05.052 Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (5. Revision) vom 22. Juni 2005

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zur Änderung des Bundes gesetzes über die Invalidenversicherung (IVG) mit dem Antrag auf Zustimmung.

Gleichzeitig beantragen wir, folgende parlamentarische Vorstösse abzuschreiben: 2001

P

01.3648

Diskriminierender Begriff «Invalidität» (N 13.12.01, Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit NR 01.015)

2002

P

01.3134

Hypothetisches Invalideneinkommen bei der Bemessung der Invalidität (N 6.6.02, Widmer)

2004

P

04.3088

Wiedereingliedern statt ausgrenzen und berenten!

(N 18.6.04, Sozialdemokratische Fraktion)

2004

P

04.3098

Flexible Invalidenrente (S 2.6.04, Ory)

2004

M

04.3091

Taggeld statt Rente (N 18.6.04, Sozialdemokratische Fraktion; S 15.12.04)

2005

M

04.3201

Frühzeitige Invaliditätsvorbeugung (S 2.6.04, Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit N 3.3.05)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

22. Juni 2005

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Samuel Schmid Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2005-0923

4459

Übersicht Seit einigen Jahren steigt die Anzahl der IV-Rentenbezügerinnen und -bezüger stetig an. Dies bringt sowohl soziale wie auch finanzielle Probleme mit sich. Die sozialen Probleme sind darin begründet, dass immer mehr und immer jüngere Personen vom Erwerbsleben ausgeschlossen sind. Auf der finanziellen Seite vermögen die Einnahmen seit längerer Zeit nicht mehr mit den wachsenden Ausgaben Schritt zu halten, so dass sich die Schuld- und Zinssituation der IV zusehends verschlechtert. 2004 schloss die IV mit einem Defizit von über 1,5 Milliarden Franken ab und die Verschuldung der IV belief sich auf 6 Milliarden Franken. Wird nichts unternommen, um die Zunahme der Zahl der IV-Renten zu bremsen und neue Einnahmequellen zu erschliessen, steht auch die Zukunft der AHV auf dem Spiel. Der AHV/IV-Ausgleichsfonds wird ab 2010 roten Zahle schreiben, denn ein Grossteil seiner Guthaben wird künftig aus Forderungen gegenüber der IV bestehen. Die IV muss deshalb dringend einer grundlegenden Reform unterzogen werden. Ausserdem müssen neue Finanzierungsquellen gefunden werden.

Die 5. IV-Revision bezweckt, durch eine Reduktion der Zahl der Neurenten um 20 Prozent (bezogen auf das Jahr 2003) die Ausgaben der IV zu senken, negative Anreize im Zusammenhang mit der Eingliederung zu beseitigen und mittels Sparmassnahmen einen substanziellen Beitrag zur finanziellen Gesundung des Systems zu leisten, durch den die jährlichen Defizite der IV verringert werden. Um diese Ziele zu erreichen sieht der Bundesrat folgende Massnahmen vor: ­

Dämpfung der Zunahme der IV-Neuberentungen Zur Dämpfung der steigenden Zahl der Neurenten ist ein System zur Früherfassung und Frühintervention vorgesehen. Ausserdem sind Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung und die Ausweitung der beruflichen Eingliederungsmassnahmen geplant. Diese Massnahmen zielen darauf ab, betroffene Personen möglichst frühzeitig zu erfassen und zu begleiten und die Erhaltung des noch bestehenden Arbeitsplatzes sicherzustellen, so dass eine Rentenzusprache möglichst vermieden werden kann. Die Mitwirkungspflicht der Versicherten wird ebenfalls verstärkt. Im Gegenzug zur Erweiterung der Eingliederungsmassnahmen soll der Zugang zur IV-Rente durch eine Anpassung des Invaliditätsbegriffes und des Rentenanspruchs eingeschränkt werden.

­

Korrektur von negativen Anreizen Das heutige IV-System führt allein oder im Zusammenspiel mit anderen Zweigen der sozialen Sicherheit zum Teil zur paradoxen Situation, dass gesundheitlich beeinträchtigte Personen nach Eintritt der Invalidität finanziell besser dastehen als vorher. So kann es geschehen, dass diese Personen keinerlei finanzielles Interesse daran haben, ihre Resterwerbsfähigkeit auszunützen, weil sonst ihre Rente gekürzt wird. Die Anpassung des IV-Taggeldsystems und die Vermeidung von Einkommenseinbussen bei erhöhter

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Erwerbstätigkeit sollen den Betroffenen Anreize bieten, sich für die Eingliederung zu interessieren bzw. nicht darauf zu verzichten.

­

Sparmassnahmen Zu den in der 5. IV-Revision vorgesehenen Sparmassnahmen gehören die Aufhebung des Karrierezuschlages, die Überführung der medizinischen Massnahmen zur beruflichen Eingliederung ­ mit Ausnahme der medizinischen Massnahmen zur Behandlung von Geburtsgebrechen ­ in das Leistungssystem der Krankenversicherung sowie die Aufhebung der laufenden Zusatzrenten. Für die Sanierung des IV-Finanzhaushaltes sind diese ­ sozialverträglichen ­ Massnahmen erforderlich.

­

Harmonisierung der Praxis Die Aufsichtskompetenzen des Bundes sind zu verstärken, um eine einheitliche Anwendung der IV-Gesetzgebung in der gesamten Schweiz zu gewährleisten. Die Verstärkung der Bundesaufsicht muss Hand in Hand mit einer stärkeren Einbindung der Sozialpartner in die Aufsicht über den Vollzug der IV gehen.

­

Erhöhung des IV-Beitragssatzes Die Erhöhung der Lohnbeiträge für die IV um 0,1 Prozent von heute 1,4 auf 1,5 Prozent rechtfertigt sich als Kompensation der Entlastung der 2. Säule durch die erwartete Senkung der Zahl der Neurenten um 20 Prozent. Mit der Erhöhung des Lohnbeitragssatzes kann darüber hinaus eine Annäherung an das ursprünglich festgelegte Ziel, d.h. den anteilsmässig vergleichbaren Finanzierungsbeitrag von Sozialpartnern und öffentlicher Hand, erreicht werden.

­

Senkung des Bundesbeitrags Die Kosten für die Massnahmen zur Reduktion der Zahl der Neurenten belasten den Bundeshaushalt. Der Bundesrat hat beschlossen, dies zu kompensieren und den Bundesbeitrag an die IV entsprechend zu senken. Dieser Entscheid ist im Entlastungsprogramm 2004 begründet. Aufgrund der Schätzung der anfallenden Mehrkosten soll nun der Bundesbeitrag in den Jahren 2008-2012 von 37,5 Prozent auf 36,9 Prozent der IV-Ausgaben gesenkt werden. Diese Senkung ist an zwei Voraussetzungen geknüpft: Die IV-Lohnbeiträge müssen um 0,1 Prozentpunkte angehoben und die Mehrwertsteuer gleichzeitig um 0,8 Prozentpunkte, ohne Bundesanteil, erhöht werden.

Mit diesen Massnahmen will der Bundesrat eine weitere Etappe zur langfristigen Konsolidierung der Invalidenversicherung realisieren und die IV als eine wichtige Errungenschaft der sozialen Sicherheit wieder auf eine bessere finanzielle Basis stellen. Die hier vorgeschlagenen Massnahmen werden das Budget der IV bis 2025 jährlich um rund 596 Millionen Franken entlasten.

Die Massnahmen der vorliegenden 5. IV-Revision reichen jedoch nicht aus, um die IV zu sanieren. Anderseits wären weitere Spar- und Entlastungsmassnahmen weder politisch realisierbar noch sozial vertretbar. Aus diesem Grund beantragt der Bun-

4461

desrat gleichzeitig mit der Vorlage zur 5. IV-Revision eine lineare Anhebung der Mehrwertsteuer um 0,8 Prozentpunkte, ohne Anteil für den Bund. Die Erhöhung soll voraussichtlich ein Jahr nach der 5. IV-Revision in Kraft treten.

Dank der in der vorliegenden Botschaft und in jener zur Zusatzfinanzierung zur IV vorgeschlagenen Massnahmen sollte die Invalidenversicherung ab 2009 nicht mehr defizitär arbeiten und das Kapitalkonto der IV dürfte ab 2024 einen positiven Saldo ausweisen.

4462

Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1 Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.1.1 Grundlagen der Invalidenversicherung (IV) 1.1.1.1 Verfassungsauftrag 1.1.1.2 Aufgabe und Zweck der IV 1.1.1.3 Auslöser der 5. IV-Revision 1.1.1.4 Massnahmen der 4. IV-Revision 1.1.1.5 Behindertengleichstellungsgesetz: Stand der Umsetzung und Abgrenzung zum IVG 1.1.1.6 Anhebung der Mehrwertsteuersätze für die AHV/IV und Überweisung von Kapital aus dem Ausgleichsfonds der EO zur IV 1.1.2 Notwendigkeit der Revision 1.1.2.1 Zunahme der IV-Renten in der Schweiz 1.1.2.2 Vergleich der Neuberentungen 2004 in der Schweiz nach Geschlecht 1.1.2.3 Vergleich der Neuberentungen 2003 von Schweizerinnen und Schweizern sowie Ausländerinnen und Ausländern im In- und Ausland 1.1.2.4 Exkurs: Abklärungen des Anspruchs auf eine IV-Rente bei Wohnsitz im Ausland 1.1.3 Mögliche Gründe für die Zunahme der IV-Renten 1.1.3.1 Unkoordiniertes Zusammenspiel verschiedener Sozialversicherungen bei Krankheit 1.1.3.2 Demographie 1.1.3.3 Wirtschaftliche Situation 1.1.3.4 Berufs- oder Branchenzugehörigkeit 1.1.3.5 Gewandeltes Verständnis der Begriffe Gesundheit und Krankheit bei der Ärzteschaft vornehmlich im Bereich der psychischen Krankheiten 1.1.3.6 Erschwerte Wiedereingliederung 1.1.3.7 Wirksamkeit beruflicher Eingliederungsmassnahmen der IV 1.1.3.8 Kantonale Unterschiede 1.1.3.9 Veränderung des Verhältnisses von Zusprachen und Ablehnungen 1.1.3.10 Internationale Verpflichtungen 1.1.4 Auswirkungen der Zunahme der IV-Renten auf die berufliche Vorsorge 1.1.4.1 Koordination zwischen der Invalidenversicherung und der beruflichen Vorsorge 1.1.4.2 Anstieg der Invaliditätsleistungen in der beruflichen Vorsorge 1.1.5 Analyse der finanziellen Situation 1.1.5.1 Bisherige Entwicklung

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1.2 1.3 1.4 1.5 1.6

4464

1.1.5.2 Künftige Ausgabenentwicklung Ziele der Revision Parlamentarische Vorstösse Stellungnahme der Eidgenössischen AHV/IV-Kommission Ergebnis der Vernehmlassung Die beantragte Neuregelung 1.6.1 Dämpfung der Zunahme der IV-Neuberentungen 1.6.1.1 Früherfassung von arbeitsunfähigen Personen zum Zweck der frühzeitigen Wiedereingliederung 1.6.1.1.1 Ausgangslage 1.6.1.1.2 Modell 1.6.1.1.3 Auswirkungen 1.6.1.2 Frühintervention 1.6.1.2.1 Ausgangslage 1.6.1.2.2 Modell 1.6.1.2.3 Auswirkungen 1.6.1.3 Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung und Ausweitung der beruflichen Eingliederungsmassnahmen 1.6.1.3.1 Ausgangslage 1.6.1.3.2 Modell 1.6.1.3.3 Auswirkungen 1.6.1.4 Verstärkung der Mitwirkungspflicht 1.6.1.5 Erschwerung des Zugangs zur IV-Rente durch eine Anpassung des Invaliditätsbegriffs und des Rentenanspruchs 1.6.1.5.1 Ausgangslage 1.6.1.5.2 Geltende Regelung 1.6.1.5.3 Neue Regelung 1.6.1.5.4 Auswirkungen 1.6.1.6 Beginn des Anspruchs auf IV-Leistungen 1.6.1.6.1 Anspruch auf Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung und auf Massnahmen beruflicher Art 1.6.1.6.2 Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Rente 1.6.1.7 Erhöhung der Mindestbeitragsdauer für die Begründung eines ordentlichen Rentenanspruchs 1.6.2 Korrektur von negativen Anreizen 1.6.2.1 Anpassung des IV-Taggeldsystems 1.6.2.2 Vermeidung von Einkommenseinbussen bei erhöhter Erwerbstätigkeit 1.6.3 Sparmassnahmen 1.6.3.1 Verzicht auf den Karrierezuschlag 1.6.3.2 Überführung der medizinischen Masssnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Leistungssystem der Krankenversicherung

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4543 1.6.3.3 Aufhebung der laufenden Zusatzrenten 1.6.3.4 Anpassung der Verzugszinsregelung auf Leistungen 4543 1.6.4 Harmonisierung der Praxis 4544 1.6.4.1 Standortverträge mit den Kantonen über die Einrichtung von IV-Stellen 4544 1.6.4.2 Verstärkung der Aufsicht durch den Bund 4544 1.6.4.3 Einrichtung einer Aufsichtskommission 4546 1.6.5 Erhöhung des IV-Beitragssatzes 4546 1.6.6 Kürzung des Bundesbeitrages an die IV 4547 1.6.7 Weitere Massnahmen 4549 1.6.7.1 Interinstitutionelle Zusammenarbeit 4549 1.6.7.2 Besondere Auszahlungsbestimmungen bei der Hilflosenentschädigung 4550 1.6.7.3 Versicherungsmässige Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungsmassnahmen 4551 1.7 Weitere geprüfte, aber nicht berücksichtigte Revisionsthemen 4552 1.7.1 Anpassung der Renten im Ausland an die Kaufkraft 4552 1.7.2 Verzicht auf Rentenexport in Staaten ausserhalb von EU/EFTA 4553 1.7.3 Kapitalauszahlungen in Staaten ausserhalb von EU/EFTA 4553 1.7.4 Umkehr der Reihenfolge der Rentenzahlungen bei Unfällen 4553 1.7.5 Invaliditätsbemessung 4554 1.7.6 Ersatz des Begriffes «Invalidität» 4555 2 Erläuterungen 2.1 Änderung des IVG 2.2 Änderung weiterer Bundesgesetze 2.2.1 Änderung des ATSG 2.2.2 Änderung des ELG 2.2.3 Änderung des BVG

4557 4557 4577 4577 4579 4579

3 Auswirkungen 3.1 Finanzielle Auswirkungen auf die IV und die Ergänzungsleistungen (EL) 3.1.1 Ausgangslage 3.1.2 Auswirkungen der einzelnen Massnahmen 3.1.3 Die Finanzhaushalte der IV 3.2 Auswirkungen auf den Bund 3.2.1 Finanzielle Auswirkungen 3.2.2 Personelle Auswirkungen 3.2.3 Ausgabenbremse 3.3 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden 3.4 Auswirkungen auf die 2. Säule 3.5 Auswirkungen auf die Krankenversicherung 3.6 Auswirkungen auf die Unfallversicherung 3.7 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 3.7.1 Notwendigkeit und Möglichkeit eines staatlichen Eingriffs 3.7.2 Auswirkungen für die verschiedenen Kategorien von Akteuren des Wirtschafts- und Soziallebens

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3.7.2.1 Versicherte, die einen Leistungsantrag an die IV gestellt haben 3.7.2.2 IV-Rentnerinnen und IV-Rentner 3.7.2.3 Erwerbstätige 3.7.2.4 Unternehmen 3.7.2.5 Sozialpartner 3.7.3 Auswirkungen für die Gesamtwirtschaft 3.7.4 Alternativregelungen 3.7.5 Praktische Aspekte des Vollzugs 3.8 Andere Auswirkungen 3.8.1 Aussenpolitik 3.8.2 Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frau und Mann

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4 Verhältnis zur Legislaturplanung

4594

5 Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungs- und Gesetzmässigkeit 5.2 Verhältnis zum internationalen Recht 5.2.1 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen 5.2.2 Instrumente der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) 5.2.3 Instrumente des Europarates 5.2.4 Vorschriften der Europäischen Gemeinschaft 5.2.5 Vereinbarkeit der Vorlage mit dem internationalen Recht 5.3 Vereinbarkeit mit der Neugestaltung des Finanzausgleichs 5.4 Erlassform 5.5 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

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Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (Entwurf)

4603

4466

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

1.1.1

Grundlagen der Invalidenversicherung (IV)

1.1.1.1

Verfassungsauftrag

Gemäss Artikel 111 der Bundesverfassung (SR 101) trifft der Bund Massnahmen für eine ausreichende Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge. Diese beruht auf drei Säulen, der eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, der beruflichen Vorsorge und der Selbstvorsorge. Gemäss Artikel 112 der Bundesverfassung müssen die Renten der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung den Existenzbedarf angemessen decken. Der Bund fördert zudem die Eingliederung invalider Menschen und unterstützt Bestrebungen zu Gunsten betagter, hinterlassener und invalider Personen. Für diesen Zweck kann er Mittel aus der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung verwenden (Art. 112 Abs. 6 BV). Der Bund sorgt dafür, dass die erste und die zweite Säule ihren Zweck dauernd erfüllen können (Art. 111 Abs. 2 BV).

1.1.1.2

Aufgabe und Zweck der IV

Aufgabe der IV ist es in erster Linie, die nachteiligen Auswirkungen eines Gesundheitsschadens auf die Erwerbsfähigkeit versicherter Personen zu beseitigen oder bestmöglich zu mildern. Im Vordergrund steht dabei das Ziel der Eingliederung ins Erwerbsleben bzw. in den ursprünglichen Arbeitsbereich, während die Ausrichtung von Geldleistungen erst an zweiter Stelle kommt. Es gilt also das ökonomisch zu verstehende Prinzip «Eingliederung vor Rente». Seit der 4. IV-Revision ist diese Zielsetzung ausdrücklich im Gesetz festgehalten. Gemäss dem neu eingefügten Zweckartikel sollen die Leistungen des IVG u.a. die Invalidität mit geeigneten, einfachen und zweckmässigen Eingliederungsmassnahmen verhindern, vermindern oder beheben und die verbleibenden ökonomischen Folgen der Invalidität im Rahmen einer angemessenen Deckung des Existenzbedarfs ausgleichen (Art. 1a Bst. a und b IVG). Eingliederungsmassnahmen sollen im Übrigen nicht nur gewährt werden, wenn bereits eine Erwerbsunfähigkeit besteht, sondern schon dann, wenn eine solche unmittelbar bevorsteht, d.h. in absehbarer Zeit damit gerechnet werden muss.

1.1.1.3

Auslöser der 5. IV-Revision

In der politischen Debatte zur 4. IV-Revision1 zeichneten sich früh zwei Stossrichtungen ab, die zum Leitmotiv der Revision wurden: Die eine Stossrichtung hatte zum Ziel, mit verschiedenen Massnahmen die Instrumente zur Beurteilung von Invalidität zu verbessern und das Spektrum an möglichen Eingliederungsmassnah1

Vgl. Botschaft vom 21. Februar 2001 über die 4. Revision des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung, BBl 2001 3205.

4467

men zu erweitern. Die andere Stossrichtung stellte vermehrt das selbstbestimmte Leben und die individuellen Bedürfnisse von Menschen mit einem Bedarf an Pflege und Betreuung in den Mittelpunkt. Unbestritten war dabei die Aufgabe der Invalidenversicherung, die ökonomischen Folgen eines Gesundheitsschadens mit Eingliederungsmassnahmen zu vermindern und die verbleibenden ökonomischen Folgen mit einer Rente auszugleichen.

Noch während der Beratungen zur 4. IV-Revision im Parlament reichten die Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit der beiden Räte Ende 2002 und Anfang 2003 Motionen (02.3639 und 03.3011) ein, in denen der Bundesrat verpflichtet werden sollte, die Wirksamkeit der in der 4. IV-Revision getroffenen Massnahmen zu evaluieren und im Rahmen einer nächsten Revision einem anhaltenden Anstieg der Rentenquote (Anzahl ganze Renten im Vergleich zur Wohnbevölkerung) mit Massnahmen zu begegnen.

Die Rentenquote nimmt weiterhin zu. Die Zunahme dieser Quote war im Jahr 2003 am stärksten; im Jahr 2004 und voraussichtlich auch im Jahr 2005 zeichnet sich hingegen eine Abflachung ab. Die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben vergrössert sich allerdings weiter. Angesichts dieser Entwicklung hat der Bundesrat beschlossen, die 5. IV-Revision sofort an die Hand zu nehmen.

1.1.1.4

Massnahmen der 4. IV-Revision

Die 4. IV-Revision wurde am 21. März 2003 von den Eidgenössischen Räten verabschiedet und trat am 1. Januar 2004 in Kraft. Sie verfolgt vier Hauptziele: Beitrag zur finanziellen Konsolidierung der IV, gezielte Anpassungen im Leistungsbereich, Verstärkung der Aufsicht des Bundes sowie Verbesserung und Vereinfachung der Struktur und des Verfahrens der IV. Die vom Parlament beschlossenen ­ teilweise bereits in der Botschaft enthaltenen, teilweise in den parlamentarischen Beratungen hinzugefügten ­ Massnahmen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Finanzielle Konsolidierung Dazu gehören die Aufhebung der Zusatzrente für Ehepartnerinnen und -partner, die Aufhebung der Härtefallrente und gleichzeitig die Schaffung eines Anspruchs auf Ergänzungsleistungen (EL) für Bezügerinnen und Bezüger von Viertelsrenten sowie Massnahmen, die einen gezielteren und wirksameren Einsatz der Mittel der IV ermöglichen sollen.

Gezielte Anpassungen im Leistungsbereich Anstelle der bisherigen unterschiedlichen Leistungen der IV für Pflege und Betreuung wurde eine einheitliche Hilflosenentschädigung eingeführt. Mit der Erhöhung der Beträge für Personen, die zu Hause und nicht im Heim leben, sollte die Autonomie und Selbstbestimmung von pflege- und betreuungsbedürftigen Personen erhöht werden. Ein besonderer Entschädigungsanspruch wurde für psychisch und leicht geistig behinderte Personen geschaffen, welche auf lebenspraktische Begleitung angewiesen sind. Als weitere Massnahmen sind die Neugestaltung des IV-Taggeldsystems, die Leistungsausweitung im Bereich der beruflichen Weiterausbildung, die von den Räten beschlossene Einführung der Dreiviertelsrente sowie der Ausbau der Arbeitsvermittlung durch die IV-Stellen zu erwähnen.

4468

Verstärkung der Aufsicht durch den Bund Um gesamtschweizerisch eine einheitlichere und qualitativ bessere Beurteilung der Leistungsgesuche zu erreichen, wurden regional strukturierte ärztliche Dienste unter der direkten fachlichen Aufsicht des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) geschaffen, welche die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für IV-Leistungen beurteilen. Zudem wurde die Aufsichtstätigkeit des Bundes dadurch verstärkt, dass das BSV die Aufgabenerfüllung der IV-Stellen (Abklärung und Festsetzung von Leistungsansprüchen) jährlich und nicht mehr in einem Rhythmus von drei bis fünf Jahren überprüft.

Weitere Massnahmen Neu soll der Bund für eine allgemeine, gesamtschweizerische Information über die Leistungen und das Verfahren der Invalidenversicherung sorgen und auf Kosten der Versicherung wissenschaftliche Auswertungen über die Umsetzung des Gesetzes selber erstellen oder durch Dritte erstellen lassen.

1.1.1.5

Behindertengleichstellungsgesetz: Stand der Umsetzung und Abgrenzung zum IVG

Am 13. Dezember 2002 wurde das Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz, BehiG, SR 151.3; BBl 2002 8223) in der Schlussabstimmung der Eidgenössischen Räte angenommen. Mit Beschluss vom 25. Juni 2003 setzte der Bundesrat das BehiG auf den 1. Januar 2004 in Kraft (AS 2003 4487). Das neue Gesetz ermöglicht rund 700 000 Menschen mit Behinderungen in der Schweiz unter anderem einen erleichterten Zugang zum öffentlichen Verkehr und zu öffentlichen Bauten. Den Bedürfnissen der Menschen mit Behinderungen tragen ferner verschiedene Gesetzesrevisionen (Fernmeldewesen, Bundesstatistik, Strassenverkehrsrecht) Rechnung, die ebenfalls am 1. Januar 2004 in Kraft getreten sind. Die Anpassung des Steuerrechts wurde auf den 1. Januar 2005 in Kraft gesetzt.

Das BehiG trägt dazu bei, den Verfassungsauftrag von Artikel 8 Absatz 4 BV zu erfüllen. Demnach ist der Bund beauftragt, gesetzliche Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten vorzusehen. Das BehiG hat zum Zweck, «Benachteiligungen zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen, denen Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind. Es setzt Rahmenbedingungen, die es Menschen mit Behinderungen erleichtern, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und insbesondere selbstständig soziale Kontakte zu pflegen, sich aus- und fortzubilden und eine Erwerbstätigkeit auszuüben» (vgl. Art. 1 BehiG). In Artikel 2 BehiG werden wichtige Begriffe wie u.a. «Mensch mit Behinderungen» («Behinderte, Behinderter») und «Benachteiligung» definiert. Demnach gilt als Behinderte oder Behinderter «eine Person, der es eine voraussichtlich dauernde körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigung erschwert oder verunmöglicht, alltägliche Verrichtungen vorzunehmen, soziale Kontakte zu pflegen, sich fortzubewegen, sich aus- und fortzubilden oder eine Erwerbstätigkeit auszuüben» (vgl. Abs. 1). «Eine Benachteiligung liegt vor, wenn Behinderte rechtlich oder tatsächlich anders als nicht Behinderte behandelt und dabei ohne sachliche Rechtfertigung schlechter gestellt werden als diese, oder wenn eine unterschiedliche Behandlung fehlt, die zur

4469

tatsächlichen Gleichstellung Behinderter und nicht Behinderter notwendig ist» (vgl.

Abs. 2).

Im Gegensatz zum BehiG definiert das Sozialversicherungsrecht nicht die Behinderung allgemein, sondern verwendet den engeren Begriff «Invalidität». Seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG, SR 830.1) am 1. Januar 2003 ist dieser Begriff für sämtliche bundesgesetzlich geregelten Sozialversicherungen ­ Invaliden-, Unfall-, Militär- und Arbeitslosenversicherung ­ einheitlich definiert (vgl. Art. 8 in Verbindung mit Art. 7 ATSG). Damit eine Invalidität angenommen werden kann, müssen drei Elemente vorliegen: ein Gesundheitsschaden, der sich auf die Arbeitsfähigkeit auswirkt (medizinisches Element), eine bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit (wirtschaftliches Element) sowie ein kausaler Zusammenhang zwischen diesen beiden Elementen.

Der Invalidiätsbegriff des ATSG soll in der vorliegenden 5. IV-Revision enger gefasst werden, um den Zugang zur IV-Rente einzuschränken (vgl. Ziff. 1.6.1.4). Im Weiteren wird der Ausdruck «Invalidität» seit Jahren von Menschen mit Behinderungen, deren Angehörigen und weiteren Kreisen als «diskriminierend» empfunden.

Im Zusammenhang mit der vorliegenden Revision ist deshalb geprüft worden, diesen Begriff durch einen wertneutraleren Begriff zu ersetzen (vgl. Ziff. 1.7.6).

In der folgenden Übersicht werden die Begriffe «Behinderung» und «Invalidität» einander gegenübergestellt: Behinderung (BehiG)

Invalidität (ATSG, IVG)

Voraussichtlich dauernde körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigung, die folgende Tätigkeiten erschwert oder verunmöglicht:

Drei Elemente:

­ Vornahme alltäglicher Verrichtungen ­ Pflege sozialer Kontakte ­ Fortbewegung ­ Aus- und Fortbildung ­ Ausübung einer Erwerbstätigkeit

­ Medizinisches Element: Gesundheitsschaden mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit ­ Wirtschaftliches Element: bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit ­ Kausales Element: Zusammenhang zwischen Gesundheitsschaden und Erwerbsunfähigkeit

In seiner Botschaft2 wies der Bundesrat klar darauf hin, dass ein Anknüpfen an den Begriff der Invalidität für das BehiG nicht zweckmässig sei. Die Definition der «Behinderung» ist unabhängig von den erwerblichen Auswirkungen eines Gesundheitsschadens und deshalb dürfe die gesellschaftliche Stellung der Menschen mit Behinderungen nicht bloss über die Erwerbsfähigkeit definiert werden. Da das BehiG verschiedenste Sachbereiche erfasst, umschreibt es den Begriff der Behinderung in eigenständiger und umfassender Art. Im Gegensatz zum sozialversicherungsrechtlichen Begriff «Invalidität» werden im BehiG Funktionsverluste des 2

Vgl. Botschaft vom 11. Dezember 2000 zur Volksinitiative «Gleiche Rechte für Behinderte» und zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen behinderter Menschen, BBl 2001 1715.

4470

Menschen umschrieben und als Behinderung bezeichnet. Damit erfasst das BehiG eine grössere Personengruppe als das Sozialversicherungsrecht. Im Unterschied zum IVG richtet sich das BehiG auch an Personen, die nicht mehr im erwerbsfähigen Alter stehen. Erfasst werden vom Gesetz also insbesondere auch betagte Menschen, bei denen auf Grund des Alters dauerhafte Funktionsausfälle (z.B. verminderte Gehfähigkeit) eingetreten sind. Behinderung im Sinne des BehiG ist im Übrigen nicht mit dem Bezug einer IV-Rente gleichzusetzen. Viele Behinderte, die unter den Geltungsbereich des BehiG fallen, können trotz ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung voll erwerbstätig sein und erfüllen die Voraussetzungen für den Bezug einer IV-Rente nicht.

Das BehiG und das IVG weisen einerseits Ähnlichkeiten, anderseits aber auch klare Unterschiede auf. Beide Gesetze dienen der Erfüllung des Verfassungsauftrags von Artikel 8 Absatz 4 BV. Beide verfolgen zudem das Ziel, Menschen mit Behinderungen (BehiG) bzw. invalide Versicherte (IV) bestmöglich in die Arbeitswelt und den Alltag zu integrieren. Die beiden Gesetze gehen dieses Ziel jedoch auf unterschiedliche Weise an: Das IVG bezweckt, die Invalidität mit geeigneten, einfachen und zweckmässigen Eingliederungsmassnahmen (wie z.B. Sonderschulung, berufliche Eingliederungsmassnahmen, etc.) zu verhindern, zu vermindern oder zu beheben, die verbleibenden ökonomischen Folgen der Invalidität im Rahmen einer angemessenen Deckung des Existenzbedarfs durch die Auszahlung von Renten auszugleichen und zu einer eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Lebensführung der betroffenen Versicherten beizutragen3. Das BehiG ist demgegenüber darauf ausgerichtet, mit entsprechenden gesetzlichen Massnahmen die Umstände und Hindernisse des Umfeldes zu bekämpfen, welche Menschen mit Behinderungen belasten.

Es richtet sich damit an die Gesellschaft als Ganzes und will die von ihr geschaffenen Rahmenbedingungen beeinflussen, damit jene Personen, die nicht in jeder Hinsicht den allgemeinen Normen entsprechen, nicht marginalisiert und ausgeschlossen werden4. Weiter ist sowohl im BehiG als auch im IVG die Möglichkeit vorgesehen, Pilotversuche im Bereich der Integration behinderter bzw. invalider Personen ins Erwerbsleben durchzuführen. Nach Artikel 17 BehiG kann der Bundesrat zeitlich befristete
Pilotversuche durchführen oder unterstützen, um Anreizsysteme für die Beschäftigung Behinderter zu erproben. Der Zweck der Pilotversuche gemäss Artikel 68quater IVG5 ist demgegenüber enger gefasst: Sie müssen dazu dienen, Erfahrungen mit Massnahmen zu sammeln, die bei Arbeitgebenden einen Anreiz zur vermehrten Anstellung von eingliederungsfähigen invaliden Versicherten schaffen.

Die trotz etlicher Gemeinsamkeiten und Schnittstellen bestehende unterschiedliche Ausrichtung des BehiG und des IVG führte auch dazu, dass der Vollzug dieser beiden Gesetze unterschiedlich geregelt ist: Für den Vollzug des BehiG ist das per 1.1.2004 neu geschaffene eidgenössische Büro für Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen zuständig, welches administrativ an das Generalsekretariat des

3 4

5

Vgl. den mit der 4. IV-Revision neu eingeführten Zweckartikel (Art. 1a Bst. a und b), in Kraft 1.1.2004 (BBl 2003 2745).

Vgl. hierzu Botschaft vom 11. Dezember 2000 zur Volksinitiative «Gleiche Rechte für Behinderte» und zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen behinderter Menschen, BBl 2001 1715, Ziff. 4.2 und 4.3.2.

Diese Bestimmung wurde mit der 4. IV-Revision eingeführt (vgl. BBl 2003 2745).

4471

Eidgenössischen Departementes des Innern (EDI) angegliedert wird. Der Vollzug der IV erfolgt demgegenüber durch die IV-Stellen, die Ausgleichskassen, die Zentrale Ausgleichsstelle und das BSV.

1.1.1.6

Anhebung der Mehrwertsteuersätze für die AHV/IV und Überweisung von Kapital aus dem Ausgleichsfonds der EO zur IV

Im Rahmen der 11. AHV-Revision6, die parallel zur 4. IV-Revision in den Räten behandelt wurde, beantragte der Bundesrat per 1. Januar 2003 eine Erhöhung der Mehrwertsteuer (MWST) um 1 Prozentpunkt (inkl. 15 Prozent Bundesanteil) zugunsten der IV und eine weitere Überweisung von 1,5 Milliarden Franken aus dem Ausgleichsfonds der Erwerbsersatzordnung zur Invalidenversicherung. Mit diesen Massnahmen hätten die Schulden der IV bis ins Jahr 2007 getilgt werden sollen. Im Jahr 2008 wäre eine Senkung des MWST-Satzes um 0,2 Prozentpunkte möglich gewesen.

Die Überweisung von 1,5 Milliarden Franken aus dem Ausgleichsfonds der EO zur IV wurde am 4. Oktober 2002 von den Räten gutgeheissen und erfolgte per 1. Februar 2003 (AS 2003 256).

In den parlamentarischen Beratungen wurden der IV ­ im Gegensatz zum bundesrätlichen Vorschlag ­ nicht ein ganzes Mehrwertsteuerprozent, sondern lediglich 0,8 Prozentpunkte (abzüglich eines Bundesanteils am Ertrag von 15 Prozent) zuerkannt. In der Volksabstimmung vom 16. Mai 2004 wurde die Erhöhung der MWST um 0,8 Prozentpunkte für die IV (mit Bundesanteil) abgelehnt.

Es fehlt somit in der IV weiterhin an zusätzlichen Einnahmen und die finanzielle Situation verschärft sich zunehmend. Mit Beschluss vom 18. Mai 2004 hat deshalb der Bundesrat das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) beauftragt, parallel zur Vernehmlassung über die 5. IV-Revision eine Vernehmlassung über eine zusätzliche Finanzierung der IV durchzuführen.

1.1.2

Notwendigkeit der Revision

1.1.2.1

Zunahme der IV-Renten in der Schweiz

Der Anteil der gewichteten7 IV-Renten an der aktiven Bevölkerung (18- bis 62/64-Jährige) hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen: Jahr

1990

1995

2000

2002

2004

Anteil

2,8 %

3,4 %

4,1 %

4,5 %

4,8 %

6 7

Vgl. Botschaft vom 2. Februar 2000 über die 11. Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung, BBl 2000 1865.

Bei den «gewichteten Renten» wird die Anzahl ausbezahlter IV-Renten entsprechend ihrem Bruchteil (Viertelsrente = 25 %; halbe Rente = 50 %; ganze Rente = 100 %) auf die Anzahl ganzer Renten umgerechnet. Dies erlaubt, von der Anzahl IV-Renten direkt auf das finanzielle Gewicht zu schliessen.

4472

Im Jahr 2002 schlug auch die Erhöhung des AHV-Rentenalters der Frauen auf 63 Jahre mit 0,2 Prozentpunkten zu Buche. In absoluten Zahlen stieg in diesem Zeitraum die Zahl der gewichteten IV-Renten in der Schweiz von 118 000 auf 224 000.

Im Jahr 2003 haben die 26 kantonalen IV-Stellen 43 992 erstmalige Rentenentscheide gefällt. Es wurden dabei 19 419 ganze Renten, 9657 halbe Renten und 2592 Viertelsrenten zugesprochen. In 12 324 Fälle wurde eine Rente verweigert. Zusätzlich überprüften die IV-Stellen 44 799 bisherige Renten. Die Überprüfung ergab bei 36 726 Personen die Bestätigung, bei 4910 Personen eine Herauf- und bei 1234 Personen eine Herabsetzung der bisherigen Rente. Bei 1929 Personen wurde die Rente aufgehoben.

In der folgenden Graphik sind die IV-Rentenbestände in der Schweiz zu verschiedenen Zeitpunkten dargestellt. Im Zeitraum 1999­2003, welcher noch nicht in die Botschaft der 4. IV-Revision einbezogen werden konnte, ist ein verstärktes Wachstum der IV-Renten festzustellen: IV-Rentenbestand nach Altersklassen (in der Schweiz, gewichtet) 60'000

45'000

30'000

15'000

0 18-19

20-24

25-29

30-34 1990

35-39 1996

40-44 1999

45-49

50-54

55-59

60-64

2003

Aus der nachstehenden Graphik ist ersichtlich, dass die Zunahme (total 28 233 ganze Renten im Jahr 2003) je nach Altersklasse unterschiedlich ist: Insbesondere bei Personen im Alter von 35­54 Jahren zeigt sich eine überdurchschnittliche Zunahme.

4473

Zunahme nach Altersklassen (in der Schweiz, gewichtet) 6'000

5'000

4'000

3'000

2'000

1'000

0 18-19

20-24

25-29

30-34

35-39

1996

40-44 1999

45-49

50-54

55-59

60-64

2003

Die erhöhte Zunahme von IV-Renten bei jüngeren Altersklassen fällt finanziell besonders ins Gewicht, da diese länger als ältere in der IV verbleiben.

In den Jahren 1990 bis 2003 wurden die neuen Rentenentscheide mit folgenden gesundheitlichen Ursachen begründet: Anteil der Neurenten nach Invaliditätsursache (in der Schweiz, gewichtet)

Unfälle Übrige Krankheiten Knochen und Bew.

Kreislaufsystem Nervensystem Psych. Erkrankungen Tumore Geburtsgebrechen 0%

5%

10%

15% 1990

20% 1996

25% 1999

30%

35%

40%

45%

2003

Augenfällig ist die starke Zunahme bei Personen, die aus psychischen Gründen invalid sind. Der grösste Anteil der Neurenten ist auf die Ursachengruppe der Psychosen, Neurosen und Persönlichkeitsstörungen zurückzuführen. Eine Analyse der Neuberentungen wegen Krankheiten nach Altersklassen zeigt, dass bis zur Altersklasse 40­44 mehr Berentungen wegen psychischer Gebrechen ausgewiesen werden als wegen anderer Krankheiten:

4474

Neuberentungen wegen Krankheiten nach Altersklassen 2003 (gewichtet) 3'000

2'000

1'000

0 18-19

20-24

25-29

30-34

35-39

40-44

Psychische Erkrankungen

45-49

50-54

55-59

60-64

Andere Krankheiten

Die zweitwichtigste Ursachengruppe bilden die Störungen der Knochen und Bewegungsorgane; im Jahr 2003 waren rund 23 Prozent der Neuberentungen darauf zurückzuführen.

Die Schweiz ist kein Sonderfall. Die Zunahme der IV-Rentnerinnen und -Rentner lässt sich in allen OECD-Ländern feststellen, ebenso die Häufung von Renten aufgrund psychischer Erkrankungen. Von diesem allgemeinen Muster hebt sich die Schweiz gegenüber der OECD dadurch ab, dass der Anteil der IV-Rentnerinnen und -Rentner an der aktiven Bevölkerung eher tief ist, dass die Zunahme jedoch schneller erfolgt und die Neurentnerinnen und -rentner eher jünger sind. Ein neuer länderübergreifender Vergleich von Verfahren zur Wiederaufnahme der Arbeit in sechs Industrieländern (Dänemark, Deutschland, Israel, Niederlande, Schweden, USA) bei wegen Rückenschmerzen arbeitsunfähigen Personen zeigt, dass die bis 24-Jährigen grosse Schwierigkeiten haben, sich wieder zu integrieren8. Die Schweiz ist demnach nicht das einzige Land mit einer Besorgnis erregenden Dynamik der Zunahme der Zahl jüngerer IV-Rentnerinnen und -Rentner.

1.1.2.2

Vergleich der Neuberentungen 2004 in der Schweiz nach Geschlecht

Die Analyse der Neurenten 2004 in der Schweiz nach Geschlecht zeigt, dass Frauen mit 44 Prozent der ausgerichteten gewichteten Neurenten bedeutend weniger Renten beziehen als Männer mit 56 Prozent, obwohl ihr Anteil an der Bevölkerung im aktiven Alter knapp 51 Prozent beträgt.

8

Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit, «Wer zur Arbeit zurückkehrt und warum», Genf, 2002.

4475

Neurenten 2004 (gewichtet) in der Schweiz nach den wichtigsten Ursachen und nach Geschlecht Ursache

Frauen

Männer

Unfälle Übrige Krankheiten Knochen und Bewegungsorgane Kreislaufsystem Nervensystem Psychische Erkrankungen Tumore Geburtsgebrechen

30 % 38 % 42 % 21 % 42 % 50 % 46 % 47 %

70 % 62 % 58 % 79 % 58 % 50 % 54 % 53 %

Alle

44 %

56 %

Bei Invalidität infolge von «Erkrankungen des Kreislaufsystems» ist das Verhältnis von 21 Prozent Frauen und 79 Prozent Männer sehr ungleich verteilt. Bei unfallbedingter Invalidität sind Frauen mit 30 Prozent ebenfalls stark unterdurchschnittlich beteiligt.

Verteilung der Neurenten in der Schweiz nach Geschlecht 2003 (gewichtet) 5'000

4'000

3'000

2'000

1'000

0 Unfälle

Übrige Krankheiten

Knochen und Kreislaufsystem Bewegungsorgane

Nervensystem

Frauen

Psychische Erkrankungen

Tumore

Geburtsgebrechen

Männer

Bei der häufigsten Invaliditätsursache, den psychischen Erkrankungen, weisen Frauen die höchste Quote auf. 45 Prozent aller invaliden Frauen sind aufgrund psychischer Erkrankungen invalid, bei den Männern beträgt dieser Anteil hingegen nur 35 Prozent.

4476

1.1.2.3

Vergleich der Neuberentungen 2003 von Schweizerinnen und Schweizern sowie Ausländerinnen und Ausländern im In- und Ausland

Für Ausländerinnen und Ausländer sowie für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer können keine Neuberentungsquoten berechnet werden, da keine Referenzbevölkerung zur Verfügung steht. Deshalb werden die Neuberentungen infolge der Risiken «Krankheit» und «Unfall» nach den vier Teilgruppen «Schweizer/innen in der Schweiz», «Ausländer/innen in der Schweiz», «Schweizer/innen im Ausland» und «Ausländer/innen im Ausland» analysiert. Die Neuberentung infolge des Risikos «Geburtsgebrechen» ist für den Vergleich nicht relevant, weil diesbezügliche ausserordentliche Renten nicht ins Ausland exportiert werden.

Bei Neurenten infolge «Krankheiten» lässt sich feststellen, dass die verschiedenen Krankheitsursachen stärker vom Wohnsitz als von der Nationalität beeinflusst werden.

In der folgenden Grafik sind die Neurenten infolge Krankheit des Jahres 2003 nach deren Ursache aufgeteilt, je für die verschiedenen Gruppen von Nationalität und Wohnort: Verteilung der Neurenten infolge Krankheiten nach Ursache pro Nationalität und Wohnort 2003 (gewichtet) 60% 50%

Anteil

40% 30% 20% 10% 0% Psychische Erkrankungen

Knochen und Bewegungsorgane

Nervensystem

Schweizer/innen in der Schweiz Schweizer/innen im Ausland

Kreislaufsystem

Tumore

Andere Erkrankungen

Ausländer/innen in der Schweiz Ausländer/innen im Ausland

Während fast die Hälfte der Neurentnerinnen und -rentner mit Wohnsitz in der Schweiz in die Kategorie der «Psychischen Gebrechen» fällt, so beträgt dieser Anteil bei Neurentnerinnen und -rentnern mit Wohnsitz im Ausland lediglich etwa einen Viertel. Bei den Berentungen der Personen mit einem Gebrechen der Gruppe «Knochen und Bewegungsorgane» sind vor allem die Ausländerinnen und Ausländer mit Wohnsitz in der Schweiz überdurchschnittlich betroffen. Angesichts der grossen Zahl von Ausländerinnen und Ausländern in der Baubranche ist diese Resultat nicht erstaunlich (vgl. Ziff. 1.1.3.4 zur Berufs- und Branchenzugehörigkeit).

Wird die Verteilung dieser Neurenten nach Nationalität und Wohnsitz innerhalb der einzelnen Krankheitsursachen betrachtet, ist festzustellen, dass die Kategorie

4477

«Schweizer in der Schweiz» die absolute Mehrheit in jeder Gruppe von Krankheitsursachen darstellt; allerdings sind beträchtliche Unterschiede feststellbar: Verteilung der Neurenten infolge Krankheiten nach Nationalität und Wohnort pro Ursache 2003 (gewichtet) Andere Erkrankungen

Tumore

Kreislaufsystem

Nervensystem

Knochen und Bewegungsorgane

Psychische Erkrankungen

0%

10%

20%

30%

40%

50%

Schweizer/innen in der Schweiz Schweizer/innen im Ausland

60%

70%

80%

90% 100%

Ausländer/innen in der Schweiz Ausländer/innen im Ausland

Die verschiedenen Auswertungen zeigen demnach deutlich, dass die hauptsächliche Zunahme der Neurenten infolge Krankheiten auf in der Schweiz lebende Personen mit psychischen Krankheiten oder Leiden der Knochen und Bewegungsorgane zurückgeht.

Bei Neurenten wegen Unfällen lassen sich kaum Unterschiede feststellen. Auffällig ist der hohe Anteil der Berentungen der Gebrechensgruppe «Knochen und Bewegungsorgane» bei den Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz, was sich mit den oben erwähnten Ergebnissen der Berentungen wegen Krankheit deckt: Verteilung der Neurenten infolge Unfällen 2003 (gewichtet) 80% 70% 60% Anteil

50% 40% 30% 20% 10% 0% Knochen- und Bewegungssorgane

Nervensystem

Schweizer/innen in der Schweiz Schweizer/innen im Ausland

4478

Psychische Erkrankungen

Andere Unfälle

Ausländer/innen in der Schweiz Ausländer/innen im Ausland

Eine Aufschlüsselung der «Krankheiten» als wichtigste Berentungsursache nach Altersklassen zeigt, dass im Ausland kaum Renten an unter 30-Jährige wegen Krankheiten ausgerichtet werden. Hingegen ist im Ausland in der Regel der Anteil der über 50-jährigen Rentenbezügerinnen und -bezüger höher: Verteilung der Neurenten infolge Krankheit nach Altersklassen pro Nationalität und Wohnort 2003 (gewichtet) 40% 35% 30% Anteil

25% 20% 15% 10% 5% 0% 18,19

20-24

25-29

30-34

35-39

40-44

Schweizer/innen in der Schweiz Schweizer/innen im Ausland

45-49

50-54

55-59

60-64

Ausländer/innen in der Schweiz Ausländer/innen im Ausland

Wird die Verteilung nach Nationalität und Wohnort in den Altersklassen ausgewiesen, ergibt sich folgendes Bild: Verteilung der Neurenten infolge Krankheit nach Nationalität und Wohnort pro Altersklasse 2003 (gewichtet) 60-64 55-59 50-54 45-49 40-44 35-39 30-34 25-29 20-24 18,19 0%

10%

20%

30%

40%

50%

Schweizer/innen in der Schweiz Schweizer/innen im Ausland

60%

70%

80%

90%

100%

Ausländer/innen in der Schweiz Ausländer/innen im Ausland

Auch diese Auswertung zeigt die hinsichtlich der Zunahme der Neurenten hohe Bedeutung der Personen, die in der Schweiz leben; dabei fällt jedoch auf, dass Schweizerinnen und Schweizer bis zum 35. Altersjahr übervertreten sind. Danach 4479

gleicht sich das Verhältnis in etwa aus: 60 Prozent (Schweizer/Schweizerinnen) / 40 Prozent (Ausländer/Ausländerinnen).

Eine Aufteilung der Kosten für die Neuberentungen zwischen Januar 2003 und Januar 2004 zeigt Folgendes: ­

94 Prozent der Rentensumme verbleiben in der Schweiz; nur rund 6 Prozent der Mittel fliessen ins Ausland.

­

Jeder sechste Rentenfranken im Ausland wird an eine Person schweizerischer Nationalität ausgerichtet.

­

Die Renten wegen Geburtsgebrechen machen lediglich 3 Prozent der ausbezahlten Rentensumme aus und werden fast nur an Schweizerinnen und Schweizer in der Schweiz ausgerichtet. Der grösste Teil der Rentenausgaben wird durch krankheitsbedingte Renten verursacht (89 % der Rentensumme).

Bei den Unfällen (rund 8 % der Rentensumme) ist die Verteilung nach Wohnsitz und Nationalität ausgeglichen, wenn auch das relative Gewicht bei den Schweizerinnen und Schweizern mit Wohnsitz im Ausland etwas höher ist.

Folgende Schlussfolgerung kann gezogen werden: Die aktuellste Dynamik der Neuberentungen (inkl. Folgekosten) konzentriert sich auf Versicherte mit Wohnsitz in der Schweiz. Im Vordergrund stehen dabei, unabhängig von ihrer Nationalität, Personen ab ca. 35 Jahren, die aus psychischen Gründen oder wegen Leiden an Knochen und Bewegungsapparat invalid werden. Erst ab dem 50. Altersjahr fällt der Wohnsitz im Ausland sowohl für Schweizerinnen und Schweizer als auch für Ausländerinnen und Ausländer ins Gewicht.

1.1.2.4

Exkurs: Abklärungen des Anspruchs auf eine IV-Rente bei Wohnsitz im Ausland

Anträge auf Leistungen der Invalidenversicherung, die von Personen mit Wohnsitz im Ausland eingereicht werden, gehen zunächst an die ausländische Verbindungsstelle und werden von dort an die IV-Stelle für Versicherte im Ausland in Genf (IV-Stelle) weitergeleitet.

Die Verbindungsstellen sind befugt, solche Gesuche entgegenzunehmen und zwar in Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 und der Verwaltungsvereinbarungen zur Durchführung der internationalen Abkommen über soziale Sicherheit. Sie leiten das Gesuchsformular, den von einem Arzt oder einer Ärztin ihrer Sozialversicherung ausgestellten ärztlichen Bericht sowie alle anderen erforderlichen Unterlagen zur Abklärung des Anspruchs an die IV-Stelle weiter.

Nach dem Abklärungsverfahren ­ abgeklärt wird vor allem die wirtschaftliche Situation ­ wird jedes Gesuch einem Vertrauensarzt oder einer Vertrauensärztin der IV-Stelle in der Schweiz unterbreitet. Dieser prüft die eingereichten Unterlagen und verfasst einen Bericht, in dem er die Restarbeitsfähigkeit der versicherten Person beurteilt. Wenn die Unterlagen nicht ausreichen, um einen Entscheid zu fällen, wird eine weitere ärztliche Untersuchung veranlasst. Diese kann z. B. von einem der IV-Stelle bekannten Arzt oder einer ihr bekannten Ärztin im Ausland, der von einem IV-Arzt oder einer IV-Ärztin in der Schweiz vorgängig evaluiert worden war, durchgeführt werden, oder es wird eine Untersuchung in der Schweiz verlangt. Beim 4480

Anspruch auf eine Invalidenrente ist einzig die Schweizer Gesetzgebung massgebend. Die schweizerische Invalidenversicherung ist bei der Invaliditätsbeurteilung nicht an die Einschätzung der ausländischen Sozialversicherungen oder eines ausländischen Arztes oder einer ausländischen Ärztin gebunden.

Die Einschätzungen des IV-Arztes oder der IV-Ärztin dienen als Grundlage für die Berechnung des Erwerbsausfalls aufgrund der Gesundheitsbeeinträchtigung.

Die IV-Stelle leitet der versicherten Person ihre Schlussfolgerungen in Form einer anfechtbaren Verfügung weiter, nachdem diese intern überprüft worden ist. Komplexe Dossiers werden vor dem endgültigen Beschluss in einer Fachgruppe diskutiert (zwei Ärzte, ein Jurist und ein Arbeitsmarktspezialist unter der Leitung der IV-Stellenleiterin).

1.1.3

Mögliche Gründe für die Zunahme der IV-Renten

1.1.3.1

Unkoordiniertes Zusammenspiel verschiedener Sozialversicherungen bei Krankheit

Am Anfang der meisten IV-Fälle steht ein Unfall oder eine Krankheit, die eine ärztliche Behandlung erfordern. Von dieser erwarten die Patientinnen und Patienten, dass möglichst alles unternommen wird, damit sie wieder gesund werden. In der Phase des Behandlungs- und Genesungsprozesses ist die IV nicht involviert und hat dementsprechend auch keinen Einfluss auf die angeordneten und erbrachten Leistungen oder Massnahmen, während die Ärztinnen und Ärzte und natürlich auch die Patientinnen und Patienten bereits den Verlauf eines möglichen IV-Falles massgeblich beeinflussen. Ein wesentlicher Faktor stellt dabei die Beurteilung der noch verbliebenen Arbeitsfähigkeit dar. Vielfach wird diese von den Ärztinnen und Ärzten weniger mit Blick auf eine möglichst schnelle Rückkehr an den Arbeitsplatz als im Hinblick auf einen optimalen Genesungsprozess vorgenommen. Die finanzielle Absicherung der Patientinnen und Patienten durch eine Krankentaggeldversicherung kann bewusst oder unbewusst dazu führen, dass die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit oder deren Dauer zu grosszügig ausfällt. Dies geschieht nicht zuletzt auch deshalb, weil häufig invaliditätsfremde Gründe entweder nicht erkannt oder nicht als solche benannt und dann auch nicht adäquat angegangen werden. Damit werden oft psychosoziale Ursachen weiterhin als Krankheiten behandelt. Die Betroffenen können ebenfalls einen wesentlichen Einfluss auf die ärztlichen Entscheide ausüben, u.a. auf Grund der Möglichkeiten, welche ihnen die freie Arztwahl im Rahmen der Krankenversicherung bietet. Zudem ist bekannt9, dass Ärztinnen und Ärzte oftmals über zu wenige Kenntnisse im Bereich der Arbeitsmedizin oder über ungenaue Kriterien zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit verfügen.

In der Regel ist in der Anfangsphase einer länger dauernden Krankheit nur die Krankenversicherung involviert. Damit tauchen auch die aus der Krankenversicherung bekannten Probleme auf, welche häufig auch Auswirkungen auf die IV haben.

So besteht beispielsweise bei den Leistungserbringern die Tendenz, sich durch eine Vielzahl von Diagnoseverfahren gegen das Risiko einer nicht erkannten Krankheit abzusichern. Gerade im ambulanten Sektor können die Leistungserbringer durch 9

Botschaft vom 21. Februar 2001 über die 4. Revision des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (BBl 2001 3217).

4481

eine Erhöhung der Anzahl erbrachter Leistungen ihr Einkommen maximieren. Den behandelnden Ärztinnen und Ärzten kommt auf Grund ihres Informationsvorsprungs gegenüber den Patientinnen und Patienten wie auch auf Grund ihrer Expertenrolle ein entscheidender Einfluss bei der Definition der Diagnose- und Behandlungsmethoden zu. Dabei stehen sie allerdings teilweise unter dem Erwartungsdruck ihrer Kundschaft. Hinzu kommt noch die allgemeine Problematik des angebotsinduzierten Gesundheitsmarkts und der damit verbundenen, nahezu unbeschränkten Nachfrage der Patientinnen und Patienten nach medizinischen Leistungen (vgl. Ziff. 1.1.3.5)10.

