02.403 Parlamentarische Initiative Neuorganisation des Strategischen Nachrichtendienstes und Schaffung einer parlamentarischen Kontrollinstanz Bericht der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates vom 11. Januar 2005

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, Mit dem vorliegenden Bericht unterbreiten wir Ihnen unsere Überlegungen zur Lage und Neuorganisation der Nachrichtendienste der Schweiz, zur politischen Kontrolle der Nachrichtendienste sowie den Text einer Motion. Die Kommission beantragt, vom vorliegenden Bericht Kenntnis zu nehmen, die Initiative Lalive d'Epinay abzuschreiben und die Motion anzunehmen.

11. Januar 2005

Im Namen der Kommission Der Präsident: Eduard Engelberger

2005-0538

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Übersicht Am 4. März 2002 reichte Nationalrätin Maya Lalive d'Epinay eine parlamentarische Initiative ein, welche eine Neuorganisation des Strategischen Nachrichtendienstes fordert, damit dieser den neuen Herausforderungen, die aus der sich wandelnden Bedrohungssituation resultieren, jederzeit zu genügen vermag. Ausserdem fordert die Initiative die Schaffung einer mit den notwendigen Kompetenzen ausgestatteten und aus beiden Räten besetzten parlamentarischen Kommission Nachrichtendienst.

Ein Jahr später beantragte die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates (SiK-NR), der Initiative Folge zu geben. Am 23. September 2003 behandelte der Nationalrat die parlamentarische Initiative und beschloss, ihr im Sinne der Empfehlungen der SiK-NR Folge zu geben. Damit beauftragte der Nationalrat die Kommission mit der Prüfung folgender Möglichkeiten: Stärkung der Position des Nachrichtendienstkoordinators, Aufwertung der PRIOS-Liste, Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit der Nachrichtendienste und Schaffung einer aus beiden Räten besetzten unabhängigen Kommission Nachrichtendienst.

Die Anforderungen an ein modernes nachrichtendienstliches System haben sich in den letzten fünfzehn Jahren grundlegend verändert. Sicherheitsprobleme von heute machen nicht an den Landesgrenzen Halt, und so kann Sicherheit nicht mehr eindimensional gesehen werden. Die innen- und die aussenpolitische Dimension der Sicherheit sind untrennbar miteinander verbunden.

Die Arbeiten der zweiten Phase zeigten, dass das gegenwärtige System der Schweizer Nachrichtendienste in einer Sackgasse steckt. Politische Führung, Auftragserteilung und Koordination der Nachrichtendienste im Rahmen einer nationalen Nachrichtenpolitik lassen zu wünschen übrig. Der Informationsfluss ist mangelhaft und die Nachrichtenanalyse, die einen globalen Lageüberblick vermitteln sollte, unzureichend. Der konkrete Beitrag der Nachrichtendienste zur Landessicherheit kann somit nicht definiert werden.

Die Kommission stellte überdies fest, dass es bei den rechtlichen Grundlagen, welche das nachrichtendienstliche System, die verschiedenen Nachrichtendienste, ihre Zusammenarbeit und den Informationsaustausch regeln, Probleme gibt. Diese rechtlichen Grundlagen sind nämlich je nach Nachrichtendienst unterschiedlich.

Ausserdem sind zentrale Aspekte nur in
Weisungen geregelt, die eine sehr schwache politische Legitimation darstellen. Dies ist nach Ansicht der Kommission unbefriedigend und erschwert sowohl die Kontrolle durch die Exekutive als auch die parlamentarische Oberaufsicht.

Die zusätzlichen Arbeiten der SiK-NR ermöglichten die Klärung der Fragen zur politischen Kontrolle über die Nachrichtendienste. Die Kommission gelangte zum Schluss, dass die Kontrolle in erster Linie Aufgabe der Exekutive sei. Deshalb spricht sie sich ausdrücklich für eine Stärkung der verwaltungsinternen Kontrollmechanismen aus. Die Kontrolle durch die Bundesversammlung soll sich ihrer Meinung nach auf die Tätigkeit der parlamentarischen Oberaufsicht konzentrieren und

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darf keinen Ersatz darstellen für die direkte politische Kontrolle durch die Exekutive. Des Weiteren ist die Kommission der Ansicht, dass das parlamentarische Kontrollsystem der Schweiz im internationalen Vergleich relativ gut abschneidet.

Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) verfügt über ausreichende Kompetenzen.

In Übereinstimmung mit ihrem Mandat prüft die Delegation die Gesetzmässigkeit und führt die finanzielle Kontrolle über die Nachrichtendienste durch. Obwohl die Prüfung der Gesetzmässigkeit nach wie vor die Kernaufgabe bildet, widmet sich die GPDel zunehmend auch der Qualitäts- und Wirksamkeitskontrolle.

Aus diesen Gründen ist die Kommission der Meinung, dass die politische Führung der Nachrichtendienste nur mit Hilfe substanzieller Verbesserungen gestärkt werden kann. Sie schlägt die drei folgenden Massnahmenbereiche vor: 1.

Stärkung der politischen Führung der Nachrichtendienste durch den Sicherheitsausschuss des Bundesrates. Diese Stärkung soll insbesondere folgende Aspekte umfassen: Formulierung einer umfassenden Nachrichtendienstpolitik durch den Bundesrat, Festlegung der Prioritäten der Informationsbeschaffung im Rahmen einer Mehrjahresplanung, sowie eine zusätzliche kurzfristige Planung, eine gestraffte und kontinuierliche Führung der Nachrichtendienste, Unterstellung des Nachrichtendienstkoordinators unter den Vorsitzenden des Sicherheitsausschusses des Bundesrates sowie Nominierung desselben zum Stabschef dieses Ausschusses mit Weisungsrecht.

2.

Harmonisierte, vereinheitlichte Gesetzesgrundlagen für die Schaffung eines veritablen nachrichtendienstlichen Systems (siehe beiliegende Motion). Mit dieser Gesetzgebung sollen insbesondere folgende Aspekte festgelegt werden: Ziele der nachrichtendienstlichen Tätigkeiten, Beitrag des nachrichtendienstlichen Systems an die Sicherheit des Landes, wichtigste Elemente dieses Systems, Planung und Mechanismen der Nachrichtenbeschaffung, Analyse der Nachrichten, Zusammenarbeit mit Partnerdiensten sowie Kontrollmechanismen.

3.

Stärkung der Geschäftsprüfungsdelegation und Klärung der Schnittstellen mit den Legislativkommissionen. Die Kommission beantragt, ihr ursprüngliches Projekt, eine von den Geschäftsprüfungskommissionen unabhängige Nachrichtendienstkommission zu schaffen, fallen zu lassen. Sie unterbreitet jedoch folgende drei Vorschläge zur Stärkung der parlamentarischen Oberaufsicht: Aufstockung der Ressourcen der GPDel (sie muss über ein eigenes Sekretariat und ein eigenes Budget verfügen), Klärung der Schnittstellen mit den betroffenen Legislativkommissionen (die Vorsitzenden der betroffenen Legislativkommissionen müssen regelmässig an die GPDel gelangen) sowie verstärkte Überprüfung von Qualität und Wirksamkeit (insbesondere durch die wissenschaftliche Erarbeitung entsprechender Kriterien, Indikatoren und «Benchmarks»).

Die Kommission beantragt, vom vorliegenden Bericht Kenntnis zu nehmen, die Initiative Lalive d'Epinay abzuschreiben und die Motion anzunehmen.

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Abkürzungsverzeichnis BAP

Bundesamt für Polizei

BWIS

Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit

DAP

Dienst für Analyse und Prävention

DCAF

Genfer Zentrum für die demokratische Kontrolle der Streitkräfte

DSP

Direktion für Sicherheitspolitik

EDA

Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten

EDI

Eidgenössisches Departement des Innern

EFD

Eidgenössisches Finanzdepartement

EJPD

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement

EKF

Elektronische Kriegführung

EVD

Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement

GPDel

Geschäftsprüfungsdelegation

GPK

Geschäftsprüfungskommission

GSK

Generalsekretärenkonferenz

LWND

Luftwaffennachrichtendienst

MND

Militärischer Nachrichtendienst

MG

Bundesgesetz über die Armee und die Militärverwaltung

NAPRI

Liste der monatlichen Nachrichtenpriorisierung

NR

Nationalrat

PRIOS

Liste der Nachrichtenbedürfnisse

RK

Kommission für Rechtsfragen

Seco

Staatssekretariat für Wirtschaft

SiK

Sicherheitspolitische Kommission

SND

Strategischer Nachrichtendienst

SR

Ständerat

SUN

Studienkommission Untergruppe Nachrichtendienst

UVEK

Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation

VBS

Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport

ZAPS

Zentrum für Analyse und prospektive Studien

ZGV

Zentralstelle für Gesamtverteidigung

ZISP

Zentrum für internationale Sicherheitspolitik

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Bericht 1

Parlamentarische Initiative: Erste Phase

1.1

Arbeiten der ersten Phase

Am 4. März 2002 reichte Nationalrätin Maya Lalive d'Epinay eine allgemein formulierte parlamentarische Initiative ein, welche eine Neuorganisation des Strategischen Nachrichtendienstes fordert, damit dieser den neuen Herausforderungen, die aus der sich wandelnden Bedrohungssituation resultieren, jederzeit zu genügen vermag.

Ausserdem fordert die Initiative die Schaffung einer mit den notwendigen Kompetenzen ausgestatteten und aus beiden Räten besetzten parlamentarischen Kommission Nachrichtendienst.

Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates (SiK-NR) behandelte die parlamentarische Initiative Lalive d'Epinay erstmals an ihren Sitzungen vom 19. und 20. August und vom 9. und 10. September 2002. Dabei konnte sie die Initiantin, Nationalrätin Maya Lalive d'Epinay, Nationalrat Alexander Tschäppät, Vorsitzender der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel), Hans Wegmüller, Chef des Strategischen Nachrichtendienstes, sowie Jacques Pitteloud, Nachrichtendienstkoordinator, anhören. In der Diskussion stellte die Kommission fest, dass verschiedene in der Initiative angesprochene Fragen nicht im Kompetenzbereich der Bundesversammlung liegen. Allerdings wurde auch klar, dass die SiK-NR ohne genaue Analyse des nachrichtendienstlichen Systems nicht entscheiden konnte, ob der parlamentarischen Initiative Lalive d'Epinay Folge zu geben sei oder nicht. Die Kommission einigte sich deshalb darauf, im Gegensatz zum üblichen Verfahren, einen Teil der Arbeiten, die normalerweise in die zweite Phase der Behandlung einer parlamentarischen Initiative fallen, vorzuziehen. So beschloss die SiK-NR am 10. September 2002, eine fünfköpfige, von Nationalrat Karl Tschuppert präsidierte Subkommission einzusetzen. Die Subkommission umfasste neben dem Präsidenten Nationalrätin Haering sowie die Nationalräte Eberhard, Siegrist und Wiederkehr.

