1014

# S T #

Bericht der

ständeräthlichen Kommission in Rekurssachen des Gaudenz W i l l i von Lenz (Graubünden), in Chur, betreffend Sequester.

(Vom 10. Dezember 1874.)

Tit!

Gaudenz Willi in Chur rekurrirt gegen den Beschluß des Bundesrathes vom 21. August -1874, wornach der von den Behörden des Kautons St. Galleu verfügte Sequester auf ein ihm im Kanton St. Gallen zugefallenes Legat im Betrage von Fr. 2281. 84 Rp.

bestätigt wird. Er beantragt, sein an die Bundesversammlung ergriffener Rekurs möge als begründet erklärt und demzufolge fraglicher Sequester aufgehoben werden.

Aus den sachbezüglichen Akten ergeben sich folgende faktische Momente : Unterm 28. August 18,71 verpflichteten sich die Gebruder Willi, Weinhandlung in Chur, dem Job. Anton Wetzel in St. Gallen Wein bis zum Werthbetrage von circa Fr. 3000 zu liefern.

1015 Zur Sicherheit für die Bezahlung des in Folge dieser Verpflichtung gelieferten Weines errichtete eine Base des Anton Wetzel, Namens Anna Maria Wetzel von Straubenzell, Kantons St. Gallen, ein Testament, oder richtiger ein Legat, zu Gunsten der Gebrüder Willi, welchem zu Folge die Letztem aus der Verlasscnschaft deiAnna Maria Wetzel Fr. 2500 erhalten sollten.

Die Weinlicferungen wurden zum T heil an Joh. Anton Wetzel ausgeführt. Am 7. März 1872 cedirte dieser seine Rechte zum Bezüge des noch nicht gelieferten Quantum Weines, und zwar bis .zum Betrage von Fr. 920, an Alhert Bosch, Wirth zürn Waldhorn in St. Gallen.

Von dieser Cession wurde den Gebrüdern Willi Kenntniß gegeben. Die Cession scheint seitens der Letztem anerkannt worden zu sein, denn sie lieferten in der Folge an Albert Bosch unterm 6 . Juni 1872 Wein f ü r .

.

.

. F r . 138. 6 0 und unterm 30. September 1872 Wein für .

. ,, 127. 40 zusammen also für Wenn daher die Gebrüder Willi zur Cession (7. März 1872) wirklich noch für hatten, was von ihnen jedoch bestritten Albert Bosch noch für Fr. 654 Wein zu

Fr. 266. --

Zeit der Errichtung der Fr. 920 Wein zu liefern wird, so hätten sie au liefern gehabt.

Die weitem Weinlieferungen unterblieben jedoch. Die Firma Gebrüder Willi löste sich auf, d. h. sie ging an einen der frühern Gesellschafter, und zwar 'an Gaudenz Willi, den gegenwärtigen Rekurrenten, über.

Im Oktober 1873 starb die Jungfer Anna Maria Wetzel. Das zu Gunsten der Gebrüder Willi errichtete Legat wurde von keiner Seite angefochten. Vielmehr wurde den Gebrüdern Willi, resp. deren Rechtsnachfolger Gaudenz Willi, aus der Verlassenschaft der Anna Maria Wetzel Fr. 2281 84 Rp. zugeschieden und zu deren Gunsten beim Waisenamt Straubenzell deponirt.

Am 16. Februar 1874 verfugte das Bezirksamt Goßau auf Begehren des Albert Bosch : ,,Es sei das den Gebrüdern Willi in Chur aus der Verlassen,,schaft der Jungfer Anna Maria Wetzel zugesicherte Guthaben mit ,,Sequester belegt, und das Waisenamt Straubenzell bei eigener ..Haftbarkeit angewiesen, dasselbe für so lange nicht zu verabfolgen,.

1016 ,,bis Herr Bosch befriedigt oder diese Verfügung rechtsförmlich ,,aufgehoben sein werde.a Diese Verfügung wird folgendermaßen motivirt: Albert Bosch habe glaubwürdig dargethan, daß ihm zufolge einer Abtretung des Herrn Anton Wetzel an die Gebrüder Willi eine Forderung im Werthe von Fr. 920 zustehe und daß den Gebrüdern Willi hinwieder aus der Verlassenschaft der Anna Maria Wetzel ein Guthaben bu auf den Betrag von Fr. 2500 zugesichert bei. Da nun die Gebrüder Willi im Kanton St. Gallen kein Domizil besitzen, so erscheine die erwähnte Verfügung angesichts des Art. 247 des Civilprozesses für den Kanton St. Gallen gerechtfertigt.