In Krankheitsfällen können Ärztinnen und Ärzte die Erkrankten beispielsweise nicht an einen Kreisarzt oder eine Kreisärztin, wie sie die Suva kennt, weiter weisen.

Damit fehlt im Gegensatz zur Unfallversicherung eine «second opinion», welche den Fall bereits frühzeitig auch aus der Sicht der Sozialversicherung beurteilt. Ein Beispiel dafür wäre die Beurteilung der Frage, welche Arbeitsleistungen der versicherten Person noch zugemutet werden können.

Erst nachdem die Krankheit, deren Behandlung und die damit verbundene Arbeitsunfähigkeit bereits einige Zeit gedauert haben, treten die betroffenen Personen mit einer IV-Stelle in Kontakt. Dieser kommt die Aufgabe zu, den medizinischen Sachverhalt von Amtes wegen objektiv abzuklären und gestützt darauf die Abklärung der Eingliederungsfähigkeit und der geeigneten Eingliederungsmassnahmen sowie die Bemessung der Invalidität vorzunehmen. Damit werden die Patientinnen und Patienten ­ nunmehr auch mögliche Leistungsbezügerinnen und -bezüger der IV ­ oftmals nach langer Zeit mit der Situation konfrontiert, dass die bisher subjektiv empfundenen Schmerzen und Belastungen nicht mehr nur mit Blick auf das Patientenwohl beurteilt werden. Auf diese Weise ergeben sich Uneinigkeiten in der Beurteilung der zumutbarerweise noch verwertbaren Arbeitsfähigkeit, welche von der IV nach einem objektiven Massstab zu beurteilen ist.

Ein anerkannter Grundsatz für eine wirksame Wiedereingliederungspolitik ist die frühzeitige Erkennung und gegebenenfalls ein frühzeitiges Eingreifen. Deshalb sollte der formale Prozess des Bezuges von Leistungen der Krankenversicherung auch den Zeitpunkt des Eingreifens bestimmen. In anderen Ländern Europas (z.B.

Schweden,
Niederlande, Dänemark, Deutschland) stellt das soziale Sicherungssystem die Koordination und Information unter den verschiedenen Sozialversicherungen und allenfalls auch mit den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern sicher. In den meisten dieser Länder liegt die Verantwortung für die Leistungsgewährung für Rehabilitation, Wiedereingliederung und Geldleistungen beim gleichen Versicherungsträger. In solch integrierten Modellen besteht auch ein grosses finanzielles Interesse, dass die Versicherten möglichst rasch wieder arbeiten. In der Schweiz hingegen fehlt gerade in Krankheitsfällen ein integriertes Modell. Bereits zu Beginn eines Krankheitsfalles sind meist zwei verschiedene Versicherungsträger (Krankenpflege- und Krankentaggeldversicherer) im Spiel, zwischen denen in der Regel keine Koordination oder Information erfolgt, wie dies beispielsweise bei der obligatorischen Unfallversicherung (UVG; SR 832.20) der Fall ist. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Schweiz die Krankentaggeldversicherung nicht obligatorisch ist und zudem sowohl im Sozialversicherungsrecht (KVG; SR 832.10) als auch im Privatversicherungsrecht (VVG; SR 221.229.1) angeboten wird. Zudem fehlt eine möglichst frühzeitige Koordination mit der Invalidenversicherung ­ nicht zuletzt 10

Eidgenössisches Departement des Innern (2002), Soziale Krankenversicherung, Analyse, Bundesratsklausur vom 22. Mai 2002, Bern.

4482

deshalb, weil die Koordination bei einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit anforderungsreicher ist als bei einem Unfall11.

Die «Nationale Strategie zum Schutz, zur Förderung, Erhaltung und Wiederherstellung des psychischen Gesundheit der Bevölkerung in der Schweiz», welche 2004 vom Bund und Kantonen im Rahmen der Nationalen Gesundheitspolitik Schweiz erarbeitet wurde12, sieht auch eine Koordination der Massnahmen zur Verminderung der Konsequenzen einer fehlenden frühzeitigen Intervention bei psychischen Störungen mit Chronifizierung- und Invaliditätsrisiko vor. Es wird den Arbeitgebenden und den Sozialversicherungen (Kranken-, Taggeld-, Invaliditäts- und Arbeitslosigkeitsversicherungen) empfohlen, konzertierte Frühinterventionsmodelle zu entwickeln und umzusetzen, welche das psychische Leiden im Frühstadium und das Risiko eines Erwerbsfähigkeitsverlustes reduzieren. Der erleichterte Zugang zu einer adäquaten Behandlung und Vorsorgemassnahmen im beruflichen Umfeld können eine zukünftige Invalidität verhüten. Die vorgeschlagene 5. IV-Revision ist mit den Zielsetzungen der Strategie für die psychische Gesundheit gut abgestimmt.

1.1.3.2

Demographie

Die Zunahme der Personen, welche eine IV-Rente beziehen, ist ein komplexes gesellschaftliches Phänomen. Teilweise lässt es sich auf die veränderte Altersstruktur der Bevölkerung zurückführen: Je älter eine Person ist, desto anfälliger ist sie für gesundheitliche Beeinträchtigungen, die sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken können. Je höher also der Anteil der Älteren an der aktiven Bevölkerung ist, desto höher ist auch der Anteil der invaliden Personen. Dieser demographische Anteil macht rund einen Fünftel des jährlichen Wachstums der Rentenausgaben aus.

1.1.3.3

Wirtschaftliche Situation

Der schweizerische Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren tiefgreifend gewandelt. Im Industriesektor arbeiten noch 26 Prozent der Erwerbstätigen. Der Dienstleistungssektor gewinnt immer mehr an Gewicht; im Jahr 2003 arbeiteten bereits knapp 72 Prozent13 der erwerbstätigen Personen in der Schweiz in diesem Sektor. Bedingt durch diese Entwicklung sind viele Arbeitsplätze verloren gegangen. Mit der Verschiebung der Arbeitsplätze in den Dienstleistungssektor und dem technischen Fortschritt im Industriesektor haben sich auch die Anforderungen an die erwerbstätige Bevölkerung verändert. Besonders betroffen sind gering qualifizierte Erwerbstätige, davon viele Migrantinnen und Migranten, Erwerbstätige in der lateinischen Schweiz und auch Frauen.

Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahren liegt es nahe, einen Zusammenhang zwischen Erwerbslosigkeit und Invalidität zu vermuten.

Vergleiche der Daten der neunziger Jahren ergeben, dass in Jahren mit niedrigem 11 12

13

So lässt sich bspw. bei einer Krankheit deren Beginn oft nicht immer klar eruieren.

«Psychische Gesundheit ­ Nationale Strategie zum Schutz, zur Förderung, Erhaltung und Wiederherstellung der psychischen Gesundheit der Bevölkerung in der Schweiz» (Entwurf zur Stellungnahme) Nationale Gesundheitspolitik Schweiz, Februar 2004, S. 106+71.

Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2004, S. 191.

4483

wirtschaftlichen Wachstum die Ausgaben der IV markant anstiegen. Auswertungen zeigen aber, dass es keinen institutionalisierten, routinemässigen Übertritt von Erwerbslosen zur IV gibt. Die Zahl der Erwerbslosen stieg bis 1994 stark an, hingegen blieb der Anteil der Personen, die anschliessend innerhalb von zwei Jahren eine IV-Rente erhielten, mit gut zwei Prozent stabil. Der Zusammenhang zwischen Arbeitslosen- und IV-Rentenquote ist in den nachfolgenden Jahren noch schwächer geworden.

1.1.3.4

Berufs- oder Branchenzugehörigkeit

Im Kanton Genf hat sich eine im Jahr 2000 publizierte Untersuchung mit der Frage beschäftigt, welchen Einfluss die Berufs- und Branchenzugehörigkeit auf die Invaliditätsquote und die Mortalität der betroffenen Arbeitnehmenden hat14. Die Untersuchung betraf die männliche Bevölkerung des Kantons im Alter von 45 bis 65 Jahren, aufgeschlüsselt nach 28 Branchen- und/oder Berufsgruppen. Um die Invaliditätsquote zu berechnen, wurden Personen mit ganzen IV-Renten berücksichtigt.

Anteil der Männer, die im Alter von 45 bis 65 Jahren invalid werden (ganze IV-Rente), im Kanton Genf, aufgeschlüsselt nach Branchen- oder Berufszugehörigkeit Branche oder Berufsgruppe

Anteil der invaliden Personen in Prozenten

wissenschaftliche Berufe oder ähnliche Architekten, Ingenieure, Techniker Polizei, Feuerwehr Direktion, oberes Kader Lehrpersonen Uhrmacher, Bijoutier Medizinische und paramedizinische Berufe Landwirte Büroangestellte Drucker, Typographen Künstlerische Berufe Kaufmann, Vertreter, Verkäufer Elektriker Angestellte in der Landwirtschaft Maler Holzindustrie Technische Hilfskräfte Magaziner, Lagerarbeiter Metallindustrie, Maschinenbau

2,9 3,9 5,3 5,9 6,2 8,3 8,4 9,6 11,7 13,2 14,7 15,5 15,7 16,7 17,4 17,6 17,9 18,5 18,6

14

Office cantonal de l'inspection et des relations du travail, «Mortalité prématurée et invalidité selon la profession et la classe sociale à Genève», März 2000.

4484

Branche oder Berufsgruppe

Anteil der invaliden Personen in Prozenten

Berufschauffeure SBB und PTT Hotellerie und Gastgewerbe Bäcker, Metzger, Nahrungsmittel Reinigungspersonal,Abwarte und Strassenarbeiter Automechaniker Fabrikarbeiter Baugewerbe

20,8 22,2 22,5 22,8 24,6 25,2 31,3 40,0

Ein gesunder 45-jähriger berufstätiger Mann im Kanton Genf hat also je nach Branche und Beruf ein Risiko zwischen 2,9 und 40 Prozent, bis zu seinem 65. Lebensjahr invalid zu werden und eine ganze IV-Rente zu beziehen.

Eine im Auftrag des BSV erstellte Studie15 hat das Invaliditätsrisiko nach Wirtschaftsbranche und beruflicher Tätigkeit bei den neuen IV-Rentenfällen 2003 in sieben Kantonen (Basel-Stadt, Bern, Genf, Jura, Schwyz, Tessin und Uri) untersucht. Die Studie bestätigt, dass das Invaliditätsrisiko von Branche zu Branche starke Schwankungen aufweist. Bei der untersuchten Bevölkerungsgruppe variierte die Wahrscheinlichkeit, invalid zu werden (gemessen in Prozenten aller Erwerbstätigen in der betreffenden Branche), je nach Branche zwischen Faktor 1 bis 5. Das Unterrichtswesen sowie der Bereich Land- und Forstwirtschaft, Bergbau und Gewinnung von Steinen/Erden verzeichnen die schwächsten Invaliditätsraten, während das Invaliditätsrisiko in der öffentlichen Verwaltung und den Sozialversicherungen sowie im Hoch- und Tiefbau am höchsten ist.

15

Hefti Christoph und Stefan Siegrist, «Invalidität nach Branchen und Tätigkeit», Blöchliger, Stähelin & Partner, April 2004.

4485

Invaliditätswahrscheinlichkeit nach Wirtschaftsbranchen, 2003 Land- und Forstwirtschaft, Bergbau u.

Gewinnung v. Steinen/Erden

0.22%

Unterrichtswesen

0.22% 0.30%

Kredit- und Versicherungsgewerbe

0.45%

Handel, Reparatur von Autos

0.56%

Gesundheits- und Sozialwesen Immobilien, Informatik, F&E, Dienstleistungen für Unternehmen

0.57%

Verarbeitendes Gewerbe

0.59%

Sonstige private und öffentliche Dienstleistungen

0.59% 0.63%

Verkehr und Nachrichten Energie- und Wasserversorgung

0.68%

Gastgewerbe

0.68%

Öffentliche Verwaltung, Sozialversicherungen

0.83% 1.00%

Hoch- und Tiefbau

0.00%

0.20%

0.40%

0.60%

0.80%

1.00%

1.20%

Invaliditätswahrscheinlichkeit (Neurentner/innen 2003 in % der Erwerbsbevölkerung nach Branche)

Das Invaliditätsrisiko weist auch je nach Berufsstatus der Versicherten starke Unterschiede auf: Die erwähnte Studie zeigt, dass das Invaliditätsrisiko im Jahr 2003 bei den Selbstständigerwerbenden ca. 3,5 Mal geringer war als bei den Personen mit einer unselbstständigen Berufstätigkeit.

Berufsstatus

Invaliditätswahrscheinlichkeit im Jahr 200316

Selbstständige Tätigkeit Unselbstständige Tätigkeit

0,21 % 0,76 %

Die Studie hat weiter aufgezeigt, dass das Invaliditätsrisiko ebenfalls vom Qualifikationsgrad der Versicherten abhängt. Die Wahrscheinlichkeit, invalid zu werden, ist bei den Personen, die höchstens eine obligatorische Schulbildung abgeschlossen haben, höher als bei den Personen mit einer höheren Bildung, wie aus der nachfolgenden Tabelle ersichtlich ist: Schulbildung und berufliche Ausbildung

Invaliditätswahrscheinlichkeit im Jahr 200317

Höchstens obligatorische Schulzeit Lehre und Berufsschule Matura Universität Höhere Berufsschule

1,19 % 0,78 % 0,32 % 0,25 % 0,10 %

16 17

Neue IV-Rentnerinnen und -Rentner 2003 mit dem entsprechenden Berufsstatus in Prozenten aller Erwerbstätigen mit dem entsprechenden Berufsstatus.

Neue IV-Rentnerinnen und -Rentner 2003 mit der entsprechenden Schulbildung und beruflichen Ausbildung in Prozenten der gesamten Erwerbsbevölkerung mit dem betreffenden Bildungsniveau.

4486

Eine als Folge des Postulates Teuscher vom 5. Oktober 2000 (00.3546) durchgeführte Studie der Universität Neuenburg bestätigt, dass Personen ohne Ausbildung häufiger krank und invalid werden sowie früher sterben als Personen mit guter Ausbildung18.

1.1.3.5

Gewandeltes Verständnis der Begriffe Gesundheit und Krankheit bei der Ärzteschaft vornehmlich im Bereich der psychischen Krankheiten

Rentenbezüge auf Grund von psychischen Erkrankungen haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Vor allem in den Jahren 1999 bis 2002 ist diese Zunahme ausserordentlich hoch. Zu den möglichen Gründen gibt es wenig erhärtete Daten. In Gesprächen werden immer wieder die Veränderungen in der Arbeitswelt, unter anderem Beschleunigung und Verdichtung der Arbeit, rasch wechselnde Teams und Vorgesetzte, gesunkene Arbeitsplatzsicherheit und übermässiger individueller Leistungswille angeführt. Diese Annahmen werden gestützt durch die starke Zunahme der Produktivität bei gleichzeitigem Arbeitsplatzabbau in einigen Branchen.

Wie bereits in der Botschaft zur 4. IV-Revision ausgeführt, hat eine 1999 durchgeführte Untersuchung19 gezeigt, dass sich das Verständnis der Begriffe «Gesundheit», «Krankheit» und «Invalidität» innerhalb der Ärzteschaft in den vergangenen Jahren gewandelt hat, wobei heute tendenziell der Bedeutung der Lebenssituation und des sozialen Umfeldes mehr Gewicht beigemessen wird. Weiter wird festgestellt, dass die Ärzteschaft bei der Beurteilung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen stark von den subjektiven Aussagen der Patientinnen und Patienten abhängig ist.

Nicht nur Ärztinnen und Ärzte, sondern auch die Versicherten reagieren auf psychische und soziale Faktoren ihres Umfeldes mit grösserer Sensibilität als früher.

Psychische Erkrankungen sind in der Gesellschaft kein Tabuthema mehr. Folgerichtig wirkt heute eine Invalidität aus psychischen Gründen weniger stigmatisierend als früher.

In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass die Zahl der Psychiaterinnen und Psychiater mit eigener Praxis stark zugenommen hat: Während die Zahl aller FMHÄrztinnen und Ärzte mit eigener Praxis von 1997 bis 2002 um 9 Prozent (von 13 258 auf 14 458)20 anstieg, nahm die Zahl der Psychiaterinnen und Psychiater mit eigener Praxis um 20 Prozent (von 1261 auf 1516) zu, bei den Jugendpsychiaterinnen und -psychiatern gar von 256 auf 317, das heisst um 35 Prozent. Nebst dieser allgemein stark gestiegenen Versorgungsdichte im ambulanten psychiatrischen Bereich gilt es auch noch zu berücksichtigen, dass es grosse regionale Unterschiede bei der Versorgungsdichte gibt. So weist beispielsweise der Kanton Basel-Stadt 87,7 Psychiaterinnen und Psychiater auf 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner auf, die zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig sind21, 18 19 20 21

Olivia Lampert, «Travail et santé, Mortalité et invalidité en rapport avec l'activité professionnelle» (Antwort zum Postulat von Franziska Teuscher, Neuenburg 5.5.2003).

Studie Interface, «Die ärztliche Beurteilung und ihre Bedeutung im Entscheidverfahren über einen Rentenanspruch in der Eidg. Invalidenversicherung», 1999.

FMH-Ärztestatistik 1997 und 2002.

Vgl. Anhang 2 der Verordnung vom 3. Juli 2002 über die Einschränkung der Zulassung von Leistungserbringern zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (SR 832.103).

4487

während in den Kantonen Zürich es 36,1, in Glarus 5,2, in Solothurn 14,4 in Bern 33,3, in Waadt 28,0 und in Genf 70,3 sind.

Die Entwicklung im Bereich der psychischen Erkrankungen in der IV ist in vielerlei Hinsicht die logische Folge der Geschehnisse, wie sie aus der Krankenversicherung bekannt sind. Die Nachfrage nach Leistungen durch die Versicherten auf dem Gesundheitsmarkt weicht auf Grund von drei Faktoren von der Nachfrage anderer Gütermärkte ab. Erstens handelt es sich bei der Gesundheit um ein spezielles Gut: Sein hoher Stellenwert ­ insbesondere im Falle einer Erkrankung ­ und die unscharfe Definition des Risikos Krankheit führen zu einer tendenziell hohen Nutzung des medizinischen Angebotes, das für die einzelnen Versicherten nur schwierig abzuschätzen ist. Der Informationsvorsprung der Leistungserbringer führt in dieser Situation zweitens dazu, dass diese innerhalb eines grossen Bereiches bestimmen können, welche Leistungen in welchem Ausmass erbracht werden. Die Nachfrage wird deshalb durch das Angebot (mit-)bestimmt (angebotsinduzierte Nachfrage).

Drittens führt die Tatsache, dass das Risiko Krankheit versichert ist, die versicherte Person die Kosten der Leistungen also nicht direkt tragen muss, eher zu einer erhöhten Nachfrage («moral hazard»)22. Diese Faktoren führen dazu, dass die Nachfrage kaum beschränkt ist. Es erstaunt daher wenig, dass mit der grossen Zunahme von Leistungserbringern im psychiatrischen und psychotherapeutischen Bereich auch eine entsprechende Zunahme von Behandlungen erfolgt ist.

1.1.3.6

Erschwerte Wiedereingliederung

Die Zunahme des Rentenbestandes ist auch bedingt durch die längere Verweildauer von invaliden Personen im IV-Rentensystem. Erstens schlägt der höhere Anteil an Jüngeren zu Buche, wenn in der Regel eine Rentenzusprache einen Bezug bis zum Eintritt ins AHV-Alter bedeutet. Zweitens spielt der medizinische Fortschritt eine Rolle, der die Lebenserwartung bei bestimmten Invaliden erhöht hat. Drittens ist die Wiedereingliederung insbesondere bei Rückenpatientinnen und -patienten sowie bei Invaliden aus psychischen Gründen schwierig.

Eine im Jahr 2002 erschienene ländervergleichende Studie23 verfolgte über mehrere Jahre Personen mit Rückenproblemen und einer bereits während mindestens drei Monaten dauernden Arbeitsunfähigkeit. Aufgrund dieser Studie stellten sich die folgenden Faktoren als erfolgsversprechend für eine Wiedereingliederung heraus:

22

23

­

Individuelle Charakteristika: männliches Geschlecht / nicht allein lebend / kein tiefes Bildungsniveau / 25- bis 44-jährig

­

Arbeitswelt: gute Arbeitsplatzsicherheit resp. Offenhalten der Stelle während ca. eines Jahres / unterstützende Massnahmen für die Wiederaufnahme der Arbeit (z.B. Wiederaufnahme zu vorerst therapeutischem Zweck, Begleitung, ausgesprochene Drohung mit Entlassung, sofern keine Wiederaufnahme erfolgt)

Gärtner, L. 2003. Gesundheitswesen der Schweiz ­ wohin? Mögliche Strukturreformen, S. 175. In: CARITAS. 2003. Sozialalmanach. Gesundheit ­ Eine soziale Frage, S. 173­188.

Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit, «Wer zur Arbeit zurückkehrt und warum», Genf, 2002.

4488

­

System der sozialen Sicherheit: frühzeitige Erkennung von problematischer Arbeitsunfähigkeit (z.B. kurze, sich wiederholende Absenzen) und frühzeitiges Eingreifen durch Kranken-/Invalidenversicherungssystem.

Die Studie hält auch fest, dass für die Wiedereingliederung u.a. der Umgang mit der Problematik eines tiefen Bildungsniveaus resp. den tatsächlichen Möglichkeiten einer höheren Qualifizierung noch vertieft werden muss.

Die Faktoren, welche die Eingliederung in den Augen der Unternehmen begünstigen oder erschweren, wurden in einer kürzlich von der Fachhochschule Nordwestschweiz in Solothurn erstellten Studie untersucht24. Als hauptsächliche Hindernisse für die Anstellung von Behinderten nennen die Unternehmen als erstes den Anforderungsgrad der Arbeitsplätze, allfällige Einschränkungen in der Arbeitsfähigkeit und die Gefahr von Absenzen bei behinderten Angestellten, die zusätzliche Arbeitsbelastung, welche die Betreuung von Behinderten mit sich bringt, sowie die Befürchtung, keine geeignete externe Unterstützung zu erhalten. Negative Reaktionen seitens der Kundschaft oder der anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden hingegen nicht als bedeutende Hindernisse angesehen. Aus der Studie geht weiter hervor, dass die Information, die Beratung und die Unterstützung der Unternehmen eine wichtige Rolle für die Förderung der Eingliederung spielen. Diesbezüglich zeigt es sich aber, dass die bestehenden staatlichen Massnahmen (insbesondere finanzielle Anreize für die Unternehmen bei der Umschulung oder Anstellung von invaliden Personen, Beratung, Coaching) von den Unternehmen zwar als nützlich erachtet werden, diese jedoch die vorhandenen Anreiz- oder Beratungsangebote kaum kennen. Die Unternehmen halten sich mehrheitlich (76 %) für ungenügend informiert über die diesbezüglichen Möglichkeiten. Um die Eingliederungschancen zu verbessern, sollte eine engere Zusammenarbeit mit den Unternehmen und ihren Vertreterinnen und Vertretern angestrebt werden.

Was das spezifische Thema der Menschen mit einer psychischen Behinderung betrifft, so stecken die Pilotversuche mit Eingliederungsstrategien noch in den Kinderschuhen. Ein Ansatz besteht im «Supported Employment». Dabei wird den Menschen mit einer psychischen Krankheit und ihrem aktuellen oder zukünftigen Arbeitgebenden ein «Job Coach» zu Seite gestellt, der beide individuell über längere Zeit begleitet und betreut. In den USA wurde der Ansatz des «Supported Employment» relativ erfolgreich bei der Integration psychisch Behinderter in den Arbeitsmarkt
eingesetzt. Dabei werden die Behinderten langfristig durch einen Job-Coach am Arbeitsplatz unterstützt. Eine Studie des Nationalfonds zeigt, dass auch in der Schweiz verschiedene Fachstellen bestehen, welche sich mit der Eingliederung von psychisch Behinderten in den Arbeitsprozess befassen. In der Regel arbeiten dort ein bis zwei Personen. Sie sind nicht vernetzt und es besteht keine gemeinsame konzeptionelle Basis. Entsprechend vielfältig und unübersichtlich sind die Strukturen und Angebote. Die Studie fordert deshalb eine klare konzeptuelle Basis, eine bessere strukturelle Verankerung sowie eine tragfähige Finanzierung für diese Art von Integrationsmassnahmen25.

24 25

Edgar Baumgarnter, Stephanie Greiwe, Thomas Schwab, Der Umgang der Betriebe mit Behinderung, Fachhochschule Solothurn Nordwestschweiz, Oktober 2003.

Rüst, T. et. al. 2004. «Supported Employment», Modelle unterstützter Beschäftigung in der Schweiz. Nationales Forschungsprogramm «Probleme des Sozialstaats». Wissenschaftlicher Schlussbericht.

4489

Parallel dazu wird im Kanton Bern eine Fachstelle aufgebaut, die Menschen mit psychischen Störungen möglichst rasch und gezielt an Arbeitsstellen auf dem offenen Arbeitsmarkt vermittelt und dort durch «Job-Coaches» intensiv betreut. In einer Begleitstudie werden diese Personen verglichen mit anderen Personen, die mithilfe bereits bestehender Rehabilitationsprogramme den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt versuchen. Das Projekt wird Mitte 2005 abgeschlossen werden.

Das NFP 45 dürfte neue Erkenntnisse über die psychischen Krankheiten/Behinderungen erbringen. Das Projekt «Vom behinderten Menschen zum Invalidenrentenbezüger ­ ein Leben lang?» hat auf die Notwendigkeit einer frühzeitigen Erkennung und Begleitung der infolge einer psychischen Krankheit arbeitsunfähigen Versicherten hingewiesen. Im Hinblick auf eine Verbesserung der beruflichen Eingliederungschancen dieser Versicherten wurde ebenfalls die zentrale Rolle einer gezielten Qualifizierung sowie geeigneter beruflicher Massnahmen als Begleitprogramm der Betroffenen während ihres gesamten Eingliederungsprozesses herausgestrichen.

Weitere Studien sind zur Zeit im Gange: Die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (PUK) beteiligt sich zur Zeit an der Europäischen Multicenterstudie «Equolise» mit Projekten in England, Holland, Deutschland, Italien und Bulgarien. Auch hier wird die Arbeit einer neuen Fachstelle zur Arbeitsvermittlung Behinderter evaluiert. Die PUK geht zudem in einer Langzeitstudie unter dem Titel «Soziale Integration und Lebensqualität psychisch kranker Menschen» der Frage nach der Art und dem Umfang der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess nach. Die Resultate dieser Studien sind 2005 oder 2006 zu erwarten.

Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium ­ entstanden auf Initiative des Projektes «Nationale Gesundheitspolitik» ­ baut zur Zeit das Schweizer Gesundheitsmonitoring auf, mit dem systematisch die zeitliche Entwicklung der gesundheitlichen Situation und Versorgung der Schweizer Bevölkerung beobachtet wird.

Unterstützt wird dieses Monitoring zudem durch verschiedene Projekte wie u.a. die Darstellung des Status Quo der «Epidemiologie der psychischen Störungen in der Schweiz» und die «Analyse der Basisdaten stationärer psychiatrischer Behandlungen in der Schweiz».

1.1.3.7

Wirksamkeit beruflicher Eingliederungsmassnahmen der IV

Die IV spricht berufliche Eingliederungsmassnahmen (erstmalige berufliche Ausbildung, Umschulung, Berufsberatung, Arbeitsvermittlung und Kapitalhilfe für Selbständigerwerbende) zu, wenn im konkreten Fall eine ursächliche Beziehung zwischen Gesundheitsschaden und Erwerbsunfähigkeit, d.h. eine Invalidität, vorliegt und eine Eingliederungsfähigkeit besteht. In der Praxis kann die Beurteilung des Zusammenhangs zwischen Gesundheitsschaden und Erwerbsunfähigkeit sehr schwierig sein. Invalidisierende und invaliditätsfremde Faktoren zu definieren und sie von einander abzugrenzen, verlangt vor allem bei Versicherten in besonderen Lebenssituationen wie Suchtabhängigkeit und Immigration oder auch bei Versicherten ohne spezielle berufliche Qualifikation intensive Abklärungen. Stellt sich beispielsweise heraus, dass eine soziale Verwahrlosung bei Suchtabhängigkeit als

4490

Folge des Beschaffungsstresses besteht und gar keine gesundheitliche Schädigung vorliegt, so besteht kein Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen der IV.

Viele Immigrantinnen und Immigranten arbeiten als ungelernte Arbeitskräfte in körperlich stark belastenden Tätigkeiten. Treten nach einigen Jahren oder Jahrzehnten z.B. Rückenprobleme auf und die medizinischen Abklärungen der IV ergeben, dass eine körperlich leichtere Erwerbstätigkeit noch möglich wäre, so scheitert das Finden eines geeigneten Arbeitsplatzes oft an Faktoren wie einer fehlenden Ausbildung, mangelhaften Kenntnissen einer Landessprache oder Analphabetismus.

Weil es sich dabei aber um invaliditätsfremde Faktoren handelt, hat nicht die IV dafür einzustehen.

Die Entwicklung der Renten wird auch durch die (Wieder-)Eingliederung invalider Personen in die Arbeitswelt beeinflusst.

Wirksamkeit beruflicher Massnahmen 2000 100%

80%

Wirksamkeit

Durchschnitt 72% 60%

40%

73%

82%

53% 20%

0% Geburtsgebrechen

Krankheiten

Unfälle

Eine Auswertung der Daten26 zeigt, dass von den 4500 Personen, die im Jahr 2000 eine berufliche Massnahme abgeschlossen hatten, knapp 72 Prozent bis Ende 2002 keine ganze Rente bezogen und damit ihren Lebensunterhalt zumindest teilweise selbst verdienen konnten27. Am wenigsten wirksam zeigen sich die Massnahmen bei Invalidität wegen Geburtsgebrechen. Im Durchschnitt liegen die Massnahmen bei einer Invalidität aufgrund von Krankheiten, wobei innerhalb der Krankheiten bei den psychischen Gebrechen eine unterdurchschnittliche Wirksamkeit (56 %) festzustellen ist. Überdurchschnittlich ist die Wirksamkeit von beruflichen Massnahmen bei unfallbedingter Invalidität. Über die letzten Jahre sind diese Ergebnisse stabil geblieben.

26

27

Diese Daten liegen für berufliche Massnahmen vor, die zwischen 1997 und 2000 abgeschlossen worden. Als wirksam wird dabei eine Massnahme bezeichnet, wenn sie den Bezug einer ganzen Rente verhindert.

Personen, die in einer «Vorbereitung für die Tätigkeit in einer geschützten Werkstatt» standen, wurden nicht in die Untersuchung einbezogen.

4491

Die Resultate der statistischen Analysen des BSV über die Wirksamkeit der beruflichen Massnahmen werden in einer kürzlich fertig gestellten Studie28 weitestgehend bestätigt. Die Studie zeigt zudem, dass im Wesentlichen die Merkmale Motivation, Alter, körperliche Belastung am Arbeitsplatz und die Art der Beeinträchtigung der versicherten Personen, aber auch das Fehlen einer 'unité de doctrine' innerhalb von einzelnen IV-Stellen sowohl bei der Einleitung wie auch in Bezug auf die Wirksamkeit von beruflichen Massnahmen von entscheidender Bedeutung sind.

Die Annahme, die Eingliederungsmassnahmen der IV seien nicht wirksam, kann demnach als Grund für die Rentenzunahme in der IV ausgeschlossen werden. Im Jahr 2002 befanden sich rund 14 000 Personen in einer berufliche Eingliederungsmassnahme der IV.

1.1.3.8

Kantonale Unterschiede

Statistische Vergleiche zeigen, dass der Anteil der IV-Rentnerinnen und -Rentner an der aktiven Bevölkerung je nach Kanton unterschiedlich ist:

Werden die aktuellsten Neurenten betrachtet, stellt sich die Situation wie folgt dar:

28

Cornelia Furrer, Oliver Bieri und Ruth Bachmann, «Berufliche Eingliederung in der Eidg. Invalidenversicherung», Interface ­ Institut für Politikstudien, 2004.

4492

Seit Beginn des Jahres 2003 werden vom BSV die Neurenten pro Kanton durch ein Quartalsmonitoring laufend verfolgt, um Unterschiede zu erkennen und mögliche Ursachen frühzeitig zu eruieren.

Es hat sich gezeigt, dass die kantonalen Unterschiede nicht auf den Faktor «Stadt» zurückzuführen sind. Der Vergleich der zehn bevölkerungsreichsten Städte mit den entsprechenden kantonalen Quoten ergibt folgendes Bild29: Anteil Neuberentungen in den zehn grössten Städten der Schweiz 2002 (gewichtet)

1.2% 1.0% 0.8% 0.6% 0.4% 0.2% 0.0% Genf

Lausanne

Biel

Bern

Thun

Stadt

29

Basel

Luzern

Zürich

Winterthur St. Gallen

CH

Kanton

In der Stadt Basel betrug die Neuberentungsquote im Jahr 2002 etwas über und im Kanton Basel-Stadt etwas weniger als 1 %. Das bedeutet, dass auf 100 Personen zwischen 18 und 62/64 Jahren eine ganze Neurente zugesprochen wurde. Die Quoten berechnen sich auf der Grundlage der Bevölkerungsdaten (Männer 18­64, Frauen 18­62) gemäss Volkszählung 2000. Die Unterschiede der Kantonsquoten zur Grafik «Anteil der Neurenten nach Kanton und Jahr» (vgl. Ziff. 1.1.3.8, 2. Grafik) erklären sich aus verschiedenen Registerständen und statistischen Differenzen.

4493

Die Differenzen zwischen Minimum und Maximum betragen bei der Städtebetrachtung 0,61 Prozentpunkte und bei der Kantonsbetrachtung 0,60 Prozentpunkte. Es fällt auf, dass Städte in der Regel höhere Berentungsquoten aufweisen als die betreffenden Kantone (Ausnahme: Winterthur). Die Kantonsquote von Basel mit + 90,6 Prozent über dem Mittel aller Kantone sinkt im Städtevergleich auf + 61,1 Prozent.

Damit liegt die Quote der Stadt Basel immer noch stark über dem zweithöchsten Wert von + 16,0 Prozent der Stadt Luzern.

Wird der Vergleich ohne den Ausreisser «Basel» gemacht, ergibt sich folgendes Bild: Die Städte Bern, Thun und Winterthur weisen sehr unterdurchschnittliche, Lausanne, Luzern und St. Gallen überdurchschnittliche Invalidisierungsquoten auf.

Genf, Biel und Zürich liegen etwa im Mittel der neun Städte. In ähnlich grossen Städten können also sehr verschiedene Invalidisierungsquoten resultieren: Während Thun eindeutig die niedrigste Quote aller untersuchten Städte aufweist, liegt Biel fast auf gleicher Höhe wie die Stadt Genf.

Die Vermutung, dass hohe kantonale IV-Berentungsquoten auf einen hohen Anteil an Stadtbevölkerung zurückzuführen seien, hat sich nicht bestätigt. Gezeigt hat sich hingegen, dass: ­

sowohl bei den Städten wie auch bei den Kantonen der Unterschied zwischen der tiefsten und der höchsten Neuberentungsquote rund 0,6 Prozentpunkte beträgt,

­

mit Ausnahme von Winterthur die Quoten der Städte über der entsprechenden kantonalen Quote liegen,

­

ähnlich grosse Städte verschieden hohe Neuberentungsquoten aufweisen, und

­

die spezielle Situation sowohl des Kantons als auch der Stadt Basel nicht allein durch den Stadtfaktor erklärt werden kann.

Eine weitere Vermutung für die Begründung kantonaler Unterschiede hat sich ebenfalls kaum bestätigt: Die demographische Verteilung der kantonalen Bevölkerungen zeigt nur bei einigen wenigen Kantonen einen nennenswerten Einfluss. Wird die für die Schweiz durchschnittliche Verteilung der Altersgruppen im Erwerbsalter auf die einzelnen Kantone umgelegt, resultiert, dass die heutige IV-Quote der Neurenten in den Kantonen AI/FR/LU/OW/SZ leicht zu hoch und in den Kantonen BL/SH/TI leicht zu tief sind.

Die kantonalen Unterschiede lassen sich teilweise durch strukturelle, wirtschaftliche, demografische, soziale oder politische Faktoren erklären, auf welche die IV-Stellen keinen Einfluss haben. Nach einer kürzlich vom Büro BASS30 im Auftrag des Nationalfonds erstellten Studie sollen diese exogenen Faktoren bis zu zwei Dritteln der Unterschiede zwischen den kantonalen IV-Rentenquoten erklären31. Es besteht aber aller Grund zur Annahme, dass der Gesetzesvollzug sich ebenfalls von einer IV-Stelle zur anderen unterscheidet. Nach den Ergebnissen der BASS-Studie können 30 31

Stefan Spycher, Jürg Baillod, Jürg Guggisberg und Marianne Schär Moser, Analyse der interkantonalen Unterschiede innerhalb der Invalidenversicherung, Büro BASS, 2003.

Betrachtet man sämtliche 26 Kantone der Schweiz, so lassen sich gemäss den Analysen des Büros BASS 37 % der interkantonalen Unterschiede bei der IV-Rentenquote mit dem Einfluss von exogenen Faktoren erklären. Für 24 Kantone (ausgenommen Genf und Basel-Stadt) lassen sich nach diesem Modell sogar 65 % der interkantonalen Unterschiede mit exogenen Faktoren erklären.

4494

bis zu einem Drittel der interkantonalen Unterschiede bei den IV-Rentenquoten mit dem unterschiedlichen Gesetzesvollzug erklärt werden.

Mit der 4. IV-Revision ist das BSV verpflichtet worden, die Qualität der Arbeit aller IV-Stellen jährlich statt alle drei bis fünf Jahre zu überprüfen (vgl. Art. 64 Abs. 2 IVG). Davon erhoffen sich Bundesrat und Parlament eine Verringerung der bestehenden kantonalen Unterschiede.

1.1.3.9

Veränderung des Verhältnisses von Zusprachen und Ablehnungen

In der gleichen Zeit, in der die Zahl der Rentenbezügerinnen und -bezüger Jahr für Jahr deutlich zugenommen hat, ist die Quote32 der Rentenzusprachen im Vergleich zu den Ablehnungen im schweizerischen Durchschnitt gesunken. Dies ist bei der Mehrheit der Kantone der Fall; bei kleinen IV-Stellen können allerdings wenige Fälle bereits Veränderungen von ganzen Prozentpunkten bedeuten.

Zusprachequoten der kantonalen IV-Stellen bei erstmaligen Berentungen 1997 - 2003 100% .... 1997/1999 = 80 % .... 2003 = 72 %

75%

50%

25%

0% ZH BE LU UR SZ OW NW GL ZG FR SO BS BL SH AR

1997

1999

AI

SG GR AG TG

TI

VD

VS

NE GE JU

2003

Bei den Versicherten mit Wohnsitz im Ausland ist die Rentenzusprachenquote seit jeher deutlich tiefer als bei den kantonalen IV-Stellen (1997: 41 %, 2003: 44,7 %).

Sie hat sich im Beobachtungszeitraum wegen neuer zwischenstaatlicher Verträge mit Vergrösserung des Kreises der versicherten und damit auch der anspruchsberechtigten Personen erhöht.

Da die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente über die Jahre gleich geblieben sind, ist somit die Annahme nicht zutreffend, dass eine Rente heute eher gesprochen werde als noch vor fünf Jahren.

32

Die Rentenentscheide von Grenzgängerinnen und Grenzgängern sind bei den einzelnen kantonalen IV-Stellen eingerechnet.

4495

1.1.3.10

Internationale Verpflichtungen

Es ist davon auszugehen, dass sowohl die Aufhebung der Versicherungsklausel33 als auch die bilateralen Abkommen mit der EU und das revidierte EFTA-Abkommen34 eine gewisse Zunahme von Rentenfällen bewirkt haben. Allerdings ist nicht auszuschliessen, dass diese Zunahme bloss vorübergehender Natur ist und heute bereits wieder abflacht (vgl. auch Ziff. 1.1.2.3).

In der Zeit von Januar 2001 bis Januar 2002 stiegen die Rentenfälle im Ausland von 36 761 auf 38 877 an. In der Periode von Januar 2002 bis Januar 2003 erfolgte ein weiterer Anstieg auf 39 085 Rentenfälle; die Zunahme betrug somit nur noch rund 10 Prozent des Vorjahres. In diesen 208 Rentenfällen sind 200 Viertelsrenten enthalten, die neu aufgrund des Freizügigkeitsabkommens in den EU/EFTA-Raum ausgerichtet werden müssen. Hier ist davon auszugehen, dass es sich zum grossen Teil um «übergangsrechtliche» Rentenfälle handelt, da vor dem 1. Juni 2002 kein Export dieser Leistungen möglich war. Im Januar 2004 wurden 39 976 Renten ins Ausland ausgerichtet, davon waren 583 Viertelsrenten.

In welche Richtung die Tendenz gehen wird, lässt sich heute noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Verlässliche Aussagen dürften erst in ein bis zwei Jahren möglich sein. Zu berücksichtigen ist auch, dass der durchschnittliche Betrag der ins Ausland ausgerichteten Renten erheblich unter der schweizerischen Vergleichsgrösse liegt (die Differenz beträgt pro Monat rund 340 Franken35). Tatsache bleibt auf jeden Fall, dass trotz dieser (übergangsrechtlichen) Zunahme die Neuberentungen im Ausland zwischen Januar 2003 und Januar 2004 lediglich etwa sechs Prozent des gesamten Rentenvolumens ausmachen (vgl. Ziff. 1.1.2.3).

1.1.4

Auswirkungen der Zunahme der IV-Renten auf die berufliche Vorsorge

1.1.4.1

Koordination zwischen der Invalidenversicherung und der beruflichen Vorsorge

Der Invaliditätsbegriff in der obligatorischen beruflichen Vorsorge entspricht jenem der ersten Säule. Gemäss Artikel 26 Absatz 1 des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG; SR 831.40) gelten für den Beginn des Anspruchs auf Invaliditätsleistungen sinngemäss die entsprechenden Bestimmungen des IVG, insbesondere Artikel 29 IVG. Gehen die Vorsorgeeinrichtungen ­ ausdrücklich oder unter Verweis ­ vom gleichen Invaliditätsbegriff aus wie die Invalidenversicherung, ist die Invaliditätsbemessung für die Vorsorgeeinrichtung verbindlich, ausser sie erweist sich als offensichtlich unhaltbar (BGE 115 V 208, 123 V 271, 126 V 311). Aufgrund dieser engen Verbindung zwischen der ersten und der zweiten Säule ist ein Versicherungsträger, der eine Verfügung erlässt, welche die Leistungspflicht eines anderen Trägers berührt, gemäss ATSG verpflichtet, auch ihm die Verfügung zu eröffnen (Art. 49 Abs. 4 ATSG und Art. 76 Abs. 1 Bst. i der Verordnung über die Invalidenversicherung [IVV]). Die Vorsorgeeinrichtungen 33 34 35

Revision der freiwilligen Versicherung (BBl 1999 4983 ff., insbesondere 5000 f.), in Kraft seit 1. Januar 2001.

In Kraft seit 1. Juni 2002.

Haupt- und Zusatzrenten im Januar 2004: Schweiz 1014 Franken, Ausland 675 Franken.

4496

können so gegen eine Verfügung der IV Einsprache erheben, wenn sie diese als nicht gerechtfertigt erachten. Vor der Einführung des ATSG hat das Eidgenössische Versicherungsgericht dazu festgehalten, dass die IV-Stelle verpflichtet ist, eine Rentenverfügung allen in Betracht fallenden Vorsorgeeinrichtungen von Amtes wegen zu eröffnen und dass, wenn ein solches Einbeziehen der Vorsorgeeinrichtungen unterbleibt, die IV-rechtliche Festsetzung des Invaliditätsgrades (grundsätzlich, inhaltlich und zeitlich) berufsvorsorgerechtlich nicht verbindlich ist (BGE 129 V 73).

Da die Invaliditätsleistungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge auf jenen der ersten Säule basieren, ist eine Koordination zwischen dem BVG und dem IVG unerlässlich. Im Rahmen der 1. BVG-Revision36 wurde deshalb die Viertels- und die Dreiviertelsrente eingeführt, um so mit der 4. IV-Revision gleichzuziehen.

1.1.4.2

Anstieg der Invaliditätsleistungen in der beruflichen Vorsorge

Der Kreis der versicherten Personen, die von der Invalidenversicherung und von der zweiten Säule erfasst werden, ist nicht identisch. Nicht unter die zweite Säule fallen insbesondere Personen, die nie erwerbstätig waren. Trotz dieser Unterscheidung ist die Zahl der Invalidenrenten auch in der zweiten Säule markant gestiegen. Zwischen 1992 und 2002 nahm die Zahl der Renten durchschnittlich um 6,9 Prozent zu und zwar von 61 000 auf 118 000. Die Summe der Invalidenrenten erhöhte sich von 800 Millionen auf 2 Milliarden Franken. Dies entspricht einem Anstieg um jährlich durchschnittlich 9,3 Prozent. Kapitalabfindungen sind in diesen Zahlen nicht erhalten, da sie statistisch nicht erfasst werden.

Anzahl Invalidenrenten in der BV 1992­2002 und Zuwachsrate 1992

1994

1996

1998

2000

2002

Anzahl der 60 597 Invalidenrenten

69 761

80 023

92 246

102 504 117 592 6,8 %

Invalidenrenten 819 insgesamt (in Mio. Fr.)

1022

1224

1546

1673

1986

durchschnittliche jährliche Zuwachsrate

9,3 %

Quelle: BFS, Pensionskassenstatistik 1992­2002.

Im Anschluss an das Postulat der SGK-N «BVG. Regelungsbedarf bei Invaliditätsleistungen» vom 22. Februar 2002 (02.3006) und den parlamentarischen Vorstössen «Stabilisierung der beruflichen Vorsorge. Massnahmen», vom 19. März 2003 (03.3088) und «Schutz der 2. Säule vor missbräuchlichem IV-Bezug» vom 2. Juni 2003 (03.3245) hat der Bundesrat das BSV beauftragt, eine Expertengruppe einzu-

36

Vgl. Änderung vom 3. Oktober 2003 BBl 2003 6653, Inkrafttreten: 1.1.2005 vgl.

AS 2004 1700.

4497

setzen, um sowohl den Regelungsbedarf im Bereich Invalidität, insbesondere im Hinblick auf den Wechsel vom Leistungsprimat zum Beitragsprimat, als auch die Zunahme der invaliditätsbedingten Kosten in der beruflichen Vorsorge zu prüfen.

1.1.5

Analyse der finanziellen Situation

1.1.5.1

Bisherige Entwicklung

Um die finanzielle Lage der IV zu bewerten, werden die Rechnung dieses Versicherungszweigs und die Wachstumsfaktoren im Lauf der letzten neun Geschäftsjahre aufgeführt.

Die nachstehende Tabelle zeigt die Einnahmen und Ausgaben sowie den Stand des Kapitalkontos per Ende Jahr in der Zeit von 1996­2004:

Einnahmen und Ausgaben der IV sowie Stand des Kapitalkontos 1996­2004 Beträge in Millionen Franken zu laufenden Preisen 1996

2000

2004

Einnahmen total Beiträge der Versicherten und der Arbeitgebenden Beiträge der öffentlichen Hand ­ Bund ­ Kantone Regress

6 886 3 148

7 897 3 437

9 511 3 826

3 657 2 742 914 82

4 359 3 269 1 090 102

5 548 4 161 1 387 137

Ausgaben total Geldleistungen ­ Renten Individuelle Massnahmen Kollektive Massnahmen Durchführungs- und Verwaltungskosten Kapitalzinsen

7 313 4 462 4 008 1 181 1 367 229 74

8 718 5 451 5 004 1 319 1 623 234 90

11 096 7 075 6 386 1 550 1 961 409 101

Betriebsergebnis

­ 427

­ 820

­ 1 586

­ 1 575

­ 2 306

­ 6 036

Kapitalkonto37

Es zeigt sich, dass der jährliche Fehlbetrag ständig wächst: Betrug er 1996 noch rund 6 Prozent der gesamten Einnahmen, so steht er 2004 schon bei 17 Prozent

37

Per 1. Januar 1998 wurden 2,2 Milliarden und per 1. Februar 2003 1,5 Milliarden von der EO in die IV verlagert.

4498

derselben. Ausgedrückt in Prozenten der Beiträge von Versicherten und Arbeitgebenden ist er in der betrachteten Zeitspanne von 14 Prozent auf 41 Prozent gestiegen.

In der folgenden Tabelle sind die jährlich durchschnittlichen Veränderungen der einzelnen Posten der Jahresrechnung sowie der Minimalrente für verschiedene Zeiträume zusammengestellt: Durchschnittlich jährliche Wachstumsraten von Einnahmen und Ausgaben der IV sowie der Minimalrente (in Prozenten) 1996­2000

2000­2004

1996­2004

Einnahmen total Beiträge der Versicherten und der Arbeitgebenden Beiträge der öff. Hand ­ Bund ­ Kantone Regress

3,5 2,2

4,8 2,7

4,1 2,5

4,5 4,5 4,5 5,6

6,2 6,2 6,2 7,6

5,4 5,4 5,4 6,6

Ausgaben total Geldleistungen ­ Renten Individuelle Massnahmen Kollektive Massnahmen Durchführungs- und Verwaltungskosten

4,5 5,1 5,7 2,8 4,4 0,5

6,2 6,7 6,3 4,1 4,8 15,0

5,4 5,9 6,0 3,5 4,6 7,5

Minimalrente

0,9

1,2

1,1

Diese Werte zeigen eine deutlich unterschiedliche Dynamik zwischen den Einnahmen und den Ausgaben: Während 1996­2004 die Beiträge der Versicherten und der Arbeitgebenden durchschnittlich um 2,5 Prozent pro Jahr zugenommen haben, sind die Ausgaben jährlich um 5,4 Prozent, die Renten um 6,0 Prozent gewachsen. Die Ausgaben sind jährlich um 2,9 Prozentpunkte stärker als die Beiträge der Versicherten und der Arbeitgebenden gewachsen, die Renten um 3,5 Prozentpunkte. Die Anpassung der Renten spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle, da die Minimalrente im gleichen Zeitraum jährlich um nur 1,1 Prozent zugenommen hat. Da der Beitrag der öffentlichen Hand von den Ausgaben abhängig ist, folgt dieser Einnahmenposten der Dynamik der Ausgaben. Somit übersteigt das jährliche Wachstum der Ausgaben die Gesamteinnahmen um 1,3 Prozentpunkte.

Weiter stellt man fest, dass die Ausgaben ­dabei vor allem die Renten ­ ab 2000 noch stärker gewachsen sind.

Das starke Wachstum der Rentenausgaben hat verschiedene Ursachen. In der folgenden Tabelle ist das Wachstum der zwei dreijährigen Perioden (1996­1999 und 1999­2002) auf je einen jährlichen Durchschnitt umgerechnet worden:

4499

Analyse des jährlichen durchschnittlichen Wachstums der IV-Renten in der Schweiz38 Zuwachsraten in Prozenten

Demographische Entwicklung Rentenalter und Überführung 10. AHV-Revision Invalidisierungswahrscheinlichkeit Rentenberechnung Rentenanpassung Total Rentenwachstum

1996­1999

1999­2002

1,09 ­ 3,24 0,32 1,19 5,89

1,36 0,64 3,57 0,67 0,82 7,11

Die demographische Entwicklung verursachte eine höhere Belastung bei der IV, da die Anzahl der Versicherten ­ v.a. der älteren, die eine grössere Wahrscheinlichkeit haben, invalid zu werden ­ zugenommen hat.

Rentenalter und Überführung 10. AHV Revision: Die Erhöhung des Rentenalters der Frauen bewirkte Kosten für die Deckung des Invaliditätsrisikos eines zusätzlichen Jahrgangs von Frauen. Die Überführung altrechtlicher Ehepaarrenten in Individualrenten gemäss 10. AHV-Revision hat zudem zu Leistungsverbesserungen geführt.

Mit Invalidierungswahrscheinlichkeit wird die Wahrscheinlichkeit bezeichnet, neu invalid zu werden.

Das Wachstum in der Rentenberechnung bedeutet, dass pro ganze Rente höhere Ausgaben entstanden sind, weil die zu Grunde liegenden Einkommen ein höheres Niveau erreichten, die durchschnittliche Beitragsdauer sich verlängert hat oder weil mehr Zusatzrenten angefallen sind.

Das Wachstum der Rentenausgaben ist auch auf die Rentenanpassungen zurückzuführen. Im Beobachtungszeitraum 1996­1999 wurde die Minimalrente von 970 Franken auf 1005 Franken (Anpassungen 1997 und 1999) erhöht, im Zeitraum 1999­2002 von 1005 Franken auf 1030 Franken (Anpassung 2001).

In beiden Perioden fällt demnach die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit, invalid zu werden, finanziell am stärksten ins Gewicht.

1.1.5.2

Künftige Ausgabenentwicklung

Der Rentenbestand ist das Resultat eines Prozesses, der sich aus Zugängen und Abgängen entwickelt. Der Rentenbestand eines bestimmten Jahres setzt sich also aus dem Vorjahresbestand, den Neueintritten (und Erhöhungen) abzüglich der Abgänge (und Herabsetzungen) des betreffenden Jahres zusammen. Werden die Zugänge über

38

Die Analyse des Rentenwachstums sowie die Daten zur künftigen Ausgabenentwicklung der nächsten Ziffer beruhen auf demographischen Grundlagen, die nur für die Schweiz vorliegen. Dabei wird davon ausgegangen, dass dieselben Prozesse auch für die Rentenzahlungen ins Ausland gelten.

4500

die Jahre verfolgt und mit der versicherten Bevölkerung39 verglichen, so ergibt sich die Invalidisierungswahrscheinlichkeit. Diese ist je nach Alter und Geschlecht sehr unterschiedlich. Die folgende Graphik zeigt die Invalidisierungswahrscheinlichkeit nach Altersgruppen: Invalidisierungswahrscheinlichkeit nach Alter (in der Schweiz, gewichtet) 60-64 55-59 50-54 45-49 40-44 35-39 30-34 25-29 20-24 18-19 0.0%

0.4%

0.8% 1990

1.2% 1996

1999

1.6%

2.0%

2003

Auffallend ist eine verstärkte Zunahme der Invalidisierungswahrscheinlichkeit in mittleren und jüngeren Altersgruppen; für die Versicherung bedeutet dies zusätzliche Kosten, bleiben doch diese Versicherten länger in deren Bestand. Parallel dazu scheint sich in den Altersgruppen kurz vor dem Rentenalter eine gewisse Konsolidierung abzuzeichnen. Werden die Invalidisierungswahrscheinlichkeiten global (Männer und Frauen, alle Alter) betrachtet, so ergeben sich die folgenden Invalidisierungswahrscheinlichkeiten und entsprechenden Zahlen von ganzen Neurenten in der Schweiz:

Invalidisierungswahrscheinlichkeit (in Prozenten) Anzahl Neurenten

1996

1999

2003

2004

0,51

0,55

0,60

0,55

21 800

23 300

27 100

25 200

Anhand der Entwicklung im Jahre 2004 und im ersten Quartal 2005 kann für das Jahr 2005 mit einer durchschnittlichen Invalidisierungsrate von rund 0,55 Prozent gerechnet werden, was etwa 25 500 ganzen gewichteten Neurenten entspricht.

Hochgerechnet auf das Jahr 2025 würde der Rentenbestand in der Schweiz bei einer Rate von 0,55 Prozent aus rund 305 000 ganzen Renten bestehen.

39

Sog. «Bevölkerung unter Risiko»: 1990­2000: Männer 18 bis 64, Frauen 18 bis 61; ab 2001: Männer 18 bis 64, Frauen 18 bis 62.

4501

1.2

Ziele der Revision

Die Zahl der IV-Rentnerinnen und IV-Rentner wächst seit Jahren stetig an. Über diese Entwicklung und ihre möglichen Ursachen wurde bereits in den parlamentarischen Beratungen zur 4. IV-Revision ausgiebig debattiert. Aber bis heute ist es nicht möglich, die Ursachen völlig schlüssig zu erklären.

