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Aus den Verhandlungen des .Schweiz. Bundesrathes,

(Vom 11. Dezember 1874.)

Der Bundesrath hat sich veranlaßt gesehen, in Betreff der H a n d e l s - und G e w e r b e f r e i h e i t das nachstehende Kreisschreiben an sämmtliche Kantonsregierungen zu erlassen.

,,Getreue, liebe Eidgenossen !

,,Seit der Annahme der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 sind uns eine Reihe Beschwerden über Beeinträchtigung des im Art. 31 derselben gewährleisteten Grundsazes der Haudels- und Gewerbefreiheit durch Anwendung von kantonalgesezlichen Bestimmungen zugegangen, welche einerseits die Ertheilung von Wirthschaftsbewilligungen einzig nach Maßgabe des durch Bevölkerung und Verkehr der Ortschaften sich ergebenden öffentlichen Bedürfnisses gestatten, beziehungsweise auf die sogenannte Normalzahl beschränken, andererseits die Betreibung des Hausirhandels, -- mit einzelnen bestimmten Ausnahmen -- verbieten.

,,Wir haben über die hiebei in Betracht zu ziehenden Verhältnisse durch unser Eisenbahn- und Handelsdepartement nähere Erhebungen für das Gesammtgebiet der Eidgenossenschaft pflegen lassen und nach einläßlicher Prüfung der daherigen Ergebnisse jene Beschwerden insoweit für begründet, die in Rede stehenden Beschränkungen aber für unvereinbar mit dem durch die Bundesverfassung aufgestellten Grundsaze der Handels- und Gewerbefreiheit befunden, als ,,1) die Bewilligung zur Errichtung von Wirthschaften nicht von dem vorhandenen öffentlichen Bedürfniß abhängig gemacht werden darf, ,,2) die auf das allgemeine gesezliche Verbot des Hausirhandels abstellende Patentverweigerung unzuläßig und das Verbot selbst unhaltbar erscheint.

889 ,,Dieser Entscheid gründet wesentlich auf folgenden Erwägungen : ,,Zu 1.

,,Die Beschränkung der Wirthschaften auf eine Normalzahl ist neben dem im Artikel 31 der Bundesverfassung gegebenen Grundsaz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht mehr haltbar; denn wenn man sich nicht fernerhin auf den veralteten Standpunkt stellen will, daß der Staat bevormundend auch da für seine Bürger zu sorgen habe, wo ein Thun oder Lassen ganz von ihrem freien Willen abhängt, so wird man ihm auch nicht das Recht und die Pflicht zuschreiben wollen, die Zahl der Wirthschaften in dieser Weise willkürlich zu beschränken. Damit ist immerhin nicht ausgeschlossen, daß wo rein polizeiliche Rüksichten die Schließung oder Verweigerung einer Wirthschaft erfordern (z. B. wenn dieselbe der Unsittlichkeit oder Ruhestörungen Vorschub leisten würde), die kantonalen Behörden in dieser Richtung eine Beschränkung der Gewerbefreiheit eintreten lassen können.

,,Zu 2.

,,Die Ansicht, daß der angeführte Art. 31 bloß redaktionnelle Aenderungen des Art. 29 der Bundesverfassung von 1848 enthalte, muß als unrichtig bezeichnet werden, indem der erstere den Grundsaz dei Handels- und Gewerbefreiheit in seinem Eingange ausdrüklich anerkennt und gewährleistet und nach Aufzählung der den Kantonen noch zustehen den Beschränkungen dessen Unverlezlichkeit nochmals bestätigt, während der alte Verfassungsartikel diesen Grundsaz nirgends ausspricht, namentlich auch nicht die Einschränkungsbefugniss der Kantone von der Beachtung desselben abhängig macht. Daraus also, daß unter der frühem Bundesverfassung unsererseits Geseze und Verordnungen über Beschränkung oder Untersagung des Hausirhandels genehmigt worden sind, folgt keineswegs deren Vereinbarkeit mit der neuen. freiheitlichem Bundesverfassung, sondern es ist solche erst noch besonders zu untersuchen. Dabei ist allerdings nicht zu verkennen, daß gerade der Hausirhandel in verschiedenen Richtungen besondererUeber-wachung von Seite des Staates bedarf. Es rechtfertigt sich z. B.

vollkommen, den Hausirhandel mit leichtentzündlichenn Stoffen und mit Giften zu verbieten, und ebenso müßte es als durchaus zuläßig erscheinen, einem gemeinschädlichen Menschen, einem mit einer ekelhaften undanstekenden Krankheit Behafteten das Patent zu verweigern oder zu entziehen. Eingrundsäzliches und allgemeines Verbot
des Hausirhandels aber rechtfertigt sich nicht, da genügende Gründe des öffentlichen Wohles dafür nicht sprechen, zumal beispielsweise dem Eindringen in ein Haus wider den Willen des Besizers durch polizeiliche und strafrechtliche Bestimmungen Bundesblatt. Jahrg. XXVI. Bd. III.

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890 gegen Verlezung des Hausrechtes genügend entgegengewirkt werden kann.

,,Bei der allgemeinen Bedeutung unseres Entscheides über die Anwendung des Art. 31 der Bundesverfassung in den vorerwähnten Rekursfällen erachten wir es für angemessen, die Schlußnahme, sowie deren Begründung sämmtlichen Kantonsregierungen zur Kenntniß zu bringen, wobei wir den Anlaß benuzen, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, nebst uns in Gottes Machtschuz zu empfehlen."

(Vom 14. Dezember 1874.)

Der Bundesrath ermächtigte sein Post- und Telegraphendepartement zum Abschluß eines Vertrags mit der Regierung des Kantons Aargau über Erstellung eines eidg. Telegraphenbüreau in Hägglingen.

Vom Bundesrathe sind gewählt worden: (am 14. Dezember 1874) als Postkommis in Basel: Hr. Albert S e h a ü b , Postgehilfe, von und in Basel; ,, ,, ,, St. Gallen: ,, Andreas Ru p p an n er, ßezirksamtschrciber, von und in Altstätten ; ,, Telegraphist in Affoltern a/A. : ,, Kaspar L o o s e r , von Neßlau (St. Gallen), Posthalter in Affoltern a/A ; (am 16. Dezember 1874) als Postkommis in St. Croix: Frau Elise J u n o d - A d d o r , von und in St. Croix (Waadt); ,, Posthalter in Muttenz : Hr. Johannes I s e 1 i n , Eisenbahnstations-Einnehmer, von und in Muttenz (Basel-Landschaft) ; ,, Posthalterin in Rüeggisberg : Frau Margaretha K r e b s , Telegraphistin, von und in Rüeggisberg (Bern) ; (am 18. Dezember 1874) als Posthalter in Niederschönthal: Hr. Reinhard W a g n e r , von Reigoldswyl (Basel-Landschaft); bisher Posthalter und Eisenbahnstations-Einnehmer in Muttenz.

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