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24.035 Botschaft zum Bundesbeschluss über den Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel in grenzüberschreitenden Zivilprozessen vom 15. März 2024

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf für einen Bundesbeschluss über den Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel in grenzüberschreitenden Zivilprozessen1.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2021

M 20.4266

Modernere grenzüberschreitende Zivilprozesse (S 17.12.2020, Kommission für Rechtsfragen des Ständerates; N 17.06.2021)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

15. März 2024

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Viola Amherd Der Bundeskanzler: Viktor Rossi

1

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Übersicht Mit dieser Vorlage soll der Einsatz von Telefon- oder Videokonferenzen und vergleichbaren elektronischen Kommunikationsmitteln in grenzüberschreitenden Zivilprozessen erleichtert werden.

Ausgangslage Die Befragung oder Anhörung einer sich in der Schweiz aufhaltenden Person mittels Telefon- oder Videokonferenz im Rahmen eines ausländischen Zivilprozesses bedarf heute einer vorgängigen Genehmigung durch das Bundesamt für Justiz. Die Motion 20.4266 «Modernere grenzüberschreitende Zivilprozesse» der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats beauftragt den Bundesrat, den grenzüberschreitenden Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel einfacher zu gestalten.

Inhalt der Vorlage Die Vorlage sieht vor, dass die Befragung oder Anhörung einer sich in der Schweiz aufhaltenden Person im Rahmen eines ausländischen Zivilverfahrens mittels Telefonoder Videokonferenz ohne vorgängige behördliche Genehmigung zulässig ist, sofern gewisse Bedingungen zur Wahrung der schweizerischen Souveränität und zum Schutz der betroffenen Person eingehalten werden. Neu sollen zudem solche Befragungen oder Anhörungen auch in Zivilprozessen von Staaten möglich sein, die nicht dem Haager Beweisaufnahmeübereinkommen von 1970 (HBewÜ) angehören. Aktuell ist dies nur in Ausnahmefällen möglich.

Umgesetzt werden soll dies mit einer Anpassung der schweizerischen Erklärung Nr. 5 zu den Artikeln 15, 16 und 17 des HBewÜ sowie der Artikel 11 und 11a des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG).

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Motion 20.4266 «Modernere grenzüberschreitende Zivilprozesse»

Am 17. Dezember 2020 und am 17. Juni 2021 haben die Eidgenössischen Räte einstimmig die Motion 20.4266 «Modernere grenzüberschreitende Zivilprozesse» der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats angenommen. Mit dieser wird der Bundesrat beauftragt, «dem Parlament den Entwurf eines Bundesbeschlusses zu unterbreiten, mit dem der Schweizer Vorbehalt zum Haager Beweiserhebungsübereinkommen (HBewÜ) dergestalt angepasst werden kann, dass der Einsatz von Video- und Telefonkonferenzen im internationalen Kontext vereinfacht wird».

Hintergrund der Motion ist die am 17. März 2023 von den Eidgenössischen Räten verabschiedete Revision der Zivilprozessordnung (ZPO)2. Das Parlament hat in den Gesetzestext Bestimmungen aufgenommen, die den Einsatz elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung (insb. Videokonferenzen) in Zivilverfahren ermöglichen sollen.3 Dabei ist auch die Notwendigkeit erkannt worden, die Bestimmungen für grenzüberschreitende Fälle anzupassen.

1.2

Aktuelle Rechtslage

Die Motion betrifft die Beweisaufnahme in der Schweiz im Rahmen eines ausländischen Zivilverfahrens. Konkret geht es um die besondere Form der Befragung oder Anhörung einer sich in der Schweiz aufhaltenden Person mittels Video- oder Telefonkonferenz. Beweisaufnahmehandlungen sind hoheitlicher Natur und können nach schweizerischer Rechtsauffassung von einem ausländischen Gericht nicht unmittelbar in der Schweiz vorgenommen werden. Es muss vielmehr der Rechtshilfeweg beschritten werden.

Für die Schweiz wird die rechtshilfeweise Beweisaufnahme in Zivilsachen im Wesentlichen durch zwei Staatsverträge geregelt: die Haager Übereinkunft vom 1. März 19544 betreffend Zivilprozess (HZPÜ), die sinngemäss auch im ausserstaatsvertraglichen Bereich gilt (Art. 11a Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 19875 über das Internationale Privatrecht, IPRG), und das in der Motion angesprochene Haager Übereinkommen vom 18. März 19706 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivilund Handelssachen (HBewÜ). Das HBewÜ lässt in seinem Kapitel II unter bestimmten Voraussetzungen die unmittelbare Beweisaufnahme im Ausland zu, dies entweder 2 3 4 5 6

SR 272; BBl 2023 786; vom Bundesrat auf den 1. Januar 2025 in Kraft gesetzt.

Siehe insbesondere Art. 141a und 141b sowie Art. 170a, 187 Abs. 1 dritter Satz und 193 revZPO.

SR 0.274.12 SR 291 SR 0.274.132

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in Form der Beweisaufnahme durch diplomatische oder konsularische Vertreter oder Vertreterinnen (Art. 15 f. HBewÜ) oder in Form der Beweisaufnahme durch «Beauftragte» des verfahrensführenden Zivilgerichts, auf Englisch «commissioners» genannt (Art. 17 HBewÜ). Entsprechende Massnahmen dürfen nur «ohne Anwendung von Zwang» erfolgen und bedürfen grundsätzlich der vorgängigen Genehmigung durch den Staat, auf dessen Boden sie vorgenommen werden sollen. Die einzelnen Vertragsstaaten können aber durch entsprechende Erklärung auf das Genehmigungserfordernis verzichten. Die Schweiz hat erklärt, dass sämtliche Formen der unmittelbaren Beweisaufnahme nach Kapitel II HBewÜ eine Genehmigung des Eidgenössischen Justizund Polizeidepartements (EJPD) voraussetzen (Erklärung Nr. 5 zu den Art. 15, 16 und 17).

Die direkte Befragung oder Anhörung einer Person in der Schweiz per Telefon- oder Videokonferenz wird nach langjähriger Praxis des EJPD als Fall von Artikel 17 HBewÜ behandelt und unter entsprechenden Voraussetzungen genehmigt. Das gilt sowohl für eine Befragung durch einen Beauftragten oder eine Beauftragte als auch für eine Befragung durch das ausländische Gericht selbst. Etliche andere Staaten wie auch die Haager Konferenz gehen ebenfalls von der Anwendbarkeit von Kapitel II HBewÜ auf diese Sachverhalte aus.7 Die Zuständigkeit des EJPD für Genehmigungen nach Artikel 17 HBewÜ ergibt sich auch aus Artikel 31 der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 19988 (RVOV), wonach die «Departemente [...] in ihrem Bereich über Bewilligungen nach Artikel 271 Ziffer 1 des Strafgesetzbuches (StGB)9 zur Vornahme von Handlungen für einen fremden Staat» entscheiden. Beweisaufnahmehandlungen in der Schweiz durch Vertreter oder Vertreterinnen eines ausländischen Gerichts gelten nach gefestigter Praxis als solche Handlungen für einen fremden Staat, sodass auch die Genehmigungen nach Kapitel II HBewÜ unter Artikel 31 RVOV fallen. Das EJPD hat für diese besonderen Fälle seine Unterschriftskompetenz an das Bundesamt für Justiz (BJ) delegiert.

Gemäss der erwähnten Schweizer Erklärung ist das Gesuch um Genehmigung «an die Zentralbehörde desjenigen Kantons zu richten, in dem die Beweisaufnahme stattfinden soll». Diese nimmt gemäss der bestehenden Praxis eine Vorprüfung vor und leitet das Gesuch danach an
das BJ weiter. Mit «Zentralbehörde» ist die Behörde gemeint, die gemäss Artikel 2 Absatz 1 HBewÜ vom jeweiligen Vertragsstaat als Empfangsstelle für eingehende Rechthilfeersuchen bezeichnet wird. Die Schweiz hat für jeden Kanton je eine eigene Zentralbehörde angegeben.

Unmittelbare Beweiserhebungshandlungen eines Nicht-HBewÜ-Vertragsstaates in der Schweiz werden als unzulässig betrachtet. Für eine einzelfallweise Genehmigung fehlt es an einer Rechtgrundlage. Artikel 271 StGB bzw. Artikel 31 RVOV können grundsätzlich nicht herangezogen werden, da nach bundesrätlicher Praxis auf Artikel 271 StGB gestützte Bewilligungen unzulässig sind, wo ein ordentlicher Rechts-

7 8 9

Vgl. Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, Praxisleitfaden zur Nutzung von Videoverbindungen im Rahmen des Beweisübereinkommens, S. 39 ff.

SR 172.010.1 SR 311.0

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hilfeweg offensteht.10 Nicht-Vertragsstaaten des HBewÜ haben grundsätzlich die Möglichkeit, den Rechtshilfeweg nach der HZPÜ (die wie gesagt auch im ausserstaatsvertraglichen Bereich gilt) zu beschreiten. Das EJPD hat allerdings für die Dauer der Covid-19-Pandemie eine Ausnahmeregelung erlassen.11 Danach wird für NichtVertragsstaaten des HBewÜ eine auf Artikel 31 RVOV gestützte Genehmigung erteilt, sofern abgesehen von der Zugehörigkeit zum HBewÜ die Voraussetzungen für eine Genehmigung nach Artikel 17 HBewÜ erfüllt sind.

Was den umgekehrten Fall der Befragung oder Anhörung einer sich im Ausland aufhaltenden Person im Rahmen eines schweizerischen Zivilverfahrens betrifft, so sind die neuen ZPO-Bestimmungen (siehe Ziff. 1.1 hiervor) auch über die schweizerische Staatsgrenze hinaus anwendbar. Dies gilt insbesondere für 141a revZPO, wonach das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen «mündliche Prozesshandlungen [...] mittels elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung [...] durchführen oder den am Verfahren beteiligten Personen die Teilnahme mittels solcher Mittel gestatten» kann.

