BBl 2023 www.fedlex.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

23.084 Botschaft zur Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (Entschädigungssystem der Arbeitslosenkassen) vom 29. November 2023

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (Entschädigungssystem der Arbeitslosenkassen).

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2021

M 20.3665

Transparenz bei den Arbeitslosenkassen (S 24.9.2020, Müller Damian; N 4.3.2021)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

29. November 2023

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2023-3479

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Übersicht Mit der vorliegenden Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) wird in Erfüllung der Motion 20.3665 Müller Damian Transparenz bei den Arbeitslosenkassen (ALK) hergestellt. Die Teilrevision umfasst neben formellen auch materielle Anpassungen, insbesondere eine Erweiterung der Möglichkeit der Teilnahme an Berufspraktika sowie der Grundlagen für den Datenaustausch.

Ausgangslage Am 4. März 2021 hat der Nationalrat dem Bundesrat die Motion 20.3665 Müller Damian «Transparenz bei den Arbeitslosenkassen» überwiesen. Die Motion beauftragt den Bundesrat, die gesetzlichen Grundlagen für die Entschädigung der Verwaltungskosten der ALK zu überprüfen und anzupassen, um mehr Transparenz und Kosteneffizienz herzustellen.

Mit der vorliegenden Teilrevision wird den Anliegen der Motion Rechnung getragen.

Der Bundesrat nimmt zugleich die Gelegenheit wahr, weitere Anpassungen im AVIG vorzunehmen. Neben der Erweiterung der Möglichkeit der Teilnahme an Berufspraktika wird die Interoperabilität zwischen den von der Ausgleichsstelle der Arbeitslosenversicherung (ALV) betriebenen Informationssystemen ermöglicht, das Recht zur Bekanntgabe von Daten an die kantonalen Fachstellen für die Inkassohilfe wird verankert, und es werden notwendige sprachliche und formelle Anpassungen und Präzisierungen vorgenommen.

Inhalt der Vorlage Die Motion Müller Damian beinhaltet vier Aufträge. Mit der vorliegenden Vorlage werden die ersten drei Aufträge durch zwei Anpassungen im AVIG umgesetzt. Zum einen wird im Gesetz die Entschädigung der Verwaltungskosten anhand eines BonusMalus-Systems festgeschrieben. Dadurch wird das System der Pauschalentschädigung abgeschafft und die Basis gelegt, um auf Verordnungsstufe eine Regelung mit einem Entschädigungssystem einzuführen, das die geforderten Anreize zur kosteneffizienten Leistungserbringung schafft. Zum anderen wird die Veröffentlichung der jährlichen Kennzahlen betreffend die Verwaltungskosten der ALK als zusätzliche Aufgabe der Ausgleichsstelle der ALV gesetzlich verankert, um die von der Motion geforderte Transparenz zu erlangen.

Der vierte Auftrag fordert die Aufhebung der bisherigen Möglichkeit der ALK, ihr Tätigkeitsgebiet zu beschränken. Der Bundesrat sieht jedoch ein grosses Risiko, dass sich die Umsetzung dieses Auftrags negativ auf die Kosteneffizienz der
ALK auswirkt und damit dem Ziel der Motion zuwiderläuft. Nebst der Variante, welche diesen Auftrag umsetzt, gab er deshalb eine zweite Variante in die Vernehmlassung, welche auf diesbezügliche Änderungen verzichtet. Da sich eine sehr deutliche Mehrheit der Rückmeldungen für diese zweite Variante aussprach, wird in der Vorlage auf Änderungen betreffend den Tätigkeitsbereich der ALK verzichtet.

Nebst der Umsetzung der Motion Müller Damian beinhaltet die Vorlage weitere Gesetzesanpassungen. Einerseits soll die Möglichkeit zur Teilnahme an Berufsprak-

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tika für junge Erwachsene während der besonderen Wartezeit von 120 Tagen erweitert werden, indem der Zugang zu Berufspraktika nicht mehr nur bei hoher Arbeitslosigkeit möglich ist. So kann der Eintritt in den Arbeitsmarkt nach einer schulischen (Berufs-)Ausbildung angemessen unterstützt werden. Andererseits sieht der Entwurf zwei Gesetzesanpassungen vor, welche die Interoperabilität zwischen den von der Ausgleichsstelle der ALV betriebenen Informationssystemen ermöglichen. Im Weiteren wird das Recht zur Bekanntgabe von Daten an die kantonalen Fachstellen für die Inkassohilfe im AVIG verankert, damit im Rahmen von familienrechtlichen Unterhaltsansprüchen im Einzelfall Informationen bekannt gegeben werden können. Zusätzlich werden notwendige Präzisierungen sowie sprachliche und formelle Anpassungen vorgenommen.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

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2

3

Ausgangslage 1.1 Handlungsbedarf und Ziele 1.1.1 Parlamentarischer Auftrag 1.1.2 Aktuelle Kassenlandschaft und Entschädigungspraxis 1.1.3 Ungenügende Rechtsgrundlagen 1.2 Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung 1.2.1 Entschädigungssystem der Arbeitslosenkassen 1.2.2 Optimierung des Zugangs junger Erwachsener zu Berufspraktika 1.2.3 Weitere Anpassungen 1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates 1.4 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

11 12 12 12

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren 2.1 Vernehmlassungsvorlage 2.2 Zusammenfassung der Ergebnisse der Vernehmlassung 2.2.1 Entschädigungssystem der Arbeitslosenkassen 2.2.2 Optimierung des Zugangs junger Erwachsener zu Berufspraktika 2.2.3 Interoperabilität der Informationssysteme 2.2.4 Datenbekanntgabe 2.2.5 Artikel 27 Absatz 5 2.2.6 Präzisierungen und sprachliche und formelle Anpassungen 2.2.7 Änderung anderer Erlasse 2.2.8 Weitere Anpassungen 2.2.9 Stellungnahme der Aufsichtskommission für den Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung 2.3 Würdigung der Ergebnisse der Vernehmlassung 2.3.1 Entschädigungssystem der Arbeitslosenkassen 2.3.2 Optimierung des Zugangs junger Erwachsener zu Berufspraktika 2.3.3 Interoperabilität der Informationssysteme 2.3.4 Datenbekanntgabe 2.3.5 Artikel 27 Absatz 5 2.3.6 Präzisierungen sowie sprachliche und formelle Anpassungen 2.3.7 Änderung anderer Erlasse 2.3.8 Weitere Anträge

13 13 13 13

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

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4

Grundzüge der Vorlage 4.1 Die beantragte Neuregelung 4.1.1 Entschädigungssystem der Arbeitslosenkassen 4.1.2 Optimierung des Zugangs junger Erwachsener zu Berufspraktika 4.1.3 Interoperabilität der Informationssysteme 4.1.4 Datenbekanntgabe 4.1.5 Präzisierungen und sprachliche und formelle Anpassungen 4.2 Abstimmung von Aufgaben und Finanzen 4.3 Umsetzungsfragen

18 18 18

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 5.1 Arbeitslosenversicherungsgesetz 5.2 Arbeitsvermittlungsgesetz

21 21 25

6

Auswirkungen 6.1 Auswirkungen auf den Bund 6.2 Auswirkungen auf den Ausgleichsfonds der ALV 6.3 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete 6.4 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 6.5 Auswirkungen auf die Gesellschaft 6.6 Auswirkungen auf die Umwelt 6.7 Andere Auswirkungen

26 26 27

Rechtliche Aspekte 7.1 Verfassungsmässigkeit 7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 7.3 Erlassform 7.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse und Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes 7.5 Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz 7.6 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 7.7 Datenschutz

29 29 30 31

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Anhänge 1 Marktanteile ALE nach Wohnkanton und ALK 2021 2 Übersichtstabelle über die verwendeten Daten

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Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (Arbeitslosenversicherungsgesetz, AVIG) (Entschädigungssystem der Arbeitslosenkassen) (Entwurf) BBl 2023 2863

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

1.1.1

Parlamentarischer Auftrag

Am 4. März 2021 hat der Nationalrat dem Bundesrat die Motion Müller Damian 20.3665 «Transparenz bei den Arbeitslosenkassen» überwiesen. Die Motion beauftragt den Bundesrat, die gesetzlichen Grundlagen für die Entschädigung der Verwaltungskosten der Arbeitslosenkassen (ALK) zu prüfen und anzupassen, um mehr Transparenz und Effizienz herzustellen. Die Motion beinhaltet zusammengefasst die folgenden vier Aufträge: 1.

Einführung von bewährten Benchmarking-Methoden hinsichtlich Einnahmen, Leistungen, Verrechnung, Mittelverwendung und Effizienz; die ALK müssen die dazu nötigen Daten dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) bekanntgeben; das SECO veröffentlicht jährlich die Benchmarking-Ergebnisse, die jeder ALK eindeutig zugeordnet werden können;

2.

Anpassung des Bonus-Malus-Systems, sodass sehr effiziente ALK belohnt und sehr ineffiziente effektiv sanktioniert werden;

3.

Abschaffung der Pauschalvergütung in künftigen Leistungsvereinbarungen zwischen dem Bund und den Trägern der ALK;

4.

Verbot, den Tätigkeitsbereich der ALK auf ein bestimmtes Gebiet oder einen bestimmten Personen- oder Berufskreis zu beschränken.

1.1.2

Aktuelle Kassenlandschaft und Entschädigungspraxis

Zurzeit sind in der Schweiz 32 ALK tätig. Zu den wichtigsten Aufgaben zählen die Abklärung der Anspruchsberechtigung für finanzielle Leistungen der Arbeitslosenversicherung (ALV) und die Auszahlung solcher Leistungen, wie beispielweise die Arbeitslosenentschädigung (ALE) oder die Kurzarbeitsentschädigung (KAE). Jeder Kanton betreibt eine ALK, wobei die Kantone Nid- und Obwalden eine gemeinsame ALK führen. Zudem sind sieben private ALK anerkannt, sechs davon werden von Gewerkschaften und eine von einer Arbeitgeberorganisation geführt. In Tabelle 1 im Anhang wird ein Überblick über die Marktanteile jeder ALK bei den Auszahlungen von ALE nach Wohnkanton der Personen, die im Jahr 2021 Taggelder bezogen haben, gegeben.

