BBl 2024 www.fedlex.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

Archivierung und Ablage von Dokumenten sowie Verfahren bei Zugangsgesuchen nach BGÖ: allgemeine Abklärungen zu den Vorgaben und im Kontext des Vorwurfes von nicht auffindbaren E-Mails im GS-EDI Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 10. Oktober 2023 Stellungnahme des Bundesrates vom 10. Januar 2024

Sehr geehrter Herr Kommissionspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 10. Oktober 20231 betreffend «Archivierung und Ablage von Dokumenten sowie Verfahren bei Zugangsgesuchen nach BGÖ: allgemeine Abklärungen zu den Vorgaben und im Kontext des Vorwurfes von nicht auffindbaren E-Mails im GS-EDI» nehmen wir nach Artikel 158 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Kommissionspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

10. Januar 2024

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Viola Amherd Der Bundeskanzler: Viktor Rossi

1

BBl 2023 2703

2024-0101

BBl 2024 83

BBl 2024 83

Stellungnahme 1

Ausgangslage

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) beschloss am 6. Juli 2022, dem in einem Zeitungsartikel vom 14. Juni 2022 erhobenen Vorwurf nachzugehen, dass im Zusammenhang mit der versuchten Erpressung von Bundesrat Alain Berset verschiedene E-Mails im Generalsekretariat des EDI (GS-EDI) nicht mehr auffindbar gewesen bzw. gelöscht worden seien. Dieser Sachverhalt sei Gegenstand eines Schlichtungsverfahrens nach dem Öffentlichkeitsgesetz vom 17. Dezember 20042 (BGÖ) vor dem Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB).

In der Folge beauftragte die GPK-S ihre Subkommission EJPD/BK, in genereller Weise sowie im konkreten Einzelfall abzuklären, welche Vorgaben zur Aufbewahrung und Archivierung von Unterlagen in der Bundesverwaltung existieren und welche Dokumente in Anwendung des BGÖ zugänglich gemacht werden müssen.

Am 10. Oktober 2023 verabschiedete die GPK-S ihren Bericht. Darin setzte sie sich eingehend mit den gesetzlichen Grundlagen zur Ablage und Archivierung von Unterlagen sowie zum Zugang zu amtlichen Dokumenten auseinander. Sie untersuchte insbesondere die Bestimmungen des Archivierungsgesetzes vom 26. Juni 19983 (BGA) und der dazugehörigen Archivierungsverordnung vom 8. September 19994 (VBGA), der GEVER-Verordnung vom 3. April 20195 und der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 19986 (RVOV) sowie des BGÖ und der Öffentlichkeitsverordnung vom 24. Mai 20067 (VBGÖ). Die GPK-S stellte fest, dass sich die erwähnten Erlasse nicht nur in Bezug auf die Begrifflichkeiten, sondern auch hinsichtlich Zielsetzung, Regelungsgegenstand und Geltungsbereich unterscheiden.

Einheitliche Vorgaben, die für alle relevanten Erlasse und denkbaren Sachverhalte gleichermassen Gültigkeit beanspruchen, seien dadurch erschwert. In Bezug auf die Ablage und die Archivierung von Unterlagen sowie den Zugang zu amtlichen Dokumenten richtete die GPK-S fünf allgemeine Empfehlungen an den Bundesrat (nachfolgend Ziff. 2.1 bis 2.5).

Des Weiteren klärte die GPK-S konkret ab, ob beim EDI im Zusammenhang mit der versuchten Erpressung von Bundesrat Alain Berset Daten oder Dokumente vernichtet wurden, die abgelegt oder archiviert hätten werden müssen. Diesbezüglich kam die Kommission zum Schluss, dass nicht abschliessend beurteilt werden könne, in welchem Umfang die
nicht auffindbaren E-Mails existiert haben und ob ein Teil davon gegebenenfalls vernichtet worden sei. Gemäss Einschätzung der GPK-S sei davon auszugehen, dass die fraglichen E-Mails nicht nur privater Natur gewesen seien, sondern auch einen Bezug zum Amt des Departementsvorstehers gehabt hätten und die 2 3 4 5 6 7

2/6

SR 152.3 SR 152.1 SR 152.11 SR 172.010.441 SR 172.010.1 SR 152.31

BBl 2024 83

Geschäftsrelevanz deshalb zu bejahen sein dürfte. Die Archivwürdigkeit der Unterlagen konnte die Kommission dagegen nicht abschliessend beurteilen. Schliesslich hielt die GPK-S fest, dass das GS-EDI durch seine Weigerung, dem EDÖB die Einsicht in die Dokumente zu gewähren, seinen rechtlichen Verpflichtungen nach BGÖ nicht nachgekommen sei (nachfolgend Ziff. 2.6).