Das IPRG schliesst eine grenzüberschreitende Anwendung der genannten ZPOBestimmungen nicht aus.12 Jedoch ist erforderlich, dass das Recht des betreffenden Staats eine solche grenzüberschreitende Befragung oder Anhörung zulässt, was sich u. a. aus dem Verbot der «Verletzung fremder Gebietshoheit» in Artikel 299 StGB ergibt. Hierauf kann die Schweiz höchstens über den Abschluss eines Staatsvertrags Einfluss nehmen. Geht es um einen Vertragsstaat des HBewÜ, gelten die Regeln von Kapitel II jenes Übereinkommens (zur Handhabung dieser Regeln in einzelnen Staaten siehe Ziff. 3).

1.3

Handlungsbedarf

Im Zuge der schnell voranschreitenden Digitalisierung der Gesellschaft gibt es in grenzüberschreitenden Zivilprozessen immer mehr Befragungen oder Anhörungen von Parteien, Zeuginnen, Zeugen oder Sachverständigen mithilfe elektronischer Kommunikationsmittel. Mit der Covid-19-Pandemie hat sich die Nachfrage nach Videobefragungen noch massiv verstärkt.

Für Personen und Unternehmen in der Schweiz bringt der Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel gewichtige Vorteile. Ihnen wird die Durchsetzung ihrer Rechte erleichtert. Sie müssen sich dafür nicht mehr zwingend ins Ausland begeben.

So kann ­ um ein Beispiel aus der Praxis der Bundesbehörden zu wählen ­ eine Mutter in der Schweiz, die in den USA eine Vaterschaftsklage einreicht, sich unter Umständen eine beschwerliche und kostspielige Reise ersparen. Die Rechtsdurchsetzung wird auch dadurch erleichtert, dass Drittpersonen eher bereit sind, in einem ausländischen Prozess als Zeugin oder Zeuge oder als Fachperson auszusagen. Nicht zuletzt haben Befragungen und Anhörungen mittels elektronischer Kommunikationsmittel auch den Vorteil, dass sie die Reisetätigkeit und die damit verbundene Klimabelastung vermindern.

10 11 12

Siehe VPB 61.82.

Diese Regelung gilt bis zum 30. Juni 2024.

Siehe die Verweisung auf das IPRG in Art. 2 ZPO.

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Das Parlament war bei Annahme der Motion 20.4266 der Auffassung, dass der Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel sowohl im Binnen- als auch im internationalen Verhältnis erleichtert werden müsse. Das geltende Regime (siehe Ziff. 1.2 hiervor), das für jede grenzüberschreitende Befragung oder Anhörung einer Person in der Schweiz eine Genehmigung im Einzelfall voraussetzt, wurde vor diesem Hintergrund als zu schwerfällig beurteilt.

Gemäss ihrem Wortlaut verlangt die Motion lediglich eine Anpassung der schweizerischen Erklärung (des «Schweizer Vorbehalt[s]») zum HBewÜ. Die parlamentarischen Beratungen haben aber gezeigt, dass eine grundsätzliche Erleichterung des Einsatzes elektronischer Kommunikationsmittel gewünscht wird. Ein liberaleres Regime sollte daher nicht nur im Verhältnis zu Vertragsstaaten des HBewÜ, sondern auch im Verhältnis zu Drittstaaten gelten. Die schweizerische Gebietshoheit wird durch die elektronisch vermittelte Befragung oder Anhörung von Personen auf Schweizer Boden vergleichsweise geringfügig tangiert. Anders als bei den herkömmlichen Fällen von Artikel 17 HBewÜ finden keine effektiven ausländischen Handlungen auf schweizerischem Boden statt. Die geltende Praxis fingiert zwar, dass die Person, welche die Befragung oder Anhörung mittels Telefon- oder Videokonferenz vornimmt, sich in die Schweiz begibt. Man könnte den Vorgang theoretisch aber auch so betrachten, dass die zu befragende Person an einer Verhandlung im betreffenden ausländischen Staat teilnimmt. Wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, lässt sich der nötige Schutz der zu befragenden Person auch im Verhältnis zu Drittstaaten gewährleisten. Insbesondere lässt sich das in Artikel 17 HBewÜ statuierte Erfordernis einer Befragung «ohne Anwendung von Zwang» auch auf Drittstaaten erstrecken.

1.4

Vorgeschlagene Lösung

Die gemäss der Motion anzupassende Erklärung Nr. 5 zum HBewÜ setzt für Beweisaufnahmehandlungen eines oder einer Beauftragten eines ausländischen Zivilgerichts in der Schweiz eine Genehmigung im Einzelfall voraus. Für die Umsetzung des parlamentarischen Auftrags drängt sich nun eine Entbindung von diesem Genehmigungserfordernis auf, wie sie Artikel 17 Absatz 2 HBewÜ als Option vorsieht, beschränkt auf Befragungen oder Anhörungen mittels elektronischer Kommunikationsmittel. Der Entwurf schlägt daher vor, den Bundesrat zu einer entsprechenden Änderung der Erklärung Nr. 5 zu ermächtigen. Die Entbindung vom Genehmigungserfordernis soll aber nach dem Wortlaut der Ermächtigung an Bedingungen geknüpft werden, die der Wahrung der schweizerischen Souveränität und dem Schutz der betroffenen Personen dienen.

Eine bedingte Entbindung vom Genehmigungserfordernis ist zwar in Artikel 17 Absatz 2 HBewÜ nicht ausdrücklich vorgesehen. Doch ergibt sich ihre Zulässigkeit aus dem Kontext. Zum einen schränkt eine bedingte Entbindung die Befugnisse der anderen Vertragsstaaten weniger ein als ein Festhalten am Genehmigungserfordernis. Zum andern gestatten Artikel 17 Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 19 HBewÜ der zuständigen Genehmigungsbehörde, ihre Genehmigungen mit Auflagen zu versehen, und dies auch für Genehmigungen, die in «allgemeiner Form» erteilt werden. Was für eine

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Globalgenehmigung zulässig ist, muss auch für eine Entbindung vom Genehmigungserfordernis statthaft sein.

Wie in Ziffer 1.3 ausgeführt wird, sollte die neue Regelung auch für Befragungen oder Anhörungen im Rahmen von Zivilverfahren in Drittstaaten (Nicht-Vertragsstaaten des HBewÜ) gelten. Dies wird vorliegend durch eine Revision der Artikel 11 f. IPRG umgesetzt, welche die Rechtshilfe in Zivilsachen regeln.

Die vorliegend vorgeschlagene Liberalisierung hat nebenbei auch den Vorteil, dass andere Staaten, die ebenfalls ein liberales Regime vorsehen, jedoch Gegenseitigkeit voraussetzen,13 ihre liberalen Bestimmungen auch im Verhältnis zur Schweiz anwenden dürften. Der vorliegende Entwurf verzichtet umgekehrt auf ein Gegenseitigkeitserfordernis, da die vorgeschlagenen Erleichterungen den Interessen der Bürgerinnen und Bürger und der in der Schweiz ansässigen Unternehmen dienen sollen und nicht den Interessen eines anderen Staats.

1.5

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 24. Januar 202414 zur Legislaturplanung 2023­2027 noch im Entwurf des Bundesbeschlusses über die Legislaturplanung 2023­2027 angekündigt. Mit ihr soll die Motion 20.4266 umgesetzt werden.

1.6

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Mit den vorgeschlagenen Neuerungen wird der Auftrag der Motion 20.4266 erfüllt, sodass deren Abschreibung beantragt werden kann.

2

Vorverfahren

2.1

Konsultation der kantonalen Zentralbehörden

Die für die Umsetzung des HBewÜ vorgesehenen kantonalen Zentralbehörden (vgl.

Ziff. 1.2 hiervor) waren im Frühling 202215 zu der im Vorentwurf vorgesehen Lösung sowie zu einem ersten Entwurf für eine mögliche Umsetzung informell konsultiert worden. Von den 18 Kantonen, die sich geäussert haben, begrüssten alle den vorgeschlagenen Ansatz. Ein Kanton sprach sich aber gegen den vorgesehenen Miteinbezug von Drittstaaten (vgl. Ziff. 1.4) aus.

13 14 15

Z. B. das Vereinigte Königreich BBl 2024 525 Schreiben des BJ vom 13. April 2022.

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2.2

Vernehmlassungsverfahren

2.2.1

Ergebnis

Der Vorentwurf zum vorliegenden Entwurf hat vom 23. November 2022 bis zum 9. März 2023 das Vernehmlassungsverfahren durchlaufen. Stellung genommen haben 25 Kantone, 4 politische Parteien sowie 12 Organisationen und weitere Teilnehmende. Der Vorentwurf wird in seiner allgemeinen Stossrichtung mit einer Ausnahme (siehe Ziff. 2.2.2 hiernach) gutgeheissen.

In drei Stellungnahmen wird allerdings die Auffassung vertreten, dass Teilnahmen an einer Verhandlung, die nicht der Beweisaufnahme dient, nicht erfasst werden sollten.

Der in der Konsultation der kantonalen Zentralbehörden beanstandete Miteinbezug von Drittstaaten (vgl. Ziff. 2.1 hiervor) wird hingegen nicht mehr kritisiert.16 Etliche Stellungnahmen enthalten Anregungen zu den Details der Regelung, insbesondere zur geplanten neuen Erklärung Nr. 5 der Schweiz zum HBewÜ.

