05.042 Bericht 2005 über das Verhältnis zur UNO und zu den internationalen Organisationen mit Sitz in der Schweiz vom 18. Mai 2005

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen den Bericht 2005 über das Verhältnis der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen und zu den internationalen Organisationen mit Sitz in der Schweiz.

Auf Ersuchen des Parlaments legt der Bundesrat für das Jahr 2005 einen kürzeren Bericht vor, der sich auf einige für die UNO wie auch für unsere Beziehungen zu dieser Organisation wesentliche Themen beschränkt. Der Bericht 2005 ist in drei Kapitel gegliedert, die die drei folgenden Themen behandeln: ­

Die UNO und die Herausforderungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit

­

Die Millenniums-Entwicklungsziele und ihre Umsetzung

­

Die Herausforderungen für die Schweizer Gaststaatpolitik.

Der Bericht soll auch die UNO-spezifischen Prioritäten und Ziele unseres Landes im Hinblick auf die Vorbereitung der 60. Generalversammlung aufzeigen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

18. Mai 2005

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Samuel Schmid Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2005-0508

3903

Übersicht Der Bundesrat konzentriert sich beim diesjährigen Bericht über das Verhältnis zur UNO und zu den internationalen Organisationen mit Sitz in der Schweiz auf drei Hauptthemen.

Erstens wird der Stand der Umsetzung der UNO-Reformen dargelegt, insbesondere in den Bereichen Frieden und Sicherheit. Der UNO-Generalsekretär hat im März 2005 einen wichtigen Bericht vorgelegt, in dem er Vorschläge zur Stärkung des multilateralen Handelns im Rahmen der Vereinten Nationen macht. Er betont dabei die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten und ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, sich auf die Strategie des kollektiven Handelns zurückzubesinnen. Die ehrgeizigen Reformvorschläge umfassen unter anderem die Schaffung neuer Organe. Insbesondere wird die Einrichtung eines Menschenrechtsrats vorgeschlagen, der an die Stelle der jetzigen Menschenrechtskommission in Genf treten würde. Die Schweiz unterstützt diesen Vorschlag aktiv.

Er beruht auf einer der Initiativen, die unser Land lanciert hat, um das System der Menschenrechtsinstitutionen im Rahmen der UNO zu stärken.

Der Bericht informiert zweitens über die Vorbereitung des hochrangigen Treffens zu Beginn der 60. Tagung der Generalversammlung. Dabei sollen die Mitgliedstaaten fünf Jahre nach der Verabschiedung der Millenniums-Erklärung im Herbst 2000 den Stand der Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele prüfen und im Rahmen einer Erklärung der Staats- und Regierungschefs einen Plan zur Konkretisierung der UNO-Reformen und zur fristgerechten Umsetzung der MillenniumsEntwicklungsziele bis 2015 verabschieden. Die Massnahmen, die vom Generalsekretär im Entwicklungsbereich vorgeschlagen werden, gehen einher mit einem dringenden Appell sowohl an die Industrie- wie an die Entwicklungsländer, die Verpflichtungen einzuhalten, die sie an der Konferenz von Monterrey über die Entwicklungsfinanzierung im Jahr 2002 eingegangen sind. Der Bundesrat bekräftigt den Willen der Schweiz, sich im Rahmen der verfügbaren Mittel an der Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen zu beteiligen.

Der Bundesrat legt drittens einige der wichtigsten Fragen und Herausforderungen für die internationalen Organisationen in der Schweiz und die Gaststaatpolitik unseres Landes dar. Der laufende Reformprozess hat Auswirkungen auf die Tätigkeit der UNO
und der internationalen Organisationen in Genf. Die Schweiz wird sich aktiv dafür einsetzen, dass die Reformen nicht zu Lasten der Rolle Genfs als Sitz internationaler Organisationen gehen. Die Schweiz legt Wert darauf, den internationalen Organisationen ein attraktives Umfeld zu bieten, und ist bereit, die volle Verantwortung für die Sicherheit dieser Organisationen und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Schweizer Boden zu übernehmen.

Zum Abschluss des Berichts präsentiert der Bundesrat seine Prioritäten für die Vorbereitung und Durchführung der 60. Tagung der UNO-Generalversammlung, die den Interessen unseres Landes und unseren aussenpolitischen Zielen dienen sollen.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1 Einleitung

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2 Die UNO und die Herausforderungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit 2.1 UNO-Reformen: Bestandesaufnahme 2.2 Suche nach einem neuen Konsens für kollektive Massnahmen 2.2.1 Erweiterung des Sicherheitskonzepts 2.2.2 Institutionelle Stärkung der Vereinten Nationen 2.2.3 Verstärkte Beteiligung des Parlaments 2.3 Die Friedensoperationen und der Beitrag der Schweiz 2.3.1 Wachsende Nachfrage nach neuen friedenserhaltenden Operationen 2.3.2 Einführung geeigneter Modalitäten für die Zusammenarbeit mit regionalen Partnerorganisationen 2.3.3 Zunehmend unsicheres Umfeld für UNO-Friedensoperationen 2.3.4 Beiträge der Schweiz 2.4 Menschliche Sicherheit 2.4.1 Rechtsstaatlichkeit 2.4.2 Förderung der Menschenrechte 2.4.3 Kampf gegen den Handel mit Kleinwaffen und leichten Waffen sowie gegen Personenminen 3 Die Millenniums-Entwicklungsziele der UNO und ihre Umsetzung 3.1 Die Millenniums-Entwicklungsziele ­ Kernstück der heutigen Entwicklungsagenda 3.2 Zur bisherigen Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele 3.3 Der Bericht des UNO Generalsekretärs: «In grösserer Freiheit» Weitere Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele 3.4 Zur Vorbereitung des M+5-Gipfels aus der Sicht der Schweiz 3.5 Der Beitrag der Schweiz zur Umsetzung der MillenniumsEntwicklungsziele ­ Bilanz und künftige Entwicklungsagenda 3.5.1 Kohärenz der nationalen und internationalen Entwicklungspolitik 3.5.2 Finanzierung der Entwicklung 3.5.3 Wirksamkeit der Entwicklungshilfe 3.5.4 Gute Regierungsführung und Förderung der Demokratie 4 Die internationalen Organisationen in der Schweiz und die Gaststaatpolitik 4.1 Multilaterale Zusammenarbeit in den internationalen Organisationen mit Sitz in der Schweiz: Wichtigste Themen 4.1.1 UNO-Reformprozess und Genf als Sitz internationaler Organisationen 4.1.2 Finanz- und Managementfragen

3908 3908 3909 3910 3911 3913 3914 3915 3916 3916 3917 3918 3919 3920 3921 3922 3922 3924 3925 3926 3928 3928 3929 3931 3931 3932 3932 3932 3934

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4.2 Gaststaatpolitik 4.2.1 Sicherheit der internationalen Organisationen 4.2.2 Infrastruktur

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5 Schlussbemerkungen A) Dank der UNO die aussenpolitischen Ziele der Schweiz besser erreichen B) Förderung der internationalen Rolle der Stadt Genf C) Reformen und Wirksamkeit der UNO

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Anhang 1 Entwicklung des Pflichtbeitrags der Schweiz an die UNO 2002­2004 2 Das internationale Genf in Zahlen 3 Die acht Millenniums-Entwicklungsziele

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Bericht 1

Einleitung

Die UNO und ihre Mitgliedstaaten, die demnächst den 60. Jahrestag ihrer Gründung begehen werden, durchlaufen dieses Jahr einen wichtigen und komplexen Reformprozess, der dazu beitragen soll, die UNO als wirksames Instrument im Dienste der internationalen Gemeinschaft zu stärken. Der gegenwärtige Prozess umfasst drei Bereiche, die eng zusammenhängen: 1.

Fortsetzung der institutionellen Reformen der Organisation im Anschluss an die seit längerem in dieser Hinsicht unternommenen Anstrengungen, näherhin im Anschluss an die Vorschläge des Generalsekretärs vom Herbst 2002, zurzeit jedoch vor allem im Anschluss an die Bemühungen des Präsidenten der Generalversammlung, die seit 2003 darauf abzielen, diesem äusserst wichtigen UNO-Organ neue Impulse zu verleihen.

2.

Suche nach einem Konsens unter den Mitgliedstaaten über die Gültigkeit des auf der UNO-Charta gründenden Systems der kollektiven Sicherheit vor dem Hintergrund eines neuen und breiter gefassten Sicherheitsbegriffs.1

3.

Überprüfung der Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele durch die Mitgliedstaaten fünf Jahre nach der Verabschiedung der MillenniumsErklärung vom Herbst 2000. Der Sachs-Bericht vom Januar 2005 zieht Bilanz in diesem Bereich und schlägt 10 Massnahmen zur fristgerechten Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele bis 2015 vor. Der Generalsekretär hat in seinem Bericht vom 21. März die Mehrzahl dieser Empfehlungen in leicht angepasster Form übernommen.

Bei diesem Reformprozess geht es um nichts weniger als die Suche nach einer Einigung zwischen den Staaten: ­

über den eigentlichen Sinn und Zweck ihrer Zusammenarbeit und die allgemeinen Rahmenbedingungen der internationalen Beziehungen;

­

über die genaue Rolle des Instruments, das sie sich vor 60 Jahren gegeben haben;

­

über die notwendigen Verbesserungen dieses Instruments in Bezug auf seine Funktionsweise und seine Effektivität vor Ort;

­

über die notwendigen Anpassungen seiner Strukturen durch die Reform der bestehenden Organe oder die Schaffung neuer Organe.

Dieser komplexe Prozess, dessen Ablauf und Ergebnisse noch völlig offen sind, erhielt am 21. März 2005 einen entscheidenden Impuls, als der Generalsekretär seinen Bericht und seine Reformempfehlungen präsentierte. Darin schlägt er den

1

Die Diskussionen in diesem Bereich beziehen sich nunmehr auf die vom Generalsekretär in seinem Bericht vom 21. März 2005 vorgebrachten Vorschläge. Der Bericht trägt den Titel «In grösserer Freiheit. Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle».

3907

Staats- und Regierungschefs im Hinblick auf den M+5-Gipfel2 sowie auf die 60. Session der Generalversammlung ein Aktionsprogramm vor, das auf der Anerkennung der Wechselwirkung zwischen den Bereichen Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechte gründet. Vom Ergebnis der Verhandlungen, die seit der Präsentation der Vorschläge durch den Generalsekretär geführt werden, wird es abhängen, ob die Mitgliedstaaten fähig sind, ihre kollektive Antwort auf die Herausforderungen in den Bereichen der Entwicklung, der Sicherheit und der Menschenrechte zu verstärken und sich zu diesem Zweck ein moderneres und verbessertes Instrument zu geben.

Für die 58. und die 59. Session der UNO-Generalversammlung hatte der Bundesrat drei Hauptprioritäten für die Tätigkeit unseres Landes in der Generalversammlung der Vereinten Nationen festgelegt: 1.

Fortführung der Reformbemühungen im Hinblick auf eine Stärkung der Rolle der UNO;

2.

Einsatz zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung und Folgearbeiten zur Umsetzung der Millenniums-Erklärung und der Millenniums-Entwicklungsziele;

3.

Förderung der menschlichen Sicherheit.

Im Jahre 2005 stimmen diese Prioritäten mit den Hauptthemen überein, die in der UNO im Rahmen des laufenden Prozesses diskutiert werden.

Die Schweiz misst der multilateralen Zusammenarbeit und den auf dem Recht gegründeten internationalen Beziehungen besonders viel Gewicht bei. Sie setzt sich daher für ihre Positionen und Initiativen im gegenwärtigen Prozess aktiv ein. Dieses starke Engagement wird sie während der ganzen Dauer der wichtigen Treffen bis zum Beginn der 60. Session der Generalversammlung aufrechterhalten.

Auf Wunsch des Parlaments fokussierte der Bundesrat den vorliegenden Bericht 2005 über das Verhältnis zur UNO und zu den internationalen Organisationen mit Sitz in der Schweiz auf drei prioritäre Themen. Im Bericht werden auch die wichtigsten Positionen vorgestellt, welche die Schweiz im Verhandlungsprozess bis zur Eröffnung der 60. Session der Generalversammlung und während der ganzen Sessionsdauer vertreten wird.

2

Die UNO und die Herausforderungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit

2.1

UNO-Reformen: Bestandesaufnahme

Es ist unbestritten, dass die UNO seit ihrer Gründung am Ende des Zweiten Weltkrieges wichtige Reformen umgesetzt hat. So zum Beispiel eine ganze Reihe neuer Programme und Sonderinstitutionen, Fonds und Programme, die innerhalb der Vereinten Nationen geschaffen wurden, um den Erwartungen und Bedürfnissen der 2

Die offizielle Bezeichnung lautet: «Plenartagung auf hoher Ebene der 60. Session der Generalversammlung unter Beteiligung von Staats- und Regierungschefs». Da diese Plenartagung fünf Jahre nach dem Millenniumsgipfel vom September 2000 stattfindet, wird im vorliegenden Dokument die umgangssprachlich gebräuchliche Bezeichnung «M+5-Gipfel» verwendet.

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internationalen Gemeinschaft zu genügen. Parallel dazu wurden in regelmässigen Abständen, namentlich seit dem Amtsantritt des jetzigen UNO-Generalsekretärs, interne Reformen verwirklicht. Sie brachten die folgenden konkreten Resultate: Die Organisation wurde finanziell saniert, ihre Wirksamkeit gesteigert und ihre Tätigkeit auf vier strategische Prioritäten fokussiert ­ Frieden und Sicherheit, nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung, humanitäre Angelegenheiten und Menschenrechte ­ Prioritäten im Übrigen, die den aussenpolitischen Zielen der Schweiz entsprechen.

Schliesslich erfuhren einerseits die Auslegung gewisser Grundprinzipien der UNOCharta und andererseits die Arbeitsinstrumente der wichtigsten UNO-Organe eine bemerkenswerte Weiterentwicklung. Auch sie wurden den neuen Bedürfnissen der multilateralen Zusammenarbeit angepasst. Der Sicherheitsrat zum Beispiel wurde nicht etwa mit den militärischen Mitteln ausgestattet, die ihm in der internationalen Gemeinschaft die Rolle des Weltpolizisten erlaubt hätten, wie sie ihm ursprünglich zugedacht war. Stattdessen entwickelte er eine Reihe neuer Instrumente, die in der Charta nicht oder nur ansatzweise vorgesehen sind: Friedensoperationen, gezielte Sanktionen, internationale Ad-hoc-Gerichtshöfe, komplexe Friedensoperationen mit ausgeprägt zivilem Charakter, die der Wiederherstellung des Rechtsstaates, der Förderung der Menschenrechte und der Wiederaufnahme der Entwicklung dienen.

Gleichzeitig ist festzuhalten, wie schwierig es ist, gewisse grundlegende Reformen zu Ende zu führen. Dies gilt namentlich für die Vorschläge, die auf eine Neudefinition des Mandats und der Zusammensetzung der wichtigsten UNO-Organe abzielen, sowie für ehrgeizigere Neuausrichtungen des multilateralen Systems, insbesondere was die Beziehungen zwischen UNO, Bretton-Woods-Institutionen und Welthandelsorganisation anbelangt.

Die Schwierigkeit, grundlegendere Reformen durchzuführen, erklärt sich dadurch, dass die Ansichten über die Architektur des multilateralen Systems und die erforderlichen Reformen an dessen Bestandteilen in einer internationalen Gemeinschaft, die heute über 190 Mitgliedstaaten zählt, sehr stark auseinander gehen. Es muss auch unterstrichen werden, wie enorm schwierig es ist, die UNO-Charta zu revidieren.

Jede Änderung der Charta muss von zwei
Dritteln der Mitglieder der Generalversammlung verabschiedet und anschliessend von allen UNO-Mitgliedstaaten und allen ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates ratifiziert werden (Art. 108 der UNO-Charta). Das gelang bisher nur selten. Die UNO-Charta wurde erst dreimal formell geändert: 1963 wurde die Mitgliederzahl des Sicherheitsrates von elf auf fünfzehn erhöht, und zweimal wurde die Anzahl der Mitglieder des Wirtschafts- und Sozialrates (ECOSOC) erhöht.

2.2

Suche nach einem neuen Konsens für kollektive Massnahmen

Die Debatte über die UNO-Reform wurde durch die Verschärfung der Terrorismusgefahr, die Verbreitung der Massenvernichtungswaffen und die diplomatische Krise vor der militärischen Intervention im Irak neu ausgelöst. Im Bemühen, den internationalen Konsens über Sicherheitsfragen und die Rolle der UNO zu erneuern, beauftragte der UNO-Generalsekretär im Herbst 2003 eine Gruppe internationaler Persönlichkeiten mit der Analyse der neuen Herausforderungen auf dem Gebiet des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sowie mit der Formulierung von 3909

Vorschlägen im Hinblick auf die Stärkung des multilateralen Handelns3. Der Bericht der Hochrangigen Gruppe wurde am 2. Dezember 2004 veröffentlicht4. Parallel dazu präsentierte eine Gruppe von internationalen Experten für Entwicklungszusammenarbeit unter dem Vorsitz von Prof. Jeffrey Sachs eine Reihe von Empfehlungen über die erforderlichen Massnahmen zur Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele bis 20155.