Gegen diese Verfügung rekurrirte Gaudenz Willi an den Regierungsrath von St. Galen. Dieser aber erklarte (leu Rekurs für unbegründet, zwar nicht, wie. der Bezirksammann, nach Art. 247 des St. Galler Civilprozesses, sondern nach Art. 254 desselben Gesetzes. Es handle sich, sagt der Regierungsrath, nicht um einen Arrest, sondern um eine Maßnahme zur Erhaltung des gegebenen Zustandes des Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien; ,,denn Willi habe erst Anspruch auf Verausfolgung des Testamentes, beziehungsweise des Betrages desselben, wenn er bis auf den Werth desselben, beziehungsweise bis auf den Werth der erhaltenen Versicherung Wein geliefert habe."

Hiegegen beschwerte sich nun Gaudenz Willi beim Bundesrath und verlangte Aufhebung des Sequesters. In der bezüglichen Beschwerde bestreikt er ganz -bestimmt, daß er noch irgend welchen Wein anAlbert Bösch zu liefern habe. Er habe seine bezüglichen Verpflichtungen vollständ igerfüllt, und abgesehen hievon sei der Sequester angesichts der Bundesverfassung unstatthaft.

Der Bundesrath wies Jedoch diese Beschwerde ab, unter Zugrundelegung folgender Motive : 1) Aus den widerst eitenden Behauptungen der Parteien und aus den Akten ergibt sich wenigstens .so viel, daß die Ansprüche des Rekurrenten auf den fraglichen Legatsbetrag aus Weinlieferungen entstanden sind, die in den Kanton St. Gallen gemacht wurden, resp. noch zu machen sind.

2) Wenn nun die Ansprüche aus diesen Lieferungen realisirt werden wollen, so sind diese am Wohnorte der hiefür angesprochenen Person, im Kanton St. Gallen, geltend zu machen, und es

1017

ist dieser Gerichtsstand hier um so mehr zutreffend, als auch das Depositum, auf welches gegriffen werden will, im Kanton 8t. Gallen liegt.

3) Der für diese Angelegenheit kompetente Gerichtsstand dieses Kantons wird also durch die angegriffenen Verfügungen nicht geändert ; die Vorschrift von Art. 50 der alten und von Art. 59 der neuen Bundesverfassung hat nicht den Zweck, Rechtsvorkehren zu untersagen, welche von den Behörden amkompetenten Gerichtsstände in Schuldsachen verfügt werden. Uebrigens kann der Rekurrent seine Ansprüche an das fragliche Depositum nur in seiner Eigenschaft als G l ä u b i g e r geltend machen, während die zitirte Vorschrift der Bundesverfassung- bloß von Arresten spricht, welche gegen einen S c h u l d n e r erwirkt werden.

4) Die Frage, ob die Administra ti vbehörde, statt des Richters, zu der angefochtenen Verfügung berechtigt gewesen sei, könnte nur in der Form an die Bundesbehörden gezogen werden, daß eine Verfassungsverletzung behauptet würde, was aber nicht geschieht, und ebenso entzieht sich die weitere Frage, welcher Gerichtsstand inner des Kantons St. Gallen zur Erledigung dieser Angelegenheit zuständig sei, der Cognition der Bundesbehörden.

Der Bundesrath geht also von der Ansicht aus, es .sei das Legat der Anna Maria Wetzel streitig, und da dasselbe sich im Kanton St. Gallen befinde, so seien auch die St. Galler Gerichte, zürn Entscheide dieses Streites kompetent. Willi erscheine als Gläubiger und Bosch als Schuldner. Der in diesem Streite zutreffende Gerichtsstand werde daher · durch die angefochtene Verfügung nicht verändert, und da ·überdies Art 50 der alten und Art. 59 der neuen Bundesverfassung nur vom Arreste gegen einen Schuldner spreche, Willi aber Gläubiger und nicht Schuldner sei, so treffe dieser Artikel in vorliegendem falle nicht zu.

