über das Virus, des Grades der Unsicherheit bezüglich der Pandemieentwicklung und der Erfahrung im Krisenmanagement, sondern auch hinsichtlich der vom Bund übernommenen Aufgaben.676 Die Kommission fragt sich daher, ob es nicht sinnvoll wäre, diese beiden Arten von Lagen zu unterscheiden und im EpG eine zusätzliche, «auf die besondere Lage folgende Lage» zu schaffen (z. B. «Übergangsphase» oder «Normalisierungsphase»). Mit einer solchen Einteilung könnte insbesondere bei der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen den epidemiologischen Besonderheiten der Nachpandemiezeit (v. a. Risiko des Wiederanstiegs der Fallzahlen) besser Rechnung getragen werden. Zudem würde diese Einteilung auch eine transparentere Kommunikation mit der Bevölkerung und den Kantonen ermöglichen.677 Empfehlung 9

Die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten von Bund und Kantonen in der normalen Lage nach einer Pandemie klären

Der Bundesrat wird ersucht, in Zusammenarbeit mit den Kantonen zu klären, wie die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten in der normalen Lage verteilt sein sollen, wenn diese auf eine besondere Lage folgt.

Ferner wird der Bundesrat aufgefordert, die Kriterien genauer festzulegen, die nach einem Wiederanstieg der Fallzahlen eine Rückkehr zur besonderen Lage rechtfertigen.

Zu guter Letzt wird der Bundesrat eingeladen, zu prüfen, ob es sinnvoll wäre, im EpG eine zusätzliche Lage zu definieren, um die auf die besondere Lage folgende Zeit des Übergangs zur Normalität gesondert zu regeln.

8.4

Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bei den schweizweiten Massnahmen zur Pandemiebekämpfung

Die Chronologie der GPK-S (Kap. 6) zeigt, dass in der Covid-19-Pandemie sowohl auf kantonaler als auch auf nationaler Ebene sehr viele Massnahmen zur Pandemiebekämpfung ergriffen wurden. Die Kommission erachtet es als unerlässlich, dass der

676

Nach der Rückkehr zur normalen Lage im April 2022 übernahm der Bund weiterhin verschiedene Aufgaben des Krisenmanagements (namentlich in Bezug auf die medizinischen Güter und die Finanzierung der Tests), die über seinen ursprünglichen Auftrag hinausgingen.

677 Die ab April 2022 vorherrschende Lage entsprach nicht wirklich einer «normalen Lage», da die Virusprävalenz immer noch hoch war.

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Bundesrat diese Massnahmen gemeinsam mit den Kantonen bilanziert, ihre Wirksamkeit evaluiert und die Praktiken identifiziert, die sich bewährt haben.

Der Ständerat nahm im September 2023 ein Postulat678 an, welches verlangt, die in der Pandemie ergriffenen Gesundheitsmassnahmen von einer unabhängigen Expertengruppe überprüfen zu lassen und gestützt auf deren Erkenntnisse Handlungsgrundsätze für den zukünftigen Umgang mit Pandemien zu erarbeiten.

Die GPK-S erwartet vom Bundesrat, dass er auf der Grundlage dieser Abklärungen festlegt, welche Anpassungen am EpG, am Pandemieplan sowie an den einschlägigen Weisungen und Reglementen notwendig sind. Angesichts der bereits laufenden Arbeiten verzichtet sie darauf, hierzu eine spezifische Empfehlung auszusprechen.

Die Kommission konzentriert sich im Folgenden auf die schweizweiten Massnahmen.

Sie geht nicht auf die Angemessenheit der einzelnen Massnahmen ein, sondern befasst sich damit, wie Bund und Kantone bei der Erarbeitung und Umsetzung der Massnahmen zusammengearbeitet haben.

8.4.1

Konsultationsverfahren

Die GPK-S ist im Allgemeinen der Ansicht, dass die Art und Weise, wie die Kantone ­ unabhängig von der Lage ­ zu den Massnahmen des Bundesrates zur Pandemiebekämpfung konsultiert werden, verbessert werden muss. Da die Kantone für den Massnahmenvollzug zuständig sind, ist es unerlässlich, sie in die Vorbereitung der Massnahmen des Bundes einzubeziehen. Es muss ihnen möglich sein, ihr Fachwissen einzubringen, sich zur Umsetzbarkeit der vorgeschlagenen Massnahmen zu äussern und sich auf deren Umsetzung vorzubereiten.679 Die GPK-S ersucht den Bundesrat ausserdem, neben den Massnahmen zur Pandemiebekämpfung als solches auch zu prüfen, ob der Einbezug der Kantone beim Wechsel von einer Lage zur anderen ebenfalls der Klärung bedarf (siehe Kap. 8.3.2, Empfehlung 6).

Ausserordentliche Lage Grundsätzlich sieht das EpG keine Konsultation der Kantone in dieser Lage vor. Gerechtfertigt ist dies in den Augen der GPK-S gerade dadurch, dass es in einer solchen ausserordentlichen Gesundheitslage erforderlich ist, dass die Entscheidverantwortung allein beim Bundesrat liegt. Die Kommission erachtet es allerdings als wichtig, dass die Kantone angesichts der Vorteile, die dies mit sich bringt, auch in der ausserordentlichen Lage ­ sowohl auf Verwaltungs- als auch auf Regierungsebene ­ so umfassend wie möglich in die Vorbereitung der Entscheide einbezogen werden (siehe oben).

678

Po. Noser «Unabhängige Aufarbeitung der Corona-Krise nach Public Health. Grundsätzen» vom 13.6.2023 (23.3675).

679 Die Kommission betont, dass es sich hierbei um ein zentrales Element der Mitwirkung der Kantone an der Willensbildung des Bundes handelt (siehe Art. 45 Abs. 1 und 2 BV).

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Die Kommission kann die Kritik der Kantone am Ablauf der Konsultationen im Frühjahr 2020 nachvollziehen (siehe Kap. 7.3.1). In ihren Augen ist das damalige Vorgehen auf die aussergewöhnlichen Umstände zu jenem Zeitpunkt zurückzuführen. Sie hält fest, dass sich die Bundesbehörden damals bemühten, die Anmerkungen und Vorschläge der Kantone bestmöglich zu berücksichtigen.

Sie erachtet es nicht als realistisch, für die ausserordentliche Lage einen formellen Prozess für die Konsultation der Kantone festzulegen.680 Sie ersucht den Bundesrat aber, abzuklären, welche Optionen bestehen, um die Kantone in dieser Phase besser einzubeziehen, ohne gleichzeitig an Reaktionsfähigkeit einzubüssen oder den Verwaltungseinheiten einen unverhältnismässigen administrativen Aufwand zu verursachen.681 Rasche Konsultationen über die interkantonalen Konferenzen oder Videokonferenzen mit den Präsidentinnen und Präsidenten der Kantonsregierungen könnten zum Beispiel gangbare Wege darstellen. Die Kommission ist darüber hinaus der Auffassung, dass der stärkere Einbezug der Kantone in die Krisenorganisation des Bundes (siehe Kap. 8.2) ebenfalls zur besseren Berücksichtigung der kantonalen Anliegen beitragen dürfte.

Besondere Lage Die Konsultation der Kantone in der besonderen Lage ist im EpG ausdrücklich vorgesehen.682 Die Kommission hält fest, dass sich die Bundesbehörden bemühten, diesen Grundsatz einzuhalten, dass aber die Kriterien im VlG, namentlich die Bestimmung über die Konsultationsfristen (Art. 7 VlG), in der Regel nicht eingehalten werden konnten. Der zeitliche Druck brachte die Kantone in eine sehr schwierige Lage. Allerdings ist auch festzuhalten, dass der Bundesrat und die Departemente darauf achteten, den Kantonen die längstmögliche Frist für die Stellungnahme zu gewähren (siehe Kap. 7.3.1).

Nach Ansicht der GPK-S war die kritischste Phase in Bezug auf die Konsultationen in der besonderen Lage der Zeitraum zwischen Oktober und Dezember 2020; in diesem Zeitraum waren die Konsultationen zu den schweizweiten Massnahmen teilweise sehr kurz. Diese Situation muss jedoch im besonderen Kontext der zweiten Pandemiewelle gesehen werden, in welcher der Bundesrat sehr rasch nationale Massnahmen beschliessen musste, da es den Kantonen nicht gelungen war, die Pandemie einzudämmen. Die Kommission hält fest, dass sich die
Situation rund um die Konsultationen in der Folge verbesserte, auch wenn die Fristen nach wie vor deutlich kürzer als üblich waren.

Die Kommission begrüsst die Absicht des Bundesrates, das Konsultationsverfahren, namentlich durch die Einführung eines elektronischen Konsultationssystems, zu ver680

Diese Ansicht wird im Übrigen von einigen Kantonsvertreterinnen und -vertretern geteilt (siehe Kap. 7.3.1).

681 Die GPK-S nimmt zur Kenntnis, dass der vom Parlament beschlossene neue Artikel 10 VlG diesem Erfordernis Rechnung trägt: Dort heisst es, dass bei einem Verzicht auf ein formelles Konsultationsverfahren aus Gründen der Dringlichkeit die zuständige Behörde «wenn möglich» die Kantonsregierungen zu konsultieren hat.

682 Im vorliegenden Fall ist die Kommission der Auffassung, dass alle Änderungen der Covid-19-Verordnungen durch den Bundesrat in der besonderen Lage in den Anwendungsbereich des Vernehmlassungsgesetzes fielen (Art. 3 Abs. 1 Bst. d und e VlG).

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bessern. Auch der stärkere Einbezug der Kantone in die Krisenorganisation des Bundes (siehe Kap. 8.2) und die bessere Koordination von Bund und Kantonen bei der strategischen Führung in der besonderen Lage (siehe Empfehlung 8, Kap. 8.3.4) sollten den Konsultationsprozess erleichtern.

Die GPK-S ist der Auffassung, dass die Covid-19-Pandemie zwei grundsätzliche Fragen in Bezug auf die Konsultation der Kantone in der besonderen Lage aufgeworfen hat: ­

Welche Fristen und Modalitäten sollen für die Konsultation der Kantone gelten? In den Augen der Kommission ist es kaum realistisch, dass in der besonderen Lage die üblichen Fristen gemäss VIG eingehalten werden. Artikel 7 Absatz 4 VIG sieht diesbezüglich vor, dass die Frist ausnahmsweise verkürzt werden kann, wenn das Vorhaben keinen Aufschub duldet. Die GPK-S hält fest, dass diese Ausnahme in der Covid-19-Pandemie fast durchgehend angewendet wurde; für sie ist eine solche Situation zwar nachvollziehbar, aber aus Sicht der Rechtssicherheit nicht ideal.

Darüber hinaus hält die Kommission fest, dass die Festlegung eines Verfahrens für die Konsultationen der Kantone eine Herausforderung für die Bundesbehörden darstellte. Sie weist darauf hin, dass der Bundesrat und das EDI während der Pandemie mehrmals ihre diesbezügliche Praxis ändern mussten, weil es bei den Entwürfen, die den Kantonen unterbreitet wurden, zu Indiskretionen kam oder einzelne Kantone zu den Entwürfen öffentlich Stellung nahmen. Die GPK-S ist der Ansicht, dass die letztlich gewählte Lösung ­ eine erste Veröffentlichung der vorgeschlagenen Massnahmen zum Zeitpunkt, als sie den Kantonen zur Konsultation unterbreitet wurden ­ zwar die Klarheit der Entscheidfindung erhöhte, aber auch den Handlungsspielraum des Bundesrates und der Kantone einschränkte und das Verfahren zur Verabschiedung der Massnahmen deutlich schwerfälliger machte.

Die Kommission ersucht den Bundesrat, gemeinsam mit den Kantonen allgemeine Kriterien festzulegen, anhand deren bestimmt werden kann, welche Fristen für Konsultationen in der besonderen Lage gelten. Sie ersucht den Bundesrat zudem, den Ablauf des Konsultationsverfahrens unter Berücksichtigung der Anforderungen an die Vertraulichkeit klar zu regeln.