Mit Schreiben vom 10. Oktober 2023 ersuchte die GPK-S den Bundesrat, bis am 11. Januar 2024 Stellung zu ihrem Bericht zu nehmen.

2

Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat ist sich bewusst, dass die Aufbewahrung und Archivierung von Unterlagen sowie die Gewährleistung des Zugangs zu amtlichen Dokumenten der Bundesverwaltung für die Nachvollziehbarkeit und die Transparenz des Verwaltungshandelns zentral ist. Er begrüsst die Bemühungen der GPK-S, die einschlägigen gesetzlichen Grundlagen und deren Verhältnis zueinander zu klären und ­ wo nötig ­ Verbesserungspotenzial in der praktischen Umsetzung zu prüfen. Zu den Schlussfolgerungen und Empfehlungen des Berichts der GPK-S nimmt er wie folgt Stellung:

2.1

Empfehlung 1: Überprüfung des Verhältnisses zwischen BGA und BGÖ

Empfehlung 1: Die GPK-S lädt den Bundesrat ein zu prüfen, ob Anpassungen der gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf das Einsichtsrecht zu Dokumenten notwendig sind, die sowohl einen Bezug zum Amt wie auch den privaten Bereich tangieren, insbesondere auch im Hinblick auf Magistratspersonen.

Die GPK-S hält in ihrem Bericht fest, dass private Angelegenheiten nicht immer klar von der Amts- bzw. Behördentätigkeit getrennt werden können. Sie weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass sich Probleme primär in Situationen stellen, in denen ein Sachverhalt aus unterschiedlicher Perspektive beurteilt wird, wenn beispielsweise für archivierte Unterlagen sowohl das BGA als auch das BGÖ anwendbar sind. Der Bundesrat ist mit der Empfehlung 1 einverstanden und hat das EJPD beauftragt, zusammen mit den weiteren mitinteressierten Stellen die entsprechende Prüfung bis Ende 2024 durchzuführen.

2.2

Empfehlung 2: Regelung bei Weggang von Mitarbeitenden

Empfehlung 2: Die GPK-S lädt den Bundesrat ein zu prüfen, ob im Falle der Beendigung der Anstellung beim Bund für die betroffenen Personen, insbesondere in höheren Kaderfunktionen, besondere Massnahmen im Hinblick auf die Einhaltung der Aufbewahrungs- und Archivierungspflicht sinnvoll sind.

Der Bundesrat ist mit der Empfehlung 2 einverstanden. Zwar sind die Mitarbeitenden der Bundesverwaltung dazu angehalten, geschäftsrelevante Informationen bereits 3/6

BBl 2024 83

während ihrer Anstellung regelmässig abzulegen. Bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommt der korrekten und vollständigen Ablage jedoch eine besondere Bedeutung zu, zumal keine übergeordnete Kontrolle vorgesehen ist. Der Bundesrat hat das EJPD beauftragt, in Zusammenarbeit mit den weiteren mitinteressierten Stellen bis Ende 2024 zu prüfen, ob bei der Beendigung der Anstellung in der Bundesverwaltung ­ namentlich für höhere Kaderfunktionen ­ besondere Massnahmen betreffend die Einhaltung der Ablage- und Archivierungspflicht sinnvoll sind. Zu denken ist etwa an Sensibilisierungsmassnahmen. Der Bundesrat weist im Übrigen darauf hin, dass bezüglich der Archivierung der Handakten von Magistratspersonen und Topkadern der Bundesverwaltung bereits Merkblätter des Bundesarchivs bestehen.8

2.3

Empfehlung 3: Zugriff auf gelöschte elektronische Dokumente

Empfehlung 3: Die GPK-S lädt den Bundesrat ein, die Möglichkeit zu prüfen, dass bei Weggang von Mitarbeitenden elektronische Daten länger verfügbar sind, um diese wiederherstellen zu können.