Gestützt auf die Empfehlungen dieser beiden Berichte und auf die ersten Reaktionen der Mitgliedstaaten präsentierte der UNO-Generalsekretär am 21. März 2005 seine eigenen Vorschläge für eine Reform der Vereinten Nationen und die Stärkung des kollektiven Handelns6. In seinem Bericht hebt der UNO-Generalsekretär hervor, wie eng Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechte zusammenhängen, und fordert die Mitgliedstaaten auf, die Strategie des kollektiven Handelns zur Wahrung des Weltfriedens zu bekräftigen. Dazu präsentiert er im Anhang des Berichts eine Reihe von konkreten Empfehlungen und bittet die Mitgliedstaaten, diese bis zum M+5-Gipfel an der UNO-Generalversammlung Mitte September 2005 zu prüfen.

Die Mitgliedstaaten setzten auf der Grundlage der Vorschläge des UNO-Generalsekretärs Konsultationen an. Eine erste Konkretisierung der Reformen könnte in den folgenden Monaten erfolgen und zur Verabschiedung eines Schlussdokuments am M+5-Gipfel Mitte September führen, der mit dem 60. Jubiläum der UNO zusammenfällt. Doch der damit begonnene Prozess ist komplex und sein Ausgang noch ungewiss.

2.2.1

Erweiterung des Sicherheitskonzepts

Die gegenwärtigen Arbeiten der UNO zielen auf die Überwindung der Gegensätze, die in den vergangenen Jahren in der internationalen Gemeinschaft aufgebrochen sind. Es geht um die Erarbeitung eines breiter gefassten und stärker auf Konsens ausgerichteten Konzepts der sicherheitspolitischen Herausforderungen und der Mittel, die notwendig sind, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Der UNOGeneralsekretär empfiehlt einen umfassenden Ansatz, der die Vielfältigkeit der Bedrohungen und deren Wechselwirkungen untereinander berücksichtigt. Dieser breiter gefasste Sicherheitsbegriff schliesst die klassischen bewaffneten Konflikte, Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, aber auch andere globale Risiken wie Armut, HIV/Aids oder Umweltzerstörung, insbesondere den Klimawandel, mit ein. So wird zwischen den Sicherheitsfragen im klassischen Sinn, die vor allem die Industrieländer beschäftigen, und den Millenniums-Entwicklungszielen, die im Zentrum des Interesses der Entwicklungsländer stehen, ein Zusammenhang hergestellt. Der Begriff der menschlichen Sicherheit, der von der Schweiz seit vielen Jahren befürwortet wird, ist Teil dieser breiter gefassten und stärker auf Konsens ausgerichteten Auffassung der Sicherheitsfrage7.

3 4 5 6 7

Die Hochrangige Gruppe wurde von Anand Panyarachun, dem ehemaligen thailändischen Premierminister, präsidiert und umfasste 15 weitere prominente Persönlichkeiten.

Bericht der Hochrangigen Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel vom 2. Dez. 2004 (A/59/565).

Bericht über das Millenniumsprojekt vom 17. Jan. 2005. Siehe dazu Ziff. 3.1.2.

Bericht des UNO-Generalsekretärs vom 21. März 2005 «In grösserer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle» (A/59/2005).

Zur menschlichen Sicherheit siehe Ziff. 2.4.

3910

Ein wichtiges Ergebnis der laufenden Arbeiten besteht darin, die Geltung des multilateralen Systems kollektiver Sicherheit, das in der UNO-Charta verankert ist, erneut zu bestätigen sowie konkrete und pragmatische Massnahmen zu seiner Stärkung vorzuschlagen. Auch die Autorität des Sicherheitsrates bezüglich der Ermächtigung zum Gewalteinsatz wurde bestätigt. Der Sicherheitsrat wurde zudem aufgefordert, schneller und präventiv einzugreifen. Eine ganz besondere Bedeutung misst die Schweiz der Feststellung des Generalsekretärs bei, dass man die Regeln des Völkerrechts über die Anwendung von Waffengewalt zur Selbstverteidigung (Art. 51 der UNO-Charta) weder ändern noch neu auslegen muss. Diese Empfehlung gründet auf den Arbeiten einer Expertengruppe, die im März 2004 auf Initiative der Schweiz in Genf zusammentraf. Bei den Beratungen zwischen den Mitgliedstaaten stiess die Empfehlung, die Selbstverteidigungsregeln nicht zu verändern, auf einen sehr breiten Konsens. Sie ist von grundlegender Bedeutung, wenn man eine Zunahme unilateraler präventiver Militäraktionen vermeiden und das System kollektiver Sicherheit der UNO beibehalten will, zu dessen Hauptpfeilern das Verbot der Gewaltanwendung in den zwischenstaatlichen Beziehungen gehört.

Der UNO-Generalsekretär unterstreicht im Übrigen, dass die staatliche Souveränität nicht nur Privilegien, sondern auch Pflichten umfasst, namentlich die Pflicht der Staaten, ihre Bevölkerung vor Völkermord und anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. Ist ein Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage, seine Bevölkerung gegen solche Verbrechen zu schützen, so obliegt es der internationalen Gemeinschaft, kollektiv zu handeln, nötigenfalls auch mit Gewalt. Der UNOGeneralsekretär übernimmt damit gewisse Vorschläge, die in den vergangenen Jahren im Lichte der Erfahrungen in Ruanda, Kosovo und Osttimor8 gemacht wurden. Um jedoch keinen unkontrollierbaren Prozess auszulösen, müssen die Kriterien, anhand deren beurteilt wird, in welchen Fällen kollektive Massnahmen gerechtfertigt sind, ganz genau definiert werden. Die Schweiz befürwortet eine möglichst konsensfähige Definition dieser Kriterien und hat die Mitglieder des Sicherheitsrats dazu aufgerufen, alle UNO-Mitgliedstaaten an der Ausarbeitung dieser Kriterien zu beteiligen.

2.2.2

Institutionelle Stärkung der Vereinten Nationen

Der UNO-Generalsekretär schlägt mehrere institutionelle Reformen vor, mit denen die Handlungsmöglichkeiten der UNO verbessert werden sollen.

Die Schweiz misst der Reform der Institutionen und Instrumente der UNO zum Schutz der Menschenrechte eine besondere Bedeutung bei. Sie hat der Hochrangigen Gruppe und dem UNO-Generalsekretär mehrere Reformvorschläge unterbreitet. Ein Vorschlag sieht vor, die jetzige Menschenrechtskommission, deren Arbeit zunehmend politisiert wird, durch einen ständigen Menschenrechtsrat zu ersetzen, dessen institutionelle Stellung gegenüber der jetzigen Kommission gestärkt würde. Der UNO-Generalsekretär übernahm mehrere Vorschläge der Schweiz im Bereich der Menschenrechte, namentlich die Idee eines Menschenrechtsrates9.

8

9

Dieses Konzept wurde von der internationalen Kommission über die Unabhängigkeit und Souveränität der Staaten entwickelt, die aufgrund einer Initiative Kanadas geschaffen wurde. Vgl. diesbezüglich den im Dezember 2001 erschienenen Schlussbericht der Kommission.

Siehe oben Ziff. 2.4.2.

3911

Eine weitere sehr interessante Empfehlung sieht die Schaffung einer Kommission für Friedenskonsolidierung vor. Sie könnte eine Lücke schliessen, die häufig zwischen den friedenserhaltenden Aktivitäten und der Entwicklungszusammenarbeit klafft. Ein Abbild dieses UNO-internen Grabens ist die ungenügende Zusammenarbeit zwischen dem Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) und dem Sicherheitsrat.

Die Schweiz unterstützt die Schaffung der neuen Kommission und plädiert dafür, dass sie sowohl dem Sicherheitsrat als auch dem ECOSOC (und nicht nur dem Sicherheitsrat) unterstellt wird. Das Mandat der Kommission sollte nicht nur die Möglichkeit vorsehen, allgemeine politische Debatten zu führen, sondern auf Ersuchen der Länder auch die Diskussion konkreter Fälle der Konfliktnachbereitung erlauben (Übergang zu Frieden und Wiederaufbau nach der Beendigung eines Konflikts). Von allen institutionellen Reformen erfährt allerdings die vorgeschlagene Erweiterung des Sicherheitsrates die grösste Aufmerksamkeit. Die Hochrangige Gruppe empfahl eine Erweiterung des Sicherheitsrates von 15 auf 24 Mitglieder. Zur Erreichung dieses Ziels stehen zwei Optionen zur Auswahl: Modell A: ­

6 neue ständige Mitglieder ohne Vetorecht;

­

3 neue nichtständige Mitglieder (für zwei Jahre, ohne Möglichkeit der sofortigen Wiederwahl).

Modell B: ­

keine neuen ständigen Mitglieder;

­

neue Kategorie von 8 Mitgliedern ohne Vetorecht, die für vier Jahre gewählt werden und deren Wiederwahl möglich ist;

­

ein neues nichtständiges Mitglied (für zwei Jahre und nicht sofort wieder wählbar).

Modell A würde wahrscheinlich zur Vergabe je eines ständigen Sitzes an Deutschland, Indien, Japan und Brasilien sowie zwei afrikanische Länder führen, unter denen Südafrika, Nigeria und Ägypten die drei bestplatzierten Kandidaten sind.

Modell B wurde von der Hochrangigen Gruppe entwickelt, um den Kreis der Nutzniesser einer Erweiterung zu vergrössern. Es erlaubt einer grösseren Anzahl Staaten eine längere Einsitznahme im Sicherheitsrat und erhöht damit dessen Repräsentativität. Ferner erhöht es den Anteil der von der Generalversammlung gewählten Mitglieder des Sicherheitsrates (5 ständige/19 gewählte), während Modell A diesen Anteil im Gegenteil senkt (11 ständige/13 gewählte). Schliesslich erhöht im Modell B die Wählbarkeit der acht Mitglieder mit vierjähriger Amtszeit die Verantwortung der gewählten Länder gegenüber ihrer jeweiligen Regionalgruppe und trägt damit zu einer besseren Vertretung bei. Sowohl Modell A wie Modell B begünstigen jedoch vor allem die Grossstaaten, die am ehesten in der Lage wären, einen der neuen Sitze einzufordern.

Die Haltung der Schweiz zu dieser Frage wurde bei mehreren Gelegenheiten und insbesondere am 21. September 2004 von Bundespräsident Joseph Deiss in seiner Erklärung vor der UNO-Generalversammlung in New York dargelegt. Die Haltung der Schweiz lässt sich wie folgt umschreiben: ­

3912

Die Schweiz befürwortet die Erweiterung des Sicherheitsrats. Ein erweiterter Rat würde die heutige Weltordnung besser repräsentieren und wäre besser legitimiert; dies läge im Interesse aller.

­

Nach Auffassung der Schweiz muss die Erweiterung folgenden Kriterien genügen: ­ bessere Vertretung der Entwicklungsländer; ­ Berücksichtigung der Beiträge der Mitgliedstaaten zur Tätigkeit der UNO, namentlich im Bereich der Friedensoperationen, der Entwicklungshilfe und der Finanzierung des UNO-Budgets; ­ keine Erweiterung des Sicherheitsrates zum einseitigen Vorteil der Grossstaaten und zum Nachteil der übrigen Länder.

­

Die Schweiz ist dagegen, dass weitere Länder ein Vetorecht erhalten, weil dies die Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrates einschränken würde.

Die Schweiz ist mit keinem der beiden von der Hochrangigen Gruppe vorgeschlagenen Modellen völlig zufrieden. Sie bedauert insbesondere, dass die beiden Modelle für viele Länder, die Substantielles zu den Anstrengungen der UNO beitragen, die Chancen verringern, im Sicherheitsrat Einsitz zu nehmen. Es sind jedoch nicht nur diese beiden Modelle denkbar. Der Bundesrat hofft, dass eine ausgewogene Lösung gefunden wird, die von möglichst vielen Mitgliedstaaten unterstützt wird. Eine Erweiterung, welche die internationale Gemeinschaft spaltet, wäre der Autorität und Legitimität des Sicherheitsrates nicht förderlich.

Die Erweiterung des Sicherheitsrates allein genügt jedoch nicht. Parallel dazu muss die Transparenz erhöht und müssen die Arbeitsmethoden weiterentwickelt werden, damit alle UNO-Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten, sich intensiver an den Arbeiten des Sicherheitsrates zu beteiligen. Die Schweiz unterstützt die Empfehlung der Hochrangigen Gruppe, die neuen Regelungen zur Verbesserung der Transparenz und der Mitwirkungsmöglichkeiten aller Staaten zu institutionalisieren und in die Geschäftsordnung des Sicherheitsrats aufzunehmen. Sie hat zusammen mit Liechtenstein, das die Arbeitsgruppe der Generalversammlung über die Reform des Sicherheitsrates präsidiert, eine entsprechende Initiative lanciert.

Eine Revitalisierung der Generalversammlung, die ihrer universellen Zusammensetzung wegen eine besondere Legitimität geniesst, ist schliesslich ebenfalls wünschenswert. Damit sie die ihr von der Charta übertragenen Aufgaben vollständig und effizient wahrnehmen kann, sind insbesondere die Organisation der Arbeiten und die Auswahl der zu behandelnden Themen zu verbessern.

2.2.3

Verstärkte Beteiligung des Parlaments

Der Ausbau der Beziehungen zu den Parlamenten, der Zivilgesellschaft und dem Privatsektor stellt einen wesentlichen Bestandteil der UNO-Reformvorschläge dar.

Was die Beziehungen zum Parlament betrifft, so äusserte sich Ständerat Peter Bieri, Präsident der Schweizer Delegation bei der Interparlamentarischen Union (IPU), am 21. Oktober 2004 vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York positiv zu einer verstärkten Rolle der nationalen Parlamente im Kreise der UNO. Die IPU-Delegation, der neben Vizepräsidentin Brigitta Gadient auch der Präsident der APK-S, Ständerat Peter Briner angehörte, traf am Rande der IPUKonferenz verschiedene hochrangige UNO-Persönlichkeiten. Unter anderem wurde die Delegation vom im Mai 2004 zum Untergeneralsekretär berufenen Schweizer

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Professor und ehemaligen Chef der Direktion für Völkerrecht des EDA, Nicolas Michel, empfangen.

Im Rahmen der Reformdebatte lancierten 108 Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Februar 2005 eine wichtige Initiative. In einem Offenen Brief an UNO-Generalsekretär Kofi Annan riefen sie zur Schaffung einer Parlamentarischen Versammlung bei der UNO auf. Die Vorsteherin des EDA wurde in der APK-N vom 17. Januar 2005 über die Absichten der Verfasser des Briefs informiert und unterstützte das Prinzip eines stärkeren Einbezugs nationaler Parlamente in die Arbeiten der UNO. Die Schaffung eines parlamentarischen Organs im Rahmen der UNO würde den demokratischen Charakter und ihre Bürgernähe verstärken. Während diverse regionale Organisationen wie etwa der Europarat ein derartiges parlamentarisches Organ besitzen, dürfte allerdings die Schaffung eines solchen in der UNO schwieriger sein: Eine Änderung der UNO-Charta bedarf der Zweidrittelmehrheit aller Mitgliedstaaten sowie der Zustimmung der 5 ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates. Deshalb werden andere mögliche Modelle wie zum Beispiel die Verstärkung der Rolle der Interparlamentarischen Union in der UNO ebenfalls geprüft.

Auch wenn die Schweiz eine erhöhte Teilnahme der Organisationen der Zivilgesellschaft und des Privatsektors bei den Arbeiten der UNO befürwortet, so lehnt eine Mehrheit der Mitgliedstaaten der Organisation eine grössere Öffnung der Organisation zur Zivilgesellschaft ab. Die Reformen in diesem Bereich stossen auf grossen Widerstand, obwohl als erwiesen gilt, dass die Zivilgesellschaft eine immer wichtigere Rolle bei der UNO zu spielen hat.

2.3

Die Friedensoperationen und der Beitrag der Schweiz

Nur wenige Empfehlungen im Bericht des Generalsekretärs betreffen direkt den Bereich der friedenserhaltende Operationen. Es wäre jedoch verfehlt, darin ein Zeichen dafür zu sehen, dass dieser Tätigkeitsbereich der UNO an Bedeutung verliert. Die UNO hat im Gegenteil die Prognosen all jener widerlegt, die nach dem Einmarsch in den Irak im März 2003 den Niedergang der UNO in der Friedenssicherung voraussagten. Die UNO ist heute in diesem Bereich immer noch ein zentraler Akteur, und der UNO-Sicherheitsrat spielt eine wichtige Rolle, die ihm niemand streitig macht. Seine Legitimationsmacht, zum Beispiel für das Besatzungsregime oder den Zeitplan für die Wiederherstellung der Souveränität des Irak, ist einzigartig.

Am 8. Juni 2004 übertrug der Sicherheitsrat mit Resolution 1546 der UNO eine führende Rolle bei der Abhaltung demokratischer Wahlen in Irak. Die Militärkoalition unter der Führung der USA blieb jedoch weiterhin ermächtigt, alle erforderlichen Massnahmen zu treffen, um zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Stabilität beizutragen. Die UNO hat dank ihrer Unterstützung der unabhängigen Wahlkommission dazu beigetragen, dass die Wahlen vom 30. Januar 2005 durchgeführt werden konnten. Die Schweiz hält es für entscheidend wichtig, dass der Gewaltspirale im Irak ein Ende gesetzt wird. Entsprechend begrüsst sie die Rolle, die der UNO im demokratischen und rechtsstaatlichen Transitionsprozess zukommt.