2.2.2

Würdigung

Die einzige grundsätzlich ablehnende Stellungnahme spricht sich für den Verbleib beim geltenden Recht aus, in der Befürchtung, die Rechtstellung der betroffenen Personen würde mit dem Systemwechsel verschlechtert.

Der Bundesrat erachtet diese Befürchtung als unbegründet. Die im geltenden Regime vorgesehenen Vorkehrungen zum Schutz der betroffenen Person werden in angepasster Form beibehalten und gar um neue Bedingungen ergänzt (vgl. Ziff. 4.2). Aus der Sicht der betroffenen Person ändert sich mit dem Systemwechsel wenig, besonders wenn man berücksichtigt, dass nach der aktuellen Praxis Befragungen oder Anhörungen mittels elektronischer Kommunikationsmittel so gut wie immer genehmigt werden, wenn die gesuchstellende Person alle erforderlichen Informationen geliefert hat.

Schweizer Unternehmen, die in einen ausländischen Zivilprozess involviert sind, und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder Zeuginnen und Zeugen, die sich für diesen Zweck ins Ausland begeben müssten, haben ein Interesse an einer erleichterten Befragung oder Anhörung mittels Telefon- oder Videokonferenz. Dementsprechend haben sich denn auch im Vernehmlassungsverfahren vier Anwaltskanzleien, die regelmässig solche Unternehmen vertreten, klar für die bundesrätliche Vorlage ausgesprochen.

Für die Würdigung der Kritik an der Miterfassung der Verhandlungsteilnahme ausserhalb des Beweisverfahrens sei auf Ziffer 4.2 verwiesen.

Von den zahlreichen Anregungen zur Erklärung Nr. 5 wird vorliegend ein grosser Teil umgesetzt; so z. B. die Konkretisierung des Rechtzeitigkeitserfordernisses für die den schweizerischen Behörden zu übermittelnde Mitteilung, die Flexibilisierung der An16

Siehe zum Ganzen den Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens sowie den Erläuternder Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, unter www.fedlex.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2022 > EJPD > Vernehmlassung 2022/18.

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forderungen an den Inhalt der Mitteilung und die Aufnahme neuer Bedingungen in die Erklärung zum Schutz der betroffenen Person. Letztere betreffen die Übersetzung in die Sprache der betroffenen Person während der Telefon- oder Videokonferenz sowie den Datenschutz und die Datensicherheit (siehe zum Ganzen Ziff. 5).

3

Rechtsvergleich

Von den 64 Vertragsstaaten des HBewÜ haben zehn Staaten17 auf Anfrage der Haager Konferenz ausdrücklich erklärt, Beweisaufnahmen nach Artikel 17 HBewÜ oder zumindest Videobefragungen durch ausländische Gerichte ohne vorgängige Genehmigung zuzulassen. Fünfzehn andere Vertragsstaaten18 schliessen demgegenüber die unmittelbare Beweisaufnahme nach Artikel 17 HBewÜ auf ihrem Staatsgebiet ganz grundsätzlich aus.

Zwischen den EU-Staaten gilt die stark an das HBewÜ angelehnte europäische Beweisaufnahmeverordnung (EuBewVO)19, die unlängst revidiert worden und in ihrer neuen Fassung am 1. Juli 2022 in Kraft getreten ist.20 Nach deren Bestimmungen ist die unmittelbare Beweisaufnahme im Ausland ebenfalls genehmigungsbedürftig (Art. 19), wobei ­ anders als im HBewÜ ­ keine Optionen für abweichende Regelungen der einzelnen Mitgliedstaaten vorgesehen sind. Die «unmittelbare Beweisaufnahme per Videokonferenz oder mittels anderer Fernkommunikationstechnologie» wird in der EuBewVO ausdrücklich als Möglichkeit erwähnt und gleichzeitig gefördert (Art. 20). Im Erwägungsgrund 21 heisst es dazu: «Das Potenzial moderner Kommunikationstechnologien, beispielsweise Videokonferenzen, die ein wichtiges Mittel zur Vereinfachung und Beschleunigung der Beweisaufnahme darstellen, wird derzeit nicht voll ausgeschöpft. Wenn Beweise erhoben werden sollen, indem eine Person mit Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat, z. B. als Zeuge, Partei oder Sachverständiger, vernommen wird, sollte das ersuchende Gericht diese Beweisaufnahme unmittelbar per Videokonferenz oder mittels einer anderen Fernkommunikationstechnologie durchführen, sofern das Gericht über diese Möglichkeit verfügt und sofern das Gericht den Einsatz dieser Technologie aufgrund der besonderen Umstände des Falls für den fairen Ablauf des Verfahrens als angemessen ansieht.» In der Literatur ist umstritten, ob bei dieser Form der Beweisaufnahme das Genehmigungserfordernis entfällt.

17 18 19

20

Australien (für einzelne Bundesstaaten), China (für Hong Kong), Finnland, Kasachstan, Malta, Singapur, Spanien, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten und Zypern.

Darunter die fünf europäischen Staaten Bulgarien, Polen, Portugal, Rumänien, Ukraine.

Verordnung (EU) 2020/1783 des europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (Beweisaufnahme), ABl. L 405 vom 2. Dezember 2020, S. 1.

In der alten Fassung trug sie die Bezeichnung «Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (ABl. L 174 vom 27. Juni 2001, S. 1)».

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Grundzüge der Vorlage

4.1

Die beantragte Neuregelung

Der Entwurf sieht einen zweiteiligen Bundesbeschluss vor. Der erste Teil (Art. 1) enthält die erwähnte Ermächtigung zur Neufassung der schweizerischen Erklärung Nr. 5 zum HBewÜ; im zweiten Teil (Art. 2 und Anhang) werden die erwähnten Änderungen in den Artikeln 11 und 11a IPRG beschlossen.

Artikel 1 ermächtigt den Bundesrat, Erklärung Nr. 5 dahingehend zu ändern, dass für die Befragung oder Anhörung einer sich in der Schweiz aufhaltenden Person mittels elektronischer Kommunikationsmittel keine vorgängige Genehmigung erforderlich ist, sofern bestimmte Bedingungen zur Wahrung der schweizerischen Souveränität und zum Schutze der betroffenen Person erfüllt sind. Dabei wird verlangt, dass die einzelnen Bedingungen in der Erklärung aufgeführt werden.

Der Bundesrat beabsichtigt, Bedingungen folgender Art in die Erklärung aufzunehmen: Zum einen soll das aktuelle Erfordernis eines Gesuchs an das BJ via kantonale Rechtshilfebehörde durch eine Pflicht zur Mitteilung an diese beiden Behörden ersetzt werden. Diese Mitteilung soll im Wesentlichen dieselben Angaben zur geplanten Telefon- oder Videokonferenz enthalten, wie sie heute für die Gesuche um Genehmigung verlangt werden. Zum andern sollen die Auflagen, mit denen die aktuell erteilten Genehmigungen des EJPD versehen werden, in angepasster Form beibehalten werden.

Mit den im Anhang des Bundesbeschlusses vorgesehenen Änderungen in Artikel 11 IPRG soll die Erleichterung des Einsatzes elektronischer Kommunikationsmittel auf Nicht-Vertragsstaaten des HBewÜ erstreckt werden. In Artikel 11 Absatz 2 E-IPRG wird für unmittelbare Beweisaufnahmen in der Schweiz im Rahmen eines ausländischen Zivilverfahrens, die in Form einer Befragung oder Anhörung mittels Telefonoder Videokonferenz erfolgen, auf Artikel 17 HBewÜ verwiesen. Diese Verweisung gilt sowohl für Vertragsstaaten des HBewÜ als auch für Drittstaaten und erfasst auch die Erklärung Nr. 5. In Bezug auf die Vertragsstaaten ist die Verweisung grundsätzlich nur deklaratorischer Natur, da hier das HBewÜ aufgrund des Vorbehalts von Staatsverträgen (Art. 1 Abs. 2 IPRG) direkt anwendbar ist (zur Ausnahme: Ziff. 4.2 hiernach).

4.2

Erweiterung auf Anhörungen ausserhalb des Beweisverfahrens

Die Erleichterung des Einsatzes elektronischer Kommunikationsmittel soll nicht nur für das Beweisverfahren gelten, sondern auch für Anhörungen anderer Art im Rahmen eines Zivilverfahrens, beispielsweise die Deponierung der Anträge und Argumente seitens der Parteien oder die Gewährung des rechtlichen Gehörs. Die Verweisung auf Artikel 17 HBewÜ bezieht sich auch auf Telefon- oder Videokonferenzen zu solchen Zwecken. Artikel 17 HBewÜ gilt hier allerdings nur «sinngemäss», da Kapitel II des Übereinkommens lediglich die «Beweisaufnahme» zum Gegenstand hat.

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Auch ausserhalb des Rahmens einer Beweisaufnahme bestehen Interessen an der Möglichkeit, Anhörungen mittels elektronischer Kommunikationsmittel durchzuführen, was dafürspricht, das neue Regime weit zu fassen. Damit können auch Abgrenzungsfragen im Einzelfall vermieden werden, welche der Rechtssicherheit abträglich sind. Aus Sicht der schweizerischen Souveränität spricht nichts gegen einen Miteinbezug von Anhörungen ausserhalb des Beweisverfahrens. Diese tangieren im Gegenteil die schweizerische Souveränität weniger, da sie in der Regel die Prozessparteien betreffen, welche der Justizhoheit des ausländischen Verfahrensstaates unterstehen.21 Eine Befragung als Massnahme der Beweisaufnahme betrifft demgegenüber in den meisten Fällen Zeuginnen und Zeugen oder Sachverständige, also prozessexterne Personen.