­

An wen sind die kantonalen Konsultationen zu richten? Zwischen August 2020 und März 2021 wurden die kantonalen Konsultationen hauptsächlich von der GDK koordiniert. In der Folge wurde das Verfahren geändert und die Konsultationsentwürfe wurden jedem Kanton einzeln zugestellt. Nach Ansicht der GPK-S weisen die von den interkantonalen Konferenzen koordinierten Konsultationen verschiedene Vorteile (schnelles Verfahren, Fachwissen), aber auch verschiedene Risiken und Nachteile auf (zu starke thematische Fokussierung, beschränkte Berücksichtigung der politischen Meinung der Kantonsregierungen, fehlende demokratische Legitimation der Entscheidfindung). Für die Kommission wäre eine Institutionalisierung dieser Option langfristig nur dann realistisch, wenn die Rolle der interkantonalen Konferenzen geklärt ist (siehe Kap. 8.5.3). Eine individuelle Konsultation der Kantone wiederum ermöglicht zwar eine bessere Berücksichtigung der politischen

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Meinungen und eine ausgewogenere Vertretung der Themenbereiche, stösst aber in Krisenzeiten, insbesondere angesichts der knappen Fristen, auch an klare Grenzen und hat eine hohe Arbeitsbelastung für die betroffenen Behörden zur Folge. Diesbezüglich teilt die GPK-S die Meinung des Bundesrates, dass die im Frühjahr 2021 beschlossene Praxisänderung die Position der Kantone bei der Entscheidfindung schwächte. Dies zeigt, wie wichtig die interkantonale Koordination in Krisenzeiten ist (siehe Kap. 8.5.3).

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, gemeinsam mit den Kantonen zu prüfen, in welchen Fällen die Kantone in einer Krise über die interkantonalen Konferenzen konsultiert werden können. Die Kommission ist der Ansicht, dass eine Zwischenlösung darin bestehen könnte, parallel zur Konsultation der Kantonsregierungen die interkantonalen Konferenzen zu bestimmten technischen Aspekten zu konsultieren.

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, ausgehend von diesen Überlegungen zu prüfen, ob es zu den Konsultationen in Krisenzeiten Präzisierungen im VIG oder in der VIV683 braucht und ob Ergänzungen zu den Konsultationen in einer Pandemie im EpG oder in der EpV sinnvoll wären.

Empfehlung 10

Konsultation der Kantone in Krisenzeiten verbessern

1. Der Bundesrat wird ersucht, abzuklären, welche Optionen bestehen, um die Kantone in der ausserordentlichen Lage im Sinne des EpG besser an der Ausarbeitung von schweizweiten Massnahmen zur Bekämpfung von Pandemien zu beteiligen.

2. Der Bundesrat wird zudem eingeladen, gemeinsam mit den Kantonen allgemeine Kriterien festzulegen, anhand deren bestimmt werden kann, welche Fristen in der besonderen Lage im Sinne des EpG für die Konsultation zu schweizweiten Massnahmen zur Bekämpfung von Pandemien gelten. Der Ablauf des Konsultationsverfahrens ist unter Berücksichtigung der Anforderungen an die Vertraulichkeit klar zu regeln.

3. Der Bundesrat wird ausserdem eingeladen, gemeinsam mit den Kantonen zu prüfen, in welchen Fällen die Kantone in einer Krise über die interkantonalen Konferenzen konsultiert werden können.

4. Ausgehend von diesen Überlegungen wird der Bundesrat aufgefordert, zu prüfen, ob das VlG und die VlV (in Sachen Konsultation in Krisenzeiten im Allgemeinen) oder das EpG und die EpV (in Sachen Konsultation in einer Pandemie) der Präzisierung bedürfen.

683

Insbesondere um die Umsetzung von Artikel 7 Absatz 4 VIG präziser zu regeln.

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8.4.2

Information der Kantone über die beschlossenen Massnahmen

Die Kommission hält fest, dass ein Grossteil der festgestellten Mängel bezüglich der Information der Kantone über die vom Bundesrat beschlossenen Massnahmen (siehe Kap. 7.3.2) auf den sehr speziellen Kontext der Pandemie (insbesondere der ersten Welle) zurückzuführen ist. Die durch Covid-19 verursachte Krisensituation zwang die Bundesbehörden, innerhalb kürzester Zeit in den unterschiedlichsten Bereichen eine Vielzahl von Vorschriften zu erlassen, deren Umsetzung komplex und von vielen Unsicherheiten begleitet war. Die Kommission hält fest, dass es für die Bundesbehörden eine immense Herausforderung war, alle Kantone und Akteure über die ergriffenen Massnahmen zu informieren, und dass sie sich bemühten, Fragen im Zusammenhang mit der Auslegung der Gesundheitsvorschriften so weit wie möglich zu klären. Sie begrüsst, dass das BAG regelmässig Empfehlungen und Erläuterungen zur Umsetzung veröffentlichte.684 Die GPK-S ist hingegen der Ansicht, dass die Kritik der Kantone an der Qualität des von den Bundesbehörden erlassenen Rechtsrahmens relativiert werden muss. Es ist auf den damaligen Kontext zurückzuführen, dass dieser Rechtsrahmen in der Pandemie mehrfach geändert wurde und viele Fragen bezüglich der Umsetzung aufwarf.

Ebenfalls der Krisensituation geschuldet war, dass die Behörden nicht unbedingt in der Lage waren, alle Begleitdokumente ständig zu aktualisieren und dass einige Bestimmungen nachträglich präzisiert werden mussten. Die Kommission teilt daher die Meinung des Bundesrates, dass die Qualität der von der Bundesverwaltung erlassenen Dokumente im Grossen und Ganzen gut war und später nur wenige Korrekturen vorgenommen werden mussten. Sie sieht aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht keinen besonderen Handlungsbedarf in diesem Punkt.

Die bisweilen verzögerte Beantwortung der Fragen der Kantone hängt auch damit zusammen, dass es sowohl seitens der Bundes- als auch der Kantonsbehörden an klar definierten Ansprechstellen fehlte (siehe Kap. 8.2.2 und Empfehlung 2). Zudem sollte eine stärkere Einbindung der Kantone in die Krisenorganisation des Bundes (siehe Kap. 8.2.1, Empfehlung 1) die Bearbeitung von Anfragen aus den Kantonen verbessern.

Die Kommission begrüsst den Willen des Bundesrates, die Information der Kantone und anderer Akteure zu verbessern, insbesondere durch die Umsetzung
von Maxime 4 aus dem Bericht der BK vom Dezember 2020685. Sie ersucht den Bundesrat, zu prüfen, welche konkreten Massnahmen diesbezüglich ergriffen werden können, und die entsprechenden Prozesse auf Gesetzes- oder Weisungsebene zu formalisieren. Aus ihrer Sicht sollten folgende Ziele verfolgt werden: Erstens müssen die Kantone über die beschlossenen Massnahmen informiert werden, bevor diese der Bevölkerung angekündigt werden; zweitens müssen die Kantone über möglichst viel Zeit für die Um684

Z. B.: Ausarbeitung einheitlicher Anwendungskriterien für das Verbot von Grossveranstaltungen (Februar­März 2020), Präzisierungen zur Öffnung von Skigebieten (März 2020), Weisungen und Empfehlungen zum Contact-Tracing (Mai 2020).

685 «Bundesstellen, Kantone und Verbände sind, wenn immer möglich, vor den Medien zu informieren. Entsprechende Vorläufe zur Information der Vollzugsakteure müssen eingeplant werden».

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setzung verfügen; drittens müssen die Verordnungen und erläuternden Berichte unmittelbar nach der Bekanntgabe der Massnahmen in den drei Amtssprachen vorliegen.

Empfehlung 11

Die Kantone in Krisenzeiten besser über schweizweite Massnahmen informieren

Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, welche Massnahmen in Anwendung der Maxime 4 aus dem Bericht der BK vom Dezember 2020 ergriffen werden können, um die Kantone und andere Akteure in Krisenzeiten besser über schweizweite Massnahmen zu informieren. Er wird ersucht, die entsprechenden Prozesse auf Gesetzes- oder Weisungsebene zu formalisieren.

8.4.3

Unterstützung durch den Bund beim Vollzug der Massnahmen zur Pandemiebekämpfung

Grundsätzlich sind im Falle einer Pandemie die Kantone für den Vollzug der meisten Massnahmen zuständig (Art. 75 EpG). Die Kommission zieht eine insgesamt positive Bilanz über die zahlreichen Massnahmen, welche der Bund ergriff, um die Kantone beim Vollzug zu unterstützen. Sie hebt insbesondere die Erarbeitung von Empfehlungen und Dokumentenvorlagen zuhanden der Kantone, die Bereitstellung technischer Mittel686 sowie die Mobilisierung von Personal687 hervor. Aus ihrer Sicht war diese Unterstützung, die über die ursprünglich geplante Aufgabenverteilung hinausging, aufgrund der besonderen Umstände der Pandemie gerechtfertigt (zum speziellen Beispiel des Contact-Tracings siehe Kap. 8.5.1).

Die Kommission ist jedoch der Ansicht, dass die vom BAG in Pandemiezeiten erlassenen Weisungen und Empfehlungen verbesserungswürdig sind. Sie hält fest, dass diese Instrumente eine wichtige Rolle spielten, ihre Zweckmässigkeit von den Akteuren jedoch unterschiedlich beurteilt wurde. Die Kommission erachtet es als wichtig, dass der Bund eine allgemeine Bilanz über die während der Pandemie erlassenen Gesundheitsweisungen und -empfehlungen zieht, namentlich über deren Kohärenz und die angemessene Umsetzung durch die Kantone. Sie ersucht den Bundesrat, dafür zu sorgen, dass das BAG auf der Grundlage dieser Bilanz die Prozesse und Vorlagen für allfällige künftige Pandemien ausarbeitet. Diese Arbeiten könnten ihrer Meinung nach im Rahmen der Revision des Pandemieplans erfolgen.

Empfehlung 12

Bilanz ziehen über die Weisungen und Empfehlungen des BAG zuhanden der Kantone

Der Bundesrat wird ersucht, sicherzustellen, dass das BAG eine allgemeine Bilanz über die Gesundheitsweisungen und -empfehlungen zieht, die es in der Covid-19Pandemie an die Kantone gerichtet hat, namentlich über deren Kohärenz und die 686

Z. B.: Bereitstellung der Tracing-App SwissCovid, zentralisierte Beschaffung des Programms SORMAS für das Conctact-Tracing.

687 Insbesondere durch die Mobilisierung von Armee und Zivilschutz.

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angemessene Umsetzung durch die Kantone. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Bilanz sind Prozesse und Vorlagen für allfällige künftige Pandemien auszuarbeiten.

Zu guter Letzt erachtet es die Kommission als wichtig, dass der Bundesrat eine allgemeine und vertiefte Bilanz über den Einsatz der Armee und des Zivilschutzes zur Unterstützung des kantonalen Vollzugs in der Covid-19-Krise zieht ­ dies, weil es einen so umfangreichen Einsatz noch nie gab und dieser bei der Bewältigung der Pandemie eine zentrale Rolle spielte. Sie hält es insbesondere für notwendig, die von Armee und Zivilschutz für die Kantone übernommenen Aufgaben und erbrachten Leistungen zu analysieren und im Hinblick auf die Finanzen, die Personalressourcen und die Logistik Bilanz über diesen Einsatz zu ziehen. Sie erachtet es zudem als wichtig, zu evaluieren, ob die verwaltungsinternen Prozesse für eine solche Mobilisierung von Armee und Zivilschutz angemessen sind. Ferner ersucht sie den Bundesrat, im Hinblick auf künftige Krisen grösseren Ausmasses darzulegen, welche Lehren aus diesem Fall für die Unterstützung der Kantone durch Armee und Zivilschutz gezogen werden können.

Postulat 1

Allgemeine Bilanz ziehen über den Einsatz der Armee und des Zivilschutzes zur Unterstützung der Kantone in der Covid-19-Pandemie

Der Bundesrat wird ersucht, eine allgemeine und vertiefte Bilanz über den Einsatz der Armee und des Zivilschutzes zur Unterstützung des kantonalen Vollzugs in der Covid-19-Pandemie zu ziehen.

1. Der Bundesrat wird ersucht, die von Armee und Zivilschutz für die Kantone übernommenen Aufgaben und erbrachten Leistungen zu analysieren und im Hinblick auf die Finanzen, die Personalressourcen und die Logistik über diesen Einsatz Bilanz zu ziehen.

2. Der Bundesrat wird zudem ersucht, zu evaluieren, ob die verwaltungsinternen Prozesse für eine solche Mobilisierung von Armee und Zivilschutz angemessen sind.