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Auch sieht sich die UNO nach dem Rückgang Ende der Neunzigerjahre einer bisher nie da gewesenen Nachfrage nach neuen Friedensmissionen gegenüber, insbesondere in Afrika. Die Mitgliedstaaten, die aus den vergangenen Misserfolgen ihre Lehren gezogen haben, wollen die Fähigkeit der UNO stärken, Friedensprozesse zu initiieren und erfolgreich voranzutreiben. Die Friedenssicherung der Vereinten Nationen weist heute viele Gesichter auf und umfasst sowohl eine zivile wie eine militärische Komponente. Die jüngsten Operationen dienen nicht mehr nur der Trennung der kriegführenden Parteien; sie können heute oft auch die Wiederherstellung der Basisdienstleistungen, die Schaffung der in den Friedensabkommen vorgesehenen Institutionen, Massnahmen zur Sicherung von Recht und Ordnung, die Schaffung moderner Institutionen, u.a. von unparteiischen, professionellen Polizeikräften und Rechtssystemen, die Demobilisierung, die Entwaffnung und Wiedereingliederung der Soldaten, die Förderung des politischen Dialogs, mit dem die Grundlagen für die zukünftige Verfassungsordnung gelegt werden, oder auch die Vorbereitung und Durchführung von Wahlen umfassen.

Die UNO-Friedenssicherung steht heute vor drei grundlegenden Herausforderungen:

2.3.1

Wachsende Nachfrage nach neuen friedenserhaltenden Operationen

In den letzten zwei Jahren wurden neue Friedensmissionen (Côte d'Ivoire, Liberia, Haiti, Burundi) entsandt, die Friedensmission in der Demokratischen Republik Kongo verstärkt und eine neue Friedensmission im Sudan vorbereitet, die vom Sicherheitsrat im Februar 2005 beschlossen wurde. Damit waren im Januar 2005 74 000 Personen ­ Militärpersonal, Zivilpolizisten und zivile Experten ­ an friedenserhaltenden Missionen beteiligt. Unter Berücksichtigung der Personalrotation sind dies knapp 120 000 Männer und Frauen, die 2004 von den Vereinten Nationen für Operationen vor Ort eingesetzt wurden. Um die steigende Nachfrage befriedigen zu können und Engpässe zu vermeiden, braucht die UNO jedoch dringend mehr Kapazitäten in den Bereichen Planung und Logistik, namentlich für Lufttransporte und medizinische Einheiten, Zivilpolizisten (vor allem französischsprachige), zivile und technische Experten (z. B. in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit).

Der Personalbestand war bereits vor ungefähr zehn Jahren vergleichbar hoch; doch die Situation hat sich verschärft, weil die Armeen mit den grössten Kapazitäten heute weitgehend durch andere Operationen, namentlich im Irak, in Afghanistan und im Balkan, beansprucht werden und kaum noch für friedenserhaltende Operationen der UNO zur Verfügung stehen.

Deshalb sind die zehn wichtigsten truppenstellenden Staaten im Rahmen der UNOFriedenssicherung Entwicklungsländer. Allgemein wird diesbezüglich von einem Einsatzdefizit (Commitment gap) gesprochen: der genügenden Unterstützung der UNO-Friedensoperationen durch Friedenstruppen aus entwickelten Staaten, die über die am besten ausgerüsteten und ausgebildeten Streitkräfte verfügen. Dieser Umstand kann gravierende Auswirkungen auf die Effizienz von UNO-Friedensmissionen haben, weil die beteiligten Entwicklungsländer nicht immer ausreichend ausgerüstete Truppenkontingente zur Verfügung stellen können. Auf der einen Seite führen die Industriestaaten friedenssichernde Einsätze lieber ausserhalb von UNOFriedensmissionen durch, wollen aber ihren Einfluss auf letztere behalten und deren Vorbereitung und Einsatz verbessern. Auf der anderen Seite wünschen sich die 3915

Entwicklungsländer, die zahlenmässig die Mehrheit der Truppen stellen, eine Position, die dem Ausmass ihres Engagements Rechnung trägt. Sie widersetzen sich allen Entwicklungen, die sie ihrer Auffassung nach in eine untergeordnete Rolle abdrängen.

2.3.2

Einführung geeigneter Modalitäten für die Zusammenarbeit mit regionalen Partnerorganisationen

Um angemessen auf die Nachfrage nach neuen Friedensmissionen reagieren und einen raschen Aufmarsch der Friedenstruppen gewährleisten zu können, aber auch um wirksame Gewaltmittel bereitzustellen, mit denen Angriffe gegen das UNOPersonal abgewehrt und die Erfüllung seines Auftrags ermöglicht werden können, muss die UNO zunehmend mit regionalen Organisationen zusammenarbeiten. Damit bestätigt sich dieser seit Jahren zu beobachtende Trend zu einer engeren Zusammenarbeit mit diesen Organisationen. In der Praxis beauftragt die UNO häufig einen Staat oder eine regionale Organisation mit der Durchführung einer Friedensoperation. Das war zum Beispiel in der Ituri-Provinz in der Demokratischen Republik Kongo der Fall, wo die Europäische Union von Juni bis August 2003 die vom Sicherheitsrat genehmigte Operation «Artemis» durchführte. Diese wurde anschliessend durch Truppen der Vereinten Nationen abgelöst. Die mit schweren Waffen ausgerüsteten Truppen mussten im März 2005 nach dem Tod mehrerer Blauhelme, die in einen Hinterhalt lokaler Milizen gerieten, Gewalt anwenden. Vergleichbare Operationen wurden von Frankreich und der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) in der Côte d'Ivoire und von den Vereinigten Staaten, Frankreich und Kanada in Haiti durchgeführt.

2.3.3

Zunehmend unsicheres Umfeld für UNO-Friedensoperationen

Die UNO ist nicht nur mit einer wachsenden Nachfrage konfrontiert; sie muss auch in einem immer schwierigeren Umfeld agieren. Die Schaffung eines Frühwarnsystems und einer Analysestruktur würde die Fähigkeit der UNO zur Prävention und Bewältigung von Krisen substantiell verbessern; dadurch könnte sie auch ihrem Personal mehr Sicherheit bieten. Diese Struktur könnte den Entscheidungsfindungsprozess der UNO-Gremien erleichtern, sodass sie nicht mehr auf die Informationen nationaler Nachrichtendienste angewiesen wären. Entsprechende Vorschläge wecken jedoch das Misstrauen der Länder des Südens, die nachrichtendienstliche Aktivitäten gegen ihre nationalen Interessen befürchten, weswegen die bisherigen Erfahrungen ernüchternd ausfielen.

Angesichts der zunehmenden Gefahren, denen das UNO-Personal ausgesetzt ist, empfahl der Generalsekretär die Schaffung eines neuen Sicherheitsdepartements im Sekretariat der Vereinten Nationen in New York. Er begann auch ganz konkret, die Organisation mit einem umfassenden und einheitlichen Sicherheitsmanagementsystem (Security Management System) auszustatten. Eine Mehrheit der Mitgliedstaaten unterstützt diese Entwicklung. Allerdings wird sie das Budget stark belasten.

3916

Eine weitere Massnahme, die der Generalsekretär im Rahmen der laufenden Reformbestrebungen vorschlug, betrifft die Möglichkeit, friedenserhaltende Operationen mit strategischen Reserven auszustatten. Diese könnten intervenieren, um störende Elemente ­ zum Beispiel eine Splittergruppe oder eine unkontrollierte bewaffnete Gruppe ­ daran zu hindern, das Gelingen eines Friedensprozesses zu gefährden, der die Unterstützung der wichtigsten beteiligten Parteien geniesst.

2.3.4

Beiträge der Schweiz

Das Engagement der Schweiz im Rahmen der UNO-Friedensoperationen blieb im Personalbereich unverändert. Rund 40 Militärbeobachter und Zivilpolizisten sind im Einsatz: Die Militärbeobachter sind vor allem im Nahen Osten (9), in Korea (5), in Georgien (4), an der Grenze zwischen Äthiopien und Eritrea (3) und in der Demokratischen Republik Kongo (2) tätig, während die Zivilpolizisten vor allem in Kosovo (8), in der Demokratischen Republik Kongo (3) und in Georgien (2) eingesetzt werden. Ferner setzte die Schweiz weiterhin Soldaten in drei von der UNO bewilligten, aber von der NATO befehligten Operationen ein: in Kosovo (Bewilligung des Einsatzes von bis zu 220 Personen), in Afghanistan (bis 4 Personen) und in Bosnien und Herzegowina (bis 20 Personen). Daneben entsendet die Schweiz auch Personen in die Hauptquartiere der UNO in Genf und New York, die konzeptionelle Aufgaben wahrnehmen, und beteiligt sich an Missionen der UNO zur Koordination der Bekämpfung und Beseitigung von Personenminen: Äthiopien/Eritrea (2), Sudan (1), Sri Lanka (1), Tschad (1), Naher Osten (1), Albanien (1).

Als UNO-Mitglied leistete die Schweiz zudem ihren Pflichtbeitrag an die Friedensoperationen. Gemäss neuem Verteilschlüssel zwischen den UNO-Mitgliedstaaten beläuft er sich für den Zeitraum 2004­2005 auf 1,197 % des ordentlichen Budgets der Organisation, gegenüber 1,274 % im Jahre 2003. Angesichts der Zunahme der UNO-Friedensoperationen und der daran beteiligten Personen im Jahre 2004 nahm der Finanzbeitrag der Schweiz an das Budget der Friedensoperationen 2004 beträchtlich zu. Die Beitragszahlungen unseres Landes für diese Operationen betrug 2004 ungefähr 54 Millionen Franken. Der Bundesrat musste dem Parlament einen Nachtragskredit von 5,358 Millionen Franken unterbreiten.

Die Höhe des Pflichtbeitrags an das Budget der Friedensoperationen hängt von der Zahl der UNO-Friedensoperationen und der daran beteiligten Personen ab, die beträchtlichen Schwankungen unterworfen sind. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der unregelmässigen Rechnungsstellung von Seiten der UNO, die innerhalb eines 3-Jahres-Zyklus zu unterschiedlich hohen Beiträgen im Budget führt. Der Betrag von 74 944 600 Franken, der im Voranschlag 2005 für die Zahlung der obligatorischen Beiträge der Schweiz an die Vereinten Nationen vorgesehen ist, wird es uns nicht
erlauben, alle Beträge zu zahlen, die 2005 von der UNO für Friedensoperationen in Rechnung gestellt werden. Deshalb musste der im Finanzplan 2006 vorgesehene Betrag angepasst werden.

Trotz der bedeutenden finanziellen Beteiligung der Schweiz in Form ihres Pflichtbeitrags bleibt das bisherige Engagement der Eidgenossenschaft zu Gunsten der UNO-Friedensoperationen in anderen Bereichen angesichts der Bedürfnisse der UNO immer noch begrenzt.

3917

Auf Ersuchen des UNO-Generalsekretärs schenkte die Schweiz den Behörden von Sierra Leone gleichwohl 260 ausgemusterte Armeefahrzeuge. Die Lieferung der Fahrzeuge an die Behörden von Sierra Leone sowie entsprechende Ausbildungsmassnahmen wurden partnerschaftlich zusammen mit den Vereinten Nationen und den internationalen Partnern vor Ort durchgeführt.

2.4

Menschliche Sicherheit

Seit Ende des Kalten Krieges ist die UNO in den Bereichen Friedenssicherung und Nachbereitung von Konflikten handlungsfähiger geworden. Nicht zuletzt dank ihrem Engagement verzeichnet die internationale Gemeinschaft seit Mitte der 90er Jahre einen Rückgang der weltweiten Bürgerkriege um 40 %, nachdem deren Zahl während der vorhergehenden Jahrzehnte kontinuierlich zugenommen und dabei die zwischenstaatlichen Konflikte zahlenmässig übertroffen hatte. Zudem wurden in den letzten 15 Jahren mehr innerstaatliche Konflikte auf dem Verhandlungsweg beendet als in den zwei Jahrhunderten davor.

Auf der andern Seite sind die sicherheitspolitischen Herausforderungen seit dem Ende des Kalten Krieges komplexer geworden. So sieht heute eine grosse Anzahl von Staaten im Terrorismus und in der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen das grösste Gefährdungspotenzial. Gleichzeitig ist unbestritten, dass die Verdichtung dieser Sicherheitsrisiken an der Schnittstelle von Bürgerkrieg und Staatenzerfall, mangelnder Rechtsstaatlichkeit, Armut und Krankheit am grössten ist. Umweltverschmutzung und Knappheit der natürlichen Ressourcen zählen ebenfalls zu den Ursachen von ziviler und militärischer Gewalt.

Das Paradigma, dass der Staat die primäre Verantwortung für die Sicherheit der eigenen Bevölkerung trägt, gilt nach wie vor. Das Konzept versagt aber dann, wenn ein Staat dieser Pflicht nicht nachkommen kann oder selbst in die Auseinandersetzung verwickelt ist. Statistiken belegen, dass im 20. Jahrhundert weit mehr Menschen durch ihre eigene Regierung als durch fremde Armeen ums Leben kamen.

Die Schweiz begrüsst es, dass die Empfehlungen des Generalsekretärs die Förderung der universellen Herrschaft des Rechts, der Menschenrechte und der Demokratie als wesentliche Voraussetzung für die weltpolitische Stabilität beinhalten. Sie ist in den kommenden Monaten und im Verbund mit gleichgesinnten Staaten gefordert, damit aus diesen Vorschlägen konkrete und griffige Massnahmen resultieren. Auf Widerstand wird sie vor allem dort stossen, wo das Konzept der menschlichen Sicherheit mit dem Versuch gleichgesetzt wird, die staatliche Souveränität durch internationale Massnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung zu untergraben. Oder dort, wo internationale Menschenrechtsstandards unter dem Vorwand unterschiedlicher Lebensformen
oder politischer Gegebenheiten relativiert werden.

Die menschliche Sicherheit gehört zu den tragenden Pfeilern der schweizerischen Aussenpolitik, für deren Förderung sich die Schweiz auch im Rahmen der UNO auf verschiedenen Ebenen einsetzt. Schweizerische Schwerpunkte in diesem Bereich sind unter anderem die Förderung der Rechtstaatlichkeit, der Einsatz für die Menschenrechte, der Kampf gegen den unerlaubten Handel mit Kleinwaffen und leichten Waffen sowie der Kampf gegen Personenminen.

3918

Die Schweiz unterstützt die Haltung des UNO-Generalsekretärs, der in einer Stärkung des völkerrechtlichen Rahmens und der internationalen Menschenrechtsstandards eine unabdingbare Voraussetzung zur Wahrung von Frieden und Sicherheit sieht. Sie hat sich unter anderem im Netzwerk Menschliche Sicherheit (Human Security Network) dafür eingesetzt, dass diese Themen in der Reformdebatte die notwendige Aufmerksamkeit erhalten.

2.4.1

Rechtsstaatlichkeit

Ein wichtiges Anliegen der Schweiz ist es, dass bestehende Lücken der Rechtsentwicklung innerhalb des UNO-Systems aufgedeckt und behoben werden. Die Rolle der UNO bei der Wahrung von Frieden und Sicherheit kann nur wachsen, wenn die hierfür nötige rechtliche Basis gefestigt wird. Auch kann die Rechtstaatlichkeit nur dann verbessert werden, wenn die Mechanismen der UNO zur Umsetzung und Überwachung der geltenden Normen gestärkt werden können.

In den vergangenen Jahren wurden einige Fortschritte erzielt, etwa mit dem Inkrafttreten des Römer Statuts und mit der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Die Schweiz begrüsst die jüngsten Beitritte zum Römer Statut, dem inzwischen mehr als die Hälfte aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen angehören. Gleichzeitig setzt sie sich dafür ein, dem Strafgerichtshof die Mittel und die Unterstützung zu gewähren, die er zur erfolgreichen Bewältigung seiner Aufgaben braucht.

Gegenwärtig findet in der UNO eine Debatte über die Bedeutung der Unrechtsbewältigung und Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit in Postkonfliktgesellschaften statt (Transitional Justice and Rule of Law). Die Schweiz beteiligt sich aktiv an dieser Diskussion, zum Beispiel mit Erklärungen anlässlich der regelmässigen Debatten im Sicherheitsrat zu diesem Thema sowie in direkten Kontakten mit Vertretern des UNO-Sekretariats. Sie begrüsst die Vorschläge des UNO-Generalsekretärs zur institutionellen Verankerung und zur Stärkung der operationellen Kapazitäten der UNO auf diesem Gebiet. In Genf setzt sie sich sehr aktiv für eine diesbezüglich stärkere Rolle des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte ein.