Die statistische Analyse der Zunahme der Anzahl IV-Rentnerinnen und -Rentner in den Jahren 2001 und 2002 zeigt, dass dieser Zuwachs gegenüber den früheren Jahren noch ausgeprägter ist und dass die Bezügerinnen und Bezüger immer jünger sind. Wenn auch im Jahr 2003 und voraussichtlich ebenfalls im Jahr 2004 eine Wende beobachtet werden konnte, muss dennoch festgehalten werden, dass diese beiden Phänomene in Verbindung mit der Tatsache, dass die Ausgabensteigerung seit langem nicht mehr mit einer gleichzeitigen Erhöhung der Einnahmen einhergeht, das Defizit der IV stetig anwachsen lassen. Mit den ihr heute zur Verfügung stehenden Instrumenten kann die IV die Berentungstendenz nicht unter Kontrolle bringen. Tatsache ist, dass die Situation zahlreicher Menschen, die infolge Krankheit arbeitsunfähig geworden sind, viel zu spät berücksichtigt wird, nämlich erst dann, wenn die Betroffenen bereits nicht mehr in der Arbeitswelt integriert sind und die Chancen für eine Rückkehr an den Arbeitsplatz schlecht stehen.

Um dieser Entwicklung entgegenzutreten und die IV zu konsolidieren, drängen sich neue Massnahmen auf. Die 5. IV-Revision bezweckt, durch eine Reduktion der Zahl der Neurenten um 20 Prozent (bezogen auf das Jahr 2003) die Ausgaben der IV zu senken, negative Anreize im Zusammenhang mit der Eingliederung zu beseitigen und mittels Sparmassnahmen einen substanziellen Beitrag zur finanziellen Gesundung des Systems zu leisten, durch den die jährlichen Defizite der IV verringert werden.

Um diese Ziele zu erreichen, sieht der Bundesrat folgende Massnahmen vor: Dämpfung der Zunahme der IV-Neuberentungen ­

Früherfassung von arbeitsunfähigen Personen zum Zweck der frühzeitigen Wiedereingliederung Ziel dieses Instrumentes ist es, so früh als möglich mit Personen in Kontakt zu treten, welche aus gesundheitlichen Gründen in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sind, deren persönliche Situation abzuklären und zu beurteilen, ob Massnahmen zur Erhaltung des noch bestehenden Arbeitsplatzes und damit eine Intervention der IV notwendig sind. Diese Aufgabe wird den IV-Stellen übertragen.

­

Frühintervention Diese neuen, niederschwelligen und ohne grossen Abklärungsaufwand schnell einsetzbaren Massnahmen ­ wie z.B. Anpassung des Arbeitsplatzes, Arbeitsvermittlung, sozialberufliche Rehabilitation, etc. ­ sollen in erster Linie dazu beitragen, dass ganz oder teilweise arbeitsunfähige Personen ihren bestehenden Arbeitsplatz behalten können oder an einem neuen Arbeitsplatz innerhalb oder ausserhalb des bisherigen Betriebes eingegliedert werden können. Denn die Erfahrung hat gezeigt: Je früher und gezielter Massnahmen durchgeführt werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Versicherten im Erwerbsleben bleiben.

4502

­

Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung und Ausweitung der beruflichen Eingliederungsmassnahmen Unter dem Titel der neuen Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung können neu sozialberufliche Rehabilitation und gezielte Beschäftigungsmassnahmen im Hinblick auf ein konkretes Eingliederungsziel angeordnet werden. Dadurch sowie durch eine Ausweitung der bestehenden beruflichen Massnahmen wird der Katalog der Eingliederungsmassnahmen sinnvoll ergänzt. Diese Optimierung der Instrumente für die berufliche Eingliederung ist besonders für beruflich unqualifizierte und psychisch kranke Personen von grosser Bedeutung. Dadurch soll die Ausrichtung einer IV-Rente möglichst vermieden werden.

­

Verstärkung der Mitwirkungspflicht Um die Wichtigkeit der Eingliederung zu unterstreichen, soll die Schadenminderungs- und Mitwirkungspflicht konkretisiert werden. Neu sind die einzelnen Pflichten, denen eine versicherte Person nachzukommen hat, sowie die Möglichkeiten der Sanktion bei Verletzung dieser Pflichten ausdrücklich im Gesetz geregelt.

­

Erschwerung des Zugangs zur IV-Rente durch eine Anpassung des Invaliditätsbegriffs und des Rentenanspruchs Im Gegenzug zur Ausweitung der Eingliederungsmassnahmen soll der Zugang zur IV-Rente eingeschränkt werden. Im IVG wird neu ausdrücklich festgehalten, dass nur dann Anspruch auf eine Rente besteht, wenn die Erwerbsunfähigkeit voraussichtlich nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder hergestellt, erhalten oder verbessert werden kann.

Zudem wird der geltende Invaliditätsbegriff des ATSG angepasst. Als Ergänzung dazu werden die Kompetenzen der regionalen ärztlichen Dienste klarer geregelt: Diese sollen nun ausdrücklich auch für die Bestimmung der für die IV massgebenden funktionellen Leistungsfähigkeit der Versicherten verantwortlich sein.

­

Beginn des Anspruchs auf IV-Leistungen, Erhöhung der Mindestbeitragsdauer Mit den neuen Regeln betreffend den Beginn des Anspruchs auf IV-Leistungen soll für krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewordene Personen ein Anreiz geschaffen werden, sich so rasch als möglich bei der IV anzumelden, damit diese durch gezielte Massnahmen im Bereich der Frühintervention und der Eingliederung die Ausrichtung von Renten vermeiden kann. Zudem ist vorgesehen, die Mindestbeitragsdauer von einem auf drei Jahre zu erhöhen.

Korrektur von negativen Anreizen ­

Anpassung des IV-Taggeldsystems, Vermeidung von Einkommenseinbussen bei erhöhter Erwerbstätigkeit Das heutige IV-System führt allein oder im Zusammenspiel mit anderen Zweigen der sozialen Sicherheit zum Teil zur paradoxen Situation, dass gesundheitlich beeinträchtigte Personen nach Eintritt der Invalidität finanziell besser dastehen als vorher. So kann es auch sein, dass diese Personen keinerlei finanzielles Interesse daran haben, ihre Resterwerbsfähigkeit auszunützen, weil ihre Rente gekürzt würde. Die vorgeschlagenen Massnahmen 4503

sollen daher den Betroffenen positive Anreize bieten, sich für die Eingliederung zu interessieren bzw. nicht darauf zu verzichten.

Sparmassnahmen ­

Verzicht auf den Karrierezuschlag Mit dem Karrierezuschlag werden Personen, die in jungen Jahren invalid werden, die Einkommenserhöhungen ausgeglichen, die sie bei einer normal verlaufenden Berufskarriere erzielen könnten. Neu sollen die Renten auf der Grundlage des Erwerbseinkommens berechnet, welches durch die zuletzt ohne gesundheitliche Einschränkung ausgeübte Tätigkeit erzielt worden ist.

­

Überführung der medizinischen Massnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Leistungssystem der Krankenversicherung Die IV gewährt medizinische Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern auf die berufliche Eingliederung ausgerichtet sind. In der Praxis bereitet diese Abgrenzung zahlreiche Probleme und hat eine umfangreiche Rechtsprechung zur Folge gehabt. Da seit Einführung des KVG im Jahr 1996 die gesamte Bevölkerung für medizinische Behandlungen obligatorisch versichert ist, werden die medizinischen Massnahmen künftig von der Krankenversicherung bezahlt. Ausgenommen sind die medizinischen Massnahmen zur Behandlung von Geburtsgebrechen; diese sollen weiterhin durch die IV finanziert werden.

­

Aufhebung der laufenden Zusatzrenten Die Zusatzrenten wurden im Zuge der 4. IV-Revision aufgehoben, da diese zivilstandsabhängigen Leistungen gesellschaftlich nicht mehr genügend gerechtfertigt waren. Nun werden auch die noch laufenden Zusatzrenten aufgehoben.

Harmonisierung der Praxis Die Aufsichtskompetenzen des Bundes sind zu verstärken, um eine einheitliche Anwendung der IV-Gesetzgebung in der gesamten Schweiz zu gewährleisten. Die Verstärkung der Bundesaufsicht muss Hand in Hand mit einer stärkeren Einbindung der Sozialpartner in die Aufsicht über den Vollzug der IV gehen.

Erhöhung des IV-Beitragssatzes Die Erhöhung der Lohnbeiträge für die IV um 1 Promille von heute 1,4 Prozent auf 1,5 Prozent rechtfertigt sich als Kompensation der Entlastung der 2. Säule durch die erwartete Senkung der Zahl der Neurenten um 20 Prozent. Diese Entlastung wird sich positiv auf die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge in der 2. Säule auswirken. Die Mehreinnahmen der IV ihrerseits werden wesentlich dazu beitragen, die hohe Verschuldung der IV abzubauen. Mit der Erhöhung des Lohnbeitragssatzes kann darüber hinaus eine Annäherung an das ursprünglich festgelegte Ziel, d.h. den anteilsmässig vergleichbaren Finanzierungsbeitrag von Sozialpartnern und öffentlicher Hand, erreicht werden.

Senkung des Bundesbeitrags Die Kosten für die Frühintervention und die Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung belasten den Bundeshaushalt in den Jahren 2007­2012 mit rund 62 Millionen Franken pro Jahr. Damit diese Mehrbelastung des Bundeshaushaltes ebenfalls kompensiert werden kann, beschloss der Bundesrat im 4504

Zusammenhang mit seinen Entscheiden zum Entlastungsprogramm 2004, dass der Bundesbeitrag an die IV im Rahmen der 5. IV-Revision gesenkt werden soll ­ aber nur unter der Voraussetzung, dass sowohl die IV-Lohnbeiträge um 0,1 Prozentpunkte erhöht werden als auch gleichzeitig die Mehrwertsteuer um 0,8 Prozentpunkte, ohne Bundesanteil, angehoben wird. Aufgrund der Neuschätzungen der erwähnten Kosten und der IV-Ausgaben soll der Beitrag des Bundes an die IV in den Jahren 2008-2012 von 37,5 auf 36,9 Prozent gesenkt werden.

Die Zusatzeinnahmen aus der MWST bilden Teil einer separaten Vorlage40.

Die oben skizzierten Massnahmen werden durch weitere Revisionspunkte technischer oder sprachlicher Natur ergänzt.

Mit den Massnahmen der 5. IV-Revision bezweckt der Bundesrat, eine weitere Etappe zur langfristigen Konsolidierung der Invalidenversicherung zu realisieren und die IV als eine wichtige Errungenschaft der sozialen Sicherheit wieder auf eine bessere finanzielle Basis zu stellen. Mit den gegenüber der Vernehmlassungsvorlage zusätzlich vorgeschlagenen Massnahmen ­ definitive Einführung der Früherfassung, Frühintervention, Verstärkung der Mitwirkungspflichten, Anpassung des Invaliditätsbegriffs und des Rentenanspruchs ­ ist auch eine stärkere Reduktion der Neurenten, nämlich um 20 Prozent (bezogen auf das Jahr 2003), realisierbar. Dabei ist zu beachten, dass die Massnahmen zusammenwirken und dass ein Versuch, die Einsparungseffekte auf die einzelnen Massnahmen aufzuschlüsseln, im heutigen Zeitpunkt nicht realistisch ist.

1.3

Parlamentarische Vorstösse

Wir beantragen sechs Vorstösse zur Abschreibung.

Die Motion der Sozialdemokratischen Fraktion «Taggeld statt Rente» (04.3091), jene der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates «Frühzeitige Invaliditätsvorbeugung» (04.3201), das Postulat der Sozialdemokratischen Fraktion «Wiedereingliedern statt ausgrenzen und berenten!» (04.3088) und das Postulat Ory «Flexible Invalidenrente» (04.3098) gehen in die gleiche Stossrichtung.

Hauptanliegen dieser Vorstösse sind die Verhinderung von Invalidität, die Früherfassung und die verbesserte berufliche Wiedereingliederung. Die vorliegende Botschaft sieht bereits ein System für die Früherfassung und Frühintervention vor (vgl. Ziff. 1.6.1.1 und 1.6.1.2). Ausserdem sind Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung und die Ausweitung der beruflichen Eingliederungsmassnahmen geplant (vgl. Ziff. 1.6.1.3). Diese Massnahmen zielen darauf ab, arbeitsunfähige Personen möglichst frühzeitig zu erfassen und zu begleiten und so sicherzustellen, dass diese Personen ihren Arbeitsplatz behalten können.

Auf diese Weise kann die Zahl der Neurenten dauerhaft gesenkt werden. Wir schlagen vor, diese vier Vorstösse abzuschreiben.

Das Postulat Widmer «Hypothetisches Invalideneinkommen bei der Bemessung der Invalidität» (01.3134) und das Postulat der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates «Diskriminierender Begriff » (01.3648) werden unter Ziffer 1.7.5 und 1.7.6 behandelt. Beide Postulate sind geprüft worden und können daher abgeschrieben werden.

40

Vgl. Botschaft vom 22. Juni 2005 zur IV-Zusatzfinanzierung, 05.053 (BBl 2005 4623).

4505

1.4

Stellungnahme der Eidgenössischen AHV/IV-Kommission

Die Eidgenössische AHV/IV-Kommission hat sich am 12. August 2004 mit dem Vernehmlassungsentwurf und dem erläuternden Bericht befasst. Die im Rahmen der 5. IV-Revision geplanten Massnahmen stiessen mehrheitlich auf Zustimmung.

Abgelehnt wurden die Aufhebung des Wartetaggeldes sowie mit knapper Mehrheit die Erhöhung der Mindestbeitragsdauer von einem auf drei Jahre. Die Kommissionsmitglieder sprachen sich zudem gegen die Aufhebung des Karrierezuschlages aus, stimmten jedoch einer altersabhängigen progressiven Anpassung des Zuschlages zu. Ebenfalls auf Ablehnung stiess die ersatzlose Aufhebung der laufenden Zusatzrenten. Die Kommission regte an, diese Renten für Ehepartnerinnen und Ehepartner aufrecht zu erhalten, die bei Inkrafttreten der 5. IV-Revision mindestens 55 Jahre alt sind.

Hinsichtlich der Organisation wurden der Kommission zwei Varianten ­ die vorliegend vorgeschlagene «Optimierung der IV-Vollzugsstruktur» (vgl. Ziff. 1.6.4) sowie die Schaffung eines «IV-Instituts» ­ unterbreitet. Die Komission sprach sich mit deutlicher Mehrheit für die Variante «Optimierung der IV-Vollzugsstruktur» aus.

Der Vorschlag, den Begriff Invalidität durch «dauernde Erwerbsunfähigkeit» zu ersetzen, wurde von den Kommissionsmitgliedern klar abgelehnt.

Im Anschluss an das Vernehmlassungsverfahren hat die Kommission den Botschaftsentwurf am 2. Juni 2005 beraten. Gegenstand der Beratungen waren die im Vergleich zur Vernehmlassungsunterlage neuen oder geänderten Gesetzesbestimmungen, die vor allem die Themen Früherfassung (vgl. Ziff. 1.6.1.1), Frühintervention (vgl. Ziff. 1.6.1.2), Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung (vgl. Ziff. 1.6.1.3), die Verstärkung der Mitwirkungspflicht (1.6.1.4) und die Erschwerung des Zugangs zur IV-Rente durch eine Anpassung des Invaliditätsbegriffs und des Rentenanspruchs (vgl. Ziff. 1.1.6.5) betreffen. Es wurde über mehrere Anträge beraten, die aus den Reihen der Kommissionsmitglieder eingereicht wurden. Mit einer knappen Mehrheit sprach sich die Kommission für die vorgeschlagene Erhöhung des Beitragssatzes von 1,4 auf 1,5 Prozent aus. Die Hälfte der Kommissionsmitglieder kritisierte das Ungleichgewicht zwischen Freiwilligkeit einerseits und Mitwirkungspflicht und Sanktionsmöglichkeiten andrerseits in den Phasen Früherfassung und Frühintervention. Einer
Regelung, die auf Vertrauen statt auf Drohunng und Zwang beruht, werden erheblich mehr Erfolgschancen eingeräumt. Kontrovers diskutierte die Kommission Fragen um die Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht und den damit verbundenen speziellen Status der Ärztinnen und Ärzte der regionalen ärztlichen Dienste. Nahezu einstimmig begrüsst wurde hingegen der Entscheid, im Gegensatz zur Vernehmlassungsvorlage die Früherfassung und Frühintervention nicht pilotiert, sondern flächendeckend und umgehend im Gesetz zu verankern. Die Kommission war sich einig, dass gerade in diesen Bereichen in den Grundsätzen zwar genau, aber locker, das heisst mit einem möglichst geringen Detaillierungsgrad, legiferiert werden muss. Dies gerade deshalb, weil man sich des Risikos, das die flächendeckende und direkte Einführung im Gesetz beinhaltet, durchaus bewusst ist. Das Risiko wird minimiert, wenn im Gesetz die Flexibilität für allfällig notwendige Anpassungen gegeben ist. Knapp abgelehnt wurde der Antrag, die strenge Regelung bezüglich der grundsätzlichen Zumutbarkeit von Eingliederungsmassnahmen (vgl. Ziff. 1.6.1.4) zu streichen. Was die Themen 4506

Befristung (ehemals Aufhebung) des Wartetaggeldes, Erhöhung der Mindestbeitragsdauer, Verzicht auf den Karrierezuschlag und die Aufhebung der laufenden Zusatzrenten betrifft, verzichtete die Kommission darauf, ihre diesbezüglichen Anträge der Sitzung vom August 2004 noch einmal aufzugreifen.

1.5

Ergebnis der Vernehmlassung

Die Vernehmlassung zum erläuternden Bericht und zum Entwurf zur 5. IV-Revision wurde am 24. September 2004 eröffnet. Zur Stellungnahme eingeladen wurden die Kantone, die Eidgenössischen Gerichte, die Parteien, die Spitzenverbände der Wirtschaft und weitere interessierte Organisationen. Die Vernehmlassungsfrist endete am 31. Dezember 2004. Insgesamt sind 143 Stellungnahmen eingegangen.

Die hauptsächlichen Tendenzen der Antworten lassen sich wie folgt zusammenfassen: Befürwortung der Hauptziele der Revision Die Vorlage zur 5. IV-Revision wurde in der Vernehmlassung gesamthaft gut aufgenommen. Die Vernehmlassungsteilnehmerinnen und-teilnehmer befürworten die Hauptziele der Revision: die Ausgabenreduktion über die Senkung der Zahl der Neurenten, die Korrektur negativer Anreize im Zusammenhang mit der Wiedereingliederung und die Einführung von Sparmassnahmen. Insbesondere das System zur Früherkennung und die Integrationsmassnahmen sind auf grosse Zustimmung gestossen. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer bedauern indes, dass die Ziele der Revision nicht höher gesteckt worden sind und fordern zusätzliche Sparmassnahmen. Andere plädieren dafür, den Invaliditätsbegriff enger zu fassen.

Befürwortung der Einführung eines Früherkennungssystems Die Einführung eines Systems zur Früherkennung und Begleitung von krankheitsbedingt arbeitsunfähigen Personen ist im Grundsatz allgemein positiv aufgenommen worden. Es wurde wiederholt verlangt, das System sofort landesweit einzuführen und auf Pilotprojekte zu verzichten. Die Einführung unabhängiger Fachstellen zur Früherkennung stösst mehrheitlich auf Ablehnung, weil dadurch das Verfahren verlängert würde.

Grundsätzliche Befürwortung der Integrationsmassnahmen Die Einführung von Integrationsmassnahmen wird praktisch einstimmig begrüsst, obwohl die Verbindung Integrationsmassnahmen-Taggelder (anstelle einer IV-Rente) kurzfristig Mehrkosten für die IV zur Folge hat. Dennoch heben mehrere Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer hervor, dass eine individuelle, auf Personen mit den besten Aussichten auf Wiedereingliederung ausgerichtete Politik umfassenden Beschäftigungsprogrammen vorzuziehen sei.

Mehrheitliche Zustimmung zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit durch IV-Ärzte und -Ärztinnen Wie aus dem Vernehmlassungsergebnis hervorgeht, war diese Massnahme im
erläuternden Bericht nicht klar genug beschrieben. Die gesetzliche Grundlage, die den regionalen ärztlichen Diensten die Kompetenz überträgt, die medizinischen Voraussetzungen für den Leistungsanspruch zu prüfen, ist bereits mit der 4. IV-Revision eingeführt worden.

4507

Grundsätzliche Zustimmung zum Anspruch auf IV-Leistungen frühestens ab Anmeldung Eine Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer befürwortet diese Massnahme im Grundsatz, weil sie die Versicherten dazu veranlasst, ihre IV-Anmeldung so früh als möglich einzureichen. Die Umsetzung ist hingegen umstritten. Von zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern wird eine differenzierte Regelung gewünscht und die Aufnahme eines gesetzlichen Vorbehaltes für Geburtsgebrechen und eventuell auch für Hilfsmittel gefordert.

Geteilte Meinungen über die Erhöhung der Mindestbeitragsdauer Eine knappe Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer möchte die geltende Regelung beibehalten, weil ansonsten die Kosten auf die Ergänzungsleistungen übertragen würden. Abgesehen davon hält sie das Einsparpotenzial für unbedeutend. Andere Teilnehmende schlagen hingegen vor, die Mindestbeitragsdauer unter bestimmten Bedingungen von einem auf fünf Jahre zu erhöhen.

Grundsätzliche Befürwortung der Angleichung des IV-Taggeldsystems an jenes der Arbeitslosenversicherung und der Aufhebung der Mindestgarantie Die Mehrheit äussert sich grundsätzlich positiv zu dieser Massnahme. Über ihre Umsetzung herrscht indes Uneinigkeit, da die Massnahme verschiedene Teilaspekte umfasst. Zahlreiche Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer sind dagegen, die Entschädigungssätze nach dem Modell der Arbeitslosenversicherung (80 und 70 %) abzustufen. Ihrer Ansicht nach käme es damit zu nicht gerechtfertigten Unterschieden bei den Taggeldern der Kranken- bzw. Unfallversicherung und jenen der Invalidenversicherung, womit die Versicherten kein Interesse hätten, sich sofort bei der IV anzumelden (Negativanreiz). In Frage gestellt wird ebenfalls zum Teil die Aufhebung der Mindestgarantie bei Taggeldern für Personen ohne Erwerbstätigkeit oder mit tiefen Einkommen. Hingegen wird die Herabsetzung des Kindergeldes befürwortet.

Allgemeine Zustimmung zur Vermeidung von Einkommenseinbussen bei erhöhter Erwerbstätigkeit Der Grossteil der Befragten begrüsst die Einführung von Anreizmechanismen zur Vermeidung von Einkommenseinbussen bei steigendem Einkommen. Von verschiedenen Seiten in Frage gestellt wurde allerdings das hierzu vorgesehene System; es sei zu komplex und nicht durchführbar.

Ablehnung des Verzichts auf Karrierezuschlag
Diese Massnahme wurde mit knapper Mehrheit abgelehnt. Viele Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer sind dagegen, dass der Karrierezuschlag ersatzlos aufgehoben werden soll. Sie schliessen sich der Meinung der Eidgenössischen AHV/IV-Kommission an und fordern eine nach Alter gestaffelte Anpassung des Karrierezuschlages.

Mehrheitliche Zustimmung zur Überführung der medizinischen Massnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Leistungssystem der Krankenversicherung Eine knappe Mehrheit der Befragten begrüsst die Verlagerung von medizinischen Massnahmen im Rahmen der beruflichen Wiedereingliederung (Art. 12 IVG) in das Krankenversicherungssystem. Mehrere Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer sind indes der Ansicht, dass die medizinischen Leistungen für Minder4508

jährige, die unter Artikel 12 IVG fallen (insbesondere die Psychotherapie), weiterhin von der IV zu übernehmen sind.

Mehrheitliche Zustimmung zur Aufhebung der laufenden Zusatzrenten Verschiedene Seiten kritisieren die Aufhebung des Besitzstandes für laufende Zusatzrenten und verweisen insbesondere auf das Prinzip des guten Glaubens.

Einige Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, wie zum Beispiel die Konferenz der Dachorganisationen der privaten Invalidenhilfe (DOK), sind indes bereit, diese Massnahme sozusagen als «Opfer» für mögliche Einsparungen in Kauf zu nehmen, unter der Bedingung, dass laufende Zusatzrenten aufrecht erhalten bleiben für Ehepartnerinnen und ­partner, die bei Inkrafttreten der 5. IV-Revision mindestens 55 Jahre alt sind.

Einigkeit über die Anpassung der Verzugszinsregelung Diese Massnahme stand nicht im Zentrum des Interesses und wurde kommentarlos gutgeheissen.

Mehrheitliche Zustimmung zur Erhöhung des IV-Beitragssatzes Nicht ganz die Hälfte der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer nahm Stellung zur der in der Vorlage vorgeschlagenen Erhöhung des Lohnbeitragssatzes um 0,1 Prozentpunkte. Angesichts der finanziellen Lage der IV ist eine klare Mehrheit für eine ­ ihrer Ansicht nach zumutbare ­ Anhebung des Beitragssatzes von 1,4 auf 1,5 Prozent. Hingegen spricht sich rund ein Fünftel der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer teilweise harsch gegen die Erhöhung aus, weil dadurch die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt belastet würden.

Ablehnung der Kürzung des Bundesbeitrages an die IV Aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten der IV sprechen sich die meisten politische Akteure gegen die befristete Kürzung des Bundesbeitrags aus. Die Kantone sind die einzigen Befürworter dieser Massnahme. Ihrer Ansicht nach müssen sich die von der 5. IV-Revision eingeleiteten finanziellen Entlastungseffekte auch auf den Bund erstrecken.

Geteilte Meinungen zur Harmonisierung der Praxis Die Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, darunter vor allem die Kantone, ist gegen die Regionalisierung der IV-Stellen. Gutgeheissen werden indessen die Verstärkung der Bundesaufsicht sowie die Einrichtung einer Aufsichtskommission.

Weitere geprüfte, aber nicht berücksichtigte Revisionsthemen Verzicht auf Anpassung der Renten im Ausland an die Kaufkraft: allgemeine
Zustimmung Vereinzelt wird bedauert, dass dieses Anliegen nicht in der vorliegenden Revision behandelt wird.

Verzicht auf Aufhebung des Rentenexports in Staaten ausserhalb von EU/EFTA: allgemeine Zustimmung Einige Behindertenorganisationen halten ausdrücklich an ihrer Forderung fest, ausserordentliche Renten für Personen mit Geburtsgebrechen zu exportieren.

4509

Ansonsten ist die Nichtbehandlung dieser Massnahme in der 5. IV-Revision unbestritten.

Verzicht auf Kapitalauszahlungen in Staaten ausserhalb von EU/EFTA: allgemeine Zustimmung Diese Massnahme wurde kaum angesprochen und diskussionslos gutgeheissen.

Verzicht auf Umkehr der Reihenfolge der Rentenzahlungen bei Unfällen:allgemeine Zustimmung Der Verzicht auf diese Massnahme wird einstimmig angenommen.

Verzicht auf Änderungen der geltenden Invaliditätsbemessung: mehrheitliche Zustimmung Die Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer begrüsst den Verzicht auf diese Massnahme. Einige sind der Ansicht, dass das massgebende Einkommen für die Invaliditätsbemessung nicht auf Verordnungsebene, sondern im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren festzusetzen sei.

Verzicht auf Ersatz des Begriffes «Invalidität»: mehrheitliche Zustimmung Obwohl der Begriff «Invalidität» insbesondere von den Organisationen der Behindertenhilfe oft als diskriminierend empfunden wird, haben lediglich fünf Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer Stellung zur dieser Massnahme genommen. Drei davon bedauern, dass der Begriff nicht ersetzt wird.

1.6

Die beantragte Neuregelung

1.6.1

Dämpfung der Zunahme der IV-Neuberentungen

1.6.1.1

Früherfassung von arbeitsunfähigen Personen zum Zweck der frühzeitigen Wiedereingliederung

1.6.1.1.1

Ausgangslage

«Eingliederung vor Rente» gehört zu den kaum bestrittenen Prinzipien der sozialrechtlichen Leistungsgewährung und deshalb vielleicht auch zu den bekanntesten.

Das Prinzip leuchtet unmittelbar ein, weil das Herausfallen aus dem Erwerbsleben einen leistungsrechtlichen Schlusspunkt darstellt und biografisch zumeist das Ende der beruflichen Laufbahn markiert. Nicht selten ist damit auch das Ende der finanziellen Eigenständigkeit erreicht, und es beginnt der dauerhafte Bezug von Sozial(versicherungs)leistungen. Diesen Zeitpunkt möglichst lange hinauszuschieben, ist ein legitimes Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten.

Eines der wichtigsten Ziele der Eingliederung ist es, den rechtzeitigen und bedarfsgerechten Zugang zu Eingliederungsmassnahmen zu sichern. Ausgangspunkt dieser Erkenntnis ist, dass Leistungen oft im Verfahren und durch Zuständigkeitskonflikte unnötig verzögert, und dass Eingliederungsmassnahmen aus verschiedenen Gründen zu spät beantragt und eingeleitet werden.

Absenzen am Arbeitsplatz aus gesundheitlichen Gründen sind entweder auf einen Unfall, eine Berufskrankheit oder auf eine nicht berufsbedingte Krankheit zurückzuführen. Bei einem Unfall oder einer Berufskrankheit kommen die betroffenen Perso4510

nen umgehend in Kontakt mit der obligatorischen Unfallversicherung, welche für die medizinische Behandlung und den raschen Einbezug der IV in Bezug auf die anschliessenden Massnahmen zur Wiedereingliederung sorgt.

Demgegenüber fehlt es bei nicht berufsbedingten Krankheiten an einem Leistungssystem, das sowohl für die Behandlung als auch für die Wiedereingliederung ins Erwerbsleben verantwortlich ist. Medizinische Fachpersonen kümmern sich im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung um den Gesundheitszustand der betroffenen Personen und den Heilungsprozess und beurteilen die Arbeitsunfähigkeit ihrer Patientinnen und Patienten aus einem rein medizinischen Blickwinkel (ärztliches Arbeitunfähigkeitszeugnis). Die finanzielle Absicherung in Form von Krankentaggeldern erfolgt in der Regel über eine Krankentaggeldversicherung, welche die versicherte Person entweder privat abgeschlossen hat oder der sie mittels eines Kollektivvertrages ihres Arbeitgebers angehört. Aufgrund dieser geteilten Zuständigkeit fehlt in der Regel eine Strategie, welche zum Ziel hat, die Betroffenen so bald als möglich an ihre Arbeitsstelle zurückführen, und welche die dazu nötigen Hilfestellungen bietet (z.B. innerbetriebliche Unterstützung, Anpassung des Arbeitsplatzes). Erst wenn die Arbeitsunfähigkeit bereits längere Zeit gedauert hat ­ oftmals deutlich länger als ein Jahr nach dem ersten Arztbesuch ­ melden sich die betroffenen Personen bei der IV an.

Mehr als 90 % der Schweizerischen Betriebe sind KMU (kleine und mittlere Unternehmen). Sie beschäftigen drei Viertel aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Diese Kleinbetriebe verfügen in der Regel über wenig Know-how in Sozialversicherungs- und Eingliederungsfragen sowie über nur geringe Grundlagenkenntnisse, was die verschiedenen Sozialversicherungen und ihr Zusammenspiel angeht. Einen fachlich kompetenten und neutralen Ansprechpartner für alle Sozialversicherungsprobleme haben die Arbeitgebenden in der Regel nicht. In der Bewältigung sozialversicherungsrechtlicher Fragen bleibt vieles dem Zufall überlassen.

Versicherte Person Arzt Arbeitgeber Krankenversicherung

Arbeitslosenversicherung

Krankentaggeldversicherung

Unfallversicherung

Invalidenversicherung

Dritte Säule

Berufliche Vorsorge

Ergänzungsleistungen Sozialhilfe

4511

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben bei Krankheit und Unfall, je nach Dienstjahren und eigenem Versicherungsschutz oder Versicherungsschutz des Arbeitgebers (Krankentaggeld), Anspruch auf Lohnfortzahlung von mindestens 80 Prozent des ursprünglichen Lohnes während drei Wochen bis zu zwei Jahren.

Liegt weder ein Unfall noch eine Berufskrankheit, sondern eine nicht berufsbedingte Krankheit vor, so verstreicht im Normalfall diese Zeit, ohne dass die Betroffenen sich eigenständig um eine berufliche Wiedereingliederung bemühen, darin von einer Fachperson unterstützt oder von einer Versicherung oder vom Arbeitgeber dazu angehalten werden. Läuft die Lohnfortzahlungspflicht aus, so wird die Situation der Betroffenen schwieriger, da neben den gesundheitlichen Problemen nun auch Sorgen um die berufliche und finanzielle Zukunft auftauchen. Erst zu diesem Zeitpunkt kommt in der Regel die IV ins Spiel.

Deutschland, das wie die Schweiz ein gegliedertes System der sozialen Sicherheit mit relativ autonomen einzelnen Versicherungszweigen kennt, strebt in bezug auf die Eingliederung rigoros eine Koordination unter den verschiedenen Versicherungszweigen im Hinblick auf eine gezielte Früherfassung von arbeitsunfähigen Personen an. Für die Schweiz besonders interessant ist § 51 SGB V (gesetzliche Krankenversicherung), wonach die Krankenkasse Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit nach ärztlichen Gutachten erheblich gefährdet oder gemindert ist, eine Frist von zehn Wochen setzen kann, innerhalb der sie einen Antrag auf Leistung zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben (Eingliederung) zu stellen haben. Stellen die Versicherten innerhalb der Frist den Antrag nicht, entfällt der Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf der Frist. Die deutsche Regelung kann allerdings auf das Obligatorium der Krankentaggeldversicherung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abstellen.

Bereits unter dem geltenden Recht werden Anstrengungen unternommen, eine frühzeitige, eingliederungsorientierte Zusammenarbeit zwischen den IV-Stellen und den ihr vorgelagerten Versicherungsträgern zu fördern. Dazu gehören Krankentaggeldversicherer (KVG und VVG), Unfallversicherer (UVG) und (wegen der Prämienbefreiung und der Bindungswirkung des IV-Entscheides) auch Vorsorgeeinrichtungen (BVG und VVG). Die IV hat mit diesen
Versicherungsträgern diverse Vereinbarungen und Zusammenarbeitsformen getroffen, die zum Ziel haben, die vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen, die gegenseitigen Abläufe der Systempartner besser aufeinander abzustimmen und damit zu einer erhöhten Wirksamkeit in den Eingliederungsanstrengungen zu verhelfen (vgl. www.iiz-plus.ch).

In seiner Vernehmlassungsvorlage vom 24. September 2004 schlug der Bundesrat einerseits ein System zur Früherkennung und Begleitung (FEB) und andererseits zusätzliche Integrationsmassnahmen vor. Beides sollte dem Zweck dienen, Betroffene frühzeitig zu begleiten und im Erwerbsprozess zu behalten, um so weit als möglich die Ausrichtung von Renten zu vermeiden. Zum damaligen Zeitpunkt konnte das Ausmass der Inanspruchnahme und die genaue Wirkung des Systems noch nicht präzis vorhergesagt werden und wichtige Fragen mussten noch vertieft geprüft werden, weshalb die FEB in Pilotversuchen in unterschiedlichen Wirtschaftsregionen erprobt und evaluiert werden sollte. Wie die Vernehmlassung gezeigt hat, ist es unbestritten, dass die Früherfassung wie auch die frühzeitige Intervention bei Vorliegen krankheits- oder unfallbedingter Arbeitsunfähigkeiten wichtige Instrumente darstellen, damit die Zunahme der Renten wirkungsvoll gebremst werden kann. Aus der Vernehmlassung ist zudem deutlich geworden, dass diese Instrumente möglichst umgehend eingeführt und umgesetzt werden sollten.

4512

Die Durchführung von Pilotversuchen würde diesen Bestrebungen entgegenstehen und es erscheint angezeigt, ein System der Früherfassung und Frühintervention für Personen, die krankheits- oder unfallbedingt in ihrer Arbeitsfähigkeit vollumfänglich oder teilweise eingeschränkt sind, ausgehend von den schon heute zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten zu etablieren.

1.6.1.1.2

Modell

Die Früherfassung hat prinzipiell zum Ziel, so früh wie möglich mit Personen in Kontakt zu treten, welche aus gesundheitlichen Gründen in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sind und bei denen die Gefahr einer Chronifizierung der gesundheitlichen Beschwerden besteht. Sobald der Kontakt hergestellt ist, soll möglichst schnell darüber entschieden werden, ob Massnahmen zur Erhaltung des noch bestehenden Arbeitsplatzes und damit eine Intervention der IV notwendig sind. Es geht letztlich darum, die Chancen der Betroffenen im Hinblick auf die Erhaltung ihres Arbeitsplatzes oder eine Wiedereingliederung ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich intakt zu halten.

Aus pragmatischen Überlegungen soll die Aufgabe einer Früherfassung der IV zukommen. Damit kann einerseits die in der 4. IV-Revision bereits in die Wege geleitete präventive Ausrichtung der IV (vgl. Zweckartikel, Art. 1a Bst. a IVG) ausgebaut werden. Andererseits können so die bestehenden Einrichtungen, Mittel und Instrumente im Rahmen der bestehenden Strukturen besser koordiniert und optimal auf das oben umschriebene Ziel der IV ausgerichtet werden. Im Rahmen dieser sachlichen Lösung können zudem die bereits gewonnenen Erfahrungen in der Zusammenarbeit zwischen den IV-Stellen einerseits sowie den Unfall- und Krankentaggeldversicherern und den Vorsorgeeinrichtungen andererseits umgesetzt werden.

Es ist denn auch vorgesehen, dass die IV mit den ihr vorgelagerten Versicherungsträgern eng im Bereich der Früherfassung zusammenarbeiten kann und die Früherfassung auch anderen Versicherungsträgern im Rahmen von Zusammenarbeitsvereinbarungen übertragen kann.

Mit dieser Lösung wird soweit als möglich auf bereits bestehende Institutionen zurückgegriffen. Einzig bei den IV-Stellen müssen neue Fachstellen für die Früherfassung geschaffen werden. Diese dienen Versicherten oder Arbeitgebenden als Beratungs-, Abklärungs- und Triagestellen, sofern diese Funktionen nicht bereits durch einen Unfall- oder Krankentaggeldversicherer wahrgenommen werden. Mit der IV-Lösung ergeben sich zudem weniger Schnittstellen und damit auch weniger rechtliche Probleme (insbesondere im Datenschutzbereich) als mit dem ursprünglich vorgeschlagenen Modell. Zudem kann die IV ohne rechtliche Schranken auf die bereits existierenden regionalen ärztlichen Dienste (RAD) und deren
versicherungsmedizinisches Fachwissen zurückgreifen.

Das System der Früherfassung basiert auf Freiwilligkeit. Es soll keine Meldepflicht wie beispielsweise in der obligatorischen Unfallversicherung eingeführt werden.

Somit besteht weder eine Meldepflicht für die versicherte Person noch für einen Arbeitgeber, womit sich folglich auch keine nachteiligen Konsequenzen aus einer Unterlassung der Meldung ergeben. Diese Freiwilligkeit drückt sich auch in der Tatsache aus, dass eine Meldung zur Früherfassung keine offizielle Anmeldung bei der IV im Sinne von Artikel 29 ATSG darstellt. Nach Abschluss der Abklärungen im Rahmen der Früherfassung hat sich eine versicherte Person wie heute bei der IV 4513

anzumelden. Diese Anmeldung kann jedoch auch weiterhin ohne vorgängige Konsultation der Früherfassung direkt bei der IV vorgenommen werden.

Der Kreis der Meldeberechtigten soll die Personen und Institutionen umfassen, die zwar allfällige Kenntnisse einer länger dauernden Arbeitsunfähigkeit einer Person, jedoch nicht genügend Informationen über die Gründe oder die Auswirkungen dieser Arbeitsunfähigkeit haben. Dementsprechend sollen die betroffenen Personen selbst oder ihre gesetzliche Vertretung, ihre Familienangehörigen, Arbeitgebenden, die zuständigen Unfall- oder Krankentaggeldversicherer, die Vorsorgeeinrichtungen, die Durchführungsorgane der Arbeitslosenversicherung und der kantonalen Sozialhilfe, die Militärversicherung sowie die behandelnden Ärztinnen und Ärzte meldeberechtigt sein.

Zur Früherfassung können sowohl erwerbs- wie auch nichterwerbstätige Versicherte gemeldet werden, die auf Grund einer Krankheit oder eines Unfalles eine Einschränkung in ihrer Arbeitstätigkeit oder gewöhnlichen Tätigkeit (z.B. Haushalt) haben. Auch selbstständig erwerbende Personen können sich bei gesundheitlichen Problemen zur Früherfassung melden.

Wie die Erfahrung und die internationale Literatur zeigt, beginnt die Verschlechterung der physischen und psychischen Verfassung sehr rasch und es erscheint angezeigt, dass bereits nach einer Arbeitsunfähigkeit von vier Wochen überprüft wird, ob sich eine Chronifizierung der gesundheitlichen Beschwerden abzeichnet. Die Festlegung einer Mindestdauer der Arbeitsunfähigkeit von vier Wochen als Kriterium für eine Meldung zur Früherfassung drängt sich auch aufgrund der Zahlen aus der Unfallversicherung auf. Dort betreffen ca. 75 Prozent der Anmeldungen Fälle mit einer Arbeitsunfähigkeit von weniger als vier Wochen. Diese Fälle verursachen zudem lediglich 5­7 Prozent der Versicherungskosten. Da jedoch in der IV noch keine konkreten Erfahrungen in der Praxis gemacht worden sind, soll diese Mindestdauer auf Verordnungsstufe geregelt werden.

Die Aufgabe der Früherfassung von arbeitsunfähigen Versicherten wird den IV-Stellen übertragen. Für diese anspruchsvolle Aufgabe haben die IV-Stellen entsprechende Fachstellen mit gut ausgebildetem Fachpersonal einzurichten.

Die zur Meldung berechtigten Personen und Institutionen sollen sich bei dieser Fachstelle allgemein über mögliche
Vorgehensweisen, Massnahmen der IV etc.

informieren können. Im konkreten Fall sollen sie die Möglichkeit haben, eine versicherte Person unter Angabe von Name und Adresse der Fachstelle zu melden.

Sofern ärztliche Arbeitunfähigkeitszeugnisse oder Informationen im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz etc. vorliegen, können diese bereits der Meldung beigelegt werden. Die Meldung hat zudem unter Angabe von Name und Stellung oder Funktion der meldenden Person oder Institution zu erfolgen, damit für die Fachstelle der IV überprüfbar ist, ob die Meldeberechtigung gegeben ist.

Gestützt auf die Meldung nimmt die Fachstelle Kontakt mit der betroffenen Person auf und klärt sie über den Zweck und den Umfang der Abklärungen im Zusammenhang mit der Früherfassung auf. Diese Aufklärung und Information ist sehr wichtig für eine weitere, erfolgversprechende Zusammenarbeit, da die Mitwirkung und das Engagement der versicherten Person in diesem freiwilligen Abklärungsverfahren der Schlüssel zum Erfolg sein wird. Damit sich die Fachstelle insbesondere im medizinischen Bereich ein Bild von der Sachlage machen kann, benötigt sie die Ermächtigung der versicherten Person, damit beispielsweise Auskünfte beim behandelnden Arzt oder bei der behandelnden Ärztin eingeholt werden können. Daneben kann sich 4514

die Fachstelle in direkten Gesprächen mit der versicherten Person und allenfalls auch mit dem Arbeitgeber ein Bild der Situation machen, um auch möglichst viele nichtmedizinische Informationen zu erfassen. Hierbei geht es v.a. um das soziale Umfeld (Familienverhältnisse, bestehende Probleme etc.), die Arbeitssituation (Art der bisherigen Tätigkeit, Arbeitszufriedenheit, Arbeitslosigkeit etc.) und weitere persönliche und finanzielle Faktoren (bestehende Schulden etc.). Aufgrund der zusammengetragenen Unterlagen und Informationen obliegt es dann der Fachstelle, unter Berücksichtigung der medizinischen, beruflichen und sozialen Aspekte eine Beurteilung der Situation der versicherten Person insbesondere im Hinblick auf die möglichen Auswirkungen und Folgen der gesundheitlichen Probleme auf den bestehenden Arbeitsplatz vorzunehmen. Im Vordergrund dieser Beurteilung steht der Entscheid darüber, ob weitergehende Abklärungen oder bereits Massnahmen zur Erhaltung des noch bestehenden Arbeitsplatzes notwendig sind.

Kommt die Fachstelle zum Schluss, dass Handlungsbedarf im Bereich der IV angezeigt ist, so informiert sie die versicherte Person und fordert diese auf, sich bei der IV anzumelden. Es obliegt dann der IV-Stelle, mit der versicherten Person Kontakt aufzunehmen und die weitere Vorgehensweise im Rahmen der Frühintervention (vgl. Ziff. 1.6.1.2) festzulegen. Die Fachstelle informiert aber auch den Arbeitgeber, sofern er die versicherte Person gemeldet hat, sowie den Krankentaggeld- oder den Unfallversicherer. Der Arbeitgeber und allenfalls der Versicherer haben ein konkretes Interesse daran zu erfahren, ob beispielsweise eine Frühintervention der IV und damit Massnahmen zur Erhaltung des Arbeitsplatzes angezeigt sind und sich die versicherte Person deshalb bei der IV anmelden sollte.

Sofern eine versicherte Person bei der Früherfassung gemeldet wurde, sie jedoch nicht zur Zusammenarbeit bereit ist und die Ermächtigung zur Einholung von medizinischen Unterlagen beim behandelnden Arzt oder bei der behandelnden Ärzin nicht erteilt, soll es der IV trotzdem möglich sein, zumindest den medizinischen Sachverhalt beurteilen zu können. Sowohl für die IV wie auch für den Arbeitgeber ist es von grossem Interesse zu erfahren, ob die gemeldete Person in ihrer Arbeitsfähigkeit dermassen eingeschränkt ist, dass
Massnahmen der Frühintervention notwendig sind, damit sich die Situation der gemeldeten Person nicht noch mehr verschlimmert. In diesem Fall kann ein Arzt oder eine Ärztin der IV den behandelnden Arzt oder die behandelnde Ärztin kontaktieren und die zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit notwendigen Unterlagen einfordern. Der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin ist in diesem besonderen Fall von der Schweigepflicht befreit.

Der Arzt oder die Ärztin der IV übernimmt in dieser Situation die Rolle eines Vertrauensarztes. Sie teilen der Fachstelle für die Früherfassung lediglich mit, ob eine Frühintervention der IV angezeigt ist. Im Rahmen dieser medizinischen Beurteilung hat der Arzt oder die Ärztin der IV die Persönlichkeitsrechte der versicherten Person zu wahren.

Kommt die Fachstelle zum Schluss, dass eine Anmeldung bei der IV vorgenommen werden sollte, so fordert sie die versicherte Person dazu auf. Damit ist die versicherte Person darüber informiert, dass die IV der Ansicht ist, dass Massnahmen ergriffen werden sollten, um die Dauer und das Ausmass der Arbeitsunfähigkeit zu verringern und den Eintritt der Invalidität zu verhindern. Spätestens in diesem Zeitpunkt muss sich die versicherte Person ihrer Verantwortung bewusst sein und zumutbare Massnahmen zur Eingliederung ergreifen, zumindest jedoch die Anmeldung bei der IV vornehmen. Tut sie das nicht, so muss sie sich bewusst sein, dass das Nichtbefolgen der Aufforderung zur Anmeldung unter Umständen eine Kürzung 4515

oder gar eine Verweigerung von Leistungen zur Folge haben kann (vgl. hierzu auch Ziff. 1.6.1.4).

Die Fachstelle für die Früherfassung der IV soll auch auf das Fachwissen anderer Stellen (z.B. Durchführungsorgane der ALV) zurückgreifen können. Sie kann im Rahmen ihrer Abklärung mit der ALV, den Organen der Sozialhilfe und anderen beteiligten Versicherern zusammenarbeiten und bei Bedarf auch die Anmeldung bei einem anderen Versicherungsträger oder bei anderen geeigneten öffentlichen oder privaten Stellen, Institutionen oder Beratungsstellen empfehlen. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit anderen Versicherungsträgern (insbesondere den privaten Krankentaggeldversicherern, welche nicht dem ATSG unterstellt sind) ist es sehr wichtig, dass die notwendigen Informationen und Unterlagen der beteiligten Versicherungsträger möglichst schnell und ohne grossen Verwaltungsaufwand ausgetauscht werden können. Zu diesem Zweck sind entsprechende gesetzliche Grundlagen vorgesehen, welche diesen Datenaustausch gegenüber heute erleichtern sollen (vgl. Art. 68bis IVG; Ziff. 1.6.7.1).

Unfallversicherer (insbesondere die Suva) sowie einige Krankentaggeldversicherer haben bereits begonnen, ein eigenes System der Früherfassung und Begleitung von versicherten Personen aufzubauen. Schon heute gibt es denn auch Zusammenarbeitsformen zwischen diesen Versicherern und der IV. Die umschriebene Früherfassung soll in Zukunft auch soweit als möglich von diesen kompetenten Partnern durchgeführt werden, wenn sie über das notwendige Know-how verfügen und ihre Abklärungen und Massnahmen mit der Frühintervention der IV koordiniert sind.

1.6.1.1.3

Auswirkungen

Die gemeldeten Personen erhalten mit der Früherfassung die Möglichkeit, dass eine fachlich kompetente Fachstelle bereits in einem frühen Stadium der Krankheit deren mögliche Auswirkungen und Folgen auf den Arbeitsplatz abklärt und beurteilt und sie im Hinblick auf weitere, notwendige Schritte zur Erhaltung des bestehenden Arbeitsplatzes berät und informiert. Diese Abklärung und Beurteilung ist freiwillig und sollte von den Betroffenen als Chance wahrgenommen werden, möglichst frühzeitig über mögliche Unterstützungsmassnahmen informiert zu werden und bei Bedarf die Anmeldung bei der IV vorzunehmen.

Für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber liegt der Vorteil der Früherfassung insbesondere darin, dass sie sich im Zusammenhang mit arbeitsunfähig geschriebenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an eine in sozialversicherungsrechtlichen, medizinischen und eingliederungsspezifischen Fragen kompetente Stelle wenden können.

Diese Fachstelle kann für sie die Ursachen, Auswirkungen und möglichen Folgen der Arbeitsunfähigkeit im Zusammenhang mit dem bestehenden Arbeitsplatz aufzeigen und im Bedarfsfall auch eine Anmeldung der versicherten Person bei der IV empfehlen, damit diese dann mit dem Arbeitgeber beispielsweise Massnahmen zur Erhaltung oder Anpassung des Arbeitsplatzes diskutieren und vornehmen kann.

Mit der Früherfassung steht sowohl den Versicherten wie auch den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern eine unabhängige Fachstelle zur Verfügung, die bereits sehr viel früher als heute eine Beurteilung der medizinischen, aber auch der persönlichen und sozialen Situation und deren Auswirkungen auf den Arbeitsplatz vornehmen kann. Damit wird auch eine wesentlich frühere Intervention der IV möglich, womit 4516

wiederum die Chancen gegenüber heute erheblich erhöht werden können, dass Personen, die aus gesundheitlichen Gründen in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sind, nicht aus dem Arbeitsprozess fallen.

Es wird erwartet, dass rund 20 000 Personen ins System der Früherfassung kommen werden. Wenn man mit 500 Dossiers pro Vollzeitstelle rechnet, wären für die Durchführung etwa 40 Stellen vorzusehen. Dies verursacht Kosten von rund 6 Millionen Franken (vgl. Ziff. 3.2.2).

1.6.1.2

Frühintervention

1.6.1.2.1

Ausgangslage

Der Erfolg von auf die berufliche Eingliederung gerichteten Massnahmen hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie u.a. der betroffenen Person, der gesundheitlichen Beeinträchtigung selbst, dem Unterstützungssystems und der Situation auf dem Arbeitsmarkt. Erfahrungen zeigen im allgemeinen: Je früher Personen nach einer potentiell längerfristigen Erkrankung oder einem Unfall, mit Rehabilitationsfachleuten in Kontakt kommen und Perspektiven zur Wiedereingliederung in eine Erwerbstätigkeit entwickeln, desto erfolgversprechender sind die konkreten Massnahmen und die Eingliederung selber. Nicht nur die Diagnose ist ausschlaggebend für den Verlauf einer Krankheit und der Genesung, sondern ebenso das soziale Umfeld und die Begleitung durch verschiedene Fachpersonen.

Ziel des Systems der sozialen Sicherheit muss demnach sein, arbeitsunfähige Personen so früh als möglich zu erfassen und zu begleiten, um die Chancen für eine Wiedereingliederung in eine Erwerbsarbeit oder einen Aufgabenbereich intakt zu halten. Dieses Ziel wird nur erreicht, solange bei den Betroffenen die Selbstmotivation noch vorhanden ist und die Eigenverantwortung noch wahrgenommen werden kann, was insbesondere am Anfang einer Krankheitssituation eher gegeben ist.

Gegenwärtig kommen die IV-Stellen mit den angemeldeten versicherten Personen spät in Kontakt, in vielen Fällen deutlich mehr als ein Jahr nach dem ersten Arztbesuch. Zu diesem Zeitpunkt hat die versicherte Person bereits eine lang andauernde Arbeitsunfähigkeit hinter sich, begleitet vom Hausarzt, der Hausärztin und später von ­ je nach Krankheitsbild ­ beigezogenen Spezialärztinnen und Spezialisten. Die medizinischen Fachpersonen kümmern sich um den Gesundheitszustand der Betroffenen und um Massnahmen, die der Genesung förderlich sind. Aus diesem Blickwinkel beurteilen sie die Arbeitsunfähigkeit ihrer Patientinnen und Patienten. Dabei steht eine Wiedereingliederung ins Arbeitsleben nicht im Vordergrund.

Um den Zuwachs der Rentenzunahme gerade bei jüngeren erwerbstätigen Personen mit Wohnsitz in der Schweiz zu bremsen, muss diese Lücke zwischen Beginn einer langdauernden Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit oder Unfall und dem Einsetzen von Eingliederungsmassnahmen der IV geschlossen werden. Mit den Betroffenen und ihren Arbeitgeberinnen oder Arbeitgebern sollen Leistungen der IV,
der Privatoder Sozialversicherungen und Angebote spezialisierter Fachstellen genutzt werden, um eine Chronifizierung des Leidens zu verhindern und den bestehenden Arbeitsplatz zu erhalten. Das konkrete Vorgehen und die einzelnen Massnahmen werden, unter Einbezug der gesundheitlichen Situation wie auch der sozialen Faktoren, in einem Eingliederungsplan festgehalten.

4517

Die interinstitutionelle Zusammenarbeit (IIZ) zwischen Arbeitslosenversicherung, Sozialhilfe und IV, welche in der vorliegenden Revision noch ausgebaut wird (vgl.

Art. 68bis IVG; Ziff. 1.6.7.1), wie auch die bestehende Zusammenarbeit zwischen der Suva oder anderen Privatversicherern und der IV wird genutzt werden, um bei der Anmeldung der Betroffenen bei der IV eine optimale Koordination zwischen den verschiedenen Leistungen und den entsprechenden Leistungserbringern zu gewährleisten.

1.6.1.2.2

Modell

Vorgeschlagen wird die Einführung einer Frühintervention für alle versicherten Personen, die sich bei der IV-Stelle anmelden. Die Frühintervention ist als Dienstleistung der IV-Stellen für Personen konzipiert, die aus gesundheitlichen Gründen in ihrer Arbeitsfähigkeit vollumfänglich oder teilweise eingeschränkt sind, d.h. durch eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit ganz oder teilweise unfähig sind, im bisherigen Beruf zumutbare Arbeit zu leisten. Diese niederschwelligen, schnell einsetzbaren Massnahmen sollen in erster Linie dazu beitragen, dass ganz oder teilweise arbeitsunfähige Personen ihren bestehenden Arbeitsplatz behalten können oder an einem neuen Arbeitsplatz innerhalb oder ausserhalb des bisherigen Betriebes eingegliedert werden können.