Die GPK-S hält in ihrem Bericht fest, dass gelöschte E-Mails von Mitarbeitenden der Bundesverwaltung nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses während einer Dauer von 135 Tagen bzw. 4 ½ Monaten wiederhergestellt werden können. Die GPK-S erachtet diese Frist als relativ kurz, da die Archivwürdigkeit oder Geschäftsrelevanz je nach hierarchischer Position einer oder eines Mitarbeitenden erst nach einer gewissen Zeit ersichtlich werde. Der Bundesrat hat das EJPD beauftragt, in Zusammenarbeit mit den weiteren mitinteressierten Stellen bis Ende 2024 zu prüfen, ob die genannte Frist verlängert werden soll bzw. kann, damit die elektronischen Daten ausgeschiedener Mitarbeitenden länger verfügbar sind. Dabei ist zu beachten, dass insbesondere technische oder datenschutzrechtliche Gründe einer längeren Wiederherstellungsfrist entgegenstehen könnten. Die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen muss gewährleistet sein. So verlangt unter anderem Artikel 6 Absatz 4 des Datenschutzgesetzes vom 25. September 20209 (DSG), dass Personendaten vernichtet oder anonymisiert werden, sobald sie zum Zweck der Bearbeitung nicht mehr erforderlich sind. In die Prüfung der Empfehlung 3 sind schliesslich auch die Auswirkungen auf die IT-Kosten miteinzubeziehen.

8

9

4/6

Merkblätter des Bundesarchivs «Handakten und Privatarchive von Magistratspersonen des Bundes» und «Handakten und Privatarchive für Topkader der Bundesverwaltung», abrufbar unter: www.bar.admin.ch > Infomanagement > Archivwürdigkeit > Dokumente.

SR 235.1

BBl 2024 83

2.4

Empfehlung 4: Klärung des sachlichen Anwendungsbereichs

Empfehlung 4: Die GPK-S lädt den Bundesrat ein zu prüfen, ob das BGÖ auch auf abgeschlossene Strafverfahren anwendbar ist bzw. sein sollte und gegebenenfalls bei der nächsten Revision präzisiert werden sollte.

Die GPK-S weist in ihrem Bericht zurecht darauf hin, dass Uneinigkeit darüber besteht, ob abgeschlossene Strafverfahren vom Anwendungsbereich des BGÖ ausgenommen sind. In der Botschaft des Bundesrates vom 12. Februar 200310 zum Öffentlichkeitsgesetz heisst es zwar, dass Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a BGÖ, welcher verschiedene Arten von Verfahren der Zivil-, Straf- und Verwaltungsrechtspflege vom sachlichen Geltungsbereich des BGÖ ausnimmt, nicht nur die hängigen, sondern auch die abgeschlossenen Verfahren erfasst.11 Diese Auslegung wird jedoch von einem Teil der Lehre kritisiert.12 Die Rechtsprechung hat die Frage ebenfalls noch nicht umfassend, sondern erst in einzelnen Aspekten geklärt. So hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Leiturteil aus dem Jahr 2016 festgehalten, dass die für Strafverfahren vorgesehene Ausnahme vom Öffentlichkeitsprinzip bei Dokumenten, die Umweltinformationen im Sinne der Aarhus-Konvention13 enthalten, nur bei hängigen Verfahren gilt. Betreffend den Zugang zu amtlichen Dokumenten mit Angaben, welche nicht den Zustand der Umwelt betreffen, hat das Bundesverwaltungsgericht die Frage jedoch ausdrücklich offengelassen.14 Des Weiteren hat das Bundesgericht entschieden, dass Dokumente, die ausserhalb eines Gerichtsverfahrens erstellt wurden und sich in den Verfahrensakten im weiteren Sinn befinden, nach den Bestimmungen über das Öffentlichkeitsprinzip zugänglich bleiben. Auf Dokumente, deren Erstellung im Rahmen eines Gerichtsverfahrens ausdrücklich angeordnet wurde, kommen die Bestimmungen des BGÖ gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung dagegen nicht zur Anwendung.15 Vor diesem Hintergrund ist der Bundesrat mit der Empfehlung 4 einverstanden und hat das EJPD zusammen mit den weiteren mitinteressierten Stellen mit der Prüfung dieser Angelegenheit bis Ende 2024 beauftragt.