Einen wichtigen Schritt stellt in diesem Zusammenhang die von der Schweiz eingereichte Resolution «Menschenrechte und Justiz in Transitionsprozessen» dar, die von der UNO-Menschenrechtskommission im April 2005 gutgeheissen wurde. Auf operationeller Ebene unterstützt sie die Strafgerichtshöfe für das frühere Jugoslawien und Ruanda sowie das Sondertribunal in Sierra Leone mit finanziellen und personellen Beiträgen.

Die Schweiz setzt sich ferner dafür ein, dass der Sicherheitsrat seine besondere Verantwortung wahrnimmt und gegebenenfalls Situationen in Ländern, die nicht Vertragspartei des Römer Statuts sind, an den Internationalen Strafgerichtshof überweist. Diese
Forderung hat jüngst erste Früchte getragen, indem der Sicherheitsrat am 1. April 2005 die Lage in Darfur (Sudan) an den Internationalen Strafgerichtshof überwiesen hat.

3919

Im Rahmen der UNO ist die Schweiz auch in ihrer Rolle als Depositarstaat der Genfer Abkommen gefordert. Auf Ersuchen der UNO-Generalversammlung unterbreitete der Internationale Gerichtshof am 9. Juli 2004 ein Gutachten über die Rechtsfolgen, die sich aus der Errichtung der Sperranlage im besetzten palästinensischen Gebiet, einschliesslich Ost-Jerusalems und seiner Umgebung, ergeben. Er stellte darin fest, dass der Bau der Sperranlage durch Israel im besetzten Gebiet sowie die damit verbundenen Vorkehrungen gegen internationales Recht verstossen.

Darüber hinaus befand der Gerichtshof, dass das 4. Genfer Abkommen sowie die relevanten internationalen Menschenrechtsinstrumente im besetzten palästinensischen Gebiet anwendbar sind. Er hielt fest, dass Israel und Palästina verpflichtet sind, die Regeln des Völkerrechts einzuhalten.

Am 20. Juli 2004 nahm die UNO-Generalversammlung im Rahmen einer Notstandssondertagung mit der Resolution ES-10/15 von dem Gutachten Kenntnis und forderte alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auf, ihre im Gutachten genannten rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Die UNO-Generalversammlung ersuchte ferner alle Vertragsparteien des 4. Genfer Abkommens, die Einhaltung des Abkommens durch Israel sicherzustellen. Sie lud die Schweiz in ihrer Eigenschaft als Depositarstaat ein, Konsultationen abzuhalten und der Generalversammlung über diese Angelegenheit Bericht zu erstatten, namentlich auch über die Möglichkeit, eine Konferenz der Hohen Vertragsparteien des 4. Genfer Abkommens einzuberufen. Die Schweiz hat die Resolution unterstützt und das Mandat akzeptiert, das ihr in ihrer Funktion als Depositarstaat des 4. Genfer Abkommens übertragen wurde.

2.4.2

Förderung der Menschenrechte

Zahlreiche Bemühungen, welche die Schweiz in den letzten Jahren im Rahmen ihrer UNO-Politik unternommen hat, galten dem Schutz der Menschenrechte und der Stärkung der internationalen Menschenrechtsarchitektur. Vor diesem Hintergrund unterbreitete sie der Hochrangigen Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel einen Vorschlag zur Gründung eines Menschenrechtsrats.

Die Schweiz freut sich über die Aufnahme des Vorschlags in den Reformbericht von Kofi Annan, der seinerseits empfiehlt, die UNO-Menschenrechtskommission durch einen kleineren und ständigen Menschenrechtsrat zu ersetzen. Damit hat der UNOGeneralsekretär die Grundlage für eine echte Reform geschaffen, eine Reform, die darauf abzielt, die Legitimität und das Gewicht der UNO im Bereich der Menschenrechte zu stärken.

Die Schweiz beabsichtigt, eine «Gruppe von Freunden» zu bilden, welche sich für die Gründung eines Menschenrechtsrats einsetzt. Zu diesem Zweck organisierte sie am 2. Mai 2005 in Lausanne eine internationale Tagung zum Thema UNOMenschenrechtsreform, an der rund 60 Staaten teilnahmen. Zusammen mit Gleichgesinnten wird unser Land versuchen, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der Vorschlag konkretisiert werden kann. Hierzu müssen in zahlreichen zwischenstaatlichen Konsultationen Fragen wie Grösse, Zusammensetzung und Mandat eines künftigen Menschenrechtsrats geklärt werden. Letztlich sollte ein Menschenrechtsrat die Schwächen der heutigen Mechanismen beheben, damit er einen realen Mehrwert bringt.

3920

Grundsätzlich setzt sich die Schweiz dafür ein, dass der UNO die nötigen Instrumente in die Hand gegeben werden, damit sie die ihr von der UNO-Charta übertragene Rolle als Hüterin der Menschenrechte verstärkt wahrnehmen kann. Dazu gehört beispielsweise auch die Erhöhung der Finanzmittel für das Hochkommissariat für Menschenrechte aus dem ordentlichen Budget der Vereinten Nationen. Darüber hinaus ist die Schweiz der Ansicht, dass sich die UNO künftig vermehrt mit der Stärkung nationaler Kapazitäten zur Umsetzung internationaler Menschenrechtsnormen befassen muss.

Der UNO-Generalsekretär unterstreicht in seinem Bericht die Notwendigkeit des guten Funktionierens des Menschenrechtsvertragssystems und der entsprechenden Kontrollorgane (Treaty Bodies). Die Schweiz hat unter Berücksichtigung der Richtlinien des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte das Konzept eines einheitlichen Berichterstattungssystems (Unified Reporting System) entwickelt. Letzteres soll zu einer effizienteren und nachhaltigeren Berichterstattung an die Kontrollorgane beitragen.

Schliesslich ist hervorzuheben, dass die Schweiz während der 59. Session der UNOGeneralversammlung eine der Vizepräsidentschaften des 3. Ausschusses innehatte.

2.4.3

Kampf gegen den Handel mit Kleinwaffen und leichten Waffen sowie gegen Personenminen

Während dank der gemeinsamen Anstrengungen von Zivilgesellschaft und besorgten Staaten ein umfassendes Verbot von Personenminen durchgesetzt werden konnte, fehlt bis heute ein rechtlich verpflichtendes Abkommen, das den Handel mit Kleinwaffen und leichten Waffen in anderen Fällen als der Verbrechensbekämpfung untersagt. Bereits Ende 2003 lancierte die UNO-Generalversammlung einen Verhandlungsprozess mit dem Ziel, ein internationales Instrument auszuarbeiten, das die Identifizierung und Rückverfolgung von illegalen Kleinwaffen und leichten Waffen erlaubt. Die Verhandlungen begannen im Februar 2004 unter dem Vorsitz der Schweiz.

Die Schweiz gehört zu den aktiven Verhandlungspartnern und setzt sich dafür ein, dass ein effizientes und verbindliches Instrument erarbeitet wird. Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass der UNO-Generalsekretär die Mitgliedstaaten in seinem Reformbericht dazu auffordert, bis spätestens 2006 zu einem erfolgreichen Verhandlungsabschluss zu kommen.

Eine weitere Priorität der Schweiz liegt in der Bekämpfung von Personenminen.

Vom 29. November bis 3. Dezember 2004 fand in Nairobi die erste Überprüfungskonferenz der Vertragsparteien der Konvention über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Personenminen und über deren Vernichtung (Ottawa-Abkommen) statt. Das Ziel des Übereinkommens besteht darin, die Welt innerhalb von zehn Jahren von Personenminen zu befreien. Die Schweiz verpflichtete sich zu einem gleichbleibenden Engagement mit Bezug auf die weltweite Durchsetzung des Abkommens.

Im internationalen Netzwerk gegen Personenminen hat die Schweiz seit Januar 2004 den Vorsitz in der Mine Action Support Group in New York inne, einer Gruppe von Vertretern der wichtigsten Geberstaaten im Bereich der humanitären Minenräumung. Die Gruppe tagt einmal im Monat und verfolgt das Ziel, auf strategischer 3921

Ebene den Dialog zwischen der UNO und den wichtigsten Geberländern von Minenaktionsprogrammen zu fördern.

Ende November 2003 konnte anlässlich eines Treffens der Vertragsstaaten des Übereinkommens über konventionelle Waffen (CCW) in Genf das Protokoll V über explosive Kriegsmunitionsrückstände verabschiedet werden. Dieses Protokoll leistet einen bedeutenden Beitrag zum Schutz der Zivilbevölkerung nach Einstellung von Feindseligkeiten. Ferner wurde, unter anderem auf Initiative der Schweiz ein Diskussionsmandat zu präventivtechnischen Massnahmen für bestimmte Typen explosiver Munition, einschliesslich Submunition, und betreffend Auslegungsfragen des humanitären Völkerrechts verabschiedet. Auch hat die Schweiz einen Regelungsentwurf mitunterzeichnet, der den Gebrauch von Fahrzeugminen genauer definiert.

3

Die Millenniums-Entwicklungsziele der UNO und ihre Umsetzung

Mehr als eine Milliarde Menschen ­ ein Sechstel der Weltbevölkerung ­ leben in extremer Armut und kämpfen täglich ums Überleben. Diese Armut soll bis im Jahr 2015 halbiert werden: Darauf haben sich am Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen im September 2000 in New York die dort versammelten Staats- und Regierungschefs geeinigt. Fünf Jahre danach werden im September 2005 die Mitgliedstaaten im Rahmen des M+5-Gipfels ein erstes Mal darüber berichten, was sie bislang getan haben und was sie noch tun wollen, um diese Armut zu überwinden.

Der Bundesrat erstattet hiermit Bericht über den heutigen Stellenwert der Millenniums-Entwicklungsziele und ihre Umsetzung in der internationalen Zusammenarbeit, über die Vorbereitungen im Hinblick auf den M+5-Gipfel der UNO und den Beitrag der Schweiz zur Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele.

3.1

Die Millenniums-Entwicklungsziele ­ Kernstück der heutigen Entwicklungsagenda

Seit dem Ende des Kalten Krieges hat die internationale Gemeinschaft grosse Anstrengungen unternommen, um ein gemeinsames Verständnis der wichtigsten globalen Probleme und Herausforderungen zu erarbeiten. Die verschiedenen UNOGrosskonferenzen der Neunzigerjahre, wie beispielsweise der «Erdgipfel» von Rio (1992), die Bevölkerungskonferenz von Kairo (1994), der Weltsozialgipfel von Kopenhagen (1995) und die Weltfrauenkonferenz von Beijing (1995), haben wesentlich zur Entstehung einer neuen gemeinsamen Agenda für die internationale Zusammenarbeit beigetragen; sie bildeten denn auch das Fundament der Millenniumserklärung, auf die sich die Staatengemeinschaft im September 2000 zu einigen vermochte.

Mit der Unterzeichnung der Millenniumserklärung haben sich die Staaten verpflichtet, gemeinsam gegen die Armut vorzugehen, den Frieden zu schützen, zur Umwelt Sorge zu tragen, die Menschenrechte und die Prinzipien der guten Regierungsführung zu achten, sich dem Schutz der Schwachen anzunehmen und die Vereinten

3922

Nationen als zentrales Forum und wichtigen Akteur der internationalen Zusammenarbeit zu stärken.10 Aus der Millenniumsdeklaration wurden in der Folge acht Entwicklungsziele abgeleitet, die so genannten Millenniums-Entwicklungsziele. Es handelt sich dabei um acht komplementäre Ziele mit quantitativen Vorgaben, die bis 2015 erreicht werden sollen. Für jedes Ziel wurden eine oder mehrere Zielvorgaben sowie soziale, wirtschaftliche oder umweltpolitische Indikatoren bestimmt.

An der darauf folgenden internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung knapp zwei Jahre später im mexikanischen Monterrey einigten sich Entwicklungsund Industrieländer darauf, wie sie diese Ziele finanzieren und umsetzen wollen.

Gemäss dem so genannten «Konsens von Monterrey» soll dies «in gemeinsamer und geteilter Verantwortung» erfolgen: Während die Entwicklungsländer die primäre Verantwortung für ihre Entwicklung tragen und sich zu guter Regierungsführung und konsequenter Armutsbekämpfung verpflichten, tragen die Industrieländer besondere Verantwortung für die globalen Rahmenbedingungen und deren entwicklungsfördernde Ausgestaltung und verpflichten sich, ihre Märkte zu öffnen, zur Entschuldung hochverschuldeter Länder beizutragen sowie mehr und effizientere Hilfe zu leisten. Der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung, der im gleichen Jahr in Johannesburg stattfand, verabschiedete einen globalen Aktionsplan zum Schutz der Umwelt und zur Befreiung von Armut.

Die Millenniums-Entwicklungsziele bilden ­ zusammen mit den in Monterrey und Johannesburg beschlossenen Aktionsplänen ­ einen erst nach langwierigen Verhandlungen zustande gekommenen, ausbalancierten Konsens, der sowohl die Industrie- wie auch die Entwicklungsländer in die Pflicht nimmt.

Die genannten Ziele stellen fortan den weltweit massgeblichen Referenzrahmen der internationalen Entwicklungsammenarbeit dar. Die internationale Gemeinschaft verfügt damit erstmals über einen umfassenden, von allen relevanten Akteuren akzeptierten Fahrplan, um gegen die globale Armut anzukämpfen.

10

­

Bei den Millenniums-Entwicklungszielen handelt es sich um quantifizierte und zeitlich befristete Ziele, an denen konkrete Fortschritte gemessen werden können. Inzwischen liegen detaillierte Empfehlungen für die Umsetzung ebenso vor wie eine klare Regelung der jeweiligen Verantwortung und der jeweiligen Zuständigkeiten.

­

Vorrangiges Ziel der Entwicklung ist die Reduktion von Armut in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen (multidimensionale Armutsbekämpfung). Das wirtschaftliche Wachstum ist ein wichtiges Mittel zur Erreichung dieses Zieles.

­

Entwicklung wird systematisch als nachhaltige Entwicklung verstanden. Die Steigerung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit muss einhergehen mit ökologischer Verantwortung und gesellschaftlicher Solidarität, sodass die BefrieSchwerpunkte der Millenniumserklärung: 1. Frieden, Sicherheit und Abrüstung, 2. Entwicklung und Armutsbeseitigung, 3. Schutz der gemeinsamen Umwelt, 4. Menschenrechte, Demokratie und gute Regierungsführung, 5. Schutz der Schwächeren, 6. Deckung der besonderen Bedürfnisse Afrikas, 7. Stärkung der Vereinten Nationen.

3923

digung der Bedürfnisse der heutigen Generation nicht auf Kosten der Entfaltungsmöglichkeiten künftiger Generationen geht.

­

Der Beteiligung und Einbindung der Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft bei der Formulierung und Umsetzung von an den Millenniums-Entwicklungszielen orientierten Strategien zur Armutsbekämpfung wird grosse Bedeutung beigemessen.

­

Die internationale Entwicklungszusammenarbeit wird heute in einem umfassenden Sinn verstanden. Neben der herkömmlichen technischen und finanziellen Zusammenarbeit gehören die Schaffung und Ausgestaltung entwicklungsfördernder nationaler und globaler Rahmenbedingungen und die Formulierung und Umsetzung entsprechend kohärenter Finanz-, Handels-, Wirtschafts-, Sozial-, Landwirtschafts-, Transport-, Umwelt- und Migrationspolitiken und -strategien mit dazu.

­

Die Millenniums-Entwicklungsziele möchten die Armut nicht nur lindern, sondern sie in ihren verschiedenen Dimensionen umfassend überwinden. Die Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele setzt ein koordiniertes und umfassendes Vorgehen auf verschiedenen Ebenen voraus.

­

Die Verantwortung für Entwicklung und Wohlfahrt der Bevölkerung liegt primär beim einzelnen Staat und bei dessen Regierung. Die Hilfe von aussen erfolgt unterstützend und subsidiär.

­

Multilaterale Organisationen, Geberländer und grosse NGOs operieren nicht mehr im Alleingang, sondern unterstützen die Entwicklungsländer gemeinsam und komplementär bei der Umsetzung ihrer Strategien zur Armutsbekämpfung.

­

Die an den verschiedenen Grosskonferenzen verabschiedeten Resolutionen und Aktionsprogramme verlieren darob nicht ihre Gültigkeit, im Gegenteil: sie bleiben wichtige Leitlinien für die themen- und sektorspezifische Zusammenarbeit.

3.2

Zur bisherigen Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele

Seit Beginn der Neunzigerjahre hat die Welt bei der Bekämpfung der Armut beachtliche Fortschritte erzielt. Die Zahl der Menschen, die chronischer Armut ausgesetzt sind, konnte um rund 130 Millionen gesenkt werden. Die Kindersterblichkeitsrate ist von 103 Totgeburten pro 1000 Geburten jährlich auf 88 gesunken. Die Lebenserwartung hat sich von 63 auf 65 Jahre erhöht.

Es bestehen aber grosse regionale Unterschiede. In Afrika südlich der Sahara herrschen weiterhin extreme Armut, Hunger sowie Kinder- und Müttersterblichkeit.