Die Subkommission trat viermal zusammen. Nachdem sie anlässlich einer ersten Aussprache am 2. Dezember 2002 den Auftrag analysiert und die Arbeiten in groben Zügen umrissen hatte, stellte sie fest, dass zahlreiche Themen der parlamentarischen Initiative seit langem auf dem Tisch liegen und in einer Reihe von Expertenberichten immer wieder diskutiert wurden. Deshalb verschaffte sich die Subkommission einen Überblick über die seit 1990 diesbezüglich formulierten Empfehlungen.

Zudem führte
sie am 16. und 29. Januar 2003 Anhörungen durch. Dabei versuchte sie in Erfahrung zu bringen, in welchem Ausmass frühere Empfehlungen umgesetzt bzw. weshalb einige gar nicht verwirklicht wurden. Ausserdem konnten in diesen Anhörungen verschiedene Grundsatzfragen geklärt werden, u.a. zur Frühwarnung und Früherkennung des Bundes, zur Einbindung der verschiedenen Nachrichtendienste in die oberste politische Führung, zur zentralen Auswertung aller Nachrichten oder zur Schaffung einer zentralen Lageübersicht. Die Subkommission gewann einen Überblick über das heutige System der Koordination der Nachrichtendienste sowie über dessen Stärken und Schwächen. Die Ausführungen der Experten und Expertinnen zeigten unterschiedliche Einschätzungen ­ ähnlich, wie dies zwei Jahre

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zuvor von der Studienkommission Untergruppe Nachrichtendienst (SUN)1 festgestellt worden war.

Die Subkommission widmete sich zudem der Frage der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste. Sie verzichtete darauf, ein zweites Mal Vertreter der GPDel anzuhören, liess aber spezifische Fragen durch das Sekretariat abklären. Schliesslich erarbeitete die Subkommission die Grundzüge ihres Berichtes und unterhielt sich über mögliche Massnahmen zur Verbesserung des Koordinationssystems sowie zur parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste. Der Berichtsentwurf wurde anlässlich der letzten Sitzung der Subkommission vom 13. Februar 2003 erörtert.

Die Subkommission stellte die Ergebnisse ihrer Arbeiten anlässlich der Plenarsitzung der SiK-NR vom 24. und 25. Februar 2003 erstmals vor. Dabei vertrat die Kommission die Auffassung, dass verschiedene Punkte noch geklärt werden müssten. Am 19. März 2003 traf die Subkommission den Sicherheitsausschuss des Bundesrates zu einem Meinungsaustausch über die bisherigen Arbeiten. Am 7. April 2003 schloss die SiK-NR die Arbeiten ab und empfahl mit 18 gegen 1 Stimmen und 2 Enthaltungen, der Initiative Folge zu geben. Nach Meinung der SiK-NR gehören die Organisation und Verwaltung der Nachrichtendienste zwar zu den Kompetenzen der Exekutive, aber die Schlüsselfrage der Koordination als Führungsaufgabe des Staates rechtfertigt eine Fortsetzung der Parlamentsarbeiten in diesem Bereich sowie im Bereich der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste.

1.2

Ergebnisse der ersten Phase (Vorprüfung)

1.2.1

Das schweizerische nachrichtendienstliche System

In der Schweiz gibt es im Wesentlichen zwei Nachrichtendienste: den Strategischen Nachrichtendienst (SND) für das Ausland und den Dienst für Analyse und Prävention (DAP) für das Inland. Der Militärische Nachrichtendienst (MND) und der Luftwaffennachrichtendienst (LWND) sind nicht an der Führung des Staates beteiligt; sie unterstehen dem Führungsstab der Armee bzw. dem Einsatzstab der Luftwaffe.

Des Weiteren existieren verschiedene andere Stellen, die, ohne nachrichtendienstliche Aktivitäten, in der strategischen Führung eine Rolle spielen2. Im Folgenden werden die drei zentralen Dienste der strategischen Führung näher erläutert.

1 2

Bericht der Studienkommission Untergruppe Nachrichtendienst (SUN) vom 15. Februar 2000.

In seinem Bericht vom 7. Dezember 2000 erwähnt das Lage- und Früherkennungsbüro mehrere Dienste der Bundesverwaltung, die in der Informationskette oder in der Früherkennung ebenfalls eine Rolle spielen. Es sind dies insbesondere die Dienste des EDA (Zentrum für Analyse und prospektive Studien, politische Abteilungen, Dienst für Wirtschafts- und Finanzfrage MERV, FAST), des EDI (Bundesamt für Gesundheit, Bundesamt für Sozialversicherung, Gruppe für Wissenschaft und Forschung, Rat der Eidgenössischen Technischen Hochschulen), des EJPD (Bundeskriminalpolizei, Bundesamt für Ausländer, Bundesamt für Flüchtlinge), des VBS (Abteilung Elektronische Kriegführung, Direktion für Sicherheitspolitik, Stab koordinierte Dienste und Kantone, Bundesamt für Bevölkerungsschutz, Labor AC Spiez, Nationale Alarmzentrale), des EFD (Eidgenössische Steuerverwaltung, Eidgenössische Zollverwaltung, Grenzwachtkorps, Kontrollstelle zur Bekämpfung der Geldwäscherei), des EVD (Exportkontrollpolitik und Sanktionen, Integrationsbüro, Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung, Bundesamt für Veterinärwesen) und des UVEK (Bundesamt für Energie, Bundesamt für Telekommunikation).

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3

4 5 6

­

Strategischer Nachrichtendienst (SND): Auslandnachrichten werden vom Strategischen Nachrichtendienst beschafft. Der Strategische Nachrichtendienst wurde in den letzten Jahren im Zuge der sogenannten Bellasi-Affäre grundlegend reorganisiert3. Er wurde zunächst dem Generalsekretariat des VBS und später ­ mit der Revision des Bundesgesetzes über die Armee und die Militärverwaltung4 ­ direkt dem Vorsteher des VBS unterstellt. Gleichzeitig wurde eine Neuausrichtung des SND in die Wege geleitet. Interne Organisation und Gliederung des SND wurden auf der Basis der neuen Bedrohungsanalyse neu definiert.

­

Dienst für Analyse und Prävention (DAP): Der Inlandnachrichtendienst der Schweiz wird vom Dienst für Analyse und Prävention wahrgenommen. Mit der Neuorganisation des Polizeibereichs wurden die polizeilichen Kernaufgaben im Bundesamt für Polizei (BAP) zusammengefasst. Die präventive Informationsbeschaffung und die kriminalpolizeilichen Ermittlungsverfahren werden jedoch im BAP streng getrennt. Der Dienst für Analyse und Prävention beschafft gemäss den Vorschriften des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS)5 Informationen über Terrorismus, verbotenen Nachrichtendienst, gewaltsamen Extremismus, verbotenen Handel mit Waffen und radioaktiven Materialien sowie verbotenen Technologietransfer6. Er wertet diese Informationen zuhanden der politischen Behörden, der Strafverfolgungsbehörden sowie etwaiger anderer befugter Personen und Instanzen aus und erstellt ein Lagebild über die innere Sicherheit der Schweiz. Der DAP ist in die Polizeiorganisation des Bundes eingebunden. Er führt das nationale Bundeslagezentrum, welches den Auftrag hat, Informationen zur Lage der inneren Sicherheit tagesaktuell auszuwerten.

­

Zentrum für Analyse und prospektive Studien (ZAPS): Beim Zentrum für Analyse und prospektive Studien handelt es sich um ein Instrument, das dem Staatssekretär des EDA zur Verfügung steht. Es ist kein Nachrichtendienst im traditionellen Sinne. Das Zentrum erarbeitet mittels offener Quellen, Berichten von Diplomatinnen und Diplomaten und eigener Kontakte die Lage in verschiedenen Regionen der Welt sowie in spezifischen Themenbereichen. Da heute mehr innerstaatliche Gewaltrisiken sowie Risiken aus terroristischer Kriminalität zu verzeichnen sind als traditionell zwischenstaatliche Konflikte, kommt es zu einer Annäherung der analytischen Arbeit von ZAPS und SND.

Zu dieser Angelegenheit siehe die folgenden Berichte: Bericht der Studienkommission Untergruppe Nachrichtendienst (SUN) vom 15. Februar 2000.

Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle über die Prozess- und Risikoanalyse des VBS vom 6. Dezember 1999.

Schlussbericht der Administrativuntersuchung im VBS vom 29. November 1999 (Untersuchungsbeauftragter Dr. Max Widmer).

Vorkommnisse in der Untergruppe Nachrichtendienst des Generalstabs («BellasiAffäre»); Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte vom 24. November 1999.

SR 510.10 SR 120 SR 120 Art. 2.

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Das Gesamtsystem der Schweizer Nachrichtendienste basiert seit je auf dem Prinzip der Koordination verschiedener Dienste; eine zentrale Steuerung gab es nie. Die Verantwortung tragen die einzelnen Departementvorsteherinnen und -vorsteher. Bis Ende der Neunziger Jahre organisierte die damalige Zentralstelle für Gesamtverteidigung (ZGV) die wöchentliche Lagekonferenz sowie die Generalsekretärenkonferenz (GSK). Im Rahmen der Lagekonferenz sollten die Informationen aus allen Diensten einfliessen. Im Anschluss wäre eine Synthese der Informationen an die GSK weitergegeben worden. Bindeglied zwischen den beiden Gremien war der damalige Bundeskanzler. Dies funktionierte nie richtig. Die Lagekonferenz war nicht das richtige Gremium für die Vorbereitung politischer Empfehlungen. Nicht zuletzt deshalb wurde die ZGV Ende der Neunziger Jahre aufgelöst und eine Neuorganisation des Systems durchgeführt.