Neben der Beratung der betroffenen Personen und der Arbeitgeberinnen oder Arbeitgeber sind folgende Massnahmen der Frühintervention vorgesehen: Anpassung des Arbeitsplatzes, Besuch von Ausbildungskursen (z.B. CAD-, Computerkurse für Hilfsarbeiterinnen und Hilfsarbeiter im Hinblick auf betriebsinterne Umplatzierung, Ausbildung zum Taxichauffeur), Arbeitsvermittlung, Berufsberatung, sozialberufliche Rehabilitation und Beschäftigungsmassnahmen, sofern die Kosten für diese Massnahmen nicht von einem anderen Versicherungsträger übernommen werden. Die Frühintervention richtet sich nach einem mit der betroffenen Person vereinbarten und auf die berufliche Eingliederung ausgerichteten Eingliederungsplan.

Nach der IV-Anmeldung sollen bei allen Versicherten, bei denen die berufliche Eingliederung gefährdet ist, umgehend Triagegespräche durchgeführt werden, damit nach einer summarischen Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit sowohl für einfache wie auch für komplexere Fälle der beruflichen Integration frühzeitig adäquate Massnahmen eingeleitet werden können. Kann durch einfache Frühinterventionsmassnahmen keine Eingliederung am bestehenden Arbeitsplatz oder an einem neuen Arbeitsplatz erreicht werden und besteht das Risiko einer dauernden Arbeitsunfähigkeit bzw. das Risiko einer Erwerbsunfähigkeit, so klärt die IV-Stelle die Anspruchsvoraussetzungen für die ordentlichen Eingliederungsmassnahmen der IV ab.

Die Dauer der Frühinterventionsphase soll im Sinne einer Qualitätsvorgabe für die IV-Stellen durch den Bundesrat festgesetzt
werden. Sie dürfte etwa sechs Monate umfassen. In der Phase der Frühintervention können jedoch ­ solange die Abklärungen betreffend den Eingliederungsmassnahmen noch laufen ­ bereits entsprechende Dienstleistungen zur Vorbereitung allfälliger Eingliederungsmassnahmen genutzt werden. Kommen wegen einer schwersten gesundheitlichen Beeinträchtigung keine beruflichen Eingliederungsmassnahmen in Frage, so sollen direkt die entsprechenden Rentenabklärungen eingeleitet werden. Im Weiteren kann die IV-Stelle auf 4518

Grund ihrer Erfahrungen aus der interinstitutionellen Zusammenarbeit (IIZ) mit der ALV, den Organen der Sozialhilfe oder anderen beteiligten Versicherern die Zuweisung an einen anderen Versicherungsträger oder an andere geeignete öffentliche oder private Stellen und Institutionen vorsehen.

Sobald die IV-Stelle feststellt, dass die Anspruchsvoraussetzungen für Eingliederungsmassnahmen der IV erfüllt sind, werden diese verfügt. Das Ende der festgelegten maximalen Dauer der Phase der Frühintervention muss nicht abgewartet werden.

Es spielt mit anderen Worten keine Rolle, ob der Zeitpunkt des Anspruchsbeginns auf Eingliederungsmassnahmen ­ und damit auch der Anspruch auf ein Taggeld ­ in die rund sechsmonatige Phase der Frühintervention fällt. Befindet sich beispielsweise eine versicherte Person im Rahmen der Frühintervention in der sozialberuflichen Rehabilitation, so wird diese Massnahme in eine Integrationsmassnahme zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung umgewandelt, sobald die versicherte Person die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen gemäss Artikel 14a IVG erfüllt. Ab diesem Zeitpunkt steht der versicherten Person somit ein Rechtsanspruch auf die sozialberufliche Rehabilitation und auf das dazugehörige Taggeld zu.

Ziel ist es, während der Frühinterventionsphase von ca. sechs Monaten bei den betroffenen Personen die Anspruchsvoraussetzungen auf ordentliche Leistungen der IV zu klären und insbesondere einen Grundsatzentscheid betreffend Rentenanspruch zu fällen. Die frühzeitige Klärung der Rentenfrage ist oft wichtig, um anschliessend die Perspektive aller Beteiligter auf die berufliche (Wieder-)Eingliederung zu konzentrieren. Mit Abschluss der Phase der Frühintervention ist also festgestellt, welche beruflichen Massnahmen nötig sind und allenfalls welche Rentenhöhe in Frage kommt, damit eine bestmögliche Arbeitsintegration erreicht werden kann.

Während der Frühinterventionsphase klärt die IV-Stelle parallel zu den eingeleiteten Frühinterventionsmassnahmen die medizinische, persönliche, soziale und arbeitsmarktbezogene Situation der betroffenen Person ab im Hinblick auf die Arbeitsunfähigkeit und deren Ursachen, die bestehenden Ressourcen sowie bereits im Hinblick auf die verbleibende Resterwerbsfähigkeit. Hierzu kann sie u.a. Berichte des behandelnden Arztes oder der behandelnden
Ärztin einverlangen und bei Bedarf eine medizinische Abklärung durch den regionalen ärztlichen Dienst (RAD) veranlassen. Die Begleitung und Beratung ist insbesondere auch bei den Personen wichtig, bei denen nicht nur medizinische Probleme zu einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit geführt haben. Eine der zentralen Aufgaben im Rahmen der Früherfassung und Frühintervention ist es zu verhindern, dass soziale Probleme nicht erkannt, nicht angegangen und deswegen früher oder später medikalisiert werden.

Frühinterventionsmassnahmen sind Dienstleistungen der IV-Stellen, auf die kein Rechtsanspruch besteht. Während der Durchführung der Massnahmen der Frühintervention wird kein IV-Taggeld bezahlt. Aufgrund der bestehenden Arbeitsunfähigkeit erhält die versicherte Person während der Frühinterventionsphase allenfalls ein Taggeld der Krankentaggeldversicherung oder ist durch die Lohnfortzahlung des Arbeitgebers finanziell abgesichert.

Krankentaggeldversicherung und Arbeitgebende haben Kenntnis des Eingliederungsplanes und werden während der Frühinterventionsphase über den Verlauf der Massnahmen und die Mitwirkung der versicherten Person informiert. Sie haben damit die Möglichkeit, die versicherte Person während der Massnahmen in ihren Bemühungen bestmöglichst zu unterstützen, aber auch ihre aktive Mitwirkung einzufordern.

4519

Die Instrumente der Phase der Frühintervention unterscheiden sich grundsätzlich nicht von den ordentlichen Instrumenten der Eingliederungsmassnahmen der IV. In der Phase der Frühintervention sind die Leistungen jedoch beschränkt auf einen vom Bundesrat festzulegenden Betrag (gedacht wird an einen Betrag von durchschnittlich 5000 Franken bis max. 20 000 Franken pro betroffene Person für Frühinterventionsmassnahmen).

Die Massnahmen der Frühintervention sollen so niederschwellig wie möglich eingesetzt werden, ohne dass vorher monate- bzw. jahrelang umfassend abgeklärt werden muss, ob tatsächlich eine (drohende) Invalidität ausgewiesen ist. Dadurch besteht zwar das Risiko, dass Massnahmen der Frühintervention einzelnen Personen zukommen, die auch ohne diese Massnahmen nicht invalid würden. Das eigentliche Ziel der Verhinderung von Invalidisierungsprozessen und der raschen (Wieder-) Eingliederung ins Erwerbsleben kann jedoch nur durch eine frühzeitige Intervention der IV erreicht werden. Dadurch, dass die Kosten der Frühinterventionsmassnahmen nach oben begrenzt und dadurch kontrollierbar sind, kann dieses Risiko eingegangen werden.

1.6.1.2.3

Auswirkungen

Mit den Frühinterventionsmassnahmen wird der Grundsatz «Eingliederung vor Rente» mehr Gewicht erhalten. Die durch Krankheit oder Unfall in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden von der IV-Stelle konkrete Hilfe und Unterstützung bekommen. Insbesondere werden sie motiviert, in der Arbeitswelt zu verbleiben. Durch die Zusammenarbeit mit der IV-Stelle zeigen die Betroffenen, dass sie mit Unterstützung von Fachpersonen in Eigenverantwortung eine Wiederintegration ins Erwerbsleben anstreben.

Arbeitgebende erfahren als erste von einer Erkrankung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie werden durch die Frühintervention bei der Betreuung und Begleitung von kranken Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterstützt und bei der Lösungssuche entlastet. Im Gegenzug zur Unterstützung und Entlastung, die diese neue Dienstleistung der IV erbringt, müssen Arbeitgebende vermehrt bereit sein, leistungsschwächere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu behalten und massgeschneiderte Lösungen anzubieten statt die Betroffenen in die Krankheit zu entlassen.

Auf Grund der frühzeitigen Kenntnis der IV-Stelle von gesundheitlichen Problemen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit wird es ihr auch möglich sein, früher als heute allfällige Massnahmen zur Erhaltung des noch bestehenden Arbeitsplatzes in die Wege zu leiten. Wird während der Frühinterventionsphase ersichtlich, dass Massnahmen der Frühintervention nicht ausreichen, um eine berufliche Eingliederung zu erreichen, so ist die IV-Stelle in der Lage, die angezeigten ordentlichen Eingliederungsmassnahmen der IV rasch und effizient in die Wege zu leiten, da sie im Gegensatz zu heute ­ infolge der vorgelagerten Phase der Frühintervention ­ bereits über die erforderlichen Unterlagen und Vorabklärungen verfügt, um tätig zu werden.

Die Aufgaben und Leistungen der IV-Stellen im Rahmen der Frühintervention sind klar von den übrigen Leistungen der IV zu trennen. Die Tätigkeit der IV-Stellen im Rahmen der Frühintervention stellen eigentliche Dienstleistungen der IV dar. Ziel ist es, bei Personen mit eingeschränkter Arbeitsfähigkeit auf Grund von Krankheit oder 4520

Unfall frühzeitig zu intervenieren, um einen Verbleib am bestehenden Arbeitsplatz sicherzustellen bzw. eine Eingliederung an einem neuen Arbeitsplatz zu erreichen.

Für die betroffenen Personen sollte bereits von Anfang an klar erkennbar sein, dass sich eine Zusammenarbeit mit der IV lohnt, auch bereits im Rahmen der Frühintervention. Die Versicherten sollen sich jedoch auch in diesem Stadium des Verfahrens ihrer Mitwirkungspflicht bewusst sein.

Mit der umschriebenen Ausrichtung der Frühinterventionsmassnahmen wird der frühzeitigen Intervention, der Beratung wie auch der Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren ein stärkeres Gewicht als bisher verliehen. Damit erhalten die IV-Stellen wichtige Instrumente im Bereich der Prävention von Invalidisierungsprozessen.

Es wird erwartet, dass mit rund 10 000 Personen Massnahmen der Frühintervention durchgeführt werden. Die Kosten dieser Massnahmen werden auf jährlich rund 50 Millionen Franken geschätzt. Zudem müssen die Versicherten intensiv begleitet werden. Bei 50 Dossiers pro Mitarbeiter in der IV-Stelle bedeutet dies 200 zusätzliche Vollzeitstellen oder weitere 30 Millionen Franken (vgl. Ziff. 3.2.2). Diesen Aufwendungen stehen Ersparnisse durch die Reduktion der Rentenfälle gegenüber; im Durchschnitt der Jahre 2007­2025 können in diesem Bereich jährlich 314 Millionen Franken gespart werden. Per Saldo darf für die Früherfassung und die Frühintervention mit Einsparungen von jährlich 220 Millionen Franken gerechnet werden.

1.6.1.3

Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung und Ausweitung der beruflichen Eingliederungsmassnahmen

1.6.1.3.1

Ausgangslage

Der IV-Grundsatz «Eingliederung vor Rente» kann heute nicht mehr im ursprünglichen Sinne umgesetzt werden. Die Eingliederungsmassnahmen der IV setzen heute oft erst an, wenn Chronifizierungsprozesse mangels einer konkreten Eingliederungsperspektive längst begonnen haben. Zudem bleibt die Frage des Rentenanspruchs während des gesamten Eingliederungsprozesses ungeklärt, so dass die gemeinsamen Eingliederungsbemühungen durch die Rentenperspektive blockiert werden können.

Erschwerend kommt hinzu, dass heute für die Versicherten keine wirksame Verpflichtung zur Mitwirkung bei Eingliederungsmassnahmen besteht. So kann es heute trotz Durchführung von Eingliederungsmassnahmen zu Zusprachen von Renten kommen, ohne dass die ursprünglich vorhandene Restarbeitsfähigkeit optimal verwertet wird und die Versicherten zumindest einer Teilerwerbstätigkeit nachgehen.

Die beruflichen Eingliederungsmassnahmen, die heute von der IV gewährt werden ­ Berufsberatung, erstmalige berufliche Ausbildung, Umschulung, Arbeitsvermittlung und Kapitalhilfe ­ sind ausserdem oftmals wenig geeignet, um insbesondere die stark zunehmende Gruppe von psychisch kranken Personen erfolgreich beruflich (wieder) einzugliedern. Bisher haben nur versicherte Personen Anspruch auf Massnahmen beruflicher Art, deren objektive und subjektive Eingliederungsfähigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgewiesen ist. Zudem gelten in der IV nur eigentliche Ausbildungsmassnahmen als berufliche Massnahmen. Sozialberufliche Rehabilitation mit dem primären Ziel, die Eingliederungsfähigkeit einer versicherten 4521

Person herzustellen, wird von der IV nicht übernommen. Solche Massnahmen am Übergang zwischen sozialer und beruflicher Integration können jedoch gerade für psychisch kranke Versicherte eine Voraussetzung für Massnahmen beruflicher Art sein, ohne die eine berufliche Eingliederung gar nicht möglich ist.

Auch für beruflich unqualifizierte Arbeitsunfähige erweisen sich die bestehenden beruflichen Massnahmen als unzureichend. Ein Anspruch auf Arbeitsvermittlung ist bisher nur gegeben, wenn die versicherte Person bei der Suche einer geeigneten Arbeitsstelle wegen ihres Gesundheitsschadens Schwierigkeiten hat oder invaliditätsbedingt spezielle Anforderungen an den Arbeitsplatz oder an den Arbeitgeber stellt. Die IV ist bisher nicht für andere Gründe der erschwerten Stellensuche, wie Stellenmangel auf dem Arbeitsmarkt, eingetreten. Hilfskräfte, die in einer anderen behinderungsangepassten, leichten Hilfstätigkeit voll arbeitsfähig sind, haben somit bisher keinen Anspruch auf Arbeitsvermittlung durch die IV und werden an die ALV weiterverwiesen. Angesichts des angespannten Arbeitsmarktes finden jedoch gesundheitlich eingeschränkte Hilfskräfte nur schwer eine neue, der Behinderung angepasste Stelle, was oft zur Aussteuerung bei der ALV und durch die lange Arbeitslosigkeit zu einer Verstärkung der ursprünglichen gesundheitlichen Probleme bzw. zu zusätzlichen psychischen Schwierigkeiten führt. Solche Chronifizierungsprozessen können schliesslich zu einer Rente führen.

1.6.1.3.2

Modell

Zur Schliessung der bestehenden systematischen Lücken (vgl. Ziff. 1.6.1.3.1) wird im Hinblick auf eine optimale Arbeitsintegration die Einführung sogenannter Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung sowie eine Ausweitung bestehender Massnahmen beruflicher Art vorgeschlagen. Bei den Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung handelt es sich um eine neue Kategorie von Eingliederungsmassnahmen, welche zu den heutigen Eingliederungsmassnahmen der IV (medizinische Massnahmen, Massnahmen beruflicher Art, Massnahmen für die besondere Schulung, Abgabe von Hilfsmitteln) hinzutreten. Bei den Massnahmen beruflicher Art soll insbesondere der Anspruch auf Arbeitsvermittlung sowie der bisherige Anspruch auf ein Anlern- und Einarbeitungstaggeld erweitert werden. Diese Optimierung der Instrumente für die berufliche Eingliederung ist besonders für beruflich unqualifizierte Versicherte wie auch für die stark zunehmende Gruppe von psychisch kranken Personen von grosser Bedeutung.

An den in der Vernehmlassung vorgeschlagenen Integrationsmassnahmen wird somit grundsätzlich festgehalten. Aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse sollen sie jedoch gezielter im Rahmen eines individuellen Eingliederungsplans und mit konkreter individueller Zielsetzung angeordnet werden.

Die Versicherten müssen während den Eingliederungsmassnahmen intensiver als heute von den IV-Stellen begleitet und betreut werden. Die Massnahmen sollen von den IV-Stellen mit den Versicherten gemeinsam geplant und in einem konkreten und zielgerichteten Eingliederungsplan verbindlich festgehalten werden. Die Begleitung und Betreuung der betroffenen Personen durch die IV-Stellen soll als Anspruch der Versicherten im Gesetz festgehalten werden.

4522

Damit die berufliche Eingliederung der Versicherten auch tatsächlich erreicht werden kann, ist es einerseits notwendig, dass die IV entsprechende Massnahmen anbieten kann. Anderseits sollen die betroffenen Versicherten auch daran teilnehmen. Neu soll daher mit der Zusprache von Eingliederungsmassnahmen eine stärkere Verpflichtung zur Mitwirkung verbunden werden. Die Pflichten der versicherten Personen sowie die Sanktionsmöglichkeiten der IV sollen klar im Gesetz festgelegt werden (vgl. hierzu Ziff. 1.6.1.4).

a) Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung Durch die Schaffung von Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung sollen die Eingliederungsinstrumente für die Gruppe von psychisch kranken Personen verbessert werden. Oberstes Ziel dieser neuen Massnahmen ist es, die verbliebene Restarbeitsfähigkeit der Versicherten aktiv zu fördern und zu verbessern, damit diese rasch und dauerhaft eingegliedert werden können.

Mit den Integrationsmassnahmen sollen dort, wo sich dies im Rahmen eines konkreten Eingliederungsplanes als notwendig erweist, die Voraussetzungen für weitergehende Massnahmen beruflicher Art geschaffen werden. Damit kann die Wiedereingliederung insbesondere psychisch kranker Versicherter wesentlich differenzierter und effizienter als heute an die Hand genommen werden.

Die Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung sollen möglichst niederschwellig ausgestaltet werden. Es soll rasch, einzelfallbezogen und auf die berufliche Eingliederung gerichtet interveniert werden können. Dies ist sinnvoll und notwendig, um Chronifizierungsprozessen so weit wie möglich vorzubeugen. Diese Massnahmen sollen versicherten Personen zugesprochen werden, deren massgebender Gesundheitsschaden eine Art und Schwere erreicht, welche die bisherige Arbeitstätigkeit seit mindestens sechs Monaten in einem Umfang von mindestens 50 Prozent einschränkt. Diese Anspruchsvoraussetzung lässt sich ziemlich rasch und genau abklären und würde in Zukunft von den regionalen ärztlichen Diensten der IV bestimmt.

Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung sind Massnahmen zur sozialberuflichen Rehabilitation (wie Gewöhnung an den Arbeitsprozess, Aufbau der Arbeitsmotivation, Stabilisierung der Persönlichkeit,
Einüben sozialer Grundelemente) sowie gezielte, auf die berufliche Eingliederung gerichtete Beschäftigungsmassnahmen. Letztere können sowohl in Institutionen, durch private Anbieter oder im ersten Arbeitsmarkt durchgeführt werden. Während der Durchführung der Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung besteht analog zu den beruflichen Massnahmen ein Anspruch auf ein Taggeld der IV. Der Bezug einer Rente schliesst Integrationsmassnahmen nicht aus. Bei Versicherten, welche bereits eine IV-Rente beziehen, soll diese während der Durchführung der Integrationsmassnahmen anstelle eines Taggeldes weiterhin ausgerichtet werden. Da bei diesen Massnahmen die Eingliederungsfähigkeit der versicherten Personen (noch) nicht gegeben ist, besteht kein Anspruch auf ein allfälliges Wartezeittaggeld. Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung werden längstens für die Dauer von einem Jahr zugesprochen. In Ausnahmefällen kann diese Dauer um längstens ein Jahr verlängert werden. Einer versicherte Person stehen somit zeitlebens maximal zwei Jahre Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung zu.

4523

b) Erweiterung des Anspruchs auf Arbeitsvermittlung Weiter wird eine Erweiterung des Anspruchs auf Arbeitsvermittlung vorgeschlagen (vgl. Art. 18 Abs. 1 IVG). Ganz oder teilweise arbeitsunfähige versicherte Personen sollen Anspruch auf aktive Unterstützung bei der Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz wie auch auf begleitende Beratung im Hinblick auf die Aufrechterhaltung eines bestehenden Arbeitsplatzes haben. Neu hätten somit alle stellenlosen Personen, die ihre bisherige Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können, Anspruch auf Arbeitsvermittlung durch die IV, somit auch Hilfsarbeiterinnen und Hilfsarbeiter, die in einer angepassten Hilfstätigkeit noch voll arbeitsfähig sind. Durch die Ausweitung des Anspruchs auf die Arbeitsvermittlung der IV, welche auf die Vermittlung von gesundheitlich eingeschränkten Personen spezialisiert ist, können die Eingliederungsinstrumente für unqualifizierte Versicherte wesentlich verbessert werden. Dabei ist eine enge Zusammenarbeit mit den regionalen Arbeitsvermittlungszentren der ALV (RAV) vorgesehen.

c) Einarbeitungszuschuss Schliesslich soll der Anspruch auf einen Zuschuss während der Anlern- und Einarbeitungszeit ausdrücklich im Gesetz festgehalten werden (vgl. Art. 18a Abs. 3 IVG neu). Bisher hatten Versicherte Anspruch auf ein Anlern- und Einarbeitungstaggeld, wenn sie die relativ engen Anspruchsvoraussetzungen für die Arbeitsvermittlung erfüllten und dies lediglich an einem durch die IV-Stelle vermittelten neuen Arbeitsplatz. Der Anspruch war zudem auf Verordnungsebene geregelt. Neu sollen alle Versicherten, die ihre bisherige Erwerbstätigkeit wegen Invalidität aufgeben mussten und an einem geeigneten neuen Arbeitsplatz während einer dort erforderlichen Anlernzeit noch nicht das nach deren Abschluss zu erwartende Entgelt erhalten, während dieser Zeit, längstens aber für 180 Tage, einen Einarbeitungszuschuss erhalten. Dadurch vermindert sich das finanzielle Risiko für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in der Anfangsphase einer Anstellung, da sie nicht für den Lohn und die Beiträge an die Sozialversicherung aufkommen müssen. Dies ist ein wichtiger Anreiz für Arbeitgebende, gesundheitlich eingeschränkte Personen anzustellen.

Hinzu kommt, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in dieser Anfangsphase einer beruflichen Wiedereingliederung auch auf die Beratung und Unterstützung der IV-Stellen zählen und so mit kompetenter Unterstützung allfällige Probleme angehen und lösen können.

1.6.1.3.3

Auswirkungen

Durch die frühe Klärung der Rentenfrage und den Perspektivenwechsel aller Beteiligten in Richtung Eingliederung wird ­ verstärkt durch eine klare und verbindliche Mitwirkungspflicht der Versicherten (vgl. Ziff. 1.6.1.4) ­ eine optimale Verwertung der Restarbeitsfähigkeit und somit eine bestmögliche Arbeitsintegration erreicht.

Dadurch wird der Fokus in der IV neu auf «Eingliederung statt Rente» gesetzt.

Mit den vorgesehenen Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung sowie der Ausweitung des Anspruchs auf Arbeitsvermittlung und auf einen Einarbeitungszuschuss werden zudem die Eingliederungsmöglichkeiten der IV insbesondere für die stark zunehmende Gruppe von psychisch kranken Personen und beruflich unqualifizierten Arbeitsunfähigen wesentlich verbessert. Die IV erhält 4524

dadurch griffige Eingliederungsinstrumente, durch die frühzeitig und lückenlos auf die angestrebte berufliche Eingliederung hingearbeitet werden kann.

Mit der Einführung der Frühinterventionsmassnahmen (vgl. Ziff. 1.6.1.2) sowie der Neuausrichtung der Eingliederungsmassnahmen ergibt sich insbesondere auch im Zusammenhang mit den Leistungen der 2. Säule eine neue Situation, da die Ausrichtung solcher Leistungen an einen Entscheid der IV über eine Rente gekoppelt ist. Es ist davon auszugehen, dass auch bei der 2. Säule weniger Rentenleistungen fällig werden. Damit wird die 2. Säule wohl sehr stark von den Wiedereingliederungsbemühungen der IV profitieren.

Für die Eingliederung von nicht in der Schweiz wohnhaften Personen ist grundsätzlich das Wohnland zuständig. Da auch in solchen Fällen für die Bemessung der schweizerischen IV-Rente von einer erfolgreichen Eingliederung ausgegangen wird, braucht von der IV-Stelle nicht geprüft zu werden, ob im Ausland solche Massnahmen tatsächlich durchgeführt worden sind. Umgekehrt gelten Eingliederungsmassnahmen als Sachleistungen, weshalb für diese keine Exportpflicht besteht.

Es wird erwartet, dass rund 5 000 Personen an den Integrationsmassnahmen teilnehmen werden. Die Kosten dieser Massnahmen werden auf jährlich 119 Millionen Franken geschätzt. Zusätzlich sind in dieser Zeit Taggelder im Umfang von 215 Millionen zu zahlen. Für die IV-Stellen wird mit einem Mehraufwand im Umfang von 50 Vollzeitstellen gerechnet (vgl. Ziff. 3.2.2). Im Gegenzug verringern sich die Rentenausgaben im Durchschnitt der Jahre 2007­2025 um jährlich 437 Millionen Franken. Per Saldo wird im Zeitraum 2007­2025 für die Integrationsmassnahmen mit Einsparungen von jährlich 94 Millionen Franken gerechnet (Integrationsmassnahmen und Taggelder: 334 Mio. Fr.; Personalkosten der IV-Stellen und des BSV: 7,5 + 1,5 Mio. Fr.; Reduktion der Rentenausgaben: 437 Mio. Fr.).

1.6.1.4

Verstärkung der Mitwirkungspflicht

Dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Schadenminderung kommt im Sozialversicherungsrecht eine grosse Bedeutung zu. Es geht dabei vor allem um die Abgrenzungsfrage, welche Verhältnisse allein durch die Solidargemeinschaft der Sozialversicherungswerke auszugleichen sind und welche Verhältnisse in die Eigenverantwortung und auch in das Eigenrisiko jedes und jeder Einzelnen fallen. Aus der Schadenminderungspflicht entspringt auch die Pflicht zur Mitwirkung an all jenen Massnahmen, welche auf direktem oder indirektem Weg der Schadenminderung dienen können (Mitwirkungspflicht). Neben dieser Mitwirkungspflicht besteht aber auch bereits eine Pflicht, aus eigenem Antrieb alle zumutbaren Massnahmen zu ergreifen, welche die Notwendigkeit von Leistungen einer Versicherung vermindern oder verhindern können (Selbsteingliederungspflicht).

Heute sind die Regelungen für die IV, welche sich auf die Schadenminderungsbzw. Mitwirkungspflicht einer versicherten Person beziehen, entweder Ausfluss der geltenden allgemeinen Grundsätze und damit Rechtsprechungspraxis oder aber sie finden sich verstreut in Gesetzen und Verordnungen geregelt (so etwa in Art. 21 Abs. 4 und Art. 43 Abs. 2 und 3 ATSG, Art. 7 IVG und Art. 73 IVV). Diese Zersplitterung führt dazu, dass eine versicherte Person kaum je vollständig überblickt, welchen Pflichten sie unterliegt und welches die Folgen einer fehlenden Mitwirkung oder Schadenminderung sein können.

4525

Aus diesem Grunde sollen einerseits die einzelnen Pflichten, denen eine versicherte Person nachzukommen hat, im Gesetz zusammengefasst und auch konkretisiert werden. Andererseits soll aber auch die Möglichkeit von Sanktionen bei Verletzung dieser Pflichten erwähnt werden. Eine derartige klare Umschreibung der Pflichten der versicherten Person führt dazu, dass sich jede Person ein klares Bild davon machen kann, was von ihr im Rahmen der Schadenminderungs- und Mitwirkungspflicht erwartet wird. Zudem erhalten auch die Durchführungsstellen konkrete Anhaltspunkte zur Durchsetzung der Mitwirkungspflicht, wobei sie die Versicherten auch jederzeit in einfacher Weise auf die Bestimmungen aufmerksam machen können. Diese Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln ist vor allem im Bereich der Eingliederung von erheblichem Nutzen. Dort wird die aktive Mitarbeit und Selbsteingliederung gefördert und es wird auch verhindert, dass sich desintegrierte Personen unnütz vorkommen, was oftmals zu psychischen Leiden führen kann.

Um eine einheitliche Auslegung dessen zu gewährleisten, was für die betroffenen Versicherten zumutbar oder eben unzumutbar ist, sollen im Gesetz neue, klarere und auch verschärfte Richtlinien diesbezüglich festgehalten werden. Nach Artikel 21 Absatz 4 ATSG können nur solche Vorkehren verlangt werden, welche unter Berücksichtigung der gesamten objektiven und subjektiven Gegebenheiten zumutbar sind. Wo eine Vorkehr unmöglich ist, kann sich die Frage nach der Zumutbarkeit schon gar nicht stellen, aber auch bei realitätsfremden Vorkehren liegt schon aus dem Grundsatz der Verhältnismassigkeit keine Zumutbarkeit vor. Artikel 21 Absatz 4 ATSG bestimmt sodann, dass Behandlungs- und Eingliederungsmassnahmen, welche eine Gefahr für Leben und Gesundheit darstellen, unzumutbar sind.

Innerhalb dieses Rahmens soll nun aber neu festgehalten werden, dass prinzipiell jede Massnahme, welcher der Eingliederung der versicherten Person ins Erwerbsleben oder in einen Aufgabenbereich dient, zumutbar ist. Dies soll solange gelten, als eine Massnahme sich in Anbetracht des Gesundheitszustandes der versicherten Person nicht als unangemessen erweist.

Als Folge einer Verletzung der Schadenminderungs- und Mitwirkungspflicht resultiert getreu dem Artikel 21 Absatz 4 ATSG eine Kürzung oder Verweigerung von Leistungen, wobei hier
sowohl Geldleistungen (z.B. Renten oder Taggelder) als auch Sachleistungen (z.B. Massnahmen der Frühintervention, Umschulung, Arbeitsvermittlung usw.) betroffen sein können.

Heute berücksichtigt die IV noch zu wenig, dass zunächst die versicherte Person die Verantwortung für ihre gesundheitliche Situation und auch für ihre Eingliederung (Selbsteingliederungspflicht) trägt. Dieser Selbsteingliederungspflicht, aber auch der Mitwirkungspflicht der versicherten Person bei den nunmehr verstärkten und früher einsetzenden Eingliederungsbemühungen durch die IV soll durch die verschärfte Mitwirkungspflicht Rechnung getragen werden. Die versicherte Person wird in Zukunft einen ganz wesentlichen Anteil am Gelingen einer Eingliederung tragen.

Durch ihre aktive Zusammenarbeit mit der IV und der damit verbundenen Mitwirkungspflicht zeigt sie, dass sie mit Unterstützung von Fachpersonen in Eigenverantwortung eine Wiederintegration ins Erwerbsleben anstrebt. Damit nimmt sie auch ihre Schadenminderungspflicht wahr und leistet sowohl sich als auch der Allgemeinheit einen Dienst. Zeigt die versicherte Person nicht das erforderliche Engagement und kommt sie ihren Mitwirkungspflicht nicht nach, so wird sie in Zukunft schneller und direkter die Konsequenzen in Form von Kürzung oder Verweigerung von Leistungen zu spüren bekommen.

4526

1.6.1.5

Erschwerung des Zugangs zur IV-Rente durch eine Anpassung des Invaliditätsbegriffs und des Rentenanspruchs

1.6.1.5.1

Ausgangslage

Die starke Zunahme der IV-Renten der letzten Jahre ist primär auf die psychischen Gesundheitsschäden und die Störungen an Knochen und am Bewegungsapparat (in erster Linie Rückenprobleme) zurückzuführen (vgl. Ziff. 1.1.2.1). Häufig ist in diesen Fällen nicht so klar, ob eine Arbeits- oder Erwerbsunfähigkeit tatsächlich durch eine Beeinträchtigung der Gesundheit oder aber durch andere Gründe (z.B.

soziale Probleme, mangelhafte Bildung, Aggravation etc.) bedingt ist.

Die Dienstleistungen und Massnahmen im Hinblick auf eine rasche und wirksame Eingliederung (vgl. Ziff. 1.6.1.1, 1.6.1.2 und 1.6.1.3) dienen letztlich dem Zweck, in Zukunft möglichst Rentenzusprachen zu vermeiden und damit die starke Rentenzunahme in der IV rasch und wirksam zu bremsen. Als Ergänzung dazu soll der Zugang zur IV-Rente durch eine Anpassung des Invaliditätsbegriffs und durch gesetzliche Anpassungen beim Rentenanspruch im Vergleich zu heute eingeschränkt werden. Dies entspricht einem in der Vernehmlassung mehrfach geäusserten Anliegen (vgl. Ziff. 1.5).

1.6.1.5.2

Geltende Regelung

Der Anspruch auf die IV-Rente ist im geltenden Recht in den Artikeln 28 und 29 IVG umschrieben. Nach Artikel 28 Absatz 1 IVG hat eine versicherte Person Anspruch auf eine Rente, wenn sie zu mindestens 40 Prozent invalid ist. Aufgrund von Artikel 29 Absatz 1 IVG entsteht der Rentenanspruch frühestens in dem Zeitpunkt, in dem die versicherte Person entweder mindestens zu 40 Prozent bleibend erwerbsunfähig geworden ist (Bst. a) oder während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens zu 40 Prozent arbeitsunfähig gewesen war (Bst. b). Seit Inkrafttreten des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG, SR 830.1) am 1. Januar 2003 ist der Begriff «Invalidität» für sämtliche bundesgesetzlich geregelten Sozialversicherungen ­ Invaliden-, Unfall-, Militär- und Arbeitslosenversicherung ­ einheitlich in Artikel 8 ATSG definiert. Demnach ist Invalidität «die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit». Letztere wird in Artikel 7 ATSG umschrieben als der durch eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit verursachte und nach zumutbarer Behandlung und Eingliederung verbleibende ganze oder teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt. Der Erwerbsunfähigkeit gleichgestellt ist die Unfähigkeit, sich im bisherigen Aufgabenbereich (z.B.

Tätigkeit im Haushalt, Kindererziehung, Ausbildung) zu betätigen (vgl. Art. 8 Abs. 3 ATSG).

Damit eine Invalidität angenommen werden kann, müssen somit drei Elemente vorliegen: ein Gesundheitsschaden, der sich auf die Arbeitsfähigkeit auswirkt (medizinisches Element), eine bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit (wirtschaftliches Element) sowie ein kausaler Zusammenhang zwischen diesen beiden Elementen.

4527

Auch die Zumutbarkeit stellt bei der Bestimmung der Invalidität ein zentrales Element dar: Nach Artikel 7 ATSG hat die versicherte Person jede zumutbare Behandlung und Eingliederung auf sich zu nehmen. Damit setzt die Bestimmung den Grundsatz «Eingliederung vor Rente» um. Dies lässt erkennen, dass die Bestimmung sich nicht auf eine umfassend anwendbare Begriffsumschreibung der Erwerbsunfähigkeit bezieht, sondern in ihrem Wortlaut ausschliesslich Bedeutung für die rentenbestimmende Erwerbsunfähigkeit hat (Kieser, ATSG-Kommentar, Rz 11 zu Art. 7 ATSG). Schliesslich spielt die Zumutbarkeit im Zusammenhang mit der Bestimmung des Invaliditätsgrades für die Rentenzusprache eine wichtige Rolle: Nach Artikel 16 ATSG sind die Vergleichseinkommen (Validen- und Invalideneinkommen) unter Heranziehung einer zumutbaren Tätigkeit zu bestimmen. Es fehlt jedoch an einer weiteren Konkretisierung der Zumutbarkeit, weshalb in diesem Bereich der Rechtsprechung ein hohes Gewicht zukommt41.

Bei der geltenden Regelung des Invaliditätsbegriffs im ATSG und des Rentenanspruchs im IVG fällt allgemein auf, dass die wichtigen Rechtsgrundsätze und Prinzipien, wenn überhaupt, im Gesetzestext lediglich angetönt, aber nicht konkretisiert werden. Die Rechtsprechung hat in langjähriger Gerichtspraxis zentrale Grundsätze für die Bestimmung des Vorliegens einer Invalidität ­ wie z.B. den Grundsatz «Eingliederung vor Rente», das Zumutbarkeitsprinzip, das Ausscheiden invaliditätsfremder Gründe, die Schadenminderungs- und Mitwirkungspflicht der versicherten Person etc. ­ immer weiter zu konkretisieren versucht.

1.6.1.5.3

Neue Regelung

Der Zugang zur IV-Rente kann von verschiedenen Seiten her eingeschränkt werden: Einerseits ist der geltende Invaliditätsbegriff des ATSG einer Prüfung zu unterziehen, anderseits ist zu prüfen, mit welchen Anpassungen oder Konkretisierungen im IVG der Anspruch auf IV-Renten eingeschränkt werden kann. Mögliche Lösungsansätze müssen eingehend auf ihre rechtlichen und praktischen Auswirkungen auf das Sozialversicherungssystem und auf das gesamte Leistungssystem der IV überprüft werden.

a) Anpassung des Invaliditätsbegriffs (ATSG) Eine aus BSV-internen und externen Experten bestehende Arbeitsgruppe hat verschiedene Möglichkeiten einer Einschränkung des Invaliditätsbegriffs geprüft.

Soll dieser Begriff enger gefasst werden, so ist darauf zu achten, dass das Diskriminierungsverbot der Bundesverfassung (Art. 8 Abs. 2 BV) nicht verletzt wird. Demnach darf namentlich niemand wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung diskriminiert werden. Nicht wünschbar ist zudem eine Einschränkung des Invaliditätsbegriffs, welche nur für die Renten der IV, jedoch nicht für jene der anderen Sozialversicherungen anwendbar wäre. So wäre es einerseits sachlich nicht zu rechtfertigen, beispielsweise die Invalidität bei einer Person mit einem Geburtsgebrechen strenger zu beurteilen als bei einer Person, deren Invalidität durch einen Unfall verursacht worden ist. Anderseits würden sich neue Koordinationsprobleme zwischen den Leistungen der verschiedenen Versicherer ergeben, die unter allen 41

Vgl. hierzu die neueren Urteile zu den Auswirkungen der somatoformen Schmerzstörung auf die Arbeitsfähigkeit (vgl. BGE 130 V 352).

4528

Umständen zu vermeiden sind. Schliesslich darf ein enger gefasster Invaliditätsbegriff nicht dazu führen, dass der Zugang zu den Eingliederungsmassnahmen der IV (vgl. Art. 8 IVG) ebenfalls eingeschränkt würde. Dies würde dem ebenfalls wichtigen Anliegen der Verstärkung der Eingliederung klar zuwiderlaufen.

Da der Begriff «Invalidität» im ATSG für alle Sozialversicherungen einheitlich definiert ist, muss eine Einschränkung des Begriffs in diesem Gesetz erfolgen. Um den Invaliditätsbegriff enger zu fassen, kann entweder beim medizinischen Element der Invalidität (Gesundheitsschaden, welcher sich auf die Arbeitsunfähigkeit auswirkt) oder beim kausalen Element (Kausalzusammenhang zwischen Gesundheitsschaden und Erwerbsunfähigkeit) angesetzt werden. Zudem besteht die Möglichkeit, den Zumutbarkeitsbegriff enger zu fassen. Die Arbeitsgruppe hat sämtliche dieser Möglichkeiten geprüft.

aa) Verschärfung des medizinischen Elementes Angeregt wurde in der Vernehmlassung zuweilen, nur schwere Beeinträchtigungen der Gesundheit als Ursachen einer Erwerbsunfähigkeit und damit als invaliditätsbegründend anzuerkennen. Oder aber es wurde vorgeschlagen, bei Vorliegen bestimmter gesundheitlicher Störungen oder Krankheitsbilder (v.a. psychiatrische Diagnosen) in Zukunft keine Invalidität mehr anzuerkennen.

Eine Verschärfung des medizinischen Elementes erweist sich als untauglich und ist aus mehreren Gründen abzulehnen: Der Ausschluss leichter Gesundheitsschäden aus der Leistungsberechtigung der IV würde zu erheblichen Abgrenzungsproblemen und damit zu zahlreichen Rechtsstreitigkeiten und erheblichen Verfahrensverlägerungen führen. Schliesslich kann auch nicht massgebend sein, ob ein Gesundheitsschaden für sich allein als «leicht» oder als «schwer» beurteilt wird. Massgebend kann allein sein, in welchem Ausmass ein Gesundheitsschaden die Erwerbsmöglichkeiten einer versicherten Person beeinträchtigt. Je nach versicherter Person, bei der ein Gesundheitsschaden eintritt, kann sich dieser in unterschiedlichem Masse auf deren Erwerbsfähigkeit auswirken. So kann ein vergleichsweise «leichter» Augenschaden beispielsweise dazu führen, dass ein Feinmechaniker seinen Beruf aufgeben muss, währenddem er einen Maurer in seiner beruflichen Tätigkeit nicht beeinträchtigt. Demgegenüber führt ein vergleichsweise schwerer Rückenschaden
bei einem Maurer dazu, dass dieser auf seinem Beruf nicht mehr erwerbstätig sein kann, währenddem derselbe Gesundheitsschaden die Erwerbsmöglichkeiten einer Sachbearbeiterin in der Verwaltung nicht zwingend beeinträchtigt. Bereits heute verlangt das Recht eine «Schwere» der gesundheitlichen Beeinträchtigung, und zwar insofern, als diese trotz zumutbarer Massnahmen zu einer Verminderung der Erwerbsmöglichkeiten führen muss42.

Ein Ausschluss gewisser Krankheitsbilder aus der Leistungsberechtigung würde mit dem verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV) in Konflikt geraten. Es würden Versicherte mit unterschiedlichen Krankheiten nach gezwungenermassen willkürlichen Kriterien ungleich behandelt werden. Die Folge wäre eine rechtsungleiche Behandlung von an unterschiedlichen Krankheiten leidenden 42

Insbesondere muss auch bei geistigen und psychischen Störungen nach Rechtsprechung und Lehre eine gewisse Schwere vorliegen, um als Gesundheitsbeeinträchtigung anerkannt zu werden (sog. «Krankheitswert»). Ob Krankheitswert vorliegt, beurteilt sich nach der Dauer der Störung und insbesondere nach der Zumutbarkeit von Arbeitsleistung (oder von Eingliederungsmassnahmen).

4529

Versicherten. Im Weiteren ist zu befürchten, dass bei Ausschluss bestimmter Diagnosen mittels einer Positiv- oder Negativ-Liste (z.B. analog zur Regelung bei den Geburtsgebrechen, vgl. Verordnung über Geburtsgebrechen [GgV], SR 831.232.21) in Zukunft der Beurteilung durch die psychiatrischen Experten ­ im Unterschied zu den Organen der IV und den Gerichten ­ ein noch grösseres Gewicht zukommen würde: Psychiater und Psychiaterinnen hätten es in der Hand, faktisch über das Vorliegen einer Invalidität zu entscheiden, indem sie bestimmte Diagnosen verwenden oder vermeiden würden. Dies könnte zu einer Verlagerung neu nicht mehr «zugelassener» auf andere, weiterhin «zugelassene» Diagnosen führen. Damit würde die Tendenz einer zunehmenden Medizinalisierung zusätzlich gefördert.

bb) Verschärfung des kausalen Elementes Die Erwerbsmöglichkeiten versicherter Personen werden durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Nach Artikel 7 ATSG ist ausschliesslich die durch gesundheitliche Beeinträchtigungen verursachte Erwerbsunfähigkeit zu berücksichtigen. Eine Invalidität ist demnach nicht gegeben, wenn die Erwerbsunfähigkeit nicht durch einen Gesundheitsschaden, sondern durch andere Faktoren (sog. invaliditätsfremde Gründe wie z.B. Alter, mangelnde Ausbildung, Verständigungsschwierigkeiten, reines Suchtgeschehen, soziokulturelle Umstände, Aggravation, etc.) verursacht wurde. Die Rechtsprechung hat die Bestimmung von Artikel 7 ATSG vielfältig konkretisiert und dadurch zu einer Abgrenzung der invaliditätsbedingten Erwerbsunfähigkeiten von anderen Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit beigetragen (vgl.

BGE 127 V 294, 107 V 21 Erw. 2c; ZAK 1989 S. 313, AHI 1999 S. 238 Erw. 1 mit Hinweisen).

Diese Rechtsprechung, wonach nur die gesundheitliche Beeinträchtigung als solche bei der Erwerbsfähigkeit berücksichtigt werden darf, soll als Ergänzung des geltenden Invaliditätsbegriffs ausdrücklich im Gesetz verankert werden. Damit soll sichergestellt werden, dass die nötigen Abgrenzungen in der Anwendungspraxis inskünftig konsequenter vollzogen werden. Durch die klare gesetzliche Verankerung wird dem Erfordernis einer strikten Kausalität bei der Ermittlung der Invalidität mehr Gewicht und Bedeutung zugemessen.

cc) Verschärfung des Zumutbarkeitsbegriffs Wie bereits erwähnt, lässt Artikel 7 ATSG die Annahme einer
Erwerbsunfähigkeit erst zu, wenn vorerst eine zumutbare Behandlung und Eingliederung erfolgt ist.

Anderseits ist das Zumutbarkeitsprinzip auch anzuwenden bei der Beurteilung der Frage, wie die Restarbeitsfähigkeit einer versicherten Person auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch verwertet werden kann bzw. welche Tätigkeit der betroffenen Person zugemutet werden kann. Die Feststellung, ob eine Person sitzend oder stehend, im Freien oder in geheizten Räumen arbeiten kann oder muss, ob sie Lasten heben und tragen kann usw., ist Aufgabe der regionalen ärztlichen Dienste (RAD).

Aufgrund deren Angaben zur Arbeitsfähigkeit prüfen die IV-Stellen anschliessend, welche konkreten beruflichen Tätigkeiten, unter Berücksichtigung der übrigen Fähigkeiten, grundsätzlich für diese Person in Frage kommen. Die Tätigkeit muss der versicherten Person zumutbar sein.

Das Zumutbarkeitsprinzip soll nun im Invaliditätsbegriff des ATSG ausdrücklich verankert werden: Neu hält Artikel 7 ATSG fest, dass nur dann von einer Erwerbsunfähigkeit gesprochen werden kann, wenn sie «aus objektiver Sicht nicht überwindbar» ist (vgl.

4530

Abs. 2 Bst. b). Die versicherte Person muss die negativen Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit, die sich aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme ergeben haben, aus objektiver Sicht nicht durch eigene Anstrengungen überwinden können. Es ist davon auszugehen, dass eine Person, welche eine IV-Rente beansprucht, die Folgen ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung kaum als überwindbar betrachten wird.

Deshalb ist die objektive Betrachtungsweise im Gesetz vorzuschreiben. Neu wird ausdrücklich festgehalten, dass das subjektive Empfinden der versicherten Person bei der Beurteilung der Zumutbarkeit, eine Arbeitsleistung zu erbringen und damit ein Erwerbseinkommen zu erzielen, in Zukunft nicht mehr massgebend ist. Entscheidend ist, ob dieser Person aus objektiver Sicht zugemutet werden kann, trotz der subjektiv erlebten gesundheitlichen Probleme (z.B. Schmerzen) einer Arbeit nachzugehen (vgl. BGE 130 V 352).

Eine Rente soll somit erst dann zugesprochen werden, wenn die versicherte Person alle zumutbaren Schritte zur Vemeidung oder Verringerung der Invalidität vorgenommen hat. Die Zumutbarkeitsprüfung hat sich zu erstrecken auf den Wechsel in einen anderen Beruf oder Aufgabenbereich, auf die Behandlung oder Eingliederung und auf das Erzielen von Erwerbseinkommen.

Die Beurteilung, was aus objektiver Sicht zumutbar ist und was nicht, obliegt den IV-Stellen, gestützt auf die medizinischen Angaben der RAD. Hierzu werden die Kompetenzen der RAD im Gesetz verdeutlicht. In Zukunft wird in diesem Bereich den RAD eine zentrale Rolle zukommen, indem diese die Zumutbarkeit der Arbeitsleistung Versicherter mithilfe noch zu erstellender Anforderungs- oder Leistungsprofilen beurteilen werden (vgl. Art. 59 Abs. 3 IVG neu).

Diese Bedingung stellt eine Verschärfung des Rentenzugangs im Vergleich zur heutigen gesetzlichen Regelung dar.

b) Neuregelung des Rentenanspruchs (IVG) Als Ergänzung zur Anpassung des Invaliditätsbegriffs im ATSG wird neu im IVG klar festgehalten, in welchen Fällen ein Rentenanspruch überhaupt in Betracht fällt: Nach Artikel 28 Absatz 1 besteht neu nur dann Anspruch auf eine Rente, wenn nach erfüllter einjähriger Wartefrist (mit einer durchschnittlichen Arbeitsunfähigkeit von 40 Prozent) weiterhin ein Invaliditätsgrad von mindestens 40 Prozent vorliegt und wenn die Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit,
sich im Aufgabenbereich zu betätigen der betroffenen versicherten Person voraussichtlich nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder hergestellt, erhalten oder verbessert werden kann.

Sofern die IV bei ihren Abklärungen zum Schluss kommt, dass für eine versicherte Person von vornherein keine zumutbaren Eingliederungsmassnahmen in Frage kommen, um deren Erwerbsfähigkeit wieder herzustellen, zu erhalten oder zu verbessern, so kann der Anspruch auf Rente demzufolge sofort entstehen. Ist es jedoch möglich, dass die versicherte Person aus eigener Anstrengung (im Rahmen der Pflicht zur Selbsteingliederung) oder dadurch, dass sie sich einer medizinischen Behandlung oder Eingliederungsmassnahmen unterzieht, ihre Erwerbsfähigkeit wieder herstellen, erhalten oder verbessern kann, so hat die IV-Stelle einen Rentenanspruch zu verneinen und allfällige geeignete Eingliederungsmassnahmen zu prüfen und anzuordnen.

Mit dieser Formulierung wird im Vergleich zu heute der Anspruch auf Renten verschärft. Die Rente soll ausdrücklich nur dann ausgerichtet werden, wenn keine zumutbaren Eingliederungsmassnahmen in Betracht kommen.

4531

1.6.1.5.4

Auswirkungen

Mit den vorgeschlagenen Änderungen werden zentrale, bisher ungeschriebene Rechtsgrundsätze ­ insbesondere die Rechtsprechung zur Ausscheidung der invaliditätsfremden Faktoren und zum Zumutbarkeitsprinzip ­ im geschriebenen Gesetzestext festgehalten. Durch diese ausdrückliche Regelung gewinnen sie an Bedeutung und Gewicht in der Umsetzung und sind geeignet, einen Beitrag zur Reduktion der Zahl der Neurenten zu leisten. Die Umsetzbarkeit auf Verwaltungsstufe sollte keine besonderen Schwierigkeiten verursachen.

Weil Artikel 7 und 8 ATSG prinzipiell für das schweizerische Sozialversicherungsrecht den Invaliditätsbegriff umschreiben, wirken sich die Änderungen dieser Bestimmungen überall dort aus, wo sich in Einzelgesetzen Leistungsansprüche bei Invalidität ergeben. Dies wird jedoch durch folgenden Umstand relativiert: Im schweizerischen Sozialversicherungsrecht fehlt es an einem einheitlich verwendeten Invaliditätsbegriff. Soweit von Invalidität die Rede ist, handelt es sich um einen funktional und relativ verwendeten Begriff, der unter Berücksichtigung des konkret zu beurteilenden Leistungsanspruchs auszulegen ist (Kieser, ATSG-Kommentar, Rz 2 zu Art. 8 ATSG und Verweise).

a) Auswirkungen auf die Invalidenversicherung Mit der Anpassung des Invaliditätsbegriffs und des Rentenanspruchs werden die Voraussetzungen zum Bezug einer IV-Rente im Vergleich zu heute eingeschränkt.

In Zukunft wird der Zugang zur Rente für Versicherte, welche an gesundheitlichen Problemen mit Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit leiden, erschwert. Neu besteht nur dann Anspruch auf eine IV-Rente, wenn die Erwerbsfähigkeit einer versicherten Person voraussichtlich nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder hergestellt, erhalten oder verbessert werden kann. Weiter wird verstärkt geprüft werden, welche Tätigkeiten ihr trotz ihres Gesundheitsschadens aus objektiver Sicht noch zugemutet werden können. Ferner sollen bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit die invaliditätsfremden Faktoren strikte ausgeschieden werden.

Diese im Gesetz nun ausdrücklich festgehaltenen Rechtsgrundsätze führen zu einer restriktiveren Rentenzusprachepraxis und damit zu weniger bzw. weniger hohen Renten in der IV.

Dieser Verschärfung bei der Rentenzusprache steht auf der anderen Seite die Verstärkung der Eingliederung gegenüber. Die neuen
Instrumente der Früherfassung und Frühintervention, der Integrationsmassnahmen und der erweiterten beruflichen Eingliederungsmassnahmen erhöhen die Chancen, dass Personen, welche unter geltendem Recht Rentenbezüger würden, ihren Arbeitsplatz erhalten können, nicht aus dem Erwerbsleben fallen und somit ohne IV-Rente oder lediglich mit einer IV-Teilrente auskommen können.

Zusammen mit den neuen Eingliederungsinstrumenten ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Neurenten um 20 Prozent (bezogen auf das Jahr 2003) gesenkt werden kann. Dabei handelt es sich um ein Paket von mehreren Massnahmen, die zusammenwirken. Eine genaue Zuordnung des Einspareffektes auf die einzelnen Massnahmen ist im heutigen Stadium nicht möglich und wäre unrealistisch.

Die geänderten Bestimmungen wirken sich zudem nicht nur auf die Zahl der neuen IV-Renten aus, sondern sind auch im Rahmen der Revision von laufenden IV-Renten zu beachten. Nach Artikel 17 Absatz 1 ATSG wird die Rente von Amtes 4532

wegen oder auf Gesuch hin für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben, wenn sich der Invaliditätsgrad einer Rentenbezügerin oder eines Rentenbezügers erheblich ändert. Wird der Sachverhalt (Gesundheitszustand, Validenund Invalideneinkommen etc.) lediglich anders beurteilt, so lässt dies grundsätzlich keine revisionsweise Herabsetzung oder Aufhebung einer Rente zu (vgl. Kieser, ATSG-Kommentar, Rz 9 ff. zu Art. 17 ATSG). Die vorliegende vom Gesetzgeber vorgenommene engere Definition des Invaliditätsbegriffs und des Rentenanspruchs ist vom Zeitpunkt ihrer Inkraftsetzung uneingeschränkt anwendbar (vgl. ZAK 1983 S. 554). Sie gilt demnach nicht nur für neue, sondern auch für bereits zugesprochene Renten. Ändert sich demzufolge der Invaliditätsgrad trotz eines im Wesentlichen unveränderten Sachverhaltes auf Grund der Anwendung der neuen Bestimmungen, so ist die betreffende Rente für die Zukunft entsprechend herabzusetzen oder aufzuheben.

Für die IV ist im Weiteren sicher zu stellen, dass durch die engere Umschreibung der Invalidität im ATSG der Zugang zu den Eingliederungsmassnahmen nicht (ungewollt) eingeschränkt wird.

In Artikel 4 Absatz 2 IVG wird der erwähnte leistungsspezifische Invaliditätsbegriff für die IV besonders deutlich gemacht: Danach gilt die Invalidität als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruches auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat. Der Gesetzgeber hat somit für den Bereich der IV ausdrücklich festgehalten, dass weder ein allgemeiner noch ein einheitlich verwendeter, sondern ein leistungsspezifischer Invaliditätsbegriff gilt und dass demzufolge bezogen auf die jeweilige Leistung zu prüfen ist, ob die Invalidität die erforderliche Art und Schwere erreicht hat.