HIV/Aids und andere Krankheiten breiten sich rasant aus; hinzu kommen die teils offenen, teils schwelenden Krisen und Konflikte in verschiedenen Regionen des Kontinents. Asien hingegen weist zumindest in gewissen Ländern beachtliche Fortschritte bei der Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele auf. Diese sind allerdings vor allem auf die in den letzten Jahren in China und Indien erreichten hohen Wachstumsraten zurückzuführen. Aber auch diese Länder sehen sich grossen Umweltproblemen und zunehmender sozialer Ungleichheit gegenüber. Das erzielte 3924

Wachstum ist folglich noch kaum nachhaltig. Und: Auch in Asien leben weiterhin Hunderte von Millionen Menschen in extremer Armut. Ein gemischtes Bild präsentieren Lateinamerika, die Transitionsländer in Osteuropa, der Mittlere Osten und Nordafrika. Es bestehen auch grosse Unterschiede bezüglich der erzielten Fortschritte bei der Umsetzung von einzelnen Millenniums-Entwicklungszielen. Während der Anteil unterernährter Menschen global leicht zurückgeht und die meisten Regionen Fortschritte hinsichtlich des Zugangs von Kindern zur Grundausbildung verzeichnen können, wurden bei den Bemühungen um die Gleichstellung der Frauen weltweit nur geringe Fortschritte erzielt. Die Müttersterblichkeit bleibt in allen untersuchten Regionen auf hohem Niveau.

Sollten sich diese Trends bis 2015 fortsetzen, wird die Welt die MillenniumsEntwicklungsziele insgesamt nicht erreichen. Die bemerkenswerten und zum Teil spektakulären Erfolge in gewissen Ländern (Indien, China) sowie bestimmte positive Tendenzen bei einzelnen Zielen (z.B. beim Zugang zur Grundausbildung) geben jedoch zu einer gewissen Hoffnung Anlass.

3.3

Der Bericht des UNO Generalsekretärs: «In grösserer Freiheit» Weitere Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele

In seinem im Hinblick auf den M+5-Gipfel verfassten Bericht mit dem Titel «In grösserer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle» unterstreicht der UNO-Generalsekretär, dass die Ereignisse seit der Verabschiedung der Millenniumserklärung von uns verlangen, dass wir den Konsens über die grossen Herausforderungen und Prioritäten der heutigen Welt mit neuem Leben erfüllen und in kollektives Handeln umsetzen. Kofi Annan fügt weiter bei, «dass wir ohne Entwicklung keine Sicherheit geniessen können, dass wir ohne Sicherheit nicht in den Genuss der Entwicklung kommen und dass wir beides nicht geniessen können, wenn nicht die Menschenrechte geachtet werden. Wenn nicht alle diese Anliegen gefördert werden, wird keines verwirklicht werden».

Die vom Generalsekretär im Entwicklungsbereich und mit Blick auf die Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele vorgeschlagenen wichtigsten Massnahmen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Nationale Strategien: Jedes Entwicklungsland mit einem ernsthaften Armutsproblem sollte bis 2006 eine nationale Entwicklungsstrategie beschliessen und umzusetzen beginnen, die mutig genug ist, um die Vorgaben der Millenniums-Entwicklungsziele bis 2015 zu erreichen. Diese nationalen Strategien sollten die wichtigsten Politikfelder und die bedeutend Bereiche öffentlicher Investitionen betreffen: ländliche Entwicklung, Stadtentwicklung, Gesundheitssysteme, Erziehung, Umwelt, Gleichberechtigung, Wissenschaft, Technologie und Innovation.

Entwicklungsfinanzierung: Die öffentliche Entwicklungshilfe muss in den kommenden Jahren mehr als verdoppelt werden. Dabei müssen die Geberländer keine neuen Verpflichtungen eingehen; es reicht, wenn sie ihren früheren Verpflichtungen nachkommen. Die entwickelten Länder, die dies nicht bereits getan haben, sollten Zeitpläne zur Erreichung des Ziels von 0,7 % des Bruttosozialprodukts für die öffentliche Entwicklungshilfe bis spätestens 2015 aufstellen, wobei sie im Jahr 2009 0,5 % erreichen sollten. Diese Erhöhung könnte unter anderem mit der Einführung einer 3925

internationalen Finanzierungsfazilität erreicht werden. Gleichzeitig sollten aber auch weitere innovative Quellen der Entwicklungsfinanzierung geprüft werden, um die Länder, die sich bemühen, die genannten Ziele bis 2015 zu erreichen, substanziell und effizient unterstützen zu können. Der Generalsekretär schlägt jedoch auch eine Reihe von Aktionen mit schnellen Entwicklungserfolgen (sog. «Quick Wins») vor ­ vergleichsweise kostengünstige Initiativen, mit denen sich kurzfristig eine potenziell sehr hohe Wirkung erzielen lässt und Millionen von Menschenleben gerettet werden können, beispielsweise die kostenlose Verteilung von mit Insektiziden behandelten Moskitonetzen. Gleichzeitig fordert er die Geberländer auf, wichtige Spezialfonds, wie den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM), mit genügend Mitteln auszustatten, damit sie ihre Aufgaben auch wirklich wahrnehmen können.

Handel: Die Doha-Runde der Handelsverhandlungen sollte spätestens Ende 2006 abgeschlossen sein; es ist entscheidend, dass die Entwicklungsländer, insbesondere die ärmsten Länder, davon profitieren. In einem ersten Schritt sollten die Mitgliedstaaten für alle Exporte der am wenigsten entwickelten Länder zoll- und kontingentfreien Marktzugang gewähren.

Schuldenerleichterungen: Die Schuldentragfähigkeit muss neu definiert werden als die Höhe der Verschuldung, die es einem Land ermöglicht, die MillenniumsEntwicklungsziele bis 2015 ohne Erhöhung der Schuldenquote zu erreichen.

Des Weiteren müssen neue Massnahmen zur Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit getroffen werden. Wissenschaftliche Fortschritte und technologische Innovationen müssen genutzt werden, um den Klimawandel zu mildern. Es braucht auch einen umfassenderen internationalen Rahmen zur Stabilisierung der Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2012, wenn das Kyoto-Protokoll nicht mehr gilt, und dies unter breiter Beteiligung aller grossen Emittenten in den entwickelten Ländern wie auch in den Entwicklungsländern. Weiter braucht es zusätzliche Massnahmen zur Bekämpfung der Wüstenbildung und zum Schutz der biologischen Vielfalt.

Zu den Empfehlungen des Berichts gehören ferner die Überwachung und Kontrolle von Infektionskrankheiten, die Einrichtung eines Frühwarnsystems für Naturkatastrophen und eine effizientere Zusammenarbeit für eine
bessere Steuerung der Migration im Interesse aller.

Die Staatengemeinschaft hat den Bericht des Generalsekretärs bisher überwiegend wohlwollend aufgenommen. Während die Mehrzahl der Industrieländer vor allem den vom Generalsekretär deutlich gemachten Zusammenhang zwischen Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten sowie die Ausgewogenheit des vorgeschlagenen Massnahmenpakets würdigten, haben sich zahlreiche Entwicklungsländer in Bezug auf diese Verknüpfung skeptisch geäussert; auch hätten sie sich einen stärkeren Fokus des Berichts auf die Entwicklungsdimension gewünscht.

3.4

Zur Vorbereitung des M+5-Gipfels aus der Sicht der Schweiz

Das Treffen der Staats- und Regierungschefs der UNO-Mitgliedstaaten im September 2005 wird der Kulminationspunkt einer langen Serie von Prozessen und Konsultationen sein, die das «Schlüsseljahr 2005» gekennzeichnet haben. Die Schweiz beteiligt sich aktiv an der Vorbereitung dieses Grossereignisses sowie an der Suche 3926

nach gemeinsamen Lösungen für die grossen Probleme und Herausforderungen der internationalen Gemeinschaft.

Die Vorbereitung des kommenden M+5-Gipfels stand im Zentrum der 23. Sitzung des Verwaltungsrates des UNO-Umweltprogramms vom 21. bis 25. Februar, an dem die Schweiz hochrangig vertreten war. Vom 28. Februar bis 1. März 2005 leitete Bundesrat Pascal Couchepin die Schweizer Delegation an der 49. Session der Kommission für die Stellung der Frau in New York, die Bilanz über die Umsetzung des Aktionsplans zog, der vor zehn Jahren am Weltfrauengipfel in Peking verabschiedet worden war, und gleichzeitig die Prioritäten für die nächsten Jahre definierte. Bundesrat Merz und Bundesrat Deiss nahmen am 16./17. April 2005 an den Sitzungen des Internationalen Währungs- und Finanzausschusses (IMFC) des IMF und des Entwicklungsausschusses (DC) der Weltbankgruppe teil. Am anschliessenden Treffen zwischen den Bretton-Woods-Institutionen und dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen vom 18. April 2005 in New York war die Schweiz ebenfalls hochrangig vertreten. Die Schweiz wird weiter sowohl an dem Ende Juni stattfindenden «Dialog auf hoher Ebene zur Entwicklungsfinanzierung» und am anschliessenden Segment auf hoher Ebene des Wirtschafts- und Sozialrates in New York teilnehmen. Beide Treffen sind verschiedenen Aspekten der Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele gewidmet. Anfang September findet in New York die zweite Weltkonferenz der Parlamentspräsidenten statt, an der die Schweiz durch Nationalratspräsidentin Thérèse Meyer und Ständeratspräsident Bruno Frick vertreten sein wird. Wie schon die erste, anlässlich des Millenniumsgipfels organisierte Weltkonferenz wird dieses Treffen dazu dienen, die nationalen Parlamente über die Interparlamentarische Union noch enger mit den Vereinten Nationen und den anderen internationalen Foren in Verbindung zu bringen. Die Ergebnisse dieser Treffen werden in die Arbeiten des Gipfels einfliessen, an dem die Schweiz durch Bundespräsident Samuel Schmid vertreten sein wird.

Neben diesen formellen Prozessen sind die Vorbereitungen für das Gipfeltreffen vom September von verschiedenen Initiativen und parallel geführten informellen Besprechungen bestimmt, die in verschiedenen Bereichen Verhandlungsfortschritte zu erzielen versuchen. Schon im Vorfeld der Jahresversammlung
der BrettonWoods-Institutionen im Oktober 2004 lancierten die USA sowie Grossbritannien Vorschläge für eine vollumfängliche Streichung aller Aussenschulden hoch verschuldeter armer Länder. Einen deutlichen Willen zur Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe (Official Development Assistance ­ ODA) dokumentiert die EU.

Mit Verweis auf die Millenniums-Entwicklungsziele beantragte die EU-Kommission Mitte April 2005 ein schrittweises Vorgehen: Bis 2010 soll die EU insgesamt eine ODA von 0,56 % und bis 2015 eine solche von 0,7 % aufweisen. Konkret heisst das, dass alle 15 alten EU-Staaten ihre ODA bis 2010 auf mindestens 0,51 % anheben sollten, während die 10 neuen EU-Mitglieder die Marke von 0,17 % zu erreichen haben. Die Absicht von Premierminister Tony Blair, während des britischen G-8 Vorsitzes den Schwerpunkt auf den Klimawandel und die Entwicklung in Afrika zu legen, ist ein wichtiges Signal. Der Bericht der Kommission für Afrika, dessen Schlussfolgerungen am G-8 Gipfel vom 6. bis 8. Juli 2005 in Gleneagles geprüft werden sollen, empfiehlt insbesondere eine Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe für Afrika um 25 Milliarden US-Dollar jährlich bis 2010 und nach einer Überprüfung der Fortschritte um weitere 25 Milliarden US-Dollar jährlich bis 2015.

3927

3.5

Der Beitrag der Schweiz zur Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele ­ Bilanz und künftige Entwicklungsagenda

Die Schweiz ist in langjährigen Partnerschaften mit ausgewählten Schwerpunktländern damit befasst, gegen die weit verbreitete Armut anzugehen. Ein besonderes Gewicht legt sie dabei auf wirtschaftliche Reformen, Menschenrechte und gute Regierungsführung. Mit der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit trägt sie ebenfalls zur Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele bei. So leistet sie z.B.

massgebliche Beiträge zur Entschuldung der ärmsten Länder und verfolgt im Rahmen der Heavily Indebted Poor Countries Initiative (HIPC) eine fortschrittliche Entschuldungspolitik. Weiter hat die Schweiz die Entwicklung einer Architektur von internationalen Umweltabkommen massgeblich mitgestaltet und beachtet im nationalen Kontext die Prinzipien der Nachhaltigkeit. Sie hat auch die Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien für die Entwicklung früh erkannt und sich entsprechend für deren Verbreitung und Nutzung in Entwicklungsländern eingesetzt. Sie hat sich zudem für den Einbezug des Sports als Beitrag zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele engagiert und die Lancierung des internationalen Jahres des Sports und der Sporterziehung 2002 mitinitiiert. Nicht zuletzt dank einer Vielzahl engagierter Nichtregierungsorganisationen ist das Bewusstsein für die Entwicklungsprobleme der armen und ärmsten Länder in der Schweizer Bevölkerung gross.

Die Schweiz hat bereits einen erheblichen Beitrag zur Erreichung der MillenniumsEntwicklungsziele geleistet. Ihr Bericht zu ihrem Beitrag zur Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele11 macht aber deutlich, dass die Schweiz in verschiedenen Bereichen weiterhin gefordert sein wird. Folgende vier Handlungsfelder, die sowohl im Hinblick auf den M+5-Gipfel als auch darüber hinaus als Teil der entwicklungspolitischen Agenda der Schweiz zu verstehen sind, stehen im Mittelpunkt:

3.5.1

Kohärenz der nationalen und internationalen Entwicklungspolitik

Entwicklungsförderliche und sozial verträgliche Gestaltung der Handelspolitik: Als mittelgrosse Handelsnation ist die Schweiz stark an einem offenen Welthandelssystem interessiert. Von den Wohlstandseffekten der internationalen Arbeitsteilung sollen möglichst viele Länder profitieren können. Deshalb hat die Schweiz den Marktzugang für Produkte aus den armen und ärmsten Ländern schrittweise ausgedehnt und sich im Rahmen der Doha-Runde der WTO auch für eine Eliminierung der Exportsubventionen ausgesprochen. Bei den Landwirtschaftsgütern bestehen jedoch weiterhin Schranken. Die Schweiz steht vor der Herausforderung, die eigene Landwirtschaft sozial- und umweltverträglich mit den Geboten der Marktöffnung in Einklang zu bringen, ihre ökologischen und multifunktionalen Aufträge sowie die gute Qualität ihrer Produkte auch künftig aufrechtzuerhalten und angemessen zu bezahlen. Schliesslich setzt sich die Schweiz im Rahmen der WTO-Verhandlungen 11

Die Schweiz führt, wie andere Geberstaaten, über ihren bisherigen Beitrag zur Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele eine ausführliche Berichterstattung zuhanden von den Vereinten Nationen.

3928

aktiv für ein Verständnis ein, gemäss dem zwischen Handels- und Umweltregime keine Hierarchie bestehen soll, sondern diese sich vielmehr gegenseitig unterstützen sollen.

Globale Umweltprobleme: Die Schweiz wird ihre intensiven nationalen und internationalen Bemühungen zur Umsetzung der internationalen Umweltkonventionen fortsetzen. In Zusammenarbeit mit ihren Partnern in Industrie- und Entwicklungsländern trägt sie dazu bei, den Schutz der Ökosysteme zu verbessern, dem fortschreitenden Klimawandel zu begegnen, dem Verlust an biologischer Vielfalt Einhalt zu gebieten, die Verwendung von Chemikalien besser zu regeln, die Luftverschmutzung zu reduzieren und Wald- und Wasserressourcen zu schützen. Dazu sollen gestützt auf die Ergebnisse der Umweltprozesse und der relevanten globalen Konferenzen klare und messbare Umweltziele formuliert werden. Die Schweiz setzt sich deshalb für ein umfassendes, kohärentes, effektives und effizientes multilaterales Umweltregime ein und unterstützt dessen Stärkung und Weiterentwicklung.

Internationale Gesundheitsrisiken: Die Rückschläge für die Entwicklung durch die massive Ausbreitung von HIV/Aids und die globale Bedrohung durch ansteckende Krankheiten haben in den letzte Jahren die Bedeutung der internationalen Gesundheitspolitik in den Vordergrund gerückt. Als ein Land mit einer hoch entwickelten und global tätigen Pharmaindustrie kann die Schweiz einen Beitrag zur Verbesserung des Zugangs der Entwicklungsländer zu unentbehrlichen Medikamenten im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Patentrechts leisten. Die Schweiz revidiert darum in Übereinstimmung mit der 2003 getroffenen WTO-Vereinbarung zurzeit ihr Patentgesetz, um die Ausfuhr patentgeschützter Medikamente unter Zwangslizenzen in Entwicklungsländer mit ungenügenden Hertellungskapazitäten im pharmazeutischen Bereich zu erlauben. Der Bundesrat wird die entsprechende Botschaft voraussichtlich noch in diesem Jahr verabschieden; die parlamentarische Beratung ist für 2006 vorgesehen.