Aufgrund der Empfehlungen der Studienkommission Untergruppe Nachrichtendienst (SUN) sowie der Arbeiten anderer Arbeitsgruppen der Verwaltung erliess der Bundesrat am 3. November 1999 Weisungen über die Organisation der sicherheitspolitischen Führung7. Mit diesen Weisungen gründete der Bundesrat die heutige Struktur und rief den Sicherheitsausschuss des Bundesrates, die Lenkungsgruppe Sicherheit sowie das Amt des Nachrichtendienstkoordinators ins Leben. Dieses System trat am 1. Januar 2000 in Kraft. Der Sicherheitsausschuss des Bundesrates, dem die Vorsteherinnen und Vorsteher des VBS, des EDA und des EJPD angehören, tagt einmal pro Monat, um sicherheitspolitisch relevante Geschäfte des Bundesrates vorzubereiten. Die dem Sicherheitsausschuss des Bundesrates unterstellte Lenkungsgruppe Sicherheit bereitet die monatlichen Treffen vor. Die Lenkungsgruppe Sicherheit umfasst praktisch alle Chefs der Nachrichtendienste und der Sicherheitspolitik8. Im Unterschied zur früheren Organisation nimmt die Lenkungsgruppe Sicherheit sowohl die Lagebeurteilung wie auch die Ausarbeitung politischer Optionen vor. Dazu wurde neu die Funktion eines Nachrichtendienstkoordinators geschaffen, welcher dem Vorsitzenden der Lenkungsgruppe Sicherheit unterstellt ist und die Erkenntnisse der einzelnen Dienste koordinieren soll. Zur bilateralen Zusammenarbeit zwischen den Nachrichtendiensten und den in der Lenkungsgruppe Sicherheit vertretenen
Partnern9 kommt es von Fall zu Fall. Die Koordination des Informationsaustausches mit anderen Ämtern oder Organen, die nicht in der Lenkungsgruppe Sicherheit vertreten sind, existiert nur punktuell.

7 8 9

BBl 4/2000, 1. Februar 2000, S. 228­233.

Siehe Beilage 2.

Staatssekretär EDA, Direktor Bundesamt für Polizei, Chef der Armee, Bundesratssprecher, Staatssekretär EVD, Chef Dienst für Analyse und Prävention, Vorsitzender Koordinationsgruppe Migration, Chef Direktion für Sicherheitspolitik, Direktor Strategischer Nachrichtendienst, Oberzolldirektor, Nachrichtendienstkoordinator sowie je nach Sachlage andere Partner; siehe Weisungen des Bundesrates über die Organisation der sicherheitspolitischen Führung des Bundesrates, Art. 4.

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1.2.2

Führungsschwächen im Gesamtsystem der Nachrichtendienste

Anlässlich der ersten Auswertung des Systems im Februar 200210 stellte der Bundesrat fest, dass die neuen Strukturen dem früheren System klar überlegen wären und insbesondere eine interdepartementale Sichtweise gefördert hätten. Die SiK-NR stellte das Koordinationssystem nicht grundsätzlich infrage, erachtete es aber als stark verbesserungswürdig. Nach ihrer Einschätzung funktioniert ein Koordinationssystem nur dann, wenn jene, welche die Koordination umsetzen müssen, dies tatsächlich auch tun können. Die Kommission wies auf drei miteinander verbundene Problembereiche hin:

10

­

Fehlen einer nachrichtendienstlichen Kultur: Die Kommission kam zum Schluss, dass eine nachrichtendienstliche Kultur nur in Ansätzen vorhanden ist. Nachrichtendienstliche Kultur beginnt bei der Führung. Obwohl die Kommunikation zwischen Bundesrat und Nachrichtenlieferanten durch die Einführung der Liste der Nachrichtenbedürfnisse des Bundesrates, die sogenannte PRIOS-Liste, verbessert wurde, erhielt die SiK-NR den Eindruck, dass die Dienste sich nach wie vor selber Aufträge erteilen. Die PRIOS-Liste enthält die mittel- bis längerfristigen sicherheitspolitischen Prioritäten des Bundesrates. Sie wird vom Lage- und Früherkennungsbüro in Zusammenarbeit mit dem Vorsitzenden der Lenkungsgruppe Sicherheit und den verschiedenen Diensten erstellt. Die Meinungen über die PRIOS-Liste gehen auseinander: Für die einen bildet sie ein Führungsmittel des Bundesrates, andere sehen darin nur ein Dokument, welches der Bundesrat zur Kenntnis nimmt. Das System «Lenkungsgruppe Sicherheit ­ Sicherheitsausschuss des Bundesrates» scheint für Nachrichten, die in den monatlichen Rhythmus passen, auszureichen. Dagegen sollten für dringendere Fälle andere Abläufe vorgesehen werden. Die Lenkungsgruppe Sicherheit erfüllt eine Doppelfunktion: Sie ist sowohl für die Erstellung der Lageanalyse als auch für die Entwicklung von sicherheitspolitischen Optionen zuhanden des Sicherheitsausschusses des Bundesrates zuständig. Dies hat sich bewährt. Im operationellen Bereich leistet die Lenkungsgruppe Sicherheit wertvolle Dienste, in der Strategiedefinition jedoch nur in geringerem Ausmass. Themenanalysen und Früherkennung finden in den Departementen statt.

­

Mangelnde Führung der Koordinationsprozesse: Die Kommission erhielt in ihren Arbeiten den Eindruck, dass die Sensibilität für die Notwendigkeit der Führung in Koordinationsprozessen fehle. Es herrscht die Auffassung vor, dass Koordination sich auf die Koordination der Abläufe beschränke. Die beiden Begriffe sind aber keineswegs identisch. Wenn ein System der Koordination gewählt wird, ist in den Augen der Kommission eine geführte Koordination erforderlich. Viele Vertreter der Verwaltung leiten aus der allgemeinen Ablehnung der Zentralisierung des Nachrichtendienstes ab, dass auch eine zentrale Führung des Koordinationsprozesses nicht gewünscht wird. Da eine geführte Koordination bisher nicht durchgesetzt wurde, entwickelte sich das System einer als fakultativ betrachteten Kooperation.

Evaluationsbericht über die neuen sicherheitspolitischen Instrumente vom 20. Februar 2002.

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­

Beschränkte Kompetenzen des Nachrichtendienstkoordinators: Der Nachrichtendienstkoordinator gehört aufgrund seiner Stellung im Nachrichtendienstsystem zu den wenigen Figuren, die daran interessiert sind, eine Gesamtschau für die obersten politischen Instanzen zu erstellen. Alle anderen Dienste setzen sich systembedingt primär für die Interessen ihres Departements ein. Dem Nachrichtendienstkoordinator kommt somit eine zentrale Funktion zu. Das heutige Koordinationsmodell ist jedoch bewusst so konzipiert, dass der Nachrichtendienstkoordinator mit seinem Lage- und Früherkennungsbüro über keine eigene Beschaffungskompetenz und somit auch keine Analysekompetenz verfügt. Er hat im heutigen System eine reine Stabsfunktion, das heisst keine operative bzw. keine Linienfunktion. Angesichts seiner schwachen Stellung ist er kaum in der Lage, die erforderlichen Impulse ins System einzubringen. Im Bereich der Früherkennung kann er keine Themen einbringen, ohne dies durch die Lenkungsgruppe Sicherheit genehmigen zu lassen, was de facto nur im Konsens möglich ist. Er ist somit auf die Kooperationsbereitschaft der Dienste angewiesen. Die SiK-NR erhielt zudem den Eindruck, dass der Nachrichtendienstkoordinator nicht alle Informationen erhält, die er benötigt. Zudem kann er Inhalt und Qualität der gelieferten Informationen nicht beeinflussen. Die Zusammenarbeit zwischen ihm und den einzelnen Diensten wird unterschiedlich beurteilt. Koordination ohne Weisungsbefugnisse ist eine unbefriedigende Aufgabe, ganz unabhängig davon, wo der Nachrichtendienstkoordinator angesiedelt ist.

Information ist Macht. Dass Machtkämpfe stattfinden und wichtige Informationen zum Departementvorsteher gelangen, ohne dass der Koordinator davon Kenntnis erhält, scheint systemimmanent. Damit besteht heute die Gefahr, dass der Nachrichtendienstkoordinator aus dem Informationsfluss «hinausmanipuliert» wird und ausserstande ist, vollständige Lagebilder zu präsentieren.

Zum Abschluss der Vorprüfung sprach sich die Kommission für Massnahmen zur Verbesserung des Koordinationssystems aus. Sie konzentrierte sich auf drei Empfehlungen: a)

Stärkung der Position des Nachrichtendienstkoordinators: Nach Auffassung der Kommission verfügt der Nachrichtendienstkoordinator nicht über ausreichende Kompetenzen. So fehlen ihm die Mittel, um den ordentlichen Betrieb des gewählten Koordinationssystems zu gewährleisten. Wenn das Koordinationssystem besser funktionieren soll, muss der Nachrichtendienstkoordinator mit den erforderlichen Kompetenzen ausgestattet werden: angemessene Unterstellung, Zugangsrecht zum Sicherheitsausschuss des Bundesrates, uneingeschränkter Informationszugang, Personal- und Finanzressourcen.

b)

Aufwertung der PRIOS-Liste: Nach Auffassung der Kommission muss die Führung in diesem Bereich gestärkt werden. Die PRIOS-Liste soll ausdrücklich zum zwingenden Auftrag erklärt werden, mit dem der Bundesrat die Nachrichtendienste betraut. Die PRIOS-Liste muss die Lenkung der Arbeit der verschiedenen Dienste gewährleisten. Heute ist dies nur beschränkt der Fall. Das «Umdenken» gegenüber der PRIOS-Liste ist nur möglich, wenn sie ausdrücklich als zwingende Aufgabe bezeichnet wird.

c)

Verstärkte Information im nachrichtendienstlichen Bereich: Die Arbeit im Dunkeln schürt zwangsläufig den Argwohn der Öffentlichkeit und der Politik. Da die Nachrichtendienste keine Öffentlichkeitsarbeit leisten, stammen

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die dürftigen verfügbaren Informationen stets aus «Affären». Der Bericht der Studienkommission Untergruppe Nachrichtendienst befürwortete die Schaffung der Stelle eines Medienbeauftragten der Nachrichtendienste11 zwecks grösserer Transparenz und Verbesserung der Kontrollmechanismen.

Auch wenn diese Empfehlung mit der Schaffung eines Beauftragten der Nachrichtendienste und der Ausarbeitung eines Kommunikationsplans für die interne und externe Verwendung berücksichtigt wurde, führten die Massnahmen bislang zu keinem sichtbaren Ergebnis. Laut SiK-NR müsste es den Nachrichtendiensten in unserem Land gelingen, ihr Image so zu verändern, dass sie nicht mehr als durch Geheimhaltung gekennzeichnete Strukturen, sondern als für die Staatsführung unerlässliche Instrumente wahrgenommen werden.