Die Verwaltungskosten, die den ALK durch den Vollzug ihrer Aufgaben im Rahmen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes vom 25. Juni 19821 (AVIG) entstehen, werden 1

SR 837.0

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durch den Ausgleichsfonds der ALV entschädigt. Das dabei angewendete System ist vergleichbar mit dem Taxpunkte-System im Gesundheitswesen. Für jeden Geschäftsvorfall (z. B. erledigte Anträge auf ALE oder erledigte Monatsabrechnungen in einem bestimmten Zeitraum) wird eine festgelegte Anzahl Leistungspunkte verbucht, welche sich nach dem durchschnittlichen Aufwand für den jeweiligen Geschäftsvorfall richtet. Gegenwärtig können die Träger der ALK zwischen zwei Entschädigungssystemen wählen: der pauschalen Entschädigung und der Entschädigung der effektiven Kosten. Bei der Pauschalentschädigung erhält der Kassenträger pro Leistungspunkt einen festgelegten Betrag, unabhängig von den effektiven Kosten. Allfällige Überschüsse oder Defizite gehen somit zugunsten oder zulasten des Kassenträgers. Werden hingegen die effektiven Kosten entschädigt, folgt die Entschädigung einem BonusMalus-System. Dem Kassenträger wird ein Zuschlag (Bonus) zur Entschädigung vergütet, wenn die ALK überdurchschnittlich effizient arbeitet und die tatsächlichen Kosten pro Leistungspunkt unter dem festgelegten Betrag liegen. Erweist sich die ALK hingegen als unterdurchschnittlich effizient und liegen die tatsächlichen Kosten um mehr als 20 Prozent über dem festgelegten Betrag pro Leistungspunkt, wird dem Kassenträger ein Abzug (Malus) verrechnet. Das System der Pauschalentschädigung kam von 2020 bis 2022 nur noch bei einer von 32 ALK zur Anwendung. Seit 2023 haben alle ALK die Entschädigung der effektiven Kosten gewählt.

Das geltende Entschädigungssystem wird jeweils in einer Vereinbarung zwischen dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) und den jeweiligen Kassenträgern festgelegt. Diese gelten für eine Dauer von fünf Jahren und haben zum Ziel, Anreize für einen kosteneffizienten und qualitativ hochwertigen Vollzug zu schaffen. Wird die Vereinbarung von einem Träger nicht unterzeichnet, so wird die Vergütung seiner anrechenbaren Kosten (ohne Bonus) aufgrund der erzielten Leistung festgelegt. Die Bemessung der Leistungsindikatoren erfolgt dabei analog der Vereinbarung, die das WBF mit den anderen Kassenträgern abgeschlossen hat (Art. 122b der Arbeitslosenversicherungsverordnung vom 31. August 19832 [AVIV]).

1.1.3

Ungenügende Rechtsgrundlagen

Wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil B-3132/2010 vom 19. August 2015 bezüglich einer Malusforderung zulasten eines Trägers einer ALK bereits aufzeigte, besteht ein bedeutender Handlungsbedarf bei den gesetzlichen Grundlagen für das Bonus-Malus-System. Insbesondere sind die Folgen für den Fall, dass keine Vereinbarung zustande kommt, rechtlich ungenügend geregelt. Für eine effektive Sanktionierung von sehr ineffizienten oder nicht kooperativen ALK, wie sie die Motion Müller fordert, stellen die Vereinbarungen allein keine genügende und wirksame Rechtsgrundlage dar.

Mit der vorliegenden Teilrevision sollen die Kernpunkte des Entschädigungssystems, die bislang vor allem auf Stufe Vereinbarung festgelegt waren, rechtsgenüglich verankert werden. Gleichzeitig können die Aufträge der Motion Müller hinsichtlich einer 2

SR 837.02

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Transparenz- und Effizienzsteigerung in Bezug auf das Entschädigungssystem der ALK umgesetzt werden.

1.2

Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung

1.2.1

Entschädigungssystem der Arbeitslosenkassen

Die ersten drei Aufträge der Motion Müller Damian sind klar umrissen und schränken den Interpretations- und Handlungsspielraum für alternative Umsetzungsvarianten ein.

Der erste Auftrag der Motion kann grundsätzlich bereits im Rahmen des geltenden Gesetzes erfüllt werden. So werden Benchmarking-Methoden im Rahmen der ALV bereits angewendet. Bei der Abrechnung der effektiven Verwaltungskosten verfügt die Ausgleichsstelle der ALV über alle vom Motionär geforderten BenchmarkingKennzahlen. Bei der (zukünftig nicht mehr vorgesehenen) Pauschalabrechnung müssen die effektiven Kosten bereits jetzt offengelegt werden. Eine erste Veröffentlichung der Kennzahlen betreffend die Ergebnisse der Kassenträger erfolgte im Juni 2022 mit deren Publikation im «Tätigkeitsbericht Arbeitsmarkt/Arbeitslosenversicherung 2021»3. Um die Umsetzung dieses ersten Auftrags der Motion Müller im Gesetz zu verankern und diesbezügliche Rechtsklarheit zu schaffen, wird mit der vorliegenden Teilrevision des AVIG die jährliche Publikation der Kennzahlen als zusätzliche Aufgabe der Ausgleichsstelle der ALV im Gesetz festgehalten.

Für die Umsetzung des zweiten Auftrags drängt sich eine Gesetzesanpassung auf. Wie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts B- 3132/2010 aufgezeigt hat, braucht das Bonus-Malus-System eine bessere rechtliche Grundlage. Vor diesem Hintergrund hat das SECO ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Dieses empfiehlt, das Bonus-Malus-System auf Stufe Gesetz als Entschädigungssystem für die Verwaltungskosten der ALK festzulegen. Die Konkretisierung des Entschädigungssystems sei auf Verordnungsstufe vorzunehmen. Mit der gesetzlichen Verankerung eines Bonus-Malus-Systems sind gleichzeitig andere Entschädigungssysteme ­ insbesondere die Pauschalentschädigung ­ ausgeschlossen. Damit wird zugleich der dritte Auftrag der Motion Müller auf Gesetzesebene umgesetzt. Bereits ab 2024 enthält die Vereinbarung keine Möglichkeit zur Pauschalabrechnung mehr.

Der vierte Auftrag der Motion Müller hat als einziger keinen Bezug zum Entschädigungssystem betreffend die Verwaltungskosten der ALK. Es ist unklar, inwiefern die Umsetzung dieses Auftrags zur Transparenz und Effizienz bei den ALK beitragen soll. Aus Schriftwechseln mit dem Motionär können zwei Beweggründe abgeleitet werden:

3

1.

die Befürchtung, dass zu eng eingegrenzte Tätigkeitsgebiete zu Ineffizienzen und damit zu höheren Verwaltungskosten führen;

2.

eine Stärkung des Wettbewerbs, indem sichergestellt wird, dass marktdominante ALK stets einer gesunden Konkurrenz ausgesetzt sind.

www.seco.admin.ch > Arbeit > Arbeitslosenversicherung > Grundlagen.

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Die erste Befürchtung ist insofern unbegründet, als zwischen der Grösse des Einzugsgebiets der ALK und ihrer Effizienz kein Zusammenhang festgestellt werden kann.

Träger, deren ALK über längere Zeit ineffizient arbeiten und hohe Verwaltungskosten aufweisen, müssen einen Malus bezahlen beziehungsweise sich aus eigenen Mitteln an den Verwaltungskosten beteiligen. Dies übt einen starken Anreiz aus, Ineffizienzen zu vermeiden und zu beheben, gegebenenfalls durch Ausweitung des Tätigkeitsgebiets.

Auch in Bezug auf eine Stärkung des Wettbewerbs stellt der Bundesrat keinen Handlungsbedarf fest. Die vom Motionär vorgeschlagene Lösung erachtet er als kontraproduktiv. Die kantonalen ALK weisen in allen Kantonen ausser dem Tessin den grössten Marktanteil auf. In zehn Kantonen liegt er über 80 Prozent. An zweiter Stelle folgt die ALK Unia, welche in 19 Kantonen einen zweistelligen Marktanteil hält. Die weiteren privaten ALK sind vor allem in einzelnen Kantonen bedeutsam. Gerade diese kleineren privaten ALK mit teilweise eingeschränktem Tätigkeitsgebiet spielen daher bei der Belebung des Wettbewerbs eine wesentliche Rolle. Keine dieser ALK stellt für die Anmeldung Bedingungen in Bezug auf den Wohnort der Versicherten oder den Geschäftssitz des Betriebes. Durch die Lage der Zahlstellen und das Tätigkeitsgebiet der Trägerorganisation ergeben sich aber geografisch abgegrenzte Tätigkeitsgebiete.

Einschränkungen auf einen bestimmten Personenkreis kennt nur eine private ALK (SIT Genève). Hier können sich nur Mitglieder der Gewerkschaft anmelden. In Genf sind allerdings noch vier weitere ALK tätig, womit für die Versicherten eine vergleichsweise grosse Auswahl zur Verfügung steht.

Durch die Beschränkung des Tätigkeitsgebiets ergeben sich somit weder für die Effizienz noch für den Wettbewerb Nachteile. Im Gegenteil gelingt es gerade den kleineren privaten ALK durch den Fokus auf ein bestimmtes Gebiet, wesentliche Marktanteile zu halten und damit den Versicherten nebst der öffentlichen ALK und der Unia eine zusätzliche Auswahl zu bieten. In der Praxis hat die Einschränkung des Tätigkeitsgebiets bisher weder bei den öffentlichen noch bei den privaten ALK zu negativen oder unerwünschten Folgen geführt. Mit der Überweisung der Motion Müller Damian hat das Parlament dem Bundesrat jedoch den Auftrag erteilt, eine Umsetzung dieses vierten Auftrags zu erarbeiten. Daher wurden im Rahmen der Vernehmlassung zwei Varianten vorgeschlagen: ­

Variante gemäss Nachtrag des Motionärs, welche die Beschränkung des Tätigkeitsbereichs der privaten ALK aufhebt und die Zuständigkeit der öffentlichen ALK über die Kantonsgrenzen hinaus öffnet;

­

die vom Bundesrat empfohlene Variante, die auf eine Umsetzung des vierten Auftrages verzichtet.

Bei einer Aufhebung der Beschränkung des Tätigkeitsbereichs besteht das Risiko, dass diese der Kosteneffizienz der ALK und dem Kassenwettbewerb mehr schadet als nützt. Der Zwang zur Erweiterung des Tätigkeitsgebiets würde die für den Wettbewerb wichtigen regional tätigen privaten ALK vor die Entscheidung stellen, entweder massiv in eine Ausweitung des Tätigkeitsgebiets zu investieren oder den Betrieb der ALK einzustellen (da keine Trägerorganisation gezwungen werden kann, eine ALK zu betreiben). Letzteres hätte weniger Wettbewerb und eine zunehmende Marktkonzentration zur Folge. Hingegen würden Investitionen zu höheren Verwaltungskosten 10 / 36

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und somit zu Mehrkosten für den Fonds der ALV und zu einer Verringerung der Kosteneffizienz führen. Die Variante gemäss Vorschlag des Motionärs steht somit im Widerspruch mit den eigentlichen Zielen der Motion, nämlich der Förderung der Effizienz und des Wettbewerbs durch mehr Transparenz.