Nach der Ansicht der Kommission ist nun aber das Legat nicht streitig, und Gaudenz AVilli erscheint in dem vorliegenden Rechtsstreite auch nicht als Gläubiger, sondern als Schuldner. Die dem bundesräthlichen Entscheide zu Grunde liegenden Voraussetzungen treffen also nicht zu ; und da der Bundesrath von unrichtigen Voraussetzungen ausging, so mußte er auch zu irrigen Rechtsschlüssen gelangen.

Das Legat ist n i c h t streitig.

,?

Keiner der bei der Verlassenschaft der Anna Maria Wetzel be theiligten Erbsinteressenten hat dasselbe angefochten und Unbethei-

1018 ligten Steht selbstverständlich kein Recht zu, dasselbe anzufechten.

Das Legat ist vielmehr zu Gunsten der Gebrüder Willi an das Waisenamt Straubenzell ausbezahlt worden und Bösch hat auf die betreffende Summe Arrest legen lassen, weil sie einen Bestandteil des Vermögens der Gebrüder Willi bilde. Wäre diese Summe nicht Eigenthum des Gaudenz Willi, so würde sie zum Eigenthum eines Andern gehören, und da Bosch nicht behauptet, mit diesem Andern in irgend welcher Rechtsbeziehung zu stehen, so hätte er sie auch nicht mit Sequester belegen lassen können, zumal er selbst nicht entfernt behauptet, daß ihm ein Eigenthumsrecht auf dieselbe zustehe. Nur wenn die circa Fr. 2500 einen Vermögensbestandtheil des Gaudenz Willi bilden, kann das Arrestbegehren des Albert Bosch einen vernünftigen Sinn haben, denn nur in diesem Falle können sie zur eventuellen Dekung der Ansprüche des Albert Bosch an Gaudenz Willi dienen.

Das Legat ist also nicht streitig; im Gegentheil liegt in dem Vorgehen des Bosch eine Anerkennung dahin gehend, daß dasselbe dem Gaudenz Willi zugehöre.

G a u d e n z W i l l i erscheint a u c h n i c h t a l s G l ä u b i g e r , sondern als Schuldner.

Es handelt sich nämlich nicht um einen Streit zwischen dem Testamentserben Willi und den Intestaterben der Anna Maria Wetzel. Diese haben vielmehr das Legat anerkannt. Sondern es handelt sich um einen Streit zwischen Bösch und Willi, und in diesem Streite behauptet Ersterer, der Letztere habe ihm noch ein gewisses Quantum Wein zu liefern, und es verlangt Ersterer, daß als Garantie für die Erfüllung der noch rückständigen Lieferungen die durch mehrerwähntes Legat dem Willi zugefallene Summe im Kanton St. Gallen deponirt bleibe. Albert Bosch tritt demnach gegen Willi als Ansprecher auf, und es ist daher Letzterer der Angesprochene oder mi; andern Worten : Albert Bosch erscheint als Gläubiger und Gaudenz Willi als Schuldner.

Es ist nach dem Vorstehenden dargethan, daß der Entscheid des h. Bundesrathes nach zwei Richtungen hin auf unrichtigen Voraussetzungen beruht.

Wenn die, Commission am Schlüsse ihrer Berichterstattung den Antrag stellt, es wolle der Rekurs des Gaudenz Willi als begründet erklärt werden, so faßt sie ihre bezüglichen Erwägungen in Folgendem zusammen:

1019 1) Es wird nicht behauptet, daß die Anna Maria Wetzel die Ausbezahlung des zu Gunsten der Gebrüder Willi in Chur errichteten Legates an irgend welche Bedingung geknüpft habe, und es ist zugestanden, daß sämmtliche Erbsinteressenten der Jungfer Wetzel das Legat anerkannten und gegen die Ausbezahlung der betreffenden Summe nichts einwendeten. Die Gebrüder Willi, resp. deren Rechtsnachfolger Gaudenz Willi, wurden daher mit dem Tode der Jungfer Wetzel Eigenthümer der betreffenden Legatssumme, und es bildet diese somit, einen Bestandtheil seines Vermögens.

Dies wird von Albert Bosch dadurch faktisch anerkannt, daß er auf dieses Vermögen Sequester legen ließ, mit der Begründung, Willi habe an ihn gewisse Leistungen zu machen, und da« betreffende Legat habe (lie Bestimmung, als Sicherheitsmittel für die richtige Erfüllung dieser Leistungen zu dienen. Wäre Willi nicht Eigenthümer der auf das Legat entfallenden Summe, so könnte diese nicht als Sicherheitsmittel dafür dienen, daß Willi seinen Verpflichtungen nachkomme.