Für schweizerische Prozessparteien ist das Prozessieren im Ausland mit Risiken verbunden. Dies gilt jedoch auch für eine physische Teilnahme am Prozess. Die Teilnahme an einer Telefon- oder Videokonferenz muss sowohl unter dem geltenden als auch unter dem neuen Regime freiwillig erfolgen. Die Prozesspartei kann daher wählen, ob sie am Zivilprozess im Ausland virtuell oder lieber physisch teilnehmen möchte. Der Bundesrat trägt aber den Bedenken einzelner Vernehmlassungsteilnehmer insoweit Rechnung, als er in seinen Entwurf für die neue Erklärung Nr. 5 zusätzliche Bestimmungen zum Schutz der betroffenen Person aufgenommen hat (siehe Abs. 3 Bst. i, j und k der Erklärung).

4.3

Miterfassung reiner Telefonkonferenzen

Gemäss dem neuen Artikel 141b Absatz 2 ZPO kann in einem schweizerischen Zivilverfahren nur «ausnahmsweise auf die Übertragung des Bildes verzichtet werden, wenn besondere Dringlichkeit oder andere besondere Umstände des Einzelfalls vorliegen». Die Aufnahme einer entsprechenden Einschränkung in Absatz 3 der neuen Erklärung Nr. 5 oder gar in Artikel 11 Absatz 2 E-IPRG empfiehlt sich jedoch nicht, da hier die Zulässigkeit einer reinen Telefonkonferenz von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig gemacht würde. Die Voraussetzungen, unter denen eine unmittelbare Beweisaufnahme in der Schweiz ohne vorgängige Genehmigung zulässig ist, sollten möglichst klar formuliert sein.

Eine Beschränkung der Zulässigkeit reiner Telefonkonferenzen auf Beweisaufnahmehandlungen, wie von einem Vernehmlassungsteilnehmer vorgeschlagen, würde die Regelung erheblich verkomplizieren und zudem Abgrenzungsfragen aufwerfen. Ein gänzlicher Ausschluss reiner Telefonkonferenzen würde nach Ansicht des Bundesrats den Spielraum der ausländischen Zivilgerichte unnötig einschränken. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund, dass die ganze Regelung auf Freiwilligkeit beruht (vgl.

Ziff. 1.2). Eine Befragung oder Anhörung mittels einer reinen Telefonkonferenz bedarf der Zustimmung der betroffenen Person.

21

Vgl. Bundesamt für Justiz, Wegleitung zur internationalen Rechtshilfe in Zivilsachen, S. 21.

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5

Geplante Umsetzung von Art. 1 des Bundesbeschlusses

5.1

Die neue Erklärung Nr. 5

Der Bundesrat beabsichtigt, die Erklärung Nr. 5 wie folgt neuzufassen: 5. Zu den Art. 15, 16 und 17 Gemäss Artikel 35 erklärt die Schweiz, dass die Beweisaufnahme im Sinne der Artikel 15, 16 und 17 eine vorherige Genehmigung voraussetzt, die vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement erteilt wird. Absatz 3 ist vorbehalten. Das Gesuch ist an das Bundesamt für Justiz (BJ) zu richten. Der Zentralbehörde desjenigen Kantons, in dem die Beweisaufnahme stattfinden soll, ist eine Kopie des Gesuchs zu übermitteln.

1

Die oder der Beauftrage im Sinne von Artikel 17 kann die Beweisaufnahme selbst durchführen oder nur beaufsichtigen. Sie oder er ist dafür verantwortlich, dass die Bestimmungen des Übereinkommens eingehalten und die mit der Genehmigung verbundenen Auflagen oder die unten in Absatz 3 genannten Voraussetzungen erfüllt werden. Sie oder er kann im Verhinderungsfall eine Vertreterin oder einen Vertreter bezeichnen. Das Gericht kann mehrere Beauftragte bestellen.

2

Die Befragung oder Anhörung einer sich in der Schweiz aufhaltenden Person durch eine Beauftragte oder einen Beauftragten vom Ausland aus oder die Teilnahme einer solchen Person an einer Verhandlung im Ausland mittels Telefon- oder Videokonferenz oder eines anderen elektronischen Mittels zur Ton- oder Bildübertragung ist ohne vorherige Genehmigung zulässig, sofern die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: 3

a)

Der Zeitpunkt der Telefon- oder Videokonferenz wird dem BJ und der Zentralbehörde des Kantons, auf dessen Gebiet sich die betroffene Person während der Konferenz aufhält, rechtzeitig mitgeteilt (Art. 19). Rechtzeitig ist die Mitteilung in jedem Fall dann, wenn sie mindestens vierzehn Tage vor der Telefon- oder Videokonferenz beim BJ eingeht.

b)

Die Mitteilung enthält folgende Angaben: ­ Bezeichnung und Aktenzeichen der Rechtssache, ­ Bezeichnung des zuständigen Gerichts, ­ Namen und Adressen der Parteien und ihrer Vertreterinnen und Vertreter (einschliesslich der allfälligen Vertreterinnen und Vertreter in der Schweiz), ­ Name und Privat- oder Geschäftsadresse der betroffenen Person sowie Bezeichnung des Kantons, in dem sie sich während der Telefon- oder Videokonferenz aufhalten wird, ­ Name, soweit bekannt, und Funktion der übrigen Personen, die an der Telefon- oder Videokonferenz teilnehmen, ­ Art und Gegenstand der Rechtssache sowie Thema der Telefon- oder Videokonferenz,

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­ ­

genaue Bezeichnung des verwendeten Kommunikationsmittels und, falls bereits bekannt, Angabe der Einwahldaten, die Bezeichnung einer Ansprechpartnerin oder eines Ansprechpartners für das BJ und die kantonale Zentralbehörde.

c)

Hat das Gericht eine Beauftragte oder einen Beauftragten bestellt, liegt der Mitteilung eine Kopie des Beschlusses bei. Sie hat zudem den Namen sowie die Privat- oder Geschäftsadresse der oder des Beauftragten zu enthalten.

d)

Die Behörden können weitere Informationen verlangen.

e)

Die kantonale Zentralbehörde oder eine von ihr bezeichnete andere Behörde kann an der Telefon- oder Videokonferenz teilnehmen (Art. 19).

f)

Der Mitteilung liegt eine Erklärung der betroffenen Person bei, wonach diese die vorliegenden Voraussetzungen zur Kenntnis genommen hat und ihrer Teilnahme an der Telefon- oder Videokonferenz zustimmt.

g)

Die betroffene Person kann ihre Zustimmung jederzeit zurückziehen.

h)

Die Regeln der Artikel 20 und 21 werden eingehalten.

i)

Die betroffene Person hat das Recht, in ihrer Muttersprache befragt zu werden und in ihrer Muttersprache zu sprechen, und kann die Übersetzung der wesentlichen Aussagen anderer Personen verlangen, die an der Telefon- oder Videokonferenz teilnehmen.

j)

Die eingesetzte Technik gewährleistet den Schutz von Personendaten vor unbefugtem Bearbeiten. Bei einer Videokonferenz erfolgt die Übertragung von Ton und Bild zwischen sämtlichen beteiligten Personen zeitgleich.

k)

Die Ergebnisse der Beweisaufnahme werden ausschliesslich für die Zwecke des Verfahrens verwendet, in dessen Rahmen die Beweisaufnahme durchgeführt wird.

Gesuche nach Absatz 1 oder Mitteilungen nach Absatz 3 sind in elektronischer Form zulässig. Sie sind in einer Amtssprache des betroffenen Kantons abzufassen oder mit einer Übersetzung zu versehen.

4

Die strafrechtlichen Geheimhaltungsbestimmungen der Schweiz, insbesondere Artikel 273 des Strafgesetzbuchs (SR 311.0), bleiben vorbehalten.

5

5.2

Erläuterungen zu den einzelnen Absätzen

Vorbemerkungen Die bislang aus einem Absatz bestehende Erklärung Nr. 5 soll neu in fünf Absätze gegliedert werden. Absatz 1 enthält den Text der bisherigen Erklärung, mit einer klareren Regelung bezüglich der innerstaatlichen Zuständigkeit für die Erteilung einer Genehmigung; Absatz 2 enthält Präzisierungen, die in der aktuellen Praxis teilweise in die Auflagen der einzelnen Genehmigungsverfügungen aufgenommen werden; Absatz 3 enthält als Neuerung eine Sonderregelung für Beweisaufnahmen in Form einer Befragung oder Anhörung mittels Telefon- oder Videokonferenz, und Absatz 4 äus13 / 26

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sert sich zu den formalen Anforderungen an die in den Absätzen 1 und 3 verlangten schriftlichen Eingaben. Gemäss Absatz 5 stehen all diese Bestimmungen unter dem Vorbehalt, dass die strafrechtlichen Geheimhaltungsbestimmungen der Schweiz zu beachten sind.

Erklärung Nr. 5 Abs. 1 Absatz 1 basiert auf der geltenden Erklärung Nr. 5. Inhaltlich neu sind der Vorbehalt der in Absatz 3 angesprochenen Befragungen oder Anhörungen per Telefon- oder Videokonferenz sowie eine klarere Regelung des Verfahrensablaufs.