Die überwiegende Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden befürwortete die vom Bundesrat empfohlene Variante. Auf Änderungen im Zusammenhang mit dem Tätigkeitsbereich der ALK wird somit verzichtet.

1.2.2

Optimierung des Zugangs junger Erwachsener zu Berufspraktika

Personen, die von der Erfüllung der Beitragszeit befreit sind, müssen vor dem erstmaligen Bezug von Leistungen der ALV eine besondere Wartezeit von 120 Tagen bestehen. Dies betrifft insbesondere junge Erwachsene nach Abschluss einer schulischen (Berufs-)Ausbildung ohne Beitragszeit. Während dieser besonderen Wartezeit können sie nach geltendem Recht nur in Zeiten erhöhter Arbeitslosigkeit an einem Berufspraktikum teilnehmen.

Die Arbeiten im Rahmen des Postulats Jositsch 20.3480 «Berufserfahrung von arbeitslosen Lehrabgängerinnen und Lehrabgängern in der Corona-Krise stärken» und der vom Bundesrat verabschiedete Bericht4 zeigen, dass die Einschränkung der Teilnahme an Berufspraktika während der besonderen Wartezeit auf Perioden mit erhöhter Arbeitslosigkeit insbesondere für eine angemessene Unterstützung von jungen Erwachsenen hinderlich ist. Das Berufspraktikum stellt gerade für junge Erwachsene auf der Suche nach der ersten Stelle eine Möglichkeit dar, praktische Berufserfahrungen zu sammeln. Unabhängig von der Höhe der Arbeitslosigkeit können die Arbeitsmarktchancen bei einer Minderheit der Stellensuchenden durch den gezielten Einsatz eines Berufspraktikums deutlich gesteigert werden. Der Bundesrat hat die vorliegende Revision des AVIG genutzt, um eine Empfehlung aus dem Bericht zum Postulat Jositsch bereits umzusetzen, nämlich die Teilnahme an Berufspraktika während der besonderen Wartezeit von 120 Tagen uneingeschränkt zu ermöglichen.

Mit der Gewährung von Berufspraktika ausserhalb von Perioden erhöhter Arbeitslosigkeit ergeben sich zusätzliche Kosten für den Ausgleichsfonds der ALV. Es wird während der besonderen Wartezeit mit ungefähr 200 weiteren Berufspraktika pro Jahr gerechnet, was Kosten von 102 Franken pro Tag während einer Praktikumsdauer von zwei bis drei Monaten verursacht. Für die Ausgleichsstelle der ALV resultieren daraus zusätzliche Kosten von geschätzten 800 000 bis maximal einer Million Franken pro Jahr. Langfristig kann allerdings mit einer Einsparung der Taggelder gerechnet werden, da eine dauerhafte Integration von jungen Erwachsenen in den Arbeitsmarkt das Risiko mindert, dass diese im Laufe ihrer beruflichen Laufbahn wiederholt Taggelder der ALV beziehen müssen.

4

Angebote der Arbeitslosenversicherung für junge Erwachsene am Übergang II ­ Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates 20.3480 Jositsch vom 2. Juni 2020; abrufbar unter: www.parlament.ch > Ratsbetrieb > Suche Curia Vista > 20.3480 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

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1.2.3

Weitere Anpassungen

Was die weiteren materiellen Themen dieser Vorlage betrifft, wurden keine Varianten geprüft, da es sich um notwendige Anpassungen im Bereich der Informationssysteme und des Datenschutzes handelt.

1.3

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 29. Januar 20205 zur Legislaturplanung 2019­2023 noch im Bundesbeschluss vom 21. September 20206 über die Legislaturplanung 2019­2023 angekündigt.

Dennoch trägt die vorliegende Teilrevision zum Ziel der Legislaturplanung im Bereich E-Government bei: «Die Attraktivität der Schweiz für Wirtschaft und Gesellschaft hängt massgeblich von der effizienten Leistungserbringung des Staates ab. Um den heutigen Anforderungen gerecht zu werden, muss die öffentliche Verwaltung ihre Leistungen vermehrt durch den Einsatz von digitalen Technologien erbringen». Die von der Ausgleichsstelle der ALV betriebenen Informationssysteme sind für die Leistungserbringung der Durchführungsstellen zentral. Die Interoperabilität der entsprechenden Informationssysteme ist dabei massgebend für die Effizienzsteigerung und Qualität der öffentlichen Dienste im Bereich der ALV und öffentlichen Arbeitsvermittlung. Mit der vorliegenden Teilrevision des AVIG schafft der Bundesrat die Rahmenbedingungen, um den steigenden Ansprüchen an die Transparenz und Digitalisierung Rechnung zu tragen und damit auch Mehrfachanwendungen von Lösungen und Daten zu ermöglichen. Mit der Interoperabilität von E-Government-Anwendungen innerhalb der und zwischen den Staatsebenen wird zur Erreichung dieses Legislaturziels beigetragen.

Die Vorlage ist auch nicht in der Finanzplanung des Bundesrates respektive dem entsprechenden Voranschlag enthalten.

1.4

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Mit der Überweisung dieser Gesetzesvorlage wird die Motion Müller 20.3665 «Transparenz bei den Arbeitslosenkassen» zur Abschreibung beantragt.

5 6

BBl 2020 1777 BBl 2020 8385

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2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

2.1

Vernehmlassungsvorlage

Die Vorlage trägt insbesondere den Anliegen der Motion Müller Damian Rechnung.

Für die Umsetzung der vierten Forderung der Motion Müller Damian ­ das Verbot für ALK, ihren Tätigkeitsbereich einzuschränken ­ wurden zwei Varianten vorgelegt. Zusätzlich wird in Umsetzung einer Empfehlung aus dem Bericht zum Postulat Jositsch 20.3480 das AVIG entsprechend angepasst. Die Anpassungen beinhalten im Weiteren Zugriffsrechte für die von der ALV betriebenen Informationssysteme sowie formelle und sprachliche Verbesserungen. Die Vernehmlassung dauerte vom 9. Dezember 2022 bis zum 20. März 2023. 63 Kantone, Parteien, Organisationen und Verbände wurden angeschrieben. Es sind 39 Stellungnahmen eingegangen.

2.2

Zusammenfassung der Ergebnisse der Vernehmlassung

Die grosse Mehrheit der Teilnehmenden befürwortet die angestrebten Ziele dieser Revision. Insbesondere unterstützen alle Kantone bis auf einen die vom Bundesrat vorgeschlagene Variante der Vorlage. Nachfolgend sind die Stellungnahmen zu den einzelnen Themen kurz erläutert. Für detaillierte Ausführungen und Eingaben formeller Natur wird auf den «Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens»7 und auf die publizierten Stellungnahmen8 verwiesen.

2.2.1

Entschädigungssystem der Arbeitslosenkassen

Die Änderungen im Bereich der ALK werden grundsätzlich positiv aufgenommen.

Die Umsetzung der ersten drei Anliegen der Motion Müller ist kaum bestritten, die Rückmeldungen zu den beiden in die Vernehmlassung geschickten Varianten hinsichtlich des vierten Anliegens sprechen eindeutig für die vom Bundesrat empfohlene Variante.

Zur gesetzlichen Pflicht zur Publikation von Kennzahlen werden keine Änderungsanträge geäussert. Vier Organisationen und eine Partei lehnen die Abschaffung des Pauschalsystems durch die gesetzliche Verankerung des Bonus-Malus-Systems ab.

Gleichzeitig fordern drei Organisationen ein explizites Verbot des Pauschalsystems.

Die vom Bundesrat vorgeschlagene Variante ­ keine Änderungen bezüglich des Tätigkeitsbereichs der ALK ­ wird von den allermeisten Teilnehmenden unterstützt: 25 von 26 Kantonen, drei von vier Parteien und sieben von neun Organisationen sprechen sich explizit für diese Variante aus. Ein Kanton kann mit beiden Varianten leben, be7 8

www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2022 > WBF.

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vorzugt jedoch die Variante zur Aufhebung der Beschränkung des Tätigkeitsgebiets im Sinne des Motionärs. Somit lehnen lediglich drei Teilnehmende die vom Bundesrat vorgeschlagene Variante ab. Von diesen bevorzugt eine Organisation die Variante im Sinne des Motionärs. Die anderen beiden beschränken sich auf eine ersatzlose Streichung von Artikel 78 Absatz 2 AVIG.

2.2.2

Optimierung des Zugangs junger Erwachsener zu Berufspraktika

Alle 26 stellungnehmenden Kantone sowie elf weitere Teilnehmende begrüssen die Erweiterung der Möglichkeit der Teilnahme von jungen Erwachsenen an Berufspraktika im Rahmen der ALV ohne Vorbehalte. Lediglich zwei Teilnehmende äussern sich kritisch gegenüber der Anpassung. Sie sehen in der Erweiterung der Möglichkeit der Teilnahme an Berufspraktika ein Missbrauchspotenzial.

2.2.3

Interoperabilität der Informationssysteme

Elf Kantone sowie zwei weitere Teilnehmende begrüssen explizit die Anpassungen zur Interoperabilität der Informationssysteme. Dies wird als zeitgemäss und sinnvoll erachtet, um eine effiziente Aufgabenerfüllung im Vollzug zu gewährleisten.

2.2.4

Datenbekanntgabe

Sieben Kantone sowie eine weitere Teilnehmende begrüssen explizit die Bekanntgabe von Daten an die kantonalen Fachstellen im Bereich der Inkassohilfe für familienrechtliche Unterhaltsansprüche.

2.2.5

Artikel 27 Absatz 5

Vier Teilnehmende würden gerne auf die Anpassung von Artikel 27 Absatz 5 VE-AVIG verzichten. Sie befürchten mit dem Wegfall von Unfall- oder Militärversicherungsrenten mit einem Invaliditätsgrad von unter 40 Prozent negative Auswirkungen auf die berufliche Situation von Betroffenen, weshalb diese auch zusätzliche Taggelder der ALV erhalten sollten.

2.2.6

Präzisierungen und sprachliche und formelle Anpassungen

Ein Kanton bedauert, dass die französische Version des Gesetzesentwurfs nicht in einer geschlechtsneutralen Sprache verfasst wurde. Er würde es begrüssen, wenn das gesamte AVIG in einer geschlechtsneutralen Sprache verfasst wäre.