Migration und Entwicklung: Die Schweiz ist sich der wachsenden Bedeutung der Migration als Quelle für zusätzliche Mittelflüsse und als wichtiges Instrument des Wissenstransfers für die Entwicklungsländer bewusst. Sie beteiligt sich deshalb aktiv an internationalen Initiativen, etwa der Berner Initiative, für eine verbesserte
Steuerung der Migration. Um eine kohärente Migrationspolitik zu entwickeln und mit den Herkunfts- und Transitländern auf legale Migration hinzuarbeiten, wird sie die Empfehlungen des Berichts der Global Commission on International Migration (GCIM) in Hinblick auf entwicklungsrelevante Massnahmen prüfen. Die GCIM wird im Oktober 2005 ihren Bericht dem UNO-Generalsekretär übergeben. Die darin enthaltenen Vorschläge werden für den Dialog auf hoher Ebene über «Internationale Migration und Entwicklung» im Rahmen der 61. Session der UNOGeneralversammlung im Jahr 2006 von Bedeutung sein.

3.5.2

Finanzierung der Entwicklung

Öffentliche Entwicklungshilfe (Official Development Assistance - ODA): Im Jahr 2003 machte die ODA der Schweiz 0,39 % ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) aus. In Übereinstimmung mit einer grossen Anzahl von Mitgliedsländer des Auschusseses für Entwicklungshilfe (DAC) der OECD hat der Bundesrat am 18. Mai 2005 entschieden, den ODA-Berechnungsmodus anzupassen. Diese Anpassung zielt darauf ab, den Beitrag der Schweiz zur Entwicklungszusammenarbeit 3929

vollständig und genauer wiederzugeben. Damit erhöht sich die schweizerische ODA für 2004 auf 0,41 % des BNE. Zurzeit übertreffen fünf OECD/DAC-Mitgliedsländer ­ Norwegen, Schweden, Dänemark, die Niederlande und Luxemburg ­ schon heute das UNO-Ziel von 0,7 % des BNE zum Teil deutlich. Während Belgien, Irland und Finnland dieses Ziel bis 2010 zu erreichen gedenken, haben andere Länder wie Frankreich, Grossbritannien, Spanien und Deutschland angekündigt, dass sie das Ziel bis 2015 zu erreichen versuchen werden, um damit den anlässlich der Konferenz von Monterrey über Entwicklungsfinanzierung eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen. An jener Konferenz hatte die Schweiz bestätigt, ihre ODA bis 2010 auf 0,4 % des BNE zu erhöhen. Die ODA-Ausgaben erfolgen gemäss dem für die Jahre 2006 bis 2008 geltenden Finanzplan, vorbehältlich der Finanzierung der Kohäsionsleistungen. Der Bundesrat wird zu einem späteren Zeitpunkt die weitere Entwicklung des Volumens der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit für die Periode ab 2009 prüfen und entscheiden.

Erschliessung neuer Mittel durch alternative Finanzierungsmechanismen: Die angestrebte Erhöhung der ODA stösst nicht nur in der Schweiz ­ zumindest kurzfristig ­ auf haushaltspolitische Grenzen. Deshalb werden auf internationaler Ebene schon seit längerem alternative Finanzierungsmechanismen diskutiert. Diese reichen von einer globalen Besteuerung von Finanztransaktionen, Flugbenzin oder des Waffenhandels über die International Finance Facility (IFF) bis hin zu freiwilligen Abgaben auf Computern, Kreditkarten oder Flugscheinen. Die Schweiz lehnt sowohl globale Steuern als auch Vorschläge für eine globale IFF zur Finanzierung der MDG grundsätzlich ab.

Weitere Entschuldung: Trotz zahlreicher bilateraler und multilateraler Anstrengungen ­ teilweise auch nach Durchlaufen der HIPC-Initiative ­ bleiben viele Entwicklungsländer hoch verschuldet. Derzeit wird diskutiert, ob weitere Massnahmen nötig sind, um die Schuldenlast auf ein nachhaltiges Mass, das die Erreichung der MDG nicht in Frage stellt, zu reduzieren. Einerseits soll das neue Rahmenwerk von internationalen Finanzierungsinstitutionen (IFI) der internationalen Gemeinschaft erlauben, sich bei Finanzierungsentscheiden vermehrt an der Schuldentragfähigkeit der Empfängerländer zu orientieren. Die Schweiz setzt
sich für die konsequente Anwendung des Rahmenwerks ein. Andererseits zielen verschiedene Vorschläge darauf ab, den armen Ländern die Schulden gegenüber den IFI zu erlassen. Die Schweiz beteiligt sich an der Diskussion über eine weiterführende Entschuldung der Entwicklungsländer.

Mittel ausserhalb der ODA in Entwicklungsländer: Neben der staatlichen Entwicklungshilfe spielen private Mittelflüsse in die Entwicklungsländer eine zentrale Rolle.

Dazu zählen unter anderem ausländische Direktinvestitionen, Geldüberweisungen von Migranten in ihre Herkunftsländer (Remittances) sowie Spenden an private Hilfswerke. Die Schweiz ist sich der Bedeutung dieser Mittelflüsse bewusst und will deshalb ­ gemeinsam mit dem Privatsektor und der Zivilgesellschaft ­ die Rahmenbedingungen dafür verbessern und fördern.

3930

3.5.3

Wirksamkeit der Entwicklungshilfe

Um die MDG bis 2015 zu erreichen, müssen auf internationaler Ebene die bilateralen und mulilateralen Geber die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit zielgenauer einsetzen und ihre Programme konsequent auf die Bedürfnisse und Prioritäten der Empfängerländer ausrichten (Alignment). Die operationelle Durchführung der Entwicklungshilfe ist zu vereinfachen, indem die Praktiken und Prozeduren von Geber- und Empfängerländern sowie der multilateralen Agenturen besser aufeinander abgestimmt werden (Harmonisierung). Dazu gehört insbesondere die Harmonisierung von Finanzmanagement, Monitoring-Evaluation und Beschaffungswesen.

Zwischen den verschiedenen Gebern ist eine möglichst effiziente Arbeitsteilung anzustreben. Diese Bemühungen fanden 2003 an einer Konferenz in Rom erstmals Eingang in eine Deklaration. Im Frühjahr 2005 wurden in Paris die seither gemachten Fortschritte erfasst und die formulierten Prinzipien weiterentwickelt. Die Schweiz unterstützt die gegenwärtigen Bemühungen um ein verbessertes Zusammenspiel der verschiedenen Akteure in der Entwicklungszusammenarbeit.

3.5.4

Gute Regierungsführung und Förderung der Demokratie

Globale Gouvernanz und Multilateralismus: Angesichts der internationalen Verflechtung sind eine wachsende Anzahl von Problemen nicht mehr durch bilaterale Ansätze, sondern nur durch internationale Kooperation zu bewältigen. Die Schweiz anerkennt die zentrale Rolle der multilateralen Institutionen für die Lösung von globalen Entwicklungsfragen. Sie beteiligt sich an Programmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen sowie an multilateralen Initiativen in den Bereichen Umwelt, Bildung, Sicherheit und Gesundheit. Sie unterstützt die Bemühungen, durch Reformen die Effizienz und Handlungsfähigkeit der multilateralen Institutionen zu verbessern. Dabei ist ihr auch die angemessene Mitsprache und Partizipation von Entwicklungsländern in multilateralen Institutionen ein besonderes Anliegen.

Demokratieförderung und Aufbau von Institutionen: Die marktwirtschaftliche Reformagenda muss den institutionellen Rahmen, in dem Reformen durchgeführt werden, ausreichend berücksichtigen. Demokratieförderung ist ein zentrales Element der Entwicklungs-, Friedens- und Sicherheitspolitik. Die Stärkung von Demokratie durch Unterstützung von aussen ist ein langwieriger und schwieriger Prozess. Länder, welche die erforderlichen Voraussetzungen erreicht haben, so genannte FastTrack-Länder, sollen vermehrt unterstützt werden.

Kohärente Hilfe an «fragile states», «failing states» und «states in recovery»: Eine dauerhafte nationale und internationale Sicherheit ist ohne Entwicklung kaum möglich. Von fragilen Staaten und zerfallenden Gesellschaften, deren sozioökonomische Entwicklung aufgrund politischer Rahmenbedingungen behindert ist, gehen heute grenzüberschreitende sicherheitspolitische Risiken aus. Die internationale Unterstützung von «fragile states» und die Transformation von Kriegs- in Friedensökonomien erfordert eine besonders enge Koordination der in Krisensituationen involvierten Akteure.

3931

Der Bundesrat erachtet diese Handlungsbereiche als Teil der entwicklungspolitischen Agenda der Schweiz. Sie bestimmen sowohl seine Vorbereitung des Gipfeltreffens vom September 2005 wie auch die zukünftige Politik der Schweiz zur Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele.

4

Die internationalen Organisationen in der Schweiz und die Gaststaatpolitik

Die Schweiz verfügt über eine langjährige Tradition als Gaststaat zahlreicher zwischenstaatlicher Organisationen und als Durchführungsort von Konferenzen und multilateralen Treffen. Diese Rolle bietet ihr die wertvolle Gelegenheit, ihre Aussenpolitik umzusetzen und ihre Interessen wahrzunehmen.

Dem Bundesrat liegt daran, dass die Schweiz als Gastland eine qualitativ hoch stehende Plattform anbietet; in diesem Sinne fördert er eine nach klaren Zielen definierte Politik. Eine pragmatische Umsetzung dieser Politik insbesondere in den anerkannten Kompetenzbereichen der Stadt Genf als Sitz internationales Organisationen kann zum guten Ruf der Schweiz beitragen.

Die Schweiz hat gegenüber den Organisationen, denen sie auf ihrem Hoheitsgebiet Gastrecht bietet, besondere Verpflichtungen, wie zum Beispiel die Gewährung von Privilegien und Immunitäten (namentlich in steuerlicher Hinsicht) sowie eine besondere Verantwortung in Bezug auf deren Sicherheit. Dieser letzte Aspekt ist seit dem 11. September 2001 von grösster Aktualität, und dies erst recht seit dem Attentat vom August 2003 auf das UNO-Personal und die UNO-Einrichtungen in Bagdad.

Diese neue Realität ist fester Bestandteil der gegenwärtigen Diskussionen über die Sicherheit der Angestellten und der Einrichtungen der UNO in Genf.

4.1

Multilaterale Zusammenarbeit in den internationalen Organisationen mit Sitz in der Schweiz: Wichtigste Themen

4.1.1

UNO-Reformprozess und Genf als Sitz internationaler Organisationen

Der gegenwärtige Reformprozess bei der UNO hat sich auch auf die Aktivitäten des Sitzes der Organisation in Genf ausgewirkt. Angesichts der Abfolge wichtiger Treffen am New Yorker Sitz und in Anbetracht des Wunsches einer Mehrheit der Mitgliedstaaten, die Sitzung des Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) sowie diejenige des Dialogs auf hoher Ebene der Generalversammlung zur Entwicklungsfinanzierung (Financing for Development) gleichzeitig abzuhalten, konnte sich die Schweiz der Verlegung des ECOSOC-Treffens 2005 nach New York nicht widersetzen. Sie setzte sich allerdings erfolgreich für die erneute Bestätigung des Prinzips der turnusgemässen Abhaltung dieser Treffen in Genf und in New York ein. Ferner erreichte die Schweiz, dass der ECOSOC in den Jahren 2006/07 als Ausgleich für diesen unvorhergesehenen Transfer wieder nach Genf zurückkehrt. Die Strategie des Bundesrates zur Förderung der Rolle der Stadt Genf verfolgt allgemein einen pragmatischen und realistischen Ansatz, der sich auf die anerkannten Genfer Kompetenzpools stützt.

3932

Es ist erfreulich festzustellen, dass die im Bericht des Generalsekretärs angestellten Überlegungen oft für eine Stärkung der bereits in Genf angesiedelten Organisationen plädieren. Im Gesundheitsbereich beispielsweise spricht der breiter gefasste Sicherheitsbegriff, der die Notwendigkeit der Bekämpfung von Pandemien (HIV/Aids, Malaria, Grippe usw.) unterstreicht, oder das von Kofi Annan präsentierte Konzept der so genannten «Quick Wins»12 für eine Stärkung des Gesundheitsbereichs der UNO in Genf (Weltgesundheitsorganisation, UNAIDS, Globaler Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria13).

Bei der Diskussion von Migrationsfragen bekräftigt der Generalsekretär die Notwendigkeit, das Hochkommissariat für Flüchtlinge mit den zur Erfüllung seines Mandats notwendigen Mitteln auszustatten. Schliesslich hat Kofi Annan, wie oben erwähnt, auch den Schweizer Vorschlag der Schaffung eines Menschenrechtsrats übernommen. Die Schweiz muss nun die Arbeiten im Zusammenhang mit diesen Vorschlägen aufmerksam verfolgen, damit deren Umsetzung nicht zu einer Verlegung der Tätigkeit von Genf nach New York führt.

Genf konnte auch in dem der Schweiz wichtigen Umweltbereich Erfolge erzielen: Anlässlich der ersten Konferenzen der Vertragsstaaten der Rotterdamer Konvention (PIC)14 und der Stockholmer Konvention (POP)15 wurde beschlossen, das Sekretariat der PIC-Konvention in Genf und Rom anzusiedeln, dasjenige der POP-Konvention hingegen ausschliesslich in Genf.

Damit konnte zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder im Wettbewerb mit anderen Offerten erreicht werden, dass neue zwischenstaatliche Organisationen ihren Sitz in Genf eingenommen haben.

Um angesichts des zunehmenden Standortwettbewerbs weiterhin attraktive Rahmenbedingungen für internationale Organisationen gewährleisten zu können, wird die Schweiz sich auch weiterhin aktiv für den Standort Genf engagieren müssen.

Dies ist insbesondere für den Bereich der internationalen Umweltpolitik der Fall, da andere Städte vor allem aus finanzieller Sicht äusserst attraktive Angebote für den Sitz bestehender und neuer Institutionen und Organisationen machen und verschiedene Sekretariate den Standort Genf regelmässig überprüfen und in Frage stellen.

Die Schweiz muss daher weiterhin Synergien zwischen den verschiedenen in Genf angesiedelten Institutionen fördern und das Genfer Umweltnetzwerk weiter stärken.

12

13 14

15

Sofortmassnahmen zur Erzielung rascher Entwicklungserfolge in verschiedenen Bereichen, d.h. vergleichsweise kostengünstige Initiativen, mit denen sich kurzfristig eine potenziell sehr hohe Wirkung erzielen lässt und Millionen von Menschenleben gerettet werden können, z.B. die Verteilung von mit Insektiziden behandelten Moskitonetzen.

Die Schweiz hat am 13. Dezember 2004 ein Sitzabkommen mit dieser Organisation unterzeichnet.

Die Konvention von Rotterdam (PIC) regelt Aus- und Einfuhr von Pestiziden und gefährlichen Chemikalien. Es legt für die der Konvention unterstellten Produkte fest, dass keine Ausfuhr erfolgen darf, ohne dass das Empfängerland in gehöriger Form über die potenziellen Gefahren des Produkts aufgeklärt worden ist und in Kenntnis der Sache seine vorherige Zustimmung erteilt hat (englisch: «prior informed Consent» PIC). Die Liste umfasst gegenwärtig 30 Pestizide und 11 Chemikalien.

Die Konvention von Stockholm (POP), die unter der Führung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen ausgearbeitet wurde, bezweckt den Schutz von Mensch und Umwelt vor Verschmutzung mit so genannten persistenten organischen Schadstoffen (englisch: «Persistant Organic Pollutants», POPs).

3933

Im Februar 2005 beschloss der «Earth Observation Summit» in Brüssel, das Sekretariat der neu geschaffenen zwischenstaatlichen «Group on Earth Observation» bei der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) in Genf anzusiedeln. Dieser Entscheid bedeutet ebenfalls eine Stärkung des Umweltschwerpunkts Genf.

4.1.2

Finanz- und Managementfragen

In einem Umfeld knapper werdender Ressourcen misst der Bundesrat den Prüfungsund Aufsichtsfunktionen sowie der optimalen Finanzplanung und Verwaltung der internationalen Organisationen grosse Bedeutung bei. Die Schweiz ist in dieser Hinsicht doppelt betroffen: als wichtiges Geberland und als Gaststaat.

Als Mitglied der Genfer Gruppe, welche die 14 grössten Beitragszahler ans UNOSystem umfasst, setzt sich die Schweiz für effiziente Mittelverwendung, Prioritätensetzung und gute Geschäftsführung in den internationalen Organisationen ein. Bei der Vertretung der schweizerischen Interessen wird diesem Aspekt besonderes Gewicht eingeräumt. Zwei der Genfer UNO-Spezialorganisationen stehen diesbezüglich zurzeit im Vordergrund.

Für die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) haben sich Ausgangslage und Umfeld ihrer Tätigkeit in den vergangenen Jahren erheblich verändert. Die Organisation finanziert sich weitgehend aus Gebühreneinnahmen aus den von ihr verwalteten internationalen Abkommen auf dem Gebiet des Immaterialgüterrechts.

Die nach einem prozentualen Schlüssel festgelegten Beiträge der Mitgliedstaaten machen daneben nur einen vergleichsweise kleinen Anteil des Budgets aus (zur Illustration: für die Zweijahresperiode beläuft sich das Budget der WIPO auf insgesamt rund 500 Mio. Fr.; da stammen rund 35 Mio. aus Mitgliederbeiträgen). Aufgrund der reichlichen Gebühreneinnahmen verfügte die WIPO während langer Zeit über sehr grosszügige Eigenmittel und konnte deshalb immer wieder umfangreiche Investitionsvorhaben finanzieren.