Der aktuelle Text der Erklärung Nr. 5 sieht vor, dass Genehmigungsersuchen im Sinne der Artikel 15 ff. HBewÜ an die Zentralbehörde des Kantons zu richten sind, in dem die Beweisaufnahme stattfinden soll. Diese Regelung wurde mit Blick auf die damals noch gegebene Zuständigkeit der Kantone für das Zivilverfahrensrecht geschaffen und wirft Fragen in Bezug auf die Rollenteilung auf. Der betreffende Satz soll nun dahingehend geändert werden, dass das Ersuchen an das BJ zu übermitteln ist, mit einer Kopie an die jeweils betroffene kantonale Zentralbehörde. Diese Regelung soll es der kantonalen Behörde ermöglichen, dort, wo sie Bemerkungen zum Ersuchen hat, diese vorzubringen. Gleichzeitig soll klargestellt werden, dass die Zuständigkeit für die Bewilligungserteilung vollumfänglich beim EJPD liegt, wie es sich aus dem bereits erwähnten Artikel 31 RVOV ergibt (der nach Hinterlegung der Erklärung Nr. 5 erlassen wurde). Bei den im Rahmen von Kapitel II HBewÜ erteilten Bewilligungen handelt es sich wie gesagt um Bewilligungen nach Artikel 271 StGB. Diese Neuregelung der Zuständigkeit wurde im Vernehmlassungsverfahren von keinem Kanton in Frage gestellt. Ein Kanton würde allerdings eine noch weitergehende Änderung bevorzugen, gemäss welcher die Kantone in die Verfahren nach Erklärung Nr. 5 gar nicht mehr involviert wären.

Die Erklärung Nr. 5 bezieht sich ausschliesslich auf Kapitel II des HBewÜ. Die bestehende Zuständigkeitsordnung für Ersuchen nach Kapitel I HBewÜ oder nach der HZPÜ würde daher durch die erwähnten Neuerungen nicht berührt.

Erklärung Nr. 5 Abs. 2 Absatz 2 enthält Präzisierungen, die in der aktuellen Praxis teilweise in die Auflagen der einzelnen Bewilligungsverfügungen aufgenommen werden. Dazu gehört auch die Befugnis des oder der Beauftragten, sich im Verhinderungsfall vertreten zu lassen.
Die übrigen Befugnisse und Pflichten des oder der Beauftragten werden durch eine solche Vertretung nicht berührt. Die vertretende Person übernimmt die Befugnisse und Pflichten der ursprünglich beauftragten Person.

Erklärung Nr. 5 Abs. 3, einleitender Absatz Gemäss Absatz 3 soll inskünftig keine Genehmigung mehr nötig sein, wenn es sich bei der Beweisaufnahme um eine Befragung oder Anhörung mittels Telefon- oder Videokonferenz oder eines anderen elektronischen Mittels zur Ton- oder Bildübertragung handelt. Der Text spricht einerseits von der «Befragung einer sich in der Schweiz aufhaltenden Person durch eine Beauftragte oder einen Beauftragten vom Ausland aus» und andererseits von der «Teilnahme einer solchen Person an einer Verhandlung im Ausland». Der erste Teil ist auf Artikel 17 HBewÜ zugeschnitten, der von der Be14 / 26

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weisaufnahme durch einen «Beauftragten» spricht. Der zweite Teil trägt der schweizerischen Behördenpraxis Rechnung, wonach bei Telefon- oder Videokonferenzen die Befragung oder Anhörung durch das Gericht selbst der Befragung durch einen «Beauftragten» gleichzusetzen ist. Im Text ist bewusst von «Verhandlung» und nicht von «Beweisverhandlung» oder dergleichen die Rede. Damit soll verhindert werden, dass bezüglich jeder einzelnen Aussage der betroffenen Person geprüft werden muss, ob diese noch in den Bereich der Beweisaufnahme fällt. Die Grenze ist hier nicht immer leicht zu ziehen. Dies soll nichts daran ändern, dass die Erklärung Nr. 5 grundsätzlich auf Beweisaufnahmehandlungen zugeschnitten ist, erfolgt sie doch im Rahmen von Kapitel II des HBewÜ, welches die «Beweisaufnahme» zum Gegenstand hat. Eine strikte Abgrenzung zwischen Befragungen und Anhörungen im Rahmen der Beweisaufnahme und Anhörungen anderer Art ist insofern nicht erforderlich, als das HBewÜ (und damit auch Erklärung Nr. 5) gemäss Artikel 11 Absatz 3 E-IPRG ohnehin auf beide Fälle Anwendung findet (vgl. die Erläuterungen zu Art. 11 Abs. 3 E-IPRG in Ziff. 6 hiernach).

Die Regelung gilt für den Fall, dass sich die betroffene Person während der jeweiligen Telefon- oder Videokonferenz in der Schweiz aufhält. Sie sieht nicht vor, dass sich die betroffene Person für die Teilnahme an der Telefon- oder Videokonferenz an einen bestimmten Ort (beispielsweise die Räumlichkeiten des lokalen Zivilgerichts) begeben muss. Sie muss sich allerdings im angegebenen Kanton (vgl. Abs. 3 Bst. b) aufhalten. Umgekehrt setzt die Regelung ihrem Wortlaut gemäss voraus, dass sich die befragende Person oder das die Verhandlung durchführende Gericht zur besagten Zeit im Ausland befindet.

Die Entbindung vom Genehmigungserfordernis wird an die Einhaltung einer Liste von Voraussetzungen geknüpft, welche grösstenteils der aktuellen Genehmigungspraxis entnommen sind. Diese Voraussetzungen werden in den Buchstaben a­k aufgelistet.

Erklärung Nr. 5 Abs. 3, Bst. a­k Damit die schweizerische Souveränität gewahrt bleibt, aber auch zum Schutz der betroffenen Person muss die Handlung angekündigt werden. Diese Ankündigung ersetzt die entfallende Pflicht zur vorgängigen Einholung einer Genehmigung. Buchstabe a sieht vor, dass das BJ und die zuständige kantonale Zentralbehörde
über die geplante Telefon- oder Videokonferenz und deren Zeitpunkt zu informieren sind. Von wem die Behörde die Informationen erhält, spielt keine Rolle. Die einschlägige Mitteilung kann vom ausländischen Zivilgericht, einer der Prozessparteien oder deren in- oder ausländischen Rechtsvertreterinnen oder -vertretern ausgehen und auch von der betroffenen Person selbst bzw. ihrer Rechtsvertretung. Die Mitteilung hat in jedem Fall «rechtzeitig» zu erfolgen. Dieser Begriff entstammt dem vorerwähnten Artikel 19 HBewÜ und ist im Sinne dieser Bestimmung zu verstehen. Der kantonalen Zentralbehörde ist genügend Vorlaufzeit zu geben, um an der Telefon- oder Videokonferenz teilnehmen zu können, falls sie dies wünscht. Auf Wunsch zahlreicher Vernehmlassungsteilnehmer enthält Buchstabe a neu eine Frist: Die Rechtzeitigkeit der Mitteilung ist auf jeden Fall dann gegeben, wenn sie mindestens vierzehn Tage vor der geplanten Telefon- oder Videokonferenz beim BJ eingeht. Die Rechtzeitigkeit später eingegangener Mitteilungen hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Mit dieser 15 / 26

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Regelung soll nicht ausgeschlossen werden, dass die Behörden in dringlichen Fällen auch kurzfristige Mitteilungen akzeptieren.

Buchstabe b enthält eine Liste von Angaben zum ausländischen Zivilverfahren sowie zur geplanten Telefon- oder Videokonferenz, welche die besagte Mitteilung enthalten muss. Der Grossteil dieser Angaben wird bereits unter dem geltenden Regime verlangt. Wurde vom ausländischen Gericht ein Beauftragter oder eine Beauftragte eingesetzt, ist der Mitteilung gemäss Buchstabe c zusätzlich der betreffende Gerichtsbeschluss beizulegen. Nach Buchstabe d können die Behörden weitere Informationen einfordern.

Primärer Zweck der erwähnten Angaben ist es, der Schweiz eine gewisse Kontrolle über hoheitliche Handlungen zu geben, die Auswirkungen auf ihrem Staatsgebiet haben. Unter anderem sollen sie der kantonalen Zentralbehörde eine Entscheidungsgrundlage für die Frage zu liefern, ob sie an der Telefon- oder Videokonferenz teilnehmen soll. Eine entsprechende Befugnis wird der kantonalen Zentralbehörde in Buchstabe e eingeräumt. Diese ergibt sich allerdings bereits aus Artikel 19 HBewÜ und besteht somit schon unter dem geltenden Recht. Artikel 19 HBewÜ gilt auch für den Fall, dass die Genehmigungsbehörde eine Globalgenehmigung (Art. 17 Abs. 1 Bst. a HBewÜ) erteilt hat. Die Vertragsstaaten müssen daher das Recht haben, sich eine entsprechende Befugnis auch für den Fall der Entbindung von der Genehmigungspflicht vorzubehalten. Dass die Befugnis nicht durch das BJ als Genehmigungsbehörde, sondern eine mit ihr zusammenarbeitende kantonale Behörde ausgeübt wird, erscheint unproblematisch, da die interne Behördenorganisation Sache der Vertragsstaaten ist. Der Zweck einer allfälligen Teilnahme der kantonalen Zentralbehörde an einer Telefon- oder Videokonferenz wird in erster Linie darin bestehen, darüber zu wachen, dass die Regeln zum Schutz der betroffenen Person und der schweizerischen Geheimhaltungspflichten eingehalten werden.

Über die geltende Praxis hinaus geht die in Buchstabe f statuierte Voraussetzung, welche die Einreichung einer Erklärung der betroffenen Person verlangt, wonach diese die aufgelisteten Regeln zur Kenntnis genommen hat und ihrer Teilnahme an der Telefon- oder Videokonferenz zustimmt. Zweck dieses Erfordernisses ist es, den bestehenden Schutz der betroffenen Person
aufrechtzuerhalten. Unter dem geltenden Recht werden die einzelnen Genehmigungsverfügungen mit Hinweisen versehen, welche die betroffene Person auf ihre Rechte aufmerksam machen sollen. Mit dem Wegfall des Genehmigungserfordernisses muss diese Rechtsbelehrung nun in anderer Form erfolgen. Eine besondere Form ist für die Erklärung nicht vorgesehen. Sie kann somit beispielsweise auch per E-Mail erfolgen. Die betroffene Person kann ihre Zustimmung nachträglich wieder zurückziehen (Bst. g).