Die Anspruchsvoraussetzungen für Eingliederungsmassnahmen sind in Artikel 8 IVG umschrieben. Der Zugang zu diesen Massnahmen soll im Vergleich zu heute erweitert werden, indem neu «invalide oder von Invalidität (Art. 8 ATSG) bedrohte Versicherte» Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen haben sollen (vgl. Art. 8 Abs. 1 IVG neu). Die Invalidität wird sodann für jede Eingliederungsmassnahme in den jeweiligen Bestimmungen umschrieben und ist durch die Rechtsprechung konkretisiert worden. Für die Umschulung legte das Eidgenössische Versicherungsgericht bspw. einen
Mindestinvaliditätsgrad von rund 20 Prozent fest, während bei anderen Eingliederungsmassnahmen ein solcher Mindestgrad fehlt und andere, weniger strenge Voraussetzungen gelten.

Aus der Formulierung von Artikel 7 ATSG hervor, dass diese Bestimmung ausschliesslich Bedeutung für die rentenbestimmende Erwerbsunfähigkeit hat (vgl.

oben Ziff. 1.6.1.5.2 a.E.).

Aus allen diesen Überlegungen ist davon auszugehen, dass die engere Umschreibung der Invalidität im ATSG den Zugang zu den Eingliederungsmassnahmen der IV nicht einschränken wird.

b) Auswirkungen auf andere Sozialversicherungszweige Der engere Invaliditätsbegriff des ATSG und die Neuregelung des Rentenanspruchs im IVG haben auch Auswirkungen auf andere Sozialversicherungszweige: aa) AHV: Nach Artikel 33bis AHVG ist bei der Berechnung von AHV-Renten auf die für die Berechnung der Invalidenrente massgebende Grundlage abzustellen, falls dies für die berechtigte Person vorteilhafter ist. Mit dem Bezug einer Rente der IV geht insoweit ein erheblicher Schutz bezogen auf einen 4533

späteren Bezug einer AHV-Rente einher. Wer ­ bei einer engeren Umschreibung des Invaliditätsbegriffs ­ keine Rente der IV erhält, ist auch insoweit nicht geschützt.

bb) Ergänzungsleistungen: Nach Artikel 2c Buchstabe a ELG sind Personen, die Anspruch auf eine IV-Rente haben, anspruchsberechtigt bei den Ergänzungsleistungen. Werden infolge der strengeren Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von IV-Renten weniger Renten der IV zugesprochen, bedeutet dies, dass die betreffenden Personen gegenüber den Ergänzungsleistungen ebenfalls keinen Anspruch zu erheben vermögen. Möglich ist jedoch auch, dass in der IV nur noch Teilrenten statt ganze Renten zugesprochen.

Dies kann in Einzelfällen zu einer Mehrbelastung bei den EL führen.

cc) Berufliche Vorsorge: Auf den Bereich der beruflichen Vorsorge ist das ATSG nicht anwendbar. Indessen wird in Artikel 23 BVG Bezug genommen auf die Invalidität «im Sinne der IV». Dies bedeutet, dass nach der gegenwärtigen Rechtsprechung die Vorsorgeeinrichtungen der beruflichen Vorsorge an den Invaliditätsgrad der IV gebunden sind (dazu Ziff. 1.1.4.1). Der engere Invaliditätsbegriff des ATSG bzw. des IVG hat deshalb unmittelbare Auswirkungen auf die berufliche Vorsorge, indem auch in diesem Bereich tendenziell weniger bzw. weniger hohe Invalidenrenten gesprochen werden (vgl. Ziff. 3.4).

dd) Unfallversicherung: Im Bereich der obligatorischen Unfallversicherung kommt dem Invaliditätsbegriff des ATSG eine grundsätzlich uneingeschränkte Bedeutung zu. Eine engere Umschreibung des Invaliditätsbegriffs wirkt sich deshalb unmittelbar auch auf die Rentenzusprache in der Unfallversicherung aus. Die Verschärfung von Artikel 28 IVG führt dazu, dass wegen besserer, häufigerer und früherer Wiedereingliederungsmassnahmen weniger bzw. tiefere IV-Renten und damit auch weniger bzw. tiefere UV-Renten gesprochen werden.

ee) Militärversicherung: Die Auswirkungen sind dieselben wie jene auf die Unfallversicherung (vgl. oben).

ff) Arbeitslosenversicherung: Die Beziehungen zwischen Arbeitslosenversicherung und IV sind mannigfaltig. Betroffen sind etwa folgende Bereiche: die Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit (Art. 14 Abs. 2 AVIG), die erleichterte Vermittlungsfähigkeit bei Behinderten (Art. 15 Abs. 2 AVIG), der versicherte Verdienst von Behinderten (Art. 23 Abs. 1 AVIG, Art. 40b AVIV). Die Erschwerung des Rentenzugangs in der IV hat keine konkreten Auswirkungen auf die Arbeitslosenversicherung.

1.6.1.6

Beginn des Anspruchs auf IV-Leistungen

1.6.1.6.1

Anspruch auf Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung und auf Massnahmen beruflicher Art

Heute ist es möglich, dass eine versicherte Person selbständig und vor einer IV-Anmeldung mit einer Umschulung oder Weiterbildung beginnt. Meldet sie sich nachträglich bei der IV an, wird diese Massnahme von der IV vergütet, auch wenn 4534

sie bereits läuft. In solchen Fällen kann allerdings die Gefahr bestehen, dass die selbständig eingeleitete Massnahme nur bedingt eingliederungswirksam ist. Aus diesem Grund soll die IV in Zukunft angelaufene Massnahmen nicht mehr rückwirkend übernehmen. Versicherte sollen in Zukunft die Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung sowie die Massnahmen beruflicher Art frühestens ab dem Zeitpunkt der Anmeldung bei der IV erhalten können.

Mit der neuen Regelung soll der Anreiz bei den Versicherten verstärkt werden, sich bei länger dauernder Krankheit, gerade auch im Hinblick auf eine erfolgreiche Eingliederung, möglichst frühzeitig bei der IV anzumelden. Der Wert der vorliegenden Massnahme liegt somit in erster Linie in der frühzeitigen Erfassung von Betroffenen, um eine weitere Verschlechterung ihrer Situation möglichst zu verhindern.

1.6.1.6.2

Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Rente

Im Hinblick auf die Erschwerung des Zugangs zur IV-Rente sollen u.a. die Anspruchsvoraussetzungen für den Rentenbezug im Vergleich zu heute verschärft werden (vgl. Ziff. 1.6.1.5.3). Im Weiteren soll die geltende Unterscheidung zwischen Dauerinvalidität und langdauernder Krankheit aufgegeben werden, da es in der Praxis aufgrund der sehr strengen Rechtssprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichtes nur sehr wenige Anwendungsfälle von Dauerinvalidität gab. In Zukunft soll daher für alle Fälle die geltende Karenzfrist von einem Jahr für den Bezug einer Rente aufgrund langdauernder Krankheit Anwendung finden. Dies bedeutet, dass der Anspruch auf eine Rente frühestens nach Ablauf eines Jahres mit Vorliegen einer ununterbrochenen durchschnittlichen Arbeitsunfähigkeit von mindestens 40 Prozent entstehen kann, sofern alle weiteren Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.

Der Anspruch auf einer Rente soll in Zukunft frühestens sechs Monate nach dem Zeitpunkt der Anmeldung bei der IV entstehen. Die Ausrichtung von IV-Renten soll demnach nicht mehr rückwirkend auf den oftmals jahrelang zurückliegenden Zeitpunkt der eingetretenen Erwerbsunfähigkeit erfolgen. Diese neue Regelung bedeutet grundsätzlich keine Verschlechterung der Anspruchsberechtigung. Es wird jedoch der Anreiz bei den Versicherten verstärkt, sich bei länger dauernder Krankheit möglichst frühzeitig bei der IV anzumelden. Die Versicherten sollen keinen Anreiz mehr haben, ein bis zwei Jahre mit der Anmeldung zuzuwarten, bis ihr Leistungsanspruch gegenüber der Krankentaggeldversicherung ausläuft. Die versicherte Person muss sich in Zukunft spätestens sechs Monate nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bei der IV anmelden, wenn sie alle ihre Rechte bezüglich der Rente wahren will.

Meldet sie sich später an, so verliert sie den Anspruch für jeden Monat, den sie sich zu spät anmeldet. Allerdings werden die Krankentaggeldversicherungen, wo vorhanden, die versicherte Person anweisen, sich nach spätestens sechs Monaten bei der IV anzumelden. Ansonsten würde die Krankentaggeldversicherung nach Ablauf der Karenzfrist von einem Jahr weiterhin ein Taggeld zahlen, welches sie aber im Gegensatz zu heute nicht mehr durch eine Verrechnung mit dem Nachzahlungsbetrag wieder einbringen könnte. Mit dieser Regelung können somit einerseits die Versicherten ihren
gesamten allfälligen Rentenanspruch wahren und andererseits hat die IV die Möglichkeit, für invalide Versicherte oder für Versicherte, die von Invalidität bedroht sind, Eingliederungsmassnahmen zu einem Zeitpunkt in die Wege zu 4535

leiten, in dem die Wahrscheinlichkeit für deren Wirksamkeit noch bedeutend höher ist als später.

Mit dieser Regelung werden die heutigen Rentennachzahlungen der IV über mehrere Jahre zurück wegfallen und es kann mit gewissen Einsparungen gerechnet werden.

Allerdings liegt der Wert der Massnahme in erster Linie in der frühzeitigen Erfassung von Betroffenen, um eine weitere Verschlechterung ihrer Situation möglichst zu verhindern.

1.6.1.7

Erhöhung der Mindestbeitragsdauer für die Begründung eines ordentlichen Rentenanspruchs

Der Anspruch auf ordentliche Renten setzt heute die Erfüllung einer einjährigen Mindestbeitragsdauer voraus (Art. 6 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 1 IVG). Personen, die mangels Erfüllung der Mindestbeitragsdauer keine ordentliche Rente beanspruchen können, obwohl sie die Versicherteneigenschaft in der Schweiz immer erfüllt haben, wird eine ausserordentliche Rente ausgerichtet. Die ausserordentlichen Renten entsprechen 133 1/3 Prozent der Minimalrente (zur Zeit 1407 Fr.). Empfänger dieser Leistungen sind ausschliesslich Geburts- und Frühinvalide, deren Rentenanspruch vor dem 21. Altersjahr beginnt. Besteht auch kein Anspruch auf ausserordentliche Renten, kann subsidiär ­ gestützt auf Artikel 2c des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG; SR 831.30) oder auf ein Sozialversicherungsabkommen ­ ein Anspruch auf Ergänzungsleistungen bestehen.

Um vorsorgliche Anmeldungen bei der IV nach nur gerade einem Jahr Aufenthalt in der Schweiz zu vermeiden, wird die Mindestbeitragsdauer für die Begründung eines Anspruchs auf eine ordentliche Rente auf drei Jahre angehoben. Das hat aber nicht zur Folge, dass Personen, die eine Beitragsdauer von weniger als drei Jahren aufweisen, kein Leistungsanspruch mehr zusteht.

Ausländische Staatsangehörige haben unter den gleichen Voraussetzungen wie schweizerische einen Anspruch auf ordentliche Renten. Rund 90 Prozent aller Ausländerinnen und Ausländer gehören einem Vertragsstaat an, etwa zwei Drittel davon sind EU-Angehörige. Wird die Mindestbeitragsdauer in der Schweiz erhöht, müssen für die Bestimmung des Rentenanspruchs von EU-Angehörigen die ausländischen Beitragszeiten mitberücksichtigt werden (Art. 45 VO 1408/71). Dasselbe gilt für Staatsangehörige von EFTA-Staaten.

Bei den übrigen Vertragsausländern (weder EU noch EFTA) besteht eine solche Regelung wegen der heutigen kurzen Mindestbeitragsdauer nicht. Die Abkommen mit diesen Ländern sehen aber die Anrechnung von schweizerischen Zeiten für den Erwerb des Anspruchs auf Renten des Partnerstaates vor. Es ist deshalb davon auszugehen, dass diese Länder eine solche einseitige Verschlechterung nicht akzeptieren, und dass entsprechende Revisionsbegehren gestellt werden.

Diese Massnahme führt dazu, dass der Kreis der anspruchsberechtigten Personen auf ausserordentliche
Renten ausgedehnt wird. Alle Personen, die immer in der Schweiz versichert waren, aber weniger als drei Beitragsjahre aufweisen, haben neu Anspruch auf eine ausserordentliche IV-Rente.

Um Härtefällen vorzubeugen, die entstehen, wenn jemand die Mindestbeitragsdauer für eine ordentliche IV-Rente nicht erfüllt, sieht heute das ELG schon einen 4536

Anspruch auf Ergänzungsleistungen vor (Art. 2c Bst. b). Die heutige Regelung ist auf eine Mindestbeitragsdauer von einem Jahr ausgerichtet. Deshalb muss sie an die neu gültige Mindestbeitragsdauer von drei Jahren angepasst werden.

Die Erhöhung der Mindestbeitragsdauer auf drei Jahre führt bis ins Jahr 2025 zu jährlichen Einsparungen von rund einer Million Franken Allerdings werden diese Einsparungen durch den erhöhten Verwaltungsaufwand für die Anrechnung der EU/EFTA-Versicherungszeiten mindestens kompensiert. Ausserdem müssen aufgrund der zusätzlichen Abklärungen im Ausland Verzögerungen in der Rentenzusprechung in Kauf genommen werden.

1.6.2

Korrektur von negativen Anreizen

1.6.2.1

Anpassung des IV-Taggeldsystems

Mit der 4. IV-Revision wurde das IV-Taggeld grundsätzlich neu konzipiert. Es weist aber nach wie vor IV-spezifische Besonderheiten auf. So richtet beispielsweise die IV ein erhöhtes Taggeld bei Versicherten mit Kindern aus, da das Kindergeld der IV erheblich höher ist als der entsprechende Zuschlag der ALV. Eine weitere Besonderheit stellt die Mindestgarantie für Personen mit kleinen Einkommen und für Nichterwerbstätige dar. Diese Besonderheiten können dazu führen, dass Versicherte, welche ein Taggeld beziehen, finanziell besser gestellt sind als vor dem Taggeldbezug. Solche negativen Anreizwirkungen sollen beseitigt werden. Grundsätzlich soll der Zweck des IV-Taggeldes darauf beschränkt werden, dass es ein Ersatz sein soll für ein effektives Einkommen, welches wegen der Durchführung von Eingliederungsmassnahmen nicht erzielt werden kann.

Die Anpassungen des IV-Taggeldsystems betreffen mehrere Bereiche: a) Anpassungen beim Kindergeld Das Kindergeld, welches heute zu hoch ist, soll herabgesetzt werden (vgl. Art. 23bis IVG). Der Ansatz des Kindergeldes beträgt neu zwei Prozent des Höchstbetrages des Taggeldes nach Artikel 24 Absatz 1 IVG (somit 6 Fr. statt wie bisher 18 Fr.).

Dieser Betrag entspricht dem auf den Tag umgerechneten Betrag der durchschittlich in der Schweiz ausgerichteten Kinder- oder Ausbildungszulagen (gegenwärtig ca.

180 Fr. im Monat) und damit der Höhe des entsprechenden Zuschlags in der Arbeitslosenversicherung. Da in der IV ­ im Gegensatz zur ALV ­ nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern u.a. auch Selbständigerwerbende und nicht erwerbstätige Versicherte in der erstmaligen beruflichen Ausbildung während Eingliederungsmassnahmen ein Taggeld beanspruchen können, ist betreffend Kindergeld eine andere Formulierung als diejenige von Artikel 22 Absatz 1 AVIG («auf die er Anspruch hätte, wenn er in einem Arbeitsverhältnis stände») zu wählen. Auch ein Abstellen auf die Kinder- und Ausbildungszulagen des Wohnsitzkantons einer bezugsberechtigen Person wäre nicht unbedingt geeignet, da diesfalls die Versicherten im Ausland nicht erfasst wären. Mit dem Prozentsatz in Abhängigkeit vom Höchstbetrag des Taggeldes stellt das Kindergeld weiterhin eine Regelung dar, die administrativ einfach durchführbar ist.

Der Anspruch auf ein Kindergeld wird zudem beschränkt: Es besteht nur
dann ein Anspruch, wenn weder an die versicherte Person selbst noch an eine andere erwerbstätige Person (z.B. Ehepartnerin oder Ehepartner) für das betreffende Kind eine 4537

gesetzliche Kinder- oder Ausbildungszulage ausgerichtet wird. Der Anspruch auf Kinder- und Ausbildungszulagen auf Grund einer Erwerbstätigkeit geht somit vor.

Erst wenn kein solcher Anspruch gegeben ist, besteht Anspruch auf ein Kindergeld der IV. Die IV gewährt somit wie die Arbeitslosenversicherung (vgl. Art. 22 Abs. 1 AVIG) das Kindergeld nur subsidiär. Diese Regelung ist vereinbar mit dem neuen Bundesgesetz über die Familienzulagen, welches sich gegenwärtig in parlamentarischer Beratung befindet.

b) Aufhebung der Mindestgarantie Weder die ALV noch die UV kennen eine Mindestgarantie. Die Mindestgarantie beim IV-Taggeld für Personen mit kleinen Einkommen und für Nichterwerbstätige soll deshalb mit folgender Ausnahme aufgehoben werden: Über 20-jährige Versicherte, die eine (nicht von der IV finanzierte) Ausbildung abgeschlossen haben und dann einen invalidisierenden Gesundheitsschaden erleiden, sollen weiterhin ein Taggeld in der Höhe der Mindestgarantie von 30 Prozent des Höchstbetrages (d.h.

88 Fr. pro Tag) erhalten.

Die Aufhebung der Mindestgarantie hat zur Folge, dass nicht erwerbstätige Personen, die an Eingliederungsmassnahmen teilnehmen, in Zukunft kein IV-Taggeld mehr beanspruchen können. Für Personen mit Kinderbetreuungsaufgaben, welchen wegen der Durchführung der Eingliederungsmassnahmen zusätzliche Kosten für die Betreuung von Kindern anfallen (z.B. Löhne für Familien- oder Haushalthilfen, Reise- und Unterbringungskosten für Kinder, die von Dritten betreut werden, Kosten für Kinderkrippen, etc.), wird ein Spesenersatz in Form einer Entschädigung für Betreuungskosten geschaffen. Eine ähnliche Entschädigung kennt das Bundesgesetz über den Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft (EOG [SR 834.1], vgl. Zulage für Betreuungskosten gemäss Art. 7 EOG). Ebenso besteht ein Anspruch für die Betreuung von Familienangehörigen, für welche der versicherten Person ein Anspruch auf eine Betreuungsgutschrift nach den Regeln des AHVG zusteht. Dabei handelt es sich um Verwandte in auf- oder absteigender Linie oder Geschwister mit einem Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der AHV oder der IV für mindestens mittlere Hilflosigkeit, die im gleichen Haushalt wohnen (vgl. Art. 29septies AHVG und Art. 52g ff. AHVV).

Die untere Grenze für die Kürzung des Taggeldes wird ebenfalls aufgehoben. In
Zukunft ist das IV-Taggeld zu kürzen, soweit es das massgebende Erwerbseinkommen einschliesslich der gesetzlichen Kinder- und Ausbildungszulagen übersteigt.

c) Befristung des Wartetaggeldes Schliesslich soll das Wartetaggeld nicht mehr unbefristet ausgerichtet werden.

Versicherte, die auf den Beginn bevorstehender Eingliederungsmassnahmen warten müssen, sollen nur noch während zwei Monaten ein Wartetaggeld beanspruchen können, da im Hinblick auf eine möglichst rasche Eingliederung der betroffenen Versicherten so bald als möglich die geeigneten Eingliederungsmassnahmen zu ermitteln und einzuleiten sind. Dies entspricht dem Ziel der Verstärkung der Arbeitsintegration (Frühintervention und Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung der beruflichen Eingliederung; vgl. Ziff. 1.6.1.2 und 1.6.1.3). Die Befristung des Wartetaggeldes kann durch eine Anpassung der Verordnung erfolgen (vgl. Art. 18 IVV).

4538

d) Aufhebung des EL-Anspruchs beim Bezug von Taggeldern Dauert der Taggeldbezug heute ohne Unterbruch länger als sechs Monate, besteht ein Anspruch auf Ergänzungsleistungen (Art. 2c Bst. d ELG). In der Praxis muss von dieser Leistung sehr wenig Gebrauch gemacht werden. Im Jahr 2004 waren nur etwa ein halbes Prozent aller Personen, welche in einer beruflichen Eingliederung standen, auf Ergänzungsleistungen angewiesen (im Umfang von rund 390 000 Fr.).

Um negative Anreize zu verhindern, sollen diese Leistungen in Zukunft nicht mehr gewährt werden. Im Bedarfsfall muss in solchen Fällen neu die Sozialhilfe einspringen. Indirekt sollen damit auch die Gemeinwesen zur aktiven Mitwirkung bei der durch die IV gewährten Eingliederung ­ insbesondere natürlich bei den Integrationsmassnahmen ­ angespornt werden.

Die Angleichung des Taggeldsystems an das System der ALV hat für die IV bis ins Jahr 2025 durchschnittlich Einsparungen von 28 Millionen Franken pro Jahr zur Folge.

1.6.2.2

Vermeidung von Einkommenseinbussen bei erhöhter Erwerbstätigkeit

Wenn Bezügerinnen und Bezüger von IV-Renten sich anstrengen, ihre Resterwerbsfähigkeit möglichst gut ausnützen und dadurch ihren Invaliditätsgrad so stark verringern, dass ihre Rente herabgesetzt oder sogar aufgehoben wird, werden sie beim heutigen System für diesen persönliche Einsatz in bestimmten Fällen «bestraft», indem das wegfallende Renteneinkommen grösser ist als die Zunahme des Erwerbseinkommens und somit das Gesamteinkommen trotz der vermehrten Erwerbstätigkeit tiefer ausfällt als vorher. In der Praxis verzichten deshalb Bezügerinnen und Bezüger von IV-Renten immer wieder darauf, ihre erweiterten Erwerbsmöglichkeiten vollständig auszunutzen.

Dieser falsche Anreiz soll behoben werden. Eine Verbesserung des Erwerbseinkommens soll nicht mehr ohne weiteres zu Verschlechterungen des Gesamteinkommens führen. Wie bei den Ergänzungsleistungen wird für die Rentenrevision nur ein Bruchteil des zusätzlich erzielten Einkommens berücksichtigt. Ähnliche Anreizsysteme zur Erwerbsaufnahme oder zur Verbesserung eines bestehenden Erwerbseinkommens werden heute teilweise bereits in der Sozialhilfe praktiziert.

Bei Bezügerinnen und Bezügern von Ergänzungsleistungen führt eine Einkommensverbesserung zwar zu einer Reduktion der Ergänzungsleistungen. Da aber das Erwerbseinkommen eben nicht voll angerechnet wird (Art. 3c Abs. 1 Bst. a ELG), kann eine bessere Nutzung der Erwerbsfähigkeit trotzdem zu einer Verbesserung des Gesamteinkommens führen.

Auch unter der Berücksichtigung der neuen Dreiviertelsrenten wurden im Jahr 2004 nur rund 600 Renten herabgesetzt. Insgesamt sind die finanziellen Auswirkungen durch eine grosszügigere Anrechnung von zusätzlichen Erwerbseinkommen bei der Revision von Invalidenrenten deshalb unbedeutend.

4539

1.6.3

Sparmassnahmen

1.6.3.1

Verzicht auf den Karrierezuschlag

Für die individuelle Berechnung der Rente wird bei einem Invaliditätseintritt vor dem 45. Altersjahr das durchschnittliche Erwerbseinkommen um einen prozentualen Zuschlag, den sog. Karrierezuschlag, erhöht. Damit werden bei Personen, die in jungen Jahren invalid werden, die Einkommenserhöhungen ausgeglichen, die sie bei einer normal verlaufenden Berufskarriere erzielen könnten. Im heutigen System wird das Einkommen dadurch automatisch auf dasjenige einer 45-jährigen Person angehoben. Vor allem bei Personen, bei welchen die Invalidität im jungen Alter eintritt, kann der Karrierezuschlag zusammen mit allfälligen Kinderrenten dazu führen, dass das IV-Renteneinkommen erheblich höher ausfällt als das zuletzt ohne gesundheitliche Einschränkung erzielte Erwerbseinkommen.

Der Karrierezuschlag soll deshalb aufgehoben werden. Die Renten werden auf der Grundlage des Erwerbseinkommens berechnet, welches durch die zuletzt ohne gesundheitliche Einschränkung ausgeübte Tätigkeit erzielt worden ist.

Diese Massnahme führt bis ins Jahr 2025 zu jährlichen Einsparungen von durchschnittlich 102 Millionen Franken.

Im Rahmen der Vorarbeiten wurde auch eine Neuregelung des Karrierezuschlags geprüft, bei welcher der Zuschlag zeitlich gestaffelt gewährt würde. Auf eine derartige Anpassung wurde aber verzichtet, da dadurch die Einsparungen erheblich reduziert würden. Gegenüber der vollständigen Aufhebung des Karrierezuschlags würden diese nur noch rund 25 Prozent betragen, womit die Bemühungen zur finanziellen Konsolidierung der IV gefährdet wären.

1.6.3.2

Überführung der medizinischen Masssnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Leistungssystem der Krankenversicherung

Die medizinischen Massnahmen, welche die IV gewährt, betreffen ­ gemessen an den Aufwendungen ­ zu 10 Prozent Eingliederungsmassnahmen gestützt auf Artikel 12 IVG und zu 90 Prozent Massnahmen bei Geburtsgebrechen gestützt auf Artikel 13 IVG. Aufgrund von Artikel 12 IVG gewährt die IV den Versicherten medizinische Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Der Artikel ist als Abgrenzung zur eigentlichen Krankheits- oder Unfallbehandlung gedacht. Für diese ist die Kranken- bzw. Unfallversicherung zuständig. Nur medizinische Massnahmen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der beruflichen Eingliederung stehen, sollen zu Lasten der IV gehen.

Da in der Regel die Behandlung oder Korrektur eines krankhaften Zustandes im Vordergrund steht, ist die Abgrenzung einer medizinischen Massnahme im Zusammenhang mit der beruflichen Eingliederung von der eigentlichen Behandlung eines Leidens an sich äusserst problematisch und für Versicherte wie Versicherungen nicht immer einsichtig. Entsprechend zahlreich sind die gerichtlich angefochtenen Entscheide. In der Praxis übernimmt die IV z.B. die Kataraktoperation am Auge, 4540

während die Behandlung einer infektionsbedingten irreversiblen Hornhauttrübung von der Krankenversicherung (KV) übernommen wird, da es sich um labiles pathologisches Geschehen handelt und der Eingliederungserfolg nicht mit notwendiger Wahrscheinlichkeit gegeben ist.

Seit der Einführung des KV-Obligatoriums ab 1.1.1996 sind alle Versicherten für medizinische Massnahmen bei gesundheitlichen Schäden ungeachtet von deren Ursache versichert. Bei einer Streichung von Artikel 12 IVG werden die bisher von der IV übernommenen medizinischen Massnahmen auf die KV, die Versicherten und die Kantone (Spitalfinanzierung) überwälzt, die Taggelder, für welche im KV-Bereich kein Obligatorium besteht, auf die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und die Versicherten. Es gilt allerdings zu bemerken, dass Auslandschweizerinnen und -schweizer ohne Krankenversicherungsdeckung gemäss KVG den Anspruch auf diese Leistungen verlieren.

Die unter Artikel 12 IVG für die IV relevanten Kosten, Behandlungskosten und Taggelder haben sich seit 1990 bis 2004 folgendermassen entwickelt: In Millionen Franken 1990

2004

Medizinische Massnahmen nach Artikel 12 IVG Taggelder

24 16

44 8

Total

40

52

Während bei den Heilungskosten ein konstanter Anstieg zu verzeichnen ist, bewegen sich die Taggelder leicht rückläufig. Eine plausible Erklärung dafür ist die zunehmende Konzentration der medizinischen Massnahmen bei Erwachsenen auf die Behebung des grauen Stars. Diese wird im Gegensatz zu früher in zunehmendem Masse ambulant durchgeführt, wodurch sich der Eingriff selbst zwar nicht verbilligt, die Behandlungs- und Heilungsdauer, von der das Taggeld abhängt, jedoch zunehmend verkürzt wird.

Im Jahre 2004 wären die bei der IV eingesparten Behandlungskosten von 44 Millionen Franken wie folgt anteilmässig auf die Krankenversicherung, auf die Versicherten und auf die Kantone übergegangen: In Tagen und in Millionen Franken für 2004 Spitaltage

Gesamtkosten

Kantone

Krankenversicherer

Versicherte

stationär ambulant

23 000 ­

11,2 32,8

5,5 ­

5,5 29,5

0,2 3,3

Total

­

44,0

5,5

35,0

3,5

100

12,6

79,5

7,9

Anteil (in Prozenten)

Im ambulanten Bereich tragen die Krankenversicherer und die Versicherten (Franchisen und Selbstbehalt) die Behandlungskosten. Im stationären Bereich finden sich neben diesen beiden Kostenträgern die Kantone, welche 50 Prozent der Kosten 4541

tragen. Die Versicherten bzw. deren Arbeitgebende haben den Ausfall von Taggeldern zu übernehmen, wobei ihnen die Möglichkeit einer freiwilligen Taggeldversicherung offen steht.

Der Mehraufwand für den Pflegebereich für die Krankenversicherer beläuft sich auf rund 35 Millionen Franken (rund 80 % der Kosten). Der Transfer der Kosten infolge der Streichung von Artikel 12 IVG verursacht der Krankenversicherung Mehrkosten in der Grössenordnung von 0,2 Prozent der jährlichen Nettoleistungen in der Höhe von 15 336 Millionen Franken43.

Die Kantone hätten im Jahre 2004 sechs Millionen Franken (12 %) aufwenden müssen. Die Versicherten hätten, ohne Berücksichtigung der individuellen Franchise, insgesamt weniger als vier Millionen Franken (8 %) selber zahlen müssen.

Die Streichung von Artikel 12 IVG bewirkt eine klarere Abgrenzung zwischen den beiden Sozialversicherungen KV und IV sowie eine Entlastung der Gerichtsinstanzen.

Gegen die Streichung von Artikel 12 IVG können folgende Argumente vorgebracht werden: Die medizinischen Massnahmen der IV zielen auf die Eingliederung ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich und dadurch auf die dauernde und wesentliche Verbesserung der Erwerbsfähigkeit oder der Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen. Damit bezwecken sie letztlich die Vermeidung einer IV-Rente und tragen so zu einem finanziellen Ausgleich innerhalb der IV bei. Die Frage der Abgrenzung zu einer anderen Sozialversicherung kann diesbezüglich nicht ausschlaggebend sein.

Diese stellt sich auch bei Unfällen, wo aber ebenfalls ­ zumindest für die unfallversicherten Personen ­ eine andere Versicherung als die KV zum Tragen kommt.

Diese Argumente sind wenig stichhaltig. Wie dargelegt, ist die Unterscheidung zwischen medizinischen Massnahmen zur Eingliederung in das Berufsleben und medizinischen Massnahmen zur Behandlung eines Leidens an sich schwierig. Der überwiegende Teil der ärztlichen Behandlungen bei Menschen im Arbeitsalter führt, als Nebeneffekt, zur Wiederherstellung oder Erhaltung der Arbeitsfähigkeit und so letztlich zur Vermeidung einer Rente. Die Unfallversicherung andererseits kommt nur bei unfallversicherten Personen zum Tragen. Bei der IV sind ebenso wie bei der KV alle Personen versichert, jedenfalls bis zum Erreichen des Rentenalters, weshalb die Abgrenzung dieser beiden
Versicherungen sinnvoll ist.

Mit einer verbesserten Koordination zwischen IV und KV an Stelle der Streichung von Artikel 12 IVG wird das Ziel der Massnahme verfehlt. Zum Einen verbleiben die entsprechenden Leistungen weiterhin bei der IV. Zum andern bleibt das Problem der Abgrenzung der Leistungspflicht ungelöst. Koordinationsmassnahmen zwischen KV und IV wurden bereits im Vorfeld der 4. IV-Revision breit diskutiert und, soweit im Rahmen der fundamentalen Unterschiede der gesetzlichen Grundlagen von KV und IV möglich, auch realisiert.

Bis ins Jahr 2025 dürfte die IV infolge der Aufhebung von Artikel 12 IVG Einsparungen von durchschnittlich 63 Millionen Franken pro Jahr erzielen. Die Ausgaben für die Massnahmen von 53 Millionen werden inskünftig von der Krankenversicherung getragen, die Taggelder von 10 Millionen können eingespart werden.

43

BAG: Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2003, S. 99.

4542

1.6.3.3

Aufhebung der laufenden Zusatzrenten

Bereits mit der 10. AHV-Revision, welche am 1. Januar 1997 in Kraft getreten ist, wurden die Zusatzrenten in der AHV aufgehoben. Mit der 4. IV-Revision, in Kraft seit 1. Januar 2004, zog die IV nach. Seither werden auf neuen Renten keine Zusatzrenten mehr gewährt. Sowohl in der AHV wie auch in der IV wurde die Aufhebung nicht zuletzt auch mit der Verbesserung der Altersvorsorge begründet. Viele Personen können neben der IV-Rente auch Leistungen der beruflichen Vorsorge beanspruchen und sind daher auf die Zusatzrente der IV nicht angewiesen.

Bei Inkrafttreten der 4. IV-Revision bereits laufende Zusatzrenten waren von der Aufhebung nicht betroffen. Das Übergangsrecht sieht vor, dass diese weiter ausgerichtet werden sollen, solange die Anspruchsvoraussetzungen dafür erfüllt sind.

Auch bei den laufenden Zusatzrenten stellt sich heute die Frage nach der sozialen Rechtfertigung, da auch in diesen Fällen häufig Leistungen der beruflichen Vorsorge zur Ausrichtung gelangen. Aus finanziellen Überlegungen wird daher die vollständige Aufhebung der laufenden Zusatzrenten in der IV vorgeschlagen. Zwar trifft es zu, dass die berufliche Vorsorge noch nicht überall genügend ausgebaut ist. Für solche Fälle besteht mit den Ergänzungsleistungen ein adäquates Mittel zur Vermeidung von finanziellen Notlagen, welche infolge Aufhebung der Zusatzrenten entstehen könnten. Die Zusatzrenten in der AHV sind von dieser Aufhebung nicht betroffen.

Im Jahr 2004 bezogen 31 Prozent der IV-Rentner und -Rentnerinnen zusätzlich zu ihrer Hauptrente eine Zusatzrente für ihre Ehepartnerin oder ihren Ehepartner. Bei Inkrafttreten der 5. IV-Revision werden 64 000 Zusatzrenten für Ehepartner (wovon 13 000 Zusatzrenten für Ehemänner und 51 000 Zusatzrenten für Ehefrauen) aufgehoben werden. Der durchschnittlich wegfallende Betrag beläuft sich auf monatlich 400 Franken. Zum Teil dürften diese Beträge durch die 2. Säule kompensiert werden, indem hier auf Grund der Überversicherungsklausel wegfallende Beträge der 1.Säule durch solche der 2.Säule ersetzt werden. Insgesamt führt die Aufhebung der laufenden Zusatzrenten der IV bis ins Jahr 2025 zu jährlichen Einsparungen von durchschnittlich 116 Millionen Franken.

Die Aufhebung wird sich auch bei der obligatorischen Unfallversicherung (einmaliger Kapitalbedarf infolge Anpassung der Komplementärrenten
von schätzungsweise 240 Mio. Fr., wovon Suva 215 Mio. Fr. und übrige Versicherer 25 Mio. Fr.) und der Militärversicherung auswirken.

Geprüft wurden auch abgeschwächte Lösungen für die Aufhebung der laufenden Zusatzrenten. Solche hätten aber erheblich weniger Einsparungen zur Folge, womit die Bemühungen zur finanziellen Konsolidierung der IV gefährdet wären.

1.6.3.4

Anpassung der Verzugszinsregelung auf Leistungen

Seit Inkrafttreten des ATSG per 1. Januar 2003 sind die Sozialversicherungen verpflichtet, auf Leistungsnachzahlungen einen Verzugszins auszurichten, sofern die Leistung nicht innerhalb von 24 Monaten zugesprochen werden kann (Art. 26 Abs. 2 ATSG). Hat die versicherte Person ihre Mitwirkungspflicht erfüllt, so spielt es

4543

grundsätzlich keine Rolle, aus welchen Gründen die Leistungsausrichtung verzögert wurde. In der Praxis kann dies allerdings zu fragwürdigen Ergebnissen führen.

Bei Ländern, mit welchen die Schweiz ein Abkommen über soziale Sicherheit abgeschlossen hat, ist ein Leistungsgesuch grundsätzlich im jeweiligen Wohnland einzureichen. Wird ein solches Leistungsgesuch nicht umgehend weitergeleitet, führt dies zu Verzögerungen bei der Rentenzusprechung und damit unter Umständen zu einer Verzugszinspflicht. Da die Schweiz auf solche durch ausländische Verbindungsstellen verursachte Verzögerungen keinen Einfluss hat, soll deren Verhalten in Zukunft keinen Verzugszins mehr auslösen können.

Bei der Einführung der Verzugszinspflicht auf Leistungen wurde ausserdem eine Einschränkung in Artikel 6 ATSV aufgenommen, wonach kein Verzugszins geschuldet wird, wenn die rentenberechtigte Personen keinen Schaden erlitten hat.

Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Person bereits von Dritten als Bevorschussende (z.B. Kollektivversicherer, Arbeitgeber oder Sozialhilfe) oder von anderen Sozialversicherungen (z.B. Arbeitslosen- oder Unfallversicherung) Leistungen empfangen hat, welche bei späterer Zusprechung einer IV-Rente zurückgefordert und mit der Rentennachzahlung verrechnet werden können. Die Gesetzmässigkeit dieser Bestimmung wurde in der Praxis verschiedentlich diskutiert (vgl. Kieser, ATSG-Kommentar, Art. 26 Rz 16). Es ist daher sinnvoll, diese Regelung direkt im ATSG zu verankern. In materieller Hinsicht ändert sich nichts.

1.6.4

Harmonisierung der Praxis

1.6.4.1

Standortverträge mit den Kantonen über die Einrichtung von IV-Stellen

Die Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) stellt neue Anforderungen an den Bund. Mit der NFA fallen Finanzierung und Vollzug der individuellen Leistungen in die alleinige Zuständigkeit des Bundes. Die bisher von den Kantonen geregelte Organisation der IV-Stellen soll nun Bundessache sein. Die kantonalen IV-Stellen stehen den Versicherten jedoch weiterhin zur Verfügung. Die Botschaft zur NFA44 hält dazu fest: «Im revidierten IVG wird neu festgehalten, dass der Bund zuständig ist, in den Kantonen die IV-Stellen einzurichten. Wo sinnvoll soll der Bund aber gewisse Aufgaben der IV-Stellen nach wie vor durch die Kantone wahrnehmen lassen können, indem er mit diesen Standortverträge abschliesst».

In diesem Sinne wird der Bund künftig Standortverträge mit den Kantonen über die Einrichtung der IV-Stellen abschliessen.

1.6.4.2

Verstärkung der Aufsicht durch den Bund

Die mit der Gesetzesdurchführung beauftragten IV-Stellen unterstehen der Aufsicht des Bundes. Eine zweckmässige Aufsicht umfasst im Wesentlichen zwei Komponenten: Zum einen soll durch die Kontrolle der Gesetzmässigkeit von Entscheiden 44

Vgl. Botschaft zur Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen (NFA) vom 14. November 2001, BBl 2002 2434, Ziff. 6.1.5.2.5.

4544

die gesetzeskonforme Rechtsanwendung im Einzelfall gewährleistet werden. Der Bund verfügt in diesem Bereich über die erforderlichen Kontrollinstrumente: Er hat weitreichende materielle Aufsichtskompetenzen in Bezug auf die Entscheide der IV-Stellen. Zum anderen soll die bestmögliche Umsetzung des Versicherungszwecks (Art. 1a IVG) durch die IV-Stellen sowie der möglichst effiziente und qualitätsbezogene Einsatz der vorhandenen Kontrollinstrumente sichergestellt werden.

Die administrative Aufsicht über die IV-Stellen sowie ihre Steuerung weist heute in diesen Bereichen allerdings Schwachpunkte auf und muss verstärkt werden.

Um diese Lücken zu schliessen, werden dem Bund neue Kompetenzen im Bereich der administrativen Aufsicht über die IV-Stellen und deren Steuerung übertragen. Er ist ausdrücklich befugt, die künftig erforderlichen Weisungen für eine möglichst wirkungs- und leistungsorientierte Gesetzesanwendung durch die Vollzugsorgane zu erlassen und allenfalls Korrekturmassnahmen zu ergreifen, wenn eine IV-Stelle diesen Anforderungen nicht genügt. Folgende Bereiche fallen künftig in die Bundeskompetenz: ­

Der Bund kann zur Steuerung der IV-Stellen ein wirkungs- und leistungsorientiertes Instrumentarium einführen und die Finanzierung der IV-Stellen ganz oder teilweise mit den Wirkungen der erbrachten Leistungen verknüpfen. Hierzu kann er mit den Trägern der IV-Stellen Leistungsvereinbarungen abschliessen45.

­

Der Bund kann Verwaltungsweisungen zuhanden der IV-Stellen erlassen.

Dabei kann der Bund zum Beispiel Mindestvorgaben in Bezug auf die Qualität der Arbeit der IV-Stellen oder in Bezug auf die Qualifikation des IV-Personals aufstellen46.

Der Bund soll dabei auch Massnahmen ergreifen können, wenn er Mängel bei den IV-Stellen feststellt.

Diese Ausweitung der Bundeskompetenzen im Aufsichtsbereich ist eine Folge der NFA: Künftig fallen die individuellen (von den IV-Stellen ausgerichteten) Leistungen in die ausschliessliche Zuständigkeit des Bundes. Die Aufsicht über die Leistungsausrichtung durch die IV-Stellen muss daher verstärkt werden.

45

46

Eine Studie der Universität St. Gallen hat gezeigt, dass die Einführung eines wirkungsorientierten Steuerungsinstruments für die IV-Stellen grundsätzlich wünschenswert ist.

(Kuno Schedler und Isabella Proeller, Gutachten AHV/IV. Wirkungsorientierter Vollzug, Institut für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus der Universität St. Gallen, 2004).

Eine 2004 im Auftrag vom BSV durchgeführte Machbarkeitsstudie hat im Übrigen die Modalitäten dieses Steuerungsinstrumentes aufgezeigt (Marcel Egger und Isabella Proeller, Machbarkeitsstudie «Wirkungsmodell der Invalidenversicherung». Bericht, Egger, Dreher & Partner und Institut für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus der Universität St. Gallen, 2004). Das BSV arbeitet zur Zeit an der Konkretisierung dieses Instrumentariums.

Eine vom BSV in Auftrag gegebene Studie betreffend die Einführung einer leistungsorientierten Steuerung der IV-Stellen (Urs Birchler und Véronique Merckx, Konzept einer anreizkompatiblen Finanzierung der IV-Stellen, Cap Gemini Ernst & Young, 2000) hat aufgezeigt, dass die unterschiedlichen Arbeitsprozesse in den IV-Stellen und eine ungenügende Definition der Qualitätsindikatoren die Einführung eines solchen Modells erheblich erschwert. Die Experten schlugen deshalb vor, minimale Qualitätsstandards mit ensprechenden Indikatoren zu definieren sowie auch bezüglich der Verfahrensabläufe Minimalstandards vorzugeben.

4545

1.6.4.3

Einrichtung einer Aufsichtskommission

Heute sind die Vertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Arbeitgeberschaft47 nicht in die Vollzugsaufsicht eingebunden. Sie nehmen nur eine beratende Aufgabe auf freiwilliger Basis wahr. Diese Situation befriedigt insofern nicht, als die IV zu über einem Drittel durch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge finanziert wird und die Sozialpartner in verschiedenen Bereichen des IV-Vollzugs eine wichtige Rolle spielen. Dadurch, dass Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften nicht integriert sind, gehen wichtige Synergien für den Vollzug verloren. Bei der im Rahmen der 5. IV-Revision vorgesehenen Früherfassung von arbeitsunfähigen Versicherten müssen die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sicherlich eine wichtige Rolle spielen.

Um dafür zu sorgen, dass die Sozialpartner vermehrt Aufsichtsaufgaben wahrnehmen, soll ein Aufsichtsgremium für Vollzugsaufgaben eingesetzt werden, in dem auch Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberschaft sitzen. Diese Aufsichtskommission setzt sich zusammen aus Vertreterinnen und Vertretern des Bundes und der Sozialpartner. Massgebend für die Zusammensetzung der Kommission ist der Anteil der verschiedenen Parteien an der Finanzierung der IV. Weil die Kantone nach Inkrafttreten der NFA nicht mehr zur Finanzierung der individuellen Leistungen der IV beitragen, sind sie somit nicht in der Aufsichtskommission vertreten.

Die Zuständigkeit der IV-Aufsichtskommission erstreckt sich insbesondere auf folgende Bereiche: ­

Abschluss von Verträgen mit den Kantonen über die Einrichtung von IV-Stellen;

­

Genehmigung der anrechenbaren Verwaltungskosten der IV-Stellen und der anderen dezentralisierten IV-Durchführungsstellen;

­

Abschluss von Vereinbarungen mit den IV-Stellen über die zu erbringenden Leistungen und deren Wirkungen sowie über das von ihnen zu verwendende Qualitätssicherungssystem.

Die Kommission nimmt keine gesetzgeberische Aufgaben wahr.

Die Einrichtung einer Aufsichtskommission ist insofern problematisch, als die Kompetenzaufteilung und -begrenzung zur Eidg. AHV/IV-Kommission und zum BSV zu regeln ist. Der Bundesrat hält aber dennoch daran fest, weil mit dieser Konstruktion die Sozialpartner in die Aufsicht einbezogen werden können.

1.6.5

Erhöhung des IV-Beitragssatzes

Die Einführung der Frühintervention und der neuen Integrationsmassnahmen sowie die Finanzierung der Taggelder werden bei der IV Mehrkosten verursachen. Infolge dieser Massnahmen werden jedoch Einsparungen in Form einer Reduktion der Zahl der neuen IV-Renten um rund 20 Prozent, bezogen auf das Jahr 2003, erwartet (vgl.

Ausführungen in Ziff. 3.1.2). Der positive Effekt der Massnahmen zur Dämpfung 47

Dabei ist zu beachten, dass die IV eine obligatorische Grundversicherung ist. Erwachsene Nichterwerbstätige wie auch Selbstständigerwerbende sind ebenfalls IV-beitragspflichtig.

Die Angestellten und die Arbeitgeber entrichten jedoch den grössten Teil der Beiträge.

4546

der Zunahme der IV-Neuberentungen (vgl. Ziff. 1.6.1) wird sich nicht allein auf die IV beschränken. Da gemäss Artikel 26 Absatz 1 BVG (SR 831.40) für den Anspruch auf Invalidenleistungen aus der 2. Säule die Bestimmungen des IVG massgebend sind, bewirken die Massnahmen zusätzlich Einsparungen bei der 2. Säule (vgl. Ziff.

1.1.4 und 3.4): So werden einerseits durch die länger andauernden Wiedereingliederungsbemühungen die Leistungen aus der 2. Säule später fällig, was dort zu Einsparungen führt. Aufgrund der Koppelung der Leistungen aus der 2. Säule an jene der IV folgt aus der Reduktion der Zahl der IV-Neurenten andererseits die Reduktion der Zahl der Neurenten in der 2. Säule. Die Vorsorgeeinrichtungen können somit um insgesamt 435 Millionen Franken pro Jahr entlastet werden. Dies wird dazu beitragen, dass die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge für die berufliche Vorsorge entsprechend geringer ausfallen werden. Aus diesem Grund ist es vertretbar, die Lohnbeiträge zugunsten der IV um 0,1 Prozent anzuheben und damit die Mehrkosten für die Frühintervention und die Integrationsmassnahmen, welche ihrerseits sowohl der IV wie der 2. Säule zugute kommen, teilweise auszugleichen. Mit der Erhöhung des Lohnbeitragssatzes kann darüber hinaus eine Annäherung an das ursprünglich festgelegte Ziel, d.h. den anteilsmässig vergleichbaren Finanzierungsbeitrag von Sozialpartnern und öffentlicher Hand, erreicht werden. Finanziert wird die Beitragserhöhung durch Arbeitgebende und Arbeitnehmende. Im Zuge der Gleichbehandlung werden aber auch die Beiträge der Selbständigerwerbenden im gleichen Umfang erhöht und eine entsprechende Anpassung der Beiträge der Nichterwerbstätigen vorgenommen.

Die vorgesehene Anhebung der Beiträge vom Einkommen aus Erwerbstätigkeit um 0,1 Prozent auf 1,5 Prozent führt für die IV bis 2025 zu Mehreinnahmen von durchschnittlich 303 Millionen Franken pro Jahr.

1.6.6

Kürzung des Bundesbeitrages an die IV

Die Frühintervention sowie die Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung werden auch unter Berücksichtigung der eingesparten Renten in den Jahren 2007 bis 2012 jährliche Mehrausgaben von durchschnittlich 165 Millionen Franken verursachen. Die IV wird die Hälfte der Kosten, also rund 83 Millionen Franken pro Jahr, zu tragen haben. Die andere Hälfte wird durch die öffentliche Hand (durch den Bund und die Kantone) bezahlt. Der Bundeshaushalt finanziert 37,5 Prozent der Ausgaben der IV und trägt somit pro Jahr durchschnittlich rund 62 Millionen Franken der Mehrkosten aus der Frühintervention und den Integrationsmassnahmen.

Die bei der IV anfallenden Kosten aus der Frühintervention und den Integrationsmassnahmen können durch die höheren Einnahmen aus der Beitragssatzerhöhung um 0,1 Prozentpunkt (rund 303 Millionen Franken pro Jahr) gedeckt werden. Die Mehreinnahmen durch die Beitragssatzerhöhung kommen vollumfänglich der IV zugute, da der Bundesbeitrag nur von den Ausgaben abhängt.

Damit die aus den erwähnten Massnahmen entstehende Mehrbelastung des Bundeshaushaltes ebenfalls kompensiert werden kann, beschloss der Bundesrat im Zusammenhang mit seinen Entscheiden zum Entlastungsprogramm 2004, dass der Bundesbeitrag an die IV im Rahmen der 5. IV-Revision um 1,0 Prozentpunkte auf 36,5 Prozent der IV-Ausgaben (2007­2016) gesenkt werden soll ­ aber nur unter der Voraussetzung, dass sowohl die IV-Lohnbeiträge um 0,1 Prozentpunkte erhöht 4547

werden als auch gleichzeitig die Mehrwertsteuer um 0,8 Prozentpunkte, ohne Bundesanteil, angehoben wird. Nachdem die Neuschätzungen der Kosten für die Frühintervention und Integrationsmassnahmen unter Berücksichtigung der einzusparenden Renten gegenüber der Vernehmlassungsvorlage deutlich reduziert werden konnten, reicht eine Senkung des Bundesbeitrags von 37,5 Prozent auf 36,9 Prozent der IV-Ausgaben in den Jahren 2008-2012 aus, um die Mehrbelastung im Bundeshaushalt zu decken. Die im Interesse der IV-Finanzen verminderte Kürzung des Bundesbeitrags führt für den Bund zu jährlichen Einsparungen von rund 74 Millionen Franken (2008-2012). Damit wird sichergestellt, dass die IV-Ausgaben im Bundeshaushalt finanzierbar bleiben.

Der Beitrag des Bundes an die IV wird im Rahmen der NFA-Aufgabenentflechtung neu festgesetzt werden müssen. Dabei wird zu beachten sein, dass das Einsparvolumen der Senkung des Bundesbeitrags an die IV durch eine entsprechende Korrektur des ausgabenprozentualen Beitragssatzes gemäss NFA auch nach der NFA-Aufgabenentflechtung im Bundeshaushalt realisiert werden kann. Damit wird sichergestellt, dass die IV-Finanzierung die Einhaltung der Vorgaben der Schuldenbremse nicht in Frage stellt. Die Kantonshaushalte werden im Übrigen nach einem allfälligen Inkrafttreten der NFA auf Beginn 2008 durch die Frühintervention und Integrationsmassnahmen nicht belastet, weil sie keinen Beitrag mehr an die IV bezahlen müssen.

Die Senkung des Bundesbeitrags ist um so mehr gerechtfertigt, als der Bundesrat bereit ist, auf die an sich sachlich berechtigte Forderung eines Bundesanteils an der geplanten Mehrwertsteuererhöhung für die IV zu verzichten48. Er tut dies im Interesse der finanziellen Konsolidierung der IV und im Hinblick auf die längerfristig geplante Finanzierungsentflechtung zwischen IV- und Bundeshaushalt.

Wird die Kompensation der Mehrausgaben infolge Einführung der Frühintervention und der Integrationsmassnahmen dem Bund verwehrt, so führt die IV-Finanzierung in den nächsten Jahren zu einer nicht finanzierten Belastung des Bundeshaushalts.

Während die IV-Ausgaben beispielsweise 2004­2009 um rund 2,7 Prozent pro Jahr (reale Zahl) zunehmen werden, ist mit einem realen Einnahmenwachstum im Bundeshaushalt von lediglich etwa 1,7 Prozent pro Jahr zu rechnen. Die Folge davon wäre eine
kumulierte Finanzierungslücke im Bundeshaushalt bis Ende 2009 von über 200 Millionen. Mit der Kompensation würde der Bundeshaushalt hingegen wie die IV von den Entlastungsmassnahmen im Rahmen der 5. IV-Revision vollumfänglich profitieren. Es ist nicht einzusehen, weshalb der Bund als bedeutender Beitragszahler an die IV an den entlastenden Wirkungen der 5. IV-Revision nicht partizipieren sollte.

Um dem Umstand Rechnung tragen zu können, dass die Frühintervention und die Integrationsmassnahmen ab 2013 voraussichtlich zu keinen Mehrbelastungen mehr im Bundeshauhalt führen, soll die Senkung des Beitrags des Bundes an die IV bis Ende 2012 befristet werden. Sollten die Auswirkungen der Frühinterventions- und der Integrationsmassnahmen auf die IV-Rentenzugänge weniger positiv ausfallen als erwartet, wäre aus der Sicht der Bundesfinanzen eine Verlängerung der Beitragskürzung in Betracht zu ziehen. Hierzu müsste dem Parlament eine erneute Gesetzesanpassung vorgelegt werden.

48

Vgl. Botschaft vom 22. Juni 2005 zur IV-Zusatzfinanzierung, 05.053 (BBl 2005 4623).

4548

1.6.7

Weitere Massnahmen

1.6.7.1

Interinstitutionelle Zusammenarbeit

Die interinstitutionelle Zusammenarbeit ist für die IV vor allem im Bereich der Früherfassung und Frühintervention sowie der Wiedereingliederung von arbeitsunfähigen Versicherten von grosser Bedeutung. Bei der Begleitung arbeitsunfähiger Versicherter zum Zweck der frühzeitigen Wiedereingliederung in die Arbeitswelt sollten bestehende Synergien zwischen der Invaliden- und der Arbeitslosenversicherung sowie der Sozialhilfe genutzt werden. Früherfassung und Frühintervention im Zusammenhang mit arbeitsunfähigen Versicherten setzen ihrerseits eine enge Zusammenarbeit voraus zwischen der IV und den Versicherungen, die bereits vor der IV in Kontakt mit den versicherten Personen stehen und ebenfalls daran interessiert sind, diese Personen frühzeitig zu erfassen (Krankentaggeldversicherer, Unfallversicherer und wegen des verbindlichen Charakters der IV-Verfügungen insbesondere die Vorsorgeeinrichtungen).

Mit der 4. IV-Revision wurde bereits eine Gesetzesgrundlage eingeführt für die interinstitutionelle Zusammenarbeit zwischen den IV-Stellen, den Durchführungsorganen der Arbeitslosenversicherung und den kantonalen Durchführungsstellen, die für die Förderung der beruflichen Eingliederung zuständig sind (Art. 68bis IVG).