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2.2.7

Änderung anderer Erlasse

Zwei Teilnehmende machen einen Vorschlag zu einer Wortwahl in der französischen Version des Arbeitsvermittlungsgesetzes vom 6. Oktober 19899 (AVG).

2.2.8

Weitere Anpassungen

Einige Teilnehmende haben die Gelegenheit genutzt, im Rahmen der Vernehmlassung weitergehende Anliegen zur Anpassung des AVIG zu äussern: ­

Möglichkeit der Zahlung von Familienzulagen gemäss Artikel 22 AVIG an Dritte;

­

Anpassung der Leistungen der ALV aufgrund der Veränderungen am Arbeitsmarkt in den letzten 20 Jahren und der Erfahrungen aus der Pandemie zugunsten der Versicherten;

­

Anpassung des Taggeldbetrages für den Entschädigungssatz nach Artikel 22 Absätze 2 und 3 AVIG an den Landesindex der Konsumentenpreise;

­

Verbesserung der Leistungen der ALV aufgrund der arbeitsmarktlichen Entwicklungen zugunsten der Versicherten;

­

Ermöglichung eines breiteren Zugangs zu qualifizierenden Ausbildungen während der Arbeitslosigkeit;

­

explizite Regelung im AVIG zum Datenaustausch für die Missbrauchsbekämpfung im Zusammenhang mit der Umsetzung der Verordnung (EG) Nr. 883/200410 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit.

2.2.9

Stellungnahme der Aufsichtskommission für den Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung

Die Aufsichtskommission für den Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung (AK ALV) überwacht gemäss Artikel 89 AVIG Stand und Entwicklung des Fonds und prüft Jahresrechnung und Jahresbericht zuhanden des Bundesrates. Sie berät den Bundesrat in allen finanziellen Fragen der Versicherung und in Rechtssetzungsfragen und kann ihm diesbezüglich auch Anträge stellen. Sie entscheidet über Beiträge für die Arbeitsmarktforschung, ist befugt, zuhanden der Ausgleichsstelle allgemeine 9 10

SR 823.11 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, in der für die Schweiz gemäss Anhang II des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (SR 0.142.112.681) jeweils verbindlichen Fassung (eine unverbindliche, konsolidierte Fassung dieser Verordnung ist veröffentlicht in SR 0.831.109.268.1) sowie in der für die Schweiz gemäss Anlage 2 Anhang K des Übereinkommens vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) (SR 0.632.31) jeweils verbindlichen Fassung.

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Richtlinien für die Durchführung arbeitsmarktlicher Massnahmen zu erlassen, und hat bezüglich der Verwaltungskosten der ALK und der Kantone sowie der Ausgleichsstelle eine Budget- und Rechnungskompetenz. Die Kommission setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Sozialpartner, der Kantone, des Bundes und der Wissenschaft zusammen.

Die AK ALV unterstützt die Vernehmlassungsvorlage. Die Kommission wurde während der Erarbeitung konsultiert, zudem haben sechs der in der AK ALV vertretenen Verbände im Rahmen der Vernehmlassung Stellung genommen.

2.3

Würdigung der Ergebnisse der Vernehmlassung

Der Bundesrat hält an der in die Vernehmlassung geschickten Vorlage fest. Unter Berücksichtigung der Rückmeldungen im Rahmen der Vernehmlassung hat der Bundesrat wenige Bestimmungen wie auch die Erläuterungen in der Botschaft angepasst und ergänzt. Die Vernehmlassung hat gezeigt, dass die vorliegende Revision grossmehrheitlich begrüsst und die vorgeschlagenen Änderungen, insbesondere seitens der Wirtschaftsvertretungen und der Durchführungsstellen, als zielführend erachtet werden. Nachfolgend werden die verschiedenen Eingaben zu den einzelnen Themen gewürdigt.

2.3.1

Entschädigungssystem der Arbeitslosenkassen

Die Abschaffung des Systems der Pauschalentschädigung wird von einer kleinen Minderheit abgelehnt. Dabei wird vor allem darauf hingewiesen, dass das Pauschalsystem die stärksten Anreize zu einer kosteneffizienten Verwaltung der ALK setzt.

Diese Einschätzung hat der Bundesrat in seiner Antwort auf die Motion Müller Damian geteilt. Die Tatsache, dass eine grosse Mehrheit diese Änderung unterstützt, zeigt jedoch, dass das Pauschalsystem politisch keine Akzeptanz mehr findet. Der Bundesrat hält deshalb an der in die Vernehmlassung geschickten Vorlage fest.

Betreffend die zwei in die Vernehmlassung geschickten Varianten spricht sich nur eine kleine Minderheit für Änderungen an den geltenden Bestimmungen zum Tätigkeitsbereich der ALK aus. Ihrer Argumentation, dadurch liesse sich der Wettbewerb zwischen den ALK fördern und die Kosteneffizienz beim Vollzug des AVIG erhöhen, stehen insbesondere die Rückmeldungen der Kantone gegenüber. Diese befürchten höhere Verwaltungskosten der ALK und einen höheren administrativen Aufwand bei den regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) und den Kantonalen Amtsstellen (KAST), ohne dass sich daraus ein zusätzlicher Nutzen für die Versicherten beziehungsweise Stellensuchenden ergäbe. Angesichts der grossen Unterstützung für die vom Bundesrat empfohlene Variante des VE-AVIG verzichtet der Bundesrat auf Gesetzesänderungen, welche den Tätigkeitsbereich der ALK betreffen.

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2.3.2

Optimierung des Zugangs junger Erwachsener zu Berufspraktika

Basierend auf den Rückmeldungen im Rahmen der Vernehmlassung hält der Bundesrat an der in die Vernehmlassung geschickten Vorlage fest. Die Vernehmlassung hat gezeigt, dass die allermeisten Teilnehmenden die Erweiterung des Zugangs junger Erwachsener zu Berufspraktika unterstützen. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass das Berufspraktikum gerade für junge Erwachsene eine Möglichkeit darstellt, praktische Berufserfahrung zu sammeln und dadurch ihre Chancen am Arbeitsmarkt zu erhöhen.

Das Missbrauchspotenzial wird durch einen gezielten Einsatz von Berufspraktika begrenzt.

2.3.3

Interoperabilität der Informationssysteme

Aufgrund der positiven Rückmeldungen hält der Bundesrat an der in die Vernehmlassung geschickten Vorlage fest.

2.3.4

Datenbekanntgabe

Basierend auf den Rückmeldungen im Rahmen der Vernehmlassung hält der Bundesrat an der vorgeschlagenen Vorlage fest.

2.3.5

Artikel 27 Absatz 5

Dem von vier Vernehmlassungsteilnehmenden eingebrachten Antrag, auf die Präzisierung von Artikel 27 Absatz 5 zu verzichten, kann nicht Rechnung getragen werden.

Bei Einführung der Bestimmung wollte der Gesetzgeber die Anwendung von Artikel 27 Absatz 5 AVIG auf Personen beschränken, denen die ganze oder ein Teil der Invalidenrente aus der IV gestrichen wurde. Um klar hervorzuheben, von welcher Versicherung die gestrichene Invalidenrente ausbezahlt worden sein muss, wird Artikel 27 Absatz 5 AVIG dahingehend präzisiert, dass es sich um eine Invalidenrente nach dem Bundesgesetz vom 19. Juni 195911 (IVG) handeln muss. Der Bundesrat hält entsprechend an der in die Vernehmlassung geschickten Vorlage fest.

2.3.6

Präzisierungen sowie sprachliche und formelle Anpassungen

Der Forderung zur Verwendung einer geschlechtsneutralen Sprache in der französischen Version kann nicht nachgekommen werden, weil gemäss den Vorgaben des Leitfadens zum geschlechtergerechten Formulieren in den Texten des Bundes in den französisch- und italienischsprachigen Erlassen des Bundes das generische Maskuli11

SR 831.20

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num zu verwenden ist. Weitere sprachliche Vorschläge wurden geprüft. Der Bundesrat sieht keinen weiteren Bedarf für Anpassungen der Vorlage.

2.3.7

Änderung anderer Erlasse

Der Bundesrat hält an der in die Vernehmlassung geschickten Vorlage zur Änderung des AVG fest.

2.3.8

Weitere Anträge

Die weiteren Anliegen betreffend die Ausgestaltung von Leistungen der ALV und zusätzliche Anträge zur Anpassung des AVIG über die Vorlage hinaus können nicht berücksichtigt werden, da sie keinen engen sachlichen Zusammenhang mit der Vorlage haben.

Basierend auf allen eingegangenen Stellungnahmen und der überwiegenden Zustimmung zur vom Bundesrat empfohlenen Variante wird die Vorlage nach der Vernehmlassung materiell nicht angepasst.

3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Die materiellen Änderungen dieser Vorlage betreffen das System zur Entschädigung der Verwaltungskosten der ALK, die Berufspraktika, die Interoperabilität der Informationssysteme, die von der Ausgleichstelle der ALV betrieben werden, und die Bekanntgabe von Daten an die Inkassohilfen für familienrechtliche Unterhaltsansprüche.

Das Sozialversicherungsrecht der EU sieht keine Harmonisierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit vor. Die Mitgliedstaaten können insbesondere selbst über die Struktur, die Finanzierungsmodalitäten und die Organisation ihrer Sozialversicherungssysteme bestimmen. Dies führt dazu, dass jeder Staat im Raum der EU und der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) eigene Regelungen und Systeme hat, die in länderspezifischen Kontexten stehen. Daher ist ein direkter Vergleich der geplanten Anpassungen mit den Regelungen anderer Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums vorliegend nicht zielführend.

4

Grundzüge der Vorlage

4.1

Die beantragte Neuregelung

4.1.1

Entschädigungssystem der Arbeitslosenkassen

Damit ein klarer gesetzlicher Auftrag zur Veröffentlichung der jährlichen Kennzahlen betreffend die Verwaltungskosten der ALK besteht, wird dies in Artikel 83 Absatz 1 als zusätzliche Aufgabe der Ausgleichsstelle der ALV im AVIG verankert.

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Neu wird im Gesetz in Artikel 92 Absatz 6 ebenfalls geregelt, dass die Entschädigung der Verwaltungskosten der ALK in einem System mit Bonus und Malus erfolgt.

Dadurch sind andere Abrechnungssysteme, insbesondere das Pauschalsystem, nicht mehr zugelassen. Gleichzeitig wird dadurch die gesetzliche Grundlage für die Ausformulierung eines Bonus-Malus-Systems, das die geforderten Anreize zur kosteneffizienten Leistungserbringung setzt, auf Verordnungsstufe geschaffen. Durch die Überführung der zentralen Elemente der leistungsorientierten Steuerung der ALK von der Vereinbarung auf Verordnungsstufe ist die Belohnung von sehr effizienten und insbesondere die Sanktionierung von sehr ineffizienten ALK klar geregelt, auch wenn keine Vereinbarung vorliegt.