Das BJ oder die kantonale Zentralbehörde können um ihre informelle Einschätzung gebeten werden, ob die ihnen eingereichten Informationen und Dokumente den Anforderungen der Erklärung Nr. 5 genügen. Stellt eine Behörde von sich aus fest, dass Informationen oder Dokumente fehlen, steht es ihr selbstverständlich frei, den Verfasser oder die Verfasserin der Mitteilung oder die darin bezeichnete Ansprechperson (vgl. Bst. b) darauf hinzuweisen. Die Behörden können die Durchführung der Telefon- oder Videokonferenz mit der betroffenen Person nicht verbieten. Sind sie der Meinung, dass die in Absatz 3 aufgelisteten Voraussetzungen trotz Abmahnungen von ihrer Seite nicht eingehalten werden, haben sie jedoch die Möglichkeit, Strafanzeige 16 / 26

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gestützt auf Artikel 271 Ziffer 1 StGB (siehe dazu weiter unten) einzureichen. Haben sie Bedenken bezüglich der Rechtstaatlichkeit des ausländischen Zivilverfahrens, steht es ihnen frei, die betroffene Person darauf hinweisen.

Die Verfahrensrechte der betroffenen Person ergeben sich primär aus den Buchstaben g­i, welche u. a. auf die Artikel 20 f. HBewÜ verweisen. Artikel 21 HBewÜ enthält seinerseits eine Verweisung auf Artikel 11 HBewÜ, der sich zu den Aussageverweigerungsrechten der betroffenen Person äussert. Da sich bezüglich der Geltung der Artikel 20 f. HBewÜ keine Änderungen ergeben, kann auf weitere Erläuterungen dazu verzichtet und auf die Ausführungen in der Botschaft zur Ratifikation des HBewÜ22 verwiesen werden.

Buchstabe i betreffend die Sprache der Befragung oder Anhörung übernimmt eine häufige Auflage unter dem geltenden Regime. Neu ist allerdings der zweite Satzteil, wonach die betroffene Person zusätzlich Anspruch auf Übersetzung wesentlicher Aussagen anderer Personen hat, die während der Telefon- oder Videokonferenz gemacht werden. Dies entspricht einem allgemeinen Grundsatz des schweizerischen Rechts, der aus dem verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches Gehör abgleitet wird.23 Diese Erweiterung ist vor allem im sinngemässen Anwendungsbereich der Erklärung Nr. 5 von Bedeutung (vgl. dazu die Erläuterungen zu Art. 11 Abs. 3 E-IPRG in Ziff. 6 hiernach) und trägt einer im Vernehmlassungsverfahren vorgebrachten Kritik Rechnung.

Mit dem ersten Satz in Buchstabe j betreffend Datensicherheit soll einem Anliegen mehrerer Vernehmlassungsteilnehmer entsprochen werden.24 Zum Datenschutz siehe den nachfolgenden Absatz zu Buchstabe k. Der zweite Satz von Buchstabe j betreffend Synchronizität der Ton- und Bildübertragung lehnt sich an Artikel 141b Absatz 2 revZPO an.

Buchstabe k geht auf die Anregung eines Vernehmlassungsteilnehmers zurück und setzt das sog. Spezialitätsprinzip25 um. Mit dieser einschränkenden Bedingung soll insbesondere die Verwendung der Beweisaufnahmeergebnisse in einem Strafverfahren ausgeschlossen werden. Eine grenzüberschreitende Beweisaufnahme in einer Zivilsache soll nicht zur Umgehung der Strafrechtshilfe verwendet werden können.

Ansonsten soll nicht über das hinausgegangen werden, was unter dem geltenden Recht verlangt wird. Mit einem überladenen Voraussetzungskatalog
verlöre die neue Regelung ihre Praktikabilität. Das BJ wird die einzelnen Voraussetzungen in seiner Wegleitung zur internationalen Rechtshilfe in Zivilsachen26 näher erläutern.

Werden die genannten Voraussetzungen nicht eingehalten, stellt die Befragung oder Anhörung einer Person in der Schweiz im Rahmen eines ausländischen Zivilverfahrens grundsätzlich ein unbewilligtes Handeln für einen fremden Staat im Sinne von Artikel 271 Ziffer 1 StGB dar.

22 23 24 25 26

BBl 1993 III 1261 Art. 29 Abs. 2 der Bundesverfassung (BV, SR 101). Vgl. dazu das Bundesgerichtsurteil 5A_639/2014 vom 8. September 2015 E. 4.2.

Vgl. auch Art. 141b Abs. 1 Bst. c revZPO.

Siehe dazu das Bundesgerichtsurteil 5P.152/2002 vom 26. August 2002.

Abrufbar unter www.rhf.admin.ch > Zivilrecht > Wegleitungen und Merkblätter.

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Erklärung Nr. 5 Abs. 4 Absatz 4 hält auf Wunsch verschiedener kantonaler Zentralbehörden (vgl. Ziff. 2.1 hiervor) fest, dass Genehmigungsersuchen nach Absatz 1 oder Mitteilungen nach Absatz 3 auch in elektronischer Form erfolgen können. Besondere Anforderungen an die elektronische Form, wie sie beispielsweise in Artikel 130 Absatz 2 ZPO vorgesehen sind, sollen vorliegend nicht gelten. Ein einfaches E-Mail soll genügen.

Der zweite Satz hält fest, dass diese Schreiben in einer Amtssprache desjenigen Kantons zu verfassen (oder mit einer entsprechenden Übersetzung zu versehen) sind, auf dessen Boden die Beweisaufnahme stattfinden soll. Im Fall von Absatz 3 ist das der Kanton, in dem sich die betroffene Person während der Telefon- oder Videokonferenz aufhalten soll. Anders als nach der schweizerischen Erklärung zu Artikel 4 HBewÜ (Erklärung Nr. 3) muss nicht zwingend die Sprache des betroffenen Kantonsteils gewählt werden. Dies hat zwei Gründe: Zum einen richtet sich das Schreiben ­ anders als bei Erklärung Nr. 3 ­ nicht an eine Bezirksbehörde, sondern an eine Bundes- und eine zentrale Kantonsbehörde. Zum andern steht vorliegend ­ anders als bei Rechtshilfeersuchen nach Kapitel I HBewÜ ­ der betroffene Bezirk nicht immer im Voraus fest. In der Mitteilung nach Absatz 3 Buchstabe a muss lediglich angegeben werden, in welchem Kanton sich die betroffene Person im Zeitpunkt der Beweisaufnahme aufhalten wird.

Wie schon unter dem geltenden Recht steht es dem BJ und den kantonalen Behörden frei, in welcher Form sie mit den involvierten Personen kommunizieren wollen. Damit stehen insbesondere auch die heute gebräuchlichen Kommunikationskanäle Telefon und E-Mail offen.

Erklärung Nr. 5 Abs. 5 Dieser Absatz soll festhalten, dass die Zulassung einer unmittelbaren Beweisaufnahme nichts daran ändert, dass sich die von der Beweisaufnahme betroffene Person an die Geheimhaltungspflichten des schweizerischen Rechts halten muss. Dazu gehören beispielsweise Artikel 273 StGB (betreffend Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisse) und Artikel 47 des Bankengesetzes vom 8. November 193427 (BankG) (betreffend Bankkundengeheimnis). Heute werden Genehmigungen nach Artikel 17 HBewÜ regelmässig mit einer entsprechenden Auflage versehen.

Die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes vom 25. September 202028 (DSG) sollen von Absatz 5
nicht miterfasst werden. Gemäss Artikel 2 Absatz 3 DSG unterstehen «die Bearbeitung von Personendaten und die Rechte der betroffenen Personen in Gerichtsverfahren» dem «anwendbare[n] Verfahrensrecht».

27 28

SR 952.0 SR 235.1, in Kraft seit dem 1. September 2023.

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6

Erläuterungen zu den vorgeschlagenen IPRG-Bestimmungen

Art. 11 Randtitel Der Randtitel Artikel 11 soll an den neuen Inhalt der Bestimmung angepasst werden, der sich nicht mehr auf die Vermittlung der Rechtshilfe beschränkt, sondern auch andere Grundsätze der Rechtshilfe festhält.

Art. 11 Abs. 1 erster Satz Die Revision von Artikel 11 IPRG bezweckt - für den Sonderfall von Telefon- oder Videokonferenzen - eine Entbindung vom Gebot, für hoheitliche Akte auf Schweizer Boden im Rahmen eines ausländischen Zivilverfahrens den Rechtshilfeweg zu beschreiten (Näheres dazu unten, zu Abs. 2). Das Gebot zur Beschreitung des Rechtshilfewegs gründet im schweizerischen Souveränitätsverständnis. Absatz 1 kodifiziert nun diesen Grundsatz.

Die praktisch bedeutendsten hoheitlichen Akte, die im Rahmen eines ausländischen Zivilverfahrens in der Schweiz vorgenommen werden, sind Zustellungen von Schriftstücken, die Rechtswirkungen gegenüber dem Empfänger entfalten, sowie Massnahmen zur Beweisaufnahme wie Zeugeneinvernahmen, Parteibefragungen, Expertenanhörungen, das Herausverlangen von Urkunden, das Besichtigenlassen durch eine Fachperson oder die Vornahme eines Augenscheins. Die Zustellungen und die Beweisaufnahme sind denn auch Gegenstand verschiedener multilateraler und bilateraler Staatsverträge, zu denen u. a. die bereits genannten HZPÜ und HBewÜ gehören. Es sind indes auch andere Handlungen auf Schweizer Boden denkbar, die einen hoheitlichen Charakter aufweisen, wie etwa die förmliche Anhörung einer Person zu anderen als Beweisaufnahmezwecken. Der vorgeschlagene Absatz 1 soll auch diese Handlungen abdecken.