3. Der Bundesrat wird ausserdem ersucht, im Hinblick auf künftige Krisen grösseren Ausmasses darzulegen, welche Lehren aus diesem Fall für die Unterstützung der Kantone durch Armee und Zivilschutz gezogen werden können.

Zu guter Letzt ist die GPK-S der Ansicht, dass die Verbesserung der Digitalisierung im Bereich der Epidemienbewältigung, insbesondere die Implementierung von schweizweit harmonisierten IT-Tools, einen wesentlichen Beitrag zur künftigen Unterstützung der Kantone bei deren Vollzugsaufgaben leisten wird. Dieser Punkt wird im vorliegenden Bericht jedoch nicht vertieft.

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8.5

Weitere Aspekte

8.5.1

Contact-Tracing

Die Covid-19-Krise hat gezeigt, welch zentrale Rolle das Contact-Tracing bei der Bewältigung von Pandemien spielt und wie wichtig ein koordiniertes Vorgehen des Bundes und der Kantone in diesem Bereich ist. Die GPK-S begrüsst die grossen Anstrengungen der eidgenössischen und kantonalen Behörden, um ein weitreichendes Contact-Tracing-System einzuführen, dem bei der Krisenbewältigung grosse Bedeutung zukam.

Die Kommission zieht eine insgesamt positive Bilanz über die Unterstützung durch den Bund bei der Durchführung des Contact-Tracings in den Kantonen. Sie hält fest, dass der Bundesrat, das EDI und das BAG auf verschiedenen Ebenen tätig wurden, um die Kantone bei der Erfüllung dieser Aufgabe zu unterstützen.688 In ihren Augen waren diese Massnahmen ­ die über den gesetzlichen Auftrag des Bundes hinausgingen ­ angesichts des besonderen Kontextes angemessen und gerechtfertigt.

Kritischer sieht die GPK-S, dass die Bundes- und Kantonsbehörden zu Beginn der Krise über kein pandemiegerechtes Contact-Tracing-System verfügten und die entsprechenden Bestimmungen des EpG nur sehr allgemein waren. Dies hatte zur Folge, dass das Contact-Tracing beim Ausbruch des Virus im Februar und März 2020 rasch an seine Grenzen stiess. Die Kommission hält fest, dass der Bundesrat dann ­ ab April 2020 ­ gegenüber den Kantonen mehrfach die Bedeutung eines weiterentwickelten Contact-Tracings betonte und rasch mehrere Massnahmen zur Unterstützung der Kantone einleitete.689 Es dauerte jedoch mehrere Monate, bis die Kantone die entsprechenden Strukturen schufen. Dies führte dazu, dass das Schweizer Contact-TracingSystem zum Zeitpunkt der zweiten Welle im Herbst 2020 noch nicht vollständig ausgereift war und die Zunahme der Fälle nicht einzudämmen vermochte (siehe Kap. 8.3.4). Aus Sicht der Kommission handelte der Bundesrat richtig, als er den Kantonen im November 2020 ein neues Zivilschutzkontingent zur Verfügung stellte.

Für die Kommission besteht die grösste Herausforderung bei der Durchführung des Contact-Tracings in der Schweiz in der kantonsübergreifenden Koordination. Aufgrund der hohen Mobilität im Land (insbesondere Pendlerströme), kann die Nachverfolgung der Übertragungsketten des Virus nur dann wirksam sein, wenn sie auch über die Kantonsgrenzen hinweg erfolgt. Die Kommission hält es für notwendig, dass der Bundesrat
zusammen mit den Kantonen auf die Entwicklung eines Contact-TracingSystems hinwirkt, das sowohl auf kantonaler als auch auf regionaler oder nationaler Ebene Verwendung finden kann. In diesem Zusammenhang sieht sie Verbesserungsbedarf in zwei Hauptpunkten: ­

Verantwortung für das Contact-Tracing und Koordinationsstrukturen: Die Kommission hält es für angemessen, dass die Durchführung des Contact-Tra-

688

Insbesondere Erstellung von Weisungen und Empfehlungen, Entwicklung der SwissCovid App, zentrale Beschaffung des Programms SORMAS, Aufbau einer nationalen Datenbank, Bereitstellung von Zivilschutzkontingenten usw. (siehe Kap. 7.3.3).

689 Entwicklung der SwissCovid App ab April 2020, Erstellung von Weisungen und Empfehlungen ab Mai 2020, zentrale Beschaffung des Programms SORMAS im Mai/Juni 2020 (siehe Kap. 6.2.2).

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cings dem EpG entsprechend den Kantonen obliegt, da diese Massnahme die Nähe zur Bevölkerung erfordert und Fachkenntnisse voraussetzt, über welche nur die Kantone verfügen. Sie ist jedoch davon überzeugt, dass die kantonale Verantwortung einer Stärkung der Koordination auf regionaler oder gar nationaler Ebene nicht entgegensteht. Sie hält es für wichtig, dass der Bund und die Kantone gemeinsam darüber nachdenken, welche Strukturen geschaffen werden müssen, um das Contact-Tracing auf überkantonaler Ebene zu gewährleisten.

­

Informatiksysteme: In den Augen der Kommission ist das Contact-Tracing nur dann wirksam, wenn die Kantone und der Bund harmonisierte IT-Systeme verwenden, mit denen Daten rasch ausgetauscht werden können. Die Kommission begrüsst zwar die Schritte, die das BAG ab Ende Mai 2020 zur zentralen Beschaffung des Programm SORMAS unternahm, ist jedoch der Ansicht, dass diese zu spät erfolgten, da die Kantone zu jenem Zeitpunkt bereits verschiedene Systeme eingeführt hatten. Ebenso hält es die Kommission für notwendig, zu prüfen, ob eine gemeinsame Datenbank von Bund und Kantonen eingerichtet werden sollte, mit welcher die Übermittlungsketten auf nationaler Ebene nachverfolgt werden können.

Die GPK-S erachtet es als unerlässlich, dass der Bundesrat gemeinsam mit den Kantonen eine allgemeine Bilanz über das Contact-Tracing in der Covid-19-Pandemie zieht. Dementsprechend hat sie beschlossen, das folgende Postulat einzureichen.

Postulat 2

Allgemeine Bilanz ziehen über das Contact-Tracing in der Covid-19-Pandemie

Der Bundesrat wird ersucht, gemeinsam mit den Kantonen eine allgemeine Bilanz über das Contact-Tracing in der Covid-19-Pandemie zu ziehen.

1. Er wird ersucht, die Durchführung des Contact-Tracings in den Kantonen zu analysieren, um herauszufinden, welche Praktiken sich in der Pandemie bewährt haben, wo Schwächen bestanden und worin die grössten Herausforderungen lagen.

2. Er wird zudem ersucht, die wichtigsten Massnahmen des Bundes zur Unterstützung des kantonalen Contact-Tracings zu evaluieren und zu bestimmen, ob diese Massnahmen fest zu verankern sind.

3. Er wird ausserdem ersucht, gemeinsam mit den Kantonen die Schaffung harmonisierter Informatiksysteme und einer gemeinsamen Datenbank für das Contact-Tracing zu prüfen.

4. Er wird ferner ersucht, gemeinsam mit den Kantonen zu prüfen, welche Strukturen es für ein kantonsübergreifendes Contact-Tracing braucht (z.B. Kompetenzzentrum für Contact-Tracing) und ob die Koordination durch die Kantone allein oder durch Bund und Kantone gemeinsam erfolgen sollte.

5. Der Bundesrat wird schliesslich ersucht, auf der Grundlage dieser Abklärungen die erforderlichen Änderungen des EpG, des Pandemieplans und der anderen einschlägigen Dokumente in die Wege zu leiten.

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8.5.2

Verbot nicht dringender medizinischer Eingriffe

Die GPK-S kommt zum Schluss, dass der Entscheid des Bundesrates, nicht dringende medizinische Eingriffe zwischen März und April 2020 zu verbieten, angesichts der damals grossen Unsicherheiten bezüglich der Entwicklung der Gesundheitslage und der ungenügenden Qualität der Daten über die Auslastung der Spitäler nachvollziehbar war. Diese Massnahme entsprach dem Legalitätsprinzip, da Artikel 7 EpG dem Bundesrat die Möglichkeit einräumt, in der ausserordentliche Lage Massnahmen im Zuständigkeitsbereich der Kantone zu ergreifen. Die Informationen der Kommission zeigen jedoch, dass die Bilanz dieser Massnahme in Sachen Zweckmässigkeit und Wirksamkeit­ rückblickend ­ eher durchzogen ist, was vor allem auf deren mangelnde Flexibilität zurückzuführen ist. Ferner hatte diese Massnahme erhebliche finanzielle Auswirkungen auf die Spitäler (siehe Kap. 7.3.5).

Die GPK-S gelangt auf der Grundlage dieses Beispiels zum Schluss, dass die Entscheidkompetenz für ein solches Verbot künftig vorzugsweise bei den Kantonen liegen sollte, da diese über die Fachkompetenzen im Spitalbereich verfügen. Sie begrüsst, dass der Bund dieses Prinzip ab Sommer 2020 anwandte. Sie teilt die Ansicht des EDI, dass im Falle einer künftigen Pandemie ein Eingreifen des Bundes in diesem Bereich möglichst vermieden werden sollte, betont jedoch, dass dieses angesichts einer besonders kritischen Gesundheitslage nicht völlig ausgeschlossen werden kann.

Aus Sicht der GPK-S ergeben sich aus diesem Beispiel drei Konsequenzen: ­

Erstens die Notwendigkeit, die Modalitäten eines solchen Verbots im EpG zu regeln690 und zu prüfen, ob es verbindlichere Kriterien für die Auslegung des Begriffs «nicht dringender Eingriff» braucht.691 Nach Ansicht der Kommission sollte dank einer klareren Formulierung dieser Massnahme eine gezieltere Umsetzung möglich sein.

­

Zweitens die Notwendigkeit einer grösseren Flexibilität beim Einsatz von Spitalpersonal anderer Stationen in der Intensivpflege, um bei einer raschen Zunahme der Fälle nötigenfalls schnell über zusätzliches Personal zu verfügen.

Diese Frage hängt in erster Linie mit der Ausbildung des Spitalpersonals zusammen. Die Kommission ist der Ansicht, dass dieser Aspekt Teil der Gesundheitspolitik ist und in gesetzgeberischer Hinsicht vorrangig in die Zuständigkeit der Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) fällt, weshalb sie auf eine Empfehlung zu diesem Punkt verzichtet.

­

Drittens unterstreicht dieses Beispiel in den Augen der GPK-S, wie wichtig eine enge Zusammenarbeit zwischen den Kantonen beim Management der Spitalkapazitäten ist. Sie begrüsst die Anstrengungen des Bundes, die Kan-

690

Nach Meinung der Kommission kann ein Eingreifen des Bundes in diesem Bereich ­ auch wenn dieses im Falle einer künftigen Pandemie möglichst vermieden werden sollte ­ nicht völlig ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund hält sie es für notwendig, die Modalitäten eines solchen Eingreifens zu präzisieren.

691 Aus dem Evaluationsbericht von Interface und Infras geht hervor, dass sich die Definition nicht dringender Eingriffe und Behandlungen von Spital zu Spital unterschied und dass das BAG den Gesundheitsakteuren bewusst Ermessensspielraum in diesem Bereich einräumte (siehe Kap. 7.3.5).

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tone in der Pandemie in diesem Bereich zu unterstützen. Sie geht davon aus, dass der Bundesrat bei der Revision des EpG prüfen wird, ob dieser Aspekt genauer zu regeln ist.

Zu guter Letzt teilt die Kommission die Ansicht, dass das BAG Beispiele für bewährte kantonale Praktiken beim Management der Regelversorgung in der Pandemie sammeln sollte, um sicherzustellen, dass im Falle einer künftigen Pandemie ­ parallel zur Bewältigung der ausserordentlichen Gesundheitslage ­ auch der Zugang zu «nicht dringenden» Leistungen weiterhin möglichst gewährleistet bleibt.

Empfehlung 13

Das Verbot nicht dringender Eingriffe klarer regeln und die Aufrechterhaltung der Regelversorgung in einer Pandemie gewährleisten

Der Bundesrat wird ersucht, im EpG die Modalitäten eines Verbots nicht dringender medizinischer Eingriffe zu regeln. Zudem ist zu prüfen, ob es nicht verbindlichere Kriterien für die Auslegung des Begriffs «nicht dringender Eingriff» braucht.