1.2.3

Schwächen der parlamentarischen Kontrolle

Die Kommission befasste sich überdies mit der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste. Die parlamentarische Initiative Lalive d'Epinay verlangt die Schaffung einer Kommission Nachrichtendienst, die sich ausschliesslich der Erfüllung dieser Aufgabe widmet. Diese Forderung ist nicht neu. Auch im Bericht der Studienkommission Untergruppe Nachrichtendienst wurde empfohlen, eine Nachrichtendienstkommission mit höchstens sechs Mitgliedern einzusetzen12. Darüber hinaus forderte die Studienkommission, diese Kommission mit sämtlichen notwendigen Befugnissen auszustatten; sie sollte dazu alle erforderlichen Ressourcen und Fachkenntnisse nutzen können, um die Tätigkeiten der Nachrichtendienste auch inhaltlich zu beaufsichtigen.

Die Professionalisierung und die Verstärkung der parlamentarischen Kontrolle drängen sich in allen Bereichen der Politik auf. Während die Kontrolle früher vor allem Gesetzmässigkeit und Budgetkonformität der Verwaltungstätigkeit betraf, verändert die Strategie der wirkungsorientierten Verwaltungsführung auch die Rolle des Parlamentes: Die Kontrolle von Effektivität und Effizienz wird zunehmend wichtig. Das muss auch für den nachrichtendienstlichen Bereich gelten. Nach Auffassung der SiK-NR haben die Arbeiten, welche die GPDel seit den frühen Neunziger Jahren leistet, erheblich zur Verbesserung der Kontrolltätigkeiten über die Nachrichtendienste beigetragen. Die Kommission gelangte indessen zur Überzeugung, dass sich eine weitere Verstärkung der parlamentarischen Oberaufsicht über die Nachrichtendienste aufdränge.

1.3

Beschluss des Nationalrates zur Vorprüfung

Am 23. September 2003 prüfte der Nationalrat die parlamentarische Initiative und beschloss stillschweigend, dem Text im Sinne der Empfehlungen der SiK-NR in ihrem Bericht vom 7. April 2003 Folge zu leisten13. Damit beauftragte der National11 12 13

Siehe 15. Empfehlung der Studienkommission Untergruppe Nachrichtendienst (SUN) vom 15. Februar 2000.

Siehe 13. Empfehlung der Studienkommission Untergruppe Nachrichtendienst (SUN) vom 15. Februar 2000, S. 17.

AB 2003 N 1448-1451.

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rat die Kommission, folgende Möglichkeiten detailliert zu prüfen: Stärkung der Position des Nachrichtendienstkoordinators, Aufwertung der PRIOS-Liste, Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit der Nachrichtendienste und Schaffung einer aus beiden Räten besetzten unabhängigen Kommission Nachrichtendienst.

2

Parlamentarische Initiative: Zweite Phase

2.1

Arbeiten der zweiten Phase

Anlässlich ihrer Sitzung vom 19. Januar 2004 erteilte die SiK-NR einer Subkommission aus fünf Mitgliedern unter dem Vorsitz von Nationalrätin Barbara Haering den Auftrag, die in der ersten Etappe aufgeworfenen Fragen zu vertiefen und Empfehlungen zur Umsetzung auszuarbeiten. Mitglieder der Subkommission waren neben der Präsidentin die Nationalräte Jakob Büchler, Walter Donzé, Ulrich Schlüer und René Vaudroz. Die Arbeiten der zweiten Phase gliederten sich in folgende Schritte: ­

Die Subkommission trat am 10. März 2004 zusammen, um ihre Arbeiten zu planen. Zudem befasste sie sich mit den Beiträgen der Nachrichtendienste zur Landessicherheit und mit den Erwartungen der Regierung. Überdies stellte sie die Frage der parlamentarischen Kontrolle über die Nachrichtendienste. Schliesslich beschloss sie, Anhörungen durchzuführen, und ersuchte Nationalrat Vaudroz, seine Erfahrungen als ehemaliges Mitglied der GPDel vorzutragen. Das Sekretariat erhielt die Aufgabe, einen Vergleich der parlamentarischen und der ausserparlamentarischen Kontrollsysteme für die Nachrichtendienste in den wichtigsten europäischen und nordamerikanischen Ländern anzustellen.

­

Am 3. Juni 2004 hörte die Subkommission den Vorsteher des VBS, den Nachrichtendienstkoordinator und die Bundeskanzlerin an.

­

Während der Sitzung vom 12. August 2004 hörte die Subkommission die Vorsitzende der GPDel an, die vom Delegationssekretär begleitet wurde.

Anschliessend wurde eine erste Beurteilung der Anhörungen vorgenommen.

Auf dieser Basis beschloss die Subkommission, zusätzliche Anhörungen durchzuführen.

­

Am 7. September 2004 hörte die Subkommission den Vorsteher des EJPD, die Vorsteherin des EDA ­ beide Mitglieder des Sicherheitsausschusses des Bundesrates ­ und den Vorsteher des EFD in seiner Eigenschaft als Mitglied des Regierungskollegiums an.

­

Am 23. November 2004 diskutierte die Subkommission erstmals den Berichtsentwurf. Sie nahm die Beschlüsse des Bundesrates vom 8. September 2004 sowie die Äusserungen der Vorsitzenden der Geschäftsprüfungsdelegation im Anschluss an das Treffen der GPDel mit dem Sicherheitsausschuss des Bundesrates zur Kenntnis.

­

Die Sitzungen vom 15. und 21. Dezember 2004 waren der Bereinigung des Berichtes gewidmet.

­

Am 11. Januar 2005 schloss die SiK-NR die Arbeiten der zweiten Phase ab und empfahl mit 19 gegen 1 Stimmen und 2 Enthaltungen, die Initiative abzuschreiben, vom Bericht Kenntnis zu nehmen und eine Motion (siehe Beilage 1) anzunehmen.

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Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus der zweiten Phase der Behandlung der parlamentarischen Initiative Lalive d'Epinay werden in den folgenden Kapiteln zusammengefasst.

2.2

Ergebnisse der zweiten Phase

2.2.1

Nachrichtendienste vor neuen Herausforderungen

Das Profil der Bedrohungen, Risiken und Gefahren für die Schweiz hat sich nach den geopolitischen Umwälzungen der letzten fünfzehn Jahre und erneut nach den Ereignissen vom 11. September 2001 gewandelt. Neue Bedrohungen setzen sich über Landesgrenzen hinweg: Sie lassen sich immer weniger in äussere und innere Sicherheit trennen. Bedrohungen sind überdies zunehmend departement-übergreifend. Damit verändern sich die Anforderungen an ein modernes nachrichtendienstliches System. Es steht vor der Herausforderung, ein integriertes Lagebild zu liefern und so zur Verbesserung der Sicherheit in unserem Land beizutragen. Da das schweizerische Nachrichtendienstsystem nicht auf einem einzigen Dienst beruht, sondern auf der Koordination verschiedener Dienste, gewinnt eine reibungslose Zusammenarbeit zunehmend an Bedeutung.

Folgende Rahmenbedingungen müssen erfüllt sein, um diesen neuen Herausforderungen gerecht werden zu können: ­

Nachrichtendienstliche Kultur: Politische Entscheidungsträgerinnen und -träger müssen ein gemeinsames Verständnis der Bedeutung nachrichtendienstlicher Arbeit haben und nachrichtendienstliche Erkenntnisse entsprechend in ihre Entscheidungsprozesse zu Sicherheitsfragen einbeziehen.

Grundlage für diese Wertschätzung muss die Qualität der Arbeit der Nachrichtendienste sein. Beide Anforderungen bedingen sich gegenseitig.

­

Politische Führung: Die Exekutive muss die Arbeiten der Nachrichtendienste politisch führen. Dazu muss der Bundesrat seine Nachrichtenbedürfnisse formulieren und die Aufträge im Rahmen einer nationalen Nachrichtenpolitik erteilen.

­

Umfassende Risikoanalyse: Um der nationalen Politik bedrohungsgerechte Entscheidungen zu ermöglichen, ist eine umfassende Risikoanalyse notwendig, welche die Bedrohungen des Landes, der Bevölkerung, der Infrastrukturen sowie von Umwelt und Wirtschaft umfasst. Die Auswertung nachrichtendienstlicher Informationen muss koordiniert werden, um ein Gesamtbild der Lage zu ermöglichen. Dazu ist Koordination und freier Informationsfluss zwischen den Diensten erforderlich.

­

Termingerechte Informationen: Zudem besteht ein Wesensmerkmal nachrichtendienstlicher Informationen darin, dass sie die Entscheidungstragenden rechtzeitig erreichen müssen, um zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Beschlüsse zu ermöglichen. Im richtigen Moment richtig entscheiden setzt zudem schnelles Reaktionsvermögen bei den Entscheidungstragenden voraus.

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Die Arbeiten der Kommission aus der zweiten Phase bestätigen, dass die politische Führung der Nachrichtendienste zu schwach und die Zusammenarbeit zwischen den Diensten nicht optimal ist und dass die Voraussetzungen für rasches politisches Handeln im Krisenfall noch nicht gegeben sind.

2.2.2

Führungsdefizite im System der Nachrichtendienste

Die Kommission bestätigt die in der ersten Phase erkannten Führungsdefizite im System der Nachrichtendienste. Die Nachrichtendienste werden als System zu schwach geführt. Dem Nachrichtendienstkoordinator fehlen Kompetenzen und Mittel, um ein zufriedenstellendes Funktionieren des Koordinationssystems zu gewährleisten.

­

Defizite der politischen Führung: Als gravierendster und folgenschwerster Mangel erweist sich die Tatsache, dass die Auftragserteilung an die Nachrichtendienste durch den Bundesrat markant ungenügend ist. Eine umfassende Nachrichtenpolitik für die Schweiz besteht nicht. Der Bundesrat erteilt den verschiedenen Diensten nur punktuelle Mandate. Dies erklärt, weshalb die Dienste sich oftmals Aufträge in eigener Regie erteilen. Der Sicherheitsausschuss des Bundesrates muss eine verstärkte Führungsfunktion über das Nachrichtendienstsystem übernehmen. Er muss sich vermehrt mit Sicherheits- und Nachrichtendienstpolitik befassen und die Arbeiten der Nachrichtendienste nach seinen Bedürfnissen bzw. nach denjenigen des Bundesrates orientieren. Vor diesem Hintergrund ist die PRIOS-Liste der Nachrichtenbedürfnisse des Sicherheitsausschusses des Bundesrates für die Steuerung der Arbeiten der Nachrichtendienste zu allgemein formuliert.