2) Es ist also auf Vermögen des Gaudenz Willi, das sieh in einem andern, als seinem Wohnkantone befindet, Arrest gelegt worden.

3) Es entsteht daher nur noch die Frage, ob dies für eine Forderung geschehen sei, für welche Willi bei dem Richter seines Wohnortes zu suchen ist.

4) Diese Frage ist. zu bejahen. Renn es ist, wie schon ausgeführt wurde, nicht das Legat streitig, welcher Streit allerdings vor die Gerichte des Kantons St. Gallen gehören würde, sondern es ist streitig, ob Gaudenz Willi an Albert Bosch noch ein gewisses Quantum Wein zu liefern habe oder nicht. Dieser Streit involvirt eine persönliche Klage und ist daher gemäß Art. 50 der alten und Art. 59 der neuen Bundesverfassung bei den Gerichten des Wohnortes des Angesprochenen (Schuldners), d. h. im Kanton Graubünden anzustellen.

5) Gaudenz Willi erscheint demnach als Schuldner. Er ist aufrechtstehender Schuldner. Nach Art. 50 der alten Bundesverfassung ist er für persönliche Ansprachen vor dem Richter seines Wohnortes, also in Chur, zu suchen. Durch die Behörden des Kantons St. Gallen ist für eine persönliche Ansprache an Gaudenz Willi auf im Kanton St. Gallen befindliches Vermögen desselben BeschlagO gelegt worden.

O

1020 6) In allem dem liegt eine Verletzung des- Art. 50 der allen, resp. Art. 59 der neuen Bundesverfassung.

Die Beschlagnahme; muß daher aufgehoben werden.

Die Commission stellt, gestützt hierauf, folgenden Antrag *) : 1. Es sei die Verfügung des Bezirksammannamtes Goßau vom 16. Februar, resp. 25 März 1874,. wornach auf das aus der Verlassenschaft der Anna Maria Wetzel dem Gaudenz Willi zugefallene Vermögen Sequester gelegt wurde, aufgehoben.

2. Mittheilung an den Bundesrath behufs Vollstreckung dieses Beschlusses.

Bern, den 10. Dezember 1874.

Für die Commission : H. Stamm.

*) Angenommen : 18. Dezember.

1021

# S T #

Bericht der

nationalräthlichen Kommission zum Vorschlage des Bundesrathes, betreffend die Rechtsverhältnisse der Verbindungsgeleise zwischen dem Schweiz. Eisenbahnneze und gewerblichen Anstalten.

(Vom 12. November 1874.)

Wie der Vorschlag thatsächlich eine Vermehrung der schweiz.

Eisenbahnen zur Voraussezung hat, so bezwekt er rechtlich eine E r w e i t e r u u g der E i s e n b a h n - G e s e z g e b u n g , resp.

die Ausdehnung derselben und Umformung auf ein bestehendes Verhältniß, welche Umformung aber jedenfalls eine Begünstigung und Vermehrung gewisser Schienenverbindungen zur Folge haben wird.

lieber die geschichtliche Entwiklung des Vorschlages nur wenig Worte, da die Botschaft des Bundesrathes vom 29. Sept. 1874 die erforderliehen Angaben enthält. Darnach ist der Ausgangspunkt die nachgesuchte Konzessionsertheilung für eine Eisenbahn Perlen-Gisikon, die aber nicht ausgesprochen worden ist. Dadurch ist die Sache aber nicht beseitigt, sondern in allgemeinerer Weise ist gefragt worden, ob für Verbindungsbahnen, welche Privatetablissemente erstellen wollen, um mit konzedirten öffentlichen Bahnen in Anschluß zu kommen, k e i n R e c h t bestehe, einerseits gegenüber von Eigenthümern von Land, das zur Herstellung der Verbindungs-

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der ständeräthlichen Kommission in Rekurssachen des Gaudenz Willi von Lenz (Graubünden), in Chur, betreffend Sequester. (Vom 10. Dezember 1874.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1874

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

55

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

26.12.1874

Date Data Seite

1014-1021

Page Pagina Ref. No

10 008 456

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.