10 11 12

13

14 15

BBl 2003 1963 BBl 2003 1963, hier 1989. Siehe auch BGE 147 I 463 E. 3.2.

Siehe insbesondere RAINER J. SCHWEIZER / NINA WIDMER, in: STEPHAN C. BRUNNER / LUZIUS MADER (Hrsg.), Stämpflis Handkommentar zum Öffentlichkeitsgesetz, Bern 2008, Art. 3 BGÖ N 12.

Übereinkommen vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (SR 0.814.07).

Vgl. BVGE 2016/9 E. 7.5 und 7.6.

Vgl. BGE 147 I 47 E. 3.4. Siehe auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-3297/2021 vom 20. Januar 2023 E. 4.4.3.4.

5/6

BBl 2024 83

2.5

Empfehlung 5: Interventions- oder Verfügungsrecht des EDÖB

Empfehlung 5: Die GPK-S lädt den Bundesrat ein, eine Änderung des BGÖ zu prüfen, wonach dem EDÖB ein Interventions- oder Verfügungsrecht eingeräumt wird, wenn sein Einsichtsrecht nicht respektiert wird.

Nach Artikel 20 Absatz 1 BGÖ hat der EDÖB im Rahmen des Schlichtungsverfahrens Zugang zu amtlichen Dokumenten, auch wenn diese der Geheimhaltung unterliegen. Die Behörden sind verpflichtet, ihm die für das Schlichtungsverfahren erforderlichen Dokumente zuzustellen (Art. 12b Abs. 1 Bst. b VBGÖ). Die GPK-S erachtet dieses Einsichtsrecht des EDÖB als eine notwendige Voraussetzung für die Ausübung der Schlichtungstätigkeit. Nur so könne der EDÖB beurteilen, ob eine Behörde den Zugang zu amtlichen Dokumenten zu Recht (ganz oder teilweise) verweigere. Die GPK-S kritisiert, dass im BGÖ ein Instrument fehle, mit welchem der EDÖB sein Einsichtsrecht durchsetzen könne, wenn sich eine Behörde weigere, am Schlichtungsverfahren mitzuwirken.

Der Bundesrat ist mit der Empfehlung 5 teilweise einverstanden. Er weist jedoch darauf hin, dass der EDÖB im Bereich des Öffentlichkeitsrechts keine Aufsichts-, sondern eine Schlichtungsfunktion wahrnimmt. Wie die GPK-S in ihrem Bericht festhält, handelt es sich beim Schlichtungsverfahren um ein formloses, unpräjudizielles und informelles Verfahren, weshalb dem EDÖB darin keine Verfügungskompetenz zukommen kann. Des Weiteren ist der Bundesrat der Ansicht, dass der EDÖB auf die Einsichtnahme verzichten kann, wenn der Zugang zu einem amtlichen Dokument von vornherein ausgeschlossen ist, wie zum Beispiel im Falle eines Gesuchs um Zugang zu einem unterzeichneten Antrag oder Aussprachepapier an den Bundesrat oder zu einem Dokument der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht bzw. der Nationalbank.16 Im Übrigen ist der Bundesrat aber bereit, im Sinne der Empfehlung 5 allfällige Interventionsmöglichkeiten des EDÖB zu prüfen, wenn dessen Einsichtsrecht nicht gewahrt wird. Der Bundesrat hat das EJPD beauftragt, zusammen mit den übrigen Departementen und der BK die entsprechenden Abklärungen bis Ende 2024 durchzuführen.

2.6

Schlussfolgerung: Ablage der nicht auffindbaren E-Mails im GS-EDI

Der Bundesrat nimmt die Schlussfolgerungen der GPK-S zur Ablage der nicht auffindbaren E-Mails im GS-EDI zur Kenntnis.

16

6/6

Vgl. dazu die Aktennotiz des BJ vom 8. März 2023 «Questions diverses relatives à la procédure de médiation LTrans», abrufbar unter: www.bj.admin.ch > Staat & Bürger > Zugang zu amtlichen Dokumenten > Umsetzung des Öffentlichkeitsgesetzes > Dokumentation zur Umsetzung.