Der grösste Teil der Gebühreneinnahmen stammt aus dem internationalen Patentschutz-Abkommen (Patent Cooperation Treaty, PCT). Auf Druck verschiedener Mitgliedstaaten wurden die PCT-Gebühren seit 1997 gesenkt. Der Anstieg bei den Patentanmeldungen flachte jedoch in den letzten vier bis fünf Jahren im Vergleich zum vergangenen Jahrzehnt ab. Die Kumulation der beiden Faktoren führte zu einem spürbaren Einnahmenrückgang. Ihm stehen auf der Ausgabenseite grosse Investitionen in Infrastrukturprojekte gegenüber (z.B. Bau zusätzlicher Verwaltungsgebäude, Modernisierung der EDV-Systeme), die noch vor dem Hintergrund der jahrelangen rosigen Finanzlage eingeleitet wurden. Die Herausforderung für die kommenden Jahre besteht darin, Einsparungen und Redimensionierungen vorzunehmen und die
Organisation so den veränderten finanziellen Gegebenheiten anzupassen. Die Schweiz steht hinter den diesbezüglichen Bestrebungen, denn sie sind die Grundlage, damit die WIPO ihre Aufgaben auch in Zukunft erfolgreich wahrnehmen kann.

Zu den von der WIPO in der jüngeren Vergangenheit getätigten Investitionsvorhaben gehörte auch die umfassende Renovation eines Bürogebäudes. Im Zusammenhang mit diesem Projekt ermitteln die Genfer Strafverfolgungsbehörden zurzeit wegen Verdachts auf Leistung von Schmiergeldzahlungen bei der Vergabe des

3934

Auftrags an ein Konsortium von Bauunternehmungen. Mehrere gegenwärtige und frühere Mitarbeiter der WIPO wurden bisher als Zeugen einvernommen.

Ausserdem führen die Genfer Justizbehörden zurzeit eine Strafuntersuchung gegen ein ehemaliges Direktionsmitglied der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) wegen Verdachts auf Betrug in Millionenhöhe. Die Organisation hob die diplomatische Immunität des Verdächtigten im November 2003 auf, um Strafanzeige einzureichen. Unter der Leitung ihres neuen Generalsekretärs, der sein Amt Anfang 2004 antrat, unternimmt die WMO zurzeit bedeutende Anstrengungen im Hinblick auf eine umfassende Reform der Organisation. Als Mitglied des Exekutivrats unterstützt die Schweiz dieses Vorhaben uneingeschränkt und verfolgt die entsprechenden Bemühungen aufmerksam.

Das Engagement der Schweiz auf multilateralem Gebiet für eine solide und transparente Geschäftsführung sowie einen verantwortungsbewussten Mitteleinsatz zeigt sich in einem weiteren Bereich, der Rechnungsprüfung für internationale Organisationen. Die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) übt traditionellerweise bei einer Reihe internationaler Organisationen das Amt des externen Rechnungsprüfers aus.

Es handelt sich um eine Aufgabe, die zum Teil bereits in den Statuten der betreffenden Organisationen verankert ist, zum Teil der EFK durch Beschluss der Mitgliedstaaten für eine bestimmte Amtszeit übertragen wurde.

Unter den internationalen Organisationen mit Sitz in der Schweiz verfügt die EFK zurzeit über entsprechende Mandate bei der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), der Internationalen Fernmeldeunion (ITU), der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), dem Weltpostverein (UPU) sowie der Zwischenstaatlichen Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr (OTIF)16. Die kompetente und professionelle Tätigkeit der EFK stösst bei den Mitgliedstaaten auf grosse Wertschätzung. Dies zeigte sich zum Beispiel vor zwei Jahren bei der WIPO, als die EFK auf Wunsch der Mitgliedstaaten einen ausserordentlichen Bericht über die im Zusammenhang mit dem Bau eines neuen Verwaltungsgebäudes17 mutmasslich anfallenden Kosten erstellte. Die Erkenntnisse und Analysen des Berichts ebneten damals den Weg, um eine Lösung für das weitere Vorgehen zu finden.

Obwohl die EFK aufgrund ihres besonderen Status als
verwaltungsunabhängiges Finanzaufsichtsorgan von den schweizerischen Delegationen bei den betreffenden internationalen Organisationen abzugrenzen ist, schafft ihre Arbeit auf dem Gebiet der externen Rechnungsprüfung wertvollen Goodwill für die Schweiz. Der EFK entsteht durch die Erfüllung dieser Mandate ein nicht zu vernachlässigender Aufwand; sie profitiert aber auch vom Austausch und von den neuen Erfahrungen, die sie in wechselndem internationalem Umfeld sammeln kann. Für den Sitzstaat Schweiz ist es eine gute Gelegenheit, sein Engagement für die internationalen Organisationen unter Beweis zu stellen.

16

17

Zusätzlich zu den Mandaten bei den im Bericht erwähnten internationalen Organisationen mit Sitz in der Schweiz ist die EFK auch mit der Rechnungsprüfung bei folgenden, nicht in der Schweiz domizilierten internationalen Organisationen beauftragt: Oberste Rechnungskontrollbehörden (INTOSAI), Entwicklungsbank des Europarates (CEB), Agence intergouvernementale de la Francophonie (AIF), Europäische Weltraumorganisation (ESA).

Es handelt sich dabei um ein anderes Projekt als dasjenige, welches im Zusammenhang mit den Genfer Strafverfolgungsbehörden weiter oben erwähnt wurde.

3935

4.2

Gaststaatpolitik

4.2.1

Sicherheit der internationalen Organisationen

Seit dem 11. September 2001 und den Anschlägen auf die UNO in Bagdad vom August 2003 hat das Thema Sicherheit für die UNO, aber auch für die anderen internationalen Organisationen zentrale Bedeutung erlangt. Das Vorliegen eines angemessenen Sicherheitsdispositivs ist zu einem entscheidenden Standortfaktor im Rahmen der Sitzstaatpolitik geworden.

Als Gastland zahlreicher internationaler Organisationen ist die Schweiz von dieser Entwicklung besonders betroffen. Sie verfolgt die entsprechenden Verhandlungen in den verschiedenen Organisationen aufmerksam und spricht ihre Position eng mit anderen Sitzstaaten ab. Die Thematik war auch Gegenstand eines parlamentarischen Vorstosses (Interpellation Saudan, 04.3344, abgeschrieben am 22. Sept. 2004).

Das Völkerrecht verpflichtet die Schweiz, den Schutz der auf ihrem Territorium niedergelassenen internationalen Organisationen zu gewährleisten. Gemäss internationaler Praxis ist der Gaststaat verpflichtet, die notwendigen Massnahmen zum Aussenschutz des Perimeters zu treffen. Der Schutz der von den internationalen Organisationen belegten Gebäude und des Geländes inklusive Umzäunung ist hingegen Sache der Organisationen selber. Diese Haltung entspricht einer ständigen Praxis und wird nicht nur von der Schweiz, sondern auch von den anderen UNOSitzstaaten vertreten. Als Mitglied internationaler Organisationen setzt sich die Schweiz dafür ein, dass die Organisationen ausreichende Mittel in ihre Budgets aufnehmen, um die notwendigen Massnahmen zur Verbesserung der Innensicherheit finanzieren zu können. Sofern hingegen die Analysen der Fachleute der betreffenden Organisationen und von Bund und Kanton ergeben, dass bauliche Sicherheitsmassnahmen im Aussenperimeter erforderlich sind, muss die Schweiz handeln.

Die UNO unterzog im Verlauf der vergangenen Monate den physischen Schutz ihrer Büros in der ganzen Welt einer umfassenden Prüfung. Sitz und Aussenstellen sämtlicher UNO-Organisationen und -Institutionen sind verpflichtet, gegebenenfalls die notwendigen Massnahmen zu treffen, um ihr Sicherheitsdispositiv mit den seit kurzem für das gesamte UNO-System geltenden Minimalstandards (Headquarters Minimum Operating Security Standards; H-MOSS) in Übereinstimmung zu bringen.

Generalsekretär Kofi Annan legte im Herbst 2004 einen Bericht mit Vorschlägen für eine Reorganisation
des Sicherheitswesens im UNO-System vor. Die Generalversammlung fasste im Dezember 2004 erste Beschlüsse zur Umsetzung des neuen Konzepts.

Die Generalversammlung folgte dabei den Empfehlungen des Generalsekretärs, ein neues Sicherheits-Managementsystem unter dem Dach eines «Department of Safety and Security» zu schaffen, das die bestehenden, weitgehend zersplitterten Sicherheitsstrukturen ablösen soll. Geleitet wird das neue Departement von einem Untergeneralsekretär, der die Gesamtverantwortung trägt für die Sicherheit von über 100 000 UNO-Mitarbeitern sowie ca. 300 000 Angehörigen in über 150 UNOVertretungen weltweit. Für das Tagesgeschäft bleibt die Verantwortung jedoch weiterhin vor Ort, d.h. im Falle des UNO-Sitzes in Genf bei dessen Direktor. Mit der damit einhergehenden Professionalisierung sollen beispielsweise neu sicherheitsrelevante Informationen dezentral gesammelt und systematisch von einer Einheit für Bedrohungs- und Risikoanalyse ausgewertet werden. Hinsichtlich der Finanzierung hatte der Generalsekretär angeregt, sämtliche sicherheitsrelevanten Kosten künftig 3936

vollumfänglich aus dem regulären Budget zu begleichen, um die Planbarkeit der verfügbaren Mittel in diesem kritischen Bereich zu verbessern sowie die Komplexität der Finanzierung zu reduzieren. Es wurde jedoch beschlossen, das zurzeit angewendete Arrangement zur Kostenteilung mit UNO-Fonds, -Programmen und -Spezialorganisationen bis auf weiteres beizubehalten, dies insbesondere auf Druck der G-77. Für das neue Sicherheits-Managementsystem sowie weitere bauliche Massnahmen wurden 53 Millionen USD bewilligt. 56 neue Sicherheitsstellen (bzw.

weitere 13 Mio. USD) sind für den UNO-Sitz in Genf budgetiert, nachdem im Frühjahr bereits 16 Millionen USD für Genf gesprochen wurden.

Zur Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Sicherheitsvorkehrungen für UNO-Institutionen in der Schweiz arbeiten die Behörden auf Stufe Bund, Kanton und Gemeinde eng mit den betroffenen Organisationen zusammen. Auf Wunsch berät die Schweiz die auf ihrem Territorium niedergelassenen internationalen Organisationen bei der Evaluation der Sicherheitslage und bei der Festlegung geeigneter Massnahmen zur Verbesserung der Sicherheit. Was den Schutz der diplomatischen Missionen betrifft, erfüllen die Einheiten der Schweizer Polizei und der Armee mit der Bewachung sensibler Objekte bereits seit mehreren Jahren eine wichtige Aufgabe.

Mit der Situation am Sitz des Büros der Vereinten Nationen in Genf, dem Palais des Nations, befasst sich bereits seit längerer Zeit eine zu diesem Zweck eingesetzte Arbeitsgruppe. Die als notwendig erkannten Massnahmen befinden sich in Umsetzung. Diese betreffen aufgrund des grosszügig bemessenen umgebenden Geländes ausschliesslich den Innenperimeter und fallen somit in die Verantwortung der UNO.

Die Generalversammlung hat seit 2002 insgesamt rund 30 Millionen Franken für bauliche Sicherheitsmassnahmen gesprochen. In den entsprechenden Verhandlungen unterstützte die Schweiz die vom Generalsekretariat der UNO vorgeschlagene Budgetierung der notwendigen Mittel. Sie achtete zudem darauf, dass die notwendigen Baubewilligungen besonders rasch ausgestellt wurden.

Verschiedene in Genf niedergelassene Spezialorganisationen des UNO-Systems prüfen die Sicherheitsvorkehrungen an ihrem Sitz. Einige haben sich bereits informell an die Schweiz gewandt und um die Unterstützung des Bundessicherheitsdiensts bei der
Analyse der gegenwärtigen Situation gebeten. Obwohl im Moment keine formellen Gesuche hängig sind, ist davon auszugehen, dass für die Schweiz weitere Ausgaben im Zusammenhang mit der Verbesserung der Aussensicherheit anfallen werden.

Mehrere grosse internationale Organisationen in Genf sind in Gebäuden untergebracht, die der Immobilienstiftung für die internationalen Organisationen (FIPOI), einer gemeinsamen privatrechtlichen Stiftung von Bund und Kanton Genf, gehören.

Als Reaktion auf entsprechende Gesuche verschiedener Organisationen setzte der Stiftungsrat der FIPOI im Juni 2004 eine Arbeitsgruppe ein, der Vertreter von Stadt und Kanton Genf sowie des Bundes angehören. Das Mandat der Arbeitsgruppe besteht darin, die Sicherheit der von internationalen Organisationen in Genf belegten FIPOI-Gebäude zu prüfen und festzulegen, welche Massnahmen zur Verbesserung ihrer Aussensicherheit notwendig sind. Für zwei prioritäre Objekte wurde mit Unterstützung der FIPOI und unter Beizug von Architekten ein Konzept zur Verbesserung der Aussensicherheit erarbeitet, das sich bereits in Umsetzung befindet. Dabei handelt es sich um das Verwaltungsgebäude Montbrillant (Sitz des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge) und das Palais Wilson (Sitz des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte). Die dadurch anfallenden Kosten wer den von 3937

Bund und Kanton Genf gemeinsam getragen. Massnahmen für einige weitere im Eigentum der FIPOI stehende Gebäude (z.B. Internationales Umwelthaus MIE) befinden sich zurzeit in Prüfung.

Unter den internationalen Organisationen in der Schweiz, die nicht zum UNOSystem gehören, ist vor allem die Welthandelsorganisation (WTO) von der laufenden Sicherheitsdebatte betroffen. Die frei zugängliche Lage der Organisation direkt am Seeufer birgt bezüglich der Sicherheit komplexe Herausforderungen. Die Organisation entwickelte im Verlauf des Jahres 2004 ein umfassendes Sicherheitskonzept, das sich an den von der UNO entwickelten Kriterien orientiert. Das Konzept trägt auch der vertraglichen Verpflichtung des Kantons Genf gegenüber der WTO zum Bau eines neuen Parkhauses Rechnung. Der Bundessicherheitsdienst teilt die darin enthaltenen Schlussfolgerungen und Empfehlungen. Es wird nun zu bestimmen sein, welche Massnahmen im Bereich der Aussensicherheit notwendig sind, Massnahmen also, die grundsätzlich in die Verantwortung des Gaststaats fallen. Die entsprechenden Verhandlungen zwischen den schweizerischen Behörden und der WTO stehen noch am Anfang. Davon abzugrenzen ist die Planung für den Bau eines Erweiterungsgebäudes (vgl. dazu Ziff. 4.2.2).

Zur Erfüllung der geschilderten völkerrechtlichen Verpflichtungen im Bereich der Aussensicherheit internationaler Organisationen werden für die Schweiz in den nächsten Jahren ausserordentliche Ausgaben anfallen. Dabei stellt sich die Frage nach der Aufteilung der Finanzierung zwischen Bund und Kanton Genf. Entsprechende Verhandlungen sind im Gang. Der Bundesrat wird den eidgenössischen Räten zu gegebener Zeit darlegen, welche zusätzlichen Mittel der Bund zur Erfüllung seiner Pflichten benötigt.

4.2.2

Infrastruktur

Die Schweiz setzt sich dafür ein, dass den auf ihrem Gebiet niedergelassenen internationalen Organisationen ein attraktives Angebot an Büroräumlichkeiten zur Verfügung steht. Im Grossraum Genf leistet diesbezüglich die Immobilienstiftung für die internationalen Organisationen (FIPOI) einen zentralen Beitrag.

In Genf stehen zurzeit zwei grosse Neubauprojekte an, die wie üblich über ein zinsfreies Darlehen des Bundes an die FIPOI finanziert werden sollen. Die Arbeiten am Bau für ein neues Gebäude für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das HIV/Aids-Programm der Vereinten Nationen (UNAIDS) haben im August begonnen und werden voraussichtlich gut zwei Jahre dauern. Das damit verbundene Bundesdarlehen von maximal 59,8 Millionen Franken wurde von den eidgenössischen Räten im Dezember 2003 genehmigt. Die Planung zum Bau eines Erweiterungsgebäudes für die Welthandelsorganisation (WTO) ist weit fortgeschritten. Gewisse Umdisponierungen im Nachgang zum Architekturwettbewerb führten zu einer leichten Verzögerung gegenüber der ursprünglichen Planung. Das definitive Projekt wurde vom Allgemeinen Rat der WTO im November abgesegnet. Aufgrund der veränderten Sicherheitslage findet zurzeit eine Neuevaluation des Projekts unter Sicherheitsaspekten statt. Dank strikter Einhaltung der Budgetdisziplin sowohl seitens der Organisation als auch des Gaststaats dürfte es jedoch gelingen, die zu Beginn der Planung gesetzte Baukostenlimite von 50­60 Millionen Franken einzuhalten.