Der Bundesrat wird zudem ersucht, dafür zu sorgen, dass das BAG die bewährten kantonalen Praktiken beim Management der Regelversorgung in der Pandemie sammelt und auf deren Grundlage die Rechtsgrundlagen und der einschlägigen Vorgaben anpasst.

8.5.3

Interkantonale Koordination, Rolle und Kompetenzen der interkantonalen Konferenzen

Die Abklärungen der GPK-S haben wiederholt gezeigt, dass neben der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen auch die interkantonale Koordination eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung grosser Krisen spielt. In einer Pandemie ist diese Koordination besonders wichtig, damit die Kohärenz und angemessene Planung der von den Kantonen in der besonderen Lage (siehe Kap. 8.3.4) und in der normalen Lage (siehe Kap. 8.3.5) getroffenen Massnahmen zur Pandemiebekämpfung gewährleistet ist. Auch die erfolgreiche Durchführung der Konsultationen zu den schweizweiten Massnahmen hängt davon ab (siehe Kap. 8.4.1). Eine gute interkantonale Koordination ist Voraussetzung für die Stärkung des strategischen Dialogs zwischen Bund und Kantonen bei der Krisenbewältigung (siehe Kap. 8.2.3). Sie spielt auch eine zentrale Rolle bei der Durchführung des Contact-Tracings (siehe Kap. 8.5.1) und beim Management der Spitalkapazitäten (siehe Kap. 8.5.2).

Gemäss ihrem gesetzlichen Auftrag hat sich die GPK-S bei ihren Arbeiten auf die Tätigkeiten der Bundesbehörden konzentriert; die interkantonale Zusammenarbeit hat sie nicht analysiert. Wie der Bundesrat hält auch sie es für zentral, dass die Kantone diesen Aspekt kritisch und vertieft bilanzieren und anhand der Lehren aus der Krise prüfen, wie sie ihre Zusammenarbeit verbessern könnten.

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Im Übrigen hält die Kommission fest, dass die Covid-19-Pandemie die grundlegende Problematik der Stellung der interkantonalen Konferenzen und der KdK an der Schnittstelle zwischen den Kantonsregierungen und dem Bund in Krisenzeiten aufgezeigt hat. Faktisch spielten diese Konferenzen eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Pandemie. Sie waren einer der wichtigsten Ansprechpartner für die Bundesbehörden, konsolidierten die Position der Kantone in vielen Fragen und hatten manchmal de facto eine Entscheidungskompetenz bei der Festlegung der Krisenmanagementstrategie. Die zentrale Funktion dieser Konferenzen steht jedoch in einem Spannungsverhältnis mit dem Prinzip, wonach jede Kantonsregierung in ihren Zuständigkeitsbereichen souverän entscheidet. Dieses Dreiecksverhältnis führte in der Covid-19-Krise sowohl beim Bund als auch bei den Kantonen zu Spannungen und Unverständnis. Diese Problematik trat im Zusammenhang mit der Einbindung der Kantone in die Krisenorganisation (siehe Kap. 8.2.4) und den Konsultationsverfahren (siehe Kap. 8.4.1) besonders deutlich zutage. Nach Ansicht der GPK-S ist es unerlässlich, dass die Kantone in Bezug auf die Rolle der interkantonalen Konferenzen in Krisenzeiten Lehren aus der Pandemie ziehen und prüfen, inwieweit die Entscheidkompetenzen dieser Konferenzen gestärkt werden sollten.

Die GPK-S begrüsst die Empfehlungen, welche die KdK in ihrem Bericht vom April 2022 zu diesen beiden Punkten formuliert hat.692 Sie geht davon aus, dass die KdK zu gegebener Zeit darüber informieren wird, wie diese Empfehlungen umgesetzt wurden.

Sie ersucht den Bundesrat, diese Thematik im Austausch mit den Kantonen regelmässig anzusprechen (z. B. im Rahmen des Föderalistischen Dialogs).

9

Schlussfolgerungen und weiteres Vorgehen

Die GPK-N hat auf der Grundlage der zwischen 2020 und 2023 gesammelten Informationen einen Überblick über die Strukturen für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der Covid-19-Pandemie (Kap. 6.1) und eine detaillierte Chronologie der Umsetzung dieser Zusammenarbeit (Kap. 6.2) erstellt. Anschliessend hat sie ­ unter Berücksichtigung der bereits veröffentlichten Evaluationen und Stellungnahmen ­ analysiert, wie die beteiligten Akteure von Bund und Kantonen verschiedene Aspekte dieser Zusammenarbeit einschätzen (Kap. 7).

Aus Sicht der GPK-S wies die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen bei der Pandemiebewältigung positive und negative Aspekte auf. Auch dank den gemeinsamen Anstrengungen der Bundes- und Kantonsbehörden konnte die Schweiz diese schwere Krise in zufriedenstellender Weise überstehen. Diese Zusammenarbeit stiess in drei Phasen der Krise an ihre Grenzen: beim Auftreten der Pandemie (Februar/März 2020), während der zweiten Welle (Oktober­Dezember 2020) und nach der Rückkehr zur normalen Lage (Sommer 2022).

692

Bericht der KdK vom 29.4.2022, Empfehlungen 7 (vertikaler und horizontaler Informationsaustausch), 10 (Rolle der gesamtschweizerischen Regierungs- und Direktorenkonferenzen) und 11 (Rolle der regionalen Regierungs- und Direktorenkonferenzen).

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Die Kommission hält ausserdem fest, dass sich der Bund und die Kantone bereits während der Pandemie bemühten, erkannte Mängel zu beseitigen und Lehren zu ziehen. Dennoch ist sie der Auffassung, dass ausgehend von den Erfahrungen aus dieser Pandemie in verschiedenen Punkten noch Verbesserungen an der Zusammenarbeit von Bund und Kantonen in einer Krise nötig sind. Sie weist darauf hin, dass die Bundes- und Kantonsbehörden nach dem Ende der Krise in mehreren Grundsatzfragen verschiedener Ansicht sind. Die Kommission erwartet von allen Beteiligten, dass sie weiterhin einen offenen und konstruktiven Dialog über diese Fragen führen und dort, wo Meinungsverschiedenheiten bestehen, gemeinsam auf die Ausarbeitung und Umsetzung von möglichst breit abgestützten Lösungen hinarbeiten, damit die Schweiz für eine zukünftige Krise dieser Art gewappnet ist.

Entsprechend ihrem Auftrag (siehe Kap. 2) legt die GPK-S im Folgenden ihre Schlussfolgerungen hinsichtlich der Kriterien der Rechtmässigkeit, der Zweckmässigkeit und der Wirksamkeit dar.

9.1

Rechtmässigkeit

Standen die Beschlüsse und Massnahmen der Bundesbehörden hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den Kantonen bei der Bewältigung der Covid-19-Pandemie im Einklang mit den Rechtsgrundlagen und den einschlägigen Vorgaben? Waren diese Rechtsgrundlagen und Vorgaben angemessen?

Die GPK-S gelangt insgesamt zum Schluss, dass die Beschlüsse und Massnahmen der Bundesbehörden in Bezug auf die Zusammenarbeit mit den Kantonen im Einklang mit den Rechtsgrundlagen und den einschlägigen Vorgaben standen und diese geeignet waren, eine angemessene Zusammenarbeit zu gewährleisten. Dennoch hat die Covid-19-Pandemie gezeigt, dass die Rechtsgrundlagen und einschlägigen Vorgaben in mehreren Punkten der Anpassung und Präzisierung bedürfen. In einigen Fällen wurden die Vorgaben nicht angewendet oder erwiesen sie sich als ungeeignet für die konkrete Krisensituation.

Nach Ansicht der Kommission wurde ein Teil der Verfassungsgrundsätze für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen (siehe Kap. 4) in der Pandemie respektiert. Dies gilt insbesondere für die Übernahme von Aufgaben durch den Bund, die einer einheitlichen Regelung bedürfen (Art. 43a Abs. 1 BV), den Vollzug des Bundesrechts durch die Kantone (Art. 46 Abs. 1 BV) und die Berücksichtigung der kantonalen Besonderheiten (Art. 46 Abs. 3 BV).

Die Bilanz der Kommission hinsichtlich der Subsidiarität bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben (Art. 5a BV), der Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung bei der Aufgabenerfüllung (Art. 44 Abs. 1 BV), der Mitwirkung der Kantone an der Willensbildung (Art. 45 Abs. 1 BV) und der Konsultation der Kantone (Art. 45 Abs. 2 BV) fällt hingegen durchzogen aus. Nach Ansicht der GPK-S wurden diese Grundsätze insbesondere nach der Rückkehr zur besonderen Lage und während der zweiten Pandemiewelle (Sommer und Herbst 2020) teilweise nicht eingehalten.

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Die im EpG vorgesehene Kompetenzverteilung und das dreistufige Modell haben sich aus Sicht der GPK-S im Grossen und Ganzen bewährt, allerdings bedarf die Kompetenzverteilung in der besonderen Lage und bei der Rückkehr zur normalen Lage einer Präzisierung. Die Kommission erachtet es als wichtig, dass die geplante Revision des EpG genutzt wird, um die Bestimmungen über die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen zu präzisieren und zu ergänzen. Ausgehend davon sind die jeweiligen Aufgaben der Bundes- und Kantonsbehörden in der neuen Fassung des Pandemieplans, die derzeit ausgearbeitet wird, zu konkretisieren. Es muss sichergestellt sein, dass die Rollen und Zuständigkeiten möglichst klar geregelt sind und verstanden werden, damit im Falle einer Gesundheitskrise die Stärken beider Ebenen genutzt werden können.

Die Kommission hält es für notwendig, insbesondere bei den folgenden Punkten die Rechtsgrundlagen und einschlägigen Vorgaben zu präzisieren, anzupassen und zu ergänzen: ­

Krisenorganisation: Die beiden wichtigsten Krisenstäbe des Bundes (BSTB und KSBC) übernahmen nicht ihre gesetzlich vorgesehene Führungsrolle, was negative Auswirkungen auf den Einbezug der Kantone hatte. Die Kommission begrüsst die Absicht des Bundesrates, die Kantone künftig besser in die Krisenorganisation des Bundes einzubeziehen. Sie erwartet vom Bundesrat, dass er die Einbindung der Kantone in die Krisenstäbe des Bundes klärt und die entsprechenden Regeln erlässt (Empfehlung 1, Kap. 8.2.1). Darüber hinaus nahm auch das Koordinationsorgan EpG die ihm in den Rechtsgrundlagen zugewiesenen Aufgaben nicht vollumfänglich wahr. Die GPK-S ersucht den Bundesrat, die künftige Rolle dieses Organs und dessen Aufgaben zu klären (Empfehlung 5, Kap. 8.2.5).

­

Einbezug der Kantone im Vorfeld des Wechsels in die «besondere Lage» und in die «ausserordentliche Lage»: Die GPK-S ersucht den Bundesrat, zu prüfen, ob der entsprechende Prozess nicht genauer geregelt werden sollte, da diese Wechsel grundsätzliche Kompetenzverschiebungen zwischen Bund und Kantonen zur Folge haben (Empfehlung 6, Kap. 8.3.2).

­

Kantonale Ausnahmeklausel: Die Kommission zieht eine insgesamt positive Bilanz der «Ausnahmeklausel», die der Bundesrat Ende März 2020 in der Covid-19-Verordnung 2 verankerte, um der besonderen Gesundheitslage im Tessin Rechnung zu tragen. Die GPK-S ersucht den Bundesrat, anhand dieses Beispiels zu prüfen, ob eine Präzisierung des EpG erforderlich ist, insbesondere, um eine allgemeine rechtliche Abgrenzung der Kompetenzen von Bund und Kantonen in der ausserordentlichen Lage vorzunehmen (Empfehlung 7, Kap. 8.3.3).

­

Verteilung der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten in der besonderen Lage: Die GPK-S erachtet die grundsätzliche Rollenverteilung zwischen Bund und Kantonen in der besonderen Lage als angemessen und verhältnismässig (siehe Kap. 8.3.4). Angesichts der Probleme, die insbesondere im Herbst 2020 auftraten, hält sie es allerdings für unerlässlich, die jeweiligen Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten klarer zu regeln, um sicherzustellen, dass dieses Modell in der Praxis funktioniert. Sie ersucht den 147 / 172

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Bundesrat, in Zusammenarbeit mit den Kantonen eine Liste der vorwiegend in die Zuständigkeit der Kantone fallenden Massnahmen zu erstellen sowie die Möglichkeiten für Interventionen des Bundes gegenüber den Kantonen (namentlich in Bezug auf die Anwendung von Art. 77 EpG) und die Kriterien für das Ergreifen von Massnahmen auf nationaler Ebene durch den Bundesrat zu klären. Die Leitlinien zu diesen verschiedenen Punkten sind im EpG, im Pandemieplan und/oder in Vereinbarungen mit den Kantonen festzulegen (Empfehlung 8, Kap. 8.3.4).