Zusätzlich zur PRIOS-Liste wurde die monatliche Nachrichtenpriorisierung (NAPRI) eingeführt. Das Instrument NAPRI soll die Nachrichtendienste auf Themen hinweisen, welche den Bundesrat in absehbarer Zeit beschäftigen könnten. Dieses Vorgehen soll die Führung der Nachrichten liefernden Dienste erleichtern und die Arbeit des Lage- und Früherkennungsbüros sowie der Nachrichtendienste gezielt auf Bereiche konzentrieren, in denen bestimmte nationale oder internationale Entwicklungen den Nachrichtenbedarf erhöhen. Der Rahmen, in dem die Nachrichtendienste arbeiten, wird vom Grundauftrag, von der PRIOS-Liste und von der NAPRI-Liste definiert.

In der Praxis richten sich die Nachrichtendienste jedoch häufig nach anderen Kriterien. Die beschlossene Einführung eines zusätzlichen Führungselements, das jene langfristigen Nachrichtenbedürfnisse aufführt, die ausschliesslich von Nachrichtendiensten beschafft werden können, dürfte die Führung der Nachrichtendienste stärken und stellt damit einen Schritt in die richtige Richtung dar14.

Im Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass der Sicherheitsausschuss des Bundesrates über keine Entscheidungsbefugnisse verfügt. Er bereitet die Beschlussentwürfe zuhanden der Entscheidungsfindung des Bundesrates vor, was in der Regel trotz vereinfachter Verfahren für Dringlichkeitsfälle einige Tage dauern kann.

14

Swedish List genannt, weil dieses System für den schwedischen Nachrichtendienst eingeführt wurde.

3736

­

Defizite in der Koordination: Das Koordinationssystem funktioniert auf verschiedenen Ebenen nicht zufriedenstellend: Sicherheitsausschuss und Lenkungsgruppe Sicherheit: Am 8. September 2004 gab der Bundesrat das noch vor zwei Jahren unantastbare Prinzip des alternierenden Vorsitzes des Sicherheitsausschusses auf. Dieses Rotationsprinzip hatte den Vorteil, dass die drei Bundesräte alternierend eingebunden wurden, aber den Nachteil, dass keine langfristig verantwortliche Führung möglich war. Ein ständiger Vorsitz mit Weisungsrecht dürfte eine Verstärkung der politischen Führung und damit auch eine Verbesserung der Koordination der Nachrichtendienste ermöglichen. Die Kommission ist der Auffassung, dass die vom Bundesrat geplante Beibehaltung des alternierenden Vorsitzes der Lenkungsgruppe15 keinen Sinn ergibt. Die neue Stärkung des Sicherheitsausschusses des Bundesrates würde dadurch wieder aufgehoben.

Nachrichtendienstkoordinator: Dem Nachrichtendienstkoordinator fehlen die Befugnisse, um das Funktionieren des Systems sicherzustellen. Gemäss den Weisungen über die Organisation der sicherheitspolitischen Führung des Bundesrates hat er Zugang zu allen für die Erfüllung seiner Aufgabe erforderlichen Auskünften. Da er nicht über die Erkenntnisse der Nachrichtendienste informiert ist, hängt er von deren Zusammenarbeitsbereitschaft ab.

Die Kommission hält diese Lösung nicht für tragfähig. Der Informationsfluss im Nachrichtendienstsystem kommt häufig ins Stocken und wird vom Informationsfluss von den Diensten zu ihren Departementchefs verdrängt.

Die SiK-NR hat kein Verständnis für die mangelhafte Zusammenarbeit der Nachrichtendienste. Sie kann Risiken für die Sicherheit unseres Landes und seiner Bevölkerung bergen. Die Kommission hält es für unumgänglich, eine Informationspflicht für die Nachrichtendienste einzuführen. Die Nachrichtendienste müssen ihre Erkenntnisse zu Themen, welche vom Sicherheitsausschuss des Bundesrates oder von dessen Vorsitzendem definiert werden, automatisch liefern.

Koordination unter den Diensten: In der Arbeit der zweiten Phase trat die zunehmende Notwendigkeit der Koordination unter den Diensten stärker in den Vordergrund. Angesichts der Entwicklung der Gefährdungslage ist der Informationsaustausch unter den Partnern des Nachrichtendienstsystems für Erfolg oder Misserfolg
entscheidend. Die Dienste sind unterschiedlich strukturiert und beruhen auf unterschiedlichen Gesetzesgrundlagen. Ausserdem werden die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch in Leistungsvereinbarungen ­ Instrumente mit sehr schwacher politischer Legitimation ­ geregelt. Eine erste Zusammenarbeitsvereinbarung zwischen SND und DAP wurde im Jahr 199716 abgeschlossen und 200317 revidiert. Die Vereinbarungen wurden ergänzt durch eine Leistungsvereinbarung zwischen den Vorstehern der beiden Departemente. Auch zwischen SND und Nachrichtendienstkoordinator wurde eine Leistungsvereinbarung unterzeichnet.

15

16 17

Der Vorsitz muss turnusmässig von den Vertretern derjenigen Departemente, welche nicht den Sicherheitsausschuss des Bundesrates präsidieren, wahrgenommen werden (im vorliegenden Fall das EJPD und das EDA).

Weisung vom 19. März 1997 betreffend die Zusammenarbeit zwischen der Bundespolizei und dem Strategischen Nachrichtendienst der Armee.

Vereinbarung vom 2. Februar 2003 zwischen dem SND und dem DAP über die Zusammenarbeit.

3737

Weitere Nahtstellen: Die Aufmerksamkeit galt bisher hauptsächlich der Schnittstelle SND/DAP. Die Kommission stellt jedoch fest, dass weitere Schnittstellen im schweizerischen Nachrichtendienstsystem problematisch werden dürften, so die Schnittstelle zwischen SND und MND/LWND. Der MND hat den Auftrag, im Verteidigungsfall die Armee-Einsätze in der Schweiz und im Ausland zu gewährleisten. Ausserdem beschafft er Informationen für die Truppen. Der LWND stellt den operativ-taktischen und technischen Nachrichtendienst für den Einsatz der Luftwaffe sicher. Angesichts der markant reduzierten Gefährdung unseres Landes durch traditionelle Militärangriffe sind allerdings Umfang und Abgrenzung seiner Arbeitsbereiche zu diskutieren. Im Weiteren wird den Schnittstellen zwischen DAP, Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalpolizei vermehrte Aufmerksamkeit zu widmen sein. Die Bundeskriminalpolizei holt in ihren Ermittlungen Auskünfte ein. Heute sind die beiden Stellen gemäss dem Gewaltenteilungsprinzip völlig voneinander getrennt. Die SiK-NR stellt diese Trennung nicht infrage. Sie ist jedoch der Auffassung, dass der Sicherheitsausschuss des Bundesrates über die wichtigsten während laufenden Ermittlungen beschafften Informationen unterrichtet werden muss. Eine weitere Schnittstelle besteht zwischen DAP und Seco, welches im Rahmen der Bekämpfung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen Informationen erhält.

Mit der Zunahme der Schnittstellen wird eine solide Koordination unabdingbar.

Ansonsten bestünde nach Auffassung der Kommission die einzige Alternative darin, die Nachrichtenanalyse zu fusionieren.

2.2.3

Politische Kontrolle durch die Exekutive

Die zusätzlichen Arbeiten der SiK-NR ermöglichten eine Klärung der Fragen zur politischen Kontrolle über die Nachrichtendienste. Die Kommission gelangte zum Schluss, dass die Kontrolle in erster Linie eine Aufgabe der Exekutive darstellt; diese trägt die politische Verantwortung für das Vorgehen der Nachrichtendienste, einschliesslich Qualitätskontrolle. Die Kommission spricht sich deshalb nachdrücklich für eine Stärkung der verwaltungsinternen Kontrollmechanismen aus. Die mit dem Einsatz des Onyx-Systems eingeführten Kontrollmechanismen ­ vor allem die Schaffung einer unabhängigen Kontrollinstanz18 ­ bilden Lösungsbeispiele. Die Kontrolle durch die Bundesversammlung soll sich auf die Tätigkeit der parlamentarischen Oberaufsicht konzentrieren. Sie kann und darf keinen Ersatz darstellen für die direkte politische Kontrolle durch die Exekutive.

Die politische Kontrolle über die Nachrichtendienste variiert in der Praxis je nach Nachrichtendienst erheblich. Dies erklärt sich zum einen aus der historischen Entwicklung der Nachrichtendienste und zum anderen aus den unterschiedlichen Gesetzesgrundlagen. So sieht beispielsweise das BWIS die Einführung einer Kontrolle der Dienste des EJPD19 vor, während weder das Bundesgesetz über die Armee und die Militärverwaltung (MG)20 noch die Ausführungsverordnung21 entsprechende Ver18 19 20 21

SR 510.292. Verordnung vom 15. Oktober 2003 über die elektronische Kriegführung (VEKF), Art. 15 bis 18.

SR 120 Art. 26 und 120.2 Art. 22.

SR 510.10 SR 510.292

3738

pflichtungen für den SND vorsehen. Seit 1. Januar 2004 untersteht der SND gemäss Artikel 99 MG direkt dem Vorsteher des VBS. Die Kommission hält die Einführung eines standardisierten internen Kontrollverfahrens für unabdingbar.

Nach Auffassung der SiK-NR sollte der Bundesrat seine Verantwortung gegenüber den Nachrichtendiensten verstärkt wahrnehmen. In der Vergangenheit wurden bestimmte Probleme durch schwache bzw. fehlende Kontrolle der Regierung über die Nachrichtendienste mit verursacht. Die drei jüngsten Beispiele ­ die Fichen der Bundespolizei, die Geheimorganisationen P26 und P27 und die Beziehungen mit Südafrika ­ weisen eine Gemeinsamkeit auf: Die Aufsicht innerhalb der Linie funktionierte nicht. Deshalb müssen die internen Kontrollmechanismen für alle Nachrichtendienste gestärkt und vereinheitlicht werden.

2.2.4

Parlamentarische Oberaufsicht

Die Kommission plädiert für eine professionelle, ständige und von einem einzigen Gremium wahrgenommene parlamentarische Oberaufsicht der Nachrichtendienste.

Diese Oberaufsicht muss die Geheimhaltung gewährleisten. Die SiK-NR hat mandatsgemäss die Funktionsweise und die Tätigkeiten der Delegation der Geschäftsprüfungskommission (GPDel) geprüft.