Die Begriffe «Zustellung von gerichtlichen und aussergerichtlichen Schriftstücken» und «Beweisaufnahmehandlungen» sind im Sinne der vorerwähnten Haager Übereinkommen zu interpretieren. Auch bei den «aussergerichtlichen» Schriftstücken geht es stets um Schriftstücke, die von einer Stelle oder Person mit hoheitlicher Funktion versandt werden.29 «Zivilverfahren» ist in einem weiten Sinne zu verstehen und meint jegliche Art von Verfahren vor einer solchen Stelle oder Person in einer Zivilsache, nicht nur Verfahren vor einer Gerichtsbehörde.

Art. 11 Abs. 1 zweiter Satz Die Verweisung auf den Rechtshilfeweg bedeutet, dass die betreffenden Handlungen auf Schweizer Boden vom ausländischen Gericht oder von den von ihm eingesetzten Personen nur mittels einer schweizerischen
Behörde vorgenommen werden können.

Die Voraussetzungen und Verfahrensschritte für die Gewährung von Rechtshilfe sind in den erwähnten Staatsverträgen geregelt. Bei Fehlen eines anwendbaren Staatsver29

Vgl. Ziff. II.B der in Ziff. 5.2 erwähnten Wegleitung des BJ zur internationalen Rechtshilfe in Zivilsachen.

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trages müsste das ausländische Gericht grundsätzlich den diplomatischen Weg beschreiten, um ein Gesuch an die Schweiz zu stellen. Dies ist kompliziert und nicht mehr zeitgemäss. Deshalb sieht bereits das geltende Recht vor, dass in den genannten Fällen die Regeln der HZPÜ angewendet werden (Art. 11a Abs. 4 IPRG). Aufgrund der Neugestaltung von Artikel 11 IPRG wird diese Bestimmung nun in Artikel 11 Abs. 1 E-IPRG integriert. Artikel 11 E-IPRG regelt damit die Frage der Rechtshilfebedürftigkeit und die Voraussetzungen für die Gewährung von Rechtshilfe, während Artikel 11a E-IPRG Bestimmungen zum Vollzug eines Rechtshilfegesuchs in der Schweiz enthält. An der geltenden Rechtslage ändert sich mit den erwähnten Umstellungen nichts.

Die Verweisung auf die HZPÜ beschränkt sich neu auf deren Kapitel I und II, welche die Rechtshilfe im Sinne von Artikel 11 Absatz 1 E-IPRG regeln. Diese Beschränkung gilt aber im Ergebnis schon unter dem aktuellen Recht, da die weiteren Kapitel III («Sicherheitsleistung für die Prozesskosten») und Kapitel IV («Armenrecht») der HZPÜ bereits vorrangig durch Artikel 11b und 11c IPRG abgedeckt werden. Die HZPÜ ist offen genug formuliert, um auch auf Hoheitsakte angewendet werden zu können, die nicht unter die Kategorien «Zustellungen» oder «Beweisaufnahme» fallen (siehe insbes. Art. 8 HZPÜ).

Anders als beim geltenden Artikel 11a Absatz 4 IPRG ist die Verweisung auf die HZPÜ nur für hoheitliche Handlungen in der Schweiz vorgesehen. Inwieweit die schweizerischen Zivilgerichte hoheitlich Handlungen im Ausland vornehmen dürfen, bestimmt sich nebst den erwähnten Staatsverträgen und völkerrechtlichen Grundsätzen nach dem Recht des betreffenden Staates. Die schweizerischen Zivilgerichte sind nach Schweizer Recht verpflichtet, die einschlägigen Regeln dieses Staates einzuhalten, was sich u. a. aus Artikel 299 StGB (Verbot der «Verletzung fremder Gebietshoheit») ergibt. Sofern es nach den betreffenden Regeln eines Rechtshilfeersuchens bedarf, ist dieses gemäss Artikel 11 IPRG Absatz 4 E-IPRG (bisher Art. 11 IPRG) über das BJ zu stellen. All dies gilt schon unter dem bestehenden Recht.

In Übereinstimmung mit dem geltenden Artikel 11a Absatz 4 IPRG bezieht sich die Verweisung auf das HZPÜ nur auf den ausserstaatsvertraglichen Bereich. Ist der betroffene ausländische Staat Vertragsstaat
des HZPÜ, ist dieses von sich aus anwendbar (vgl. Art. 1 Abs. 2 IPRG). Ist der betroffene Staat Vertragsstaat des HBewÜ, gilt dieses (siehe Art. 29 HBewÜ).

Art. 11 Abs. 2 Mit Artikel 11 Absatz 1 E-IPRG soll das geltende Recht kodifiziert werden. An der geltenden Praxis zur Frage der Rechtshilfebedürftigkeit, insbesondere an den einschlägigen Ausführungen in der Wegleitung des BJ zur internationalen Rechtshilfe in Zivilsachen (siehe zu dieser Ziff. 5.2, Erläuterungen zur Erklärung Nr. 5 Abs. 3, Bst. a­k), soll sich nichts ändern. Im Vernehmlassungsverfahren wurde jedoch von zwei Teilnehmern die Befürchtung geäussert, dass die Bestimmung als Verschärfung der geltenden Praxis gelesen werden könnte. Dem soll nun mit einem ergänzenden neuen Absatz 2 Rechnung getragen werden.

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Gemäss dieser Bestimmung darf die verfahrensführende ausländische Behörde (oder ein Parteivertreter in einem US-amerikanischen Discovery-Verfahren) sich direkt an eine sich in der Schweiz aufhaltende Prozesspartei wenden und diese zur Übermittlung einer Eingabe (schriftliche Stellungnahme, schriftliche Auskünfte etc.) oder eines Beweismittels (z. B. einer Urkunde im Sinne von Art. 177 ZPO) auffordern. Voraussetzung ist, dass die ausländische Behörde keine strafrechtliche Sanktion für den Unterlassungsfall androht30 und die Aufforderung auf dem Rechtshilfeweg zustellen lässt. Wenn die betreffende Prozesspartei ein Zustelldomizil im Ausland hat (z. B.

beim Rechtsvertreter im Verfahrensstaat), entfällt der Rechtshilfeweg zur Gänze. In einem solchen Fall stellt die Zustellung keine hoheitliche Handlung «in der Schweiz» im Sinne von Artikel 11 Absatz 1 E-IPRG dar.

Die angesprochene Prozesspartei ist berechtigt, der Aufforderung der ausländischen Behörde Folge zu leisten. Sie erfüllt bei entsprechendem Handeln nicht den Straftatbestand von Artikel 271 Ziffer 1 StGB. Sie hat jedoch die Schranken der schweizerischen Rechtsordnung zu beachten, insbesondere die gesetzlichen Geheimhaltungspflichten. Dazu gehören beispielsweise allfällige Verpflichtungen nach Artikel 273 StGB (betreffend Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisse) oder Artikel 47 BankG (betreffend Bankkundengeheimnis). Eine Entbindung von diesen ist nur durch ein schweizerisches Gericht möglich.

Artikel 11 Absatz 2 E-IPRG soll nicht für den Fall gelten, dass sich ein Vertreter oder eine Vertreterin der ausländischen Behörde in die Schweiz begibt, um eine Eingabe oder ein Beweismittel entgegenzunehmen. Solche Handlungen sind nur nach Massgabe von Kapitel II des HBewÜ und der schweizerischen Erklärung Nr. 5 möglich.

Ebenso soll die Bestimmung nicht für die mündliche Übermittlung von Informationen gelten. Hier soll vielmehr Absatz 3 zur Anwendung gelangen.

Art. 11 Abs. 3 erster Satz Absatz 3 soll für den Fall, dass der Einsatz eines elektronischen Kommunikationsmittels vorgesehen ist, eine weitere Ausnahme zu der in Absatz 1 formulierten Regel statuieren. Der Rechtshilfeweg muss in zwei Fällen nicht beschritten werden: 1) Teilnahme einer sich in der Schweiz aufhaltenden Person an einer Zivilverhandlung im Ausland und 2) Befragung einer sich in
der Schweiz aufhaltenden Person durch eine von einem ausländischen Zivilgericht ermächtigte Person. Wie in Ziffer 4 hiervor ausgeführt wird, sollen damit sämtliche Arten von Befragung oder Anhörung im Rahmen eines ausländischen Zivilverfahrens erfasst werden, nicht nur Befragungen oder Anhörungen, die der Beweisaufnahme dienen. Ansonsten handelt es sich hier aber um eine abschliessende Regelung. Für die elektronische Übermittlung von schriftlichen Beweismitteln oder die elektronische Zustellung von gerichtlichen Schriftstücken soll die Entbindung von der Beschreitung des Rechtshilfewegs beispielsweise nicht gelten.

30

Näheres dazu in der besagten Wegleitung, S. 21 f.

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Art. 11 Abs. 3 zweiter Satz Der zweite Satz von Absatz 3 verweist auf Kapitel II des HBewÜ. Damit gilt der erleichterte Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel nur unter den in Kapitel II des HBewÜ genannten Voraussetzungen. Diese wiederum sind im Lichte der schweizerischen Erklärung Nr. 5 zu lesen. Da sich die Verweisung auf das HBewÜ auch auf Anhörungen ausserhalb eines Beweisverfahrens bezieht, die von den betroffenen Bestimmungen des Übereinkommens nicht erfasst werden, ist vorliegend von einer «sinngemässen» Geltung die Rede. Der Geltungsbereich des HBewÜ wird auch insofern ausgedehnt, als seine Regeln auf sämtliche Staaten angewendet werden, nicht nur auf Vertragsstaaten. Im Ergebnis gilt damit im Verhältnis zu Drittstaaten neu dieselbe Regelung wie im Verhältnis zu Vertragsstaaten des HBewÜ.