­

Strategische Führung in der besonderen Lage: Die Kommission ist der Ansicht, dass die strategische Führung zwischen Bund und Kantonen besser koordiniert werden muss. Sie ersucht den Bundesrat, zu prüfen, welche Massnahmen dafür erforderlich sind, und die entsprechenden Anpassungen der Rechtsgrundlagen und einschlägigen Vorgaben in die Wege zu leiten.

Der Bundesrat wird zudem ersucht, im EpG festzulegen, welche Organe oder Plattformen für diese Koordination zuständig sind (Empfehlung 8, Kap. 8.3.4).

­

Verteilung der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten nach der Rückkehr zur normalen Lage: Angesichts der Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Kantonen, die in diesem Punkt im Laufe des Jahres 2022 zutage traten, erwartet die GPK-S vom Bundesrat, dass er die nötigen Klärungen vornimmt. Der Bundesrat wird insbesondere ersucht, die Kriterien genauer festzulegen, die nach einem Wiederanstieg der Fallzahlen eine Rückkehr zur besonderen Lage rechtfertigen, und zu prüfen, ob es nicht sinnvoll wäre, im EpG eine zusätzliche Lage zu definieren (Empfehlung 9, Kap. 8.3.5).

­

Konsultation der Kantone: Die GPK-S erachtet es als nicht zielführend, für die ausserordentliche Lage einen formellen Prozess für die Konsultation der Kantone festzulegen, ersucht den Bundesrat aber, abzuklären, welche Optionen bestehen, um die Kantone in dieser Phase besser in die Entscheidfindung einzubeziehen. Was die besondere Lage betrifft, hält die Kommission fest, dass die Vorgaben des VIG für die Konsultationsfristen aus nachvollziehbaren Gründen in der Regel nicht eingehalten werden konnten. Sie ersucht den Bundesrat, gemeinsam mit den Kantonen den Ablauf des Konsultationsverfahrens, namentlich die Fristen, festzulegen und zu prüfen, in welchen Fällen die Kantone in einer Krise über die interkantonalen Konferenzen konsultiert werden können. Ausgehend von diesen Überlegungen wird der Bundesrat ersucht, die nötigen Anpassungen des VlG, der VlV, des EpG und der EpV zu veranlassen (Empfehlung 10, Kap. 8.4.1).

­

Information der Kantone: Die GPK-S ist der Ansicht, dass die Qualität der von den Bundesbehörden erlassenen Verordnungen und weiteren Vorgaben in Anbetracht der besonderen Krisensituation im Grossen und Ganzen gut war. Sie sieht allerdings Optimierungsbedarf bei der Information der Kantone über die beschlossenen Massnahmen. Sie ersucht den Bundesrat, zu prüfen, welche Massnahmen in diesem Sinne ergriffen werden können, und die entsprechenden Prozesse auf Gesetzes- oder Weisungsebene zu formalisieren (Empfehlung 11, Kap. 8.4.2).

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Contact-Tracing: Die Kommission hält fest, dass die Behörden zu Beginn der Krise über kein pandemiegerechtes Contact-Tracing-System verfügten und die entsprechenden Bestimmungen des EpG nur sehr allgemein waren. Sie sieht Abklärungs- und Verbesserungsbedarf in Bezug auf die Verantwortung für das Contact-Tracing, die Koordinationsstrukturen und die Schaffung harmonisierter Informatiksysteme zwischen Bund und Kantonen. Sie ersucht den Bundesrat per Postulat, gemeinsam mit den Kantonen eine allgemeine Bilanz des Contact-Tracings in der Covid-19-Pandemie zu ziehen und auf der Grundlage dieser Bilanz die erforderlichen Änderungen des EpG, des Pandemieplans und der anderen einschlägigen Dokumente in die Wege zu leiten (Postulat 2, Kap. 8.5.1).

­

Verbot nicht dringender medizinischer Eingriffe: Die GPK-S kommt zum Schluss, dass diese Massnahme zwar rechtens war, angesichts der Erfahrungen aus der Pandemie jedoch Änderungen des EpG erforderlich sind. Sie ersucht den Bundesrat, die Modalitäten eines solchen Verbots zu regeln und zu prüfen, ob es verbindlichere Kriterien für die Auslegung des Begriffs «nicht dringender Eingriff» braucht (Empfehlung 13, Kap. 8.5.2).

Die GPK-S verweist darüber hinaus darauf, dass der Bund in der Pandemie zahlreiche Aufgaben übernahm, die ihm grundsätzlich weder vom EpG noch von anderen Gesetzen übertragen wurden, sondern die vor allem im Covid-19-Gesetz geregelt waren (siehe Kap. 4)693. Auch wenn sie dieses Vorgehen als angemessen erachtet, ist sie doch der Ansicht, dass der Bundesrat prüfen sollte, welche dieser Aufgaben und Massnahmen künftig ausdrücklich im EpG geregelt sein sollten.

9.2

Zweckmässigkeit

Nutzten die Bundesehörden auf angemessene Weise den vorhandenen Ermessensspielraum in der Zusammenarbeit mit den Kantonen bei der Bewältigung der Covid-19-Pandemie?

Die GPK-S ist der Ansicht, dass die Bundesbehörden ihren Ermessensspielraum in Bezug auf die Zusammenarbeit mit den Kantonen angemessen nutzten. Auf diese Weise konnten ­ namentlich in den ersten Wochen der Krise ­ verschiedene Defizite der Rechtsgrundlagen (siehe oben) kompensiert werden.

Hinsichtlich Strukturen für die Zusammenarbeit zieht die GPK-S eine positive Bilanz der direkten und regelmässigen Fachkontakte der Bundesbehörden mit den Kantonen sowie der engen Zusammenarbeit zwischen dem EDI und der GDK (Kap. 8.2). Sie ist allerdings der Ansicht, dass die Kantone nur teilweise angemessen in die Strukturen der Krisenorganisation des Bundes einbezogen wurden. Diese Strukturen ermöglichten es dem Bund nicht wirklich, vom Fachwissen der Kantone zu profitieren, und 693

Z. B.: Bevorratung medizinischer Güter, Vorhalteleistungen im Gesundheitssystem, Contact-Tracing, Pandemiemonitoring, öffentliche Anlässe, wirtschaftliche Unterstützungsleistungen.

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brachten auch den Kantonen nur einen geringen Mehrwert. Die Umstände beim Aufbau der Krisenorganisation des Bundes und deren Komplexität wirkten sich negativ auf den Einbezug der Kantone aus (Kap. 8.2.1). Das Fehlen klar definierter Ansprechstellen stellte namentlich in den ersten Monaten der Krise eine Herausforderung dar und verkomplizierte die Weitergabe von Informationen. Die GPK-S ersucht den Bundesrat, sicherzustellen, dass beim Auftreten einer Krise die relevanten Kontaktstellen bzw. Ansprechpersonen für jeden Themenbereich bestimmt und die entsprechenden Informationen allen Beteiligten zugänglich gemacht werden (Empfehlung 2, Kap. 8.2.2).

Die Kommission hält fest, dass sich der Bundesrat und seine Mitglieder auf politischer und strategischer Ebene bemühten, einen regelmässigen Austausch mit den Kantonen zu pflegen, und dass die Kantone indirekt an der Krisenmanagementstrategie beteiligt waren. Allerdings folgte der strategische und politische Austausch zwischen dem Bund und den Kantonsregierungen keiner klaren Linie. Die Kommission begrüsst die Absicht des Bundesrates, die strategische Zusammenarbeit mit den Kantonen zu verstärken. In ihren Augen sollte geprüft werden, ob in Krisenzeiten nicht institutionalisierte regelmässige Treffen vom Bundesratskollegium und von den Kantonen stattfinden sollten (Empfehlung 3, Kap. 8.2.3). Sie ersucht den Bundesrat zudem, die strategische Zusammenarbeit zwischen den Departementen und den interkantonalen Konferenzen in Krisenzeiten zu klären, namentlich durch den Abschluss von Vereinbarungen (Empfehlung 4, Kap. 8.2.4). Sie erachtet es allerdings nicht als zweckmässig, ein paritätisches Organ von Bund und Kantonen einzusetzen, welches für den strategischen Austausch über das nationale Krisenmanagement zuständig ist, wie dies die Kantone vorschlagen.

In Bezug auf die Kompetenzverteilung in den verschiedenen Pandemiephasen kommt die GPK-S zum Schluss, dass der Bundesrat seinen Handlungsspielraum in der ausserordentlichen Lage angemessen nutzte, den Kantonen dabei eine gewisse Freiheit liess und sie bestmöglich ins Krisenmanagement einbezog (Kap. 8.3.3). Ihre Bilanz hinsichtlich der besonderen Lage fällt hingegen deutlich kritischer aus: Das Fehlen eines gemeinsamen Verständnisses der Rollen- und Kompetenzverteilung wirkte sich negativ auf das Krisenmanagement
aus, insbesondere im Herbst 2020. Neben der unklaren Regelung der Kompetenzverteilung im EpG (siehe oben) waren weitere Faktoren verantwortlich für die auftretenden Probleme. So wurde z. B. der Übergang von der ausserordentlichen in die besondere Lage nicht ausreichend vorbereitet und die allgemeine Lage im Sommer 2020 war für eine Klärung der Kompetenzfragen ungünstig (Kap. 8.3.4). Die Kommission ist der Ansicht, dass der Bundesrat im Sommer 2020 aktiver bei den Kantonen hätte intervenieren müssen, und fragt sich insbesondere, warum die Bundesbehörden Artikel 77 EpG so zurückhaltend anwendeten (siehe auch oben). Zwischen Oktober und Dezember 2020 handelte der Bundesrat nach Auffassung der Kommission hingegen angemessen, als er das Krisenmanagement nach und nach wieder in die eigenen Hände nahm.

Die Kommission begrüsst, dass ab Dezember 2020 in der Praxis nach und nach eine stabile Kompetenzverteilung etabliert wurde. Diese entsprach allerdings nicht vollständig den diesbezüglichen Vorgaben des EpG und führte dazu, dass sich die Kantone weitgehend auf die Entscheide des Bundesrates verliessen, anstatt eine proaktive Führungsverantwortung zu übernehmen (Kap. 8.3.4). Die Kommission begrüsst im 150 / 172

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Übrigen die vom Bundesrat im Laufe des Jahres 2021 unternommenen Anstrengungen zur Präzisierung der Handlungsfelder und der jeweiligen Aufgaben von Bund und Kantonen (namentlich durch das Drei-Phasen-Modell). Sie bedauert schliesslich, dass sich Bund und Kantone nach der Rückkehr zur normalen Lage im April 2022 nicht über ihre jeweiligen Zuständigkeiten einigen konnten. Die Differenzen zwischen Bund und Kantonen hätten bei einer weiteren Welle zu einer Blockadesituation mit möglicherweise negativen Folgen führen können (Kap. 8.3.5).

In Bezug auf die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bei den schweizweiten Massnahmen zur Pandemiebekämpfung hält die Kommission fest, dass sich die Bundesbehörden zwar bemühten, die Kantone zu den geplanten Massnahmen zu konsultieren sowie ihre Anmerkungen und Vorschläge zu berücksichtigen, dass die entsprechenden Prozesse angesichts der Krisensituation aber an ihre Grenzen stiessen. In der besonderen Lage brachten die sehr kurzen Konsultationsfristen die Kantone in eine sehr schwierige Lage. Bundesrat und Departemente achteten allerdings darauf, den Kantonen die längstmöglichen Fristen zu gewähren. Der Beschluss vom Frühjahr 2021, die Konsultation nicht mehr via die GDK durchzuführen, ist zwar aus institutioneller Sicht nachvollziehbar, schwächte jedoch in den Augen der Kommission die Position der Kantone.