Auf Änderungen am Tätigkeitsbereich der ALK wird verzichtet. In jedem Kanton ist weiterhin nur eine öffentliche ALK tätig. Private ALK behalten die unternehmerische Freiheit, ihren Tätigkeitsbereich einzuschränken und dadurch die Dienstleistungsqualität und die Kosteneffizienz zu optimieren.

4.1.2

Optimierung des Zugangs junger Erwachsener zu Berufspraktika

Die Anpassung von Artikel 64a Absatz 1 Buchstabe b AVIG sieht vor, die Teilnahme an Berufspraktika während der besonderen Wartezeit unabhängig von der Höhe der Arbeitslosigkeit zu ermöglichen. Dadurch kann die Nutzung der Berufspraktika erweitert werden. Ziel ist es, junge Erwachsene bei der Stellensuche kontinuierlich und gezielt zu unterstützen.

4.1.3

Interoperabilität der Informationssysteme

Artikel 96c Absätze 1­1ter AVIG sowie Artikel 35 Absatz 3 AVG werden angepasst, damit die Interoperabilität zwischen den verschiedenen Informationssystemen, die von der Ausgleichsstelle der ALV betrieben werden, ermöglicht wird. Unter anderem wird die Bearbeitung von Anträgen auf KAE und Schlechtwetterentschädigung (SWE) dadurch effizienter. Zudem wird Artikel 35 Absatz 3ter Buchstabe f AVG geändert, um den Organisatoren von arbeitsmarktlichen Massnahmen (AMM) Zugriffe auf die Plattform der öffentlichen Arbeitsvermittlung zu gewähren, damit sie die Teilnahmezertifikate der Versicherten hochladen können.

4.1.4

Datenbekanntgabe

Artikel 97a Absatz 1 Buchstabe f Ziffer 8 AVIG wird ergänzt, damit im Einzelfall auch Daten der ALV an kantonale Fachstellen für die Inkassohilfe bei familienrechtlichen Unterhaltsansprüchen geliefert werden können, wenn sie für die Einforderung von ausstehenden oder die Sicherung von zukünftigen Unterhaltsbeiträgen erforderlich sind.

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4.1.5

Präzisierungen und sprachliche und formelle Anpassungen

Die vorliegende Teilrevision wird als Gelegenheit genutzt, um notwendige Anpassungen im AVIG vorzunehmen. Unter anderem wird die Kongruenz der drei Sprachversionen verbessert, es werden Präzisierungen vorgenommen, die Missverständnisse in Zukunft vermeiden können, und es werden modernere Formulierungen ­ insbesondere im Bereich der Informatik und des Datenschutzes ­ verwendet. Des Weiteren werden in der deutschen Version in allen Artikeln dieser Vorlage die für das Deutsche geltenden Regeln für geschlechtergerechtes Formulieren angewendet.

4.2

Abstimmung von Aufgaben und Finanzen

Die Änderung hat für den Bund keine direkten finanziellen oder aufgabenbezogenen Konsequenzen.

Der Ausgleichsstelle der ALV wird mit der Veröffentlichung der Leistungskennzahlen der ALK im Gesetz eine neue Aufgabe übertragen, welche diese jedoch faktisch bereits heute erfüllt. Die Umsetzung erfolgt deshalb innerhalb der bestehenden Strukturen und kostenneutral.

Infolge der Optimierung des Zugangs zu den Berufspraktika ist eine leichte Zunahme der Teilnehmenden an dieser AMM zu erwarten. Für die Durchführungsstellen sollte daraus jedoch kein erheblicher Mehraufwand resultieren.

Die Umsetzung der neuen Regelung bezüglich des Rechts von Organen der ALV zur Bekanntgabe von Daten an die kantonalen Fachstellen für die Inkassohilfe für familienrechtliche Unterhaltsansprüche sollte ebenfalls zu keinem erheblichen Mehraufwand führen.

4.3

Umsetzungsfragen

Für die Umsetzung der ALV sind auf Bundesebene die Ausgleichsstelle der ALV (geführt durch das SECO) und auf Kantonsebene die jeweiligen Amtsstellen zuständig.

Bei der Erarbeitung der vorgeschlagenen Änderung wurden die kantonalen Stellen eng miteinbezogen.

Die Änderungen werden auf Bundesebene umgesetzt, da unter anderem die betroffenen Informationssysteme zentral für die Kantone zur Verfügung gestellt werden. Generell wird der kantonale Vollzug durch die Ausgleichsstelle begleitet, unterstützt und evaluiert. Die Ausgleichstelle als Aufsichtsbehörde sorgt für eine einheitliche Rechtsanwendung. Sie erteilt den Durchführungsstellen Weisungen.

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5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

5.1

Arbeitslosenversicherungsgesetz

Art. 11a Abs. 2 Der Gesetzestext wird präzisiert, indem direkt auf den jährlichen Höchstbetrag des versicherten Verdienstes in der obligatorischen Unfallversicherung verwiesen wird.

Der aktuelle Verweis auf Artikel 3 Absatz 2 AVIG ist nicht sachdienlich, insbesondere weil von einem Monats- und nicht von einem Jahresverdienst die Rede ist. Die Anpassung dient der Rechtssicherheit und hilft, Missverständnisse zu vermeiden.

Art. 16 Abs. 2 Einleitungssatz und Bst. i Der Entscheid über die Zumutbarkeit einer Arbeit liegt nicht in der Kompetenz der RAV, sondern der KAST (Art. 85 Abs. 1 Bst. c AVIG). Wie das Bundesgericht in seinem Entscheid BGE 128 V 311 feststellte, stellt der geltende Text ein gesetzgeberisches Versehen dar, das es zu korrigieren gilt.

Bei dieser Gelegenheit wird der Klammerverweis auf den Zwischenverdienst gestrichen, da dieser nicht notwendig ist und den Text unnötig erschwert. Daneben werden in der deutschen Version geschlechtsneutrale Formulierungen verwendet und in der französischen Fassung wurde im Einleitungssatz die Interpunktion verbessert.

Art. 18c Abs. 2 In der deutschen Version wird in Absatz 2 fälschlicherweise nur von «Altersrente» statt von «Altersleistung» gesprochen. Mit dieser Anpassung wird der Fehler korrigiert und die geforderte sprachliche Kongruenz zwischen dem deutschen, französischen und italienischen Gesetzestext hergestellt.

Art. 22 Abs. 1 Beim Bezug von ALE ist ein Zuschlag zum Taggeld auszuzahlen, welcher der Höhe der Familienzulagen entspricht, auf die die versicherte Person Anspruch hätte, wenn sie in einem Arbeitsverhältnis stehen würde. Mit Familienzulagen sind die Kinderund Ausbildungszulagen gemäss Artikel 3 Absatz 1 des Familienzulagengesetzes vom 24. März 200612 (FamZG) gemeint. Der Begriff der «Kinderzulagen» in Buchstabe a im Deutschen und Italienischen greift zu kurz. Um Klarheit zu schaffen, wird im ganzen Artikel in allen drei Sprachversionen nur noch der Begriff «Familienzulagen» verwendet und ein Verweis auf das FamZG eingefügt. Generell wird der gesamte Text der französischen Fassung umformuliert, damit die Kongruenz in den drei Sprachversionen gegeben ist. In der deutschen Version wird «der Versicherte» im angepassten Text mit «die versicherte Person» ersetzt, damit die Vorgabe der geschlechtsneutralen Formulierung eingehalten wird.

12

SR 836.2

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Art. 27 Abs. 5 Im Rahmen der Änderung des IVG, die am 1. Januar 202213 in Kraft trat (Weiterentwicklung der IV), wurde in Artikel 27 AVIG ein neuer Absatz 5 eingefügt. Mit dieser Bestimmung wird die Anzahl der Taggelder der ALV, auf die Personen Anspruch haben, die aufgrund des Wegfalls der ganzen oder eines Teils ihrer Invalidenrente arbeitslos werden, von 90 auf 180 Taggelder erhöht.

Die Artikel 94a AVIG und 68septies IVG, die ebenfalls im Rahmen der Weiterentwicklung der IV eingeführt wurden, sehen vor, dass die Kosten für Taggelder (und AMM) nach Artikel 27 Absatz 5 AVIG ab dem 91. Tag von der IV übernommen werden. Der Gesetzgeber wollte dementsprechend die Anwendung von Artikel 27 Absatz 5 AVIG nur auf Personen beschränken, denen die ganze oder ein Teil der Invalidenrente aus der IV gestrichen wurde. Um klar hervorzuheben, von welcher Versicherung die gestrichene Invalidenrente ausbezahlt worden sein muss, wird Artikel 27 Absatz 5 AVIG dahingehend präzisiert, dass es sich um eine Invalidenrente nach dem IVG handeln muss.

Diese Präzisierung schliesst Invalidenrenten anderer Sozialversicherungen (Unfallund Militärversicherung) explizit aus. Dies ist dadurch gerechtfertigt, dass ein Anspruch auf eine Invalidenrente aus der IV erst ab einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 Prozent entsteht, während in der Unfallversicherung ein Grad von mindestens 10 Prozent erforderlich und in der Militärversicherung keine Mindestschwelle vorgesehen ist. Wenn eine versicherte Person einen Invaliditätsgrad von mindestens 40 Prozent aufweist, wird die Rente in erster Linie von der IV bezahlt (Art. 66 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 200014 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts). Eine allfällige Rente der Unfall- oder Militärversicherung wird unter Vorbehalt der Überentschädigung nur ergänzend ausbezahlt (Art. 20 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 20. März 198115 über die Unfallversicherung und Art. 32 der Verordnung vom 10. November 199316 über die Militärversicherung). Der Wegfall des Anspruchs auf eine Invalidenrente, die ausschliesslich von der Unfall- oder der Militärversicherung aufgrund eines Invaliditätsgrades von weniger als 40 Prozent ausgerichtet wird, hat keine hinreichend bedeutsamen Auswirkungen auf die berufliche Situation der versicherten Person und rechtfertigt daher die
Erhöhung des Anspruchs auf Arbeitslosentaggelder nicht.

Diese neue Formulierung ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar (siehe Ziff. 7.2).

Art. 60 Abs. 1 Der Begriff «Übungsfirma» existiert in der Praxis nicht mehr. Er wird durch den Begriff «Praxisfirma» ersetzt, der von den betroffenen Kreisen seit mehreren Jahren verwendet wird. Der Begriff «Praxisfirma» entspricht auch besser dem Inhalt der AMM.