Die Geschäftsprüfungsdelegation wurde 1991 auf Antrag der parlamentarischen Untersuchungskommission geschaffen, welche die Vorkommnisse, die das Eidgenössische Militärdepartement in Aufruhr gebracht hatten, prüfte22. Ziel war es, ein mit weitgehenden Ermittlungsbefugnissen ausgestattetes Gremium zu schaffen und es zwischen den ordentlichen Geschäftsprüfungskommissionen und den parlamentarischen Untersuchungskommissionen, welche nur in ausserordentlichen Umständen eingesetzt werden, anzusiedeln. Die GPDel ist ein gemeinsames Gremium des Nationalrates und des Ständerates, bestehend aus je drei Mitgliedern der jeweiligen Geschäftsprüfungskommissionen. Sie werden in einer gemeinsamen Sitzung auf Antrag der Fraktionen von den Geschäftsprüfungskommissionen gewählt. Bei dieser Entscheidung fallen Kompetenzen und Erfahrung der Parlamentarierinnen und Parlamentarier stark ins Gewicht. In der Regel sind die Regierungsparteien mit je einem Sitz vertreten. Gemäss ständiger Praxis umfasst die Delegation zusätzlich mindestens eine Vertreterin bzw. einen Vertreter einer Nichtregierungspartei. Die Kontinuität der Arbeit der GPDel wird dadurch gewährleistet, dass ihre Mitglieder in der Regel während mindestens zwei Legislaturperioden im Amt bleiben. Häufig ist mindestens eine Vertreterin bzw. einen Vertreter einer SiK Mitglied der Geschäftsprüfungsdelegation.

Gemäss dem Bundesgesetz über die Bundesversammlung23 hat die Geschäftsprüfungsdelegation den Auftrag, die Tätigkeit im Bereich des Staatsschutzes und der Nachrichtendienste im Detail zu überwachen. Bei der Umsetzung verschiedener Gesetzesvorschriften über Spionageabwehr, organisierte Kriminalität, gewalttätigen Extremismus, Waffenproliferation und Terrorismus überwacht die Geschäftsprüfungsdelegation auch bestimmte Bereiche, die den Kompetenzen der Bundeskrimi22

23

Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission zur besonderen Klärung von Vorkommnissen von grosser Tragweite im Eidgenössischen Militärdepartement vom 17. November 1990, Antrag auf S. 272.

SR 171.10 Art. 53 Abs. 2.

3739

nalpolizei, der Bundesanwaltschaft und des Staatssekretariats zuzuordnen sind. Die Delegation ist beauftragt, die geheimen Tätigkeiten des Bundes kontinuierlich und genau zu prüfen, um einen politischen Interventionsbedarf rechtzeitig zu erkennen.

Die Kommission stellte fest, dass der Schwerpunkt der Kontrolltätigkeit der GPDel primär bei der Überprüfung von Legalität und Budgetkonformität liegt. Zunehmend widmet sie sich jedoch auch den Qualitäts- und Effizienzkontrollen. Das Tätigkeitsprogramm 2004 umfasst 65 Hauptthemen. Im Jahr 2003 befasste sich die Delegation im Wesentlichen mit folgenden Themen24:

24

­

Bekämpfung der Internetkriminalität;

­

Massnahmen des Bundes zur Bekämpfung der Wirtschaftsspionage und ausländischer Extremistengruppen;

­

Legenden der verdeckten Ermittler;

­

Beziehungen der schweizerischen Nachrichtendienste mit ausländischen Sicherheitsbehörden;

­

Beurteilung der Operationen und Fahndungsprogramme, Bereich Staatsschutz;

­

Überprüfung der Listen der Organisationen und Gruppierungen, deren Tätigkeiten von präventiven Massnahmen gemäss dem Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit betroffen sind;

­

Archivierung klassifizierter Daten aus dem direkten Verkehr der Nachrichtendienste;

­

Umsetzung der Personensicherheitsprüfungen;

­

Wirksamkeit der Verordnung vom 7. November 2001 betreffend die Ausdehnung der Auskunftspflichten und des Melderechts von Behörden, Amtsstellen und Organisationen zur Gewährleistung der inneren und äusseren Sicherheit;

­

Tätigkeiten der türkischen Nachrichtendienste in der Schweiz;

­

Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten im Kampf gegen den Terrorismus;

­

Bewilligungsmodalitäten, nach welchen ein ausländischer Nachrichtendienst im Hoheitsgebiet der Eidgenossenschaft Operationen durchführen kann;

­

Massnahmen des Bundes zur Bekämpfung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen;

­

Überprüfung der zivilen Führungsinfrastrukturen des Bundesrates;

­

Informatiksicherheit und Schutz von Informationen in der Bundesverwaltung und im VBS;

­

Massnahmen des Bundes im Zusammenhang mit der Entführung von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern in Algerien.

Vgl. Jahresbericht 2002/2003 der Geschäftsprüfungskommissionen und der Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte vom 23. Januar 2004, BBl 2004 1735­1745.

3740

Zudem kontrolliert die GPDel seit 2003 die Qualität der Analysen und Berichte, welche die Nachrichtendienste vorlegen. Diese Arbeit steckt zwar noch in den Anfängen, aber sie soll sich weiterentwickeln. Überdies ist darauf hinzuweisen, dass die Delegation gemäss dem «Gentlemen's Agreement» vom 12. November 1993 mit der Finanzdelegation der eidgenössischen Räte auch die finanzielle Kontrolle über die Nachrichtendienste ausübt. Die Finanzdelegation hat Zugang zu allen Buchhaltungsunterlagen des Bundes. Dagegen untersucht sie die Ausgaben nicht auf ihre Zweckmässigkeit. Im Nachrichtenwesen und im Staatsschutzbereich wird diese Aufgabe von der GPDel wahrgenommen, die insbesondere die Berichte der Eidgenössischen Finanzkontrolle und der departementsinternen Inspektorate über die in den Nachrichtendiensten durchgeführten Inspektionen prüft. Schliesslich achtet die GPDel darauf, alle Sektoren der Nachrichtendienste und des Staatsschutzes zu kontrollieren. Diese Ausführungen veranschaulichen die aktuelle Weiterentwicklung der Tätigkeiten der GPDel.

Der Geschäftsprüfungsdelegation stehen für die Erfüllung ihrer Aufgaben weitgehende Befugnisse zu. Sie besitzt umfassende, im Bundesgesetz über die Bundesversammlung anerkannte Informationsrechte25, die mit denjenigen einer Untersuchungskommission vergleichbar sind. Die GPDel kann jederzeit beliebige Personen zu einem beliebigen Thema anhören. Dabei darf ihr keine Geheimhaltungspflicht entgegengehalten werden. Die einzige festgestellte Lücke ­ das Problem parallel zur Tätigkeit der GPDel eingeleiteter administrativ- oder personalrechtlicher Untersuchungen ­ dürfte mit der Annahme einer diesbezüglichen parlamentarischen Initiative geschlossen werden26. Die Delegation setzt zu ihrer Aufgabenerfüllung verschiedene Arbeitsmethoden ein: Sie führt einen regelmässigen Meinungsaustausch mit den Chefs der Nachrichtendienste und mit den Mitgliedern des Sicherheitsausschusses des Bundesrates. Daneben führt die GPDel in den Nachrichtendiensten mit oder ohne Anmeldung Besuche durch. Sie leitet Untersuchungen bzw. Inspektionen und befasst sich mit den Beschwerden, welche Parlamentarier oder Privatpersonen an sie richten. Die Geschäftsprüfungsdelegation verfügt jedoch über keine Zwangsmittel. Sie beschränkt sich darauf, Stellungnahmen abzugeben und Empfehlungen für die Zukunft
zu formulieren. Wie alle übrigen Kommissionen kann sie Gesetzesänderungen vorschlagen, falls sie dies für notwendig hält. Die Berichte der Geschäftsprüfungsdelegation werden in der Regel veröffentlicht. Dies verstärkt ihre Position gegenüber den Nachrichtendiensten. Seit 2004 werden ihre Tätigkeiten im Jahresbericht der Geschäftsprüfungskommissionen beschrieben.

Ein Vergleich der Kompetenzen der GPDel mit den Kontrollsystemen in den wichtigsten westlichen Ländern führte die Kommission zur Überzeugung, dass die Delegation für die Erfüllung ihres Mandates über ausreichende Befugnisse verfügt.

Ungenügend sind hingegen ihre Ressourcen. Die Delegation trifft sich im Durchschnitt alle zwei bis drei Wochen für zehn bis fünfzehn Sitzungsstunden, bei besonderen Ereignissen häufiger. Die breite Aufgabenpalette fordert von den Mitgliedern der Delegation einen grossen Einsatz. Die Delegation verfügt über ein Sekretariat mit zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern (beide zu 50 Prozent) und einer Sekretärin (20 Prozent). Die Geschäftsprüfungsdelegation kann zusätzliche Expertinnen und

25 26

SR 171.10 Art. 154 ff.

03.460 Parlamentarische Initiative GPK-SR. Parallelverfahren der Geschäftsprüfungsdelegation mit personalrechtlichen Untersuchungen oder Administrativuntersuchungen des Bundes.

3741

Experten zu Rate ziehen, wofür sie über bescheidene Finanzmittel verfügt27. Allerdings bereitet die Rekrutierung externer Personen bisweilen Probleme. Nachrichtendienstspezialisten weisen ein besonderes Profil auf: Entweder handelt es sich um ehemalige Agenten der Nachrichtendienste, deren Unabhängigkeit infrage stehen könnte, oder aber um unabhängige Experten, bei denen Probleme der Sicherheit oder der Akzeptanz nicht auszuschliessen sind. Ausserdem ist festzustellen, dass der wissenschaftliche Ansatz bei der Kontrolle der Nachrichtendienste an Grenzen stösst. In der Welt der Geheimdienste ist Desinformation an der Tagesordnung; objektive und verwertbare Informationen lassen sich oft nur schwer beschaffen.