Die GPK-S begrüsst die zahlreichen Massnahmen des Bundesrates zur Unterstützung der Kantone beim Vollzug der Massnahmen des Bundes (namentlich beim ContactTracing, Kap. 8.5.1). Diese Unterstützung, die weiterging, als es die ursprüngliche Aufgabenteilung vorsah, war für die GPK-S angesichts der besonderen Krisensituation gerechtfertigt. Die Kommission erachtet es als wichtig, dass der Bund eine allgemeine Bilanz seiner Gesundheitsweisungen und -empfehlungen in der Covid-19-Pandemie zieht und auf der Grundlage dieser Bilanz Prozesse und Vorlagen für allfällige künftige Pandemien ausgearbeitet werden (Empfehlung 12, Kap. 8.4.3). Ihrer Auffassung nach bedarf es zudem einer allgemeinen Bilanz des Einsatzes der Armee und des Zivilschutzes zur Unterstützung des kantonalen Vollzugs in der Covid-19-Pandemie; dies, weil es einen so umfangreichen Einsatz noch nie gab und dieser bei der Bewältigung der Pandemie eine zentrale Rolle spielte (Postulat 1, Kap. 8.4.3).
Ferner sieht die Kommission Verbesserungspotenzial bei der Zusammenarbeit der Kantone in einer Krise (siehe Art. 48 BV). Sie erachtet es als unerlässlich, dass die Kantone eine kritische und vertiefte Bilanz dieser Zusammenarbeit ziehen. Im Weiteren ruft sie die Kantone auf, die Rolle der interkantonalen Konferenzen in Krisenzeiten zu prüfen, namentlich deren Entscheidkompetenzen (Kap. 8.5.3).

9.3

Wirksamkeit

Konnte dank der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Kantonen das angestrebte Ziel, d. h. eine wirksame Bewältigung der Covid-19Pandemie, erreicht werden?

Die Kommission kommt zum Schluss, dass die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen im Grossen und Ganzen wirksam war und die Schweiz so die Covid-19-Krise 151 / 172

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vergleichsweise gut meistern konnte. Die Pandemie hat gezeigt, dass es im föderalen System der Schweiz bei Krisen grösseren Ausmasses zwingend eine enge Zusammenarbeit aller Staatsebenen braucht.

Die Probleme, die bei der Zusammenarbeit auftraten, stellten bisweilen ein Hindernis für ein wirksames Krisenmanagement dar, namentlich im Herbst 2020, als die zweite Welle anrollte. Aufgrund des fehlenden Austauschs zwischen Bund und Kantonen und der mangelnden Klarheit in Bezug auf die Kompetenzverteilung wurden gewisse Massnahmen verspätet ergriffen, was zur Folge hatte, dass die Pandemieentwicklung ungenügend kontrolliert wurde. Die Kommission ist der Ansicht, dass eine bessere Koordination möglich gewesen wäre. Im Übrigen hätte es Ende 2022 angesichts der Meinungsverschiedenheiten über die Kompetenzverteilung in der normalen Lage erneut zu einer solchen Situation und den damit verbundenen negativen Folgen kommen können (Kap. 8.3.5).

Die Kommission erachtet es als unerlässlich, dass der Bundesrat gemeinsam mit den Kantonen die schweizweiten Massnahmen zur Pandemiebekämpfung bilanziert, deren Wirksamkeit evaluiert und auf dieser Grundlage die Praktiken identifiziert, die sich bewährt haben. Sie erwartet vom Bundesrat, dass er im Rahmen der laufenden Arbeiten prüft, welche Anpassungen am EpG, am Pandemieplan sowie an den einschlägigen Weisungen und Reglementen notwendig sind (Kap. 8.4).

Die Kommission hat sich ausserdem eingehend mit dem Verbot der nicht dringenden medizinischen Eingriffe befasst, welches der Bundesrat im März 2020 beschloss (siehe dazu auch Kap. 9.1). Ihre Bilanz hinsichtlich der Wirksamkeit dieser Massnahme fällt eher durchzogen aus. Sie ersucht insbesondere den Bundesrat, dafür zu sorgen, dass das BAG die bewährten kantonalen Praktiken beim Management der Regelversorgung in der Pandemie sammelt und auf deren Grundlage die Rechtsgrundlagen und einschlägigenVorgaben anpasst (Empfehlung 13, Kap. 8.5.2).

9.4

Weiteres Vorgehen

Die Kommission hält fest, dass die Bundesverwaltung bereits während der Pandemie oder nach deren Ende verschiedene derzeit laufende Arbeiten in die Wege geleitet hat, mit denen die in der Pandemie erkannten Mängel bei der Zusammenarbeit mit den Kantonen behoben werden sollen (namentlich Umsetzung der BK-Empfehlungen, die durch den Bundesrat beschlossen wurde, und des Postulats Cottier 20.4522 sowie Reform der Krisenorganisation des Bundes, siehe Kap. 7.4). Insbesondere die Revision des EpG und des Pandemieplans bietet für Parlament, Bundesrat und Kantonsbehörden die Chance, eine Grundsatzdebatte über die Kompetenzverteilung und die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bei der Bewältigung von Epidemien zu führen.

Die GPK-S erachtet es als sehr wichtig, dass die Erfahrungen aus der Covid-19-Pandemie dazu genutzt werden, die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen zu optimieren, und zwar nicht nur in Anbetracht allfälliger künftiger Pandemien, sondern allgemein im Hinblick auf die Bewältigung von Krisen grösseren Ausmasses.

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Sie ersucht den Bundesrat, die Feststellungen und Empfehlungen in diesem Bericht bei seinen künftigen Arbeiten zu berücksichtigen und bis zum 15. Februar 2024 Stellung dazu zu nehmen.

10. Oktober 2023

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) Der Präsident: Matthias Michel Der Präsident der Subkommission EDI/UVEK: Marco Chiesa Die Sekretärin der GPK und der GPDel: Ursina Jud Huwiler Der Sekretär der Subkommission EDI/UVEK: Nicolas Gschwind

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Abkürzungsverzeichnis ABCN-Einsatzverordnung

Verordnung vom 20 Oktober 2010 über die Organisation von Einsätzen bei ABC- und Naturereignissen (AS 2018 1093)

ArG

Bundesgesetz vom 13. März 1964 über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz; SR 822.11)

AS

Amtliche Sammlung des Bundesrechts

BABS

Bundesamt für Bevölkerungsschutz

BAG

Bundesamt für Gesundheit

BB

Bundesblatt

BFE

Bundesamt für Energie

BFS

Bundesamt für Statistik

BIT

Bundesamt für Informatik und Telekommunikation

BJ

Bundesamt für Justiz

BK

Bundeskanzlei

BLV

Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen

BSTB

Bundesstab Bevölkerungsschutz

BV

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101)

BWL

Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung

Covid-19-Gesetz

Bundesgesetz vom 25. September 2020 über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (SR 818-102)

Covid-19Verordnung

Verordnung vom 28. Februar 2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) (SR 818.101.24)

Covid-19Verordnung 2

Verordnung 2 vom 13. März 2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) (SR 818.101.24)

Covid-19Verordnung 3

Verordnung 3 vom 19. Juni 2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID -19) (SR 818.101.24)

Covid-19Verordnung besondere Lage

Verordnung vom 23. Juni 2021 über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie (SR 818.101.26)

154 / 172

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Covid-19Verordnung Massnahmen im Bereich des internationalen Personenverkehrs

Verordnung vom 2. Juli 2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) im Bereich des internationalen Personenverkehrs (SR 818.101.27)

Covid-19Verordnung Publikumsanlässe

Verordnung vom 26. Mai 2021 über Massnahmen für Publikumsanlässe von überkantonaler Bedeutung im Zusammenhang mit der Covid-19-Epidemie (SR 818.101.28)

Covid-19Verordnung Zertifikate

Verordnung vom 4. Juni 2021 über Zertifikate zum Nachweis einer Covid-19-Impfung, einer Covid-19-Genesung oder eines Covid-19-Testergebnisses (SR 818.102.2)

CRIVE

Centre national de référence pour les infections virales émergentes (Nationales Referenzzentrum für neuauftretende Viruskrankheiten)

CT

Contact-Tracing

E+F

Fachstelle Evaluation und Forschung

EDI

Eidgenössisches Departement des Innern

EDK

Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren

EJPD

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement

EKP

Eidgenössische Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung

ElCom

Elektrizitätskommission

EnDK

Konferenz der kantonalen Energiedirektorinnen und direktoren

EpG

Bundesgesetz vom 28. September 2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz; SR 818.101)

EpV

Verordnung vom 29. April 2015 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemienverordnung; SR 818.101.1)

FDK

Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren

FinDel

Finanzdelegation der eidgenössischen Räte

FK

Finanzkommissionen der eidgenössischen Räte

GDK

Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren

GPK

Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte

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GPK-N

Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates

GPK-S

Geschäftsprüfungskommission des Ständerates

GS-EDI

Generalsekretariat des EDI

HZI

Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

Ip.

KAV

Interpellation Kantonsapothekervereinigung

KdK

Konferenz der Kantonsregierungen

KKJPD

Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren

KKPKS

Konferenz der kantonalen Polizeikommandantinnen und -kommandanten der Schweiz

KOr EpG

Koordinationsorgan Epidemiengesetz

KöV

Konferenz der kantonalen Verkehrsdirektorinnen und -direktoren

KSBC

Krisenstab des Bundesrates Corona

KSD

Koordinierter Sanitätsdienst

LeReg

Leistungserbringerregister

Mo.

Motion

NaDB

Nationale Datenbewirtschaftung

NGP

Nationale Gesundheitspolitik

OPK

Operativer Krisenstab

Pa. Iv.

Parlamentarische Initiative

Po.

Postulat

PSK

Politisch-Strategischer Krisenstab

RK MZF

Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr

RVOG

Gesetz vom 21. März 1997 über die Regierungs- und Verwaltungsorganisation (Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz; SR 172.010)

RVOV

Verordnung vom 25. November 1998 über die Regierungsund Verwaltungsorganisation (Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung; SR 172.010.1)

SGK

Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit der eidgenössischen Räte

SGK-N

Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates

SGK-S

Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates

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SORMAS

Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System

SPOC

Single Point of Contact

SRS

Systematische Sammlung des Bundesrechts

UVEK

Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation

VBS

Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport

VBSTB

Verordnung vom 2. März 2018 über den Bundesstab Bevölkerungsschutz (SR 520.17)

VDK

Konferenz der kantonalen Volkswirtschaftsdirektorinnen und -direktoren

VKS

Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte der Schweiz

VlG

Bundesgesetz vom 18. März 2005 über das Vernehmlassungsverfahren (Vernehmlassungsgesetz; SR 172.061)

VlV

Verordnung vom 17. August 2005 über das Vernehmlassungsverfahren (Vernehmlassungsverordnung; SR 172.061.1)

WBF

Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung

WHO

Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization)

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Anhang 1

Liste der angehörten Personen Anmerkung: Im Folgenden nennt die GPK-S alle Personen, die an Anhörungen zum Thema Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen teilnahmen. Es äusserten sich jedoch nicht alle dieser Personen aktiv zur Thematik.