Die Massnahme ermöglicht es den Teilnehmenden, Berufserfahrung zu sammeln und

13 14 15 16

AS 2021 705 SR 830.1 SR 832.20 SR 833.11

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ihre Kenntnisse aufzufrischen, indem sie Tätigkeiten, die jenen auf dem reellen Arbeitsmarkt entsprechen, ausüben, obwohl die Dienstleistungen und Märkte fiktiv sind.

Art. 64a Abs. 1 Bst. b Derzeit kann der Bundesrat im Falle erhöhter Arbeitslosigkeit die Teilnahme an Berufspraktika für Personen während einer Wartezeit nach Artikel 18 Absatz 2 AVIG vorsehen. Die Teilnahme an Berufspraktika während der besonderen Wartezeit von 120 Tagen soll jedoch jederzeit und nicht nur bei hoher Arbeitslosigkeit ermöglicht werden. In Artikel 64a Absatz 1 Buchstabe b AVIG wird deshalb der Teil «im Falle erhöhter Arbeitslosigkeit» gestrichen. Die Gelegenheit wird genutzt, den Begriff «Verwaltung» mit «öffentlichen» zu präzisieren, damit eindeutig ist, welche Art von Verwaltung gemeint ist. Zudem wird in der italienischen Version der Begriff «periodi di pratica professionale» für «Berufspraktika» verwendet. Die Sachüberschrift wird ebenfalls entsprechend angepasst, damit die Terminologie im AVIG und in der AVIV einheitlich ist.

Art. 66 Abs. 2bis und 3 Die aktuelle Formulierung von Absatz 2bis besagt, dass Versicherte, die über 50 Jahre alt sind, einen Anspruch auf Einarbeitungszuschüsse für zwölf Monate haben. Diese Formulierung suggeriert somit, dass es nicht möglich ist, den Versicherten im Alter von über 50 Jahren Einarbeitungszuschüsse von weniger als zwölf Monaten zu gewähren. Die Dauer der Gewährung der Einarbeitungszuschüsse muss jedoch entsprechend dem Bedarf an Einarbeitung festgelegt werden. Je nach Situation ist eine kürzere Einarbeitungszeit ausreichend und muss daher nicht einer Dauer von zwölf Monaten entsprechen. Die Formulierung in Absatz 2bis ist durch den Zusatz «längstens» zu ergänzen, um klarzustellen, dass die Dauer der Einarbeitungszuschüsse an den Einarbeitungsbedarf anzupassen ist.

In Absatz 3 der französischen Fassung werden in Anlehnung an die anderen Sprachversionen «mise au courant» mit dem Begriff «période d'initiation» und «âgés de 50 ans ou plus» mit «dès 50 ans révolus» ersetzt. Das bedeutet, Personen fallen unter die Bestimmung ab dem Tag, an dem sie das 50. Altersjahr erreichen.

Art. 79 Abs. 3 erster Satz Der Zahlungsverkehr der ALV umfasst heute in der Praxis keine Barauszahlungen mehr. Der Teil «mit Ausnahme von Barauszahlungen» in Absatz 3 erster Satz wird daher ersatzlos
gestrichen. «Postcheckkonten» gibt es nicht mehr, daher wird neu der Begriff «Postkonten» verwendet. In der italienischen Fassung wird dieser Begriff bereits verwendet.

Art. 83 Abs. 1 Bst. i In Absatz 1 wird Buchstabe i wieder verwendet für die Bestimmung, dass die Ausgleichsstelle der ALV die Leistungskennzahlen der ALK zu veröffentlichen hat.

Diese Leistungskennzahlen umfassen insbesondere die in der Motion Müller geforderten Daten zu Verwaltungskostenentschädigung, Mittelverwendung und Effizienz der einzelnen ALK. Die Ausgleichsstelle der ALV hat diese Zahlen demzufolge mindestens einmal jährlich öffentlich zu publizieren. Der erste Auftrag der Motion Müller 23 / 36

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wird damit explizit im Gesetz verankert. Mit dieser Regelung wird Rechtsklarheit und Rechtssicherheit geschaffen.

Art. 85 Abs. 1 Bst. g Der zweite Satzteil in Buchstabe g wird gestrichen, da die Grundlagen für diese Bestimmung bereits im Rahmen einer früheren Gesetzesrevision aufgehoben wurden.

Zudem wird die französische Fassung an die Formulierung von Artikel 30 Absatz 1 AVIG angepasst. Die deutsche Version wird geschlechtsneutral formuliert.

Art. 85b Abs. 4 Der derzeitige Text in der französischen Fassung ist ungenau, da er den Eindruck erweckt, der Bundesrat lege die beruflichen Anforderungen nur für diejenige Person fest, die die Arbeitsvermittlung leitet. Der Text wird dahingehend präzisiert, dass diese Anforderungen für alle Personen, die Aufgaben der öffentlichen Arbeitsvermittlung übernehmen, gelten.

Art. 92 Abs. 6 vierter Satz Der vierte Satz in Absatz 6 wird mit «anhand eines Bonus-Malus-Systems» ergänzt, damit für ein solches Entschädigungssystem eine genügende gesetzliche Grundlage vorhanden ist. Der Begriff «in Abhängigkeit» wird durch die korrekte Formulierung «entsprechend der» ersetzt. Durch die Nennung des angewendeten Entschädigungsmodells sind andere Entschädigungsformen, wie zum Beispiel eine Pauschalentschädigung, ausgeschlossen.

Art. 95 Abs. 3 Der Gesetzestext wird in den drei Sprachen harmonisiert und verbessert. In der französischen Fassung wird der Ausdruck «le cas échéant» gestrichen. In allen drei Fassungen wird der Begriff «Erlassgesuch» in die Mehrzahl gesetzt.

Art. 96c Abs. 1­1ter Die Änderung von Absatz 1 ermöglicht es, den Zugriff der Durchführungsorgane auf die Daten der ALV nach Massgabe der ihnen zugewiesenen gesetzlichen Aufgaben zu gewähren und nicht mehr nach Massgabe des Informationssystems, in dem diese Daten gespeichert sind. Da die von der Ausgleichsstelle der ALV betriebenen Informationssysteme teils im AVIG und teils im AVG geregelt sind, wird Artikel 35 Absatz 3 AVG analog zu Artikel 96c Absatz 1 AVIG geändert. Die Neufassungen von Artikel 96c Absatz 1 AVIG und Artikel 35 Absatz 3 AVG ändern nichts an den Zugriffsrechten der Durchführungsorgane. Die angepasste Formulierung bildet den Rahmen für die erleichterte Nutzung der Daten aus den verschiedenen Informationssystemen durch die Durchführungsstellen der ALV. Insbesondere sollen die KAST mit
dieser Änderung die Möglichkeit erhalten, Voranmeldungen von Kurzarbeit und Meldungen über den wetterbedingten Arbeitsausfall direkt im Informationssystem für die Auszahlung der Leistungen der ALV zu bearbeiten. Die Bearbeitung von Anträgen auf KAE und SWE wird dadurch effizienter.

Durch diese neue Interoperabilität der Informationssysteme braucht es keinen Verweis mehr auf das AVG. Absatz 1bis ist daher zu streichen.

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Absatz 1ter ist zu streichen, da der neue Absatz 1 den Durchführungsorganen bereits den Zugriff auf das Informationssystem zur Analyse der Arbeitsmarktdaten ermöglicht, wenn dies für die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlich ist.

Art. 97a Abs. 1 Einleitungssatz und Bst. cbis und f Ziff. 6 und 8 Im Einleitungssatz wird die Aufzählung der Aufgaben in den drei Sprachversionen harmonisiert, indem zusätzlich ein «oder» in der deutschen Version eingefügt wird.

In Buchstabe cbis werden die drei Sprachversionen harmonisiert. Buchstabe f wird mit einer Ziffer 8 ergänzt, damit die Bekanntgabe von Daten auch an kantonale Fachstellen für die Inkassohilfe bei familienrechtlichen Unterhaltsansprüchen erfolgen kann.

Am 1. Januar 2022 trat die neue Inkassohilfeverordnung vom 6. Dezember 201917 in Kraft. Für die korrekte Einführung der Abkürzung des Zivilgesetzbuches18 ist Ziffer 6 entsprechend anzupassen.

Art. 113 Abs. 2 Bst. d und g In Buchstabe d ist der Verweis zu korrigieren. Buchstabe g wird aufgehoben, da die Kantone keine Feiertage mehr bezeichnen, an welchen Anspruch auf ALE besteht. Er verweist auf Artikel 19 AVIG, welcher bereits im Jahre 2002 ersatzlos gestrichen wurde.

5.2

Arbeitsvermittlungsgesetz

Art. 28 Abs. 3 und 4 Absatz 3 dieses Artikels bezieht sich auf Artikel 72 AVIG, der durch die Revision des AVIG, welche am 1. Juli 200319 in Kraft trat, aufgehoben wurde. Dabei wurde Artikel 72 neu in Artikel 64a AVIG integriert. Daher wird der Verweis auf Artikel 72 durch Artikel 64a AVIG ersetzt. Mit der erstmaligen Nennung des AVIG wird die entsprechende Abkürzung «AVIG» eingeführt. Ebenfalls wird die Formulierung «Organisation von Programmen zur Arbeitsbeschaffung» entsprechend dem in Artikel 64a AVIG verwendeten Begriff «Beschäftigungsmassnahmen» ersetzt.

Absatz 4 erwähnt den ersten und den letzten Artikel, die sich auf die AMM beziehen (Art. 59­72 AVIG). Da der ehemalige Artikel 72 AVIG durch die oben genannte Revision des AVIG aufgehoben wurde, wird dieser durch Artikel 71d AVIG ersetzt, der nun den letzten Artikel im Kapitel AMM des AVIG darstellt. Daneben werden in der deutschen Version geschlechtsneutrale Formulierungen verwendet.

Art. 33a Abs. 2 Einleitungssatz und Bst. b Das zitierte Gesetz ist mit der Abkürzung «AVIG» aufzuführen. Die Abkürzung wird in Artikel 28 Absatz 3 eingeführt. Im Einleitungssatz in der französischen Version

17 18 19

SR 211.214.32 SR 210 AS 2003 1728

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wird der Begriff «personelles» gestrichen, weil er überflüssig ist (vgl. Datenschutzgesetz vom 25. September 202020).

Art. 34a Abs. 8 In einem neuen Absatz 8 wird analog zur Bekanntgabe von Daten im AVIG die Möglichkeit der elektronischen Übermittlung der Daten festgehalten.