Die SiK-NR kommt zum Schluss, dass unser System der parlamentarischen Oberaufsicht der Nachrichtendienste keine grundlegenden Mängel aufweist. Die GPDel prüft mandatsgemäss die Gesetzmässigkeit und führt eine finanzielle Kontrolle über die Tätigkeiten der Nachrichtendienste durch. Auch wenn die Kontrolle der Gesetzmässigkeit nach wie vor die Kernaufgabe bildet, widmet sich die GPDel zunehmend der Kontrolle der Qualität und der Wirksamkeit. Die Kommission plädiert für eine Stärkung und Intensivierung dieser Tendenz. Nach Auffassung der SiK-NR besitzt die Delegation dafür zwar ausreichende Kompetenzen, aber nicht die erforderlichen Ressourcen. Die Kommission hält es demzufolge nicht für zweckmässig, eine zusätzliche oder neue Kommission für die parlamentarische Oberaufsicht über die Nachrichtendienste einzusetzen. Eine neue Kommission würde zusätzliche Schnittstellen schaffen, ohne die Qualität der Oberaufsicht zu verbessern. Das gegenwärtige System, in welchem die GPDel einen festen Bestandteil der Geschäftsprüfungskommissionen bildet, besitzt Vorteile. Da die Mechanismen der Oberaufsicht im Nachrichtenbereich und in anderen staatlichen Interventionsbereichen ähnlich sind, lassen sich Synergien erzielen. Die beiden Gremien voneinander abzukoppeln würde keine wesentlichen Vorteile bringen. Auch das Problem der beschränkten Einsatzmöglichkeit des Milizparlamentes würde dadurch nicht gelöst.

Die Kommission weist zudem darauf hin, dass die parlamentarische Oberaufsicht nur dann wirkungsvoll und effizient zum Tragen kommt, wenn die Bundesversammlung den Ergebnissen der Arbeiten der GPDel das
erforderliche Interesse und die notwendige Aufmerksamkeit schenkt. Doch selbst dann besteht weder Garantie noch Möglichkeit einer absoluten Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeiten.

2.3

Zusammenfassung der Erkenntnisse

Die Arbeiten der zweiten Phase zeigten, dass das gegenwärtige System der Schweizer Nachrichtendienste in einer Sackgasse steckt. Sicherheit kann nicht mehr eindimensional gesehen werden: Die innen- und aussenpolitische Dimension der Sicherheit sowie ihre departementübergreifenden Aspekte sind miteinander verbunden.

Das nachrichtendienstliche System der Schweiz entspricht nach Auffassung der Kommission diesen neuen Herausforderungen nicht mehr. Politische Führung, Auftragserteilung und Koordination der Nachrichtendienste im Rahmen einer nationalen Nachrichtenpolitik lassen zu wünschen übrig. Zudem funktioniert das Koordinationssystem nicht optimal. Der Informationsfluss ist mangelhaft. Die Nachrichtenanalyse, die einen globalen Lageüberblick vermitteln sollte, ist unzureichend. Der

27

Im Jahr 2004 wurde dafür ein Betrag von 69 000 Franken veranschlagt.

3742

konkrete Beitrag der Nachrichtendienste zur Landessicherheit kann nicht definiert werden.

Die SiK-NR thematisierte überdies die Frage der rechtlichen Grundlagen, welche das Nachrichtendienstsystem, die verschiedenen Nachrichtendienste, die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch regeln. Diese rechtlichen Grundlagen sind je nach Nachrichtendienst unterschiedlich. Ausserdem sind zentrale Aspekte z.B.

hinsichtlich des Informationsaustausches nur in Weisungen geregelt, die sich zwar rasch anpassen lassen, aber eine politisch zu schwache Legitimation für diesen staatspolitisch heiklen Bereich darstellen. Dies ist nach Ansicht der Kommission unbefriedigend und erschwert die Kontrolle durch die Exekutive wie auch die parlamentarische Oberaufsicht.

Vor dem Hintergrund eines internationalen Vergleichs parlamentarischer Kontrollsysteme gelangt die Kommission zum Schluss, dass das schweizerische System relativ gut abschneidet. Die GPDel verfügt über ausreichende Kompetenzen. Sie führt in Übereinstimmung mit ihrem Mandat die Kontrolle der Gesetzmässigkeit sowie die finanzielle Kontrolle über die Nachrichtendienste durch. Obwohl die Kontrolle der Gesetzmässigkeit weiterhin im Mittelpunkt steht, widmet sich die GPDel zunehmend auch der Qualitäts- und Wirksamkeitskontrolle. Die Kommission plädiert dafür, dies zu intensivieren. Dazu müsste die Delegation mit den erforderlichen Ressourcen ausgestattet werden.

3

Empfehlungen der Kommission

3.1

Grundzüge der Empfehlungen

Der Nationalrat erteilte der SiK-NR mit seinem Beschluss vom 23. September 2003 den Auftrag, Möglichkeiten auszuloten, um die Position des Nachrichtendienstkoordinators zu stärken, die PRIOS-Liste aufzuwerten, die Öffentlichkeitsarbeit der Nachrichtendienste zu vertiefen und eventuell eine von den beiden Räten unabhängige Nachrichtendienstkommission zu schaffen.

Mit Ausnahme der Kontrolle des Parlamentes über die Nachrichtendienste fallen die meisten Fragen, mit denen sich die Kommission befasste, nicht in den Kompetenzbereich des Parlamentes. Das Parlament kann dazu Empfehlungen abgeben. Die Feststellungen aus den ergänzenden Arbeiten führten die Kommission zur Überzeugung, dass die Stärkung der politischen Führung der Nachrichtendienste substanzielle Massnahmen verlangt. Sie schlägt deshalb drei Massnahmenbereiche vor: 1.

Stärkung der politischen Führung und Kontrolle der Nachrichtendienste durch den Sicherheitsausschuss des Bundesrates;

2.

Einführung harmonisierter und einheitlicher Gesetzesgrundlagen (Rahmengesetz) für den Bereich der Nachrichtendienste in der Schweiz;

3.

Stärkung der Geschäftsprüfungsdelegation und Klärung der Nahtstellen zu den Legislativkommissionen.

Die Kommission verzichtet auf eine spezifische Forderung nach Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit der Nachrichtendienste, wie sie es noch am Schluss der ersten Phase empfohlen hatte. Hingegen sollte der Bundesrat die Information der Bevölkerung bzgl. der grundlegenden Aufgaben des Nachrichtendienstsystems verbessern,

3743

wie dies unlängst in einer Informationsbroschüre über die Nachrichtendienste geschehen ist28.

Die drei vorgeschlagenen Massnahmenbereiche werden in den folgenden Kapiteln näher erläutert.

3.2

Stärkung der politischen Führung der Nachrichtendienste

Die Kompetenzen des Sicherheitsausschusses des Bundesrates, der Lenkungsgruppe Sicherheit und des Nachrichtendienstkoordinators müssen geklärt und gestärkt werden. Diese Stärkung muss folgende Aspekte umfassen:

28

­

Umfassende Nachrichtendienstpolitik: Der Bundesrat muss eine explizite und umfassende Nachrichtendienstpolitik als Ausdruck einer verbesserten Nachrichtendienstkultur formulieren und die entsprechenden Nachrichtenbedürfnisse festlegen. Politische Führung der Nachrichtendienste bedeutet mehr als nur verwalten. Dabei ist zu klären, ­ über welche Basisinformationen der Bundesrat bzgl. der wesentlichen Gefährdungen verfügen muss, ­ welche Entwicklungen in diesen Risikobereichen zu verzeichnen sind, ­ welche konkreten Bedrohungen sich daraus ergeben und ­ welcher Handlungsbedarf bzgl. Nachrichtenbeschaffung und politischer Entscheidungen daraus abgeleitet werden muss.

­

Mehrjahresplanung: Der Bundesrat muss im Rahmen einer Mehrjahresplanung die Prioritäten der Informationsbeschaffung festlegen. Dabei sind die Bedrohungen des Landes, seiner Bevölkerung, der Infrastrukturen sowie von Umwelt und Wirtschaft zu berücksichtigen. Dies geht weiter als das Erstellen einer allgemeinen Prioritätenliste und soll die Führung der Nachrichtendienste stärken und ihnen konkrete und verbindliche Aufgaben zuweisen.

Diese Prioritäten müssen sich überdies in einer entsprechenden Mittelausstattung niederschlagen. Darauf aufbauend soll der Sicherheitsausschuss auch interdepartementale Aufträge erteilen können.

­

Kurzfristplanung/PRIOS-Liste: Die Kommission fordert eine präzisere Formulierung der PRIOS-Aufträge. Sie spricht sich überdies dafür aus, das neue Führungselement der «Swedish List» weiterzuentwickeln.

­

Politische Führung der Nachrichtendienste: Die Kommission plädiert für eine gestraffte und kontinuierliche Führung der Nachrichtendienste. Dies bedeutet: ­ Fester Vorsitz für den Sicherheitsausschuss des Bundesrates.

­ Dieser Vorsitz soll vom Chef VBS eingenommen werden.

­ Der Nachrichtendienstkoordinator soll die Funktion des Stabschefs des Sicherheitsausschusses erhalten und dem Vorsitzenden des Sicherheitsausschusses direkt unterstellt werden.

«Die Nachrichtendienste der Schweiz», Informationsbroschüre des VBS und des EJPD, 2004, 52 S.

3744

Der Nachrichtendienstkoordinator soll ein delegiertes Weisungsrecht im Rahmen seiner Funktion als Stabschef des Sicherheitsausschusses erhalten.

­

Leitung der Lenkungsgruppe Sicherheit durch den Nachrichtendienstkoordinator: Der Vorsitz der Lenkungsgruppe Sicherheit soll neu durch den Nachrichtendienstkoordinator eingenommen werden. Er wird beauftragt, die Beschlüsse des Sicherheitsausschusses über die Nachrichtendienste umzusetzen. Der Nachrichtendienstkoordinator soll von Amtes wegen alle ausgewerteten Informationen erhalten.

­

Keine Zusammenlegung von Inland- und Auslandbeschaffung: Insbesondere aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit hält es die Kommission nicht für angemessen, die Beschaffungsbereiche zusammenzulegen. Nachrichtenbeschaffung im Inland resp. im Ausland unterscheiden sich bzgl. Gesetzesgrundlagen, bewilligter Massnahmen, Kontrollmassnahmen, Auskunftsrecht der betroffenen Personen sowie bzgl. Nachrichtenaustausch mit Partnerdiensten.

­

Organisation der Nachrichtenauswertung: Die Auswertung der Nachrichten kann entweder durch einen integrierten Analysedienst oder dezentral stattfinden. Die Kommission geht davon aus, dass die von ihr geforderte verstärkte Führung der Lenkungsgruppe Sicherheit unter dem Vorsitz des Nachrichtendienstkoordinators als Stabschef des Sicherheitsausschusses des Bundesrates eine markante Verbesserung der Koordination unter den Nachrichtendiensten bewirken wird, und verzichtet deshalb zum heutigen Zeitpunkt auf die Forderung nach einem integrierten Analysedienst. Allerdings ist diesem Aspekt in den nächsten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken.