Von der Subkommission EDI/UVEK der GPK-S angehörte Personen Berset, Alain

Bundesrat, Vorsteher des EDI

Bruhin, Lukas

Ehemaliger Generalsekretär des EDI (bis zum 31. März 2020)

Engelberger, Lukas

Regierungsrat (BS), Präsident der GDK (seit dem 1. Juni 2020)

Gresch, Lukas

Generalsekretär des EDI (seit dem 1. April 2020)

Jordi, Michael

Generalsekretär der GDK (bis Ende September 2023)

Kopp, Christine

Leiterin Taskforce Covid-19 des BAG (vom 1. Oktober 2020 bis zum 30. April 2023)

Kuster, Stefan

Ehemaliger Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten, BAG (vom 1. April 2020 bis zum 30. November 2020)

Lévy, Anne

Direktorin des BAG (seit dem 1. Oktober 2020)

Mathys, Patrick

Leiter der Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit, Abteilung Übertragbare Krankheiten im BAG / Fachberater im GS-EDI (Versetzung vom 7. Juni 2022 bis zum 30. September 2023)

Minger, Thomas

Stellvertretender Generalsekretär der KdK

Rathgeb, Christian

Regierungsrat (GR), Präsident der KdK (vom 1. Juni 2020 bis zum 31. Dezember 2022)

Ruiz, Rebecca

Regierungsrätin (VD), Vizepräsidentin der GDK (seit dem 1. Juni 2020)

Strupler, Pascal

Ehemaliger Direktor des BAG (bis zum 30. September 2020)

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Von der GPK-S und/oder der GPK-N an einer Plenarsitzung sowie von anderen Subkommissionen der GPK angehörte Personen Balthasar, Andreas

Senior Consultant, Büro Interface

Berset, Alain

Bundesrat, Vorsteher des EDI

Engelberger, Lukas

Regierungsrat (BS), Präsident der GDK (seit dem 1. Juni 2020)

Gresch, Lukas

Generalsekretär des EDI (seit dem 1. April 2020)

Lévy, Anne

Direktorin des BAG (seit dem 1. Oktober 2020)

Mathys, Patrick

Leiter der Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit, Abteilung Übertragbare Krankheiten im BAG / Fachberater im GS-EDI (Versetzung vom 7. Juni 2022 bis zum 30. September 2023)

Mayer, Roland

Generalsekretär der KdK

Minger, Thomas

Stellvertretender Generalsekretär der KdK

Parmelin, Guy

Bundesrat, Vorsteher des WBF, Bundespräsident 2021

Sommaruga, Simonetta

Bundesrätin, Vorsteherin des UVEK (bis zum 31. Dezember 2022), Bundespräsidentin 2020

Stocker, Ernst

Regierungsrat (ZH), Vizepräsident der KdK (bis zum 9. Februar 2023)

Die GPK-S führte im August 2020 mit einer Delegation des Regierungsrates und des Landrates des Kantons Basel-Landschaft (Anton Lauber, Kathrin Schweizer, Heinz Lerf und Elisabeth Heer Dietrich) ein Gespräch betreffend die Bewältigung der Covid-19-Pandemie. Die GPK-N führte im September 2020 mit einer Delegation des Regierungsrates des Kantons Bern (Christoph Ammann) ein Gespräch über dieselbe Thematik. Im Rahmen dieser Gespräche wurde die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bei der Bewältigung der Covid-19-Pandemie punktuell behandelt.

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Anhang 2

Parlamentarische Vorstösse zur Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der Covid-19-Pandemie Seit Beginn der Covid-19-Pandemie sind in den eidgenössischen Räten zahlreiche parlamentarische Vorstösse eingereicht worden, welche direkt oder indirekt die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen betreffen. Diese Vorstösse beziehen sich auf verschiedene Themen:

694 695 696 697

698 699

­

Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen, Funktionieren des Föderalismus in Krisenzeiten: Im Mai 2020 nahmen die eidgenössischen Räte zwei gleichlautende Motionen694 der SGK an, die den Bundesrat u. a. beauftragen, eine «ganzheitliche Überprüfung [...] der [...] Regierungsführung, speziell unter den Gesichtspunkten der staatspolitischen (insb. Föderalismus) und direktdemokratischen Eigenheiten der Schweiz», durchzuführen. Der Nationalrat nahm zudem im Dezember 2020 ein Postulat695 an, welches den Bundesrat beauftragt, die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen bei der Bewältigung der Covid19-Pandemie zu analysieren und mögliche gesetzliche Anpassungen im Hinblick auf die Bewältigung von zukünftigen Epidemien und Pandemien aufzuzeigen. Ferner verabschiedete der Nationalrat im März 2021 ein Postulat696, das den Bundesrat beauftragt, zu untersuchen, wie die föderalistischen Strukturen und Verfahren in der Covid-19-Krise funktionierten und welche Verbesserungen im Hinblick auf die Bekämpfung von Epidemien, aber auch von anderen landesweiten Krisen angezeigt sind (siehe dazu Kap. 7.4). Darüber hinaus wurden verschiedene Interpellationen697 zu diesem Thema eingereicht.

­

Einbezug der Kantone in die Krisenorganisation: Die GPK reichten im Rahmen ihres Berichts über die Krisenorganisation des Bundes für den Umgang mit der Covid-19-Pandemie698 zwei gleichlautende Postulate699 ein, welche den Bundesrat beauftragen, eine Gesamtbilanz der Krisenorganisation des Bundes zu ziehen. In diesem Zusammenhang wird der Bundesrat gebeten, u. a. zu prüfen, wie die Kantone in die Krisenorganisation des Bundes einbeMo. SGK-S und SGK-N «Für eine risikobasierte Präventions- und Krisenstrategie zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten» vom 29.4.2020 (20.3162 und 20.3165).

Po. Fischer Roland «Anwendung der NFA-Grundsätze bei der Bewältigung von Epidemien und Pandemien» vom 24.9.2020 (20.4153).

Po. Cottier «Föderalismus im Krisentest. Die Lehren aus der Covid-19-Krise ziehen» vom 16.12.2020 (20.4522).

Z. B.: Ip. Egger Mike «Verzögert der Bundesrat die Aufgabenentflechtung zwischen Bund und Kantonen?» vom 4.5.2021 (21.3507), Ip. Markwalder Christa «Kohärenz und gesunder Menschenverstand im Pandemie-Management?» vom 4.5.2021 (21.3496), Ip. Bäumle «Strategie und Massnahmen zum Schutz des Menschen durch Verhütung und Bekämpfung von Sars-CoV-2» vom 25.9.2020 (20.4204).

Krisenorganisation des Bundes für den Umgang mit der Covid-19-Pandemie (Januar bis Juni 2020), Bericht der GPK vom 17.5.2022 (BBl 2022 1801).

Po. GPK-N und GPK-S «Gesamtbilanz und Revision der Krisenorganisation des Bundes anhand der Lehren aus der Covid-19-Krise» vom 17.5.2022 (22.3508 und 22.3509).

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zogen werden sollen. Die beiden Räte nahmen diese Postulate im September 2022 an. Der Nationalrat verabschiedete im Juni 2021 ein Postulat700, welches den Bundesrat beauftragt, die Rolle des BSTB in der Pandemie zu evaluieren, und im Juni 2022 ein weiteres Postulat701, das verlangt, die «Schaffung eines Kompetenzzentrums zu prüfen, das aus einem festen Pool von Expertinnen und Experten besteht» und ermöglicht, insbesondere dank der Zusammenarbeit mit den Kantonen Krisen zu antizipieren. Ferner ist im Nationalrat eine Motion702 hängig, wonach ein nationales Pandemie-Frühwarnsystem geschaffen werden soll, das u. a. dazu dienen soll, Bund und Kantone frühzeitig zu benachrichtigen. Zu guter Letzt lehnte der Ständerat im September 2020 ein Postulat703 betreffend die Schaffung eines permanenten operativen Bundesführungsstabs ab.

700 701 702 703 704 705 706

­

Gesundheitsmassnahmen während der Pandemie: Der Ständerat nahm im September 2023 ein Postulat704 an, welches verlangt, die in der Pandemie ergriffenen Gesundheitsmassnahmen von einer unabhängigen Expertengruppe überprüfen zu lassen und gestützt auf deren Erkenntnisse Handlungsgrundsätze für den zukünftigen Umgang mit Pandemien zu erarbeiten.

­

Pandemieplan: Im September 2020 und März 2021 nahmen die eidgenössischen Räte zwei gleichlautende Motionen705 an, die den Bundesrat u. a. beauftragen, den Pandemieplan dahingehend zu überarbeiten, dass die Verantwortlichkeiten und die Durchsetzung gewährleistet sind.

­

Spitalkapazitäten, Gesundheitspersonal, Pandemiekosten: Zu diesen Themen wurden zahlreiche Vorstösse eingereicht. Diese beziehen sich insbesondere auf die Auslastung und das Monitoring der Spitalkapazitäten (vor allem der Kapazitätender Intensivstationen) sowie auf den Pflegepersonalmangel in der Krise und die Massnahmen zu dessen Behebung.706 Auch die Übernahme der durch Covid-19 entstandenen Gesundheitskosten ist Gegenstand mehrerer

Po. FDP-Liberale Fraktion «Rolle des Bundesstabes für Bevölkerungsschutz im Rahmen der Covid-19-Pandemie» vom 17.3.2021 (21.3205).

Po. de Quattro «Ein Kompetenzzentrum für die Zeit nach Covid-19» vom 8.6.2020 (20.3542).

Mo. Wettstein «Schaffung eines nationalen Pandemie-Frühwarnsystems» vom 7.6.2021 (21.3647).

Po. Burkart «Gewappnet für alle Formen von Krisen. Permanenter operativer Bundesführungsstab» vom 2.6.2020 (20.3478).

Po. Noser «Unabhängige Aufarbeitung der Corona-Krise nach Public Health. Grundsätzen» vom 13.6.2023 (23.3675).

Mo. Die Mitte-Fraktion und Ettlin «Lehren aus der Covid-19-Pandemie für das Schweizer Gesundheitssystem ziehen» vom 4.5.2020 und vom 5.5.2020 (20.3263 und 20.3282).

Siehe insbesondere Mo. SGK-S und SGK-N «Für eine risikobasierte Präventions- und Krisenstrategie zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten» vom 29.4.2020 (20.3162 und 20.3165), Mo. Die Mitte-Fraktion und Ettlin «Lehren aus der Covid-19-Pandemie für das Schweizer Gesundheitssystem ziehen» vom 4.5.2020 und vom 5.5.2020 (20.3263 und 20.3282), Ip. Bulliard-Marbach «Kapazitäten der Intensivstationen an Schweizer Spitälern» vom 30.9.2021 (21.4276), Ip. Grünliberale Fraktion «Medizinische Versorgung und Pflegequalität auch in Krisen» vom 15.9.2021 (21.4007).

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Vorstösse707, darunter eines Postulats der SGK des Ständerates (SGK-S)708, das vom Ständerat im Mai 2020 angenommen wurde und den Bundesrat beauftragt, einen Bericht über die Auswirkungen der Gesundheitskosten der Pandemie auf die Kostenträger vorzulegen.

Verschiedene weitere parlamentarische Vorstösse mit Bezug zur Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen wurden in der Krise eingereicht. Diese betreffen u. a.

das Management der Impfkampagne durch die Kantone709, die Unterstützung der Kantone durch die Armee und den Zivildienst in der Pandemie710 oder die Bevorratung medizinischer Güter in den Kantonen711.

707

708 709

710

711

Die Mo. Herzog «Lücken im Epidemiengesetz schliessen» vom 19.3.2021 (21.3377) wurde im März 2023 abgeschrieben. Die Mo. Wehrli «Zeit nach Covid-19. Im Hinblick auf künftige Pandemien muss die Entschädigung von deren wirtschaftlichen Auswirkungen auf ambulante und stationäre Pflege- und Betreuungsleistungen im Gesetz verankert werden» vom 21.9.2020 (20.4027) wurde im September 2022 zurückgezogen. Die Mo.

SGK-N «Rasche Einigung bei der Kostenübernahme» vom 14.5.2020 (20.3457) wurde vom Nationalrat angenommen, aber vom Ständerat abgelehnt und ist somit erledigt.

Po. SGK-S «Auswirkungen der Gesundheitskosten der Pandemie auf die verschiedenen Kostenträger klären» vom 21.4.2020 (20.3135).

Siehe insbesondere Mo. Romano «Gemeinsam mit den Kantonen die Impfkampagne beschleunigen und die Digitalisierung vorantreiben» vom 18.3.2021 (21.3269, im März 2023 zurückgezogen), Ip. Farinelli «Covid-19 und Verteilung des Impfstoffs. Wäre nicht eine gesamtschweizerische Lösung besser?» vom 17.12.2020 (20.4612).

Siehe insbesondere Mo. Salzmann «Massnahmenpaket zur Entlastung der zivilen medizinischen Dienste während einer Pandemie erarbeiten» vom 13.12.2021 (21.4419, vom Ständerat im März 2022 angenommen), Ip. Roth Franziska «Einsatz des Zivildienstes in der Covid-19-Notlage» vom 4.5.2020 (20.3261).

Siehe insbesondere Ip. Herzog «Mangelhafte Vorbereitung und Bewältigung trotz eidgenössischer Pandemiekommission, neu überarbeitetem Pandemieplan und frühzeitigen Alarmsignalen aus China» vom 5.5.2020 (20.3274), Ip. FDP-Liberale Fraktion «Covid-19. Überprüfung der Pflichtlager» vom 4.5.2020 (20.3238).