Gemäss Artikel 21 Buchstabe a HBewÜ können Beweise nur erhoben werden, «soweit dies nicht mit dem Recht des Staates, in dem Beweis aufgenommen werden soll, unvereinbar ist». Gemäss Artikel 21 Buchstabe d HBewÜ können Beweise «in einer Form aufgenommen werden, die das Recht des Gerichts vorsieht, vor dem das Verfahren anhängig ist, es sei denn, dass das Recht des Staates, in dem Beweis aufgenommen wird, diese Form verbietet». Soweit die ZPO die Befragung oder Anhörung mittels elektronischer Kommunikationsmittel verbietet (siehe etwa Art. 298 Abs. 1bis revZPO), ist dies folglich auch bei ausländischen Zivilverfahren zu beachten.

Inwieweit schweizerische Zivilgerichte Telefon- oder Videokonferenzen mit Personen im Ausland durchführen dürfen, bestimmt sich nebst den erwähnten Staatsverträgen primär nach den Gesetzen des betroffenen Staates. Die ZPO mit ihren neuen Bestimmungen zum Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel schliesst grenzüberschreitende Telefon- oder Videokonferenzen nicht aus. In Staaten, deren Regelung auf dem Gegenseitigkeitsprinzip beruht, wird mit dem vorliegend vorgesehenen liberalen Regime für ausländische Gerichte die Durchführung von Telefon- oder Videokonferenzen durch schweizerische Gerichte einfacher werden.

Art. 11 Abs. 4 Absatz 4 übernimmt grundsätzlich den geltenden Artikel 11 IPRG. Neu ist aber der einleitende Nebensatz «Soweit das Bundesrecht nichts Anderes vorsieht». In der französischen Fassung wurde auch der Hauptsatz angepasst, da der aktuelle Wortlaut missverstanden
wurde. Auf Französisch ist nämlich von «traiter» die Rede, was die Sachbearbeitung aller Dossiers suggeriert, während sich die deutsche und die italienische Sprachversion auf die Vermittlung der Rechtshilfe beschränken, was dem beabsichtigten Sinn der Bestimmung entspricht.

Mit dem neuen Nebensatz soll zum einen zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich bei Absatz 4 um eine reine Auffangbestimmung handelt. Zum andern soll die geltende Praxis auf eine sauberere Rechtsgrundlage gestellt werden. IPRG-Bestimmungen werden in der Regel so verstanden, dass sie ältere Bestimmungen zur selben Frage ersetzen. Der in seiner aktuellen Fassung 2011 in Kraft getretene Artikel 11 IPRG soll aber nach herrschender Auffassung nichts an den vom Bundesrat 1994 beim Beitritt

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zum HBewÜ und zum Haager Zustellungsübereinkommen31 abgegeben Erklärungen ändern, wonach die Kantone die Zentralbehörden für diese Übereinkommen stellen.

Die vorerwähnten Erklärungen der Schweiz betreffen nur die für den Empfang der Rechtshilfeersuchen zuständigen Behörden. Aus dem Umstand, dass darin keine weiteren Behörden genannt werden, wird aber geschlossen, dass die für die Übermittlung eines ausgehenden Ersuchens zuständigen Behörden vom kantonalen Recht festzulegen sind.32 Auch an dieser Praxis soll sich nichts ändern.

Art. 11a, Randtitel und Aufhebung von Abs. 4 Hier kann auf die Ausführungen zu Artikel 11 Absatz 1 zweiter Satz E-IPRG verwiesen werden.

7

Auswirkungen

7.1

Auswirkungen auf den Bund

Neue Aufgaben für den Bund werden mit der vorgeschlagenen Neureglung nicht begründet. Die Neuregelung der Zuständigkeit in Absatz 1 der Erklärung Nr. 5 ermöglicht es der zuständigen Bundesbehörde, ihre bestehende Aufgabe effizienter zu erfüllen. Mit dem vorgesehenen Verzicht auf Einzelfallbewilligungen dürften zudem etliche Verfahren entfallen. Alles in allem dürfte der Bund daher Kosten einsparen.

7.2

Auswirkungen auf Kantone

Auch für die Kantone werden keine neuen Aufgaben begründet. Die erwähnte neue Zuständigkeitsregelung in der Erklärung Nr. 5 wird die Kantone gar entlasten. Der erwähnte Wegfall von Verfahren lässt zudem auch positive Auswirkungen auf die Arbeitslast der kantonalen Rechtshilfebehörden erwarten. Auch die Kantone dürften daher Kosten einsparen.

8

Rechtliche Aspekte

8.1

Verfassungsmässigkeit

Artikel 1 des Entwurfs stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)33, wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Ab31 32 33

Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und aussergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen, SR 0.274.131.

Vgl. Wegleitung des BJ, S. 7 und 22.

SR 101

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schluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 24 Abs. 2 ParlG34; Art. 7a Abs. 1 RVOG35). Für unilaterale Erklärungen und Vorbehalte zu Staatsverträgen werden die Bestimmungen zur Abschlusskompetenz sinngemäss angewandt.

Die Anpassung der Schweizer Erklärung Nr. 5 zum HBewÜ stellt eine unilaterale Änderung der internationalen Verpflichtungen der Schweiz unter dem HBewÜ dar und könnte demzufolge durch den Bundesrat nur dann selbstständig vorgenommen werden, wenn es sich dabei um eine Änderung von beschränkter Tragweite handelt (in sinngemässer Anwendung von Art. 7a Abs. 2, 2. Satz RVOG). Letzteres ist grundsätzlich nicht der Fall, da die Erklärung Nr. 5 die schweizerische Souveränität sowie die Rechte von Personen betrifft und somit als wichtig rechtsetzend im Sinne von Artikel 22 ParlG zu qualifizieren ist. Von beschränkter Tragweite sind lediglich die Details der geplanten Neufassung. Der Entwurf sieht daher vor, dass die Bundesversammlung den Bundesrat zur Änderung der Erklärung Nr. 5 ermächtigt und dabei die wesentlichen Inhalte der neuen Fassung vorgibt.

Im Bundesbeschluss, mit dem das HBewÜ genehmigt wurde,36 ist die Erklärung zwar nicht explizit aufgeführt. Die dazugehörige Botschaft37 enthielt jedoch den Wortlaut sämtlicher Erklärungen der Schweiz zu den genehmigten Übereinkommen. Die Genehmigung muss daher so verstanden werden, dass sie sich auch auf den Wortlaut der jeweiligen Erklärung oder zumindest auf deren Inhalt bezog.

Artikel 2 in Verbindung mit dem Anhang des Entwurfs sieht Anpassungen des IPRG vor, das sich auf Artikel 54 und 122 BV (Bundeskompetenz für auswärtige Angelegenheiten bzw. für die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts und des Zivilprozessrechts)38 abstützt. Der Erlass wichtiger rechtsetzender Bestimmungen fällt in die Kompetenz der Bundesversammlung (Art. 164 Abs. 1 BV).

8.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Vorliegend geht es um die Anpassung der Erklärung Nr. 5 der Schweiz zum HBewÜ, Diese stützt sich auf Artikel 15, 16 und 17 HBewÜ. Gemäss Artikel 34 HBewÜ kann ein Vertragsstaat eine von ihm abgegebene Erklärung «jederzeit zurücknehmen oder ändern».

Andere internationale Verpflichtungen der Schweiz werden durch die vorgeschlagenen Änderungen nicht tangiert.

34 35 36

37

38

Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 2002, SR 171.10.

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997, SR 172.010.

Bundesbeschluss vom 9. Juni 1994 betreffend drei Haager Übereinkommen und ein Europaratsübereinkommen betreffend Rechtshilfe in Zivil- und Handelssachen (AS 1994 2807).

Botschaft betreffend Genehmigung von vier Übereinkommen im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Zivil- und Handelssachen vom 8. September 1993, BBl 1993 III 1261.

Bzw. auf die Vorgängerbestimmungen in der alten Bundesverfassung vom 29. Mai 1874.

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8.3

Erlassform

Da vorliegend die Änderung einer Erklärung zu einem Staatsvertrag genehmigt werden soll, wird in sinngemässer Anwendung von Artikel 24 Absatz 3 ParlG die Form des Bundesbeschlusses gewählt. Die Form des einfachen Bundebeschlusses kommt nicht in Betracht, da die besagte Änderung wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthält (vgl. Ziff. 7.1 hiervor) und damit dem fakultativen Referendum untersteht (Art. 141 Abs. 1 Bst. d Ziff. 3 BV).

In sinngemässer Anwendung von Artikel 141a Absatz 2 BV werden die parallel vorgesehenen Änderungen im IPRG in den Bundebeschluss aufgenommen. Die IPRGÄnderungen sind eng mit den Änderungen bei der Erklärung Nr. 5 verknüpft.

8.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen geschaffen, noch neue Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen.

8.5

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Mit der Vorlage werden keine Rechtsetzungsbefugnisse delegiert.

8.6

Datenschutz

Das DSG verweist vorliegend für Datenschutzfragen auf das anwendbare Verfahrensrecht (siehe Ziff. 5.3, Erläuterungen zur Erkl. 5 Abs. 5). In Absatz 3 Buchstabe k der geplanten neuen Erklärung Nr. 5 sieht der Bundesrat als Mindeststandard vor, dass das Spezialitätsprinzip eingehalten werden muss (siehe Ziff. 5.3, Erläuterungen zur Erkl. 5 Abs. 3).

Die neue Erklärung Nr. 5 soll zudem eine Passage zur Datensicherheit beim Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel enthalten (siehe Ziff. 5.3, Erläuterungen zur Erkl. 5 Abs. 3).

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