­

Krisenstab: Der zusätzliche Krisenstab, der gemäss Bundesratsbeschluss vom 8. September 2004 geschaffen werden soll, entspricht nach Auffassung der Kommission eher einem ständigen Einsatzstab und wird in dieser Funktion positiv begutachtet. Er organisiert die Sicherheit bei planbaren Grossereignissen von nationaler Bedeutung und soll zudem bei ausserordentlichen Lagen (Naturereignisse usw.) zuständig sein. Zusätzlich ist der Krisenstab zuständig für Sicherstellung und Organisation des Aufwuchses.

­

Verteidigungsattachés: Das heutige System der Verteidigungsattachés ist im Lichte der gewandelten Bedrohungslage grundsätzlich zu überprüfen.

Die Neuorganisation der Führung der Nachrichtendienstpolitik fällt in den Aufgabenbereich des Bundesrates. Die Kommission beantragt, dass das Parlament mit Nachdruck auf die notwendige Stärkung der politischen Führung der Nachrichtendienste durch die Exekutive hinwirkt. Angesichts des dringenden Handlungsbedarfes geht die Kommission davon aus, dass hier Taten folgen müssen.

3745

3.3

Harmonisierte Gesetzesgrundlage (Rahmengesetz) für die Nachrichtendienste

Die Kommission beantragt, für das System der Nachrichtendienste harmonisierte Gesetzesgrundlagen zu schaffen. Mit dieser Gesetzgebung soll insbesondere festgelegt werden, ­

auf welche Ziele die Tätigkeiten der Nachrichtendienste auszurichten sind;

­

mit welchen Mitteln das System der Nachrichtendienste zur Sicherheit des Landes, seiner Bevölkerung, Umwelt und Infrastruktur beiträgt;

­

welches die wichtigsten Elemente des Systems sind;

­

welches die Beschaffungsmechanismen sind;

­

wie die Nachrichten analysiert werden;

­

nach welchen Grundsätzen die Zusammenarbeit mit Partnerdiensten geregelt wird;

­

welches die Kontrollmechanismen im Bereich der Nachrichtendienste sind.

Dazu folgende erläuternde Hinweise: ­

Informationen, die öffentlich nicht zugänglich sind: Nachrichtendienste beschaffen Informationen, welche andere Dienststellen der Verwaltung nicht erhalten können, weil die entsprechenden Mittel oder die gesetzliche Bewilligung fehlen. Tätigkeiten in der Nachrichtenbeschaffung, die gegen ein Grundrecht oder das Recht eines Drittstaates verstossen, bedürfen der spezifischen Gesetzesgrundlage und Bewilligung. Bewilligt werden solche Tätigkeiten, sofern ein von der Regierung politisch legitimierter Bedarf besteht.

Gleichzeitig muss ein Mechanismus zur Kontrolle der Grundsätze Gesetzmässigkeit und Verhältnismässigkeit sichergestellt werden.

­

Zusammenarbeit mit Partnerdiensten: Zusammenarbeit und Nachrichtenaustausch mit Partnerdiensten müssen von den politischen Behörden genehmigt und regelmässig kontrolliert werden. Die Grundsätze dazu sind gesetzlich festzulegen.

­

Kontrollmechanismen: Mit den Kontrollmechanismen muss überprüft werden können, dass die Nachrichtendienste gesetzmässig, verhältnismässig und budgetkonform handeln. Zudem muss der tatsächliche Beitrag der Nachrichtendienste zur Sicherheit evaluiert werden können. Die Intensität der Kontrolltätigkeiten muss dem Verletzungspotenzial von Grundrechten der Bürger entsprechen. Diese Kontrolltätigkeiten müssen von einem verwaltungsinternen, aber nachrichtendienstexternen Organ wahrgenommen werden. So kann sich die Bundesversammlung vorrangig der Oberaufsicht widmen. Die Kontrolltätigkeiten müssen den gesamten Nachrichtenzyklus umfassen und die Analyse von Rentabilität, Qualität und Effizienz.

Mit dieser harmonisierten Gesetzesgrundlage sollen die festgestellten Lücken geschlossen29 und die Gesetzesgrundlagen einheitlich gestaltet werden. Gleichzeitig wird dies eine eingehende Diskussion über den Aufbau des Schweizer Nachrichtendienstsystems ermöglichen.

29

Vgl. 2.1 und 2.2.

3746

Die Kommission beantragt die Annahme einer Motion, welche den Bundesrat auffordert, für die Nachrichtendienste der Schweiz eine harmonisierte Gesetzesgrundlage zu schaffen. Dieses Rahmengesetz soll die politische Legitimität des Systems steigern, die politische Führung stärken, das System effektiver und effizienter gestalten und die Kontrolle verbessern.

3.4

Stärkung der parlamentarischen Oberaufsicht

Die Kommission beantragt, ihr ursprüngliches Projekt, eine von den Geschäftsprüfungskommissionen unabhängige Nachrichtendienstkommission zu schaffen, welche die heutige GPDel ablösen soll, fallen zu lassen. Sie unterbreitet jedoch drei Vorschläge zur Stärkung der parlamentarischen Oberaufsicht: ­

Ressourcen: Eine Stärkung der GPDel setzt eine Aufstockung ihrer Ressourcen voraus. Die GPDel muss ein eigenes Sekretariat erhalten, das allerdings in dasjenige der Geschäftsprüfungskommissionen integriert werden kann.

Die GPDel soll zudem über ein eigenes Budget verfügen, um ihre Arbeit besser organisieren zu können. Die Kommission misst einer Ressourcenaufstockung für die GPDel Priorität bei. Wenn die politische Führung der Nachrichtendienste professionalisiert wird, müssen die Mittel der parlamentarischen Oberaufsicht dementsprechend aufgestockt werden.

­

Nahtstellen: Die Kommission erachtet eine Klärung der Nahtstellen mit den betroffenen Legislativkommissionen als notwendig. Insbesondere die Zusammenarbeit mit den SiK, deren Kenntnisse in die Arbeit der GPDel einfliessen muss, sowie mit den ebenfalls im Staatsschutzbereich tätigen Kommissionen für Rechtsfragen (RK) muss verstärkt werden. Die Vorsitzenden der betroffenen Legislativkommissionen müssen regelmässig an die GPDel gelangen, um neue Entwicklungen der Sicherheitspolitik oder im Staatsschutz zu den Überlegungen der Delegation beizutragen. Dies soll eine effektive Oberaufsicht unter Integration der Arbeit der Legislativkommissionen gewährleisten. Im gleichen Sinn wünscht die Kommission, dass die Vorsitzenden von SiK und RK bei Bedarf und rechtzeitig von der GPDel über bestimmte Aspekte ihrer Arbeit informiert werden.

­

Überprüfung von Effektivität und Effizienz: Die SiK-NR begrüsst die zunehmende Orientierung der GPDel hin zu Qualitäts-, Effektivitäts- und Effizienzkontrollen und spricht sich dafür aus, diesen Aspekt künftig noch stärker zu betonen. Dies setzt einerseits eine Ressourcenerhöhung und andererseits die Möglichkeit der Geschäftsprüfungskommissionen und der betroffenen Legislativkommissionen voraus, der Geschäftsprüfungsdelegation punktuelle Mandate zu erteilen. Zudem ist dazu die wissenschaftliche Erarbeitung entsprechender Kriterien, Indikatoren und «Benchmarks» notwendig. Die SiK-NR erachtet es als wünschenswert, dass dem Genfer Zentrum für demokratische Kontrolle der Streitkräfte (DCAF) ein entsprechender Forschungsauftrag erteilt wird. Damit könnte das politische Controlling gestärkt werden.

3747

Die Kommission will die Verwaltungsdelegation der Bundesversammlung ersuchen, gemeinsam mit der GPDel eine umfassende Ressourcenplanung der GPDel für die kommenden Jahre zu erarbeiten und darauf basierend entsprechende Mittel bereitzustellen. Ausserdem schlägt sie vor, einen regelmässigen Informationsaustausch zwischen den Vorsitzenden der betroffenen Legislativkommissionen und der GPDel vorzusehen. Zudem spricht sich die Kommission dafür aus, die GPDel in der Stärkung der Qualitätskontrolltätigkeiten zu unterstützen. Forschungsaufträge zu Indikatoren eines politischen Controllings könnten einen Beitrag dazu leisten.

3748

Beilage 1

Motion der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates 05.3001 n

Mo. SiK-NR (02.403) Umfassende Gesetzesgrundlage für das System der Nachrichtendienste vom 11. Januar 2005

Der Bundesrat wird beauftragt, für das System der Nachrichtendienste umfassende Gesetzesgrundlagen zu schaffen. Mit dieser Gesetzgebung soll insbesondere festgelegt werden, 1.

auf welche Ziele die Tätigkeiten der Nachrichtendienste auszurichten sind;

2.

mit welchen Mitteln das System der Nachrichtendienste zur Sicherheit des Landes, seiner Bevölkerung, Umwelt und Infrastruktur beiträgt;

3.

welches die wichtigsten Elemente des Systems sind;

4.

wie die Nachrichtenbeschaffung geplant wird;

5.

welches die Beschaffungsmechanismen sind;

6.

wie die Nachrichten analysiert werden;

7.

nach welchen Grundsätzen die Zusammenarbeit mit Partnerdiensten geregelt wird;

8.

welches die Kontrollmechanismen im Bereich der Nachrichtendienste sind.

Begründung Siehe Bericht der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates vom 11.1.2005.

3749

3750

Stv. Direktor Eidg.

Finanzverwaltung

Oberzolldirektor

Nachrichtendienstkoordinator Lage- und Früherkennungsbüro

Chef EFD

Bundeskriminalpolizei

Bundesanwaltschaft

Luftwaffennachrichtendienst

Koordinationsgruppe Migration

Dienst für Analyse und Prävention

Chef Bundesamt für Polizei

Militärischer Nachrichtendienst

Abteilung Elektronische Kriegführung

Chef EJPD

Seco

Staatssekretär

Chef EVD

LGSi: nicht-ständige Mitglieder: · Vertreter aus dem Bereich Bevölkerungsschutz · Delegierter wirtschaftliche Landesversorgung · Direktor Bundesamt für Kommunikation · Direktor Bundesamt für Informatik und Telekommunikation · Direktor Bundesamt für Gesundheit: gemäss Weisung · Chef ZiSP · Chef Bundessicherheitsdienst / EJPD

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Beilage 2