Ziel dieser Zusammenarbeit ist es, Personen, die sich bei der IV-Stelle zum Leistungsbezug angemeldet haben und deren Erwerbsfähigkeit untersucht wird, den Zugang zu den geeigneten beruflichen Eingliederungsmassnahmen der IV, der ALV oder der Kantone zu erleichtern.

Die Durchführungspraxis hat in der Zwischenzeit gezeigt, dass die mit der 4. IV-Revision erzielten Wirkungen wohl wichtige Verbesserungen gebracht haben.

Sie genügen allerdings nicht, um eine optimale Zusammenarbeit und Koordination der verschiedenen an der Eingliederung beteiligten Akteure zu ermöglichen. Angesichts dieser Situation wurde von den IV-Stellen versucht, die Zusammenarbeit mit verschiedenen Versicherungsträgern auf vertraglicher Basis zu regeln. Im Hinblick auf die Förderung einer frühzeitigen, eingliederungsorientierten Zusammenarbeit zwischen den IV-Stellen und den ihr vorgelagerten Versicherungsträgern (wozu die Krankentaggeldversicherer nach KVG und VVG, die obligatorischen Unfallversicherer sowie [wegen der Prämienbefreiung und der Bindungswirkung des IV-Entscheides] auch die Vorsorgeeinrichtungen nach BVG
und VVG gehören) sind deshalb verschiedene Zusammenarbeitsvereinbarungen und Manuals erarbeitet worden (vgl. hierzu auch www.iiz-plus.ch).

Infolge der im Rahmen der intensivierten Zusammenarbeit zwischen den IV-Stellen und den ihr vorgelagerten Versicherungsträgern und der interinstitutionellen Zusammenarbeit gemachten Erfahrungen drängt es sich nun auf, die gesetzliche Basis von Artikel 68bis IVG zu ergänzen. Die bisherigen Bestimmungen zur interinstitutionellen Zusammenarbeit werden neu ausgedehnt auf alle Träger und Durchführungsorgane von Sozialversicherungen (womit neu vor allem die Unfallversicherung und die Militärversicherung dazukommen), private Versicherungseinrichtungen (wie beispielsweise der grösste Teil der Krankentaggeldversicherer), die Einrichtungen der beruflichen Vorsorge, die Durchführungsstellen der Sozialhilfe sowie andere private oder öffentliche Institutionen, welche für die Eingliederung von Versicherten von Bedeutung sind.

4549

Den IV-Stellen wird auf diese Weise ermöglicht, auf einfachere und effiziente Weise mit allen diesen Stellen Daten und Informationen auszutauschen, denn nur über einen möglichst unkomplizierten Daten- und Informationsaustausch lässt sich auch sicherstellen, dass frühzeitig (und zwar eventuell schon in der Phase der Früherfassung) die richtigen Schritte und Massnahmen ergriffen werden können, damit eine versicherte Person den geeigneten Eingliederungsmassnahmen zugeführt wird.

Im Rahmen dieses Daten- und Informationsaustausches ist neu zudem vorgesehen, dass alle Einrichtungen und kantonalen Durchführungsstellen über einen Entscheid der IV-Stelle, der ihren Leistungsbereich betrifft, mittels Verfügungskopie informiert werden. Dies erleichtert den jeweiligen Stellen die Abstimmung ihrer weiteren Handlungen mit den Leistungen der IV.

1.6.7.2

Besondere Auszahlungsbestimmungen bei der Hilflosenentschädigung

Artikel 67 Absatz 2 ATSG schreibt vor, dass für die Zeit, während der sich eine Bezügerin oder ein Bezüger einer Hilflosenentschädigung in einer Heilanstalt aufhält, der Anspruch auf die Hilflosenentschädigung entfällt49. Bei den Minderjährigen, für welche die Hilflosenentschädigung sowieso pro Tag berechnet und jeweils vierteljährlich abgerechnet wird, stellen sich kaum Probleme bei der Durchführung.

Bei den volljährigen Versicherten wird praxisgemäss bei kurzen Spitalaufenthalten von bis zu sieben aufeinanderfolgenden Tagen im Kalendermonat weiterhin der ganze monatliche Betrag der Hilflosenentschädigung ausgerichtet. Ab dem achten Tag wird die Entschädigung für den entsprechenden Kalendermonat anteilsmässig, d.h. pro rata temporis, gekürzt. Dauert der Spitalaufenthalt den ganzen Kalendermonat, so entfällt der Anspruch auf die Hilflosenentschädigung ganz. Da die effektive Dauer eines Spitalaufenthaltes sich immer erst im nachhinein feststellen lässt, erfolgt rückwirkend eine Rückforderung der zu viel ausbezahlten Leistungen mittels Verrechnung mit den zur Auszahlung kommenden Entschädigungen, sobald die Spitalaufenthaltsdauer feststeht. Diese Regelung hat zur Folge, dass kurze Spitalaufenthalte von weniger als einem Monat zu unverhältnismässig hohen Kosten in der administrativen Durchführung führen.

Der Bundesrat schlägt daher vor, für die volljährigen Bezügerinnen und Bezüger von Hilflosenentschädigungen sämtlicher betroffener Sozialversicherungen die offene Regelung von Artikel 67 Absatz 2 ATSG zu präzisieren: Demnach entfällt der Anspruch auf die Entschädigung für jeden vollständigen Kalendermonat, in welchem sich eine volljährige Bezügerin oder ein volljähriger Bezüger einer Hilflosenentschädigung zu Lasten einer Sozialversicherung in einer Heilanstalt aufhält.

Zu viel ausbezahlte Beträge sollen rückwirkend mit auszubezahlenden Beträgen verrechnet werden.

Eine Besonderheit in Bezug auf die Auszahlung stellen die Hilflosenentschädigungen für Minderjährige dar (Art. 42bis IVG). Grundsätzlich wären diese Leistungen 49

Als Heilanstalt gilt jede Einrichtung, die der stationären Behandlung einer Krankheit oder eines Unfalles dient (vgl. dazu auch Art. 39 Abs. 1 KVG). Nach dem eindeutigen gesetzgeberischen Willen fallen Pflegeheime nicht unter den Begriff der Heilanstalt (vgl. BBl 1999 4638). Damit entspricht der Ausdruck «Heilanstalt» ohne weiteres dem Spital (vgl. U. Kieser, «ATSG-Kommentar», 2003, Art. 67 Rz. 7).

4550

durch die Ausgleichskassen auszurichten. Allerdings unterscheiden sie sich wesentlich von den Hilflosenentschädigungen für volljährige Versicherte, indem sie eben nicht monatliche Fixbeträge darstellen, sondern pro Tag berechnet werden (Art. 42ter Abs. 1 IVG). Um die korrekte Auszahlung über die Ausgleichskassen zu gewährleisten, müsste daher ein äusserst aufwändiges Meldeverfahren zwischen den verfügenden Organen der IV und Ausgleichskassen eingerichtet werden. Dies kann vermieden werden, indem für die Auszahlung der Hilflosenentschädigungen an Minderjährige das gleiche Verfahren angewendet wird, wie es bereits vor Inkrafttreten der 4. IV-Revision für die Pflegebeiträge für hilflose Minderjährige (Art. 20 IVG) bestand. Die Entschädigung soll direkt durch die Zentrale Ausgleichsstelle vergütet werden.

1.6.7.3

Versicherungsmässige Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungsmassnahmen

Im Rahmen der Revision der freiwilligen Versicherung50 wurde die Versicherungsklausel gemäss Artikel 6 Absatz 1 IVG, wonach eine Person im Zeitpunkt des Eintritts der Invalidität versichert sein musste, aufgehoben. Diese Änderung trat am 1. Januar 2001 in Kraft.

Für schweizerische Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz nie ins Ausland verlegen, ergaben sich in Bezug auf den Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen keine Änderungen. Verbessert wurde hingegen die Situation der Schweizerinnen und Schweizer, die der Versicherung erstmals nach Eintritt der Invalidität im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 IVG unterstellt sind. Ihnen steht seither ein Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen zu. Früher konnten sie keinen Anspruch erwerben, weil im Zeitpunkt des Invaliditätseintritts kein Versicherungsverhältnis bestand. Allerdings erlischt dieses Recht wieder, sofern sie ihren Wohnsitz in der Schweiz aufgeben und sich nicht der freiwilligen Versicherung für Auslandschweizerinnen und -schweizer anschliessen oder nicht in den Genuss einer Nachversicherungsklausel gelangen, wie sie auch im Abkommen mit der EG über den freien Personenverkehr enthalten ist.

Die Aufhebung der Versicherungsklausel darf nicht derart ausgelegt werden, dass eine Eingliederungsmassnahme ohne jeglichen Bezug zur IV gewährt werden kann.

Die Eingliederungsmassnahmen bleiben nach Artikel 8 IVG ausschliesslich versicherten Personen vorbehalten51. Artikel 22quater IVV präzisiert, dass Eingliederungsmassnahmen nur während der Dauer der Versicherungsunterstellung gewährt werden können. Mit der Versicherungsunterstellung ist sowohl die obligatorische als auch die freiwillige Versicherung (Art. 1a Abs. 3 und 4 und Art. 2 AHVG) gemeint.

Die Präzisierung in Artikel 22quater IVV hat in der Praxis schon mehrfach Bedeutung erlangt. Es ist daher sinnvoll, diese Bestimmung direkt im IVG zu verankern52.

50 51

52

Botschaft vom 28. April 1999 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, BBl 1999 4983.

Durch die Verknüpfung der Eingliederungsmassnahmen mit der Versicherteneigenschaft war keine Ausdehnung der Anspruchsberechtigung beabsichtigt, weshalb auch nicht mit zusätzlichen Leistungen für ausländische Staatsangehörige gerechnet worden war (BBl 1999 4983, Ziff. 214).

In der Zwischenzeit hat sich auch die Rechtsprechung mit der Frage der Rechtmässigkeit dieser Regelung auseinandergesetzt (Urteil des EVG vom 12.1.2005, I 169/03).

4551

1.7

Weitere geprüfte, aber nicht berücksichtigte Revisionsthemen

1.7.1

Anpassung der Renten im Ausland an die Kaufkraft

Verschiedentlich schon wurde die Forderung gestellt, bei Zahlungen ins Ausland die Renten der IV an die Kaufkraft des Wohnlandes anzupassen (Pa.Iv. Keller vom 18. Juni 1996 [96.424], Postulat Wyss vom 17. März 1999 [99.3096]). Mit dem Postulat Wyss wurde der Bundesrat eingeladen, die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der AHV/IV-Leistungsexporte vertieft zu untersuchen. Der Bundesrat liess in Beantwortung des Postulats die wirtschaftlichen, rechtlichen und quantitativen Aspekte des Leistungsexports eingehend prüfen. Der Bericht wurde im Frühjahr 2003 veröffentlicht53.

Eine Anpassung der Rentenzahlungen an die Kaufkraft des Wohnlandes hätte Auswirkungen für Auslandschweizerinnen und -schweizer sowie Angehörige von Staaten, mit denen die Schweiz ein Abkommen über soziale Sicherheit abgeschlossen hat, wie beispielsweise das Freizügigkeitsabkommen mit der Europäischen Gemeinschaft (EG) oder auch das revidierte EFTA-Abkommen. Solche Regelungen über die gegenseitige Koordination der nationalen Sozialversicherungsgesetzgebungen bestehen heute mit 34 Staaten54. Das gesamte Vertragsnetz erfasst über 90 Prozent aller in der Schweiz versicherten oder versichert gewesenen Ausländerinnen und Ausländer. Nicht betroffen wären hingegen die IV-Renten von Angehörigen eines Staates, mit welchem die Schweiz kein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat.

Deren Anspruchsberechtigung besteht nur, sofern und solange sie in der Schweiz wohnhaft sind (Art. 6 Abs. 2 IVG).

Die Gleichbehandlung der Angehörigen von Vertragsstaaten mit den eigenen Staatsangehörigen ist ein zentrales Anliegen aller Sozialversicherungsabkommen. Grundsätzlich sehen deshalb auch alle Abkommen vor, dass die IV-Renten ungeschmälert ins Ausland ausgerichtet werden. Nur in Einzelfällen beschränken sich die Auslandszahlungen auf den Heimatstaat. Eine Änderung dieser Gleichbehandlungsbestimmungen würde voraussetzen, dass alle Sozialversicherungsabkommen angepasst werden müssten. Solche Anpassungen könnten aber auch Retorsionsmassnahmen gegenüber Auslandschweizerinnen und -schweizern auslösen, welche Leistungen der sozialen Sicherheit der betroffenen Staaten beziehen.

Im Januar 2003 betrafen lediglich 10,7 Prozent der gesamten IV-Rentensumme Zahlungen ins Ausland; hiervon flossen 87,5 Prozent in ein EU-Land. Eine kaufkraftabgestufte Rentenzahlung
in EU-Staaten würde dem Koordinationssystem diametral entgegen stehen. Einerseits verpflichtet die massgebende EG-Verordnung jeden am Abkommen beteiligten Staat zur ungekürzten Rentenzahlung. Andererseits ist die soziale Sicherheit in der EU untrennbarer Bestandteil des freien Personenverkehrs. Für die Durchsetzung einer kaufkraftabgestuften Rentenauszahlung bliebe folglich nur die Kündigung des Freizügigkeitsabkommens mit sämtlichen nach53 54

Bericht des Bundesrates vom 28. Mai 2003 über «Leistungsexporte. Finanzielle Sicherung von AHV/IV».

Neben dem Abkommen mit der EG und dem EFTA-Abkommen bestehen Sozialversicherungsabkommen mit Belgien, Chile, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Irland, Israel, Italien, Jugoslawien (Serbien und Montenegro sowie Bosnien und Herzegowina), Kanada/Quebec, Kroatien, Liechtenstein, Luxemburg, Mazedonien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Phillipinen, Portugal, San Marino, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Türkei, Ungarn, USA und Zypern.

4552

teiligen Folgen auf das gesamte Vertragsverhältnis zwischen der Schweiz und der EU und ihren Mitgliedstaaten.

Im Übrigen wären die Einsparungen infolge einer Anpassung an die Kaufkraft im Ausland nicht bedeutend: von den 660 Millionen Franken der im Jahr 2002 ins Ausland ausgerichteten Renten flossen 83 Millionen Franken (13 %) in NichtEU-Staaten; von diesen gingen 32 Millionen Franken an Schweizerinnen und Schweizer.

In seinem Bericht vom 28. Mai 2003 ist der Bundesrat deshalb bei der Frage möglicher Massnahmen zur Stabilisierung der finanziellen Auswirkungen der Leistungsexporte zum Ergebnis gelangt, dass nebst den bereits bestehenden Lösungen für administrative Erleichterungen bei Zahlungen ins Ausland kein gesetzgeberischer oder vertraglicher Gestaltungsspielraum besteht, um leistungsberechtigte Personen im Ausland anders zu behandeln als in der Schweiz.

1.7.2

Verzicht auf Rentenexport in Staaten ausserhalb von EU/EFTA

Ähnliche Überlegungen wie unter Ziffer 1.7.1 sind auch bei der Frage des Verzichts auf den Export von Renten in Staaten ausserhalb der EU und der EFTA anzustellen.

Eine solche Massnahme hätte sowohl für schweizerische wie für ausländische Staatsangehörige Auswirkungen. Insgesamt müssten 16 Sozialversicherungsabkommen gekündigt und allenfalls neu ausgehandelt werden. Ausserdem würde sich die Frage nach dem zukünftigen Zweck der freiwilligen Versicherung stellen.

1.7.3

Kapitalauszahlungen in Staaten ausserhalb von EU/EFTA

Bereits heute sehen einige Sozialversicherungsabkommen aus administrativen Gründen die Kapitalabfindung niedriger Teilrenten vor. Bei den Renten werden damit allerdings keine Einsparungen erzielt. Eine Kapitalauszahlung an schweizerische und ausländische Staatsangehörige ausserhalb der EU/EFTA würde nur dann zu Einsparungen führen, wenn der abgefundene Rentenbetrag kleiner wäre als der effektive. Selbst eine Reduktion des abgefundenen Rentenbetrages um 20 Prozent würde aber langfristig zu Einsparungen von lediglich 6 Millionen Franken führen.

Dazu müssten alle 16 betroffenen Sozialversicherungsabkommen gekündigt und neu ausgehandelt werden.

1.7.4

Umkehr der Reihenfolge der Rentenzahlungen bei Unfällen

Nach Artikel 66 Absatz 2 ATSG werden Renten und Abfindungen nach den Bestimmungen des jeweiligen Einzelgesetzes zuerst von der AHV oder der IV, an zweiter Stelle von der Militär- oder der Unfallversicherung (UV) und erst an letzter Stelle von der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge gewährt.

Spricht die IV demnach einer verunfallten versicherten Person eine Rente zu, so ergänzt die obligatorische Unfallversicherung diese bis zu der vom UVG gezogenen 4553

Grenze von 90 Prozent des versicherten Verdienstes (vgl. Art. 20 Abs. 2 UVG, Art. 31 ff. UVV). Darüber hinaus richtet die berufliche Vorsorge Rentenleistungen bis zur Koordinationsgrenze von 90 Prozent des mutmasslich entgangenen Verdienstes aus (vgl. Art. 24 BVV 2).

Eine Umkehr dieser Leistungsreihenfolge in dem Sinne, dass neu bei Unfällen an erster Stelle die UV, an zweiter Stelle die berufliche Vorsorge und erst an dritter Stelle die IV leistungspflichtig würde, hätte zwar Einsparungen für die IV zur Folge.

Für die Beibehaltung des geltenden Systems spricht jedoch, dass bei der IV die beruflichen Eingliederungsmassnahmen im Zentrum stehen und dies unabhängig von der Ursache der Gesundheitsschädigung (Krankheit oder Unfall). Der gesetzliche Leistungskatalog sowohl der UV wie der beruflichen Vorsorge umfasst keine Eingliederung. Kommt es bei einer verunfallten Person nach erfolglosen Eingliederungsmassnahmen zur Rente, so wäre die letztere bei einer Umkehr der Leistungsreihenfolge in erster Linie durch die obligatorische UV oder die berufliche Vorsorge auszurichten. Die Folge einer solchen Regelung wäre eine Zunahme der Kausalitätsstreitigkeiten bzw. der negativen Kompetenzkonflikte zwischen der UV oder der beruflichen Vorsorge einerseits und der IV andererseits. Zudem wäre mit einem Systemwechsel eine massive Erhöhung der Prämien der obligatorischen UV (um rund 8 %) oder ein Anstieg der Beiträge bei der beruflichen Vorsorge (um ca. 1 %) verbunden.

1.7.5

Invaliditätsbemessung

Die Bemessung der Invalidität von erwerbstätigen Versicherten wird seit dem 1. Januar 2003 in Artikel 16 ATSG umschrieben. Mit der 4. IV-Revision wurden die bisher in der IVV enthaltenen Bestimmungen zur Invaliditätsbemessung für Nichtund Teilerwerbstätige sowie für Personen, welche im Betrieb des Ehepartners oder der Ehepartnerin mitarbeiten, ins Gesetz aufgenommen. Dies wurde aus Gründen der formalen Gleichbehandlung von erwerbs-, teilerwerbs- und nicht erwerbstätigen Personen gemacht.

Gemäss Artikel 16 ATSG wird für die Bestimmung des Invaliditätsgrades das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte (hypothetisches Invalideneinkommen), in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (hypothetisches Valideneinkommen).

Auf Grund des Postulats Widmer (01.3134, Hypothetisches Invalideneinkommen bei der Bemessung der Invalidität) gab das BSV im Jahr 200355 eine Expertise in Auftrag, welche die Überprüfung ausgewählter Aspekte der Bestimmung des IV-Grades aus ökonomischer Sicht zum Gegenstand hatte. Diese ergab, dass die heutige Praxis der Bemessung des Validen- und des Invalideneinkommens häufig zu unplausiblen Ergebnissen führt. In gewissen Fällen wird ein Invaliditätsgrad festgesetzt, welcher im Prinzip über dem tatsächlichen Invaliditätsgrad liegt. Dies trifft vor allem auf Personen zu, die vor Eintritt des Gesundheitsschadens ein in ihrem 55

Bericht vom 15. August 2003 von Egger, Dreher & Partner AG, «Ökonomische Überprüfung ausgewählter Aspekte der Bestimmung des IV-Grades».

4554

Wirtschaftszweig und Anforderungsniveau überdurchschnittliches Einkommen erzielten. Zudem führt die heutige Praxis zu unerwünschten Anreizwirkungen bei den versicherten Personen. So kann es durchaus sein, dass eine versicherte Person keine neue Erwerbstätigkeit mit einem hohen Einkommen mehr anstrebt, weil dies zu einer Rentenrevision führen könnte, bei welcher das Invalideneinkommen höher bewertet würde und damit die Gefahr bestünde, den Rentenanspruch teilweise oder ganz zu verlieren.

Gestützt auf den geltenden Artikel 28 Absatz 2 IVG hat der Bundesrat die Kompetenz, das zur Bemessung der Invalidität massgebende Erwerbseinkommen zu umschreiben. Diese Kompetenz des Bundesrates findet sich neu in Artikel 28a Absatz 1 IVG. Auf Grund der beschriebenen Erkenntnisse der Expertise sollen daher auf Verordnungsstufe neue Grundsätze für die Umschreibung der massgebenden Erwerbseinkommen und Verfahrensvorschriften für den Einkommensvergleich vorgesehen werden. Das Validen- und das Invalideneinkommen sollen nach demselben Verfahren ermittelt werden. Nach Möglichkeit soll das tatsächliche Valideneinkommen mit dem tatsächlichen Invalideneinkommen verglichen werden. Ist dies nicht möglich, weil die versicherte Person kein tatsächliches Validen- oder kein tatsächliches Invalideneinkommen hat, dann sind beide Einkommen auf der Basis von tabellarischen Durchschnittslöhnen zu ermitteln und dies selbst dann, wenn für eines der beiden Einkommen tatsächliche Werte existieren würden. Die Ermittlung der Durchschnittslöhne hat ausschliesslich anhand der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik zu erfolgen.

Damit könnten die heutigen Verzerrungen bei der Bemessung der Invalidität nahezu eliminiert werden. Es könnten Invaliditätsgrade festgelegt werden, die den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen und damit den Versicherten auch wieder vermehrt Anreize bieten, die verbleibende Restarbeitsfähigkeit zu verwerten.

1.7.6

Ersatz des Begriffes «Invalidität»

Der Bundesrat hat sich am 7. Dezember 2001 bereit erklärt, das Postulat der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 1. November 2001 (01.3648) entgegenzunehmen und zu prüfen, «ob und wie in der Sozialgesetzgebung der diskriminierende Begriff und die mit ihm verwandten Begriffe ersetzt werden könnten». Der Entscheid, ein Postulat an den Bundesrat einzureichen, wurde anlässlich der parlamentarischen Debatten zur 4. IV-Revision getroffen.

Juristisch gesehen liegt eine «Diskriminierung» in Fällen gemäss Artikel 8 Absatz 2 BV vor. Der Verfassungsartikel kann aber nicht alleine durch die Tatsache verletzt werden, dass ein Begriff negativ konnotiert ist. Hingegen können die im Gesetz vorgesehenen Massnahmen diskriminierend sein. Vorliegend werden nicht die materiellen Bestimmungen zur Invalidität beanstandet, sondern lediglich der verwendete Begriff.

Obwohl der geltende Begriff nicht als diskriminierend im Sinne von Artikel 8 Absatz 2 BV bezeichnet werden kann, muss ­ wie im erwähnten Postulat gefordert ­ geprüft werden, ob er durch eine andere Bezeichnung ersetzt werden kann.

In der Schweiz liegt dem Invaliditätsbegriff des IVG und der anderen Sozialversicherungen ein wirtschaftlicher Aspekt zu Grunde, d.h. die durch einen körperlichen, 4555

geistigen oder psychischen Gesundheitsschaden verursachte Erwerbsunfähigkeit.

Dieser im IVG definierte Anwendungsbereich soll durch einen neuen Begriff für Invalidität weder eingeschränkt noch erweitert werden. Die neue Formulierung darf natürlich nicht negativ besetzt sein und muss sich in alle drei Amtssprachen übersetzen lassen. Zudem muss sie auch mit dem internationalen Recht kompatibel sein.

Es wurde zunächst ein Terminologievergleich auf europäischer Ebene vorgenommen. Daraus geht hervor, dass in den mit dem IVG vergleichbaren Gesetzen der Ausdruck «Invalidität» weit verbreitet ist. Ausserdem sind die Anwendungsbereiche sehr unterschiedlich. Anhand dieser Vergleiche konnte also keine befriedigende Lösung gefunden werden.

Der Verweis, der im ATSG bei der Definition von Invalidität gemacht wird, ist eine Prüfung wert. Gemäss Artikel 8 ATSG ist unter Invalidität die «voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit» zu verstehen; der geltende Artikel 7 ATSG hält fest: «Erwerbsunfähigkeit ist der durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit verursachte und nach zumutbarer Behandlung und Eingliederung verbleibende ganze oder teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt». Ein Gesundheitsschaden verleiht nur dann Anspruch auf eine IV-Leistung, wenn eine längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit die Folge ist.

Diese zeitliche Komponente bestimmt den wirtschaftlichen Charakter der Invalidität.

Auf der Grundlage einer Änderung des ATSG könnte der Begriff Invalidität ersetzt werden durch die deutsche Bezeichnung «dauernde Erwerbsunfähigkeit», durch «incapacité de gain durable» im Französischen und «incapacità al guadagno duratura» im Italienischen. Diese Änderung hat keine Auswirkungen auf den Anwendungsbereich des IVG, da die dauernde Erwerbsunfähigkeit materiell mit dem Invaliditätsbegriff gemäss dem geltenden Artikel 8 ATSG übereinstimmt. Die vorgeschlagene Formulierung ist allerdings etwas lang und Anpassungen wären erforderlich in der Praxis und beim Vollzug des IVG sowie in anderen Bereichen, in welchen diese Terminologie gebräuchlich ist. Soll der heute geltende Begriff ersetzt werden, so ist eine Änderung der Bundesverfassung erforderlich, welche Volk und
Ständen zur Abstimmung unterbreitet werden müsste. Zahlreiche Bundesgesetze bzw. Verordnungen und die bilateralen Abkommen über soziale Sicherheit wären mit erheblichem administrativem Aufwand anzupassen. Ausserdem ist der sach- und nicht personenbezogene Begriff «Erwerbsunfähigkeit» auch nicht neutral und kann als abwertend empfunden werden.

Die Dachorganisationenkonferenz der privaten Behindertenhilfe (DOK), welche im Übrigen ausdrücklich aufgefordert worden war, Anregungen einzubringen, verzichtete auf entsprechende Vorschläge. Der Ersatz des Begriffs «Invalidität» durch «dauernde Erwerbsunfähigkeit» fand zudem weder bei der Bundesverwaltung noch bei der AHV/IV-Kommission (vgl. Ziff. 1.4) Anklang und auch die Vertreterinnen und Vertreter der Behindertenhilfeorganisationen konnten sich nicht dafür begeistern.

4556

2

Erläuterungen

2.1

Änderung des IVG

Art. 3

Beitragsbemessung und -bezug

Absatz 1: Der Beitragssatz wird von heute 1,4 auf 1,5 Prozent erhöht. Zu dieser Erhöhung verweisen wir auf die Ausführungen unter Ziffer 1.6.5.

Absatz 1bis: Im gleichen Verhältnis wie der Beitragssatz nach Absatz 1 angehoben wird, werden auch der Mindest- und der Höchstbeitrag, den die Nichterwerbstätigen entrichten müssen, erhöht. Der Mindestbeitrag für obligatorisch versicherte Nichterwerbstätige beträgt neu 63 (statt 59) Franken im Jahr, für freiwillig versicherte Nichterwerbstätige 126 (statt 118) Franken im Jahr. Der Höchstbeitrag macht neu 1500 Franken (statt 1400) pro Jahr aus. Der Verweis auf Artikel 9bis AHVG schafft die gesetzliche Grundlage für die Anpassung der erhöhten Beiträge an den Rentenindex gemäss Artikel 33ter AHVG.

Art. 3a (neu)

Grundsatz

Absatz 1 führt die Früherfassung ins IVG ein. Im Rahmen der Früherfassung sollen jene Versicherten erfasst werden, bei welchen auf Grund einer Arbeitsunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen die Gefahr einer zukünftigen Invalidisierung bestehen könnte.

Absatz 2: Sofern nicht ein anderer Versicherer,wie z.B. die SUVA oder ein Krankentaggeldversicherer, eine der Früherfassung ähnliche Bearbeitung der Dossiers vornimmt, soll eine versicherte Person durch die IV-Stelle frühzeitig erfasst werden.

Zur Sicherstellung einer guten Koordination zwischen den Vorversicherern und der IV bedarf es unter Umständen Zusammenarbeitsverträge, wie sie bereits heute teilweise im Rahmen von IIZ-plus bestehen.

Art. 3b (neu)

Meldung

Absatz 1 regelt die Form und den Inhalt der Meldung für die Früherfassung. Zur Erreichung einer höheren Verbindlichkeit sowie zum Schutz vor allfälligem Missbrauch ist es notwendig, dass die Meldung in schriftlicher Form erfolgt. Die IV-Stellen können hierfür spezielle Formulare zur Verfügung stellen, allerdings genügt auch ein einfacher Brief, solange er alle notwendigen Angaben enthält. Als Einreicheort für die Meldung wird die zuständige IV-Stelle vorgesehen.

Weil die Meldung auf freiwilliger Basis erfolgt, sollen keine hohen Anforderungen an eine Meldung gestellt werden. Der Begriff der Personalien kann auf Verordnungsebene weiter umschrieben werden und wird den Namen und die Adresse und allenfalls, wenn bekannt, auch die AHV-Nummer umfassen. Diese Informationen dienen der Identifikation der arbeitsunfähigen Person. Die Personalien und Angaben der meldenden Person oder der meldenden Stelle dienen der Verifizierung der Meldeberechtigung. Sofern ein ärztliches Arbeitsunfähigkeitszeugnis vorhanden ist, kann dieses ebenfalls beigelegt werden. Diese Angaben stellen das Minimum an 4557

Informationen dar, welche die IV-Stelle für die Aufnahme ihrer Tätigkeit im Rahmen der Früherfassung benötigt. Es steht im Ermessen der meldenden Person oder der meldenden Stelle, weitergehende Unterlagen zur Verfügung zu stellen.

Absatz 2: Auf Grund der Freiwilligkeit der Meldung soll der Kreis der Meldeberechtigten möglichst gross sein. Es ist davon auszugehen, dass die vorgesehenen Meldeberechtigten über die Situation der versicherten Person nähere Kenntnisse haben und auch ein Interessen daran haben zu erfahren, welche Auswirkungen und welche Entwicklung auf Grund der Arbeitsunfähigkeit zu erwarten ist.

Unter «Familienangehörigen» im Sinne von Buchstabe b sind in Anlehnung an Artikel 29septies AHVG die im gemeinsamen Haushalt lebenden Verwandten in aufoder absteigender Linie, Geschwister, Ehegatten, Schwiegereltern und Stiefkinder der betroffenen arbeitsunfähigen Person zu verstehen. Diese Präzisierung kann auf Verordnungsebene erfolgen.

Absatz 3: Sämtliche meldende Personen und Stellen gemäss den Buchstaben b­k haben die betroffene Person, welche sie zur Früherfassung melden wollen, über die beabsichtigte Meldung in Kenntnis zu setzen. Für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte ist angesichts der ihnen auferlegten ärztlichen Schweigepflicht davon auszugehen, dass sie ihre Patientinnen und Patienten nur melden werden, wenn diese ihre ausdrückliche Zustimmung zur Meldung gegeben haben.

Absatz 4 gibt dem Bundesrat die Kompetenz zum Erlass von Ausführungsbestimmungen bezüglich der Meldung. Es ist notwendig, dass eine gewisse Mindestdauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt, damit nicht Bagatellfälle wie einfache und kurze Erkrankungen auch zur Früherfassung gemeldet werden. Vielmehr muss bereits eine gewisse Gefahr der Chronifizierung der Beschwerden bestehen. Zudem erleichtert eine konkrete Mindestdauer auch den Entscheid darüber, welche Personen überhaupt gemeldet werden sollen. Die Mindestdauer soll vom Bundesrat in der Verordnung festgesetzt werden, damit sie auf einfache Weise an die aktuellen Entwicklungen und Erfahrungen angepasst werden kann. Auf Grund der heutigen Erfahrungen ist von einer Mindestdauer von 4 Wochen auszugehen. Dabei wird der Umstand zu berücksichtigen sein, dass bei bestimmten, insbesondere psychischen Krankheiten, der Verlauf der Arbeitsunfähigkeit schwanken kann und deshalb die Mindestdauer allenfalls etwas offener formuliert werden muss.

Art. 3c (neu)

Verfahren

Absatz 1: Aus Gründen des Datenschutzes ist es sehr wichtig, dass die versicherte Person über Zweck und Umfang der Früherfassung aufgeklärt wird, da die Mitarbeit im Rahmen der Früherfassung freiwillig ist. Der Erfolg der Früherfassung hängt damit wesentlich vom Engagement der versicherten Person ab. Sie muss vom persönlichen Nutzen der Früherfassung überzeugt sein.

Absatz 2: Auf Grund der Unterlagen und Informationen, die sie eingeholt hat, muss die IV-Stelle mit ihren Fachleuten (Berufsberatung, Medizin etc.) innert möglichst kurzer Zeit beurteilen, ob allenfalls Massnahmen der Frühintervention und deshalb eine Anmeldung bei der IV angezeigt sind. Ein persönliches Gespräch mit der versicherten Person und gegebenenfalls auch ihrem Arbeitgeber dient der Erfassung der persönlichen, sozialen und beruflichen Situation sowie der Information über das weitere Vorgehen im Rahmen der Früherfassung. Ein Gespräch mit dem Arbeitgeber

4558

dürfte insbesondere dann angezeigt sein, wenn sich abzeichnet, dass die Situation der gemeldeten Person IV-rechtlich von Bedeutung werden könnte.

Absatz 3: Das weitere Einholen von Unterlagen hängt vom Einverständnis der versicherten Person ab. Hierfür fordert die IV-Stelle sie auf, eine Vollmacht zu unterschreiben, welche es der IV-Stelle ermöglicht, die notwendigen Informationen und Unterlagen einzuverlangen und weitere Abklärungen vorzunehmen. Ohne eine solche Vollmacht kann die IV-Stelle ihrer Früherfassungsfunktion im Prinzip nicht nachkommen.

Absatz 4: Sofern eine versicherte Person im Rahmen der Früherfassung keine Ermächtigung zur Einholung von medizinischen Unterlagen bei ihrem behandelnden Arzt oder ihrer behandelnden Ärztin erteilt, kann ein Arzt oder eine Ärztin der IV bei diesen die notwendigen Auskünfte einholen. Der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin ist in einem solchen Fall von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden. Dieses Vorgehen ist in etwa demjenigen der Krankenversicherung mit dem Vertrauensarzt nachgezeichnet.

Der Arzt oder die Ärztin der IV beurteilt auf Grund der zur Verfügung gestellten Unterlagen, ob eine Frühintervention der IV angezeigt ist. Der IV-Stelle gibt er oder sie nur diejenigen Angaben weiter, die notwendig sind, um diesen Entscheid zu begründen. Dabei sind die Persönlichkeitsrechte der versicherten Person zu wahren.

Absatz 5: Nach Abschluss der Abklärung muss die IV-Stelle in erster Linie die versicherte Person über ihre Beurteilung der Situation, insbesondere aber über die Notwendigkeit einer Anmeldung bei der IV informieren. Im Weiteren informiert sie auch die gesetzliche Vertretung (die eine IV-Anmeldung vornehmen sollte), den Krankentaggeld- oder den Unfallversicherer und allfällig den Arbeitgeber, sofern dieser die versicherte Person gemeldet hat. Diese Personen und Versicherer haben ein konkretes Interesse daran zu erfahren, ob beispielsweise Massnahmen zur Erhaltung des Arbeitsplatzes angezeigt sind und deshalb eine Anmeldung bei der IV erfolgen sollte.

Absatz 6: Kommt die IV-Stelle zum Schluss, dass eine Anmeldung bei der IV vorgenommen werden sollte, so fordert sie die versicherte Person dazu auf. Mit dieser Aufforderung zur Anmeldung wird die versicherte Person auch bereits darüber informiert, dass ein Nichtbefolgen dieser Aufforderung eine Kürzung oder gar eine Verweigerung von zukünftigen Leistungen zur Folge haben kann.

Art. 7

Pflichten der versicherten Person

Absatz 1 hält den allgemeinen Rechtsgrundsatz der Schadenminderungspflicht fest.

Eine versicherte Person hat die Pflicht, alles Zumutbare zu unternehmen, um eine Arbeitsunfähigkeit bzw. eine Invalidität möglichst zu verhindern oder zu vermindern.

Absatz 2 konkretisiert die bis anhin nur sehr allgemein im Gesetz festgehaltene Mitwirkungspflicht der versicherten Person in der IV. Die versicherte Person ist dazu angehalten, an allen Massnahmen, die ihrer Eingliederung ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich dienen, aktiv mitzuwirken. Es geht hier um einen Teil der Schadenminderungspflicht nach Absatz 1. Die einzelnen Massnahmen werden einerseits konkret in Absatz 2 aufgezählt, sind andererseits aber nicht abschliessend aufgeführt. Denkbar sind daher auch die Verpflichtung der versicherten Person zur Mitwirkung bei Massnahmen nach Artikel 13 IVG oder bei der Sonderschulung.

4559

Art. 7a (neu)

Zumutbare Massnahmen

Dieser Artikel konkretisiert den bis anhin nur von der Rechtsprechung näher definierten Begriff der Zumutbarkeit und hält den Grundsatz fest, dass jede Massnahme, die der Eingliederung einer versicherten Person dient, als zumutbar gilt, solange sie nicht ausdrücklich als unzumutbar betrachtet werden muss. Damit wird die Beweislast in Bezug auf die Zumutbarkeitsfrage verschoben. Musste bis anhin dargelegt werden, dass eine Massnahme einer versicherten Person in ihrer konkreten Lage zumutbar ist, so kann neu davon ausgegangen werden, dass eine Massnahme prinzipiell zumutbar ist. Es liegt sodann an der versicherten Person darzulegen, inwiefern die Massnahme eben doch unzumutbar ist. Allerdings wirkt sich diese Beweislastverteilung faktisch nur im Streitfalle aus, da die IV-Stelle aufgrund des in Artikel 43 Absatz 1 ATSG geregelten Untersuchungsgrundsatzes von Amtes wegen verpflichtet ist zu prüfen, ob eine unzumutbare Massnahme vorliegt.

Im zweiten Satz wird ausdrücklich festgehalten, dass lediglich der Faktor Gesundheit dazu führen könnte, dass eine Massnahme im konkreten Einzelfall als unzumutbar bezeichnet werden muss.

Art. 7b (neu)

Sanktionen

Dieser Artikel regelt die Folgen einer Verletzung der Schadenminderungs- und Mitwirkungspflicht der versicherten Person.

Absatz 1 hält zunächst im Einklang mit der Regelung in Artikel 21 Absatz 4 ATSG fest, dass bei einer Verletzung der (Schadenminderungs- bzw. Mitwirkungs-)Pflicht der versicherten Person nach Artikel 7 IVG und 43 Absatz 2 ATSG eine Kürzung oder Verweigerung der Leistungen der IV resultieren kann. Dabei ist der Begriff Leistungen analog dem ATSG zu verstehen und kann sowohl Geld- wie Sachleistungen umfassen56. Diese Leistungen können nur gekürzt werden, sofern das Mahnund Bedenkzeitverfahren durchgeführt worden ist.

Absatz 2: zählt diejenigen Pflichten auf, deren Verletzung zu einer Leistungskürzung oder -verweigerung führen können, ohne dass das Mahn- und Bedenkzeitverfahren durchgeführt werden muss. Dabei handelt es sich um die Pflichten, wie sie in Artikel 3c Absatz 6 festgehalten werden, aber auch um bisher schon bestehende Pflichten, wie etwa die Meldepflichten, und neu auch das unrechtmässige Erwirken von Leistungen der IV bzw. der entsprechende Versuch.

Absatz 3 umschreibt wie in der Militärversicherung, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang Leistungen gekürzt oder verweigert werden können. Insbesondere das Ausmass des Verschuldens und die wirtschaftliche Lage der versicherten Person sind zu beachten.

Absatz 4 enthält den bisherigen Artikel 7 Absatz 2 IVG.

Art. 7c (neu) Absatz 1 führt die Frühintervention ins IVG ein. Sie soll der IV-Stelle ermöglichen, bei arbeitsunfähigen Personen auf freiwilliger Basis im Rahmen eines Eingliederungsplanes Massnahmen zur Erhaltung des bisherigen Arbeitsplatzes zu ergreifen.

56

Vgl. hierzu Kieser, ATSG-Kommentar, Art. 21 Rz 4 und 73.

4560

Möglich sind auch Massnahmen, welche zu einer raschen Eingliederung an einem neuen Arbeitsplatz führen.

Absatz 2 bezeichnet die möglichen Massnahmen der Frühintervention. Der Begriff der sozialberuflichen Rehabilitation wird in den Erläuterungen zu Artikel 14a Absatz 2 näher erläutert.

Absatz 3 hält fest, dass es sich bei den Massnahmen der Frühintervention um eine freiwillige Dienstleistung der IV-Stellen handelt. Die versicherte Person besitzt keinen rechtlich durchsetzbaren Anspruch, kann einen solchen daher auch nicht vor Gericht einklagen.

Absatz 4 gibt dem Bundesrat die Möglichkeit der Erweiterung des Katalogs der Massnahmen der Frühintervention sowie einer Kostenkontrolle, indem er einen Höchstwert festlegen kann, welcher pro versicherte Person für Frühinterventionsmassnahmen eingesetzt werden darf. Gedacht wird beispielsweise an einen Höchstwert von 20 000 Franken pro versicherte Person. Weiter soll auch die maximale Dauer der Frühinterventionsphase festgelegt werden können (beispielsweise 6 Monate). Dies ist notwendig, um das Modell der Frühintervention möglichst flexibel handhaben zu können.

Art. 8

Grundsatz

Absatz 1: In diesem Absatz werden die generellen Anspruchsvoraussetzungen für Eingliederungsmassnahmen festgelegt. Grundsätzlich gelten nach wie vor die bisherigen Voraussetzungen, wobei in Zukunft bereits eine drohende, und nicht mehr nur eine unmittelbare drohende Invalidität genügen soll. Neu wird ausdrücklich erwähnt, dass Eingliederungsmassnahmen nur dann zugesprochen werden können, wenn sowohl die grundsätzlichen wie auch die speziellen Anspruchsvoraussetzungen für die einzelnen Eingliederungsmassnahmen erfüllt sind.

Absatz 1bis entspricht dem zweiten Teil des heutigen Artikel 8 Absatz 1.

Absatz 3 wird durch die neue Möglichkeit der Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung ergänzt (vgl. Bst. b). Diese neue Massnahme wird von den IV-Stellen sehr gezielt im Rahmen eines Eingliederungsplanes und stets im Hinblick auf eine erfolgreiche berufliche Wiedereingliederung ausgewählt und zugesprochen werden müssen. Der geltende Buchstabe e wird gestrichen, da die Ausrichtung von Taggeldern nicht eine Eingliederungsmassnahme als solche, sondern eine akzessorische Leistung, die zusätzlich zu den Eingliederungsmassnahmen gewährt wird, darstellt.

Der bisherige Absatz 4 erübrigt sich durch die Klarstellung der Absätze 3 und 4 und kann ersatzlos aufgehoben werden.

Art. 9

Versicherungsmässige Voraussetzungen

Die heutige Regelung von Artikel 22quater IVV wird neu auf Gesetzesstufe gehoben.

Absatz 1: Eingliederungsmassnahmen sind nach Artikel 8 IVG ausschliesslich versicherten Personen vorbehalten. Absatz 1 hält dazu präzisierend fest, dass sie frühestens ab Beginn der Versicherungsunterstellung und längstens bis zum Versicherungsende gewährt werden. Sobald eine Person aus der obligatorischen oder freiwilligen Versicherung ausscheidet, besteht kein Anspruch mehr auf Eingliederungsmassnahmen.

4561

Absatz 2: Eine Ausnahme von diesem Grundsatz drängt sich für Kinder von freiwillig Versicherten und von Personen auf, die während einer Beschäftigung im Ausland weiterhin obligatorisch in der AHV/IV versichert bleiben (sog. Entsandte).

Die freiwillige Versicherung steht nur noch Personen offen, die vorher während mindestens fünf Jahren obligatorisch versichert waren (Art. 2 Abs. 1 AHVG). Ein in der Schweiz geborenes Kind, welches das Land vor Vollendung des 5. Altersjahres verlässt, ist somit von der freiwilligen Versicherung ausgeschlossen. Das Gleiche gilt für ein im Ausland geborenes Kind.

Ähnlich sieht die Situation für Kinder aus, die von der Schweiz ins Ausland entsandte Eltern begleiten oder als Kinder entsandter Eltern im Ausland geboren werden.

Dazu gehören insbesondere auch die Kinder von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Eidgenössischen Departementes für Auswärtige Angelegenheiten (EDA). Die entsandten Personen sind nach Artikel 1a Absatz 1 Buchstabe c und Absatz 3 AHVG oder aufgrund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung der obligatorischen Versicherung unterstellt. Sie haben häufig keine Wahlmöglichkeit zwischen der Versicherung des Wohnlandes und der obligatorischen Weiterversicherung in der Schweiz. Es besteht daher meistens auch keine Möglichkeit, die Kinder einer ausländischen Sozialversicherung anzuschliessen.

Alle übrigen im Ausland wohnhaften Kinder obligatorisch versicherter Eltern ­ dazu gehören auch die Kinder von Grenzgängern ­ können mangels Versicherungsunterstellung nicht in den Genuss von Eingliederungsmassnahmen der IV kommen. Für ausländische Staatsangehörige gelten somit weiterhin die restriktiveren Regeln, die das IVG vorsieht, soweit diese nicht durch ein Sozialversicherungsabkommen gemildert werden.

Art. 10

Beginn und Ende des Anspruchs

Absatz 1: Entsprechend der bisherigen Praxis wird für die Massnahmen beruflicher Art sowie neu für die Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung im Gesetz festgehalten, dass der Anspruch frühestens im Zeitpunkt der Anmeldung bei der zuständigen Stelle der IV entstehen kann.

Absatz 2: Für die übrigen Eingliederungsmassnahmen gilt die bisherige Regelung bezüglich Anspruchsbeginn von Artikel 10 Absatz 1 erster Satz.

Absatz 3 entspricht dem bisherigen Artikel 10 Absatz 1 zweiter Satz.

Art. 11a (neu) Entschädigung für Betreuungskosten Infolge Aufhebung der Mindestgarantie des Taggeldes haben nicht erwerbstätige Personen, die an Eingliederungsmassnahmen teilnehmen, in Zukunft grundsätzlich keinen Anspruch mehr auf ein IV-Taggeld. Wenn diese Personen mit Kindern unter 16 Jahren oder mit Familienangehörigen im gemeinsamen Haushalt leben, sollen sie jedoch Anspruch haben auf einen Ersatz der nachgewiesenen Mehrkosten, welche wegen der Durchführung von Eingliederungsmassnahmen für die Betreuung der Kinder oder der Familienangehörigen anfallen (z.B. Löhne für Familien- oder Haushalthilfen, Reise- und Unterbringungskosten für Kinder, die von Dritten betreut werden, Kosten für Kinderkrippen, etc.).

Eine analoge Zulage, welche sich allerdings auf die Entschädigung für Kinderbetreuung beschränkt, kennt das Bundesgesetz über den Erwerbsersatz für Dienst4562

leistende und Mutterschaft (EOG). Die vorliegende Bestimmung lehnt sich deshalb an die Regelung der Zulage für Betreuungskosten in Artikel 7 (und 6) EOG an. Bei der Definition der Familienangehörigen verweist das Gesetz auf Artikel 29septies AHVG, welcher den Anspruch auf Betreuungsgutschriften regelt. Dabei handelt es sich um Verwandte in auf- oder absteigender Linie oder Geschwister mit einem Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der AHV oder der IV für mindestens mittlere Hilflosigkeit, die im gleichen Haushalt wohnen (vgl. Art. 29septies AHVG und Art. 52g ff. AHVV).

Da es sich bei der vorliegenden Entschädigung um eine besondere Leistung handelt, die nicht zum IV-Taggeld gehört, ist sie im Kapitel mit den allgemeinen Bestimmungen über die Eingliederungsmassnahmen aufgeführt.

Absatz 3 delegiert die Kompetenz zur Festsetzung des Höchstbetrags der Entschädigung an den Bundesrat.

Art. 12

Anspruch im Allgemeinen

Aufgrund von Artikel 12 IVG gewährt die Invalidenversicherung den Versicherten medizinische Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Diese Bestimmung wird aufgehoben.

Begründet wird die Aufhebung dieser Leistungen damit, dass seit Jahren zahlreiche Probleme bei der Abgrenzung von medizinischen Massnahmen zu Eingliederungszwecken (Übernahme durch die IV) von solchen, die der Behandlung des Leidens an sich dienen (Übernahme durch die KV) bestehen. Seit der Einführung des Krankenversicherungsobligatoriums ist zudem die gesamte Bevölkerung der Schweiz zwingend für medizinische Massnahmen bei gesundheitlichen Schäden ungeachtet von deren Ursache versichert. Die bisher von der IV übernommenen medizinischen Massnahmen werden auf die KV, die Versicherten und die Kantone (Spitalfinanzierung) überwälzt. Die Taggelder, für welche im KV-Bereich kein Obligatorium besteht, gehen auf die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und die Versicherten über.

Da die KV die medizinische Behandlung im Ausland nicht übernimmt, kann die Streichung von Artikel 12 IVG u.U. für Kinder im Ausland, die solche Massnahmen erhalten, eine Verschlechterung bedeuten.

Nicht aufgehoben werden demgegenüber die medizinischen Massnahmen zur Behandlung von Geburtsgebrechen. Diese stellen den weitaus grössten Teil (ca.

90 %) der medizinischen Massnahmen der IV dar und sollen auch weiterhin durch die IV finanziert werden.

Art. 14a (neu) Mit diesem Artikel werden die neuen Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung im IVG eingeführt.

Absatz 1 regelt die besonderen Anspruchsvoraussetzungen. Diese Massnahmen sollen Versicherten zugesprochen werden, deren massgebender Gesundheitsschaden eine Art und Schwere erreicht, welche die bisherige Arbeitstätigkeit in einem Umfang von mindestens 50 Prozent einschränkt und dies seit mindestens 6 Monaten.

Diese Anspruchsvoraussetzungen lassen sich ziemlich rasch und genau abklären.

4563

Die Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung sind darauf gerichtet, dass die Voraussetzungen geschaffen werden, um Massnahmen beruflicher Art durchzuführen. So muss auch eine Notwendigkeit der entsprechenden Massnahme ausgewiesen sein, was bedeutet, dass eine Integrationsmassnahme zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung nur dann in Betracht fällt, wenn ohne sie eine berufliche Eingliederung gar nicht möglich wäre.

Absatz 2: Die konkreten einzelnen Integrationsmassnahmen sollen aus sozialberuflicher Rehabilitation sowie gezielter auf die berufliche Eingliederung gerichteter Beschäftigung bestehen. Unter sozialberufliche Rehabiliation fallen Massnahmen zur Gewöhnung an den Arbeitsprozess, zum Aufbau der Arbeitsmotivation, zur Stabilisierung der Persönlichkeit sowie zum Einüben sozialer Grundelemente. Durch diese aufbauenden Massnahmen soll die Eingliederungsfähigkeit der versicherten Personen hergestellt werden, mit dem Ziel einer beruflichen Eingliederung. Beschäftigungsprogramme sollen zur Aufrechterhaltung einer Tagesstruktur dort, wo dies notwendig ist, eingesetzt werden, um dadurch die verbliebene Restarbeitsfähigkeit aktiv aufrecht zu erhalten. Dabei kann einerseits auf das bereits bestehende Angebot (z.B. Beschäftigungsprogramme der ALV) zurückgegriffen werden, andererseits müssen auch entsprechende Angebote und Programme entwickelt und aufgebaut werden. Bei all diesen Massnahmen ist jedoch von grosser Wichtigkeit, dass ihre Zielsetzung stets die berufliche Eingliederung ist.

Absatz 3: Die Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung sollen prinzipiell längstens für die Dauer von einem Jahr zugesprochen werden. In dieser Zeit soll die IV mittels einer engen Begleitung der Versicherten versuchen, die versicherte Person auf mögliche berufliche Massnahmen hin vorzubereiten. In Ausnahmefällen soll es möglich sein, die Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung um maximal ein Jahr zu verlängern.

Es wird sich dabei insbesondere um Fälle von psychischen Erkrankungen handeln, bei denen nur durch eine längere gezielte Phase der sozialberuflichen Rehabilitation eine berufliche Eingliederung erreicht bzw. eine vorzeitige Berentung verhindert werden kann.

Insgesamt stehen einer versicherten Person bei
Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen jedoch zeitlebens maximal zwei Jahre Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung durch die Invalidenversicherung zu.

Absatz 4: Damit die Integrationsmassnahmen auch tatsächlich zum Ziel, nämlich einer erfolgreichen Eingliederung, führen, werden die Versicherten von der IV-Stelle intensiv begleitet werden müssen. Die IV-Stelle müssen beispielsweise die notwendigen, konkreten, einzelnen Massnahmen mit den Versicherten besprechen, in einem Eingliederungsplan festhalten und anschliessend mittels Verfügung festlegen. Während der Massnahmen sind die Versicherten auch durch die IV-Stellen zu betreuen und zu beraten. Auf diese wichtige Unterstützung durch kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der IV-Stellen sollen die Versicherten einerseits einen gesetzlichen Anspruch haben; anderseits stellt die Unterstützung auch eine Verpflichtung für die IV-Stellen dar.

Art. 18

Kapitalhilfe

Diese Bestimmung entspricht grundsätzlich der bisherigen Regelung. Neu soll jedoch auf die Übernahme von Kosten (Berufskleider, Werkzeug, Umzugskosten) bei der Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit verzichtet werden, weil 4564

diese Regelung in der Praxis kaum mehr zur Anwendung gelangt und die zu übernehmenden Kosten sehr gering sind.

Art. 18a (neu) Arbeitsvermittlung und Einarbeitungszuschuss Absatz 1: In diesem Absatz werden die Anspruchsvoraussetzungen gegenüber dem heutigen Artikel 18 Absatz 1 offener gefasst, so dass neu jede arbeitsunfähige Person, welche eingliederungsfähig ist, von der Arbeitsvermittlung profitieren kann.

Zudem wird die Bestimmung noch dahingehend ergänzt, dass die versicherte Person, und damit natürlich auch ihr Arbeitgeber, nicht nur Anspruch hat auf eine begleitende Beratung im Hinblick auf die Aufrechterhaltung eines bestehenden, sondern auch eines neuen, durch die IV vermittelten Arbeitsplatzes. Damit wird sichergestellt, dass die versicherte Person und ihr Arbeitgeber gerade auch in der Anfangsphase eines neuen Arbeitsverhältnisses auf die Unterstützung von Fachpersonen aus der IV zählen können.

Absatz 2: Die Arbeitsvermittlung ist eine Massnahme, welche unter Umständen ohne weitergehende Massnahmen (z.B. Umschulung) rasch zu einer Wiedereingliederung führen kann. Deshalb soll sie rasch und ohne Verzug von den IV-Stellen veranlasst werden, nachdem diese die Anspruchsvoraussetzungen summarisch geprüft hat. Diese Prüfung ist notwendig und wichtig, damit die IV auch tatsächlich nur eingliederungsfähige invalide und von einer Invalidität bedrohte Versicherte vermittelt und nicht auch noch Personen, die durch die Arbeitslosenversicherung zu vermitteln wären.