Art. 35 Abs. 1 Einleitungssatz, 3, 3ter Bst. d und f sowie 3quater In Absatz 1 wird das zitierte Gesetz mit der Abkürzung «AVIG» aufgeführt. Die Abkürzung wird in Artikel 28 Absatz 3 eingeführt.

Absatz 3 wird analog zu Artikel 96c Absatz 1 E-AVIG angepasst, um die Interoperabilität zwischen den von der Ausgleichsstelle der ALV betriebenen Informationssystemen zu ermöglichen. Durch diese allgemeine Formulierung des Grundsatzes ist Absatz 3 neu zu strukturieren. Die Buchstaben c bis e können demzufolge aufgehoben werden, da darin die Durchführungsstellen der ALV genannt werden. Die gesetzliche Grundlage für die Zugriffe der unter den Buchstaben g, jbis und k genannten Organe, die nicht Durchführungsorgane des AVIG oder des AVG sind, werden neu in Absatz 3quater Buchstaben a­c verschoben.

Absatz 3ter Buchstabe d kann gestrichen werden. Die RAV sind Durchführungsstellen der ALV und sind nach der neuen Gesetzessystematik nicht mehr explizit aufzuführen (vgl. Art. 35 Abs. 3 AVG). In Buchstabe f werden neu die Organisatoren von AMM aufgeführt, damit sie Teilnahmebescheinigungen von Versicherten auf die Plattform der öffentlichen Arbeitsvermittlung hochladen können.

Art. 35a Abs. 1 Einleitungssatz Der Titel des Gesetzes wird mit der Abkürzung «AVIG» eingeführt und «Versicherter» wird durch «versicherte Personen» ersetzt. In der französischen Version wird der Ausdruck «cas par cas» durch «au cas par cas» ersetzt.

6

Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund

Für den Vollzug des AVIG und der öffentlichen Arbeitsvermittlung nach dem AVG werden die Träger der ALK sowie die KAST, die RAV und die Logistikstellen für AMM aus dem Ausgleichsfonds der ALV entschädigt (Art. 92 Abs. 6 bzw. 7 AVIG).

Die ordentlichen Erträge des Ausgleichsfonds der ALV stammen zu rund 90 Prozent aus Lohnbeiträgen von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden und zu rund 10 Prozent aus Beiträgen von Bund und Kantonen. Die Höhe dieser Beiträge leiten sich aus einem definierten Prozentsatz der beitragspflichtigen Lohnsumme ab und sind gesetzlich gebunden (Art. 90 Bst. b, 90a Abs. 1 und 92 Abs. 7bis AVIG).

20

SR 235.1

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Die vorliegende Gesetzesrevision sieht diesbezüglich keine Änderungen vor und hat somit keine direkten finanziellen Auswirkungen auf den Bund.

6.2

Auswirkungen auf den Ausgleichsfonds der ALV

Die Auswirkungen der Vorlage auf den Ausgleichsfonds der ALV können basierend auf Schätzungen teilweise beziffert werden.

Das neu für alle ALK verbindliche Bonus-Malus-System erhöht an sich die Anreize für einen möglichst kosteneffizienten Vollzug durch die ALK, die bislang dieses Abrechnungssystem gewählt hatten. Dies lässt eine Senkung der Verwaltungskosten bei diesen ALK erwarten. Da diese Anreize jedoch grundsätzlich bereits unter dem bisherigen System bestanden haben, ist es schwierig vorauszusagen, wie hoch die zusätzlichen Einsparungen tatsächlich ausfallen werden. Demgegenüber sind die Effizienzanreize im Bonus-Malus-System insgesamt schwächer als im Pauschalsystem. Für die eine bis 2022 pauschal abrechnende ALK dürfte sich daher der Anreiz zur kosteneffizienten Leistungserbringung tendenziell reduzieren.

Die Auswirkungen der Abschaffung des Pauschalsystems hängen von den effektiven Kosten der bisher pauschalabrechnenden ALK ab. Bei tiefen Verwaltungskosten ergeben sich künftig Einsparungen für den Ausgleichsfonds der ALV, da er nur die effektiven Kosten tragen muss. Andererseits erhöhen sich die Kosten in Jahren mit überdurchschnittlich hohen Verwaltungskosten, da diese Differenz bisher vom Kassenträger der ALK beglichen werden musste, neu aber auch durch den Ausgleichfonds der ALV gedeckt wird. Die in der Verordnung und in den Vereinbarungen zu regelnden Parameter des Anreiz- und Entschädigungssystems sind so festzulegen, dass die Abschaffung des Pauschalsystems nicht zu einer Mehrbelastung des Ausgleichsfonds der ALV führt.

Zusätzliche Kosten für den Ausgleichsfonds der ALV verursacht die Gewährung von Berufspraktika ausserhalb von Perioden erhöhter Arbeitslosigkeit. Es wird während der besonderen Wartezeit mit ungefähr 200 Berufspraktika mehr pro Jahr gerechnet.

Dies ergibt ausserhalb von Perioden erhöhter Arbeitslosigkeit zusätzliche Kosten von 102 Franken pro Tag während einer Praktikumsdauer von zwei bis drei Monaten. Für die Ausgleichsstelle der ALV resultieren somit zusätzliche Kosten von geschätzt 800 000 bis maximal einer Million Franken pro Jahr. Langfristig kann mit einer Einsparung der Taggelder gerechnet werden, da eine dauerhafte Integration von jungen Erwachsenen in den Arbeitsmarkt das Risiko mindert, dass diese im Laufe ihrer beruflichen Laufbahn wiederholt Taggelder beziehen müssen.

Die übrigen Gesetzesanpassungen können innerhalb der bestehenden Strukturen kostenneutral umgesetzt werden.

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6.3

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Da die Verwaltungskosten der durch die Kantone geführten öffentlichen ALK durch den Ausgleichsfonds der ALV entschädigt werden ­ mit Ausnahme allfälliger Maluszahlungen ­, ergeben sich aus der Gesetzesvorlage keine finanziellen Folgen für die Kantone. Das neu für alle ALK verbindliche Bonus-Malus-System erhöht zwar theoretisch das Risiko von Malusforderungen für die Kantone. Da dieses jedoch nur sehr ineffiziente ALK betreffen wird, können die Kantone es durch entsprechende effizienzsteigernde Massnahmen minimieren oder eliminieren. Zudem erhöht sich gleichzeitig auch die Chance auf (höhere) Boni. Es ergeben sich dementsprechend keine finanziellen Auswirkungen auf die kantonalen Budgets.

Infolge eines Wechsels des Entschädigungssystems sind in den Kantonen keine zusätzlichen administrativen Aufwände zu erwarten. Seit dem Jahr 2019 werden in allen öffentlichen ALK die effektiven Verwaltungskosten ­ auf Basis des Bonus-MalusSystems ­ entschädigt. Der administrative Aufwand der kantonalen Vollzugstellen nimmt möglicherweise lediglich aufgrund vermehrter Einsätze von Berufspraktika zu, da deren Einsatz nicht mehr durch die Höhe der Arbeitslosigkeit beschränkt wird. Die Aufgabe der Vollzugstellen bleibt jedoch unverändert und die daraus entstehenden Zusatzkosten werden durch den Ausgleichsfonds der ALV getragen.

Auf Gemeinden, urbane Zentren, Agglomerationen oder Berggebiete hat die Vorlage keine Auswirkungen.

6.4

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Analog zu den öffentlichen ALK hat die Gesetzesvorlage für diejenigen Träger von privaten ALK, welche bereits jetzt das Entschädigungssystem der effektiven Verwaltungskosten gewählt haben, keine administrative Auswirkung. Finanzielle Auswirkungen hat die Vorlage für private Träger nur dann, wenn die Verwaltungskosten ihrer ALK über der Malusgrenze liegen. Das Risiko einer durch die Trägerorganisation zu begleichenden Maluszahlung wird durch die Vorlage jedoch nicht per se erhöht.

Demgegenüber ergeben sich für die einzige bislang pauschalabrechnende private ALK durch die Umstellung des Entschädigungssystems zusätzliche einmalige sowie jährlich wiederkehrende administrative Aufwände. Die voraussichtlich moderaten finanziellen Folgen dieser Aufwände werden jedoch durch die Verwaltungskostenentschädigung gedeckt und gehen daher zulasten des Ausgleichsfonds der ALV (sofern die Malusgrenze nicht überschritten wird). Durch den Wegfall der Pauschalentschädigung fällt der mögliche finanzielle Erfolg bei unterdurchschnittlichen Verwaltungskosten tiefer aus, da die Bonuszahlungen bei gleichen Effizienzwerten geringer sind als die möglichen Überschüsse aus der Pauschale. Auf der anderen Seite muss der Träger bei überdurchschnittlich hohen Verwaltungskosten das Defizit nicht mehr selbst tragen, da es bis zur Malusgrenze vollständig und darüber hinaus teilweise vom Ausgleichsfonds der ALV übernommen wird.

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Gesamtwirtschaftlich negative Effekte sind aufgrund eines allfälligen Effizienzverlusts durch die Abschaffung des Pauschalsystems oder allfälliger Mehraufwände infolge einer Überschreitung der Malusgrenze durch öffentliche oder private ALK nicht zu erwarten. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass gesamtwirtschaftlich mit einem langfristig positiven Effekt der Vorlage zu rechnen ist. So profitieren künftig Arbeitnehmende und Unternehmen von den zusätzlichen Möglichkeiten der Teilnahme an Berufspraktika. Unabhängig von der Höhe der Arbeitslosigkeit ist es gerade bei jungen Erwachsenen entscheidend, rasch zu handeln, um negative längerfristige Konsequenzen auf ihre Erwerbstätigkeit zu vermeiden. Durch den Zugang zu einem Berufspraktikum während der Arbeitslosigkeit kann die berufliche Laufbahn entscheidend beeinflusst werden. Die kurzfristigen Mehrausgaben, die durch den Einsatz des Praktikums entstehen, können sich durch eine Zunahme erwerbsfähiger und -tätiger Personen somit längerfristig positiv auf die Gesamtwirtschaft auswirken.

6.5

Auswirkungen auf die Gesellschaft

Für junge Erwachsene, vor allem für Stellensuchende mit besonderem Unterstützungsbedarf, kann ein Berufspraktikum nicht nur Ausgangspunkt für die berufliche Integration sein, sondern letztlich auch eine positive Auswirkung sowohl auf das soziale Umfeld als auch auf ihre langfristigen sozioökonomischen Perspektiven haben.

6.6

Auswirkungen auf die Umwelt

Die gesetzlichen Anpassungen haben keine Auswirkungen auf die Umwelt.