3938

Mit dem Erweiterungsgebäude für die Internationale Union zur Erhaltung der Natur und der natürlichen Lebensräume (UICN) entsteht in Gland VD ein weiteres FIPOINeubauprojekt. Eine erste Darlehenstranche von 2 Millionen Franken für die Planungsphase wurde mit dem Voranschlag 2005 gesprochen. Es handelt sich um das erste durch ein FIPOI-Darlehen finanzierte Bauvorhaben ausserhalb des Kantons Genf; seit einer Statutenänderung im Jahr 2004 ist es der FIPOI möglich, in klar umrissenen Fällen auch auf dem Gebiet des Kantons Waadt tätig zu werden. Zurzeit laufen Verhandlungen zwischen Bund, Kanton Genf und Kanton Waadt im Hinblick auf eine Aufnahme des Kantons Waadt als dritter Partner in die FIPOI. Die Aufnahme wird erst erfolgen, wenn sämtliche Fragen in Bezug auf die Wahrung der finanziellen Interessen des Bundes und auf die Entscheidmechanismen im erweiterten Stiftungsrat geklärt sind.

Etwas schwieriger präsentiert sich die Lage, was den verfügbaren Wohnraum betrifft. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt im Grossraum Genf ist nach wie vor angespannt. Der Bund verfügt jedoch auf diesem Gebiet über keine Kompetenzen, die ihm ein Tätigwerden ermöglichen würden.

5

Schlussbemerkungen

A) Dank der UNO die aussenpolitischen Ziele der Schweiz besser erreichen Die Ziele der UNO-Charta stimmen mit den in der Bundesverfassung verankerten Zielen der Schweizer Aussenpolitik überein. Die Organisation leistet einen wesentlichen Beitrag zur Stabilität des internationalen Systems und zur Lösung globaler Probleme. Für die Schweiz stellt die UNO folglich ein wichtiges Instrument zur Verwirklichung ihrer aussenpolitischen Ziele und zur Interessenwahrung auf internationaler Ebene dar.

Die Schweiz will das friedliche Zusammenleben der Völker fördern. Deshalb ­

setzt sie sich dafür ein, dass das auf der UNO-Charta gründende System der kollektiven Sicherheit sowie die Zuständigkeit des Sicherheitsrats, über die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Massnahmen zu entscheiden, erneut bestätigt wird;

Die Schweiz will die Achtung der Menschenrechte und die Demokratie fördern.

Deshalb ­

unterstützt sie aktiv diejenigen Vorschläge, die zur Stärkung der menschlichen Sicherheit beitragen, namentlich im Bereich der Bekämpfung des illegalen Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen sowie der Bekämpfung von Personenminen;

­

unterstützt sie die Anerkennung des Konzepts der Schutzverantwortung («responsibility to protect») und die Festlegung von Kriterien für dessen Umsetzung im Rahmen des kollektiven Handelns;

­

wird sie ihre Initiativen im Bereich der Justiz in Transitionsprozessen und zur Stärkung der Rolle der UNO bei der Förderung der Rechtsstaatlichkeit weiterführen.

3939

Die Schweiz will zur Linderung von Armut und Not in der Welt beitragen. Deshalb ­

achtet sie insbesondere darauf, dass ihre Innenpolitik mit ihren auf aussenpolitischer Ebene eingegangenen Verpflichtungen vor allem in den Bereichen Handel, Umwelt, Gesundheit und Migration kohärent ist;

­

strebt sie eine Erhöhung ihrer öffentlichen Entwicklungshilfe an, um einen angemessenen Beitrag zur internationalen Entwicklungsfinanzierung leisten zu können und die Entwicklungsländer, namentlich die ärmsten, bei ihren Anstrengungen zur Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele besser unterstützen zu können;

­

hilft sie mit bei der Suche nach neuen Lösungen auf dem Gebiet der Entschuldung sowie für den erleichterten Transfer privater finanzieller Mittel in die Entwicklungsländer;

­

unterstützt sie aktiv die auf internationaler Ebene unternommenen Anstrengungen zur Harmonisierung der Praktiken und Prozeduren von Geber- und Empfängerländern und sorgt dafür, dass ihre eigenen Programme noch besser auf die Prioritäten der Empfängerländer abgestimmt werden;

­

hilft sie mit, die gute regierungsführung, die Führung und die Finanzierung der multilateralen Entwicklungsorganisationen, denen sie angehört, zu verbessern; im Übrigen unterstützt sie Staaten, die erhebliche Demokratisierungsanstrengungen unternehmen, und wird den Krisenländern sowie der Prävention und Beilegung von Konflikten weiterhin besondere Aufmerksamkeit schenken.

Die Schweiz will die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen fördern. Deshalb ­

unterstützt sie den Vorschlag des UNO-Generalsekretärs, die Bekämpfung des Klimawandels zu einer zentralen Priorität im Bereich des Umweltschutzes zu erklären, ohne die übrigen grossen Herausforderungen im Umweltschutzbereich ausser Acht zu lassen;

­

setzt sie ihre intensiven Anstrengungen auf nationaler und internationaler Ebene zur Umsetzung der internationalen Umweltkonventionen fort und engagiert sich für die Ausarbeitung eines umfassenden internationalen Rahmens für den Klimaschutz über das Jahr 2012 hinaus.

B) Förderung der internationalen Rolle der Stadt Genf Die besondere Rolle, welche die Schweiz als Gaststaat internationaler Organisationen und Konferenzen einnimmt, gibt ihr die Gelegenheit, ihre Interessen verstärkt zur Geltung zu bringen. Insbesondere die Tatsache, dass Genf einen wichtigen Sitz der Vereinten Nationen beherbergt, verleiht der Schweiz auf internationaler Ebene eine hohe Ausstrahlung. Auch aus wirtschaftlicher Sicht sind die positiven Auswirkungen dieser Präsenz bedeutend, namentlich für Genf und die Genferseeregion.

Bei der Wahrung ihrer Interessen wird die Schweiz darauf achten, dass die laufenden Reformen nicht zu einer Schwächung der internationalen Rolle Genfs führen, vor allem nicht in jenen Bereichen, die zu dessen anerkanntem Kompetenzpool gehören.

3940

C) Reformen und Wirksamkeit der UNO Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs vom 14. bis 16. September 2005 in New York zum 5. Jahrestag der Millenniums-Erklärung sowie die 60. Session der UNOGeneralversammlung sind wichtige Ereignisse im Hinblick auf die Umsetzung der UNO-Reformen. Die laufenden Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten sind für die Schweiz und für die von ihr verfolgten aussenpolitischen Ziele von grosser Bedeutung. Die Schweiz wird am hochrangigen Gipfel zum 5. Jahrestag des Millenniumsgipfels von einer Delegation unter der Leitung von Bundespräsident Samuel Schmid vertreten sein. In diesem Reformprozess kann die Schweiz mit ihrem seit dem UNO-Beitritt verfolgten Ansatz eine konstruktive Rolle spielen: die Rolle eines dem Multilateralismus verpflichteten Staates, der auf dem Recht gründende internationale Beziehungen aktiv und ohne verdeckte Strategien fördert und die laufenden Anstrengungen zur Stärkung der Rolle der UNO und zur Bereitstellung effizienterer Instrumente zur Erfüllung ihrer Aufgaben konkret unterstützt.

Auf der Grundlage der im vorliegenden UNO-Bericht vertretenen allgemeinen Haltungen setzt der Bundesrat folgende Schwerpunkte: Die Schweiz: ­

befürwortet eine Erweiterung der Zusammensetzung des Sicherheitsrates, sofern diese Erweiterung auf objektiven Kriterien beruht, insbesondere die Bedeutung der Beiträge an die Aktivitäten der Vereinten Nationen berücksichtigt, jedoch keine Schaffung neuer Vetorechte nach sich zieht und mit einer Verbesserung der Arbeitsmethoden des Sicherheitsrates einhergeht; weiter unterstützt sie die Schaffung einer Kommission für Friedenskonsolidierung, die sowohl dem Sicherheitsrat als auch dem ECOSOC unterstehen sollte;

­

engagiert sich für institutionelle Reformen im Bereich der Menschenrechte und plädiert insbesondere für die Schaffung eines Menschenrechtsrates, der die gegenwärtige Menschenrechtskommission in Genf ablösen könnte;

­

ist ferner daran interessiert, dass die UNO ihre Handlungsmöglichkeiten nicht nur bewahrt, sondern auch deren Wirksamkeit erhöht. Sie wird dafür einstehen, dass die Vereinten Nationen effizient verwaltet werden und dass die ihr zur Verfügung stehenden Beiträge auf die bestmögliche Art genutzt werden.

Der Bundesrat ist sich der Unsicherheitsfaktoren in Bezug auf den Ausgang der laufenden Verhandlungen über die UNO-Reform und die internationale Zusammenarbeit im Dreieck von Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten bewusst. Die Schweiz wird sich bemühen, dazu beizutragen, dass der laufende Prozess anlässlich der grossen Treffen im kommenden Herbst zu einem positiven Abschluss kommt.

Sie wird sich dafür einsetzen, dass für die weiteren Anstrengungen in den Bereichen, in denen keine rasche Einigung erzielt werden kann, ein Zeitplan aufgestellt wird.

3941

Anhang 1

Entwicklung des Pflichtbeitrags der Schweiz an die UNO 2002­2004 (in Franken) 2002

2003

Pro rata als Beobachter

1. Reguläres Budget ­ Jahresbeitrag an den Fonds für den «Capital Master Plan» 2. UNO-Gerichtshöfe ­ Internat. Strafgericht für Ex-Jugoslawien ­ Internat. Strafgericht für Ruanda 3. Friedenserhaltende Operationen 4. Beiträge an Fonds für die zweijährige Budgetperiode ­ Betriebsmittelfonds ­ Reservefonds für friedenserhaltende Operationen

5 570 392

Pro rata als Vollmitglied

6 189 325

2004

als Vollmitglied 1.1.­31.12.2003

25 800 897 23 205 540 482 065

596 598

2 195 432

2 498 882

481 992

1 805 726

1 794 187

13 075 043

45 196 439 54 137 240

2 229 500 3 344 250

­ 103 950

(5 570 392) (25 916 708) Total

31 487 100

75 480 559 81 531 899

Umrechnungskurse USD-CHF 2002 = 1.75 2003 = 1.50 2004 = 1.35

Der Beitragssatz der Schweiz für die Jahre 2001­2003 betrug 1,274 %. Für die Jahre 2004­2006 wurde er mit Beschluss der UNO-Generalversammlung auf 1,197 % gesenkt.

3942

Anhang 2

Das internationale Genf in Zahlen Internationale Organisationen in der Schweiz mit Sitzabkommen (davon 22 in Genf)

25

Büro der Vereinten Nationen in Genf (UNOG)

1

UNO-Sonderorganisationen Beispiele: Weltgesundheitsorganisation (WHO), Internationale Arbeitsorganisation (ILO), Weltpostverein (UPU; Bern)

7

Internationale Organisationen ausserhalb des Systems der Vereinten Nationen Beispiele: Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ; Basel), Europäische Organisation für Kernforschung (CERN), Europäische Freihandelsassoziation (EFTA), Welthandelsorganisation (WTO) Internationale Organisationen quasi-zwischenstaatlichen Charakters in der Schweiz mit Steuerabkommen

17

5

Beispiele: Internationaler Luftverkehrsverband (IATA), Weltunion für die Natur (IUCN; Gland VD) Nichtstaatliche Organisationen (NGO) internationalen Charakters NGOs mit Sitz in Genf mit beratendem Status bei den Vereinten Nationen Internationale Sportverbände und -organisationen

ca. 170 ca. 30

Ausländische Staaten und ständige Missionen und Vertretungen Vertretungen ausländischer Staaten bei der UNO, der WTO oder der Abrüstungskonferenz

152

Tagungen, Delegierte und offizielle Besuche (2003) Tagungen und Konferenzen internationaler Organisationen in der Schweiz Teilnehmende Delegierte und Experten Teilnehmende Staats- und Regierungschefs sowie Minister

2 492 128 619 ca. 3 000

Finanzielle Angaben (2003, in Franken) Jährliches Gesamtbudget der internationalen Organisationen in Genf

ca. 8 Mia.

Schweizer Beitragszahlungen an internationale Organisationen mit Sitz in Genf

ca. 237 Mio.

Geschätzte Ausgaben der internationalen Organisationen mit Sitzabkommen in der Schweiz

ca. 4­5 Mia.

3943

Personal internationaler Organisationen (2003, gerundet) Angestellte

25 000

Davon internationale Beamte mit Schweizer Legitimationskarten

18 000

Gesamtzahl des internationalen Personals einschliesslich Familienangehörige und Hausangestellte

35 000

Arbeitsplätze in den diplomatischen Vertretungen

3 600

Arbeitsplätze in internationalen NGOs

2 200

Weitere Arbeitsplätze im Zusammenhang mit der internationalen Rolle von Genf

ca. 14 000

Weitere Informationen sind auf der Website der Ständigen Mission der Schweiz beim Büro der Vereinten Nationen und den anderen internationalen Organisationen in Genf unter http://www.eda.admin.ch/geneva_miss/f/home/numbe.html und des Statistischen Amts des Kantons Genf unter www.geneve.ch/statistique abrufbar.

3944

Anhang 3

Die acht Millenniums-Entwicklungsziele Ziel 1 Beseitigung der extremen Armut und des Hungers Zielvorgabe 1 Zwischen 1990 und 2015 den Anteil der Menschen halbieren, deren Einkommen weniger als 1 Dollar pro Tag beträgt.

Zielvorgabe 2 Zwischen 1990 und 2015 den Anteil der Menschen halbieren, die Hunger leiden.

Ziel 2 Verwirklichung der allgemeinen Grundschulbildung Zielvorgabe 3 Bis zum Jahr 2015 sicherstellen, dass Kinder in der ganzen Welt, Jungen wie Mädchen, eine Grundschulbildung vollständig abschliessen können.

Ziel 3 Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Beteiligung der Frauen Zielvorgabe 4 Das Geschlechtergefälle in der Grund- und Sekundarschulbildung beseitigen, vorzugsweise bis 2005 und auf allen Bildungsebenen bis spätestens 2015.

Ziel 4 Senkung der Kindersterblichkeit Zielvorgabe 5 Zwischen 1990 und 2015 die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren um zwei Drittel senken.

3945

Ziel 5 Verbesserung der Gesundheit von Müttern Zielvorgabe 6 Zwischen 1990 und 2015 die Müttersterblichkeitsrate um drei Viertel senken.

Ziel 6 Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und anderen Krankheiten Zielvorgabe 7 Bis 2015 die Ausbreitung von HIV/Aids zum Stillstand bringen und den Trend allmählich umkehren.

Zielvorgabe 8 Bis 2015 die Ausbreitung von Malaria und anderen schweren Krankheiten zum Stillstand bringen und den Trend allmählich umkehren.

Ziel 7 Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit Zielvorgabe 9 Die Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung in einzelstaatliche Politiken und Programme einbauen und den Trend zum Verlust von Umweltressourcen umkehren.

Zielvorgabe 10 Bis 2015 den Anteil der Menschen um die Hälfte senken, die keinen nachhaltigen Zugang zu einwandfreiem Trinkwasser und grundlegenden sanitären Einrichtungen haben.

Zielvorgabe 11 Bis 2020 eine erhebliche Verbesserung der Lebensbedingungen von mindestens 100 Millionen Slumbewohnern herbeiführen.

3946

Ziel 8 Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft Zielvorgabe 12 Ein offenes, regelgestütztes, berechenbares und nichtdiskriminierendes Handels- und Finanzsystem weiterentwickeln (umfasst die Verpflichtung auf eine gute Regierungs- und Verwaltungsführung, die Entwicklung und die Armutsreduzierung auf nationaler und internationaler Ebene).

Zielvorgabe 13 Den besonderen Bedürfnissen der am wenigsten entwickelten Länder Rechnung tragen (umfasst einen zoll- und quotenfreien Zugang für die Exportgüter der am wenigsten entwickelten Länder, ein verstärktes Schuldenerleichterungsprogramm für die hochverschuldeten armen Länder und die Streichung der bilateralen öffentlichen Schulden sowie die Gewährung grosszügigerer öffentlicher Entwicklungshilfe für Länder, die zur Armutsbekämpfung entschlossen sind).

Zielvorgabe 14 Den besonderen Bedürfnissen der Binnen- und kleinen Inselentwicklungsländer Rechnung tragen (durch das Aktionsprogramm für die nachhaltige Entwicklung der kleinen Inselstaaten unter den Entwicklungsländern und durch die Ergebnisse der 22. Sondertagung der Generalversammlung).

Zielvorgabe 15 Die Schuldenprobleme der Entwicklungsländer durch Massnahmen auf nationaler und internationaler Ebene umfassend angehen und so die Schulden langfristig tragbar werden lassen.

Zielvorgabe 16 In Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern Strategien zur Beschaffung menschenwürdiger und produktiver Arbeit für junge Menschen erarbeiten und umsetzen.

Zielvorgabe 17 In Zusammenarbeit mit den Pharmaunternehmen unentbehrliche Arzneimittel zu bezahlbaren Kosten in den Entwicklungsländern verfügbar machen.

Zielvorgabe 18 In Zusammenarbeit mit dem Privatsektor dafür sorgen, dass die Vorteile der neuen Technologien, insbesondere der Informations- und Kommunikationstechnologien, genutzt werden können.

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