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Anhang 3

Übersicht über die Kontakte zwischen dem EDI und den Kantonen in den zwei ersten Pandemiephasen (Auszug aus dem Brief des EDI an die Subkommission EDI/UVEK der GPK-S vom 14 Juni 2021)

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Anhang 4

Übersicht über die Empfehlungen und Postulate der GPK-S Empfehlung 1

Einbezug der Kantone in die Krisenorganisation des Bundes klären

Der Bundesrat wird ersucht, die in seinem Bericht vom März 2023 angekündigten Grundsätze zum Einbezug der Kantone in die Krisenorganisation des Bundes zu konkretisieren. Insbesondere wird er gebeten, in Absprache mit den Kantonen zu klären, wie die Kantone in die eidgenössischen Stäbe einzubeziehen sind, und die entsprechenden Regeln auf Verordnungs- oder Weisungsstufe festzulegen.

Der Bundesrat wird zudem eingeladen, zu klären, wie die Kantone in die von den Ämtern eingerichteten «Fachkrisenstäbe» einzubeziehen sind, und die Leitlinien für einen solchen Einbezug festzulegen.

Empfehlung 2

Bestimmung und Bekanntgabe der Kontaktstellen bzw.

Ansprechpersonen im Krisenfall sicherstellen

Der Bundesrat wird ersucht, sicherzustellen, dass beim Auftreten einer Krise die relevanten Kontaktstellen bzw. Ansprechpersonen für jeden Themenbereich bestimmt werden und die entsprechenden Informationen allen Beteiligten zugänglich gemacht werden. Digitale Lösungen sind zu prüfen.

Empfehlung 3

In Krisenzeiten regelmässige institutionalisierte Treffen zwischen Bund und Kantonen einführen

Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, ob in Krisenzeiten regelmässige institutionalisierte Treffen zwischen dem Bundesratskollegium und den Kantonen eingeführt werden sollten, und zwar in Form einer transversalen Plattform für den Austausch auf der politischen Ebene. In diesem Zusammenhang ersucht sie den Bundesrat, insbesondere über die Rolle und die Tätigkeit des Föderalistischen Dialogs in Krisenzeiten nachzudenken.

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Empfehlung 4

Die Zusammenarbeit zwischen den Departementen und den interkantonalen Konferenzen im Krisenfall regeln

Der Bundesrat wird ersucht, dafür zu sorgen, dass das EDI mit der GDK eine Vereinbarung ausarbeitet, welche die Einzelheiten ihrer Zusammenarbeit während einer Pandemie auf der Grundlage des Strategiepapiers vom Oktober 2020 regelt.

Der Bundesrat wird zudem aufgefordert, zu prüfen, in welchen anderen Bereichen die eidgenössischen Departemente mit den entsprechenden kantonalen Konferenzen ähnliche Vereinbarungen zu ihrer Zusammenarbeit in Krisenzeiten abschliessen sollten. Solche Vereinbarungen sollten insbesondere in Bereichen abgeschlossen werden, die potenziell anfällig für schwere Krisen sind.

Empfehlung 5

Rolle und Aufgaben des KOr EpG klären

Der Bundesrat wird ersucht, bei der Revision des EpG zu prüfen, wie die Rolle und die Aufgaben des in Artikel 54 vorgesehenen Koordinationsorgans während einer Pandemie künftig aussehen sollen.

Empfehlung 6

Den Prozess für den Einbezug der Kantone beim Wechsel zwischen den verschiedenen Lagen näher regeln

Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, ob der Prozess für den Einbezug der Kantone beim Übergang zur besonderen Lage im Sinne von Artikel 6 EpG sowie zur ausserordentlichen Lage im Sinne von Artikel 7 EpG im Hinblick auf eine bessere Krisenbewältigung näher geregelt werden sollte.

In Bezug auf den Übergang zur besonderen Lage sind insbesondere die folgenden Fälle zu berücksichtigen: ­ Ausrufung der besonderen Lage zu Beginn der Pandemie; ­ Rückkehr zur besonderen Lage nach einer ausserordentlichen Lage; ­ erneute Ausrufung der besonderen Lage nach einem Wiederaufflammen der Pandemie.

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Empfehlung 7

Die Zuständigkeiten von Bund und Kantonen in der ausserordentlichen Lage abgrenzen und die «Ausnahmeklausel» institutionalisieren

Der Bundesrat wird ersucht, ausgehend vom Beispiel von Artikel 7e der Covid19-Verordnung 2, der am 27. März 2020 verabschiedet wurde, zu prüfen, ob Artikel 7 EpG («Ausserordentliche Lage») dahingehend präzisiert werden sollte, dass: ­ eine generell-abstrakte Abgrenzung zwischen kantonaler und Bundeszuständigkeit in der ausserordentlichen Lage in das Gesetz aufgenommen wird; ­ die Option einer «Klausel für kantonale Ausnahmen» in das Gesetz aufgenommen wird.

Empfehlung 8

Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in der besonderen Lage klären

1. Der Bundesrat wird ersucht, in Zusammenarbeit mit den Kantonen zu klären, wie in der besonderen Lage im Sinne des EpG die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten von Bund und Kantonen für das Ergreifen von Massnahmen zur Pandemiebekämpfung verteilt sein sollen. In diesem Zusammenhang wird der Bundesrat insbesondere eingeladen: ­ die Massnahmen festzulegen, die ­ je nach Szenario der Pandemieentwicklung ­ vorwiegend in die Zuständigkeit der Kantone fallen; ­ die Möglichkeiten für punktuelle Interventionen des Bundes bei den Kantonen, insbesondere für den Erlass von Weisungen und Empfehlungen, zu klären; ­ die Kriterien für das Ergreifen von Massnahmen auf nationaler Ebene durch den Bundesrat zu klären.

2. Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, welche Massnahmen erforderlich sind, um eine koordinierte strategische Führung von Bund und Kantonen in der besonderen Lage zu gewährleisten.

3. Der Bundesrat wird aufgefordert, das Resultat seiner Abklärungen zu Punkt 1 und 2 im EpG, im Pandemieplan und/oder in Vereinbarungen mit den Kantonen soweit sinnvoll zu verankern und für die Etablierung der entsprechenden Prozesse zu sorgen. Er wird zudem ersucht, im EpG festzulegen, welche Organe oder Plattformen für die Koordination der strategischen Führung in der besonderen Lage zuständig sind.

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Empfehlung 9

Die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten von Bund und Kantonen in der normalen Lage nach einer Pandemie klären

Der Bundesrat wird ersucht, in Zusammenarbeit mit den Kantonen zu klären, wie die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten in der normalen Lage verteilt sein sollen, wenn diese auf eine besondere Lage folgt.

Ferner wird der Bundesrat aufgefordert, die Kriterien genauer festzulegen, die nach einem Wiederanstieg der Fallzahlen eine Rückkehr zur besonderen Lage rechtfertigen.

Zu guter Letzt wird der Bundesrat eingeladen, zu prüfen, ob es sinnvoll wäre, im EpG eine zusätzliche Lage zu definieren, um die auf die besondere Lage folgende Zeit des Übergangs zur Normalität gesondert zu regeln.

Empfehlung 10 Konsultation der Kantone in Krisenzeiten verbessern 1. Der Bundesrat wird ersucht, abzuklären, welche Optionen bestehen, um die Kantone in der ausserordentlichen Lage im Sinne des EpG besser an der Ausarbeitung von schweizweiten Massnahmen zur Bekämpfung von Pandemien zu beteiligen.

2. Der Bundesrat wird zudem eingeladen, gemeinsam mit den Kantonen allgemeine Kriterien festzulegen, anhand deren bestimmt werden kann, welche Fristen in der besonderen Lage im Sinne des EpG für die Konsultation zu schweizweiten Massnahmen zur Bekämpfung von Pandemien gelten. Der Ablauf des Konsultationsverfahrens ist unter Berücksichtigung der Anforderungen an die Vertraulichkeit klar zu regeln.

3. Der Bundesrat wird ausserdem eingeladen, gemeinsam mit den Kantonen zu prüfen, in welchen Fällen die Kantone in einer Krise über die interkantonalen Konferenzen konsultiert werden können.

4. Ausgehend von diesen Überlegungen wird der Bundesrat aufgefordert, zu prüfen, ob das VlG und die VlV (in Sachen Konsultation in Krisenzeiten im Allgemeinen) oder das EpG und die EpV (in Sachen Konsultation in einer Pandemie) der Präzisierung bedürfen.

Empfehlung 11 Die Kantone in Krisenzeiten besser über schweizweite Massnahmen informieren Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, welche Massnahmen in Anwendung der Maxime 4 aus dem Bericht der BK vom Dezember 2020 ergriffen werden können, um die Kantone und andere Akteure in Krisenzeiten besser über schweizweite Massnahmen zu informieren. Er wird ersucht, die entsprechenden Prozesse auf Gesetzes- oder Weisungsebene zu formalisieren.

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Empfehlung 12 Bilanz ziehen über die Weisungen und Empfehlungen des BAG zuhanden der Kantone Der Bundesrat wird ersucht, sicherzustellen, dass das BAG eine allgemeine Bilanz über die Gesundheitsweisungen und -empfehlungen zieht, die es in der Covid-19Pandemie an die Kantone gerichtet hat, namentlich über deren Kohärenz und die angemessene Umsetzung durch die Kantone. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Bilanz sind Prozesse und Vorlagen für allfällige künftige Pandemien auszuarbeiten.

Empfehlung 13 Das Verbot nicht dringender Eingriffe klarer regeln und die Aufrechterhaltung der Regelversorgung in einer Pandemie gewährleisten Der Bundesrat wird ersucht, im EpG die Modalitäten eines Verbots nicht dringender medizinischer Eingriffe zu regeln. Zudem ist zu prüfen, ob es nicht verbindlichere Kriterien für die Auslegung des Begriffs «nicht dringender Eingriff» braucht.

Der Bundesrat wird zudem ersucht, dafür zu sorgen, dass das BAG die bewährten kantonalen Praktiken beim Management der Regelversorgung in der Pandemie sammelt und auf deren Grundlage die Rechtsgrundlagen und der einschlägigen Vorgaben anpasst.

Postulat 1

Allgemeine Bilanz ziehen über den Einsatz der Armee und des Zivilschutzes zur Unterstützung der Kantone in der Covid-19-Pandemie

Der Bundesrat wird ersucht, eine allgemeine und vertiefte Bilanz über den Einsatz der Armee und des Zivilschutzes zur Unterstützung des kantonalen Vollzugs in der Covid-19-Pandemie zu ziehen.

1. Der Bundesrat wird ersucht, die von Armee und Zivilschutz für die Kantone übernommenen Aufgaben und erbrachten Leistungen zu analysieren und im Hinblick auf die Finanzen, die Personalressourcen und die Logistik über diesen Einsatz Bilanz zu ziehen.

2. Der Bundesrat wird zudem ersucht, zu evaluieren, ob die verwaltungsinternen Prozesse für eine solche Mobilisierung von Armee und Zivilschutz angemessen sind.

3. Der Bundesrat wird ausserdem ersucht, im Hinblick auf künftige Krisen grösseren Ausmasses darzulegen, welche Lehren aus diesem Fall für die Unterstützung der Kantone durch Armee und Zivilschutz gezogen werden können.

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Postulat 2

Allgemeine Bilanz ziehen über das Contact-Tracing in der Covid-19-Pandemie

Der Bundesrat wird ersucht, gemeinsam mit den Kantonen eine allgemeine Bilanz über das Contact-Tracing in der Covid-19-Pandemie zu ziehen.

1. Er wird ersucht, die Durchführung des Contact-Tracings in den Kantonen zu analysieren, um herauszufinden, welche Praktiken sich in der Pandemie bewährt haben, wo Schwächen bestanden und worin die grössten Herausforderungen lagen.

2. Er wird zudem ersucht, die wichtigsten Massnahmen des Bundes zur Unterstützung des kantonalen Contact-Tracings zu evaluieren und zu bestimmen, ob diese Massnahmen fest zu verankern sind.

3. Er wird ausserdem ersucht, gemeinsam mit den Kantonen die Schaffung harmonisierter Informatiksysteme und einer gemeinsamen Datenbank für das Contact-Tracing zu prüfen.

4. Er wird ferner ersucht, gemeinsam mit den Kantonen zu prüfen, welche Strukturen es für ein kantonsübergreifendes Contact-Tracing braucht (z.B. Kompetenzzentrum für Contact-Tracing) und ob die Koordination durch die Kantone allein oder durch Bund und Kantone gemeinsam erfolgen sollte.

5. Der Bundesrat wird schliesslich ersucht, auf der Grundlage dieser Abklärungen die erforderlichen Änderungen des EpG, des Pandemieplans und der anderen einschlägigen Dokumente in die Wege zu leiten.

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