6.7

Andere Auswirkungen

Es sind keine anderen Auswirkungen zu erwarten.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 114 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)21, die dem Bund die Kompetenz zur Gesetzgebung im Bereich der ALV gibt. Bund und Kantone setzen sich dafür ein, dass jede Person gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Invalidität, Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Mutterschaft, Verwaisung und Verwitwung gesichert ist (Art. 41 Abs. 2 BV).

21

SR 101

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7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Bestimmungen dieser Gesetzesvorlage kollidieren nicht mit den europäischen Bestimmungen, die in der Schweiz anwendbar sind, und sind ebenfalls mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

Die materiellen Änderungen dieser Vorlage betreffen das System zur Entschädigung der Verwaltungskosten der ALK, die Berufspraktika, die Interoperabilität der Informationssysteme, die durch die Ausgleichsstelle der ALV betrieben werden und die Bekanntgabe von Daten an die Inkassohilfen für familienrechtliche Unterhaltsansprüche. Zudem wird der Wortlaut in Artikel 27 Absatz 5 E-AVIG ergänzt.

Die neue Formulierung, wonach der Anspruch auf zusätzliche Taggelder voraussetzt, dass ein Anspruch auf eine Invalidenrente nach dem IVG bestand, ist mit dem Koordinierungsrecht der EU kompatibel. Leistungen bei Arbeitslosigkeit fallen in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Aufgrund der Tatbestandsgleichstellung gemäss Artikel 5 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 kann für den Anspruch auf die Taggelder nach Artikel 27 Absatz 5 E-AVIG unter gewissen Voraussetzungen auch der (Teil-)Wegfall von Invalidenrenten aus EU- oder EFTA-Staaten berücksichtigt werden. Personen, die dem Abkommen vom 21. Juni 199922 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA) oder dem Übereinkommen vom 4. Januar 196023 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA-Übereinkommen) unterstehen und die eine Invalidenrente aus einem EU- oder EFTA-Staat bezogen haben, können grundsätzlich ebenfalls Anspruch auf diese Taggelder haben, sofern die Schweiz zuständiger Staat für die Gewährung von Leistungen der ALV ist. Waren die betroffenen Personen während des Bezugs der Invalidenrente aus einem EU- oder EFTA-Staat jedoch nach schweizerischem Recht nicht in rentenbegründendem Ausmass invalid, haben sie keinen Anspruch auf diese Taggelder.

Neben Artikel 27 Absatz 5 E-AVIG sind auch die weiteren Anpassungen dieser Gesetzesvorlage mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar, die sich aus dem FZA sowie aus Anhang K des EFTA-Übereinkommens ergeben. Die weiteren vorgeschlagenen Bestimmungen sind ebenfalls mit den Koordinierungsbestimmungen der Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und (EG) Nr. 987/200924 vereinbar.

22 23 24

SR 0.142.112.681 SR 0.632.31 Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, in der für die Schweiz gemäss Anhang II des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (SR 0.142.112.681) jeweils verbindlichen Fassung (eine unverbindliche, konsolidierte Fassung dieser Verordnung ist veröffentlicht in SR 0.831.109.268.11) sowie in der für die Schweiz gemäss Anlage 2 Anhang K des Übereinkommens vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) (SR 0.632.31) jeweils verbindlichen Fassung.

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Das europäische Koordinationsrecht zielt nicht darauf ab, die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit zu harmonisieren. Die Mitgliedstaaten können die konkrete Struktur, den persönlichen Geltungsbereich, die Finanzierungsmodalitäten und die Organisation ihrer Systeme der sozialen Sicherheit weitgehend frei bestimmen. Dabei müssen sie jedoch die Koordinierungsgrundsätze wie die Gleichbehandlung von eigenen Staatsangehörigen und Staatsangehörigen anderer Vertragsparteien und die Wahrung erworbener Rechte beachten. Mit Ausnahme von Artikel 27 Absatz 5 E-AVIG sind die weiteren Anpassungen vom Geltungsbereich der Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und (EG) Nr. 987/2009 nicht erfasst.

Das Übereinkommen Nr. 168 vom 21. Juni 198825 über Beschäftigungsförderung und den Schutz gegen Arbeitslosigkeit, das von der Schweiz am 17. Oktober 1990 ratifiziert worden ist, wird von der vorliegenden Revision nicht tangiert.

7.3

Erlassform

Nach Artikel 164 BV sind alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen. Ausgehend von den vorgesehenen Änderungen entspricht die gewählte Erlassform dem Verfassungsartikel.

7.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse und Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes

Mit der Vorlage werden weder neue Verpflichtungskredite beschlossen noch neue Subventionsbestimmungen geschaffen.

7.5

Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz

Die Normen betreffend Aufgabenteilung oder Aufgabenerfüllung durch Bund und Kantone sind von der Vorlage nicht betroffen.

7.6

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die Vorlage sieht keine neuen Rechtsetzungsdelegationen an den Bundesrat vor.

25

SR 0.822.726.8

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7.7

Datenschutz

Das neue Datenschutzgesetz trat am 1. September 2023 in Kraft. Die vorgeschlagenen Änderungen in Artikel 96c AVIG und Artikel 35 AVG tragen den erhöhten Transparenzanforderungen des neuen Datenschutzgesetzes Rechnung. Der Grundsatz der Zweckbindung wird insbesondere dadurch eingehalten, dass der Zugriff der Durchführungsstellen auf die Daten, die in den von der Ausgleichsstelle der ALV betriebenen Informationssystemen enthalten sind, auf diejenigen Daten beschränkt wird, die für die Erfüllung von bestimmten gesetzlichen Aufgaben, die in den Artikeln 81 und 85 AVIG präzisiert sind, erforderlich sind.

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Anhang 1

Marktanteile ALE nach Wohnkanton und ALK 2021 Tabelle 1

Syna

OCS (Träger: SCIV)

Unia

30,6 %

OCST Lugano

45,0 %

*)

SIT Genève

*)

0,9 %

Syndicom

5,3 %

kantonale ALK

ALK

Interprofessionelle Porrentruy (Träger: FER Arcju)

Marktanteile ALE nach Wohnkanton und ALK 2021

ZH

47,4 %

2,3 %

*)

*)

BE

67,5 %

1,0 %

LU

81,8 %

0,6 %

UR

92,9 %

SZ

69,3 %

OW

97,3 %

NW

94,8 %

*)

2,1 %

3,1 %

GL

83,5 %

1,1 %

1,0 %

14,3 %

ZG

95,2 %

0,5 %

FR

60,3 %

0,2 %

SO

66,1 %

0,1 %

BS

78,4 %

1,1 %

BL

76,7 %

0,9 %

SH

66,1 %

AR

96,2 %

AI

99,0 %

SG

83,6 %

0,4 %

GR

76,7 %

0,2 %

AG

66,1 %

0,6 %

TG

94,3 %

TI

18,9 %

VD

75,8 %

0,5 %

Wohnkanton

*)

*)

6,1 %

0,3 %

11,5 %

3,3 %

3,8 %

2,2 %

28,2 %

0,3 %

2,3 %

0,5 % *)

19,4 %

3,7 % *)

20,0 %

4,5 %

29,3 %

1,7 %

18,8 %

1,5 %

20,9 %

0,1 %

0,1 %

33,7 %

0,2 %

0,3 %

3,4 %

0,3 %

0,8 %

*)

1,2 %

14,8 %

3,4 %

6,0 %

13,7 %

*)

6,6 %

26,6 %

0,2 %

*)

0,7 %

4,7 %

2,5 %

38,6 %

*)

40,0 %

*)

*)

*)

*)

0,6 %

5,5 %

17,5 %

33 / 36

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NE

62,6 %

0,2 %

GE

60,9 %

1,1 %

JU

43,1 %

0,4 %

Unia

*)

OCS (Träger: SCIV)

0,1 %

Syna

SIT Genève

56,5 %

Interprofessionelle Porrentruy (Träger: FER Arcju)

Syndicom

VS

Wohnkanton

OCST Lugano

kantonale ALK

ALK

*)

*)

2,4 %

18,8 %

22,2 %

*)

5,2 %

*)

32,0 %

8,4 %

*)

23,3 %

20,0 %

10,1 %

0,1 %

26,3 %

6,3 %

*) einzelne Fälle, kantonaler Marktanteil < 0,1 %

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Anhang 2

Übersichtstabelle über die verwendeten Daten Letzte Bemerkungen Aktualisierung

Zitat, Fundstelle

Quelle, Herleitung, Annahmen

S. 8: Die erste Befürchtung ist insofern unbegründet, als zwischen der Grösse des Einzugsgebiets der ALK und ihrer Effizienz kein Zusammenhang festgestellt werden kann.

Quelle: Verwaltungskosten 2021 der ALK.

Herleitung: Messgrösse für die Effizienz: Verwaltungskosten pro Leistungspunkt; Messgrösse Einzugsgebiet / Grösse der ALK: Anzahl Leistungspunkte.

S. 9: Die kantonalen ALK weisen in allen Kantonen ausser dem Tessin den grössten Marktanteil auf. In zehn Kantonen liegt er über 80 Prozent. An zweiter Stelle folgt die ALK Unia, welche in 19 Kantonen einen zweistelligen Marktanteil hält. Die weiteren privaten ALK sind vor allem in einzelnen Kantonen bedeutsam.

Quelle: Auszahlungssystem 2021 der ALV.

Herleitung: Anteil der durch die jeweilige ALK ausbezahlten ALE (Betrag) am Total ausbezahlter ALE an im jeweiligen Kanton wohnhafte Bezügerinnen und Bezüger.

S. 10: Es wird während der besonderen Wartezeit mit ungefähr 200 weiteren Berufspraktika pro Jahr gerechnet, was Kosten von 102 Franken pro Tag während einer Praktikumsdauer von zwei bis drei Monaten verursacht. Für die Ausgleichsstelle der ALV resultieren somit zusätzliche Kosten von geschätzten 800 000 bis maximal einer Million Franken pro Jahr.

Quelle: Daten aus dem Informa- 2014 bis tionssystem für die Analysen von 2021 Arbeitsmarktdaten (LAMDA) zur Berechnung der Differenz der Anzahl Berufspraktika zwischen den Jahren, in denen die Möglichkeit bestand, während der Wartezeit ein Praktikum zu absolvieren, und den Jahren, in denen es nicht möglich war, sowie zur Berechnung der durchschnittlichen Dauer der Praktika.

S. 33: Tabelle 1: Marktanteile ALE nach Wohnkanton und ALK 2021

Quelle: Auszahlungssystem 2021 der ALV.

Herleitung: Anteil der durch die jeweilige ALK ausbezahlten ALE (Betrag) am Total ausbezahlter ALE an im jeweiligen Kanton wohnhafte Bezügerinnen und Bezüger.

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