Absatz 3: Sofern im Zusammenhang mit einem im Rahmen der Arbeitsvermittlung gefundenen Arbeitsplatz durch die IV-Stelle oder die versicherte Person unklar ist, ob die versicherte Person den Anforderungen dieser Arbeit auch tatsächlich gewachsen ist, kann während längstens 180 Tagen für eine erforderliche Anlernoder Einarbeitungszeit ein Einarbeitungszuschuss bezahlt werden. Mit dieser Massnahme kann in der konkreten Situation abgeklärt werden, ob die Person den Anforderungen dieser Stelle gewachsen ist. Für den Arbeitgeber bedeutet dies, dass er während dieser Zeit nicht die vollständigen Lohnkosten für diese Person tragen muss und dass er auf die kompetente Beratung und Unterstützung durch Fachleute von der IV zählen kann.

Absatz 4: Die Höhe des Einarbeitungszuschusses entspricht höchstens der maximalen Höhe des Taggeldes, auf welches
die versicherte Person Anspruch hätte. Für die Berechnung des Zuschusses sollen die Bestimmungen über die IV-Taggelder gelten.

Sofern die versicherte Person während dieser Zeit ein Erwerbseinkommen erzielt (und u.U. auch Kinderzulagen erhält), wird dieses an den Einarbeitungszuschuss angerechnet.

Absatz 5 regelt die Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge auf den Anlern- und Einarbeitungszuschüssen, welche je hälftig von der versicherten Person und der Invalidenversicherung getragen werden sollen (analog der gesetzlichen Aufteilung der Sozialversicherungsbeiträge zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden).

Diese Regelung wird notwendig, da bisher während der Anlernzeit ein Taggeld gewährt wurde (Art. 20 IVV), für welches die Entrichtung der Sozialbeiträge gleich geregelt ist (Art. 25 Abs. 1 und 2 IVG). Anders als beim Taggeld werden auch Prämien für die obligatorische Versicherung der Nichtberufsunfälle erhoben. Diese gehen zu Lasten der versicherten Person. Die Prämien für die obligatorische Versicherung der Berufsunfälle und Berufskrankheiten trägt die Invalidenversicherung.

4565

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Einarbeitungszuschüsse steuerbares Einkommen darstellen.

Absatz 6: In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Anstellung einer in ihrer Gesundheit beeinträchtigten Person für den Arbeitgeber unvorhersehbare Mehrkosten, insbesondere Prämienerhöhungen bei der beruflichen Vorsorge oder Taggeldversicherungen, mit sich bringen kann. Dies ist hauptsächlich dann der Fall, wenn eine Person erkrankt und so den Risikoverlauf der Krankentaggeldversicherung wesentlich beeinflusst. Die entsprechenden Prämienerhöhungen sind durch den Arbeitgeber und unter Umständen auch durch die versicherte Person zu tragen. Dieses erhöhte finanzielle Risiko für die Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden soll ausgeglichen werden können, sofern es sich auf krankheits- oder invaliditätsbedingte Beitragserhöhungen der Beruflichen Vorsorge und der Krankentaggeldversicherung handelt, welche durch die neu angestellte invalide Person entstanden sind.

Zur Zeit fehlen noch die notwendigen Kennntisse, um diese Abgeltung konkret zu regeln. In der Praxis sollen jedoch in Pilotversuchen, gestützt auf Artikel 68quater IVG praktische Erfahrungen gesammelt werden. Mit dieser Bestimmung ist es dann dem Bundesrat möglich, die entsprechende Konkretisierung auf Verordnungsstufe vorzunehmen.

Art. 22

Anspruch

Absatz 1 wird inhaltlich insofern präzisiert, als ein Anspruch auf Taggelder nur dann besteht, wenn Eingliederungsmassnahmen der IV nach Artikel 8 Absatz 3 durchgeführt werden.

Absatz 1bis entspricht dem zweiten Satz des heutigen Artikels 22 Absatz 1.

Absatz 3: Der Anspruch auf ein Kindergeld ist nicht absolut. Es wird nur gewährt, wenn weder an die versicherte Person selbst noch an eine andere erwerbstätige Person (z.B. Ehepartnerin oder Ehepartner) für das betreffende Kind eine gesetzliche Kinder- oder Ausbildungszulage ausgerichtet wird. Die IV gewährt damit wie die Arbeitslosenversicherung das Kindergeld nur subsidiär, d.h. der Anspruch Kinderund Ausbildungzulagen auf Grund einer Erwerbstätigkeit geht vor. Ist kein solcher Anspruch gegeben (weder für den Bezügerin oder den Bezüger des Taggeldes noch für eine andere anspruchsberechtigte Person), so wird das Kindergeld von der IV ausgerichtet. Diese Regelung richtet sich bereits nach dem neuen Bundesgesetz über die Familienzulagen.

Absatz 5bis: Wird einer versicherten Person durch die Invalidenversicherung eine Rente ausgerichtet, so würde diese normalerweise während der Dauer von Eingliederungsmassnahme durch ein Taggeld abgelöst. Dieses kann betraglich sowohl höher als auch tiefer ausfallen als die bisherige Rente. Da die Personen, welche an Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung teilnehmen, im Gegensatz zu den übrigen Taggeldbezügerinnen und ­bezügern, noch nicht eingliederungsfähig sind, muss verhindert werden, dass sich ein Einstieg in Integrationsmassnahmen allein dadurch lohnen würde, dass das entsprechende Taggeld eventuell höher ausfällt als die bisher bezogene Rente. Aus diesem Grund soll während der Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung nach Artikel 14a für Personen, welche bereits eine Rente der Invalidenversicherung beziehen, weiterhin die Rente ausgerichtet werden. Es soll also weder zu einer Besser- noch zu einer Schlechterstellung kommen.

4566

Absatz 6: Der Hinweis auf das Taggeld während Anlernzeiten (vgl. Art. 20 IVV) kann in der vorliegenden Delegationsbestimmung gestrichen werden, da diese Regelung neu in Artikel 18a Absatz 2 aufgenommen worden ist.

Art. 23

Grundentschädigung

Die bisherige Terminologie der IV ­ Grundentschädigung und Kindergeld ­ wird beibehalten.

Absatz 1: Die Mindestgarantie von 30 Prozent des Höchstbetrages des Taggeldes nach Artikel 24 Absatz 1 IVG (d.h. 30 % von 293 Fr. pro Tag seit 1.1.2000, somit 88 Fr. pro Tag) für Versicherte, die vor der Eingliederung nicht erwerbstätig waren (im Haushalt tätige Versicherte, Studierende, etc.), wird aufgehoben.

Absatz 2: Die Mindestgarantie beim IV-Taggeld für Personen mit kleinen Einkommen und für Nichterwerbstätige wird mit einer Ausnahme aufgehoben: Nur noch die Personengruppe der über 20-jährigen Versicherten, die eine (nicht von der IV finanzierte) Ausbildung abgeschlossen haben und dann einen invalidisierenden Gesundheitsschaden erleiden, sollen weiterhin ein Taggeld in der Höhe der Mindestgarantie von 30 Prozent des Höchstbetrages (d.h. 88 Fr. pro Tag) erhalten.

Absatz 2bis: Dieser Absatz regelt das sogenannte «kleine Taggeld» für Versicherte in der erstmaligen beruflichen Ausbildung und für Versicherte, die das 20. Altersjahr noch nicht vollendet haben und noch nicht erwerbstätig gewesen sind. Dieses war bisher in Artikel 24 Absatz 3 geregelt und besteht unverändert weiter. Der Wortlaut wird zudem präzisiert. Richtigerweise beträgt die Grundentschädigung höchstens 30 Prozent des Höchstbetrages des Taggeldes. Hinzu kommt auch hier gegebenenfalls ein Kindergeld (vgl. auch Art. 22 IVV).

Art. 23bis

Kindergeld

Die bisherige Terminologie der IV ­ Grundentschädigung und Kindergeld ­ wird beibehalten.

In Anlehnung an die Regelung, welche für die Arbeitslosenversicherung gilt, soll das Kindergeld dem schweizerischen Durchschnitt für Kinder- und Ausbildungszulagen angeglichen werden. Heute beträgt dieser Durchschnitt ca. 180 Franken im Monat, was 2 Prozent des Höchstbetrages des Taggeldes entspricht. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf ein Kindergeld sind ­ im Gegensatz zur Regelung der Arbeitslosenversicherung ­ nicht in diesem Artikel, sondern in Artikel 22 Absatz 3 IVG geregelt. Diese werden grundsätzlich nicht geändert.

Art. 24

Höhe des Taggeldes

Absatz 2: Muss das Taggeld gekürzt werden, weil das massgebende Erwerbseinkommen überschritten wird, so gilt heute der Grundsatz, dass es nicht weiter als auf 35 Prozent des Höchstbetrages nach Absatz 1 (d.h. auf 103 Fr.) heruntergekürzt werden darf. Diese Minimalgrenze wird aufgehoben. Das Taggeld (Grundentschädigung und Kindergeld) darf in keinem Fall das massgebende Erwerbseinkommen mit Einschluss der gesetzlichen Kinder- und Ausbildungszulagen übersteigen.

Absatz 3: Die Regelung betreffend die Höhe des kleinen Taggeldes befindet sich neu in Artikel 23 Absatz 2bis und ist deshalb hier zu streichen.

4567

Art. 28

Grundsatz

Absatz 1: Diese Bestimmung regelt die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Rente.

Buchstabe a nennt die erste unabdingbare Voraussetzung für den Anspruch auf eine IV-Rente: Es muss feststehen, dass die Erwerbsfähigkeit der versicherten Person oder ihre Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, voraussichtlich nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder hergestellt, erhalten oder verbessert werden kann. Sofern die IV bei ihren Abklärungen zum Schluss kommt, dass eine versicherte Person aus eigener Anstrengung (im Rahmen der Pflicht zur Selbsteingliederung) oder dadurch, dass sie sich einer medizinischen Behandlung oder Eingliederungsmassnahmen unterzieht, ihre Erwerbsfähigkeit wieder herstellen, erhalten oder verbessern kann, hat sie den Rentenanspruch zu verneinen und allfällige Eingliederungsmassnahmen zu prüfen und anzuordnen. Kommen für eine versicherte Person von vornherein keine zumutbaren Eingliederungsmassnahmen in Frage, um die Erwerbsfähigkeit wieder herzustellen, zu erhalten oder zu verbessern, so kann der Anspruch auf Rente sofort entstehen. Dies ist bei beispielsweise bei Versicherten der Fall, deren Gesundheitsschädigung so schwer ist, dass sie nicht mehr ins Erwerbsleben eingegliedert werden können, oder auch bei Versicherten, die bereits über einen ihrer Behinderung angepassten Arbeitsplatz verfügen.

Buchstabe b entspricht dem bisherigen Artikel 29 Absatz 1 Buchstaben b.

Auf Grund der Anspruchsvoraussetzungen nach Artikel 28 ergibt sich für den Beginn des Anspruches auf eine Rente, dass dieser frühestens im Zeitpunkt entstehen kann, in dem festgestellt worden ist, dass die Gesundheitsschädigung weiterhin eine länger dauernde, ganze oder teilweise Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit zur Folge hat. Dieser Umstand wird in Buchstabe c festgehalten.

Absatz 2: Die Abstufungen des Invaliditätsgrades bleiben unverändert (bisheriger Art. 28 Abs. 1).

Art. 28a (neu) Bemessung der Invalidität Absatz 1 entspricht dem bisherigen Artikel 28 Absatz 2, erster Satz, wobei dem Bundesrat nun die Kompetenz zukommt, die zur Bemessung der Invalidität massgebenden Einkommen, also das Validen- wie auch das Invalideneinkommen, festzulegen.

Absatz 2 entspricht dem bisherigen Artikel 28 Absatz 2bis.

Absatz 3 entspricht dem bisherigen Artikel 28 Absatz 2ter.

Art. 29

Beginn des Anspruchs und Auszahlung der Rente

Absatz 1: Wie heute beginnt der Rentenanspruch frühestens in jenem Monat, der auf die Vollendung des 18. Altersjahres folgt. Mit der bisherigen Regelung konnte jedoch der Anspruchsbeginn unter Umständen erheblich vor den Zeitpunkt der Anmeldung zurückdatiert werden, da die Anspruchsvoraussetzungen bereits seit längerer Zeit erfüllt waren. In Zukunft soll die Rente nun frühestens nach Ablauf von sechs Monaten seit der Anmeldung bei der IV (Art. 29 ATSG) ausbezahlt werden. Diese neue Regelung bedeutet grundsätzlich keine Verschlechterung der Anspruchsberechtigung. Es wird jedoch der Anreiz bei den Versicherten verstärkt, sich insbesondere bei länger dauernder Krankheit möglichst frühzeitig bei der IV 4568

anzumelden. Damit können einerseits die Versicherten ihren allfälligen Rentenanspruch wahren, andererseits hat die IV damit bereits frühzeitig die Möglichkeit, Eingliederungsmassnahmen in die Wege zu leiten. Zudem entsteht der Rentenanspruch wie heute nicht, solange einer versicherten Person ein Taggeld der IV ausgerichtet wird.

Absatz 2: entspricht dem bisherigen Artikel 29 Absatz 2, erster Satz.

Absatz 3: entspricht dem bisherigen Artikel 28 Absatz 1ter.

Art. 31 (neu)

Herabsetzung oder Aufhebung der Rente

Mit der vorgeschlagenen Regelung werden Rentenbezügerinnen und -bezüger, die ihre Resterwerbsfähigkeit bestmöglich ausnützen, nicht mehr durch überproportionale Verluste von Leistungen bestraft. Einkommensverbesserungen, welche den Invaliditätsgrad beeinflussen, führen zwar wie heute auch schon zu einer Herabsetzung oder dem Verlust der IV-Rente. Allerdings sollen solche Verbesserungen nicht sofort wirksam werden. Zu diesem Zweck wird auf die Regelung bei den Ergänzungsleistungen zurückgegriffen.

Absatz 1:Durch die Gewährung von Einkommensfreigrenzen wirkt sich das verbesserte Einkommen nur dann auf die Höhe des Invaliditätsgrades aus, wenn ein Einkommensfreibetrag von jährlich 1500 Franken überschritten wird. Es kommt somit nur dann zu einer Rentenrevision im Sinne von Artikel 17 Absatz 1 ATSG.

Absatz 2: Vom Betrag, der 1500 Franken übersteigt, sollen nur zwei Drittel für die Neufestsetzung des Invaliditätsgrades berücksichtigt werden.

Art. 36

Bezügerkreis und Berechnung

Absatz 1 erhöht die Mindestbeitragsdauer von einem auf drei Jahre (vgl. Ziff.

1.6.1.5). Personen, die mangels Erfüllung der Mindestbeitragsdauer in der Schweiz keine ordentliche Rente beanspruchen können, obwohl sie die Versicherteneigenschaft in der Schweiz immer erfüllt haben, können eine ausserordentliche Rente nach Artikel 39 IVG beanspruchen. In administrativer Hinsicht führt die Abklärung ausländischer Beitragszeiten zu einem zusätzlichen Verwaltungsaufwand.

Absätze 2 und 3 betreffen die Aufhebung des Karrierezuschlags. Damit werden die IV-Renten wie die AHV-Renten berechnet. Insbesondere wird vermieden, dass die rentenberechtige Person eine Rente erhält, welche höher ausfällt als das zuletzt erzielte Erwerbseinkommen.

Art. 42bis

Besondere Voraussetzungen für Minderjährige

Nach dem neuen Artikel 67 Absatz 2 ATSG wird die monatliche Hilflosenentschädigung nicht ausgerichtet, sofern sich eine Person während eines ganzen Kalendermonats im Spital aufhält. In der IV ist diese Regelung nur für volljährige Bezügerinnen und Bezüger einer Hilflosenentschädigung, die sich im Spital aufhalten, anwendbar. Für minderjährige Bezügerinnen und Bezüger wird die Hilflosenentschädigung pro Tag berechnet und ausgerichtet. Hier gilt, dass für Spitalaufenthaltstage kein Anspruch auf Hilflosenentschädigung besteht und darum für diese Tage keine Entschädigung ausgerichtet wird. In der vorliegenden Bestimmung ist deshalb eine Abweichung von Artikel 67 Absatz 2 ATSG vorzusehen.

4569

Art. 47a (neu) Auszahlung der Hilflosenentschädigung für Minderjährige Bei Minderjährigen wird die Hilflosenentschädigung pro Tag berechnet und ausgerichtet (vgl. Art. 42ter Abs. 3 IVG). Das heisst, dass für jeden Tag der jeweilige Aufenthaltsort zu ermitteln ist (Sonderschule, zu Hause, Pflegefamilie, Spital, etc.).

Die Höhe der Hilflosenentschädigung für Minderjährige lässt sich demzufolge normalerweise erst im Nachhinein ermitteln. Daher sieht diese Bestimmung eine Ausnahme vom Grundsatz der vorschüssigen Auszahlung nach Artikel 19 Absatz 3 ATSG vor.

Art. 48

Nachzahlung von Leistungen

Diese Bestimmung kann auf Grund der neuen Anmelde- und Anspruchsvoraussetzungen gestrichen werden. Sofern sich Fragen im Zusammenhang mit Nachzahlungen von Leistungen ergeben, gilt grundsätzlich Artikel 24 ATSG. Es braucht keine abweichenden Regelungen mehr im IVG.

Art. 53

Grundsatz

Bereits hier wird erwähnt, dass die Aufsicht über die Durchführung in die Kompetenz des Bundes fällt. Neu wird zudem ausdrücklich festgehalten, dass der Bundesrat bestimmte Aufgaben der Durchführung dem BSV übertragen kann, wie dies heute bereits der Fall ist. Dabei handelt sich um Durchführungsaufgaben im Bereich des Abschlusses von Tarifverträgen (Art. 27 IVG; Art. 24 Abs. 2 IVV) und der kollektiven Leistungen (Art. 73 und 74 IVG; Art. 99ff. IVV). Hinzu kommen der Vollzug der Mehrjahresprogramme für wissenschaftliche Auswertungen (Art. 68 IVG; Art.

96 Abs. 2 IVV) und für eine gesamtschweizerische Information über die Versicherungsleistungen (Art. 68ter IVG; Art. 97 Abs. 3 IVV) sowie Aufgaben im Bereich der Eingaben zur Durchführung von Pilotversuchen (Art. 68quater IVG; Art. 98 IVV).

Die Durchführungsaufgaben, die das Bundesamt im Bereich des Rückgriffs auf haftpflichtige Dritte übernimmt, werden hier nicht erwähnt, da sie für die AHV und die IV im ATSG und in der dazugehörigen Verordnung geregelt sind (Art. 72­75 ATSG; Art. 14 ATSV).

Art. 54

Kantonale IV-Stellen

In Absatz 1 wird ausdrücklich festgehalten, dass der Bund für die Errichtung der kantonalen IV-Stellen verantwortlich ist. Damit kommt deutlicher als heute zum Ausdruck, dass letztlich der Bund für eine gesetzeskonforme Durchführung der IV verantwortlich ist. Dies wird auch in den Bestimmungen zur Organisation und zum Verfahren sowie zur Aufsicht über die IV-Stellen (Art. 59 und 64) verdeutlicht.

Der Bund bzw. die für ihn handelnde neu zu schaffende Aufsichtskommission (vgl.

Art. 64b) schliesst mit dem jeweiligen Kanton eine Vereinbarung über die Errichtung der jeweiligen IV-Stelle ab. Die kantonalen IV-Stellen sind als selbständige kantonale Anstalten mit eigener Rechtspersönlichkeit zu errichten. Dies ist mit wenigen Ausnahmen bereits heute der Fall. Zu bemerken ist, dass einige IV-Stellen heute organisatorisch eng mit den kantonalen AHV-Ausgleichskassen verbunden sind. Dies soll auch künftig möglich sein. Insbesondere die heute existierende Organisationsform, wonach eine Sozialversicherungsanstalt zwei oder mehrere selbstständige und voneinander unabhängige Sozialversicherungsträger in der Form von öffentlich-rechtlichen selbstständigen Anstalten mit je eigener Rechtspersönlichkeit 4570

unter einem von der kantonalen Verwaltung ausgegliederten gemeinsamen Dach vereinigt, ist weiterhin möglich.

Schliesslich steht den Kantonen wie bisher die Möglichkeit offen, dass mehrere Kantone durch Vereinbarung eine gemeinsame IV-Stelle errichten oder einzelne Aufgaben nach Artikel 57 dieses Gesetzes einer anderen IV-Stelle übertragen können. Diese Möglichkeit ist allerdings bislang in der Praxis nicht genutzt worden.

Absatz 3: Die Errichtung der IV-Stellen erfolgt im Rahmen von mit den Kantonen abgeschlossenen Standortverträgen. Sollte in einem oder mehreren Kantonen keine solche Vereinbarung zustande kommen, kann der Bundesrat die entsprechende/n IV-Stelle/n selber in der Form einer bzw. mehrerer selbständiger Anstalten des Bundes mit Rechtspersönlichkeit errichten.

Absatz 4: Die kantonalen IV-Stellen haben sich grundsätzlich auf die Erfüllung der im Gesetz umschriebenen Durchführungsaufgaben zu beschränken. Sie dürfen allerdings auch weitere, von den Kantonen zugewiesene Aufgaben wahrnehmen, sofern diese die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der IV-Stellen nicht beeinträchtigen, den Interessen des Bundes nicht entgegenlaufen und es zudem nicht zu Querfinanzierungen kommt. Aus diesen Gründen muss die Übertragung von zusätzlichen Aufgaben durch die Kantone klar geregelt sein und vom Departement, unter Umständen verbunden mit bestimmten Bedingungen und Auflagen, genehmigt werden.

Art. 57

Aufgaben

Absatz 1: Die Früherfassung arbeitsunfähiger Versicherter und die Bestimmung und Überwachung sowie Durchführung von Massnahmen der Frühintervention werden ausdrücklich in die Aufgaben der IV-Stellen aufgenommen (Bst. a und b). Ebenfalls ausdrücklich in die Liste Aufgaben der IV-Stellen aufgenommen wird die Begleitung der Versicherten durch die IV-Stelle während der Teilnahme an einer Eingliederungsmassnahme (Bst. e).

Die Liste der Aufgaben der IV-Stellen wird in der Folge neu durchbuchstabiert.

Absatz 3: Im Rahmen des Abklärungsverfahrens müssen die IV-Stellen zahlreiche Auskünfte einholen, Akten begutachten und oftmals auch Abklärungen verschiedenster Art vornehmen. Die Abklärungen, ob Anspruch auf Leistungen der IV bestehen, erfolgen von Amtes wegen. Damit die IV jedoch die notwendigen und massgebenden Abklärungen möglichst rasch und ohne Verzögerungen anordnen kann, soll ihr die ausschliessliche Entscheidkompetenz zukommen. Damit soll verhindert werden, dass von Seiten der Versicherten immer wieder zusätzliche Abklärungsmassnahmen oder Begutachtungen verlangt werden können und das Verfahren in die Länge gezogen wird. Der versicherten Person stehen mit der Gewährung des rechtlichen Gehörs und den Beschwerdemöglichkeiten genügend Mittel zur Verfügung, gegen den von der IV getroffen Entscheid vorzugehen.

Art. 59

Organisation und Verfahren, regionale ärztliche Dienste

Absatz 1: Neu wird ausdrücklich verlangt, dass die IV-Stellen nicht nur unter Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und der Weisungen des Bundes, sondern auch fachgerecht und effizient zu arbeiten haben und dass sie entsprechend organisiert sein müssen, um dies sicherzustellen.

4571

Absatz 2: Die Formulierung entspricht einerseits dem geltenden Recht und ergänzt dieses anderseits. Die Bundesaufsicht über die regionalen ärztlichen Dienste (RAD) wird zudem nicht mehr hier, sondern neu in den Artikeln 64a IVG und 64b IVG geregelt.

Mit der 4. IV-Revision wurde mit Artikel 59 Absatz 2 die Grundlage geschaffen, wonach die IV-Stellen zur Beurteilung der medizinischen Anspruchsvoraussetzungen auf die RAD zurückgreifen können. Damit ist es der IV möglich, Versicherte auch durch eigene Versicherungsärzte und -ärztinnen zu untersuchen. Auf Grund dieser Möglichkeiten und den speziellen versicherungsmedizinischen Kenntnissen der RAD sollen sie auch für die Bestimmung der für die IV massgebenden funktionellen Leistungsfähigkeit der Versicherten verantwortlich sein. Dazu stehen ihnen die medizinischen Unterlagen, allfällige bestehende Gutachten anderer Versicherungen (z.B. der obligatorischen Unfallversicherung) oder auch die Erkenntnisse, welche durch eine direkte Begutachtung gewonnen worden sind, zur Verfügung. Damit kann eine konsequente Trennung der Zuständigkeiten zwischen behandelnden Ärzten (Heilbehandlung) und Sozialversicherung (Bestimmung der Auswirkungen des Gesundheitsschadens) geschaffen werden.

Arbeitsunfähigkeit ist die durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen und psychischen Gesundheit bedingte volle oder teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten (vgl. Art. 6 ATSG, erster Satz). Die bisher ausgeübte Tätigkeit im Beruf oder Aufgabenbereich kann infolge eines Gesundheitsschadens nicht mehr, nur noch in beschränktem Mass oder nur noch unter der Gefahr einer Verschlimmerung des Gesundheitsschadens ausgeübt werden. Die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit ist Sache der Ärztinnen und Ärzte.

Rechtlich relevant für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit ist jedoch nur die Einschränkung in Bezug auf die bisher ausgeübte Tätigkeit, nicht aber die medizinisch-theoretische Einschränkung einer körperlichen Funktion. Die Gesundheitsstörung muss einen Grad mit Krankheitswert erreichen, d.h. sie muss eine Behandlung und/oder eine teilweise oder volle Arbeitsaussetzung zur Folge haben.

Bei langer Dauer einer Arbeitsunfähigkeit im angestammten Beruf ­ d.h. nach mehreren Monaten ­ kann auch die Möglichkeit einer zumutbaren Tätigkeit
in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt werden (vgl. Art. 6 ATSG, zweiter Satz). Zumutbar ist eine Tätigkeit dann, wenn diese dem Leiden angepasst ist. Es handelt sich dabei gewissermassen um eine «Restarbeitsfähigkeit».

In solchen Fällen ist nicht die Arbeitsunfähigkeit in Prozenten zu schätzen, sondern qualitativ mittels Leistungsprofil (zumutbare Tätigkeiten: Was kann die versicherte Person noch?) bzw. Behindertenprofil (unzumutbare Funktionen: Was kann die versicherte Person nicht mehr?) sowie medizinisch begründeter zeitlicher Schonung anzugeben. Diese Aufgabe sollen die RAD für die IV übernehmen. Eine objektivere Festlegung der massgebenden funktionellen Leistungsfähigkeit der Versicherten ermöglicht eine wesentlich bessere und auch schnellere Beurteilung der in Frage kommenden Massnahmen im Hinblick auf eine erfolgreiche Eingliederung.

Absatz 4 sieht vor, dass die IV-Stellen mit anderen Versicherungen und Durchführungsorganen der öffentlichen Sozialhilfe Verträge abschliessen können über den Beizug der RAD. Die medizinische Beurteilung ist auch für andere Versicherungen (z.B. die Arbeitslosenversicherung) und Institutionen zentral, deren Tätigkeit im Rahmen der interinstitutionellen Zusammenarbeit in direktem Zusammenhang mit den Arbeiten der IV stehen. Diese Versicherungen und Institutionen können sich

4572

künftig an die RAD wenden und zwar gestützt auf die Verträge mit den IV-Stellen (die insbesondere die Finanzierung der angebotenen Dienstleistung regeln).

Art. 59b (neu) Rechnungsrevisionen Bei dieser Bestimmung handelt es sich um den redaktionell angepassten Artikel 64 Absatz 3 und 4 des geltenden Rechts. Aus systematischen Gründen werden die Bestimmungen zu den Rechnungsrevisionen analog zum AHVG (vgl. Art. 68 AHVG) vom Kapitel «C. Die Aufsicht des Bundes» ins Kapitel «A. Die IV-Stellen» verschoben.

Art. 60

Aufgaben

Im Sinne einer administrativen Vereinfachung werden die Hilflosenentschädigungen für Minderjährige nicht durch die Ausgleichskasse, sondern direkt durch die Zentrale Ausgleichsstelle vergütet. Die Ausgleichskassen zahlen somit nur die Hilflosenentschädigungen für Volljährige aus.

Im Weiteren werden die beiden neuen Leistungen ­ Einarbeitungszuschüsse nach Artikel 18a und Entschädigungen für Betreuungskosten nach Artikel 11a ­ analog zu den Taggeldern durch die Ausgleichskassen berechnet und ausbezahlt.

Art. 64

Grundsatz

Absatz 1: Die Aufsicht über die Durchführungsorgane der Versicherung obliegt bereits nach geltendem Recht dem Bundesrat (Art. 76 Abs. 1 ATSG).

Im Absatz 2 wird festgehalten, dass für die Aufsicht über die Organe der AHV bei der Durchführung der IV die Gesetzgebung der AHV sinngemäss anwendbar ist.

Dies ist in der Praxis bereits heute der Fall, wird aber im geltenden Recht nicht ausdrücklich festgehalten.

Art. 64a (neu) Aufsicht durch das Bundesamt Die Aufsicht beinhaltet grundsätzlich zwei Teilbereiche: Die fachliche Aufsicht wird durch das Bundesamt über die von den IV-Stellen getroffenen einzelnen Leistungsentscheide sowie über die Tätigkeit der regionalen ärztlichen Dienste ausgeübt. Die administrative Aufsicht zielt auf die Wirksamkeit, Qualität und Einheitlichkeit der Anwendung des Gesetzes durch die IV-Stellen und die regionalen ärztlichen Dienste ab.

Absatz 1: Die fachliche Aufsicht bleibt wie heute weiterhin beim BSV. Die mit der 4. IV-Revision eingeführte Pflicht des BSV zur jährlichen Überprüfung der IV-Stellen (im Sinne einer Prüfung der Erfüllung ihrer Aufgaben) wird beibehalten.

Zudem wird die bisher auf Verordnungsstufe geregelte jährliche Überprüfung der regionalen ärztlichen Dienste durch das Bundesamt (vgl. Art. 50 Abs. 3 IVV) auf Gesetzesstufe gehoben (Bst. a). Das BSV erteilt den IV-Stellen weiterhin im fachlichen Bereich allgemeine Weisungen sowie Weisungen im Zusammenhang mit der Behandlung von Einzelfällen (Bst. b). Bei den regionalen ärztlichen Diensten beschränkt sich die Weisungsbefugnis des BSV hingegen auf allgemeine Weisungen im medizinischen Fachbereich, da die regionalen ärztlichen Dienste in ihrem medizinischen Sachentscheid im Einzelfall unabhängig sind (Bst. c; vgl. Art. 59 Abs. 2).

4573

Absatz 2: Neu wird ausdrücklich geregelt, dass das Bundesamt die administrative Aufsicht über die IV-Stellen ausübt. Dies bedeutet insbesondere, dass das BSV die Wirksamkeit, die Qualität und die Einheitlichkeit der Gesetzesanwendung durch die IV-Stellen und die regionalen ärztlichen Dienste überwacht. Das Bundesamt erlässt vor allem Weisungen (z.B. qualitative Anforderungen) an die IV-Stellen und die regionalen ärztlichen Dienste für eine effektive, effiziente und einheitliche Anwendung des Gesetzes und prüft, ob sie diese Kriterien bei der Ausführung ihrer Aufgaben erfüllen.

Art. 64b (neu) Aufsichtskommission Die Aufsichtskommission übt ihre Funktion nur gegenüber den IV-Stellen einschliesslich der regionalen ärztlichen Dienste, nicht aber gegenüber den Organen der AHV aus. Sie hat auch nicht die Aufgabe, den Bundesrat in Rechtsetzungsfragen zu beraten, wie dies bei der Aufsichtskommission in der Arbeitslosenversicherung der Fall ist (vgl. Art. 89 AVIG). Diese Aufgabe bleibt weiterhin der Eidgenössischen AHV/IV-Kommission vorbehalten (vgl. Art. 65 des geltenden Rechts i.V.m. Art. 73 AHVG).

Absatz 1 regelt die Wahl und die Zusammensetzung der Aufsichtskommission. Die Zusammensetzung soll sich grundsätzlich nach dem Anteil an der Finanzierung der Versicherung richten. Mit 16 Mitgliedern ist die Aufsichtskommission etwas kleiner als jene in der Arbeitslosenversicherung (21 Mitglieder).

Die Aufgaben der Aufsichtskommission sind in Absatz 2 dargestellt: Sie ist zuständig für den Abschluss von Vereinbarungen über die Errichtung der IV-Stellen mit den Kantonen (Bst. a). Sie genehmigt das Budget und die Jahresrechnung der IV-Stellen einschliesslich der regionalen ärztlichen Dienste. Heute wird diese Aufgabe vom BSV wahrgenommen (vgl. Art. 92bis Abs. 2 IVV) (Bst. b). Zudem schliesst sie mit den IV-Stellen Vereinbarungen über die zu erbringenden Leistungen und deren zu erzielenden Wirkungen sowie über das von diesen zu verwendende Qualitätssicherungssystem ab (Bst. c). In Buchstabe d wird festgehalten, dass die Aufsichtskommission den Bundesrat in allgemeinen Fragen der Organisation der IV-Stellen berät.

Gemäss Absatz 3 führt das BSV das Sekretariat der Aufsichtskommission. Es ist auch zuständig für die Erstellung aller Entscheidungsgrundlagen der Kommission.

Art. 67

Kostenvergütung

Dieser Artikel regelt die Vergütung der Kosten der Durchführungs- und Aufsichtsorgane (IV-Stellen mit den zugeordneten regionalen ärztlichen Diensten, BSV, Aufsichtskommission und deren Sekretariat).

Absatz 1 Buchstabe a: Die Genehmigung des Budgets und der Jahresrechnung der IV-Stellen (einschliesslich der regionalen ärztlichen Dienste) richtet sich nach dem Grundsatz, dass nur jene Betriebskosten von der IV vergütet werden, die aus der Durchführung des Gesetzes im Rahmen einer rationell geführten Verwaltung entstehen (vgl. Art. 67 Abs. 1). Dies kann bedeuten, dass die Kosten in Abhängigkeit zu den von den IV-Stellen und den regionalen ärztlichen Diensten erbrachten Leistungen und den dabei erzielten Resultaten vergütet werden.

Buchstabe b: Gegenüber heute werden die im Zusammenhang mit Durchführungsund Aufsichtsaufgaben anfallenden Betriebskosten des BSV durch die IV getragen.

4574

Weiterhin vom Bund finanziert werden die Kosten im Zusammenhang mit Gesetzgebungsaufgaben und der Erarbeitung von allgemeinen Grundlagen.

Buchstabe c: Vergütet werden zudem die entsprechenden Kosten der Aufsichtskommission und ihres Sekretariats.

Absatz 2: Das Departement bestimmt die anrechenbaren Kosten des BSV, der Aufsichtskommission und des Sekretariates. Die anrechenbaren Kosten der IV-Stellen werden nach Artikel 64b Absatz 2 Buchstabe b über die Genehmigung des Budgets und der Jahresrechnung der IV-Stellen (einschliesslich der regionalen ärztlichen Dienste) durch die Aufsichtskommission bestimmt.

Art. 68bis

Interinstitutionelle Zusammenarbeit

Mit dieser Bestimmung soll die anlässlich der 4. IV-Revision geschaffene gesetzliche Grundlage für die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den IV-Stellen, den Durchführungsorganen der Arbeitslosenversicherung (ALV) und kantonalen Durchführungsstellen, welche für die Förderung der beruflichen Eingliederung zuständig sind, umfassender ausgestaltet werden.

Absatz 1 umschreibt den Zweck der interinstitutionellen Zusammenarbeit. Ziel ist die Ermöglichung eines raschen Zuganges zu allen geeigneten Eingliederungsmassnahmen für Personen, welche im Rahmen der Früherfassung gemeldet wurden (vgl.

Art. 3b neu) oder welche sich bei der IV zum Leistungsbezug angemeldet haben und deren Erwerbsfähigkeit untersucht wird. Bei diesen Massnahmen handelt es sich um alle Eingliederungsmassnahmen der Invaliden- oder der Arbeitslosenversicherung, allfällige Eingliederungsmassnahmen anderer Sozialversicherer oder auch um kantonale Massnahmen. Die möglichen kantonalen Integrationsmassnahmen sind je nach Kanton völlig unterschiedlich. In Betracht fallen Integrationsmassnahmen im Rahmen von Gesetzen zur kantonalen Arbeitshilfe, von speziellen kantonalen Gesetzen zur Eingliederung oder von Sozialhilfegesetzen. Ziel ist, dass die Betroffenen möglichst rasch Zugang zu den geeigneten Massnahmen erhalten, damit ihre Erwerbsfähigkeit erhalten bzw. rasch wieder hergestellt werden kann, ohne dass der jeweils zuständige Kostenträger bereits bekannt sein muss. Die Möglichkeit einer engen Zusammenarbeit soll für die IV-Stellen zunächst mit allen Sozialversicherungen bestehen (Bst. a). Die IV-Stellen sollen aber auch die Möglichkeit haben, mit privaten Versicherungen (insbesondere Krankentaggeldversicherer, Bst. b), den Einrichtungen der beruflichen Vorsorge (Bst. c), kantonalen Durchführungsstellen auf dem Gebiete der Sozialhilfe oder der beruflichen Eingliederung (Bst. d und e) oder auch mit anderen öffentlichen oder privaten Institutionen, die für die Eingliederung Versicherter von Bedeutung sind (Bst. f) zusammenzuarbeiten.

Absatz 2 stellt die datenschutzrechtlich notwendige gesetzliche Grundlage für den formlosen Austausch von Versichertendaten zwischen den IV-Stellen und den beteiligten Durchführungsorganen und Versicherungsträgern der übrigen Sozialversicherungen dar. Oftmals verfügen andere Versicherer bereits über
Informationen und Daten, die für die IV-Stelle von grossem Nutzen sein und zur Beschleunigung der Abklärungen führen könnten. Der formlose Datenaustausch zwischen den Sozialversicherungen soll daher im Hinblick auf eine rasche und unkomplizierte Zusammenstellung und Ergänzung von IV-relevanten Daten grundsätzlich ermöglicht werden. Die bisherige Einschränkung, wonach der Datenaustausch nur in Fällen zulässig sein soll, bei denen der zuständige Kostenträger noch nicht klar bestimmbar ist, wird demzufolge gestrichen.

4575

Der hier vorgesehene formlose Datenaustausch geht über die in Artikel 32 Absatz 2 ATSG geregelte Verwaltungshilfe unter den Organen der Sozialversicherungen hinaus. Er ist allerdings nur unter der Voraussetzung möglich, dass die betroffenen Versicherungsträger und Durchführungsorgane der Sozialversicherungen ebenfalls über eine vergleichbare formellgesetzliche Grundlage betreffend formlosen Datenaustausch verfügen (Bst. a). Dies ist bei der Arbeitslosenversicherung mit Artikel 85f AVIG der Fall. Fehlt eine vergleichbare gesetzliche Grundlage, so sind die allgemeinen Bestimmungen des ATSG (Art. 32 und 33) anwendbar.

Nach Absatz 3 entfällt die Schweigepflicht auch gegenüber den übrigen in Absatz 1 genannten Zusammenarbeitspartnern der IV-Stellen, jedoch nur, wenn diese ihnen Gegenrecht gewähren. Dies hat entweder über die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage (z.B. für die kantonalen Durchführungsstellen der Sozialhilfe) oder aber mittels vertraglicher Vereinbarung (z.B. für private Versicherungsträger) zu erfolgen.

Absatz 4 wird inhaltlich nicht verändert.

Absatz 5 regelt die Pflicht der IV-Stelle, jenen Einrichtungen (insbesondere Krankentaggeldversicherer) oder kantonalen Durchführungsstellen nach Absatz 1, welche durch eine Verfügung der IV in ihrem Leistungsbereich berührt werden, denen aber aufgrund der geltenden Bestimmungen die Verfügung nicht zu eröffnen ist, eine Kopie der Verfügung zuzustellen. Diese Kopie dient lediglich der Orientierung der Einrichtung oder kantonalen Durchführungsstelle und verschafft ihr keine Beschwerdelegitimation oder Parteistellung.

Art. 79

Rechnungsführung

Die Anpassung der Verweise in Absatz 1 sind rein formeller Natur. Im Zuge der 4. IV-Revision wurden die Artikel 68bis­68quater IVG eingeführt. Diese zusätzlichen Bestimmungen sind ebenfalls zu erwähnen. Zudem wird der Verweis auf Artikel 76 gestrichen, da diese Bestimmung per 1.1.2001 aufgehoben wurde.

Buchstabe e der Schlussbestimmungen der Änderung vom 21. März 2003 Bei Rentenansprüchen, welche nach dem 1. Januar 2004 (Inkrafttreten der 4. IV-Revision) entstehen, besteht kein Anspruch auf Zusatzrenten mehr. Mit dieser Vorlage werden auch die noch laufenden Zusatzrenten der IV, auf die der Anspruch vor dem Inkrafttreten der 4. IV-Revision entstanden ist, aufgehoben. Nicht betroffen sind die bereits in die AHV überführten Zusatzrenten.

Übergangsbestimmungen zur Änderung vom ... (5. IV-Revision) a. Besitzstandswahrung bei Taggeldern für laufende Eingliederungsmassnahmen Diese Übergangsbestimmung ermöglicht es, dass für Taggelder, die während laufenden, d.h. nach altem Recht zugesprochenen Eingliederungsmassnahmen ausgerichtet werden, das alte Recht anwendbar bleibt. Dasselbe gilt auch, wenn unmittelbar im Anschluss an eine nach bisherigem Recht gewährte Eingliederungsmassnahme eine oder mehrere weitere Eingliederungsmassnahmen (z.B. ein weiteres Jahr Umschulung etc.) verfügt werden. In solchen Fällen soll das altrechtliche

4576

Taggeld nicht reduziert oder aufgehoben, sondern bis zum Abschluss der Massnahmen noch weiter entrichtet werden.

b. Beitrag des Bundes an die IV Der Beitrag des Bundes an die jährlichen Ausgaben der IV wird von 37,5 auf 36,9 Prozent herabgesetzt. Diese Reduktion ist befristet bis Ende 2012.

Die vorliegende Änderung soll allerdings nach dem Willen des Bundesrates nur dann erfolgen, wenn die IV einerseits gleichzeitig Mehreinnahmen in der Höhe von 0,8 Mehrwertsteuerprozent erhält (vgl. separate Vorlage zur IV-Zusatzfinanzierung und Abs. 3 der Inkrafttretensbestimmung) und anderseits der Beitragssatz der IV von 1,4 auf 1,5 Prozent (vgl. Art. 3) heraufgesetzt wird.

Im Übrigen wird auf Ziffer 1.6.6 verwiesen.

2.2

Änderung weiterer Bundesgesetze

2.2.1

Änderung des ATSG

Art. 7

Erwerbsunfähigkeit

Es wird auf Ziffer 1.6.1.5 verwiesen.

Um den Zugang zur IV-Rente einzuschränken, soll der Invaliditätsbegriff des ATSG angepasst werden. In Artikel 8 Absatz 1 ATSG wird die Invalidität umschrieben als die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit. Letztere wird in Artikel 7 definiert. Um den Invaliditätsbegriff einzuschränken, muss deshalb Artikel 7 angepasst werden.

Absatz 2: In diesem Absatz werden zwei Elemente, welche für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit bzw. der Invalidität wesentlich sind, verdeutlicht: Der Ausschluss invaliditätsfremder Faktoren bei der Beurteilung des Vorliegens einer Invalidiät wird nun ausdrücklich im Gesetz verankert. Eine relevante Erwerbsunfähigkeit liegt somit nur in dem Ausmass vor, in dem der Verlust der Erwerbsmöglichkeiten einer versicherten Person auf dem in Betracht fallenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt auf die gesundheitliche Beeinträchtigung selber zurückzuführen ist. Beeinträchtigen andere Gründe (sog. invaliditätsfremde Faktoren wie z.B. Alter, mangelnde schulische Ausbildung, sprachliche Probleme, sozio-kulturelle Faktoren, reines Suchtgeschehen, Aggravation usw.) die Erwerbsmöglichkeiten, so dürfen diese bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit (und damit der Invalidität) nicht berücksichtigt werden. In jedem Einzelfall ist eine klare Ausscheidung dieser Faktoren vorzunehmen.

Im zweiten Satz dieses Absatzes wird eine Verschärfung des Zumutbarkeitsbegriffs vorgenommen. Eine sozialversicherungsrechtlich relevante Erwerbsunfähigkeit liegt nur dann vor, wenn der versicherten Person aus objektiver Sicht nicht zugemutet werden kann, einer Arbeit nachzugehen und ein entsprechendes Erwerbseinkommen zu erzielen. Die Beurteilung, was aus objektiver Sicht zumutbar ist und was nicht, obliegt den IV-Stellen, gestützt auf die medizinischen Angaben der RAD. Das subjektive Empfinden der versicherten Person (z.B. Schmerzen) ist bei der Beurteilung nicht massgebend, es muss nach objektiven Kriterien gewertet werden.

4577

Die Voraussetzungen des ersten und des zweiten Satzes müssen kumulativ erfüllt sein.

Art. 8

Invalidität

Es wird auf die Erläuterungen zu Artikel 7 verwiesen.

In Absatz 3 wird die Invalidität für volljährige Personen definiert, die vor der gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht erwerbstätig waren und denen eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann. Für diese Personen gelten die Präzisierungen von Artikel 7 Absatz 2 ATSG in Bezug auf den Ausschluss invaliditätsfremder Faktoren (vgl. ersten Satz) sowie auf die Zumutbarkeit, im bisherigen Aufgabenbereich (z.B. Haushalt) tätig zu sein (vgl. zweiten Satz), analog.

Art. 26

Verzugs- und Vergütungszinsen

Es wird auf Ziffer 1.6.3.4 verwiesen.

Art. 28

Mitwirkung beim Vollzug

Neu wird für die dem ATSG unterstellten Sozialversicherungen vorgesehen, dass die versicherte Person nicht mehr nur für den Einzelfall, sondern eine generelle Ermächtigung zur Einholung von Auskünften erteilen soll. Für die Abklärung der Leistungsansprüche benötigen die Sozialversicherungsträger, insbesondere auch die IV-Stellen, zahlreiche Abklärungen, Berichte, Unterlagen und Auskünfte. Eine Ermächtigung im Einzelfall führt oft zu unliebsamen Verzögerungen und verursacht grossen Verwaltungsaufwand. Damit die notwendigen Auskünfte von der IV-Stelle in Zukunft möglichst rasch und unkompliziert eingeholt werden können, soll die versicherte Person die IV und die anderen Sozialversicherungen nicht mehr nur im Einzelfall, sondern generell im Rahmen der Anmeldung ermächtigen, Auskünfte einzuholen. Die Ermächtigung bezieht sich nur auf Auskünfte und Unterlagen, die für die Abklärung von Leistungsansprüchen oder allenfalls auch von Regressansprüchen erforderlich sind.

Um einen unverhältnismässigen Eingriff in die Privatsphäre der versicherten Person zu vermeiden, wird der Kreis der Personen und Stellen, die zur Auskunftserteilung ermächtigt werden, genau definiert. Mit anderen Worten werden im Gegensatz zur heutigen Regelung in der vorliegenden Bestimmung «alle Personen und Stellen» nicht mehr erwähnt.

Art. 67

Heilbehandlung und Geldleistungen

Der geltende Artikel 67 Absatz 2 ATSG schreibt vor, dass für die Zeit, während der sich eine Bezügerin oder ein Bezüger einer Hilflosenentschädigung in einer Heilanstalt aufhält, der Anspruch auf die Hilflosenentschädigung entfällt57. Diese Regelung wird nun konkretisiert: Demnach wird die monatliche Hilflosenentschädigung nicht ausgerichtet, sofern sich eine Person während eines ganzen Kalendermonats im 57

Als Heilanstalt gilt jede Einrichtung, die der stationären Behandlung einer Krankheit oder eines Unfalles dient (vgl. dazu auch Art. 39 Abs. 1 KVG). Nach dem eindeutigen gesetzgeberischen Willen fallen Pflegeheime nicht unter den Begriff der Heilanstalt (vgl. BBl 1999 4638). Damit entspricht der Ausdruck «Heilanstalt» ohne weiteres dem Spital (vgl. U. Kieser, «ATSG-Kommentar», 2003, Art. 67 Rz. 7).

4578

Spital aufhält. Da die Hilflosenentschädigungen jeweils für den ganzen Kalendermonat im Voraus ausbezahlt werden, werden die zuviel ausgerichteten Beträge rückwirkend mit auszubezahlenden Beträgen verrechnet.

In der IV gilt diese Regelung nur für volljährige Bezügerinnen und Bezüger einer Hilflosenentschädigung, die sich im Spital aufhalten. Für minderjährige Bezügerinnen und Bezüger ist Artikel 42bis Absatz 4 IVG anwendbar. Danach wird die Hilflosenentschädigung, die pro Tag berechnet wird, für keinen Spitalaufenthaltstag ausgerichtet.

2.2.2 Art. 2c

Änderung des ELG Invalide

Buchstabe b: Heute besteht ein Anspruch auf Ergänzungsleistungen auch für invalide Personen, welche keine Invalidenrente erhalten, weil sie die einjährige Mindestbeitragsdauer nicht erfüllen. Die Erhöhung der Mindestbeitragsdauer auf drei Jahre (Änderung von Art. 36 Abs. 1 IVG) erfordert eine Anpassung von Buchstabe b dieser Bestimmung. Ausserdem wurde der Hinweis auf Artikel 6 Absatz 1 IVG gestrichen, da dieser seit dem Inkrafttreten der Revision der freiwilligen Versicherung überflüssig geworden ist (Korrektur eines Versehens).

Buchstabe d: Einen Anspruch auf Ergänzungsleistungen haben heute auch Personen, die ununterbrochen während mindestens sechs Monaten ein IV-Taggeld beziehen.

Um negative Anreize zu verhindern, wird dieser Anspruch inskünftig nicht mehr gewährt.

2.2.3 Art. 86a

Änderung des BVG Datenbekanntgabe

Absatz 2 Buchstabe f: Nach dem neuen Artikel 3b IVG sollen Vorsorgeeinrichtungen das Recht haben, Versicherte zur Früherfassung an die zuständige IV-Stelle zu melden. Artikel 86a BVG, der die Datenbekanntgabe durch die Vorsorgeeinrichtungen regelt, wird daher an Artikel 3b IVG angepasst.

3

Auswirkungen

3.1

Finanzielle Auswirkungen auf die IV und die Ergänzungsleistungen (EL)

3.1.1

Ausgangslage

Tabelle 1 im Anhang zeigt die unhaltbare finanzielle Lage der IV. Im Jahr 2006 wird die IV-Rechnung mit einem Defizit von rund 1,9 Milliarden Franken abschliessen und die Schulden beim AHV-Fonds werden dann etwa 10 Milliarden Franken betragen. Zur Behebung des jährlichen Defizits soll die Mehrwertsteuer ab 1.1.2008 um 0,8 Prozentpunkte angehoben werden, was in einer eigenen Botschaft unterbreitet

4579

wird58. Ein Hauptziel der 5. IV-Revision ist es, die Zahl der Neurenten zu senken und damit die längerfristige Finanzierung zu stabilisieren.

3.1.2

Auswirkungen der einzelnen Massnahmen

Die Massnahmen zur Frühintervention und Integration ermöglichen es, die Anzahl der Neurenten um rund 20 Prozent, bezogen auf das Jahr 2003, zu senken und wieder eine Invalidisierungsrate59 von 0,48 Prozent zu erreichen, wie dies vor 1995 der Fall war. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Revision im Jahr 2007 in Kraft ist und diese Massnahmen ihre Wirkungen sofort entfalten.

Mit diesen Annahmen sowie den Daten zur künftigen Bevölkerung (Szenario A00-2000, BFS), den Invalidenbeständen per Januar 2005 und den Wahrscheinlichkeiten, aus dem Invalidenbestand auszuscheiden, können die Invalidenbestände in der Schweiz fortgeschrieben werden. Anhand der Entwicklung im Jahre 2004 und im ersten Quartal 2005 kann für das Jahr 2005 mit einer durchschnittlichen Invalidierungsrate von rund 0,55 Prozent gerechnet werden und ab dem Jahr 2007 wird diese Rate auf 0,48 Prozent abgesenkt. Die Abgangswahrscheinlichkeiten aus dem Invalidenbestand sind gemäss den für das Jahr 1999 erhobenen Werten geschätzt.

In den Tabelle 3-1a und 3-1b ist die Bestandesentwicklung der gewichteten IV-Renten in der Schweiz ohne und mit Revision dargestellt. Ab dem Jahr 2007 wirken die Integrationsmassnahmen und ab dem Jahr 2009 greifen auch die Massnahmen der Frühintervention. Es zeigt sich, dass bis Ende 2025 der Bestand an gewichteten IV-Renten in der Schweiz um rund 55 000 Einheiten gesenkt werden kann, was einer Reduktion von etwa 18 % entspricht. Die finanzielle Auswirkung dieser Bestandesreduktion können in der Tabelle 3-2 (Kolonne Renten) abgelesen werden.

58 59

Vgl. Botschaft vom 22. Juni 2005 zur IV-Zusatzfinanzierung, 05.053 (BBl 2005 4623).

Anteil der Neurenten an der Bevölkerung ab Alter 18 bis zum Rentenalter.

4580

Tabelle 3-1a Bestandesentwicklung gewichteter IV-Renten in der Schweiz ohne 5. IV-Revision Jahr

Bestand per 1. Januar

Zugänge

Abgänge

2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026

231 093 241 090 250 624 257 006 262 768 267 951 272 631 276 951 280 948 284 749 288 486 292 100 295 452 298 448 301 070 303 198 304 729 305 753 306 331 306 392 305 923 304 942

25 494 25 794 25 901 25 965 26 012 26 036 26 034 26 018 26 010 26 021 26 043 26 070 26 098 26 117 26 119 26 094 26 034 25 944 25 833 25 700 25 542

15 498 16 260 19 519 20 202 20 828 21 357 21 713 22 021 22 209 22 283 22 429 22 717 23 102 23 494 23 992 24 562 25 009 25 367 25 772 26 169 26 523

4581

Tabelle 3-1b Bestandesentwicklung gewichteter IV-Renten in der Schweiz mit 5. IV-Revision Jahr

2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026

Bestand per 1. Januar

231 093 241 090 250 624 256 034 259 871 262 197 263 107 263 741 264 136 264 422 264 731 264 999 265 087 264 897 264 413 263 513 262 097 260 266 258 110 255 597 252 748 249 606

Zugänge

25 494 25 794 24 930 24 017 23 089 22 136 22 131 22 114 22 107 22 118 22 139 22 163 22 188 22 203 22 203 22 178 22 122 22 041 21 943 21 827 21 689

Abgänge

15 498 16 260 19 519 20 181 20 763 21 227 21 497 21 719 21 820 21 809 21 870 22 075 22 377 22 687 23 103 23 594 23 953 24 197 24 456 24 676 24 831

Wirkung Revision Absolut

In Prozenten

­ 971 ­ 2 897 ­ 5 754 ­ 9 524 ­ 13 211 ­ 16 812 ­ 20 326 ­ 23 755 ­ 27 101 ­ 30 365 ­ 33 550 ­ 36 657 ­ 39 685 ­ 42 632 ­ 45 487 ­ 48 221 ­ 50 795 ­ 53 175 ­ 55 336

0 ­1 ­2 ­3 ­5 ­6 ­7 ­8 ­9 ­ 10 ­ 11 ­ 12 ­ 13 ­ 14 ­ 15 ­ 16 ­ 17 ­ 17 ­ 18

Tabelle 3-2 zeigt die finanziellen Auswirkungen der einzelnen Massnahmen im zeitlichen Verlauf sowie bis ins Jahr 2025 den Durchschnitt. Es ist ersichtlich, dass die finanziellen Auswirkungen gewisser Massnahmen sich über die Jahre kaum verändern, während andere Massnahmen Aufbau- beziehungsweise Abbauprozesse darstellen. In der Kolonne ,,Übriges" sind die Revisionspunkte zusammengefasst, die sofort wirksam sind (Mindestbeitragsdauer, Anpassung der IV-Taggelder, medizinische Massnahmen). Der Mehrbedarf an Personal ist in der Kolonne «Massnahmen» bei der Frühintervention und Integration enthalten.

Die Massnahmen zur Frühintervention und Integration werden erst nach rund 6 Jahren eine Einsparung bewirken. Die Revision erzielt insgesamt durchschnittlich Einsparungen von jährlich 624 Millionen Franken. In den ersten zehn Jahren sind es rund 296 Millionen Franken, in den darauffolgenden neun Jahren 988 Millionen Franken pro Jahr.

4582

Tabelle 3-2 Auswirkungen der einzelnen Revisionspunkte Beträge in Millionen Franken, zu Preisen von 2005 Jahr

Karrierezuschlag

Zusatzrente

Übriges

Total

145 282 262 184 94 21 ­ 72 ­ 140 ­ 236 ­ 298 ­ 398 ­ 453 ­ 552 ­ 603 ­ 710 ­ 752 ­ 854 ­ 888 ­ 988

­ 11 ­ 21 ­ 32 ­ 42 ­ 53 ­ 62 ­ 74 ­ 83 ­ 95 ­ 102 ­ 115 ­ 122 ­ 134 ­ 140 ­ 154 ­ 159 ­ 172 ­ 176 ­ 188

­ 289 ­ 252 ­ 228 ­ 197 ­ 178 ­ 153 ­ 138 ­ 119 ­ 107 ­ 91 ­ 82 ­ 70 ­ 63 ­ 53 ­ 47 ­ 40 ­ 35 ­ 29 ­ 26

­ 81 ­ 83 ­ 84 ­ 85 ­ 87 ­ 88 ­ 89 ­ 90 ­ 92 ­ 93 ­ 94 ­ 95 ­ 97 ­ 98 ­ 99 ­ 100 ­ 101 ­ 102 ­ 102

­ 237 ­ 73 ­ 83 ­ 141 ­ 224 ­ 282 ­ 374 ­ 431 ­ 530 ­ 585 ­ 689 ­ 741 ­ 846 ­ 894 ­ 1 009 ­ 1 051 ­ 1 161 ­ 1 195 ­ 1 305

­ 314

­ 102

­ 116

­ 92

­ 624

Frühintervention und Integration Massnahmen

Renten

Total

2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025

180 387 443 447 449 452 453 453 453 453 453 453 453 452 450 450 453 456 459

­ 36 ­ 105 ­ 181 ­ 263 ­ 355 ­ 430 ­ 525 ­ 593 ­ 690 ­ 751 ­ 851 ­ 906 ­ 1 005 ­ 1 055 ­ 1 159 ­ 1 203 ­ 1 307 ­ 1 344 ­ 1 447

Durchschnitt

434

­ 748

Mit der Optimierung der Aufsicht in der IV dürften die mit dem Vollzug verbundenen Verwaltungskosten minimal ansteigen, da die Aufsichtstätigkeiten verstärkt werden und die Arbeit der neuen Aufsichtskommission vergütet werden muss.

Die Einführung der Früherfassung, der Frühintervention sowie der Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung der beruflichen Eingliederung wird jedoch zusätzliches ärztliches und nichtärztliches Personal für die IV erfordern. Der konkrete Mehrbedarf an Personal lässt sich zum heutigen Zeitpunkt nicht genau beziffern, er wird jedoch im Ausgangsjahr auf 45 Millionen Franken geschätzt (vgl. hierzu Ziff.

3.2.2).

In der Tabelle 3-3 sind die Auswirkungen der einzelnen Massnahmen als Durchschnittswert über die Jahre 2007 bis 2025 aufgeführt. Sie verbessern die Betriebsrechnung der IV um durchschnittlich 596 Millionen Franken pro Jahr.

4583

Tabelle 3-3 Finanzielle Auswirkungen der 5. IV-Revision auf die IV Beträge in Millionen Franken, zu Preisen von 2005 Reduktion der Ausgaben (jährlicher Durchschnitt bis 2025)

Früherfassung und Frühintervention Integrationsmassnahmen Mindestbeitragsdauer 3 Jahre Anpassung IV-Taggelder Verzicht auf Karrierezuschlag Medizinische Massnahmen (Art.12 IVG) Aufhebung der laufenden Zusatzrenten

220 94 1 28 102 63 116

Total Reduktion der Ausgaben = Einsparungen

624

Veränderung der Einnahmen (jährlicher Durchschnitt bis 2025)

Erhöhung des Beitragssatzes um 0,1 Prozentpunkte Herabsetzung Bundesbeitrag auf 36,9 % bis Ende 201260 Herabsetzung des Beitrags der öffentlichen Hand (50 % von 624)

303 ­ 19 ­ 312

Total Veränderung der Einnahmen

­ 28

Durchschnittliche Verbesserung der IV-Betriebsrechnung

596

Infolge der Reduktion der Zahl der IV-Rentenbezügerinnen und -bezüger verringert sich auch die Anzahl Personen, welche Anspruch auf EL-Leistungen geltend machen können. Die EL werden insgesamt um jährlich durchschnittlich 72 Millionen Franken entlastet. Es wird geschätzt, dass die Früherfassung und Frühintervention zu Einsparungen für die EL von rund 55 Millionen Franken jährlich und die Einführung der Integrationsmassnahmen zu Einsparungen von rund 77 Millionen Franken jährlich führen werden. Bei der Aufhebung des Karrierezuschlags muss umgekehrt die EL mit zusätzlich 47 Millionen Franken jährlich die tieferen IV-Leistungen ergänzen. Die Aufhebung der laufenden Zusatzrenten bewirken Mehrkosten bei den EL von durchschnittlich 13 Millionen Franken jährlich.

Während sich in den ersten drei Jahren vor allem die wegfallenden Zusatzrenten auswirken und noch Mehrkosten von durchschnittlich 20 Millionen Franken pro Jahr entstehen, kann nachher mit Einsparungen gerechnet werden, die bis zum Jahr 2025 auf etwa 155 Millionen Franken anwachsen.

60

Für die effektive Dauer ab 2008 bis Ende 2012 beträgt die jährliche Entlastung durchschnittlich 74 Millionen Franken.

4584

3.1.3

Die Finanzhaushalte der IV

Bezüglich der Lohn- und Preisentwicklung entsprechen die Annahmen bis ins Jahr 2009 den Vorgaben des Bundesrates für den Voranschlag 2006 und die Finanzplanung 2007­2009. Ab dem Jahr 2010 wird mit einer Lohnentwicklung von jährlich 3 Prozent und einer Preisentwicklung von jährlich 2 Prozent gerechnet. Die Finanzhaushalte in den Tabellen 1 und 2 im Anhang zeigen teuerungsbereinigte (reale) Werte bezüglich 2005.

Tabelle 1 im Anhang zeigt die Entwicklung der finanzielle Lage der IV bis 2010, ohne die 5. IV-Revision und ohne Zusatzfinanzierung. Bis Ende 2010 würden sich die Schulden auf beinahe 18 Milliarden Franken erhöhen. Zu diesem Zeitpunkt wird das Kapitalkonto der AHV noch rund 25 Milliarden ausweisen. Da der AHV-Fonds jedoch die Schulden der IV abdeckt, würde das verfügbare Vermögen der AHV nur noch 7 Milliarden betragen. Somit wäre die Liquidität von AHV und IV im folgenden Jahr nicht mehr gesichert 61.

Tabelle 2 im Anhang zeigt die Wirkung der 5. IV-Revision und der Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die vorgeschlagenen Massnahmen auf der Ausgaben- und Einnahmenseite bewirken, dass über den Zeitraum 2007­2025 ein durchschnittlicher jährlicher Überschuss von 465 Millionen Franken erzielt werden kann. Die IV kann sich durch diese positiven Abschlüsse entschulden. Es zeigt sich, dass die IV durch diese Massnahmen nach Jahren der Unterfinanzierung wieder auf solide finanzielle Grundlagen gestellt werden kann.

3.2

Auswirkungen auf den Bund

3.2.1

Finanzielle Auswirkungen

Die folgenden Angaben berücksichtigen noch nicht die Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA), die Auswirkungen wären aber praktisch gleich gross.

Da der Bund 37,5 Prozent der Ausgaben der IV trägt (Art. 78 IVG), ist er im selben Ausmass von den Auswirkungen der 5. IV-Revision auf die Ausgaben betroffen (vgl. Tabelle 2 im Anhang). Bis 2025 entstehen jährlich Einsparungen von durchschnittlich rund 234 Millionen Franken (37,5% von 624 Mio. Fr.; vgl. Ziff. 3.1.2, Tabelle 3-3).

Da sich der Bund mit rund 22 Prozent an den EL-Ausgaben beteiligt, kann er durch die 5. IV-Revision auch hier mit Minderausgaben rechnen. In den ersten drei Jahren entstehen noch Mehrausgaben von durchschnittlich 4,5 Millionen Franken (22% von 20 Mio. Fr.), bis ins Jahr 2025 kann mit Einsparungen bis zu 34 Millionen Franken (22% von 155 Mio. Fr.) gerechnet werden. Im Durchschnitt über den ganzen Zeitraum 2007­2025 sind dies Einsparungen von 16 Millionen Franken pro Jahr (22% von 72 Mio. Fr.).

Dank den kleineren Ausgaben wird der Bund somit um durchschnittlich 250 Millionen Franken (234+16 Mio. Fr.) entlastet. Zusätzlich wird infolge Kürzung des Bundesbeitrages an die IV der Beitrag des Bundes zwischen 2008 und 2012 um 61

Vgl. Botschaft vom 22. Juni 2005 zur IV-Zusatzfinanzierung, 05.053 (BBl 2005 4623).

4585

durchschnittlich 74 Millionen Franken pro Jahr vermindert. Insgesamt ergibt dies bis 2025 eine durchschnittliche Entlastung des Bundes von 269 Millionen Franken pro Jahr (250+19 Mio. Fr.62).

3.2.2

Personelle Auswirkungen

Die vorgesehene Einführung der Früherfassung (Ziff. 1.6.1.1), der Massnahmen im Bereich der Frühintervention (Ziff. 1.6.1.2) und der Intergrationsmassnahmen zur Vorbereitung der beruflichen Eingliederung (Ziff. 1.6.1.3) haben in erster Linie in den IV-Stellen und den regionalen ärztlichen Diensten einen erhöhten Personalbedarf zur Folge. Die folgende Tabelle gibt eine Überblick darüber, wie sich der jährliche Mehrbedarf zusammensetzt:

Früherfassung Frühintervention Integrationsmassnahmen Total IV-Stellen/RAD BSV Aufsicht Total

Personen

Dossiers pro Vollzeitstelle

Vollzeitstellen

Kosten in Millionen Franken

20 000 10 000 5 000 35 000

500 50 100 121

40 200 50 290 10

6,0 30,0 7,5 43,5 1,5

300

45,0

Es wird erwartet, dass rund 20 000 Personen (ungefähr 10 Prozent der Personen, die einen Monat und länger krank sind) ins System der Früherfassung kommen werden.

Es wird damit gerechnet, dass in der Früherfassung im Durchschnitt 500 Dossiers pro Vollzeitstelle bearbeitet werden können. Dies ergibt 40 Vollzeitstellen.

Weiter wird geschätzt, dass mit rund 10 000 Personen Massnahmen der Frühintervention durchgeführt werden. In dieser Phase ist der Betreungsaufwand am grössten.

Gerechnet wird mit 50 Dossiers pro Vollzeitstelle. Im Vergleich zu den nachstehend erwähnten Integrationsmassnahmen ist der Aufwand in der Frühintervention höher, weil die gesamte Betreuung durch die IV-Stelle bzw. den regionalen ärztlichen Dienst erfolgt, während bei den Integrationsmassnahmen vorgesehen ist, dass bei komplizierten Fällen die Betreuung im Rahmen der gewährten Massnahme sichergestellt wird. Dementsprechend sind für die Frühintervention 200 Stellen vorzusehen.

Bei den Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung, die sich schwerpunktmässig an Personen unter 50 Jahren mit krankheitsbedingten Gebrechen richten, wird mit 5000 Personen gerechnet, die an Massnahmen teilnehmen. Ausgehend von 100 betreuten Dossiers pro Vollzeitstelle resultiert ein Bedarf von 50 Vollzeitstellen.

Für sämtliche drei Bereiche (Früherfassung, Frühintervention und Integrationsmassnahmen) sind in den IV-Stellen und den regionalen ärztlichen Diensten somit 290 neue Stellen erforderlich, was bei 150 000 Franken Personalvollkosten (inklusive Arbeitsplatzkosten) pro Stelle 43,5 Millionen Franken ergibt.

62

Entlastung des Bundes infolge Senkung des Bundesbeitrages im Durchschnitt über die ganze Periode bis 2025 gerechnet.

4586

In den kantonalen IV-Stellen, der IV-Stelle für Versicherte im Ausland und den regionalen ärztlichen Diensten beträgt der Stellenbestand zur Zeit 1840 Vollzeitstellen. Der zusätzliche Bedarf für die neuen Aufgaben beträgt damit rund 15 Prozent des aktuellen Stellenbestandes. Infolge der angstrebten Einsparungen bei den Renten wird ein Teil dieses Stellenbedarfs durch einen Transfer von bisherigen Stellen zu den neuen Aufgaben möglich sein. Das Potential dieses Transfers ist schwierig zu bestimmen, denn die Arbeiten für die neuen Massnahmen fallen sofort an, während die Ersparnisse im Bereich der Renten erst später realisert werden. Auf die Quantifizierung dieses Stellentranfers wird deshalb verzichtet.

Weiter gibt es im Rahmen der Aufsicht, der Qualitätskontrolle und der Durchführung der erwähnten neuen Massnahmen einen zusätzlichen Bedarf an Stellen im BSV. Dieser wird ab Inkrafttreten der 5. IV-Revision auf 10 Vollzeitzstellen geschätzt, die sich gleichmässig auf Aufsicht und Durchführung verteilen. Gemäss Artikel 67 Absatz 1 Buchstabe b IVG werden die Kosten der 10 zusätzlichen Vollzeitstellen im BSV von 1,5 Millionen Franken durch die IV getragen.

Insgesamt sind damit 300 Vollzeitstellen mit Kostenfolgen von 45 Millionen Franken jährlich nötig.

Die Kosten der Aufsichtskommission sind angesichts der Ansätze für Bundeskommissionen, der Häufigkeit der Tagungen, der beschränkten Zahl der Mitglieder etc.

heute noch nicht bestimmbar, jedoch im Vergleich zu den Mehrkosten der Revision als marginal zu bezeichnen.

3.2.3

Ausgabenbremse

Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b der Bundesverfassung sieht zum Zweck der Ausgabenbegrenzung des Bundes vor, dass Subventionsbestimmungen sowie Verpflichtungskredite und Zahlungsrahmen, die neue einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder wiederkehrende Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken nach sich ziehen, in jedem der beiden Räte der Zustimmung der Mehrheit aller Mitglieder bedürfen (qualifiziertes Mehr). Da die Bestimmungen zu den Massnahmen der Frühintervention (Art. 7c), den Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung der beruflichen Eingliederung (Art. 14a) und den Taggeldern (Art. 22­24) diese Limiten überschreiten, unterstehen diese Gesetzesbestimmungen der Ausgabenbremse.

3.3

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Die Kantone beteiligen sich gemäss Artikel 78 IVG mit 12,5 Prozent an den jährlichen Ausgaben der IV. Entsprechend sind sie von den Auswirkungen der 5. IV-Revision auf die Ausgaben betroffen (vgl. Tabelle 2 im Anhang). In den Jahren 2007­2025 entstehen jährlich Einsparungen von durchschnittlich 78 Millionen Franken (12,5% von 624 Mio. Fr.; vgl. Ziff. 3.1.2, Tabelle 3-3).

Da die Kantone die Ausgaben der EL zu durchschnittlich 78 Prozent finanzieren, ergeben sich durch die 5. IV-Revision auch bei den EL Minderausgaben. In den ersten drei Jahren entstehen zwar noch Mehrkosten von durchschnittlich 15 Millionen Franken (78% von 20 Mio. Fr.), bis ins Jahr 2025 kann mit Einsparungen bis zu 4587

121 Millionen Franken (78% von 155 Mio. Fr.) gerechnet werden Im Durchschnitt der Jahre 2007­2025 sind dies Einsparungen von 56 Millionen Franken pro Jahr (78% von 72 Mio. Fr.).

In Folge der Verlagerung der medizinischen Massnahmen von der IV zur Krankenversicherung werden die Kantone wegen ihrem Anteil bei den stationären Kosten mit Mehrausgaben von jährlich 6 Millionen Franken belastet (vgl. Ziff. 1.6.3.2).

Durch die 5. IV-Revision würden die Kantone insgesamt um durchschnittlich 128 Millionen Franken pro Jahr (78+56­6 Mio. Fr.) entlastet.

Mit der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) wird der Bund allerdings den Finanzierungsteil der Kantone an die IV übernehmen und die Finanzierung der EL wird neu geregelt. Im Bereich der Existenzsicherung durch die EL wird vorgeschlagen, dass der Bund neu fünf Achtel der Finanzierung übernimmt und die Kantone noch drei Achtel. Dadurch werden sich die Einsparungen für die Kantone auf durchschnittlich 27 Millionen Franken pro Jahr (37,5% von 72 Mio. Fr.) belaufen.

3.4

Auswirkungen auf die 2. Säule

Die Massnahmen im Rahmen der 5. IV-Revision werden sich auch positiv auf die Anzahl Invalidenrenten in der beruflichen Vorsorge auswirken. Der Anspruch für BVG-Invalidenleistungen stellt darauf ab, dass jemand im Sinn der IV zu einem bestimmten Grad invalid ist (Art. 23 und 24 BVG); für den Beginn der BVGInvalidenrente gelten sinngemäss die entsprechenden Bestimmungen des IVG (Art. 29 IVG, Art. 26 Abs. 1 BVG). Daher wirken sich entsprechende Änderungen des IVG auch auf den Leistungsanspruch nach BVG aus.

Da mindestens 70 Prozent der AHV-Beitragspflichtigen auch BVG-versichert sind, werden sich bei einer Durchschnittsleistung von 17 700 Franken (Stand 2002) im Durchschnitt über die Jahre bis 2025 jährliche Einsparungen in der Höhe von 485 Millionen Franken ergeben. Da die IV während der Eingliederung Taggelder ausrichtet, können bereits im zweiten Jahr 4700 Renten mit einer Rentensumme von 60 Millionen Franken eingespart werden, was einem Achtel der durchschnittlichen jährlichen Einsparung entspricht. Im fünften Jahr erreichen diese Massnahmen bereits zwei Fünftel der durchschnittlichen jährlichen Einsparungen, da mehr als 15 000 Renten wegfallen, die Einsparungen in der Höhe von 200 Millionen Franken bewirken. Die Streichung der Zusatzrenten verursacht ihrerseits Kosten, da damit Kürzungen wegen Überversicherung in der Höhe von 50 Millionen Franken wegfallen. Insgesamt führt die Revision in der beruflichen Vorsorge somit zu Einsparungen von durchschnittlich 435 Millionen Franken pro Jahr.

3.5

Auswirkungen auf die Krankenversicherung

Die Überführung der medizinischen Massnahmen gemäss Artikel 12 IVG in die Krankenversicherung (vgl. Ziff. 1.6.3.1) bewirkt eine Verlagerung von durchschnittlich 53 Millionen Franken zur Krankenversicherung. Davon sind 43 Millionen Franken (80 %) durch die Krankenversicherer zu finanzieren und 4 Millionen Franken (8 %) bezahlen die Versicherten direkt über die Kostenbeteiligung. Die rest4588

lichen 6 Millionen Franken (12 %) erbringen die Kantone durch ihren Anteil bei den stationären Kosten.

3.6

Auswirkungen auf die Unfallversicherung

Einzelne Massnahmen der vorliegenden Revision, wie etwa die Aufhebung des Karrierezuschlags (Ziff. 1.6.3.1) und der laufenden Zusatzrenten (Ziff. 1.6.3.3) sowie die nur teilweise Berücksichtigung eines erhöhten Erwerbseinkommens (Ziff.

1.6.2.2), lösen in der obligatorischen Unfallversicherung Mehrkosten aus, welche von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden zu tragen sind. Allein die Aufhebung der laufenden Zusatzrenten (Anpassung der Komplementärrenten) hat einen einmaligen Kapitalbedarf von schätzungsweise 240 Millionen Franken (Suva 215 Mio. Fr. und übrige Versicherer 25 Mio. Fr.) zur Folge.

3.7

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

3.7.1

Notwendigkeit und Möglichkeit eines staatlichen Eingriffs

Aus wirtschaftspolitischer Sicht werden in der vorliegenden Botschaft zweierlei Massnahmen vorgeschlagen. Einerseits sind neue Massnahmen geplant, mit welchen der Ausschluss aus dem Arbeitsmarkt bekämpft werden kann und andererseits Sparmassnahmen sowie Massnahmen zur Erschliessung neuer Einnahmen.

Vom Standpunkt des Wirtschaftswachstums aus gesehen, ergänzen und verstärken sich diese beiden Kategorien von Massnahmen gegenseitig: Die höhere Erwerbsbeteiligung von invaliditätsgefährdeten Personen fördert die Produktion und generiert höhere Steuereinnahmen, während gleichzeitig weniger Renten ausbezahlt werden.

Der Beitrag zur finanziellen Sanierung der Sozialversicherungen und des Staatshaushalts verbessert ausserdem die Aussichten auf ein höheres Wirtschaftswachstum, was sich wiederum positiv auf den Arbeitsmarkt auswirkt.

Die Massnahmen zur Frühintervention und die Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung werden kurzfristig Mehrkosten verursachen.

Da sich mit diesen Massnahmen letztlich aber bedeutende Einsparungen erzielen lassen, steht dies nicht im Widerspruch zum finanziellen Ziel der Kosteneindämmung in der IV.

3.7.2

Auswirkungen für die verschiedenen Kategorien von Akteuren des Wirtschafts- und Soziallebens

3.7.2.1

Versicherte, die einen Leistungsantrag an die IV gestellt haben

Dank der Massnahmen zur Frühintervention werden die krankheitsbedingt arbeitsunfähigen Personen in den Genuss einer rascheren von den IV-Stellen koordinierten Unterstützung kommen, die es erlaubt, bei der medizinischen Behandlung berufliche Aspekte einzubeziehen. Die IV-Stelle wird, sobald sie über die längere oder wiederholte Absenz in Kenntnis gesetzt worden ist, die notwendigen Kontakte herstellen 4589

und Vorschläge zur Wiedereingliederung unterbreiten, mit welchen die Arbeitsunfähigkeit schnellstmöglich beendet und das Arbeitsverhältnis der betroffenen Person erhalten werden kann. Denn im Falle einer beruflichen oder persönlichen Krise scheinen die Chancen auf die Erhaltung des Arbeitsplatzes im bisherigen Unternehmen grösser zu sein als die Chance, auf dem Arbeitsmarkt eine andere Stelle zu finden. Das Unternehmen wird nämlich für interne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker an die soziale Komponente appellieren als für externe Stellensuchende63. Daher sollte die betroffene Person diese Chance so früh als möglich ergreifen.

Die im Rahmen der Arbeitslosenversicherung erworbene Erfahrung hat gezeigt, dass die rasche Wiederaufnahme einer Tätigkeit für den Erfolg der Eingliederung eine zentrale Rolle spielt. Wird der Ausschluss aus dem Arbeitsmarkt vermieden, so kann damit auch eine Einbusse an sozioökonomischen Qualifikationen und eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes verhindert werden. Die Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung und Ausweitung der beruflichen Eingliederungsmassnahmen zielen darauf ab, die Erwerbsfähigkeit der Versicherten wieder herzustellen, zu erhalten oder zu verbessern.

Die Versicherten, die einen Antrag auf IV-Leistungen stellen, werden verstärkt zur Mitarbeit verpflichtet, wenn ihnen bestimmte Eingliederungsmassnahmen vorgeschlagen werden. Passivität oder die Verweigerung der Mitwirkung werden stärkere Konsequenzen nach sich ziehen als bisher, sowohl für die Höhe der Taggelder wie auch für die Höhe einer allfälligen IV-Rente.

3.7.2.2

IV-Rentnerinnen und IV-Rentner

Die Revision wird dazu führen, dass eine Person, die eine IV-Rente bezieht und wieder eine Erwerbstätigkeit aufnimmt, keine Einkommenseinbussen mehr erleidet.

Nach dem geltenden System geht das Einkommen bei der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit oft zurück, so dass die IV-Rentenbezügerinnen und -bezüger kein Interesse daran haben, ihre Erwerbsfähigkeit zu verbessern, oder aber sie dazu veranlasst, dies ohne Meldung zu tun (Schwarzarbeit).

Infolge der Aufhebung der laufenden Zusatzrenten werden die Einkommen der betroffenen Haushalte in der Grössenordnung von 30 Prozent der Hauptrente gekürzt. Der durchschnittlich wegfallende Betrag beläuft sich auf monatlich 400 Franken. Zum Teil dürften diese Beträge durch die 2. Säule kompensiert werden, indem auf Grund der Überversicherungsklausel wegfallende Beiträge der 1. Säule durch solche der 2. Säule ersetzt werden.

3.7.2.3

Erwerbstätige

Sämtliche Erwerbstätigen werden höhere IV-Beiträge zu zahlen haben. Die Erhöhung um 1 Promille wird von den Arbeitnehmenden und den Arbeitgebenden je zur Hälfte getragen. Diese Massnahme rechtfertigt sich als Kompensation für die im Rahmen der 2. Säule erzielten Einsparungen. Die Vorsorgeeinrichtungen werden 63

Baur, Rita (2004) Erschwerte soziale und berufliche Integration: Hintergründe und Massnahmen. Soziale Sicherheit 3/2004, BSV, Bern.

4590

entlastet, was zur Folge haben dürfte, dass die Pensionskassenbeiträge der Arbeitnehmenden und der Arbeitgebenden sinken werden. Die Erhöhung der Lohnbeiträge sollte somit keinen Einfluss auf die Höhe der Nettolöhne haben. Selbst wenn die Stabilisierung oder die Kürzung der Prämien für das Invaliditätsrisiko in der 2. Säule erst nach einer gewissen Frist erfolgen wird, dürfte die aus der Erhöhung der IV-Beiträge resultierende Verminderung der Nettoeinkommen zu gering sein, um einen sichtbaren Effekt auf das Arbeitsangebot und den Konsum zu haben.

Für die Versicherten, die nicht in der 2. Säule versichert sind (Personen, deren Einkommen unter der Eintrittsschwelle liegt, Selbständigerwerbende, noch erwerbstätige AHV-Rentner, deren Einkommen höher ist als der in der AHV vorgesehene Freibetrag), wird die Erhöhung des IV-Beitragssatzes nur eine ganz leichte Steigerung ihrer Soziallasten bedeuten und folglich nur eine geringe Verringerung ihres verfügbaren Einkommens.

3.7.2.4

Unternehmen

Sobald der IV-Stelle ein Fall von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gemeldet wird, sucht sie zusammen mit dem Arbeitgeber und der versicherten Person nach Lösungen für den Erhalt des bestehenden Arbeitsplatzes. Dies geschieht über Information und Beratung. Ausserdem kann die IV-Stelle auch bestimmte Instrumentarien der IV zur Verfügung stellen. Dies wird es den Unternehmen erlauben, die Absenzen und die damit verbundenen Kosten zu verringern. Eine weitere Folge wird die Senkung der Kosten und somit der Prämien für die Krankentaggeldversicherung der Unternehmen sein.

Ein Unternehmen hat heute aufgrund der finanziellen Risiken, die dem Unternehmen im Falle eines Misserfolgs der Eingliederung und bei Krankheit oder Unfall der betreffenden Person entstehen, nur ein beschränktes Interesse an einer festen Anstellung einer invaliden oder invaliditätsgefährdeten Person. Neben dem administrativen Aufwand muss das Unternehmen auch mit höheren Risikoversicherungsprämien rechnen (Taggeldversicherung, Unfallversicherung, Risikoprämien in der 2. Säule) oder mit einer Verschlechterung der Situation seiner Vorsorgeeinrichtung. Die vorliegende Revision sieht die Möglichkeit vor, dass die höheren Risikoprämien ­ verursacht durch die Neueinstellung invalider Personen ­ von der IV aufgefangen werden.

Die von den Arbeitgebenden und den Arbeitnehmenden zu gleichen Teilen finanzierte Erhöhung des IV-Beitragssatzes um 0,1 Prozent bringt den Unternehmen eine Mehrbelastung. Diese Verteuerung der Arbeitskosten sollte jedoch durch die Stabilisierung oder die Reduktion der Risikoprämien für die Invalidität in der 2. Säule voll ausgeglichen werden. Die Unternehmen, welche die Risikoprämien in der 2. Säule derzeit vollumfänglich übernehmen, werden von den Lastenverschiebungen von der 2. Säule zur IV profitieren. Hingegen werden die Lohnkosten der Unternehmen, deren Personal zum grossen Teil nicht BVG-pflichtig ist, leicht steigen.

4591

3.7.2.5

Sozialpartner

Die Einführung und die Umsetzung des neuen Systems stellt für die Sozialpartner eine Herausforderung dar. Gemeinsam müssen sie dafür sorgen, dass die Instrumente, die dieses System bietet, korrekt und verhältnismässig angewendet werden.

Die Sozialpartner werden in der Aufsichtskommission vertreten sein und eine direktere Verantwortung übernehmen, die ihren finanziellen Verpflichtungen besser entspricht als es bisher der Fall war.

3.7.3

Auswirkungen für die Gesamtwirtschaft

In Bezug auf den Arbeitsmarkt wird davon ausgegangen, dass die 5. IV-Revision die Zahl der jährlichen Neurenten um etwa 20 Prozent verringern wird (Berechnungsgrundlage 2003), was jährlich rund 5 000 Vollzeitstellen entspricht. Die Anzahl erhaltener oder zurückgewonnener Arbeitsplätze scheint jedoch auch mittelfristig zu gering zu sein, um auf dem Arbeitsmarkt irgendeinen strukturellen Effekt hervorzurufen. Man kann lediglich eine Erhöhung des Arbeitsangebots im Segment der produktionsschwachen Stellen vermuten, wenn davon ausgegangen wird, dass dieser Sektor die meisten Anstellungsmöglichkeiten für die von einer Invalidität bedrohten oder invaliden Menschen mit einer Resterwerbsfähigkeit bieten wird.

Die Wirtschaft wird sich infolge der Erhöhung des IV-Beitragssatzes um 0,1 Prozent stärker an der Finanzierung der IV beteiligen. Das bedeutet für die Arbeitseinkommen eine Einbusse von 303 Millionen Franken, wobei dieser Betrag jedoch mit den in der 2. Säule erwarteten Einsparungen in Bezug zu setzen ist. Die 5. IV-Revision sollte somit die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft in Bezug auf die Arbeitskosten nicht beeinträchtigen.

Der Finanzbedarf der Sozialversicherungen wird sich insgesamt bis 2025 jährlich durchschnittlich um 1088 Millionen Franken verringern. Die Einsparungen werden sich auf die IV (624 Mio. Fr.), die Ergänzungsleistungen (72 Mio. Fr.) und die 2. Säule (435 Mio. Fr.) verteilen, wogegen die Krankenversicherung eine Mehrbelastung hinnehmen muss, da die Ausgaben für die medizinischen Massnahmen nicht mehr von der IV finanziert werden (43 Mio. Fr.). Es ist nicht auszuschliessen, dass die in der 5. Revision vorgesehenen Massnahmen, die bezüglich der Zusprache von Leistungen strikter sind, die Ausgaben der Sozialhilfe erhöhen werden. Da die öffentliche Hand die Hälfte der IV-Ausgaben und sämtliche Ergänzungsleistungen finanziert, wird die Reduktion des Finanzbedarfs dazu beitragen, die wachsende Last dieser Versicherungen auf die öffentlichen Haushalte abzuschwächen.

3.7.4

Alternativregelungen

Eine interdepartementale Arbeitsgruppe hat verschiedene Anreizmechanismen zur Beschäftigung behinderter Menschen64 geprüft. Aus der Untersuchung eines Quotensystems, wie es alle unsere Nachbarländer sowie weitere europäische Länder 64

Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement (EVD), Anreizmechanismen zur Beschäftigung behinderter Menschen, Bericht der interdepartementalen Arbeitsgruppe EVD ­ EJPD ­ EDI ­ EFD vom 8. August 2001.

4592

kennen, ging hervor, dass die Einführung eines solchen Instrumentes in der Schweiz nicht empfohlen werden kann, da sich die in Bezug auf die Integration angestrebten Ziele nicht erreichen lassen. Eines der grossen Probleme des Quotensystems besteht darin, dass die Unternehmen nicht unbedingt über Arbeitsplätze verfügen, deren Profil demjenigen von Behinderten entspricht. Sie werden somit bestraft und die Quote wird zu einer Art zusätzlich zu bezahlender Steuer, welche die Soziallasten erhöht (international weniger konkurrenzfähige Unternehmen). Zudem hat die Arbeitsgruppe empfohlen, bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen nicht weiter die Vorzugsstrategie zu verfolgen. Unternehmen, die keine Behinderte beschäftigen, aus dem Verfahren auszuschliessen, würde auf internationaler Ebene zu Wettbewerbsverzerrungen führen und zudem die Durchführung von Kontrollen zur Unterbindung von Missbräuchen erfordern. Im Rahmen der Untersuchung wurden zwei Möglichkeiten aufgezeigt, welche allenfalls weiter geprüft werden könnten: einerseits mit dem Zwischenverdienst bei der Arbeitslosenversicherung vergleichbare Ausgleichszahlungen und anderseits Steuerreduktionen.

3.7.5

Praktische Aspekte des Vollzugs

Die Vollzugsorgane der IV werden einen höheren administrativen Aufwand zu bewältigen haben. Die Einführung der Früherfassung und der Frühintervention, der Integrationsmassnahmen sowie die gezielt verstärkte Durchführung von Eingliederungsmassnahmen wird den Personalbedarf erhöhen. Die im Leistungsbereich erzielten Einsparungen (Verringerung der ausbezahlten Rentensumme) sollten jedoch die zusätzlichen Kosten bei weitem ausgleichen.

Für die Pensionskassen werden keine zusätzlichen Aufgaben anfallen. In der Regel müssen sie lediglich die Entscheide der IV vollziehen.

3.8

Andere Auswirkungen

3.8.1

Aussenpolitik

Die Schweiz ist derzeit mit 34 Staaten durch zwischenstaatliche Regelungen über soziale Sicherheit verbunden. Diese Verträge koordinieren unter anderem das schweizerische Invalidenversicherungssystem mit den Invalidenversicherungssystemen anderer Staaten. Jeder Staat bleibt frei, diese Versicherung nach seinem Bedarf zu gestalten. Gleiches gilt auch für die bestehende Sozialversicherungskoordination mit den EG/EFTA-Staaten (vgl. Ziff. 5.2). Die vorgeschlagenen Änderungen haben grundsätzlich keine aussenpolitischen Auswirkungen. Die Erhöhung der Mindesbeitragsdauer für den Anspruch auf ordentliche IV-Renten hat jedoch eine Anpassung der Sozialversicherungsabkommen mit den Vertragsstaaten ausserhalb der EG-/EFTA zur Folge. In diesen Abkommen ist die Berücksichtigung von ausländischen Beitragszeiten für den Erwerb des schweizerischen Rentenanspruchs noch nicht vorgesehen.

4593

3.8.2

Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frau und Mann

Die 5. IV-Revision setzt den Akzent hauptsächlich auf die Früherfassung, die Frühintervention und auf Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung von Personen, die im Erwerbsleben stehen. Diese Massnahmen richten sich primär an Erwerbstätige mit einem Arbeitsvertrag und damit mehrheitlich an Männer: Verteilung der Erwerbstätigen 200265 nach Geschlecht Frauen

Männer

Erwerbstätige in Mio.

1,9

2,3

Erwerbstätige in Prozenten

44

56

Welche Auswirkungen die neuen Massnahmen auf Personen ohne Erwerbstätigkeit ­ in der Regel Frauen im Haushalt ­ haben, kann nicht aufgezeigt werden. Bei den Sparmassnahmen sind folgende geschlechtspezifischen Effekte ab Inkrafttreten der 5. IV-Revision zu erwarten: 13 000 Zusatzrenten für Ehemänner und 51 000 Zusatzrenten für Ehefrauen werden aufgehoben. Faktisch bedeutet das, dass Ehefrauen von IV-Rentenbezügern vermutlich vermehrt einer Erwerbstätigkeit nachgehen werden müssen. Der Verzicht auf den Karrierezuschlags betrifft 4300 Neurentner und ebensoviele Neurentnerinnen pro Jahr66. Die Aufhebung der Mindestgarantie im Zusammenhang mit der Anpassung des Taggeldsystems trifft vorwiegend Frauen, die im Haushalt, in der Erziehung und der Betreuungsarbeit oder in Niedriglohnbranchen tätig sind. Ein Teil dieser Frauen könnte neu auf Sozialhilfe angewiesen sein.

Da Frauen im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen die höchste Invaliditätsquote aufweisen (bei ihnen beträgt der Anteil der psychischen Erkrankungen an allen invaliden Frauen 48 Prozent, bei den Männern hingegen nur 39 Prozent; vgl.

Ziff. 1.1.2.2), werden sie ­ sofern sie erwerbstätig sind ­ mehr als Männer zur Klientel der Früherfassung, der Frühintervention sowie der Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die beruflichen Eingliederung gehören.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist im Bericht des Bundesrates über die Legislaturplanung 2003­2007 vom 25. Februar 2004 angekündigt (Anhang 1, Abschnitt 2.1, Soziale Sicherheit und Gesundheit, Rubrik «Richtliniengeschäfte», vgl. BBL 2004 1198).

65 66

Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2004, S. 184.

Quelle: Auswertung IV-Statistik 2004.

4594

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Die in dieser Vorlage vorgeschlagenen Änderungen des IVG, des ATSG und des AHVG gründen auf Artikel 112 BV und decken sich mit dieser Verfassungsbestimmung. Die Revisionsvorlage ist verfassungs- und gesetzeskonform (vgl. hierzu auch Ziff. 5.3).

5.2

Verhältnis zum internationalen Recht

5.2.1

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen

Der Internationale Pakt von 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Pakt I) ist für die Schweiz am 18. September 1992 in Kraft getreten67. In Artikel 9 wird das Recht jeder Person auf soziale Sicherheit, die die Sozialversicherungen einschliesst, anerkannt. Ausserdem hat jeder Vertragsstaat zu gewährleisten, dass die im Pakt verkündeten Rechte ohne jegliche Diskriminierung, insbesondere hinsichtlich der nationalen Herkunft, ausgeübt werden (Art. 2 Abs. 2).

5.2.2

Instrumente der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO)

Die Schweiz hat das Übereinkommen Nr. 128 über Leistungen bei Invalidität und Alter und an Hinterbliebene von 1967 am 13. September 1977 ratifiziert68. Teil II regelt die Leistungen bei Invalidität. Er definiert den gedeckten Schadenfall und bezeichnet den Anteil der zu schützenden Personen, die Voraussetzungen für den Anspruch auf Leistungen, die Höhe dieser Leistungen und die Leistungsdauer.

Die Schweiz hat das Übereinkommen Nr. 159 über die berufliche Rehabilitation und die Beschäftigung der Behinderten von 1983 am 20. Juni 1985 ratifiziert69. Gemäss Übereinkommen hat jedes Mitglied im Einklang mit den innerstaatlichen Verhältnissen, Gepflogenheiten und Möglichkeiten eine innerstaatliche Politik auf dem Gebiet der beruflichen Rehabilitation und der Beschäftigung Behinderter festzulegen, durchzuführen und regelmässig zu überprüfen. Ziel der genannten Politik muss es sein sicherzustellen, dass geeignete Massnahmen der beruflichen Rehabilitation allen Gruppen von Behinderten offen stehen, und Beschäftigungsmöglichkeiten für Behinderte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern.

67 68 69

AS 1993 725, SR 0.103.1 AS 1978 1493, SR 0.831.105 AS 1986 967, SR 0.822.725.9

4595

5.2.3

Instrumente des Europarates

Was die wirtschaftlichen und sozialen Rechte anbelangt, stellt die Europäische Sozialcharta von 1961 das Pendant zur Europäischen Menschenrechtskonvention dar. In Artikel 12 ist das Recht auf soziale Sicherheit verankert. Artikel 15 schreibt vor, dass körperlich, geistig oder seelisch Behinderte ein Anrecht auf eine berufliche Ausbildung sowie auf berufliche und soziale Eingliederung oder Wiedereingliederung haben. Die Schweiz hat die Charta am 6. Mai 1976 unterzeichnet; eine Ratifizierung wurde jedoch 1987 vom Parlament abgelehnt, so dass dieses Übereinkommen für unser Land nicht bindend ist.

Mit der Europäischen Sozialcharta (revidiert) von 1996 wurde der materielle Inhalt der Charta von 1961 aktualisiert und angepasst. Es handelt sich dabei um ein von der Europäischen Sozialcharta gesondertes Abkommen, welches diese nicht aufhebt.

Das Recht auf soziale Sicherheit ist in Artikel 12 enthalten. Artikel 15 hält neu das Recht behinderter Personen auf Eigenständigkeit, soziale Eingliederung und Teilhabe am Leben der Gemeinschaft fest. Die Schweiz hat dieses Instrument nicht ratifiziert.

Die Schweiz hat die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit von 1964 am 16. September 197770 ratifiziert und damit insbesondere den Teil IX betreffend die Leistungen bei Invalidität angenommen. Der Teil IX definiert den gedeckten Schadenfall und bezeichnet den Anteil der zu schützenden Personen, die Voraussetzungen für den Anspruch auf Leistungen, die Höhe dieser Leistungen und die Leistungsdauer. Betreffend die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme sieht die Ordnung vor, dass die Aufwendungen für die Leistungen und die damit zusammenhängenden Verwaltungskosten durch Beiträge oder Steuern oder aus beiden zusammen so zu bestreiten sind, dass Minderbemittelte nicht über Gebühr belastet werden und die wirtschaftliche Lage der Vertragspartei und der geschützten Personengruppen berücksichtigt wird.

Die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit (revidiert) von 1990 ist ebenfalls ein von der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit gesondertes Abkommen und hebt diese nicht auf. Die revidierte Ordnung erweitert gewisse Vorschriften der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit von 1964 und führt parallel dazu eine grössere Flexibilität ein. Da die revidierte Ordnung bisher von keinem Staat ratifiziert wurde, ist sie noch nicht in Kraft getreten.

5.2.4

Vorschriften der Europäischen Gemeinschaft

Das in Artikel 39 des EG-Vertrages verankerte grundlegende Prinzip der Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlangt nach einer Koordination der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit (Art. 42 EG-Vertrag). Dieses Prinzip wird mit der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der

70

AS 1978 1518, SR 0.831.104

4596

einschlägigen Durchführungsverordnung Nr. 574/7271 umgesetzt. Diese beiden Verordnungen bezwecken einzig die Koordination der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit, indem sie sich auf die internationalen Koordinationsgrundsätze stützen: Gleichbehandlung der Staatsangehörigen anderer Vertragsparteien mit den eigenen Staatsangehörigen, Aufrechterhaltung der erworbenen Ansprüche und Auszahlung von Leistungen im ganzen europäischen Raum. Das Gemeinschaftsrecht sieht keine Harmonisierung der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit vor. Die Mitgliedstaaten können die Konzeption, den persönlichen Geltungsbereich, die Finanzierungsmodalitäten und die Organisation ihrer Systeme der sozialen Sicherheit selber festlegen. Seit dem Inkrafttreten des mit der EG und ihren Mitgliedstaaten abgeschlossenen Abkommens über den freien Personenverkehr (1. Juni 2002) nimmt die Schweiz an diesem Koordinationssystem teil. Dieses System kann nur funktionieren, wenn sämtliche Parteien die gleichen Regeln anwenden.

5.2.5

Vereinbarkeit der Vorlage mit dem internationalen Recht

Damit arbeitsunfähige Personen möglichst frühzeitig erfasst und der definitive Ausschluss aus dem Erwerbsleben vermieden werden kann, soll ein System zur Früherfassung und Frühintervention eingeführt werden. Geplant sind neben den bestehenden Eingliederungsmassnahmen auch Integrationsmassnahmen für die berufliche Wiedereingliederung der versicherten Personen. Diese Massnahmen sind mit dem Übereinkommen Nr. 159 der IAO vereinbar, das die zuständigen Stellen verpflichtet, «Massnahmen zu treffen, um Berufsberatungs-, Berufsausbildungs-, Arbeitsvermittlungs-, Beschäftigungs- und andere damit zusammenhängende Dienste bereitzustellen und zu bewerten, damit Behinderte in die Lage versetzt werden, eine Beschäftigung zu finden und beizubehalten sowie beruflich aufzusteigen [...]» (Art. 7). Artikel 13 des Übereinkommens Nr. 128 der IAO sieht ferner vor, dass die Staaten Einrichtungen zur beruflichen Wiedereingliederung bereitzustellen haben, die dazu bestimmt sind, eine invalide Person, wo immer es möglich ist, für die Wiederaufnahme ihrer früheren Tätigkeit oder, wenn dies nicht möglich ist, für eine andere Erwerbstätigkeit vorzubereiten, die ihrer Eignung und ihren Fähigkeiten am besten entspricht, und Massnahmen zu treffen, um die Vermittlung einer geeigneten Beschäftigung für Invalide zu erleichtern.

Zur Schadenminderungspflicht ist in Artikel 32 Absatz f des Übereinkommens Nr. 128 ausdrücklich festgehalten, dass eine Leistung ruhen kann, wenn die betreffende Person es ohne triftigen Grund unterlässt, von den ihr zur Verfügung gestellten Einrichtungen des ärztlichen Dienstes oder des Dienstes für die berufliche Wiedereingliederung Gebrauch zu machen, oder die für die Nachprüfung des Bestehens des Falls oder für das Verhalten der Leistungsempfänger vorgeschriebene Regelung nicht befolgt. Die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit enthält eine vergleichbare Bestimmung (Art. 68 Bst. g).

Bezüglich der Organisation ist im Übereinkommen Nr. 128 folgende Regelung vorgesehen: Wird die Verwaltung eines Zweigs der Sozialen Sicherheit nicht von 71

Kodifiziert durch die Verordnung des Rates Nr. 118/97; ABl Nr. L 28 vom 30.1.1997, S. 1; zuletzt geändert durch die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates Nr. 631/2004, ABl Nr. L 100 vom 6.4.2004, S. 1.

4597

einer nach Weisungen der Behörden tätigen Einrichtung oder von einer einem Parlament verantwortlichen Regierungsstelle wahrgenommen, so sind unter vorgeschriebenen Voraussetzungen Vertreter der geschützten Personen an der Verwaltung zu beteiligen; die innerstaatliche Gesetzgebung kann auch die Mitwirkung von Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitgeberschaft und der Behörden vorsehen (Art. 36). Die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit enthält eine ähnliche Bestimmung (Art. 71 Abs. 1). Die in der vorliegenden Botschaft vorgeschlagene Einrichtung einer Aufsichtskommission ist mit diesen Instrumenten vereinbar.

Die Erhöhung des Beitragssatzes der Versicherten stellt nach Massgabe der Bestimmungen der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit bezüglich der Finanzierung kein Problem dar.

Die Neudefinition des Invaliditätsbegriffs ist hinsichtlich des internationalen Rechts unproblematisch.

Das internationale Recht setzt für die anderen in der vorliegenden Revision behandelten Bereiche keine Normen fest. Die Staaten können diese Aspekte nach eigenem Ermessen regeln.

5.3

Vereinbarkeit mit der Neugestaltung des Finanzausgleichs

Mit der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) sollen die Finanzierung und der Vollzug der individuellen Leistungen der IV Bundessache werden.

Gemäss Artikel 46 Absatz 1 BV setzen die Kantone das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um. Absatz 2 dieses Artikels hält fest, dass der Bund dabei den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit belässt. Mit Einführung des neuen, im Rahmen der NFA vom Parlament verabschiedeten Artikels 5a BV wurde das Subsidiaritätsprinzip ausdrücklich in der Verfassung verankert. Dem Grundsatz der Subsidiarität im Bundesstaat liegt die Idee zu Grunde, dass der Bund nicht Aufgaben an sich ziehen soll, welche die Gliedstaaten ebenso gut erfüllen können, für die es also keinen zwingenden Grund zur bundesweiten Vereinheitlichung gibt. Aus diesen Verfassungsbestimmungen folgt, dass die Kompetenz zum Vollzug des Bundesrechts grundsätzlich bei den Kantonen liegt.

Gemäss dem neuen Artikel 54 sorgt der Bund für die Errichtung kantonaler IV-Stellen. Die neu zu errichtende Aufsichtskommission soll hierzu mit den Kantonen Vereinbarungen über die Errichtung der jeweiligen IV-Stellen abschliessen (vgl.

Ziff. 1.6.4.1). Nach Artikel 64 IVG überwacht der Bund den Vollzug des Gesetzes durch die IV-Stellen. Die Aufsichtskompetenzen des Bundes werden im Rahmen der vorliegenden Revision verstärkt (vgl. Ziff. 1.6.4.2). Die vorgeschlagenen Gesetzesanpassungen stehen insgesamt im Einklang mit der NFA.

5.4

Erlassform

Nach Artikel 164 Absatz 1 BV sind alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen. Die vorliegende Änderung des IVG erfolgt demzufolge im normalen Gesetzgebungsverfahren.

4598

5.5

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die zur Durchführung der IV und der AHV erforderlichen Regelungskompetenzen werden wie üblich an den Bundesrat delegiert. Im Einzelnen kann er zusätzlich zu seinen bestehenden Kompetenzen neu in folgenden Bereichen Bestimmungen erlassen: ­

Früherfassung: Möglichkeit, eine Mindestdauer der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für die Meldung festzulegen und weitere Vorschriften bezüglich der Meldung zu erlassen (Art. 3b Abs. 4 IVG);

­

Massnahmen der Frühintervention: Möglichkeit, den Katalog der Massnahmen der Frühintervention zu erweitern; Regelung der Dauer der Frühinterventionsphase und der Höchstgrenze des Betrages, welcher pro versicherte Person für Frühinterventionsmassnahmen eingesetzt werden darf (Art. 7c Abs. 4 IVG);

­

Entschädigung für Betreuungskosten: Festsetzung des Höchstbetrages der Entschädigung (Art. 11a Abs. 3 IVG);

­

Krankheits- oder invaliditätsbedingte Beitragserhöhungen der beruflichen Vorsorge und der Krankentaggeldversicherung an einem im Rahmen der Arbeitsvermittlung gefundenen Arbeitsplatz: Möglichkeit vorzusehen, dass die Versicherung diese Beitragserhöhungen während einer bestimmten Zeit übernimmt (Art. 18a Abs. 6 IVG);

­

Bemessung der Invalidität: Umschreibung der massgebenden Erwerbseinkommen (Art. 28a Abs. 1 IVG);

­

Organisation der Versicherung: Möglichkeit der Übertragung von klar definierten Durchführungsaufgaben an das Bundesamt (Art. 53 IVG).

Folgende Rechtssetzungskompetenz wird an das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) delegiert: ­

Kostenvergütung: Bestimmung der anrechenbaren Kosten des Bundesamtes und der Aufsichtskommission (Art. 67 Abs. 2 IVG).

4599

10 995 11 559 11 723 12 030 12 124 12 465 12 482

101 164 195 280 327 378 513

11 096 11 723 11 918 12 310 12 451 12 843 12 995

4600

Rentenanpassungen: 2005, 2007, 2009

ab 2010 3,0 2,0

3 963 3 994 4 034 4 075 4 110 4 152 4 192

Beiträge und Regress

Geltende Ordnung

Total

Einnahmen

Ausgaben

Annahmen über die wirtschafliche Entwicklung in Prozenten: 2005 2006 2007 bis 2009 Jahr Nominallohn 1,4 1,8 2,3 Preis 1,2 1,1 1,5

2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

Jahr

Beträge in Millionen Franken

Zinsen

5 548 5 861 5 959 6 154 6 225 6 421 6 498

Öffentliche Hand

0 0 0 0 0 0 0

Ertrag Anlagen

IV-Finanzhaushalt ohne 5. IV-Revision und ohne Zusatzfinanzierung

Abrechnung 2004

9 511 9 855 9 993 10 229 10 335 10 573 10 690

Total

-1 585 -1 868 -1 925 -2 081 -2 116 -2 270 -2 305

Jährliche Veränderung

-6 035 -7 903 -9 742 -11 679 -13 622 -15 691 -17 688

Stand Ende Jahr

Kapitalkonto der IV

BSV / 10.6.2005

-54,4 -67,4 -81,7 -94,9 -109,4 -122,2 -136,1

in Prozenten der Ausgaben

zu Preisen von 2005

Tabelle 1

Anhang

4601

10 995 11 559 11 723 12 030 12 123 12 466 12 483 12 856 12 860 13 256 13 250 13 658 13 640 14 048 14 005 14 375 14 291 14 668 14 555 14 882 14 733 15 031

- 237 - 73 - 83 - 141 - 224 - 282 - 374 - 431 - 530 - 585 - 689 - 741 - 846 - 894 -1 009 -1 051 -1 161 -1 195 -1 305

101 164 195 275 293 286 323 305 285 266 244 224 201 180 158 137 114 92 69 46 21 0

11 096 11 723 11 918 12 068 12 343 12 669 12 665 12 937 12 863 13 148 13 063 13 352 13 256 13 539 13 422 13 666 13 511 13 751 13 573 13 767 13 559 13 726

Rentenanpassungen: alle zwei Jahre

3 963 3 994 4 034 4 356 4 392 4 436 4 480 4 530 4 572 4 620 4 659 4 706 4 743 4 786 4 818 4 859 4 886 4 920 4 941 4 970 4 987 5 011

Beiträge und Regress 1)

Total

Geltende Ordnung

Zinsen

Einnahmen

Ausgaben

Annahmen über die wirtschafliche Entwicklung in Prozenten: Jahr 2005 2006 2007-2009 ab 2010 Nominallohn 1,4 1,8 2,3 3,0 Preis 1,2 1,1 1,5 2,0

2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025

Jahr

Beträge in Millionen Franken

5. IVRevision

0 1 748 2 375 2 399 2 424 2 447 2 470 2 492 2 514 2 535 2 554 2 574 2 593 2 610 2 624 2 638 2 651 2 662 2 672

Mehrwertsteuer 2)

IV-Finanzhaushalt mit 5. IV-Revision und Mehrwertsteuer

Abrechnung 2004 - ohne NFA

5 548 5 861 5 959 6 034 6 096 6 258 6 256 6 390 6 354 6 574 6 531 6 675 6 628 6 769 6 711 6 832 6 755 6 875 6 786 6 883 6 779 6 863

Öffentliche Hand 3)

9 511 9 855 9 993 10 390 12 236 13 069 13 135 13 344 13 373 13 664 13 682 13 895 13 906 14 109 14 103 14 284 14 251 14 419 14 365 14 504 14 428 14 551

-1 585 -1 868 -1 925 -1 678 - 107 400 470 407 510 516 619 543 650 570 681 618 740 668 792 737 869 825

Jährliche Veränderung

-6 035 -7 903 -9 742 -11 276 -11 216 -10 650 -9 971 -9 368 -8 674 -7 988 -7 212 -6 528 -5 750 -5 067 -4 287 -3 585 -2 775 -2 053 -1 221 - 460 418 1 235

Stand Ende Jahr

-54,4 -67,4 -81,7 -93,4 -90,9 -84,1 -78,7 -72,4 -67,4 -60,8 -55,2 -48,9 -43,4 -37,4 -31,9 -26,2 -20,5 -14,9 -9,0 -3,3 3,1 9,0

in Prozenten der Ausgaben

zu Preisen von 2005

1) 1.1.2007: Beitragssatzerhöhung von 1,4 auf 1,5 Prozent 2) Erhöhung der Mehrwertsteuer (linear), ohne Anteil Bund 1.1.2008: 0,8 Prozentpunkte 3) 1.1.2008: Herabsetzung Beitragssatz Bund von 37,5 auf 36,9 Prozent BSV / 10.6.2005 bis und mit Jahr 2012

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 5

Ertrag Total Anlagen

Kapitalkonto der IV

Tabelle 2

4602